L 2 R 3251/21

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
2.
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 8 R 3426/20
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 2 R 3251/21
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 14. Oktober 2021 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

       
Tatbestand

Die Klägerin begehrt die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente.
 
Die Klägerin ist 1972 geboren und erlernte nach dem Abitur den Beruf der Hotelfachfrau. Von 1995 bis April 1999 war sie zunächst an verschiedenen Arbeitsplätzen in ihrem erlernten Beruf tätig. Von Mai 1999 bis Dezember 2019 war sie sodann als Servicemanagerin in einem Großraumbüro angestellt (zunächst für M1, nach einer Umstrukturierung für V1), wobei sie 2018 und 2019 arbeitsunfähig krankgeschrieben war und zuletzt bis Dezember 2019 Krankengeld bezog. Seitdem lebt die Klägerin vom Einkommen ihres Ehemannes. 

In der Zeit vom 09.04.2018 bis 14.05.2018 absolvierte die Klägerin eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme in der Rehaeinrichtung E1 in E2. Im Entlassungsbericht vom 07.06.2018 wurden als Diagnosen eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig leichte Episode, eine nichtorganische Insomnie, eine Migräne mit Aura, ein Spannungskopfschmerz und eine Myalgie an mehreren Lokalisationen aufgeführt. Zum Leistungsvermögen wurde ausgeführt, dass bei der Klägerin bezüglich der letzten Tätigkeit wie auch hinsichtlich leichter bis mittelschwerer Tätigkeiten unter den Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes unter Beachtung bestimmter qualitativer Leistungseinschränkungen noch ein Leistungsvermögen von sechs Stunden und mehr täglich im Rahmen einer Fünf-Tage-Woche bestehe. 

Am 30.01.2019 beantragte die Klägerin bei der Beklagten zunächst die Gewährung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben. Nach Beiziehung medizinischer Unterlagen lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 27.03.2019 die Gewährung von Teilhabeleistungen ab. Hiergegen erhob die Klägerin Widerspruch. Die Beklagte holte sodann bei dem B1 das Gutachten vom 12./18.11.2019 ein. Als wesentliche Gesundheitsstörungen diagnostizierte B1 bei der Klägerin eine rezidivierende depressive Störung (gegenwärtig mittelgradig), eine Panikstörung mit Agoraphobie, ein chronisches Kopfschmerzsyndrom mit episodischer Migräne sowie Spannungskopfschmerzen. Hinsichtlich des Leistungsvermögens gelangte B1 zur gleichen Einschätzung wie die Rehaeinrichtung E1 im Rahmen der stationären Rehabilitationsmaßnahme im Jahr 2018. Bei der Klägerin bestehe eine reduzierte psychophysische Belastbarkeit durch die depressive Entwicklung. Es bestehe aber ein vollschichtiges Leistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt für leichte, manchmal mittelschwere Tätigkeiten. Auch für die letzte Tätigkeit als Sachbearbeiterin mit dem weiten Feld an Tätigkeiten liege ein vollschichtiges Leistungsvermögen vor. Mit Widerspruchsbescheid vom 25.02.2020 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.

Am 20./23.03.2020 beantragte die Klägerin bei der Beklagten sodann die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung und gab hierzu an, sich seit November 2017 wegen psychischer Beschwerden für erwerbsgemindert zu halten und nannte in dem Zusammenhang Symptome einer Depression und Ängste.

Gestützt auf die bereits erfolgten medizinischen Ermittlungen (einschließlich des Gutachtens von B1) lehnte die Beklagte den Rentenantrag mit Bescheid vom 22.09.2020 ab, da die Klägerin noch in der Lage sei, einer Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sechs Stunden und mehr arbeitstäglich nachzugehen. Hiergegen erhob die Klägerin Widerspruch und machte geltend, die depressive Störung sei aktuell stark ausgeprägt, zudem bestehe eine Angststörung. Mit Widerspruchsbescheid vom 27.11.2020 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.

Am 04.12.2020 hat die Klägerin durch ihren Bevollmächtigten Klage zum Sozialgericht (SG) Heilbronn erhoben. Sie leide an einer rezidivierenden depressiven Störung mit Ängsten, einer Migräne und Bluthochdruck und sei daher erwerbsgemindert. Die Beklagte ist dem entgegengetreten und hat darauf verwiesen, dass seit Einholung des Gutachtens im Verwaltungsverfahren keine Verschlechterung erkennbar sei.

