S 63 P 181/23

Land
Niedersachsen-Bremen
Sozialgericht
SG Hannover (NSB)
Sachgebiet
Pflegeversicherung
1. Instanz
SG Hannover (NSB)
Aktenzeichen
S 63 P 181/23
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
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3. Instanz
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Aktenzeichen
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Datum
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Kategorie
 
Leitsätze

1. Es steht der Vorausabtretung eines Kostenanspruchs gemäß § 63 Abs. 1 SGB X aus einem Widerspruchsverfahren nicht entgegen, dass ein künftig möglicherweise entstehender Freistellungsanspruch an den vertretenen Rechtsanwalt abgetreten wird und er sich bei der Abtretung in einen Kostenerstattungsanspruch wandelt. 2. Eine ohne besondere Hervorhebung in eine Vollmachtsurkunde aufgenommene Abtretungsklausel ist als überraschende Klausel Allgemeiner Geschäftsbedingungen unwirksam. 3. Ist ein Dritter zur Erstattung von Rechtsanwaltskosten, die als Rahmengebühren anfallen, verpflichtet, vermag die Annahme einer Toleranzschwelle von 20% für sich genommen nicht das Überschreiten der Schwellengebühr zu rechtfertigen.

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert beträgt 588,11 €.

Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger begehrt noch eine weitere Geschäftsgebühr in Höhe von 65,54 € inklusive Umsatzsteuer. Zunächst hatte der Kläger neben einer weiteren Geschäftsgebühr auch eine Erledigungsgebühr, insgesamt weitere 588,11 €, begehrt. Wegen der Erledigungsgebühr hat der Kläger die Klage in Höhe von 492,66 € teilweise zurückgenommen.

Der Kläger ist Rechtsanwalt. Der bei der Beklagten gesetzlich Pflegeversicherte G. mandatierte ihn zur Vertretung gegenüber der Beklagten. Die Vollmachtsurkunde enthält im Fließtext folgende Klausel:

6. Der Mandant tritt den Vergütungsanspruch gegen die gesetzliche und /oder private Kranken-und/oder Pflegekasse oder die Amtsgerichte bzw. Bundes- oder Landeskassen auf Ersatz der H. zustehenden Rechtsanwaltsvergütung an die H. ab. H. nimmt diese Abtretung an. Der Mandant willigt ferner ausdrücklich ein, dass die H. diesen Rechtsanwaltsvergütungsanspruch an einen neuen Gläubiger abtreten kann. …“

Einen hervorgehobenen Hinweis auf eine Vollmachtserteilung erhält sie nicht. Auf dem Internetauftritt des Klägers wird indes aufgeführt, dass Ansprüche wegen der Kosten des Widerspruchsverfahrens gegen die Beklagte auf ihn übergehen würden.

Der Kläger vertrat den Mandanten in einem Widerspruchsverfahren gegen die Einstufung des Pflegegrades. Er begründete den Widerspruch und legte ein Pflegetagebuch vor, für das er ein Formular zur Verfügung gestellt hatte. Mit Bescheid vom 25. November 2022 half die Beklagte dem Widerspruch ab und setzte gemäß § 63 Absatz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) fest, dass die Kosten im Widerspruchsverfahren erstattet werden würden.

Der Kläger machte den Anspruch auf Kostenerstattung im Widerspruchsverfahren im eigenen Namen aus abgetretenen Recht gegenüber der Beklagten geltend. Er begehrte zunächst einen Betrag von 1009,12 €. Dieser Betrag setzt sich zusammen einer Geschäftsgebühr nach Nummer 2023 Vergütungsverzeichnis zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (VV RVG) und einer Erledigungsgebühr nach Nummer 1005 VV RVG in Höhe von jeweils 414 € (Mittelgebühr), der Auslagenpauschale nach Nummer 7002 VV RVG und der Umsatzsteuer von 19%. Er führte aus, die anwaltliche Tätigkeit sei umfangreich und schwierig gewesen. Das ergebe sich daraus, dass sie die Prüfung eines medizinischen Gutachtens mit umfasse. Darüber hinaus sei die Angelegenheit auch von hoher Bedeutung, denn es gehe um die Einstufung in einen Pflegegrad.

