L 10 R 309/24

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
10.
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 5 R 2761/20
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 R 309/24
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

1. Ein Anspruch auf Kostenerstattung für das Vorverfahren nach § 63 SGB X besteht nicht, wenn ein auf eine unzureichende Begründung des Rentenbescheids gestützter Widerspruch nach erfolgter Heilung des Begründungsmangels ohne sachlich-inhaltlichen Angriff fortgeführt und der Widerspruch als unbegründet zurückgewiesen wird, weil der Rentenbescheid in der Sache nicht zu beanstanden ist (Anschluss an BSG vom 6.7.2022 - B 5 R 21/21 R).
2. Eine wirksame Einverständniserklärung nach § 124 Abs. 2 SGG kann weder angefochten noch widerrufen werden. Die Wirksamkeit entfällt nicht nachträglich durch eine wesentliche Änderung der Prozesslage, wenn der Zustimmende im Nachhinein einen Antrag auf Zulassung der Revision stellt.
3. Ist eine Rechtsfrage höchstrichterlich geklärt, begründen weder vereinzelte Einwendungen in der Literatur noch eine geänderte personelle Zusammensetzung des Revisionssenats eine grundsätzliche Bedeutung.

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 11.02.2021 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.



Tatbestand

Zwischen den Beteiligten steht die Kostenerstattung in einem Widerspruchsverfahren im Streit.

Dem 1957 geborenen Kläger wurde mit Rentenbescheid vom 02.06.2020 (S. 93 ff. VerwA) auf seinen Antrag vom 26.02.2020 hin eine Altersrente für schwerbehinderte Menschen ab dem 01.06.2020 in Höhe eines monatlichen Rechts auf Rente von 1.918,82 € (monatlicher Nettozahlbetrag 1.710,64 €) bewilligt. Der Bescheid enthielt die Anlagen „Berechnung der Rente“, „Versicherungsverlauf“, „Berechnung der persönlichen Entgeltpunkte“ und „Rente und Hinzuverdienst“. In der Anlage „Berechnung der persönlichen Entgeltpunkte“ wurden allgemeine Erläuterungen zur Ermittlung der Entgeltpunkte gemacht und die Summe der berücksichtigten Entgeltpunkte nebst Zugangsfaktor angegeben. Zudem enthielt der Bescheid den Hinweis, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Regionalzentren und Außenstellen der Deutschen Rentenversicherung, der örtlichen Versicherungsämter, der Stadt- und Gemeindeverwaltungen sowie die Versichertenberaterinnen und Versichertenberater für weitere Auskünfte oder Erläuterungen kostenlos zur Verfügung stünden und Anschriften sowie weitere Informationen im Internet unter www.deutsche-rentenversicherung.de abgerufen werden könnten.

Den hiergegen erhobenen Widerspruch begründete der Kläger - dieser wurde während des gesamten Verfahrens durch seinen Prozessbevollmächtigten vertreten - damit, dass der Rentenbescheid nicht hinreichend begründet worden sei, da aus ihm nicht hervorgehe, wie sich die Entgeltpunkte ab dem 01.09.1973 ergäben. Er forderte die Beklagte auf, die Begründung insoweit nachzuholen und ihm die Kosten nach § 63 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 41 Abs. 1 Nr. 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) zu erstatten.

Nach Zusendung der angeforderten Berechnungsunterlagen durch die Beklagte (Schreiben vom 10.06.2020) bestätigte der Prozessbevollmächtigte des Klägers mit Schreiben vom 19.06.2020, die Rentenhöhe nunmehr nachvollziehen zu können und forderte die Beklagte unter Vorlage einer Kostenrechnung über 380,80 € zur Erstattung der Kosten auf. Sofern die Beklagte eine Kostenerstattung ablehne, bat er um Erlass eines Widerspruchsbescheides. Die Beklagte wies den Widerspruch des Klägers daraufhin mit Widerspruchsbescheid vom 21.09.2020 zurück. Der angefochtene Rentenbescheid sei nicht zu beanstanden, insbesondere sei er hinreichend begründet worden. Die ihm beigefügten Anlagen („Berechnung der Rente“, „Versicherungsverlauf“ und „Berechnung der persönlichen Entgeltpunkte“) enthielten die im Sinne der Begründungspflicht wesentlichen Gründe für die Entscheidung über die Rentenhöhe. Eine Kostenerstattung lehnte die Beklagte zugleich ab.