Das SG hat im Weiteren zunächst bei der behandelnden W1 (Zentrum für Neurologie, Psychiatrie, Psychotherapie in A1) eine sachverständige Zeugenauskunft eingeholt. W1 hat in ihrer Auskunft vom 29.01.2021 unter anderem mitgeteilt, bei der Klägerin seit 2012 eine depressive Störung mit initialer mittelgradiger Episode und eine Migräne diagnostiziert zu haben. Bis Ende 2019 habe sich der psychische Zustand etwas gebessert, seitdem bestehe ein wechselhafter Verlauf. Aus psychiatrischer Sicht bestehe Belastbarkeit für leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt für vier bis sechs Stunden täglich. Bestehende Einschränkungen der Belastbarkeit seien primär auf die Migräneerkrankung zurückzuführen. Der Schwerpunkt der Einschränkungen liege im nervenärztlichen Bereich. 

Das SG hat im Weiteren bei dem S1 das Gutachten vom 29.07.2021 eingeholt. S1 hat auf der Grundlage der von ihm durchgeführten ambulanten Untersuchung am 27.07.2021 die folgenden wesentlichen Gesundheitsstörungen diagnostiziert: Migräne mit Aura, Angststörung mit agoraphobischen Anteilen ohne weitreichendes Vermeidungsverhalten, rezidivierende depressive Störung (remittiert), nichtorganische Insomnie und zwanghafte bzw. perfektionistische Persönlichkeitsakzentuierung. Daneben hat S1 auf internistischem Fachgebiet ein Bluthochdruckleiden, medikamentös behandelt, ein Schilddrüsenleiden, medikamentös behandelt sowie eine Sehminderung links und Adipositas Grad I diagnostiziert. Der Klägerin sei die Ausübung leichter bis gelegentlich mittelschwerer körperliche Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mindestens sechs Stunden täglich möglich. Zu vermeiden seien Tätigkeiten in Nachtschicht, mit vermehrten Anforderungen an die Konzentration oder Reaktion, mit besonderen emotionalen Belastungen oder mit einem erhöhten Konfliktpotential, sowie mit gestiegener Lärmexposition als psychogener Stressor. 

Die Klägerin hat die Klage unter Bezugnahme auf die Auskunft von W1 aufrechterhalten und geltend gemacht, das Gutachten von S1 habe ihre Angstproblematik und die Depressionsproblematik nicht ausreichend berücksichtigt. 