Mit Bescheid vom 22. Dezember 2022 setzte die Beklagte die dem Kläger zu erstattenden Kosten im Widerspruchsverfahren auf 451,01 € fest. Dieser Betrag setzte sich aus der Schwellengebühr nach 2023 VV RVG von 359 € zuzüglich Auslagenpauschale und Umsatzsteuer zusammen. Die Erstattung einer Erledigungsgebühr lehnte die Beklagte ab.

Der Kläger erhob hiergegen am 9. Januar 2023 Widerspruch. Hinsichtlich der Geschäftsgebühr führte der Kläger erneut aus, die Tätigkeit sei umfangreich und schwierig gewesen, sodass die Berechnung der Mittelgebühr von 414 € gerechtfertigt sei. Die Begutachtung durch den Medizinischen Dienst (MD) sei auszuwerten gewesen. Es habe geprüfte werden müssen, ob die aufgeführten Diagnosen und Befunde zutreffend sind. Die tatsächlichen Einschränkungen des Mandanten hätten mit den Feststellungen des MD abgeglichen werden müssen. Hieraus ergebe sich ein erheblich überdurchschnittlicher Umfang gegenüber sonstigen sozialrechtlichen Verfahren. Hieraus folge auch eine deutlich überdurchschnittliche Schwierigkeit der Sache. Darüber hinaus sei die Bedeutung für die Mandantschaft auch überdurchschnittlich. Dadurch, dass zunächst zu geringe Leistungen der Pflegeversicherung zuerkannt worden seien, seien die tatsächlichen existenzsichernden Bedarfe nicht adäquat gedeckt gewesen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 7. März 2023 wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten den Widerspruch als unbegründet zurück.

Hierzu führte er aus, die Sache sei nicht umfangreich und schwierig gewesen. Die anwaltliche Tätigkeit habe sich auf die Begründung des Widerspruchs beschränkt. Ein besonderes, über die normalen anwaltlichen Bemühungen herausgehendes, erledigungsgerichtetes Bemühen des Rechtsanwalts sei nicht ersichtlich. Der Widerspruchsbescheid wurde dem Kläger erst mit Schreiben vom 19. April 2023 übersendet.

Sodann hat der Kläger am 10. Mai 2023 Klage zum Sozialgericht Hannover erhoben. Er wiederholt und vertieft seinen Vortrag aus dem Widerspruchsverfahren. Der Fall sei überdurchschnittlich umfangreich gewesen. Die Auseinandersetzung mit dem Gutachten des MD nähme bereits überdurchschnittlich viel Zeit in Anspruch. Erst nach zeitaufwändiger Prüfung des Gutachtens könne zu den Einzelpunkten vorgetragen werden. Das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen nähme an, dass dies auch für Formulargutachten im Pflegeversicherungsrecht gelte (Urteil vom 6. Februar 2008 – L 10 (6) P 61/07). Von einem sozialrechtlichen Durchschnittfall weiche die Sache ab, denn 2/3 der Fälle beträfen nicht mehr medizinische Sachverhalte, sondern Grundsicherungsleistungen. Damit sei im Durchschnittsfall kein Gutachten mehr zu bewerten. Der Fall sei auch überdurchschnittlich schwierig gewesen. Für die Schwierigkeit komme es darauf an, ob die Tätigkeit für einen durchschnittlichen Rechtsanwalt schwierig ist, sei es aus juristischen Gründen oder aus tatsächlichen Gründen. Es handele sich also um einen objektiven Maßstab, der anzulegen ist. Die Bewertung medizinischer Befunde bedürfe besonderer medizinischer und juristischer Kenntnisse. Dies bedeute eine besondere Schwierigkeit für einen durchschnittlichen Rechtsanwalt. Schließlich sei nach der zitierten Rechtsprechung des LSG Nordrhein-Westfalen auch die Dauer des Widerspruchsverfahrens mit zu berücksichtigen. Jedenfalls dann, wenn die Entscheidungsfrist von drei Monaten nach § 88 Absatz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) erreicht oder überschritten werde, indiziere dies einen großen Umfang der Sache. Die Gebührenfestsetzung liege im Ermessen des Rechtsanwalts. Von ihr könne nur dann abgewichen werden, wenn sie unbillig ist. Dies sei vorliegend nicht der Fall. Die Abtretung des Kostenerstattungsanspruchs an ihn sei wirksam, sodass der Kläger auch aktivlegitimiert sei. Die Abtretungsklausel in der Vollmachtsurkunde sei nicht überraschend, denn auf seiner Homepage werde darauf hingewiesen, dass Erstattungsansprüche auf ihn übertragen werden.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid vom 22. Dezember 2022 in Gestalt des Widerspruchbescheides vom
7. März 2023 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an ihn weitere 65,54 € als Rechtsanwaltsgebühr inklusive Mehrwertsteuer zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie verweist auf ihren Widerspruchsbescheid und führt zur Ergänzung aus, es handele sich um ein durchschnittliches Widerspruchsverfahren. Auch die Dauer des Verfahrens sei nicht besonders lang gewesen. Im vom Kläger zitierten Fall des LSG Nordrhein-Westfahlen habe das Widerspruchsverfahren zweieinhalb Jahre gedauert. Es handele sich beim Pflegeversicherungsrecht nicht um ein exotisches Rechtsgebiet. Die Widerspruchsbegründung sei maximal unbestimmt.