Hiergegen hat der Kläger am 30.09.2020 mit dem Begehren, die Beklagte unter Abänderung des Widerspruchsbescheids vom 21.09.2020 zu verpflichten, seine zur Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen für das Widerspruchsverfahren gegen den Rentenbescheid vom 02.06.2020 dem Grunde nach zu erstatten, Klage beim Sozialgericht Heilbronn (SG) erhoben. Zur Begründung hat er im Wesentlichen vorgetragen, dass es entgegen der Auffassung der Beklagten an einer hinreichenden Begründung des Rentenbescheides gefehlt habe, da in diesem die Berechnung der Entgeltpunkte nicht vollständig dargelegt worden sei. Eine fehlende Begründung könne zwar gemäß § 41 Abs. 1 Nr. 2 SGB X nachgeholt werden, führe allerdings nach § 63 Abs. 1 Satz 2 SGB X zu einem Anspruch auf Kostenerstattung. Hierbei sei unerheblich, dass der Widerspruch in der Sache keinen Erfolg gehabt habe. § 42 SGB X sei vorliegend nicht einschlägig.

Mit Urteil vom 11.02.2021 hat das SG die Beklagte unter Abänderung des Widerspruchsbescheides 21.09.2020 verpflichtet, die zur Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen des Klägers für das Widerspruchsverfahren gegen den Rentenbescheid vom 02.06.2020 dem Grunde nach zu erstatten; außerdem hat es angeordnet, dass die Beklagte die außergerichtlichen Kosten des Klägers im Klageverfahren zu tragen hat; die Berufung hat es nicht zugelassen. Die Voraussetzungen der Kostenerstattung für das Widerspruchsverfahren seien nach § 63 Abs. 1 Satz 2 SGB X gegeben, da der Widerspruch des Klägers nur deshalb keinen Erfolg gehabt habe, weil durch die nachträgliche Übersendung der weiteren Berechnungsanlagen mit Schreiben vom 10.06.2020 die Verletzung der Begründungspflicht nach § 41 Abs. 1 Nr. 2 SGB X geheilt worden sei. Der Altersrentenbescheid vom 02.06.2020 sei durch die mit ihm übersandten Anlagen nicht im Sinne des § 35 Abs. 1 SGB X hinreichend begründet gewesen. Die Angaben über die konkrete Zusammensetzung der Entgeltpunkte sei ein unverzichtbarer Bestandteil einer ordnungsgemäßen Begründung eines Rentenbescheides, weil ohne deren Kenntnis die Höhe der bewilligten Rentenleistung nicht sachgerecht geprüft werden könne. Die Tatbestände der Ausnahmeregelung des § 35 Abs. 2 SGB X, wonach es einer Begründung unter den dort genannten Voraussetzungen nicht bedarf, lägen nicht vor. Sofern der formelle Fehler (die unzureichende Begründung) - wie hier - bereits nach § 41 SGB X geheilt worden sei, komme eine Anwendung des § 42 SGB X nicht in Betracht.

Gegen das ihr am 18.02.2021 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 26.02.2021 Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Berufung beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt (L 10 R 736/21 NZB), auf die der erkennende Senat mit Beschluss vom 10.08.2021 die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (unter Hinweis auf die seinerzeit beim Bundessozialgericht [BSG] anhängig gewesenen Verfahren B 5 R 21/21 R und B 5 R 39/21 R) zugelassen hat. Das Beschwerdeverfahren ist sodann als Berufungsverfahren (L 10 R 2649/21) fortgeführt worden. Mit Beschluss vom 25.08.2021 hat der Senat - wiederum im Hinblick auf die beim BSG anhängig gewesenen Verfahren - das Ruhen des Verfahrens angeordnet.