Das SG hat nach vorheriger Anhörung der Beteiligten mit Gerichtsbescheid vom 14.10.2021 die Klage abgewiesen. Die nach § 54 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Anfechtungs- und Leistungsklage sei zulässig, jedoch unbegründet. Die Beklagte habe zu Recht mit Bescheid vom 22.09.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.11.2020 einen Anspruch der Klägerin auf Rente wegen Erwerbsminderung verneint. 
Die medizinischen Voraussetzungen einer Erwerbsminderungsrente lägen nicht vor. Auf das Vorliegen der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen komme es nicht an. Unter Berücksichtigung des Ergebnisses der Beweisaufnahme stehe für das SG fest, dass die Klägerin - trotz der vorliegenden Gesundheitsstörungen - noch in der Lage sei, sechs Stunden am Tag zumindest leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes auszuüben. Im Vordergrund stünden bei der Klägerin Gesundheitsstörungen auf nervenärztlichem Fachgebiet, was sich bereits dem entsprechenden Beschwerdevortrag der Klägerin entnehmen lasse. Auch nach den Ausführungen der behandelnden Ärztin W1 und unter Beachtung aller vorliegenden Gutachten bestünden keine für die Beurteilung der quantitativen Leistungsfähigkeit wesentlichen gesundheitlichen Einschränkungen. Auch der in der Klageschrift angesprochene Bluthochdruck führe nicht zu einer Minderung des quantitativen Leistungsvermögens für leichte Tätigkeiten. Der Bluthochdruck habe sich im Rahmen der vom SG veranlassten Begutachtung (laut des Sachverständigen S1 bedingt durch die medikamentöse Einstellung) mit 120:80 RR im Normalbereich bewegt. Die Erkrankungen auf nervenärztlichem Gebiet manifestierten sich nach dem Gutachten des S1 als Migräne mit Aura, Angststörungen mit agoraphobischen Anteilen (ohne weitreichendes Vermeidungsverhalten), rezidivierende depressive Störung (im zeitlichen Verlauf schwankend zwischen mittelgradigen Episoden und einer Remission), nichtorganische Insomnie und zwanghafte bzw. perfektionistische Persönlichkeitsakzentuierung. Die genannten Gesundheitsstörungen führten aber nicht zur Annahme eines in zeitlicher Hinsicht eingeschränkten Leistungsvermögens. Diese Einschätzung stütze sich auf die Feststellungen im schlüssigen, nachvollziehbaren und widerspruchsfreien Gutachten von S1. Der Sachverständige habe folgende für die Entscheidung des SG wesentlichen Befunde erhoben: Die Klägerin habe sich in einem insgesamt guten körperlichen Allgemeinzustand präsentiert. Es hätten leichte Muskelverspannungen im Schultergürtelbereich bestanden. Ansonsten seien Muskelrelief und -tonus regelgerecht. Alle Gelenke der oberen und unteren Extremitäten seien aktiv beweglich und der Fingerkuppen-Boden-Abstand habe sich auf 0 cm belaufen. 
Die Klägerin habe in psychischer Hinsicht altersentsprechend gewirkt, sei gepflegt gewesen, modisch gekleidet und geschminkt. Gestik und Mimik hätten angemessen gewirkt. Es hätten keine Störungen des Bewusstseins, der Orientierung, der Auffassung und der Konzentration vorgelegen. Ebenso hätten sich in der Gutachtenssituation keine Gedächtnisstörungen nachweisen lassen. Im Antrieb sei die Klägerin angemessen gewesen, eine signifikante Antriebsminderung oder gar psychomotorische Hemmungen hätten nicht vorgelegen. In der Grundstimmung habe sie leicht niedergeschlagen und belastet gewirkt. Eine depressive Stimmungslage habe der Sachverständige aber nicht erkennen können. Die affektive Resonanzfähigkeit zum positiven Pol sei nicht aufgehoben gewesen. Von der Klägerin seien Ängste in Menschenmengen berichtet worden. Eine ausgeprägte agoraphobische Symptomatik sei aber nicht beschrieben worden. Nach den Angaben der Klägerin sei therapeutischerseits zudem ein Expositionstraining vorgesehen. In ihrer Grundpersönlichkeit habe die Klägerin perfektionistisch veranlagt gewirkt, sie habe sich auch selbst entsprechend beschrieben. Die Klägerin habe sich zudem als ordnungsliebend geschildert und angegeben, Wert auf Sauberkeit zu legen. Hinsichtlich der Migräne werde laut S1 aktuell keine Prophylaxe betrieben. 
Zu ihrem Tagesablauf habe die Klägerin angegeben, morgens gegen 9.00 Uhr wach zu werden, sie höre dann meistens noch ein Hörbuch, stehe gegen 9.30 Uhr auf, dann gehe sie mit dem Hund raus und mache sich anschließend ein Müsli. Tagsüber absolviere sie Arztbesuche und kümmere sich um den Haushalt. Sie sei sehr penibel, was den Haushalt angehe. Mittags lege sie sich für eine Stunde hin und höre ein Hörbuch, manchmal schlafe sie auch ein. Dreimal pro Woche absolviere sie für sich selbst autogenes Training, und zweimal pro Woche gehe sie jetzt abends mit einer Freundin zusammen zum Walking. Ansonsten koche sie. Sie gehe auch nochmals mit dem Hund heraus. Sie habe mit dem Ehemann zusammen insgesamt gute nachbarschaftliche Kontakte. Ab und zu führe man auch Spieleabende durch. Die Klägerin unterhalte zudem noch Freundschaften von früher. Sie sei auch Mitglied im Turnverein im Ort, in der letzten Zeit wären dort aber wegen Corona keine Veranstaltungen mehr gewesen. Abends esse man zusammen. Sie gehe dann noch ein weiteres Mal mit dem Hund heraus. Meistens schaue man noch Fernsehen. Am Wochenende wären gegebenenfalls Spieleabende, man grille oder gehe zum Essen aus. Die Klägerin fahre mit ihrem Ehemann auch Fahrrad. Der letzte Urlaub sei vor vier Wochen gewesen (für eine Woche am Bodensee in F1). 
In der Zusammenschau der dargestellten Aspekte sei die Leistungseinschätzung des Gutachters S1 nachvollziehbar, weil weder der körperliche noch der physische Befund tiefgreifende Störungen aufwiesen. Zudem ergebe sich aus dem geschilderten Tagesablauf eine gute verbliebene Gestaltungsfähigkeit im Alltag. Daher lasse sich eine rentenrechtlich relevante Gesundheitsstörung nicht objektivieren. Diese Einschätzung stimme auch mit der Bewertung im Verwaltungsgutachten und im Entlassungsbericht der letzten Rehabilitationsmaßnahme (2018) überein, die ebenfalls keine entsprechend gravierende Gesundheitsstörung hätten feststellen können. Die von S1 konkret benannten Einschränkungen bedingten ebenfalls keine erheblichen Zweifel an der Möglichkeit der Klägerin, weiterhin leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes vollschichtig ausüben zu können. So seien qualitative Einschränkungen (wie z.B. der Ausschluss von Tätigkeiten, die überwiegendes Stehen oder Sitzen erforderten, im Akkord oder Schichtdienst verrichtet würden oder besondere Anforderungen an das Seh-, Hör- und Konzentrationsvermögen stellten, sowie der Ausschluss von Tätigkeiten in Nässe oder Kälte oder mit häufigerem Bücken, an laufenden Maschinen, Steigen auf Leitern etc., der Notwendigkeit einer besonderen Fingerfertigkeit oder mit besonderen Unfallgefahren) bereits allesamt vom Begriff der leichten Tätigkeiten umfasst (mit Hinweis auf Bundessozialgericht <BSG>, Urteile vom 10.12.2003 - B 5 RJ 64/02 R - und vom 01.03.1984 - 4 RJ 43/82 -). Eine schwere spezifische Leistungseinschränkung oder eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen lägen nicht vor. Auch eine Einschränkung der Wegefähigkeit habe der Gutachter glaubhaft nicht erkennen können.
Die hiervon abweichende Bewertung der W1 überzeuge nicht. W1 habe ihre Einschätzung nicht eingehend anhand von Befunden begründet. Es sei aufgrund ihrer Stellungnahme auch nicht nachzuvollziehen, ob sie objektivierte Befunde mitgeteilt oder lediglich den subjektiven Beschwerdevortrag der Klägerin übernommen habe. Dies stelle keine belastbare Basis für eine überzeugende sozialmedizinische Leistungseinschätzung dar, weshalb sich aus der Einschätzung von W1 keine Zweifel an der Bewertung durch S1 ergeben würden. 
Aufgrund ihres vollschichtigen Leistungsvermögens in Bezug auf leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts sei die Klägerin weder voll noch teilweise erwerbsgemindert im Sinne von § 43 SGB VI. Ein Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit gemäß den §§ 43, 240 SGB VI komme von vornherein nicht in Betracht, da die Klägerin nicht vor dem 02.01.1961 geboren sei (§ 240 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI).

