Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 27. April 2022 aufgehoben und der Beklagte verurteilt, an die Klägerin einen Betrag in Höhe von 130.046,28 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Kosten in beiden Rechtszügen sind vom Beklagten zu zahlen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Streitwert wird auf 130.046, 28 Euro festgesetzt.
Tatbestand
Streitig ist zwischen den Beteiligten, ob die Klägerin einen Anspruch auf Rückerstattung der Vergütung für vertragsärztlich verordnete Medikamente hat (Retaxierung).
Der Beklagte ist Apotheker und betrieb bis zum 31. Juli 2015 die „K. Apotheke“ in L.. Im Zeitraum vom 1. November 2013 bis zum 2. April 2015 belieferte der Beklagte die Vertragsärztin M., N. mit den „hochpreisigen“ Arzneimitteln Remicade, Enbrel, Humira sowie mit dem hierfür teilweise erforderlichen Injektionswasser (aqua ad iniectabilia) u.a. für Versicherte der Klägerin. Die Versicherten erklärten sich – mit Ausnahme des Versicherten O. – in einem entsprechenden Formular vor Behandlungsbeginn damit einverstanden, dass „das jeweilige Medikament durch die Ärzte in einer Apotheke besorgt“ würde (vgl. Formular, Bl. 36 dA). Der Beklagte belieferte im Zeitraum vom 1. November 2013 bis zum 2. April 2015 auch den Arzt Dr. P. in seinen Praxen in Q. und R. ebenfalls mit dem Medikament Remicade für den Versicherten der Klägerin S.. Der Versicherte erklärte sich ebenfalls in einem Formular damit einverstanden, dass das Medikament durch den Arzt in einer Apotheke besorgt werde. Die Formulierung im entsprechenden Formular lautete: „Hiermit beauftrage ich … meinen Arzt, Herrn Dr. P. damit, mein kühlpflichtiges Medikament aus organisatorischen Gründen durch die Apotheke direkt in die Praxis liefern zu lassen“.
Die beiden Ärzte bestellten die Medikamente beim Beklagten jeweils unter Vorlage der Verordnungen, ohne Einbindung der Versicherten. Der Beklagte übergab die Medikamente in den Folgetagen gekühlt mit Einwilligung der Versicherten an die Ärzte. Für die Belieferung mit den Medikamenten Remicade, Enbrel, etc. rechnete der Beklagte mit der Klägerin insgesamt 170.404,91 Euro ab.
Mit Schreiben vom 30. März 2015 machte die Klägerin gegenüber dem Beklagten eine Retaxierung bezüglich der Belieferung mit den genannten Medikamenten für die Jahre 2013 bis 2015 in Höhe von insgesamt 156.875,41 Euro (2013: 8.557,67 Euro, 2014: 8.698,03 Euro, 2015: 139.529,71 Euro) geltend. Mit Schreiben vom 24. Juni 2015 retaxierte die Klägerin gegenüber dem Beklagten einen weiteren Betrag in Höhe von 13.619,50 Euro. Zur Begründung führte die Klägerin aus, dass ein Verstoß gegen die Abgabenbestimmung des § 11 Abs. 1 Apothekengesetz (ApoG) anzunehmen sei. Der Beklagte habe die ärztliche Verordnung unmittelbar von den Ärzten und nicht von den Versicherten erhalten.
Mit seinem Schreiben vom 24. April 2015 richtete sich der Beklagte gegen die Retaxierung vom 30. März 2015 und mit Schreiben (E-Mail) vom 19. August 2015 gegen die Retaxierung vom 25. Juni 2015.
Die Einwände des Beklagten wies die Klägerin mit ihren Schreiben vom 9. Juni 2015 und 19. August 2015 als unbegründet zurück.
Einen Gesamtbetrag in Höhe von 31.800,96 Euro verrechnete die Klägerin in der Folgezeit mit unstreitigen Forderungen des Beklagten für Versicherte der Klägerin.
Mit ihrer am 18. Dezember 2015 bei dem Sozialgericht (SG) Hannover erhobenen Klage hat die Klägerin gegenüber dem Beklagten die verbleibende Forderung in Höhe von 130.603,95 Euro geltend gemacht. Wegen eines Verstoßes gegen die gesetzliche Abgabebestimmung des § 11 Abs. 1 ApoG stehe der Klägerin ein öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch in der genannten Höhe zu. Die Klägerin habe den Gesamtbetrag in Höhe von 170.404,91 Euro nicht mit den in der Folgezeit eingehenden Abrechnungen des Beklagten vollständig verrechnen können, da dieser – vollständig unangekündigt und überraschend – seine Apotheke mit Wirkung zum 1. August 2015 verkauft habe. Der Verkauf der Apotheke sei erfolgt, da dem Beklagten die Entziehung der Approbation durch die Aufsichtsbehörde angekündigt worden sei. Er sei - in anderer Sache - wegen Abrechnungsbetruges zulasten der gesetzlichen Krankenkassen rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt worden, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt worden sei. Der hier streitgegenständliche Sachverhalt sei auch Gegenstand des Ermittlungsverfahrens (Az. T.) gewesen, das aus verfahrensökonomischen Gründen gemäß § 154 Strafprozessordnung (StPO) eingestellt worden sei. Der Beklagte habe gegen nichtdispositive Abgabebedingungen verstoßen, die einem Vergütungsanspruch entgegenstehen. Die Inhaber von Apotheken dürften mit Ärzten keine Rechtsgeschäfte vornehmen oder Absprachen treffen, die eine bevorzugte Lieferung bestimmter Arzneimittel, die Zuführung von Patienten, die Zuweisung von Verschreibungen oder die Fertigung von Arzneimitteln ohne volle Angabe der Zusammensetzung zum Gegenstand hätten. Bei den hier in Rede stehenden Arzneimitteln handele es sich um sog. Applikationsarzneimittel. Diesbezüglich sei auch zu verweisen auf das Urteil des Bundesgerichtshofes (BGH) vom 18. Juli 2015 Az.: I ZR 46/14). Auch bei Applikationsarzneimitteln sei der BGH bei einer Lieferung der Medikamente auf der Grundlage einer