Nach Wiederanrufung durch die Beklagte ist das Berufungsverfahren unter dem Aktenzeichen L 10 R 309/24 fortgeführt worden. Zur Begründung hat die Beklagte angeführt, das BSG habe in dem Urteil vom 06.07.2022 (B 5 R 21/21 R) zu ihren Gunsten entschieden und ihre Rechtsauffassung, dass und warum Vorverfahrenskosten im gegebenen Zusammenhang nicht zu erstatten seien, bestätigt.

Die Beklagte beantragt (sinngemäß),

das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 11.02.2021 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen, hilfsweise die Revision zuzulassen.

Der Auffassung des Bundessozialgerichts schließe er sich nicht an. Hierzu hat die Klägerseite auf Fachliteratur (Loytved, jurisPR-SozR 5/2024 Anm. 5; Lindner, NZS 2024, S. 88 ff. [richtig: S. 887 ff.]) verwiesen und gemeint, dass die Rechtsache grundsätzliche Bedeutung habe, weil die von der Beklagten angeführte Entscheidung des BSG der gesamten Fachliteratur widerspreche. Zudem sei nicht auszuschließen, dass der „nunmehr“ zuständige 5. Senat des BSG eine andere Rechtsauffassung vertrete.

Die Beteiligten haben mit Schriftsätzen vom 25.01.2024 und 01.02.2024 ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt. 

Mit Schriftsatz vom 08.12.2024 hat die Klägerseite mitgeteilt, dass sie mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung nicht mehr einverstanden sei. Der Senat hat mit Verfügung vom 10.12.2024 darauf hingewiesen, dass er weiterhin beabsichtigte, ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden, da das erklärte Einverständnis nicht mehr widerrufen werden könne und eine Änderung der Prozesslage nicht eingetreten sei. Dem ist die Klägerseite entgegengetreten und hat gemeint, dass ihr Antrag auf Zulassung der Revision erst nach Erteilung des Einverständnisses begründet worden sei, sodass eine geänderte Prozesslage vorliege. Der Senat hat hierauf erneut mitgeteilt, dass er beabsichtige, ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Prozessakten erster und zweiter Instanz (L 10 R 736/21 NZB, L 10 R 2649/21 und L 10 R 309/24) verwiesen.


Entscheidungsgründe

Der Senat entscheidet nach §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG durch Urteil ohne mündliche Verhandlung mit Einverständnis der Beteiligten. Denn der anwaltlich vertretene Kläger hat hierzu ausdrücklich, eindeutig und vorbehaltlos (s. dazu nur BSG 08.12.2022, B 7 AS 121/22 B, zitiert - wie sämtliche nachfolgende Rspr., soweit nicht anders angegeben, - nach juris, Rn. 6 m.w.N.) mit Schriftsatz vom 01.02.2024 wirksam sein Einverständnis erklärt, nachdem die Beklagte zuvor bereits mit Schriftsatz vom 25.01.2024 ihr Einverständnis erteilt gehabt hatte. Eine wirksame Einverständniserklärung nach § 124 Abs. 2 SGG kann weder angefochten, noch widerrufen werden (statt vieler nur BSG 30.03.2024, B 10 ÜG 2/22 B, Rn. 32; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, 14. Aufl. 2023, § 124 Rn. 3c f. m.w.N.). Die Wirksamkeit des erklärten Einverständnisses ist vorliegend auch nicht durch eine wesentliche Änderung der Prozesslage nachträglich entfallen (s. dazu nur BSG 31.08.2021, B 5 R 151/21 B, a.a.O. Rn. 16; Keller a.a.O. Rn. 3e ff., beide m.w.N.). Eine solche liegt hier insbesondere nicht darin, dass der Kläger erst im Nachhinein einen Antrag auf Zulassung der Revision gestellt und begründet hat. Abgesehen davon, dass - wenn überhaupt - lediglich die Beklagte eine wesentliche Änderung der Prozesslage geltend machen könnte, da es sich um einen Vortrag des Klägers handelt, liegt hierin auch keine wesentliche Änderung der Prozesslage. Denn das LSG muss über die Zulassung der Revision von Amts wegen entscheiden (Keller a.a.O. Rn. 24 ff.), d.h. es bedarf weder eines ausdrücklichen Antrags noch der Darlegung von Zulassungsgründen, weil das LSG diese ohnehin zu prüfen hat. Der Senat hat daher keinen Anlass für die Durchführung einer mündlichen Verhandlung gesehen und diesbezüglich dem Kläger zuvor rechtliches Gehör gewährt, woraufhin sich dieser hierzu mit Schriftsätzen vom 11.12. und 13.12.2024 geäußert hat. Einer Vorabentscheidung über den mit Schriftsatz vom 16.12.2024 gestellten Antrag des Klägers, eine mündliche Verhandlung durchzuführen, bedurfte es nicht.

