S 2 KR 1947/22 ER

Sozialgericht
SG Konstanz (BWB)
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 2 KR 1947/22 ER
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
-
Aktenzeichen
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Datum
-
Kategorie
 

Der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz wird abgelehnt.

            Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

 

Die Antragstellerin begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die vorläufige Feststellung, dass sie bei der Antragsgegnerin freiwillig versichert ist.

I.

Die am xx.xx.1954 geborene Antragstellerin mit ukrainischer Staatsangehörigkeit reiste 30.06.2022 nach Deutschland ein. Für die Zeit vom 30.06.2022 bis 31.08.2022 wurden ihr Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsge­setz (AsylbLG) gewährt. Am 24.08.2022 wurde der Antragstellerin eine Fiktionsbescheini­gung nach § 81 Aufenthalts­gesetz ausgestellt. Auf den Antrag vom 30.09.2022 – eingegangen auf der Poststelle des Landratsamts Konstanz am 04.10.2022 – wurde der Antragstellerin Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel Sozialge­setzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) ab dem 01.10.2022 vom Beigeladenen als zuständi­gem Träger der Sozialhilfe gewährt (Bescheid vom 14.11.2022).

Am 09.09.2022 stellte die Antragstellerin bei der Antragsgegnerin einen Antrag auf frei­willige Kranken- und Pflegeversicherung gem. § 417 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) iVm. § 9 SGB V ab dem 24.08.2022. Am 13.10.2022 stellte die Antragstellerin erneut einen entsprechenden Antrag bei der Antragsgegnerin.

Mit Schreiben vom 18.11.2022 lehnte die Antragsgegnerin eine freiwillige Versicherung ab, da Personen, die Leistungen nach dem AsylbLG beziehen, kein Beitrittsrecht hätten. Dagegen erhob der Beigeladene im Namen der Antragstellerin Widerspruch mit Schrei­ben vom 30.11.2022.  

Mit Schreiben vom 05.12.2022 – eingegangen beim Sozialgericht Konstanz am 07.12.2022 – hat die Antragstellerin den vorliegenden Antrag auf einstweiligen Rechts­schutz erhoben. Sie sei vom Beigeladenen gebeten worden, den Antrag auf freiwillige Krankenversicherung zu stellen.

 

Die Antragstellerin beantragt,

die Antragsgegnerin zu verpflichten, sie vorläufig gem. § 417 SGB V zu versichern und ihr entsprechende Leistungen nach SGB V zu gewähren.

Die Antragsgegnerin beantragt,

            den Antrag abzulehnen.

Zur Begründung führt die Antragsgegnerin aus, die Antragstellerin verfüge nicht über ei­genes Einkommen oder Vermögen, welches den Beitritt zur freiwilligen Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung begründen könnte. Für Hilfebedürftige sei der Bei­tritt ausgeschlossen.

Mit Beschluss vom 13.12.2022 ist die Beiladung des örtlich zuständigen Sozialhilfeträ­gers erfolgt. Dieser hat ausgeführt, dass die Antragstellerin am 08.09.2022 keine Leis­tungen nach dem SGB XII bezogen habe. Es sei auch zu diesem Zeitpunkt kein Antrag gestellt gewesen. Eine Hilfebedürftigkeit für September 2022 sei nicht geklärt. Es sei da­von auszugehen, dass sonst die Antragstellerin rechtzeitig einen Antrag gestellt hätte. Der Beigeladene hat die Verwaltungsakten hinsichtlich des Antrags nach dem SGB XII sowie Bescheide über die Bewilligung von Leistungen nach dem AsylbLG vorgelegt.  

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte sowie die Akte der An­tragsgegnerin Bezug genommen.

II.

Der Antrag hat keinen Erfolg.

Nach § 86b Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Ver­wirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Ab­wendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint.