Die Klägerin hat gegen den ihrem Bevollmächtigten mit Empfangsbekenntnis am 18.10.2021 zugestellten Gerichtsbescheid am 19.10.2021 Berufung zum Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg erhoben und zur Begründung geltend gemacht, die Klägerin sei einem Arbeitseinsatz von drei Stunden täglich nicht mehr gewachsen. Das SG habe das Gutachten der behandelnden W1 nicht ausreichend berücksichtigt. Diese habe u.a. ausgeführt, dass bei der Klägerin noch eine Belastbarkeit für leichte körperliche Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt für vier bis sechs Stunden täglich noch bestehe. Einschränkungen bestünden aufgrund der Migräneerkrankung, die sich bei zunehmendem Stress in Form von vermehrten Attacken äußere. Diese Migräneerkrankung und die Attacken habe das SG nicht ausreichend berücksichtigt. Bei der Klägerin seien Stresstoleranz und Durchhaltevermögen sowie Anpassungs- und Umstellungsvorgänge eingeschränkt. Nicht möglich seien Tätigkeiten im Schichtdienst mit erhöhter Lärmbelastung oder mit erhöhten Kommunikationsanforderungen, z.B. Großraumbüros. Auch müsse man wissen, dass S1 kein neutraler Gutachter sei, sondern ein Gutachter, der im Lager der Beklagtenseite stehe. S1 habe die Angstproblematik und die Depressionsproblematik der Klägerin nicht ausreichend berücksichtigt, er habe die Klägerin lediglich einmal für anderthalb Stunden gesehen. Die Klägerin sei - nach langer Suche - seit Anfang 2021 jede Woche für eine Stunde bei der W2, sodass diese über genauere Sachkunde als S1 bezüglich der bei der Klägerin bestehenden Angstproblematik und Depression verfüge. 

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 14. Oktober 2021 sowie den Bescheid der Beklagten vom 22. September 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27. November 2020 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr ab Antragstellung eine Rente wegen voller, hilfsweise teilweiser Erwerbsminderung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die Entscheidung des SG für zutreffend. 

Im Termin zur Erörterung des Sachverhalts vom 17.03.2022 hat die Klägerin einen Arztbericht von W1 vom 19.01.2022 (LSG-Akte Bl. 48 f.) vorgelegt u.a. mit der Diagnose rezidivierende depressive Störung, Zustand nach mittelgradiger Episode. Der Beklagtenvertreter hat mitgeteilt, dass die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen einer Erwerbsminderungsrente vorliegen und rentenrechtliche Zeiten bis März 2021 nachgewiesen seien. Die Klägerin hat in dem Zusammenhang erklärt, dass sie sich durchgehend arbeitsuchend gemeldet habe. 