Wegen der Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Verwaltungsakten verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage gemäß § 54 Absatz 1 Satz 1 in Verbindung mit Absatz 4 SGG ist zulässig, aber unbegründet.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf eine weitere Geschäftsgebühr in Höhe von 55 € zuzüglich 19 % Umsatzsteuer, mithin insgesamt 65,54 €. Insoweit beschwert ihn der angefochtene Bescheid über die Festsetzung der Kosten im Widerspruchsverfahren nicht.

Dem Kläger fehlt es bereits an der Aktivlegitimation, im eigenen Namen aus abgetretenen Recht den Anspruch auf Erstattung der Kosten im Widerspruchsverfahren geltend zu machen. Die Abtretungsklausel in Nummer 6 der vorformulierten und vom Kläger einseitig gestellten Vollmachtsurkunde ist unwirksam. Bei der Klausel Nummer 6 handelt es sich um Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) im Sinne von § 305 Absatz 1 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), denn sie stellt für eine Vielzahl von Verträgen vorformulierte Vertragsbedingungen dar, die der Kläger seinen Mandanten bei der Vollmachtserteilung einseitig stellt.

Grundsätzlich ist der Anspruch auf Kostenerstattung im Widerspruchsverfahren gemäß § 63 Absatz 1 Satz 1 in Verbindung mit Absatz 2 SGB X gemäß § 398 BGB abtretbar. Mit dem Abschluss des Vertrags tritt der neue Gläubiger an die Stelle des alten Gläubigers. Gegenstand des Vertrages muss eine bestimmte oder bestimmbare Forderung sein. Die abgetretene Forderung kann auch bedingt oder befristet sein oder sogar erst aus einem künftig entstehenden Rechtsverhältnis hervorgehen. Es bestehen zwar Zweifel, ob die Abtretung im vorliegenden Falle ins Leere geht, da lediglich ein Kostenerstattungsanspruch abgetreten werden soll, zum jetzigen Zeitpunkt jedoch lediglich ein Freistellungsanspruch des Mandanten in Höhe der klageweise geltend gemachten Forderung bestehen kann und dieser nach dem Wortlaut der Abtretungsklausel nicht abgetreten wird. (LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 13. März 2024 – L 13 AS 233/23 – juris Rn. 32). Der Freistellungsanspruch des Mandanten gegen die Beklagte wandelt sich erst mit der Abtretung in einen Zahlungsanspruch. Damit geht eine Inhaltsänderung der Forderung einher, die gemäß § 399 BGB grundsätzlich die Abtretung ausschließt. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 22. März 2011, II ZR 271/08) steht die Inhaltsänderung jedoch dann einer Abtretung nicht entgegen, wenn der Freistellungsanspruch gerade an den Gläubiger – hier den Rechtsanwalt – erfolgt (Thüringer LSG, Urteil vom 8. November 2018 – L 9 AS 1259/17 – juris Rn. 15). Demnach steht es der Vorausabtretung nicht entgegen, dass ein künftig möglicherweise entstehender Freistellungsanspruch an den Rechtsanwalt abgetreten wird und er sich bei der Abtretung in einen Kostenerstattungsanspruch wandelt. Die fehlerhafte Bezeichnung des abgetretenen Anspruchs als Vergütungsanspruch und nicht als Freistellungsanspruch wäre unschädlich, denn eine Falschbezeichnung durch beide Vertragspartner schadet dann nicht, wenn sie den übereinstimmenden Willen haben, Kostenansprüche gegen die Beklagte wegen eines Erfolgreichen Widerspruchsverfahren abtreten zu wollen (falsa demonstratio non nocet, vgl.Möslein in BeckOGK/ 1.10.2020, BGB § 133 Rn. 33).