 

Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zum einen das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs. Dieser bezieht sich auf den materiellen Anspruch, für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird und ist gegeben, wenn bei der im Verfahren nach § 86b Abs. 2 SGG gebotenen summarischen Prüfung ein Erfolg in der Hauptsache mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. Weitere Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Anordnung ist das Vorliegen eines Anordnungsgrundes. Dieser liegt vor, wenn die erstrebte vorläufige Regelung besonders dringlich ist, wenn es also dem An­tragsteller nicht zumutbar ist, die Hauptsachentscheidung abzuwarten (Keller, in: Meyer-Ladewig, SGG, 13. Auflage 2020, § 86b Rn. 27, 27a.). Die tatsächlichen Voraussetzun­gen von Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind vom Antragsteller glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 S. 4 SGG i. V. m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO)). Bei offenem Ausgang des Hauptsacheverfahrens, wenn etwa eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich ist, ist im Wege einer Folgenab­wägung zu entscheiden. Dabei sind insbesondere die grundrechtlichen Belange des An­tragstellers umfassend in die Abwägung einzustellen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts müssen sich die Gerichte schützend und fördernd vor die Grundrechte des Einzelnen stellen (vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschluss v. 12.05.2005 – 1 BvR 569/05). Grundsätzlich darf die einstweilige Anordnung die endgül­tige Entscheidung jedoch nicht vorwegnehmen (vgl. Keller, in: Meyer-Ladewig a. a. O., § 86b Rn. 31).

Vorliegend ist ein Anordnungsanspruch nicht gegeben. Die Antragstellerin ist nicht bei der Antragsgegnerin als freiwilliges Mitglied aufgrund ihres Antrags vom 15.11.2022 zu versichern.

Nach § 417 SGB V gilt:

(1) Ergänzend zu § 9 können innerhalb von sechs Monaten nach Aufenthaltnahme im Inland Personen der Versicherung beitreten,

1. die gemäß § 49 des Aufenthaltsgesetzes erkennungsdienstlich behandelt worden sind und denen eine Aufenthaltserlaubnis nach § 24 des Aufenthaltsgesetzes erteilt oder eine entsprechende Fiktionsbescheinigung nach § 81 Absatz 5 in Verbindung mit Absatz 3 des Aufenthaltsgesetzes für einen Aufenthaltstitel nach § 24 des Aufenthaltsgesetzes ausgestellt wurde und

2. die nicht nach § 7 Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 des Zweiten Buches oder § 19 des Zwölften Buches hilfebedürftig sind.

Nach § 188 Abs. 1 SGB V beginnt die Mitgliedschaft Versicherungsberechtigter mit dem Tag ihres Beitritts zur Krankenkasse.

Die Antragstellerin erfüllt die Voraussetzungen des § 417 SGB V nach summarischer Prüfung nicht.

Die Antragstellerin besitzt zwar seit 24.08.2022 eine Fiktionsbescheinigung nach § 81 AufenthG und zwischenzeitlich auch eine Aufenthaltserlaubnis und dürfte auch erken­nungsdienstlich behandelt worden sein. Das Gericht hat jedoch keine Zweifel daran, dass die Antragstellerin zum Zeitpunkt der Beitrittserklärung am 09.09.2022 hilfebedürf­tig im Sinne des § 19 SGB XII war. § 417 SGB V stellt nach Ansicht des Gerichts ausdrücklich nicht auf den Bezug von Leistungen nach dem SGB II oder SGB XII ab, sondern auf die abstrakte Bedürftigkeit der in Betracht kommenden geflüchteten Personen. Nach der Ge­setzesbegründung soll § 417 SGB V dazu dienen, denjenigen Ukrainerinnen und Ukrai­nern, die aufgrund des Krieges nach Deutschland geflohen sind und über Ein­kommen und Vermögen verfügen, den Beitritt in die gesetzliche Krankenversicherung zu ermögli­chen, um nicht zwingend auf eine private Krankenversicherung zurückgreifen zu müssen (vgl. Drucksache 20/1768, S. 29). Der durch die Regelung begünstigte Perso­nenkreis dürfte auch aufgrund der Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 13, Abs. 11 SGB V noch weiter begrenzt sein und nur hauptberuflich Selbständige (§ 5 Abs. 5 SGB V) und nach § 6 SGB V versicherungsfreie Personen betreffen. Auf die geringe Anzahl der von der Regelung profitierenden Personen wird in der Gesetzesbegründung hinge­wiesen. Personen, die einen Anspruch nach dem SGB XII haben, sollten von der Rege­lung nicht umfasst sein, ist deren Absicherung im Krankheitsfall doch über § 264 Abs. 2 SGB V oder § 19 Abs. 3 iVm. § 48 Satz 1 SGB XII geregelt.