Des Weiteren hat die Klägerin eine Begutachtung gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch M2 (F2) beantragt. Aufgrund eines Fehlers bei Gericht ist der ursprüngliche Gutachtensauftrag an M2 vom 12.04.2022 nicht zur Post gegangen. Nachdem dies bemerkt worden ist, ist der Auftrag erneut mit Schreiben vom 25.10.2022 versandt worden. M2 hat in der Folge mitgeteilt, dass seiner Meinung nach hier bevorzugt eine psychiatrische Begutachtung durch S2 angezeigt wäre (Schreiben vom 07.11.2022), woraufhin mit Gutachtensauftrag vom 22.11.2022 zunächst S2 mit der Erstellung eines psychiatrischen Gutachtens unter Einbeziehung eines neurologischen Zusatzgutachtens durch M2 beauftragt worden ist. 

Mit Gutachten vom 20.01.2022 (gemeint: 2023), unter Einbeziehung des klinisch-psychologischen Zusatzgutachtens der S3 vom 19.01.2023, hat S2 bei der Klägerin eine rezidivierend mittelgradig, somatisierte depressive Episode mit dysthymer Unterlegung sowie asthenisch vermeidender Persönlichkeit diagnostiziert. Unter Berücksichtigung der Kriterien einer Erwerbstätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt würden sich im Rahmen der affektiven Komponente sowie auch im Rahmen der persönlichkeitsspezifischen Anteile deutliche Beeinträchtigungen insbesondere für die Flexibilität und Umstellungsfähigkeit sowie die Entscheidungs- und Urteilsfähigkeit, ferner Proaktivität und Spontanaktivitäten, Widerstands- und Durchhaltefähigkeit, Selbstbehauptungsfähigkeit, Konversation und Kontaktfähigkeit zu Dritten sowie Gruppenfähigkeit ergeben. Unter dem Gesichtspunkt einer Kategorisierung leicht/mittel/schwere Tätigkeit würden sich aus Sichtweise des Gutachters S2 quantitative Beeinträchtigungen für ein Tätigkeitsniveau im Rahmen einer schweren Tätigkeit auf unter drei Stunden, für den Bereich der mittleren Tätigkeit zwischen drei und sechs Stunden und für eine leichte Tätigkeiten in einem Tätigkeitsprofil mehr als sechs Stunden ergeben. 

Im neurologischen Zusatzgutachten des M2 vom 05.03.2024, welches dieser aufgrund einer ambulanten Untersuchung der Klägerin am 10.10.2023 erstellt hat, werden eine Migräne mit Aura (mit ein bis drei Migräneattacken pro Monat), episodischer Kopfschmerz vom Spannungstyp sowie rezidivierende Cervicobrachialgien diagnostiziert. Einschränkungen der körperlichen Leistungsfähigkeit ergäben sich hieraus auf neurologischem Gebiet nicht. Es lägen auch keine neurologischen Ausfallerscheinungen in der körperlichen Untersuchung vor. Sowohl bei der Migräne als auch bei dem Kopfschmerz vom Spannungstyp handele es sich um episodische Formen. Auch die Cervicobrachialgien träten nur episodisch auf und besserten sich nach Massagen. Von neurologischer Seite sei die Klägerin auf jeden Fall noch in der Lage, leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen sechs Stunden und mehr an fünf Tagen in der Woche auszuüben

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten (zwei Bände) sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die nach den §§ 143, 144 Abs. 1, Abs. 3 SGG statthafte, unter Beachtung der maßgeblichen Form- und Fristvorschriften (§ 151 Abs. 1 und Abs. 3 SGG) eingelegte Berufung ist zulässig.

Die Berufung ist jedoch unbegründet. Das SG hat zu Recht einen Anspruch der Klägerin auf Gewährung einer Rente wegen voller bzw. teilweiser Erwerbsminderung verneint.

Gegenstand des Rechtsstreits sind der Gerichtsbescheid des SG vom 14.10.2021 sowie der Bescheid der Beklagten vom 22.09.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27.11.2020, mit dem die Beklagte den Antrag der Klägerin auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung abgelehnt hat. 