Die gemäß § 143 SGG statthafte (die Regelung des § 144 Abs. 4 SGG greift nicht, weil in der Hauptsache über die Kosten eines Vorverfahrens gestritten wird; st. Rspr., vgl. nur BSG 24.09.2020, B 9 SB 4/19 R, Rn. 11 m.w.N.) und vom Senat gemäß § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG zugelassene Berufung der Beklagten, ist auch im Übrigen zulässig. Sie ist insbesondere form- und fristgerecht eingelegt, da das Beschwerdeverfahren gemäß § 145 Abs. 5 Satz 1 SGG als Berufungsverfahren fortzusetzen gewesen ist. Die Berufung ist auch begründet.

Gegenstand des Rechtsstreits ist das Begehren des Klägers, ihm unter Änderung der Kostengrundentscheidung im Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 21.09.2020 die Kosten des Widerspruchsverfahrens gegen den Rentenbescheid vom 02.06.2020 zu erstatten. Streitbefangen ist damit allein der Widerspruchsbescheid vom 21.09.2020 hinsichtlich der Kostenentscheidung. Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 und Abs. 4, § 56 SGG) unmittelbar gegen die Entscheidung im Widerspruchsbescheid über die Kosten des Widerspruchsverfahrens zulässig (statt vieler nur LSG Baden-Württemberg 10.02.2023, L 4 R 3208/22, www.sozialgerichtsbarkeit.de; Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, 14. Aufl. 2023, § 95 Rn. 3b). Eines gesonderten Vorverfahrens nach § 78 Abs. 1 SGG hinsichtlich der Kostengrundentscheidung bedurfte es nicht (BSG 19.06.2012, B 4 AS 142/11 R, Rn. 10 m.w.N.). Eine Entscheidung durch Verwaltungsakt darüber, ob im Widerspruchsverfahren die Zuziehung eines Rechtsanwalts oder eines sonstigen Bevollmächtigten notwendig war (§ 63 Abs. 3 Satz 2, Abs. 2 SGB X), hat der Kläger weder im Verwaltungs- noch im gerichtlichen Verfahren beantragt und die Beklagte auch nicht getroffen (zu den unterschiedlichen Verfügungssätzen im isolierten Vorverfahren vgl. etwa BSG 20.11.2001, B 1 KR 21/00 R, Rn. 13). Ein solches Begehren ist damit nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens.

Das SG hat die Beklagte zu Unrecht unter Abänderung des angefochtenen Widerspruchsbescheids verurteilt, dem Kläger die Kosten des Widerspruchsverfahrens gegen den Bescheid vom 02.06.2020 (dem Grunde nach) zu erstatten. Denn der Kläger hat keinen Anspruch auf Erstattung der Kosten des Widerspruchsverfahrens nach § 63 SGB X.