Die in den AGB der Klägerin als Nummer 6 enthaltene Abtretungserklärung ist jedoch als überraschende Klausel unwirksam im Sinne von § 305c Absatz 1 BGB, wonach Bestimmungen in AGB, die nach den Umständen, insbesondere nach dem äußeren Erscheinungsbild des Vertrags, so ungewöhnlich sind, dass der Vertragspartner des Verwenders mit ihnen nicht zu rechnen braucht, nicht Vertragsbestandteil werden. Die Abtretungserklärung ist deswegen als überraschende Klausel zu bezeichnen, weil für einen potentiellen Mandanten bei einem Blick auf die Vollmachtsurkunde nicht zu erkennen ist, dass gleichermaßen eventuelle spätere Ansprüche gegenüber dem Leistungsträger an den Kläger abgetreten werden sollen. Die Abtretung ist weder aus der Überschrift der Vollmachtsurkunde ersichtlich, noch an anderer Stelle gesondert hervorgehoben. Dementsprechend kann ein potentieller Mandant nicht damit rechnen, dass er neben der Erteilung einer Vollmacht im Sinne von § 167 Absatz 1 BGB auch noch eine weitere Willenserklärung, die Annahmeerklärung des Abtretungsvertrages, abgibt bzw. abgeben soll (LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 13. März 2024 – L 13 AS 233/23 – juris Rn. 36 mit Verweis auf LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 30. April 2019 – L 20 AS 554/18 – juris Rn. 30 vgl. auch für die Abtretung des Auslagenerstattungsanspruchs eines freigesprochenen Angeklagten gegen die Staatskasse an einen Strafverteidiger: Oberlandesgericht (OLG) Nürnberg, Beschluss vom 25. März 2015 – 2 Ws 426/14 – Juris Rn. 17, OLG Rostock, Beschluss vom 30. April 2018 – 20 Ws 78/18 – juris Rn. 14).