Versicherte haben nach § 43 Abs. 2 Satz 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung und nach § 43 Abs. 1 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze, wenn sie voll bzw. teilweise erwerbsgemindert sind (Nr. 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (Nr. 2) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (Nr. 3). Voll erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Teilweise erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Sowohl für die Rente wegen teilweiser als auch für die Rente wegen voller Erwerbsminderung ist Voraussetzung, dass die Erwerbsfähigkeit durch Krankheit oder Behinderung gemindert sein muss. Bei einem Leistungsvermögen, das dauerhaft eine Beschäftigung von mindestens sechs Stunden täglich bezogen auf eine Fünf-Tage-Woche ermöglicht, liegt keine Erwerbsminderung im Sinne des § 43 Abs. 1 und Abs. 2 SGB VI vor. Wer noch sechs Stunden unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes arbeiten kann, ist nicht erwerbsgemindert, dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs. 3 SGB VI).
 
Eine volle Erwerbsminderung liegt nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) auch dann vor, wenn der Versicherte täglich mindestens drei bis unter sechs Stunden erwerbstätig sein kann, der Teilzeitarbeitsmarkt aber verschlossen ist (BeckOGK/Gürtner, 01.07.2020, SGB VI § 43 Rn. 58 und 30 ff.).
 
An diesem gesetzlichen Maßstab orientiert hat die Klägerin zur Überzeugung des Senats keinen Anspruch auf Gewährung einer Erwerbsminderungsrente, da sie im streitigen Zeitraum nicht voll oder teilweise erwerbsgemindert war. 

Das SG hat zutreffend auf der Grundlage der hier maßgeblichen gesetzlichen Regelungen in § 43 SGB VI sowie unter Berücksichtigung der vorliegenden medizinischen Unterlagen und des urkundsbeweislich verwertbaren Gutachten des B1 und des erstinstanzlichen Sachverständigengutachtens des S1 in nicht zu beanstandender Weise die medizinischen Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung verneint. Der Senat nimmt auf die Entscheidungsgründe im Gerichtsbescheid des SG Bezug und weist die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung zurück (§ 153 Abs. 2 SGG).

Ergänzend ist für das Berufungsverfahren Folgendes auszuführen:
Auch das im Berufungsverfahren auf Antrag der Klägerin nach § 109 SGG eingeholte psychiatrische Gutachten bei S2 mit psychologischem Zusatzgutachten von S3 und das neurologische Zusatzgutachten von M2 unterstützen das Klagevorbringen nicht und begründen keinen Anspruch auf eine Rente wegen Erwerbsminderung. 
S2 hat zwar anders als S1 keinen Tagesablauf erhoben, sodass für den Senat nicht ganz nachvollziehbar ist, woher er auf Seite 17 seines Gutachtens (Bl. 110 LSG-Akte) bei der Prüfung von Diskrepanzen zu der Einschätzung gelangt ist, dass zwischen schwerer subjektiver Beeinträchtigung und einem weitgehend intakten psychosozialen Funktionsniveau bei der Alltagsbewältigung keine Diskrepanzen bestünden, während er gleichzeitig im Klammerzusatz vermerkt: „(hier deutlicher sozialer Rückzug, Vermeidung von Aktivitäten, regelmäßigen Hobbys oder Freundeskontakte)“. Abgesehen davon, dass der Klammerzusatz im Widerspruch zu den Ausführungen hinsichtlich eines weitgehend intakten psychosozialen Funktionsniveaus bei der Alltagsbewältigung steht und sich die Frage stellt, woraus S2 diese Einschränkungen entnimmt, ist auch nicht nachvollziehbar, inwieweit zwischen einerseits einer schweren subjektiven Beeinträchtigung und andererseits einem weitgehend intakten psychosozialen Funktionsniveau bei der Alltagsbewältigung keine Diskrepanzen bestehen sollten. Darüber hinaus ist auch der von S2 erhobene psychopathologische Befund etwa im Vergleich zu dem von  S1 erhobenen Befund sehr kurz gehalten.

Letztlich aber hat S2 in seinem Gutachten vom 20.01.2022 (gemeint: 2023) auf der Grundlage der von ihm erhobenen Befunde und gestellten Diagnosen (rezidivierend mittelgradig, somatisierte depressive Episode mit dysthymer Unterlegung, asthenisch vermeidende Persönlichkeit, Migräne sowie mittelgradige soziale Anpassungsschwierigkeit) zwar das quantitative Leistungsvermögen der Klägerin bezogen auf schwere Tätigkeiten auf unter drei Stunden, bezogen auf mittlere Tätigkeiten zwischen drei und sechs Stunden, aber nachvollziehbar für leichte Tätigkeiten (unter Berücksichtigung der von ihm beschriebenen qualitativen Einschränkungen) auf „größer 6 Stunden“, also auf sechs Stunden und mehr täglich eingeschätzt. Damit ist die Klägerin - auch nach den Feststellungen von S2 - im Sinne von § 43 Abs. 3 SGB VI nicht erwerbsgemindert, da sie noch unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes folglich mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann, wobei es auf die jeweilige Arbeitsmarktlage insoweit nicht ankommt.