Absprache von einer Zuweisung von (Kunden mit) Verschreibungen durch einen Arzt an eine Apotheke im Sinne von § 11 Abs. 1 Satz 1 3. Var. ApoG ausgegangen. Die Arzneimittel Remicade, Enbrel und Humira seien nicht strikt kühlkettenpflichtig. Aus den Fachinformationen des Herstellers sowie der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) ergebe sich vielmehr, dass sich die Haltbarkeit dieser Arzneimittel bei gekühlter Aufbewahrung (2 °C bis 8 °C) auf 2 bis 3 Jahre verlängere; gekühlt (bis 25 °C) sei Remicade bis zu sechs Monate, Enbrel bis zu vier Wochen und Humira bis zu zwei Wochen haltbar. Die Arzneimittel seien zur Behandlung von Hauterkrankungen (Psoriasis) verordnet worden. Zudem stelle eine (hier nicht gegebene) Arzneimittelkühlung weder einen hinreichenden Grund für eine zulässige Zuweisung von Verordnungen dar, noch stünde diese der Arzneimittelbeschaffung sowie dem angemessenen Arzneimittelumgang durch den Patienten entgegen. Eine hinreichende medizinische Notwendigkeit sei im Sinne patientenindividueller Ausnahmetatbestände nicht erkennbar. Die Beschaffenheit des Arzneimittels und eine dauerhafte Kühlpflicht der drei Arzneimittel, welche nachweislich nicht gegeben sei, würden keine hinreichenden medizinischen Gründe darstellen. Es sei nicht ersichtlich, dass die Vertragsärztin M. und der Vertragsarzt Dr. P. ihren Patienten neutral verschiedene Auswahlmöglichkeiten der Beschaffungsart der Applikationsarzneimittel angeboten hätten, welche die Zuweisung entkräften könnten. Auch seien die vorgelegten und vorgefertigten Patienteneinverständniserklärungen kein Nachweis für ein zulässiges Handeln der Vertragsärzte. Die Erklärungen seien nicht mit § 11 ApoG vereinbar, sie würden keine hinreichende Begründung für eine Beauftragung der Ärzte beinhalten. Insbesondere stelle eine Belieferung des Applikationsarzneimittels aus organisatorischen Gründen in die Arztpraxis keinen hinreichenden Grund für eine zulässige Verweisung dar. Der Beklagte habe als Apotheker durch Einreichung der strittigen Verordnungen zur Abrechnung konkludent die Erklärung abgegeben, dass die Versorgung unter Einhaltung der rechtlichen Bestimmungen erfolgt sei. Wäre der KK bekannt gewesen, dass die zwingenden Vorgaben zum Versorgungsweg vom Beklagten bewusst nicht eingehalten worden seien, wäre eine Vergütung nicht erfolgt. Der Gesetzgeber sehe gemäß § 11 ApoG lediglich bei der Verordnung von Zytostatika eine im Arzneimittel begründete, zulässige Zuweisung entsprechender Rezepte vom Arzt an eine Apotheke vor.
Der Beklagte hat im erstinstanzlichen Verfahren die Auffassung vertreten, dass ein Verstoß gegen § 11 Abs. 1 ApoG nicht gegeben sei, da die Patienten den Ärzten eine Einverständniserklärung unterschrieben hätten, sodass die Leistung nicht ohne Rechtsgrund erfolgt sei. Es sei ein hinreichender medizinischer Grund für eine zulässige Zuweisung im Sinne von § 11 ApoG anzunehmen. Bei Enbrel handele es sich um eine Infusion in Einwegspritzen. Diese solle nach Möglichkeit von einem Arzt infundiert werden. Es sei in der Vergangenheit des Öfteren dazu gekommen, dass Patienten in der Praxis erschienen seien, die entweder vergessen hätten, das Medikament zuvor in einer Apotheke zu besorgen oder das Medikament nicht ausreichend gekühlt hätten. Bei dem Medikament Remicade handele es sich um einen sog. „TNS-Blocker“, der bei Erwachsenen bei entzündlichen Erkrankungen eingesetzt werde. Die dazu notwendige Lösung werde im Vorfeld vom Arzt oder der Krankenschwester vorbereitet. Anschließend werde das Präparat vom Arzt oder der Krankenschwester mittels intravenöser Infusion über einen Zeitraum von 2 Stunden verabreicht. Das Medikament sei zudem im Kühlschrank zu lagern. Weiter werde empfohlen, Remicade nach der Zubereitung zur Infusion so bald wie möglich zu verabreichen (innerhalb von 3 Stunden). Die Einhaltung der Kühlkette diene einzig und alleine dem Zweck, dem Patienten die volle Potenz des Arzneimittels zu erhalten. Die Klägerin gehe auch dahingehend fehl, dass das Merkmal der Zuweisung erfüllt sei. Die im vorliegenden Fall involvierten Ärzte hätten die Patienten nicht „gebeten“, sondern den Patienten sei lediglich eine Möglichkeit eingeräumt worden, die gestützt von medizinischen Erfahrungen, des alltäglichen Umgangs mit Patienten und von dem Willen getragen sei, das bestmöglichste Resultat für die Patienten zu erzielen. Die Kritik der Klägerin an der Formulierung der Einverständniserklärung sei nicht nachvollziehbar. Es sei nicht ersichtlich, inwiefern die Einverständniserklärung lücken- oder fehlerhaft sein sollte. Aus dem Wortlaut der Formulierungen ergebe sich eindeutig, dass es dem Arzt zustehe, dass entsprechende Medikamente in einer Apotheke seiner Wahl abzuholen. Im Vorfeld der Versorgung der Medikamente durch die Ärzte sei stets eine mündliche Beratung erfolgt, woraufhin anschließend noch die Einverständniserklärung durch den Patienten unterzeichnet worden sei. Es sei ein Vertrauensschutztatbestand gegeben, da der Beklagte die Rechtsgrundlosigkeit der Leistung nicht gekannt habe und diese auch nicht grob fahrlässig verkannt habe. Zudem liege teilweise Verjährung vor, da nach § 9 des zum 1. Juli 2015 geschlossenen Arzneimittelversorgungsvertrages der Verjährungszeitraum von 15 auf 12 Monate herabgesetzt worden sei.