Der Vortrag des Klägers, aus seinem Internet-Auftritt ginge klar hervor, dass Kostenerstattungsansprüche gegen die Beklagte übertragen werden würden, vermag eine andere rechtliche Bewertung nicht zu begründen. Diese Angaben werden lediglich im Vorfeld des Abschlusses des Mandatsvertrags in einem werblichen Kontext gemacht, in dem potentiellen Mandanten dargelegt wird, dass kein bzw. ein nur geringes Kostenrisiko für sie besteht. Wegen ihres Inhalts überraschende Klauseln verlieren zwar diesen Charakter, wenn der Vertragspartner des Verwenders von ihrem Inhalt vor Vertragsschluss in einer Weise Kenntnis genommen hat oder zumutbarerweise hätte Kenntnis nehmen können, dass er ihren Sinn erfasste (Staudinger/​Mäsch (2022) BGB § 305c, Rn. 31). Hieraus ergibt sich trotz des vorvertraglichen Hinweises auf der Homepage des Klägers jedoch nicht, dass die Klausel die Eigenschaft als überraschende Klausel verliert. Die Mandanten unterzeichnen vorliegend eine Vollmacht für eine anwaltliche Vertretung. Es ist nicht zu erwarten, dass eine bloße Vollmachtsurkunde – die auch gerade nicht als Vertrag über die Begründung eines Mandatsverhältnisses bezeichnet ist – eine Regelung über die Abtretung von Freistellungs- oder Vergütungsansprüchen enthält. Die Bevollmächtigung nach § 167 Absatz 1 BGB stellt ein einseitiges Rechtsverhältnis dar. Demgegenüber ist die Abtretung nach § 398 BGB gerade eine dingliche Verfügung über eine Forderung durch Vertrag. Bei einem einseitigen Rechtsgeschäft ist nicht mit einem zeitgleichen Vertragsschluss zu rechnen.

Darüber schuldet die Beklagte auch in materieller Hinsicht keine Rechtsanwaltsvergütung über die Schwellengebühr von 359 € zuzüglich Auslagenpauschale und Umsatzsteuer hinaus. Aus anwaltlichem Ermessen folgt vorliegend nicht, dass die Mittelgebühr in Höhe von 414 € beansprucht werden kann.

Gemäß § 14 Absatz 1 Satz 1 RVG bestimmt bei Rahmengebühren der Rechtsanwalt die Gebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers, nach billigem Ermessen. Nach Satz 4 der Vorschrift gilt, dass dann, wenn die Gebühr von einem Dritten zu ersetzen ist, die von dem Rechtsanwalt getroffene Bestimmung nicht verbindlich ist, wenn sie unbillig ist.

Aus dem Ermessen des Rechtsanwalts folgt dabei nicht, dass der Betrag der Schwellengebühr aus Nummer 2302 VV RVG nach freiem Ermessen des Rechtsanwalts überschritten werden kann. Insbesondere vermag auch die Annahme einer Toleranzschwelle von 20% zu Gunsten des Rechtsanwalts nicht das Überschreiten der Schwellengebühr zu rechtfertigen. In Durchschnittsfällen ist eine Überschreitung der Schwellen- bzw. Regelgebühr ausgeschlossen. Nur bei einem besonderen Umfang oder einer besonderen Schwierigkeit kann ein Rechtsanwalt damit eine Vergütung oberhalb der Schwellengebühr von 359 € verlangen (Pankarz in Ahlmann/Kapischke/Pankatz/Rech/Schneider/Schütz, 11. Auflage 2024, RVG § 14 Rn. 28 mwN.). Das ergibt sich schon aus dem Wortlaut von Nummer 2302 VV RVG. Liegt kein besonderer Umfang oder Schwierigkeit vor, wird auch eine zunächst rechtmäßig vom Rechtsanwalt ermittelte Gebühr auf die Höhe des Betrages der Schwellengebühr gekappt (BSG, Urteil vom 1. Juli 2009 – B 4 AS 21/09 R – juris Rn. 26).

Ein besonderer Umfang oder eine besondere Schwierigkeit sind vorliegend indes nicht gegeben, denn das streitbefangene Widerspruchsverfahren stellt ein Durchschnittsverfahren dar.

Von einer nur durchschnittlich schwierigen anwaltlichen Tätigkeit ist nur dann nicht mehr auszugehen, wenn der zu bearbeitende Fall von einem Normal-bzw. Routinefall abweicht; und zwar bezogen auf jedes Rechtsgebiet (z.B. Sozialrecht), nicht aber jedes Teilrechtsgebiet (z.B. Sozialhilferecht). Damit ist gewährleistet, dass in Rechtsgebieten, die gemeinhin nur deshalb als schwierig empfunden werden, weil kein Fall dem anderen gleicht, überwiegend eine überdurchschnittliche Schwierigkeit angenommen werden kann (BSG, Urteil vom 1. Juli 2009 – B 4 AS 21/09 R – juris Rn. 35).