Diese Einschätzung korrespondiert mit dem - ebenfalls nach § 109 SGG eingeholten - neurologischen Gutachten des M2 vom 05.03.2024, der aufgrund einer Untersuchung der Klägerin am 10.10.2023 mit eigener Anamneseerhebung eine Migräne, einen Kopfschmerz vom Spannungstyp sowie rezidivierende Cervicobrachialgien diagnostiziert und gleichzeitig ausgeführt hat, dass es sich um episodische Formen handele, weshalb die Klägerin von neurologischer Seite „auf jeden Fall“ noch in der Lage sei, leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sechs Stunden und mehr an fünf Tagen in der Woche auszuüben. Soweit die Kläger-Seite dem (lediglich) entgegengehalten hat, der Gutachter hätte das Gutachten zeitnäher erstellen müssen, um sich besser zu erinnern, vermag dies an der Überzeugungskraft der sehr eindeutigen gutachterlichen Wertung nichts zu ändern, auch vor dem Hintergrund, dass sie sich mit sämtlichen vorangegangenen Gutachten deckt. Dies umso mehr, als weder vorgetragen noch sonst ersichtlich ist, dass sich der Gesundheitszustand der Kläger in rentenrelevantem Umfang in der Zwischenzeit verschlechtert hätte.

Insgesamt kann sich der Senat auf der Grundlage der hier vorliegenden medizinischen Unterlagen, des Reha-Entlassberichts vom 07.06.2018, des im Urkundenbeweis zu verwertenden Gutachtens von B1 vom 12./18.11.2019, der Auskunft der behandelnden Ärztin W1 im SG-Verfahren vom 29.01.2021, des noch im Berufungsverfahren vorgelegten Arztberichts von W1 vom 19.01.2022, des im SG-Verfahren eingeholten Gutachtens von S1 vom 29.07.2021, des im Berufungsverfahren eingeholten psychiatrischen Gutachtens von S2 mit psychologischem Zusatzgutachten von S3 vom 20.01.2023 und des neurologischen Zusatzgutachtens von M2 vom 05.03.2024 nicht davon überzeugen, dass bei der Klägerin die medizinischen Voraussetzungen für eine volle bzw. teilweise Erwerbsminderung im streitbefangenen Zeitraum vorliegen. Denn es besteht bei ihr nach den übereinstimmenden gutachterlichen Einschätzungen keine quantitative Leistungsminderung jedenfalls für leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt.

Ebenso bestehen keine sonstigen rentenrelevanten Leistungseinschränkungen. Ausgehend von einem erhaltenen sechsstündigen Leistungsvermögen muss auch keine konkrete Verweisungstätigkeit benannt werden. Nach der Rechtsprechung des BSG liegt eine volle Erwerbsminderung ausnahmsweise selbst bei einer mindestens sechsstündigen Erwerbsfähigkeit dann vor, wenn der Arbeitsmarkt wegen besonderer spezifischer Leistungseinschränkungen als verschlossen anzusehen ist. Dem liegt zugrunde, dass eine Verweisung auf die verbliebene Erwerbsfähigkeit nur dann möglich ist, wenn nicht nur die theoretische Möglichkeit besteht, einen entsprechenden Arbeitsplatz zu erhalten. Die Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit ist für einen auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbaren Versicherten wie den Kläger mit zumindest sechsstündigem Leistungsvermögen für leichte Arbeiten erforderlich, wenn die Erwerbsfähigkeit durch mehrere schwerwiegende gesundheitliche Einschränkungen oder eine besonders einschneidende Behinderung gemindert ist (vgl. BSG, Urteil vom 19.10.2011 - B 13 R 78/09 -, juris). Eine Verweisungstätigkeit braucht erst dann benannt zu werden, wenn die gesundheitliche Fähigkeit zur Verrichtung selbst leichter Tätigkeiten in vielfältiger, außergewöhnlicher Weise eingeschränkt ist. Hinsichtlich der vorhandenen qualitativen Beschränkungen hängt das Bestehen einer Benennungspflicht im Übrigen daher entscheidend von deren Anzahl, Art und Umfang ab, wobei zweckmäßigerweise in zwei Schritten - einerseits unter Beachtung der beim Restleistungsvermögen noch vorhandenen Tätigkeitsfelder, andererseits unter Prüfung der "Qualität" der Einschränkungen (Anzahl, Art und Umfang) - zu klären ist, ob hieraus eine deutliche Verengung des Arbeitsmarktes resultiert (vgl. BSG a.a.O., m.w.N.). Eine spezifische Leistungseinschränkung liegt nach der Rechtsprechung des BSG jedenfalls dann nicht vor, wenn ein Versicherter noch vollschichtig körperlich leichte Arbeiten ohne Heben und Tragen von Gegenständen über fünf kg, ohne überwiegendes Stehen und Gehen oder ständiges Sitzen, nicht in Nässe, Kälte oder Zugluft, ohne häufiges Bücken, ohne Zwangshaltungen, ohne besondere Anforderungen an die Fingerfertigkeit und nicht unter besonderen Unfallgefahren zu verrichten vermag (BSG, Urteil vom 27.04.1982     - 1 RJ 132/80 - SozR 2200 § 1246 Nr. 90). Der Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit bedarf es nicht, wenn Tätigkeiten wie das Verpacken leichter Gegenstände, einfache Prüfarbeiten oder die leichte Bedienung von Maschinen noch uneingeschränkt möglich ist. Diese zur früheren Rechtslage entwickelten Grundsätze sind auch für Ansprüche auf Renten wegen Erwerbsminderung nach dem ab dem 01.01.2001 geltenden Recht weiter anzuwenden (vgl. zuletzt BSG, Urteil vom 11.12.2019 - B 13 R 7/18 R -). Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze und der vorliegenden Gesundheitsstörungen wird den Einschränkungen der Klägerin nach Überzeugung des Senats bereits im Wesentlichen durch die Beachtung nur leichter Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt Rechnung getragen. Sie kann noch leichte bis gelegentlich mittelschwere Arbeiten unter Beachtung qualitativer Einschränkungen (keine Tätigkeiten im Schichtdienst oder in Nachtschicht, mit vermehrten Anforderungen an die Konzentration oder Reaktion, mit besonderen emotionalen Belastungen oder mit einem erhöhten Konfliktpotential, sowie mit gestiegener Lärmexposition als psychogener Stressor) ausüben. 