Mit Schriftsatz vom 21. Juni 2016 hat die Klägerin die Klage bezüglich des Versicherten U. (Verordnungsdatum 9. Oktober 2013, Zahlbetrag 4.013,57 Euro) und bezüglich des Versicherten V. (Verordnungsdatum 12. November 2013, Zahlbetrag 4.544,10 Euro) wegen Eintritts der Verjährung zurückgenommen.
Das erstinstanzliche Gericht hat die Ärzte M. und Dr. P. in der mündlichen Verhandlung vom 27. April 2022 als Zeugen gehört. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf das Protokoll vom 20. April 2022 Bezug genommen.
Das SG hat mit Urteil vom 27. April 2022 die Klage abgewiesen. Die Klage habe keinen Erfolg, da sie unbegründet sei. Die Klägerin habe gegenüber dem Beklagten keinen Anspruch auf Erstattung der an den Beklagten gezahlten Arzneimittelvergütung. Das seitens der Klägerin geltend gemachte Rückforderungsbegehren basiere auf einem öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch. Dieses aus den allgemeinen Grundsätzen des öffentlichen Rechts hergeleitete Rechtsinstitut setze voraus, dass im Rahmen eines öffentlich-rechtlichen Rechtsverhältnisses Leistungen ohne rechtlichen Grund erbracht oder sonstige rechtsgrundlose Verschiebungen vorgenommen worden seien. Im Rahmen des öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs würden ähnliche Grundsätze gelten wie im bürgerlichen Recht der ungerechtfertigten Bereicherung, dem der öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch zumindest insoweit vergleichbar sei, als beide Ansprüche als Ausdruck eines althergebrachten Rechtsgrundsatzes dem Ausgleich einer rechtsgrundlosen Vermögensverschiebung dienten. Allgemein anerkannt sei, dass Leistungen zum Zwecke der Erfüllung einer Verbindlichkeit, die in Wirklichkeit nicht bestehe, grundsätzlich zurückgefordert werden könnten. Diesen Grundsatz habe das Bundessozialgericht (BSG) für den Bereich des Arzneimittelrechts dahingehend konkretisiert, dass bei einem unwirksamen Kaufvertrag zwischen Apotheker und Krankenkassen die gezahlte Arzneimittelvergütung zurückgefordert werden könnte. Damit seien nach der Rechtsprechung des BSG Retaxierungen grundsätzlich auch dann möglich, wenn sich nachträglich herausstelle, dass es z.B. an einer ordnungsgemäßen ärztlichen Verordnung mangele, ein Medikament nicht vom Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) erfasst sei oder unter Verstoß gegen die Bestimmung des Arzneimittellieferungsvertrages abgegeben worden sei. Es liege weder ein Verstoß gegen vertragliche noch gegen gesetzliche Regelungen vor, insbesondere nicht gegen § 11 Abs. 1 ApoG und nicht gegen § 128 Abs. 1, Abs. 2 SGB V. Ein Verstoß gegen § 11 Abs. 1 ApoG liege nicht vor. Danach dürften Erlaubnisinhaber und Personal von Apotheken u.a. mit Ärzten keine Rechtsgeschäfte vornehmen oder Absprachen treffen, die eine bevorzugte Lieferung bestimmter Arzneimittel, die Zuführung von Patienten, die Zuweisung von Verschreibungen, oder die Fertigung von Arzneimitteln ohne volle Angabe der Zusammensetzung zum Gegenstand haben. Vorliegend käme allein die 3. Variante in Betracht, nach der es verboten sei, dass Rechtsgeschäfte oder Absprachen getroffen würden, die die Zuweisung von Verschreibungen beträfen. Darunter sei zu verstehen, dass der Arzt aufgrund der Vereinbarung mit dem Apotheker Verschreibungen (Verordnungen, Rezepte) für Patienten unmittelbar der Apotheke zuleite und nicht der Patient selbst das Medikament besorge. Sinn und Zweck dieses Verbotes der Zuweisung von Verschreibungen sei die strikte Trennung zwischen dem Beruf des Arztes und dem des Apothekers, sodass sich der Arzt bei der Arzneimittelwahl ausschließlich von medizinischen Erwägungen, seinem ärztlichen Gewissen und nicht sachfremden, insbesondere von finanziellen Erwägungen leiten lassen solle. Nach der teleologischen Auslegung des § 11 Abs. 1 ApoG sei mithin eine Zuweisung der Verschreibung bei hinreichendem sachlichen Grund nicht unzulässig. Solche Gründe könnten sich beispielsweise aus der Qualität der Versorgung, der Vermeidung von Wegen bei gehbehinderten Patienten oder aus schlechten Erfahrungen ergeben, die Patienten bei anderen Anbietern gemacht hätten. Vorliegend hätten sich die beteiligten Ärzte nicht von sachfremden, insbesondere finanziellen Gründen leiten lassen. Vielmehr stehe letztendlich die adäquate Patientenversorgung im Vordergrund, da die Versorgung mit den für die Behandlung vorgesehen Arzneimitteln durch die Patienten nicht gewährleistet gewesen wäre. Dies habe zum einen daran gelegen, dass bestimmte Apotheken aufgrund des hohen Preises des Arzneimittels dieses zu jeder Zeit nicht hätte bestellen wollen und die Patienten mithin nicht an das Arzneimittel gekommen wären. Zum anderen wäre aus der Sicht der behandelnden Ärzte eine Sicherstellung der Qualität der Arzneimittel gewährleistet gewesen, da eine adäquate Aufbewahrung der Arzneimittel unter den vorgegebenen Temperaturen durch die Patienten nicht hätte sichergestellt werden können. Die beiden glaubwürdigen Zeugen hätten übereinstimmend glaubhaft erklärt, dass die Medikamente damals kühlpflichtig gewesen seien. Eine Sicherstellung der Überschreitung der Maximaltemperatur hätte dabei nicht sichergestellt werden können, was auch teilweise passiert sei (z.B. bei Lagerung im Handschuhfach des Autos). Nach Ansicht der Kammer hätten die Ärzte zu jeder Zeit nur durch die Direktlieferung die Qualität der Versorgung sicherstellen können. Auch der Gesetzeszweck der freien Wahl der Apotheke durch die Patienten sei gewahrt worden. § 11 ApoG solle auch sicherstellen, dass den Patienten – in welcher Form auch immer – nicht die Möglichkeit genommen werde, zu entscheiden, bei welcher Apotheke er/sie das Rezept einlösen möchte. Nach Ansicht der Kammer wäre das dann der Fall, wenn dem Patienten unter Drohungen oder unter Anwendung von Zwang seiner Entscheidungsmöglichkeit genommen worden wäre, weil dann die Entscheidungsfreiheit nicht mehr gewahrt wäre. Eine bloße Aufforderung des Arztes, eine bestimmte Apotheke aufzusuchen, beeinträchtige die Patienten dagegen nicht in unzulässiger Weise in seiner Entscheidungsfreiheit. Vorliegend habe die als Bevollmächtigung des behandelnden Arztes bzw. der behandelnden Ärztin zu sehende Einwilligungserklärung des Versicherten jeweils vorgelegen. Dadurch sei das Wahlrecht des Patienten wirksam auf den Arzt übertragen worden. Es hätten keine Anhaltspunkte dafür vorgelegen, dass die Erklärung der Patienten unter Zwang oder Drohung erfolgt sei. Beim Patienten O. sei die Bevollmächtigung zwar nicht schriftlich dokumentiert worden, er habe sie jedoch im Nachgang schriftlich bestätigt. Auch die Zeugenaussage des Arztes Dr. P. habe ergeben, dass die Einwilligung des von ihm behandelten Patienten S. vor der Behandlung erfolgt sei. Eine Formvorschrift der schriftlichen Einwilligung sei dem Gesetz nicht zu entnehmen. Es sei auch kein Verstoß gegen § 128 Abs. 1, 2 SGB V zu bejahen, der entsprechend auf das Verhältnis zwischen Apotheker und Krankenkassen gemäß § 128 Abs. 6 SGB V anwendbar sei. Die Apotheker dürften gemäß § 128 Abs. 2 SGB V u.a. Vertragsärzte nicht gegen Entgelt oder Gewährung sonstiger wirtschaftlicher Vorteile an der Durchführung der Versorgung mit Arzneimitteln beteiligen oder solche Zuwendungen im Zusammenhang mit der Verordnung von Hilfsmitteln gewähren. Nach § 128 Abs. 2 Satz 3 SGB V stehe dem gleich, wenn die unentgeltliche oder verbilligte Überlassung von Geräten und Materialien und Durchführung von Schulungsmaßnahmen, die Gestellung von Räumlichkeiten oder Personal oder Beteiligung an den Kosten hierfür sowie Einkäufe aus Beteiligungen an Unternehmen von Leistungserbringern, die Vertragsärzte durch ihr Verordnungs- und Zuweisungsverhalten selbst maßgeblich beeinflussen. Dies sei vorliegend nach der Beweisaufnahme nicht der Fall. Ein Fall von § 128 Abs. 1 SGB V sei nicht einschlägig, da dieses Verbot nicht die Apotheker, sondern die Vertragsärzte betreffe. Weitere potentielle Verstöße gegen gesetzliche oder vertragliche Regelungen seien weder vorgetragen noch ersichtlich. Damit sei die Vergütung zu Recht erfolgt, sodass die Voraussetzungen für eine Rückerstattung nicht erfüllt sein.
Gegen das am 1. Juni 2022 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 14. Juni 2022 Berufung bei dem Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen eingelegt. Entgegen der Auffassung des erstinstanzlichen Gerichts stehe der Klägerin gegen den Beklagten ein verschuldensunabhängiger öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch in Höhe eines Betrages von 130.046,28 Euro zu. Die seitens der Versicherten der Klägerin abgegebenen sowie durch die behandelnden Ärzte vorgefertigten Einwilligungserklärungen seien unwirksam und daher unbeachtlich gewesen. In diesem Zusammenhang sei zunächst festzuhalten, dass die Höhe der Forderungen der Klägerin sich auf einen Betrag in Höhe von 130.046,28 Euro belaufe. Die ursprüngliche Forderung der Klägerin belaufe sich auf einen Betrag in Höhe von 170.404,91 Euro. Die Klägerin habe in der Folgezeit einen Gesamtbetrag in Höhe von 31.800,96 Euro verrechnen könne. Ein weiterer Teilbetrag in Höhe von 8.557,67 Euro sei nach erfolgter teilweiser Klagerücknahme zudem nicht weiterverfolgt worden. Aufgrund des Verstoßes des Beklagten gegen die Abgabebedingungen des § 11 ApoG bestehe weder ein Vergütungsanspruch noch ein anderweitiger gesetzlicher Anspruch (GoA, Bereicherungsanspruch), sodass der Klägerin auch ein Schaden in vorgenannter Höhe entstanden sei. Ferner sei festzuhalten, dass der Sitz der durch den Beklagten zur damaligen Zeit betriebenen Apotheke sich weder in der Nähe des Wohnortes der jeweiligen Versicherten der Klägerin noch in der Nähe der Sitze der Arztpraxis der Ärztin M. sowie des Arztes Dr. P. befunden habe. Letztendlich stritten die Parteien darüber, ob der Beklagte gegen die Abgabebedingung des § 11 ApoG verstoßen habe. Soweit das erstinstanzliche Gericht davon ausgegangen sei, dass die Versorgung mit den für die Behandlung vorgesehenen Arzneimitteln durch die Patienten nicht gewährleistet gewesen wäre, da bestimmte Apotheken aufgrund des hohen Preises des Arzneimittels zur damaligen Zeit nicht bestellen wollten, sei dies bereits nicht ohne weiteres nachvollziehbar, auf welcher Tatsachengrundlage das erstinstanzliche Gericht zu der vorgenannten Schlussfolgerung gekommen sei. Tatsächlich wäre das erstinstanzliche Gericht bereits aufgrund des geltenden Amtsermittlungsgrundsatzes gehalten gewesen, in diesem Zusammenhang eigene Ermittlungen durchzuführen. So habe auch die Zeugin Stein lediglich angegeben, dass eine Apotheke, die ein Patient ansteuerte, das Medikament nicht bestellt habe. Es bleibe unklar, um welche Apotheke es sich hierbei gehandelt habe. Auch der Zeuge Dr. P. habe lediglich bekundet, dass teilweise Apotheken das Medikament nicht bestellen wollten, weil es zu teuer gewesen sei. Es werde wiederum nicht mitgeteilt, um welche Apotheken es sich hierbei gehandelt habe. Es werde vorsorglich mit Nichtwissen bestritten, dass bestimmte Apotheken nicht zur Bestellung der Arzneimittel bereit gewesen seien. Die