Aus den Angaben der Antragstellerin im Verwaltungsverfahren zur Prüfung der Voraus­setzungen auf Leistungen nach dem SGB XII ergeben sich keinerlei Hinweise, dass die Antragstellerin im Monat September nicht hilfebedürftig nach § 19 SGB XII gewesen wäre, dies aber dann ab Oktober war. Vielmehr liegt auf der Hand, dass diese einen Anspruch nach dem 4. Kapitel SGB XII bereits für September gehabt hätte. Ob der An­tragstellerin im Hinblick auf § 44 SGB XII zu Recht Leistungen erst ab Oktober 2022 bewilligt worden sind, oder ob der Antrag bereits im September als gestellt anzusehen war, weil die Antragstellerin möglicherweise durch Mitarbeiter:innen des Beigeladenen (hier möglicherweise dem Amt für Migration und Integration zugeordnet) Hilfe beim Aus­füllen des Antrags in der Gemeinschaftsunterkunft bekam und damit der Antrag eigentlich im September schon dem Beigeladenen vorgelegen hat, bzw. weil der Beigeladene Land­kreis vielleicht schon vor dem 04.10.2022 relativ konkrete Kenntnisse über die Hilfebe­dürftigkeit gehabt haben könnte (vgl. BSG, Urteil v. 20.04.2016 – B 8 SO 5/15 R) und weil möglicherweise auch ein Anspruch nach dem 3. Kapitel SGB XII bestanden haben könnte, welcher nicht Antragsabhängig ist, ist vorliegend nicht abschließend zu prüfen.

Das Gericht geht nach summarischer Prüfung auch nicht davon aus, dass die Antragstel­lerin seit September 2022 bei der Antragsgegnerin nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V pflicht­versichert ist. Sie dürfte zwar die Voraussetzungen nach § 5 Abs. 11 SGB V erfüllen (Aufenthaltstitel von mehr als 1 Jahr ohne Verpflichtung zur Sicherung des Lebensunter­halts). Jedoch dürfte die Regelung des § 5 Abs. 8a SGB V einer Versicherungspflicht entgegenstehen, da die Antragstellerin durch die Belastung mit der Beitragspflicht (vgl. § 250 Abs. 3 SGB V) weitergehend hilfebedürftig nach dem SGB XII würde. Die Beiträge zur Krankenversicherung wären nach §§ 32, 32a, 42 SGB XII als Bedarfe im September anzusehen. Das Gericht geht zwar davon aus, dass an dieser Stelle möglicherweise die Regelungen zwischen dem SGB V und dem SGB XII nicht lückenlos sind, jedoch dürfte nach dem gesetzlichen Zweck davon auszugehen sein, dass in der vorliegenden Kons­tellation keine Versicherungspflicht nach dem SGB V eintreten soll, da eine anderweitige Absicherung der Antragstellerin über die Regelungen des SGB XII bzw. § 264 SGB V gewährleistet und so auch gewollt ist (vgl. hierzu: LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil v. 19.05.202 – L 16/4 KR 586/18; Landessozialgericht Bayern, Urteil v. 27.11.2012 – L 5 KR 220/12).

Das Gericht geht auch davon aus, dass vorliegend keine Eilbedürftigkeit besteht. Die Antragstellerin kann aufgrund ihres Leistungsbezugs nach dem 4. Kapitel des SGB XII nach § 264 Abs. 2 SGB V eine gesetzliche Krankenkasse wählen, von dort eine Ver­si­chertenkarte bekommen und Leistungen zur Krankenbehandlung in Anspruch nehmen. Es dürfte davon auszugehen sein, dass die Beitrittserklärung nach § 417 SGBV eine Wahl nach § 264 Abs. 2. SGB V darstellen dürfte. Sollte sich im Rahmen eines möglichen Hauptsacheverfahrens ergeben, dass doch eine freiwillige Versicherung oder eine Pflichtversicherung bestanden hat, so kann eine Rückabwicklung problemlos erfolgen. Insoweit wäre aber zunächst zu klären, ob die Antragstellerin nicht doch bereits ab Sep­tember 2022 einen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB XII gegenüber dem Beige­ladenen gehabt hätte.

Das Gericht geht davon aus, dass nunmehr zügig ein Verfahren nach § 264 SGB V durch­geführt werden kann, um der Antragstellerin (ggf. vorläufig) einen niedrigschwelligen Zu­gang zu Leistungen bei Krankheit zu gewähren.

Der Antrag war vorliegend abzulehnen.

Die Kostenentscheidung ergeht entsprechend § 193 SGG.

 

 

Rechtskraft
Aus
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