Eine Verschlossenheit des allgemeinen Arbeitsmarktes ergibt sich auch nicht unter dem Gesichtspunkt von unüblichen Arbeitsbedingungen (vgl. BSG, Urteil vom 27.05.1977 - 5 RJ 28/76 -, juris Rn. 16). Nach der aufgrund ausführlicher Anamnese erfolgten nachvollziehbaren Einschätzung von S1, der der Senat folgt, besitzt die Klägerin die erforderliche Umstellungs- und Anpassungsfähigkeit, um sich innerhalb von drei Monaten in eine neue Berufstätigkeit einarbeiten zu können. Einschränkungen der Handlungsfähigkeit liegen bei ihr nicht vor. Sie kann ihr Handeln einschätzen und entsprechend reagieren bzw. modifizieren. Soweit S2 insoweit Einschränkungen bei der Umstellungs- und Durchhaltefähigkeit - allerdings keinen Ausschluss - gesehen hat, überzeugt dies nicht, zumal er keinen eigenen Tagesablauf erhoben hat und der erhobene psychopathologische Befund etwa im Vergleich zu dem von S1 erhobenen Befund sehr kurz gehalten ist. Aufgrund der zuletzt im Rahmen der Untersuchung durch M2 angegebenen ein bis drei Migräneattacken pro Monat ist auch nicht davon auszugehen, dass die Klägerin unübliche Arbeitspausen benötigt oder unübliche Fehlzeiten in einem Arbeitsverhältnis zu befürchten sind. 

Bei der Klägerin besteht auch keine schwere spezifische Leistungsbehinderung in Gestalt einer Einschränkung der Wegefähigkeit (vgl. dazu nur BSG, Urteile vom 12.12.2011 - B 13 R 79/11 R - Rn. 20 m.w.N. und vom 28.08.2002 - B 5 RJ 12/02 R - m.w.N.). Ihre Wegefähigkeit ist nicht eingeschränkt, da sie in der Lage ist, täglich viermal eine Wegstrecke von mehr als 500 Meter zu Fuß zurückzulegen. Zudem verfügt sie über einen Führerschein und fährt nach eigenen Angaben ihr bekannte Strecken mit dem PKW. 

Insgesamt liegt bei der Klägerin unter Berücksichtigung der bei ihr zu beachtenden qualitativen Einschränkungen weder eine besondere spezifische Leistungsbeeinträchtigung noch eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen vor. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme hat der Senat keine Zweifel, dass die Klägerin typische Verrichtungen, die nur mit körperlich leichten Belastungen einhergehen (z. B. Sortier- und Montiertätigkeiten, Boten- und Bürodienste), ausführen kann.

Aus diesen Gründen ist die Berufung zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.  


 

Rechtskraft
Aus
Saved