seitens der Klägerin befragten Versicherten hätten angegeben, dass sie ihre Verordnungen vor Beginn der unzulässigen Zuweisungen in diversen anderen Apotheken (W. Apotheke, X. -Apotheke, Y. -Apotheke, Z. -Apotheke in AA. bzw. AB.) eingelöst hätten. Lediglich ein Versicherter habe der Klägerin über Schwierigkeiten bei der Belieferung berichtet. Zudem liege ein gesetzlich geregelter Ausnahmefall im Sinne des § 11 Abs. 2 ApoG nicht vor. Demnach könne allein in begründungsbedürftigen absoluten Ausnahmefällen von den Abgabebedingungen des § 11 ApoG abgewichen werden, soweit hierfür eine medizinische Notwendigkeit bestehe. Das Bestehen von Kühlkettenpflicht rechtfertige es nicht, von den Abgabebedingungen des § 11 ApoG abzuweichen. Eine Abweichung von den Abgabebedingungen des § 11 ApoG könne insbesondere nicht damit gerechtfertigt werden, dass in der Vergangenheit teilweise eine Überschreitung der Maximaltemperatur passiert sein solle. Die Aussagen der Zeugen hätten belegt, dass eine medizinische Notwendigkeit der Nichteinhaltung der gesetzlichen Abgabebedingungen nicht bestanden habe. Vorsorglich bleibe mit Nichtwissen bestritten, dass es in der Vergangenheit des Öfteren dazu gekommen sei, dass Patienten in der Praxis erschienen seien, die es entweder vergessen hätten, das Medikament zuvor in der Apotheke zu besorgen, oder das Medikament nicht ausreichend gekühlt hätten. Es sei von einer unzulässigen Zuweisung im Sinne des § 11 ApoG auszugehen. Die Patienten hätten ihr Wahlrecht auch nicht wirksam auf den Arzt übertragen. Die Vorschrift des § 11 ApoG stehe nicht zur Disposition des einzelnen Versicherten. Zu verweisen sei hier auf die Entscheidung des Oberlandesgerichts (OLG) Hamm vom 29. August 2006, Az. 19 U 39/06. Es bestehe im öffentlichen Interesse keine Einwilligungsmöglichkeit des Patienten. Die Übertragung des freien Apothekenwahlrechts auf den jeweiligen Vertragsarzt würde das Anliegen des Gesetzgebers, eine strikte Trennung zwischen Arzt und Apotheker zu gewährleisten, unterlaufen. Es sei unerheblich, dass dem Beklagten kein schuldhafter Verstoß vorgeworfen werden könnte, da der öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch verschuldensunabhängig ausgestaltet worden sei.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 27. April 2022 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, der Klägerin einen Betrag in Höhe von 130.046,28 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Beklagte habe nicht gegen die Abgabebedingungen des § 11 Abs. 1 ApoG verstoßen. Eine unzulässige Zuweisung im Sinne von § 11 ApoG sei nicht erfolgt. Am Merkmal der Zuweisung fehle es auch dann, wenn der Arzt dem Patienten vor der Anwendung eines Applikationsarzneimittels hierzu neutral verschiedene Auswahlmöglichkeiten an die Hand gebe, etwa in Form der Aushändigung des Rezeptes an den Patienten oder in Form der Beauftragung eines Arztes mit der Einlösung in einer vom Patienten bestimmten Apotheke oder in einer vom Arzt selbst bestimmten Apotheke und der Patient sich dann für die zuletzt genannte Möglichkeit entscheide. Entsprechend den Zeugenaussagen in der ersten Instanz sei eine umfassende, den Anforderungen entsprechende Aufklärung der Patienten und die Erörterung verschiedener Belieferungsmöglichkeiten erfolgt. Es hätte folglich auch jede andere Apotheke durch den Arzt gewählt werden können. Die Patienten hätten jedoch den Ärzten die Wahlmöglichkeit überlassen, die aus deren Sicht zuverlässigste Apotheke zu beauftragen. Diesbezüglich sei eine vollständige Einwilligung erfolgt. Die behandelnden Ärzte hätten in den vorliegenden Fällen eine Entscheidung bezüglich der medizinischen Notwendigkeit getroffen. Die Aufgabe des Apothekers bestehe lediglich darin, die bestellten und vom Arzt verordneten Arzneimittel zu liefern, wobei dieser davon ausgehen könne, dass der Patient mit dieser Praxis einverstanden sei. Dieses Einverständnis sei im vorliegenden Fall erteilt worden, da die Patienten ihr Einverständnis mit einer Unterschrift quittiert hätten. Auch die Einhaltung der Kühlkette sei nicht unerheblich gewesen. Es sei nicht zutreffend, dass die Hersteller angegeben hätten, dass die Arzneimittel Enbrel, Humira und Remicade auch einen kurzen Zeitraum ungekühlt gelagert werden könnten. Ohne Gewährleistung einer ordnungsgemäßen Lagerung und eines ebenso erfolgten Transports könne die Verabreichung der Arzneimittel erhebliche Gefahren bergen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den gesamten Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen. Vorgelegen haben des Weiteren die staatsanwaltlichen Ermittlungsakten, Az. T. (in Auszügen). Die genannten Akten sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Entscheidungsfindung des Senates gewesen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung der Klägerin ist begründet. Das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 27. April 2022 ist aufzuheben und der Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin einen Betrag in Höhe von 130.046, 28 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen. Die Klägerin hat im Rahmen des öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs einen Anspruch auf Zahlung des o.a. Betrages. Die Klägerin hat zutreffend bezüglich der in der Klageschrift angegebenen Verordnungen Retaxierungen durchgeführt und kann diese, soweit sie sich nicht bereits durch eine – im Übrigen durch den Beklagten nicht angefochtene – Aufrechnung befriedigt hat, im Wege der Leistungsklage gegen den Beklagten geltend machen.