Nach § 63 Abs. 1 Satz 1 SGB X hat der Rechtsträger, dessen Behörde den erfolgreich mit Widerspruch angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat, dem Widerspruchsführer die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen zu erstatten. Dies gilt nach Satz 2 auch dann, wenn der Widerspruch nur deshalb keinen Erfolg hat, weil die Verletzung einer Verfahrens- oder Formvorschrift nach § 41 SGB X unbeachtlich ist.

Ein Anspruch auf Kostenerstattung gemäß § 63 Abs. 1 Satz 1 SGB X scheitert vorliegend bereits daran, dass der gegen den Rentenbescheid vom 02.06.2020 erhobene Widerspruch nach der dafür maßgeblichen formalen Betrachtungsweise schon nicht erfolgreich war, weil dieser auf den Widerspruch des Klägers hin gerade nicht mit dem Widerspruchsbescheid vom 21.09.2021 abgeändert wurde (BSG 06.07.2022, B 5 R 21/21 R, Rn. 13; s. auch die Parallelentscheidungen des BSG vom 06.07.2022, B 5 22/21 R und B 5 R 39/21 R sowie Senatsurteil vom 26.09.2024, L 10 R 213/24 und LSG Baden-Württemberg 10.02.2023, L 4 R 3208/22, a.a.O.), zumal der Kläger sachlich-inhaltlich gegen die (materielle) Richtigkeit der Rentenbewilligung auch nichts vorgebracht hatte (vgl. Widerspruchschreiben vom 07.06.2020). Entgegen Loytved (jurisPR-SozR 5/2024 Anm. 5) kann ein Erfolg des Widerspruchs - mit der Folge eines Kostenerstattungsanspruchs nach § 63 Abs. 1 Satz 1 SGB X) - auch nicht mit einer „beschränkten“ Widerspruchseinlegung begründet werden. Seine (nicht weiter begründete) Prämisse, ein unzureichend begründeter Bescheid beinhalte eine „Beschwer“, gegen die sich der Betroffene „wohl“ mit dem Widerspruch wenden „dürfe“, wofür „nicht zuletzt“ die verfassungsrechtliche Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) „spreche“, überzeugt den Senat schon deshalb nicht, weil eine unzureichende Begründung als solche keine mit Widerspruch angreifbare Regelung i.S.d. § 31 SGB X darstellt (vgl. dazu Schmidt a.a.O., § 83 Rn. 3; Becker in BeckOGK SGG, § 83 Rn. 13, Stand 01.11.2024), eine „Widerspruchsbeschränkung“ auf die Bescheidbegründung mithin auch nicht gegen einen abtrennbaren Verfügungssatz gerichtet ist, sondern eben nur gegen seine Begründung. Wieso nach Art. 19 Abs. 4 GG (auch) Rechtsschutz (isoliert) gegen eine (unzureichende) Begründung eines staatlichen Aktes ohne Angriff gegen diesen Akt selbst geboten sein sollte, erschließt sich dem Senat nicht. Der Annahme eines „Erfolgs“ eines allein auf eine unzureichende Begründung des Rentenbescheids gestützten Widerspruchs hat im Übrigen das BSG klar eine Absage erteilt (vgl. a.a.O., Ls. 1 und Rn. 3, 13), auf die angreifbaren Verfügungssätze eines solchen Bescheids hingewiesen (a.a.O. Rn. 13 m.w.N.) und die für einen Erfolg i.S.d. § 63 Abs. 1 Satz 1 SGB X erforderliche formale Betrachtungsweise (s. hierzu auch BSG 24.09.2020, B 9 SB 4/19 R, Rn. 15 und 12.06.2013, B 14 AS 68/12 R, Rn. 21; zur Parallelvorschrift des § 80 Abs. 1 Satz 1 und 2 Verwaltungsverfahrensgesetz [VwVfG] auch BVerwG, 25.09.1992, 8 C 16/90, Rn. 15) hervorgehoben. Eine solche Auslegung von § 63 Abs. 1 Satz 1 SGB X wird auch durch den Wortlaut des § 63 Abs. 1 Satz 2 SGB X („Dies gilt auch…“) und den gesetzgeberischen Willen gestützt, wonach § 63 Abs. 1 Satz 2 SGB X eine Erweiterung zu der in § 63 Abs. 1 Satz 1 SGB X geregelten Kostenerstattung enthält (in diesem Sinne auch LSG Berlin-Brandenburg, 20.02.2024, L 22 R 621/23 NZB, Rn. 23).