Vorliegend ist keine Abweichung von einem durchschnittlichen sozialrechtlichen Fall gegeben. Ein besonderer Umfang oder eine besondere Schwierigkeit ergibt sich nicht daraus, dass ein Pflegegutachten des MD zu prüfen war. Das Sozialrecht ist geprägt von einer Vielzahl von Rechtsstreitigkeiten über medizinische Sachverhalte, die eine medizinische Bewertung erfordern (so neben dem Pflegeversicherungsrecht auch im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung, Rentenversicherung, Unfallversicherung und dem Schwerbehindertenrecht). Regelmäßig sind medizinische Gutachten und Befundberichte zu bewerten. Daher kann allein hieraus noch keine überdurchschnittliche Schwierigkeit der Rechtssache abgeleitet werden. Im Bereich des Pflegeversicherungsrecht erfolgt die Begutachtung an Hand eines standardisierten Formulars, in dem ausgehend von Fremdhilfebedarf der Pflegegrad festgestellt wird. Bestehende Diagnosen werden hier mitberücksichtigt. Der Aufwand, ein solches Gutachten zu prüfen ist – in dem medizinisch geprägten Sozialrecht – lediglich als durchschnittlich zu bewerten (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 6. Februar 2008 – L 10 (6) P 61/07, BeckRS 2008, 53673 – Rn. 37) . Das ergibt sich aus dem Vergleich zu freien Gutachten, die in anderen Bereichen des Sozialrechts der Regelfall sind und in denen sich ein Rechtsanwalt regelmäßig tiefgreifend mit zumeist neuen medizinischen Fragestellungen zu befassen hat. Gleiches gilt auch für den Umfang der anwaltlichen Tätigkeit. Dieser weicht entsprechend ebenfalls nicht vom Regelfall einer Tätigkeit in einem sozialrechtlichen Widerspruchsverfahren ab. Folgte man der Argumentation des Klägers wäre schlichtweg jedes Widerspruchsverfahren gegen die Einstufung in einen Pflegegrad umfangreich und schwierig im Sinne von Nummer 2302 VV RVG. Vorliegend begründete der Kläger den Widerspruch und legte als Begründungselement das Pflegetagebruch, welches dem Mandanten von ihm als Formular zur Verfügung gestellt wird und das vom Mandanten oder der Pflegeperson ausgefüllt wird, vor. Dies stellt die vom Mandanten zu erwartende anwaltliche Tätigkeit dar. Ein besonderer Umfang ergibt sich hieraus nicht.

Eine andere Bewertung ergibt sich auch nicht aus der vom Kläger zitierten Rechtsprechung des LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 6. Februar 2008 – L 10 (6) P 61/07, BeckRS 2008, 53673). In diesem Verfahren war nicht nur ein Gutachten zu bewerten, sondern es wurden zwei Gutachten erstellt. Über einen Zeitraum von zweieinhalb Jahren erfolgte in dem Widerspruchsverfahren ein umfangreicher Schriftverkehr zwischen dem Rechtsanwalt und der Beklagten. Hieraus schloss das LSG auf einen großen Umfang. Anzumerken ist, dass – wie oben bereits zitiert – das LSG der Beurteilung eines Formulargutachtens keine besondere Schwierigkeit beimisst.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Sozialgerichtsgesetz (SGG) in Verbindung mit § 154 Absatz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 197a Absatz 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 52 Absatz 3 Gerichtskostengesetz (GKG).

Die Berufung ist gemäß § 144 Absatz 2 Nummer 1 SGG wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen. Eine Vielzahl gleichgelagerter Fälle ist vor dem Sozialgericht Hannover anhängig und die Wirksamkeit der formularvertraglichen Abtretung des Anspruchs aus § 63 Absatz 1 Satz 1 SGB X ist Gegenstand eines Revisionsverfahrens vor dem BSG (B 4 AS 12/24 R)

Rechtskraft
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