Das von der Klägerin geltend gemachte Rückforderungsbegehren basiert auf einem öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch. Dieses aus den allgemeinen Grundsätzen des öffentlichen Rechts hergeleitete Rechtsinstitut setzt voraus, dass im Rahmen eines öffentlichen Rechtsverhältnisses Leistungen ohne rechtlichen Grund erbracht oder sonstige rechtsgrundlose Vermögensverschiebungen vorgenommen worden sind. Im Rahmen des öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs gelten ähnliche Grundsätze wie im bürgerlichen Recht der ungerechtfertigten Bereicherung (§§ 812 ff. BGB). Leistungen, die zum Zwecke der Erfüllung einer Verbindlichkeit erbracht wurden, die in Wirklichkeit nicht besteht, können grundsätzlich zurückgefordert werden. Diesen Grundsatz hat das BSG für den Bereich des Arzneimittelrechts dahingehend konkretisiert, dass bei einem unwirksamen Kaufvertrag zwischen Apotheker und KKen die gezahlte Arzneimittelvergütung zurückgefordert werden kann. Damit sind nach der Rechtsprechung des BSG Taxberichtigungen/Retaxierungen grundsätzlich auch dann möglich, wenn sich nachträglich herausstellt, dass es z.B. an einer ordnungsgemäßen ärztlichen Verordnung mangelte, ein Medikament nicht vom Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung erfasst wird oder unter Verstoß gegen die Bestimmungen des Arzneimittelversorgungsvertrages abgegeben worden sind. Entsprechendes gilt bei sonstigen Verstößen gegen die Vorgaben des § 129 SGB V und die sie konkretisierenden Bestimmungen des Rahmenvertrages.
Der Vergütungsanspruch des Apothekers gegen eine gesetzliche KK beruht auf § 129 Abs. 1 SGB V i.V.m. dem nach § 129 Abs. 2 SGB V abzuschließenden Rahmenvertrag (hier Rahmenvertrag über die Arzneimittelversorgung in der Fassung vom 15. Juni 2012 zwischen dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen und dem Deutschen Apothekerverband – im Folgenden „Rahmenvertrag“). § 129 SGB V bestimmt die Voraussetzungen für die Abgabe verordneter Arzneimittel an Versicherte. Nach § 129 Abs. 2 SGB V regeln der Spitzenverband Bund der gesetzlichen Krankenkassen und die für die Wahrnehmung der wirtschaftlichen Interessen gebildete Spitzenorganisation der Apotheker das Nähere in einem Rahmenvertrag. Die KKen oder ihre Verbände können gemäß § 129 Abs. 5 Satz 1 SGB V mit der für die Wahrnehmung der wirtschaftlichen Interessen maßgeblichen Organisation der Apotheker auf Landesebene ergänzende Verträge – wie hier mit dem Arzneimittelversorgungsvertrag vom 28. April 2015 (AV-Nds.) geschehen – schließen.
Das vertraglich eingeräumte Recht der KKen zur Rechnungs- und Taxberichtigung in den Verträgen ist umfassend und betrifft nicht nur die Korrektur von reinen Einordnungs-, Schreib- und Rechenfehlern. Der hier maßgebliche § 9 AV-Nds. spricht ganz allgemein von rechnerischen und sachlichen Unrichtigkeiten sowie Taxbeanstandungen (vgl. hierzu auch BSG, Urteil vom 17. Dezember 2009 – B 3 KR 13/08 R, zitiert nach juris). Neben der Geltung des oben angeführten Rahmenvertrages setzt der Vergütungsanspruch des Apothekers voraus, dass der Apotheker die für die Abgabe von Arzneimitteln allgemein geltenden Vorschriften (ApoG, AMG und mit den auf ihrer Grundlage erlassenen Rechtsverordnungen) ordnungsgemäß eingehalten hat.
Die einschlägigen Abgabebestimmungen sind vorliegend nicht eingehalten worden, sodass das geltend gemachte Rückforderungsbegehren der Klägerin begründet ist. Ein Vergütungsanspruch des Beklagten ist wegen Verstoßes gegen die in den o.a. Verträgen normierten Abgabebestimmungen nicht entstanden. Darüber hinaus ist ein Verstoß gegen § 11 Abs. 1 ApoG gegeben. Dem Vergütungsanspruch steht die direkte Abgabe der Medikamente an die Arztpraxen der Vertragsärzte M. und Dr. AC. entgegen.