Ohnehin hat der Kläger vorliegend mit seinem Widerspruch gerade nicht die Begründung des Rentenbescheids „angefochten“ - er hielt diese für unzureichend, aber nicht für unzutreffend -, sondern bei verständiger Würdigung vielmehr (vorsorglich) den Verfügungssatz über die Höhe des monatlichen Rechts auf Rente, eben weil er geltend gemacht hat, deren (sachlich-rechtliche) Rechtmäßigkeit könne nicht nachvollzogen werden, weil aus der Begründung des Bescheids nicht hervorgehe, wie sich die Entgeltpunkte ab dem 01.09.1973 ergäben. Nach Zusendung der entsprechenden Berechnungsunterlagen ist dann eingeräumt worden, dass die Rentenhöhe nun nachvollziehbar ist und ein Anspruch auf höhere Rente ist nicht geltend gemacht worden, sondern allein ein Anspruch auf Vorverfahrenskostenerstattung. Wieso daraus ein „Erfolg“ des Widerspruchs i.S.d. § 63 Abs. 1 Satz 1 SGB X folgen sollte, ist für den Senat unerfindlich. Davon ist im Übrigen auch der Prozessbevollmächtigte des Klägers selbst nicht ausgegangen, denn er hat das Kostenerstattungsbegehren ausdrücklich auf § 63 Abs. 1 Satz 2 SGB X (s. schon Schreiben vom 19.06.2020) gestützt.

Ein Anspruch auf Kostenerstattung ergibt sich freilich auch nicht aus dieser Regelung. Denn es fehlt vorliegend jedenfalls an der erforderlichen Kausalität der Unbeachtlichkeit der Verletzung von Formvorschriften (BSG a.a.O. auch zum Nachfolgenden). Zwar war auch der vorliegende Rentenbescheid vom 02.06.2020 nach der jüngsten Rechtsprechung des BSG (a.a.O.) - der sich der erkennende Senat nach eigener Prüfung vollumfänglich anschließt - nicht in allen Punkten gemäß § 35 Abs. 1 Satz 1 und 2 SGB X hinreichend begründet und dieser Formfehler wurde nach § 41 Abs. 1 Nr. 2 SGB X erst durch die Übersendung der Anlagen „Entgeltpunkte für Beitragszeiten“ und „Entgeltpunkte für beitragsfreie und beitragsgeminderte Zeiten“ geheilt und damit unbeachtlich. Allerdings ist der Widerspruch entsprechend § 63 Abs. 1 Satz 2 SGB X nicht „nur deshalb“ ohne Erfolg geblieben, weil der Fehler nach § 41 SGB X geheilt wurde. Der Kläger hätte die Aufhebung des Rentenbescheides auch deshalb nicht beanspruchen können, weil gemäß § 42 Satz 1 SGB X offensichtlich war, dass der Begründungsfehler die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusste, da sich bloße Begründungsmängel oder -fehler bei gebundenen Verwaltungsakten - wie vorliegend dem Rentenbescheid vom 02.06.2020 - auf die Rechtmäßigkeit der Regelung nicht auswirken und daher grundsätzlich nicht deren Aufhebung rechtfertigen (vgl. nur BSG a.a.O.). Entgegen der Auffassung des SG findet § 42 SGB X auch Berücksichtigung, wenn ein Begründungsfehler nach § 41 SGB X geheilt wurde, da nach der Systematik des Gesetzes auch das Fehlen einer erforderlichen Begründung zu den Verfahrens- und Formfehlern im Sinne des § 42 Satz 1 SGB X zählt (BSG a.a.O., vgl. auch schon BSG 03.12.1997, 6 RKa 21/97; 17.04.1991, 1 RR 2/89; LSG Baden-Württemberg, a.a.O.). Dafür spricht nicht zuletzt die in § 42 Satz 2 SGB X normierte Ausnahme, die nur den Anhörungsmangel von der Reglung des Satzes 1 ausnimmt. Der Anwendungsbereich des § 63 Abs. 1 Satz 2 SGB X wird hierdurch auch nicht lediglich auf die Heilung von Anhörungsfehlern begrenzt, da Kostenerstattungsansprüche noch in all denjenigen Fällen entstehen können, in denen der Behörde ein Beurteilungs- oder Ermessensspielraum zusteht (BSG 06.07.2022, B 5 R 21/21 R, Rn. 36).