Arzneimittel sind als Bestandteil der Krankenbehandlung (§ 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3, §§ 31 und 34 SGB V) wie diese als Sachleistung zu erbringen. Dementsprechend gehen § 129 SGB V und die auf dessen Grundlage abgeschlossenen Arzneilieferungsverträge, die teils länderbezogen, teils aber auch bundesweit abgeschlossen worden sind, davon aus, dass der Versicherte die vom Apotheker unter Vorlage einer vertragsärztlichen Verordnung erworbenen Arzneimittel auf Kosten seiner KK erhält, d.h. die KK wird vertraglich zur Zahlung des Preises bzw. des Festpreises abzüglich etwaiger vom Versicherten zu tragenden Zuzahlungen oder Verordnungsgebühren verpflichtet. Demgemäß regeln die Verträge die von den KKen an den Apotheker zu leistenden Zahlungen (vgl. BSG, Urteil vom 03. August 2006 - B 3 KR 6/06 R, zitiert nach juris). Die Vorschrift des § 129 SGB V begründet daher in Verbindung mit den konkretisierenden vertraglichen Vereinbarungen eine öffentlich-rechtliche Leistungsberechtigung und -verpflichtung für die Apotheker, vertragsärztlich verordnete Arzneimittel an die Versicherten abzugeben. Die Apotheker erwerben im Gegenzug für die Erfüllung ihrer öffentlich-rechtlichen Leistungspflicht einen durch Normenverträge näher ausgestalteten gesetzlichen Anspruch auf Vergütung gegen die KKen, der schon in § 129 SGB V vorausgesetzt wird (vgl. BSG, Urteil vom 03. Juli 2012, B 1 KR 16/11 R, zitiert nach juris). Die Rechtsbeziehungen zwischen Apothekern und KKen sind daher öffentlich-rechtlicher Natur (§ 69 Satz 1 SGB V; vgl. dazu Engelmann in: Schlegel/Voelzke, JurisPK – SGB V (4. Auflage, 2020), § 69 SGB V, Anm. 11ff) mit der Folge, dass auch die Verträge zwischen KKen und Apothekern, die der Abgabe von vertragsärztlich verordneten Medikamenten an Kassenpatienten zu Grunde liegen, als öffentlich-rechtliche Kaufverträge zu qualifizieren sind, aus denen ein Kaufpreisanspruch des Apothekers gegen die im Rezept genannte KK entsteht (vgl. BSG, Urteil vom 17. März 2005, B 3 KR 2/05 R, zitiert nach juris). Der durch Normverträge näher ausgestaltete gesetzliche Vergütungsanspruch des Apothekers entsteht im Gegenzug für die Erfüllung der öffentlich-rechtlichen Leistungspflicht mit Belieferung einer gültigen ordnungsgemäßen vertragsärztlichen Verordnung (vgl. § 3 Abs. 1 des Rahmenvertrages, § 4 AV-Nds., wobei die Zahlungen der KKen unter dem Vorbehalt der sachlichen und rechnerischen Rechnungsprüfung erfolgen (§ 9 AV-Nds.). Ein Vertrag zwischen KK und Apotheke kommt für vertragsgegenständliche Produkte durch die Annahme einer ordnungsgemäßen gültigen vertragsärztlichen oder vertragszahnärztlichen Verordnung durch die Apotheke zustande (§ 3 Abs. 1 Satz 1 des Rahmenvertrages).
Der Vertragsarzt hat eine "Schlüsselfigur" im Rahmen der Arzneimittelversorgung inne (vgl. BSGE 77, 194, 200 = SozR 3-2500 § 129 Nr. 1). Er verordnet dem Versicherten ein bestimmtes Arzneimittel, das er bei der diagnostizierten Krankheit als medizinisch notwendig erachtet. Bei Ausstellung dieser Verordnung handelt er kraft der ihm durch das Kassenarztrecht verliehenen Kompetenzen als Vertreter der KK. Der Versicherte übermittelt als Bote das in dem Kassenrezept verkörperte Vertragsangebot an den Apotheker, wobei er hinsichtlich der Auswahl der Apotheke gleichzeitig als Vertreter der KK fungiert. Der Apotheker, dem das Kaufvertragsangebot der KK mit der Vorlage der vertragsärztlichen Verordnung angetragen wird, nimmt dieses an, indem er dem Versicherten das Arzneimittel aushändigt (BSGE 94, 213, 215 = SozR 4-5570 § 30 Nr. 1 RdNr. 11; vgl. zur Boteneigenschaft des Versicherten auch Dettling, Arzneimittel und Recht 2005 S. 51, 56 a.A.). Damit kommt der Kaufvertrag (§ 433 BGB analog) zwischen Apotheker und KK zustande. Der Versicherte ist lediglich begünstigter Dritter (§ 328 BGB analog), er ist nicht selbst Vertragspartner und Schuldner des Apothekers, auch soweit er eine Zuzahlung nach § 31 Abs. 3 SGB V entrichtet.
Die unmittelbare Abgabe von Arzneimitteln vom Apotheker an den Vertragsarzt ist dabei ebenso wenig wie die Auswahl der Apotheke durch den Arzt als Vertreter der KK vorgesehen. Es ist das Recht des Versicherten als Vertreter der KK die Apotheke auszuwählen. Der Versicherte hat das unbeschränkte Wahlrecht unter den Apotheken, für die der Rahmenvertrag gilt. Entsprechend regelt § 31 Abs. 1 Satz 5 SGB V inzwischen in der seit dem 11. Juli 2021 geltenden Fassung, dass die Versicherten für die Versorgung mit Arzneimitteln unter den Apotheken, für die der Rahmenvertrag nach § 129 Abs. 2 SGB V Geltung hat, frei wählen können. Als Kehrseite dazu besteht das Beeinflussungsverbot. Mit diesem Abgabesystem wird zum Ausdruck gebracht, dass neben der Verordnung durch den Vertragsarzt der Gesetzgeber aus Gründen der Arzneimittelsicherheit bei der Abgabe der Arzneimittel eine persönliche Information und Beratungsmöglichkeit durch den frei gewählten Apotheker für geboten hält. Bereits insoweit ist auch ein etwaiger Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit des Apothekers gerechtfertigt. Daneben sollen zur Gewährleistung der Wirtschaftlichkeit der Versorgung, welche auch ein wichtiges Gemeinschaftsgut darstellt, welches der Freiheit der Berufsausübung Grenzen setzen kann, auch Abhängigkeiten zwischen Arzt und Apotheker vermieden werden, denn der Apotheker hat (wenngleich nur eingeschränkte) Prüfungspflichten im Hinblick auf die Einhaltung des Wirtschaftlichkeitsgebotes der Verordnungsweise (vgl. etwa § 4 des Rahmenvertrages „Auswahl preisgünstiger Arzneimittel“), denen ein mögliches wirtschaftliches Eigeninteresse an einer regelmäßigen Zusammenarbeit entgegenstünde. Die KK darf daher die Auswahl der Apotheke ausdrücklich nicht dem Arzt überlassen (vgl. dazu auch LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 11. April 2008, L 1 KR 78/07, zitiert nach juris).
Vorliegend hat eine Auswahl durch die Versicherten nicht stattgefunden. Dabei kann schon dem Einwand des Beklagten nicht gefolgt werden, dass eine Versorgung der Versicherten nur in seiner Apotheke reibungslos hätte erfolgen können. Es wird vom erkennenden Senat als offensichtlich angesehen, dass eine geeignete Versorgung auch von anderen Apothekern durchgeführt werden konnte. Eine besondere Eignung des Beklagten zur Versorgung mit kühlkettenpflichtigen Medikamenten muss ohnehin verneint werden. Zudem kann bereits ausweislich der Herstellerinformationen zu den Arzneimitteln Remicade, Enbrel und Humira nicht von einer Kühlkettenpflichtigkeit ausgegangen werden. Die Aufbewahrung der an die Patienten zu liefernden Medikamente entsprechend den Herstellerangaben dürfte zu den allgemeinen Pflichten eines Apothekers gehören, die von jedem Leistungserbringer erwartet werden. Damit ist die Auswahl der Apotheke nicht entsprechend der Abgabebestimmungen erfolgt und ein Kaufvertrag auf Grundlage dieser Abgabebestimmungen nicht zustande gekommen. Der öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch besteht. Die Klägerin durfte daher bei der Aufrechnung mit dem öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch gegenüber dem Beklagten den Gesamtbetrag der Kosten der vertragswidrig gelieferten Arzneimittel in Abzug bringen.
Zudem hat der Beklagte die Medikamente unter Verstoß gegen § 11 Abs. 1 ApoG an die Ärzte abgegeben. Nach dieser Vorschrift dürfen Erlaubnisinhaber und Personal von Apotheken, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, mit Ärzten oder anderen Personen, die sich mit der Behandlung von Krankheiten befassen, oder mit Dritten keine Rechtsgeschäfte vornehmen oder Absprachen treffen, die eine bevorzugte Lieferung bestimmter Arzneimittel, die Zuführung von Patienten, die Zuweisung von Verschreibungen oder die Fertigung von Arzneimitteln ohne volle Angabe der Zusammensetzung zum Gegenstand haben. Das Verbot einer Zuführung von Patienten und der Zuweisung von Verschreibungen durch den Arzt an den Apotheker basiert auf dem Grundsatz einer strengen Trennung zwischen dem Beruf des Arztes und dem des Apothekers. Diese Trennung ist sachlich begründet. Mit ihr soll einerseits gewährleistet werden, dass der Arzt sich bei der Auswahl der Arzneimittel ausschließlich von fachlich-medizinischen Gesichtspunkten und seinem ärztlichen Gewissen leiten lässt; andererseits soll sie dazu beitragen, dass der Apotheker die ihm zugewiesene Kontrollfunktion bei der Belieferung von Verschreibungen (vgl. § 17 ApBetrO) sachlich und eigenverantwortlich wahrnimmt (BVerwG, Beschluss vom 24. März 1994, 3 B 49/93, zitiert nach juris).
Auch die Regelung des § 11 Abs. 1 Satz 1 3. Var. ApoG soll – flankierenden zur oben beschriebenen Struktur und vertraglichen Ausgestaltung – sicherstellen, dass der Erlaubnisinhaber einer Apotheke sich bei seinem Kontakt zu anderen Gesundheitsberufen wie insbesondere zu Ärzten, die Einfluss auf sein Entscheidungsverhalten haben, nicht von sachfremden und vor allem nicht von finanziellen Erwägungen leiten lässt. Sie soll damit Verhaltensweisen der Apotheker entgegenwirken, die die ordnungsgemäße Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln beeinträchtigen können (BGH, Urteil vom 18. Juni 2015 - I ZR 26/14, GRUR 2016, 213 Rn. 20 = WRP 2016, 193 - Zuweisung von Verschreibungen; BGH, Urteil vom 26. April 2018, 1 ZR 121/17, Applikationsarzneimittel, zitiert nach juris). Außerdem soll damit das Recht des Patienten auf freie Wahl der Apotheke gewahrt werden (Spickhoff/Sieper, Medizinrecht, 2. Aufl., § 11 ApoG Rn. 1).
Der Gesetzgeber hat in § 11 Abs. 2 ApoG nur für anwendungsfertige Zytostatikazubereitungen eine unmittelbare Abgabe durch die Apotheke an den anwendenden Arzt gestattet, bei der der behandelnde Arzt und nicht der Patient den Apotheker auswählt. Diese Ausnahme vom Verbot der Absprachen zwischen Ärzten und Apothekern hat der Gesetzgeber aus Sicherheitsgründen angeordnet, damit die Zytostatikazubereitungen nicht in die Hände der Patienten gelangen (vgl. Entwurf des Bundesrats eines Gesetzes zur Änderung des Apothekengesetzes, BT-Drucks. 14/756 S. 5). Bei derartigen Arzneimitteln kann es dem behandelnden Arzt nicht zugemutet werden, die Verantwortung für eine Behandlung mit diesen empfindlichen Zubereitungen zu übernehmen, wenn er nicht die vollständige Kontrolle über den Beschaffungsweg, die zwischenzeitlichen Lagerungsbedingungen, einschließlich der Zugriffsmöglichkeiten und des Zeitablaufs hat (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 25. November 2015, B 3 KR 16/15, zitiert nach juris).
Bei den hier in Rede stehenden Arzneimitteln besteht dagegen grundsätzlich keine entsprechende oder auch nur annähernd vergleichbare Notwendigkeit oder Vorteilhaftigkeit einer solchen Verkürzung des Versorgungswegs unter Ausschluss des Patienten.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 47 Abs. 1, 52 Abs. 3, 63 Abs. 2 Gerichtskostengesetz (GKG).
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG sind nicht ersichtlich.