Entgegen L1 (NZS 2024, 887 ff.) verstößt die Entscheidung des BSG vom 06.07.2022 auch nicht gegen das allgemeine Willkürverbot (Art. 3 Abs. 1 GG). Dass das BSG die Vorschrift des § 63 Abs. 1 SGB X in nicht mehr nachvollziehbarer Weise angewendet, die Rechtslage also in krasser Weise verkannt hätte (vgl. zum verfassungsrechtlichen Maßstab BVerfGE 89, 1 <13 f.>; 96, 189 <203>; 112, 185 <215 f.>), ist nicht ersichtlich. Vielmehr orientiert sich die Rechtsanwendung des § 63 Abs. 1 Satz 1 und 2 SGB X durch das BSG an Wortlaut, Systematik und gesetzgeberischem Willen (s.o.). Die in der Entscheidung erfolgte Anwendung von § 42 SGB X hat das BSG aus Sicht des Senats ebenfalls überzeugend anhand von Wortlaut und Systematik begründet; dass diese Rechtsauffassung die Grenze des Vertretbaren überschreitet, ist mehr als fernliegend.

Ein Kostenerstattungsanspruch folgt schließlich auch nicht aus einer analogen Anwendung von § 63 Abs. 1 Satz 2 SGB X, da - wiederum entsprechend der jüngsten Rechtsprechung des BSG (a.a.O.) - eine für eine Analogie erforderliche planwidrige Regelungslücke nicht vorliegt.

Dem Kläger steht daher ein Anspruch auf die begehrte Kostenerstattung (dem Grunde nach) nicht zu, weshalb das Urteil des SG im Rahmen des Berufungsantrags der Beklagten aufzuheben und die Klage abzuweisen ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor. Insbesondere ist das Vorliegen des vom Kläger geltend gemachten Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG nicht erkennbar. Die aufgeworfene Rechtsfrage ist durch die angeführte Rechtsprechung des BSG hinreichend geklärt. Eine erneute Klärungsbedürftigkeit ist nicht gegeben. Von einer solchen ist insbesondere dann auszugehen, wenn der Rechtsprechung in nicht geringfügigem Umfang widersprochen wird und gegen sie nicht von vornherein abwegige Einwendungen vorgebracht werden (d. dazu nur BSG 04.04.2024, B 1 KR 38/23 B, Rn. 9). Vorliegend ist zwar die angeführte Rechtsprechung des BSG - wie die beiden von der Klägerseite angeführten Beiträge belegen - in der Literatur nicht unwidersprochen geblieben, die geltend gemachten Einwendungen greifen jedoch - wie dargelegt - nicht durch. Sie zeigen im Übrigen auch keine neuen Gesichtspunkte auf, sodass die Entscheidung des BSG in Kenntnis der Argumentation ergangen ist. In einem vergleichbaren Fall hat das BSG dementsprechend mit Beschluss vom 26.07.2023 (B 5 R 76/23 B, Rn. 8 ff.) den Antrag auf Zulassung der Revision abgelehnt. Die Hoffnung des Klägers, der 5. Senat könne angesichts seiner neuen personellen Zusammensetzung nunmehr anders entscheiden, ist rein spekulativ und rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision.



 

Rechtskraft
Aus
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