L 8 KR 194/23

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Wiesbaden (HES)
Sachgebiet
Krankenversicherung
1. Instanz
SG Wiesbaden (HES)
Aktenzeichen
S 2 KR 52/22
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 8 KR 194/23
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze


Bei den Zahlungen des brasilianischen Sozialversicherungssystems für Beschäftigte im öffentlichen Dienst (RPPS) handelt es sich um eine Leistung, die iSv § 228 Abs. 1 S. 2 SGB V als „vergleichbare Rente aus dem Ausland“ anzusehen ist, und nicht um einen Versorgungsbezug iSv § 229 SGB V


Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Wiesbaden vom 30. März 2023 wird zurückgewiesen. 

Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin. 

Die Revision wird nicht zugelassen.


Tatbestand

Streitig sind die von der Klägerin auf ihre brasilianische Rente zu entrichtenden Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung.

Die 1964 geborene Klägerin war bis zu ihrem Ruhestand zum 1. Januar 2020 bei einem Arbeitsgericht in Brasilien beschäftigt. Sie bezieht eine Rente aus dem Sozialversicherungssystem für Beschäftigte im öffentlichen Dienst (Regime Proprio de Previdencia Social - RPPS) nach Art. 40 der Brasilianischen Verfassung (BV). 

Antragsgemäß nahm die Beklagte die Klägerin zum 6. Januar 2021 in die gesetzliche Krankenversicherung und soziale Pflegeversicherung in der Auffangversicherung nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V auf. Mit Bescheid vom 26. Februar 2021 setzte sie dabei aus umgerechneten monatlichen Einnahmen iHv 2.189,67 € einen Gesamtbeitrag zur Kranken- und Pflegeversicherung in Höhe von 352,03 € für die Zeit 6. Januar bis 31. Januar 2021 und 406,18 € monatlich ab 1. Februar 2021 fest. Hierbei verbeitragte sie die Rente der Klägerin mit dem ermäßigten Beitragssatz in Höhe von 14 % zzgl. des Zusatzbeitrags von 1,5%.

Mit E-Mail vom 4. März 2021 beantragte der Ehegatte der Klägerin, für diese den hälftigen Beitragssatz nach § 247 S. 2 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (Gesetzliche Krankenversicherung - SGB V -) zur Anwendung zu bringen, da es sich bei der Rentenzahlung aus Brasilien nicht um einen Versorgungsbezug, sondern um eine ausländische Rente handele. Die Beklagte wandte sich hierauf an die deutsche Verbindungsstelle Ausland (DVKA) beim Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherungen. Diese teilte der Beklagten mit, dass nach ihrer Einschätzung die brasilianische Rente iSv § 229 Abs. 1 S. 1 SGB V als ein Versorgungsbezug auf einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis anzusehen sei. Die Klägerin trat dem entgegen, worauf die Beklagte ergänzend die Deutsche Rentenversicherung (DRV) Nordbayern befragte. Diese erteilte der Beklagten die Auskunft, dass im RPPS die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes versichert würden. Es bestehe keine zentrale Verwaltung, sondern die Versicherung werde von den jeweiligen öffentlichen Arbeitgebern in Eigenregie geführt. Die Beschäftigten würden jedoch vom allgemeinen Rentensystem (RGPS) erfasst und von dem Träger des allgemeinen Sozialversicherungssystems (INSS) verwaltet, wenn der öffentliche Arbeitgeber über kein eigenes System verfüge. Das Sondersystem sei auf das Versorgungsprinzip zurückzuführen. Öffentlich Bedienstete würden das Recht auf Versorgung im Alter durch ihre Anbindung an das Gemeinwesen erwerben. Es würden jedoch auch Beiträge gezahlt. Es handele sich um keine der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung vergleichbare Rentenleistung.

Mit Bescheid vom 25. Oktober 2021 lehnte die Beklagte unter Bezugnahme auf die Antwort der DRV Nordbayern die Verbeitragung der Rente der Klägerin mit dem halben Beitragssatz nach § 247 S. 2 SGB V ab. Zugleich hob sie den Bescheid vom 26. Februar 2021 mit Wirkung für die Zukunft zum 1. November 2021 auf und verfügte ab diesem Zeitpunkt eine Verbeitragung als Versorgungsbezug mit dem allgemeinen Beitragssatz von 14,6 % zzgl. des Zusatzbeitrages von 1,5%. 

Ihren hiergegen erhobenen Widerspruch vom 9. November 2021 begründete die Klägerin damit, dass allein die Bezeichnung als „Sondersystem“ kein ausschlaggebendes Argument für die Bewertung der brasilianischen Rente als Versorgungsleistung sein könne. Beamte zahlten keine Beiträge und erhielten die Versorgung aufgrund des Alimentationsprinzips. Demgegenüber erhalte sie ihre Rente als Versicherungsleistung aufgrund von Beitragszahlungen, die sie selbst und der Arbeitgeber geleistet hätten. Für die Bewertung als Rente spreche insbesondere, dass aufgrund des Sozialversicherungsabkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Brasilien von 3. Dezember 2009 beide brasilianischen Sozialversicherungssysteme (RGPS und RPPS) als Sozialversicherungssysteme bezeichnet würden und die in diesen Systemen zurückgelegten Versicherungszeiten denen der Deutschen Rentenversicherung gleichgestellt seien. 

Mit weiteren Bescheiden vom 5. Januar 2022 (für die Monate Februar 2021 und Juli bis August 2021) sowie 6. Januar 2022 (für Oktober 2021 und ab Januar 2022) setzte die Beklagte die Beiträge im Hinblick auf von der Klägerin nachgereichte brasilianische Rentenbescheide unter Umrechnung der aus Brasilien gezahlten monatlichen Bruttorente ab Februar 2021 unter Zugrundelegung des ermäßigten Beitragssatzes (14%) neu fest, woraus sich geringfügige Beitragskorrekturen ergaben. Sodann wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 9. Februar 2022 den Widerspruch der Klägerin zurück und bezog sich zur Begründung auf die Einschätzungen der DRV Nordbayern und DVKA. Die Klägerin sei nicht im allgemeinen Versicherungssystem INSS, sondern in einem davon unabhängigen Sondersystem versichert gewesen, welches auf das Versorgungsprinzip zurückgehe. Dies sei mit dem von Arbeitnehmern und Arbeitgebern gleicherweise beitragsfinanzierten, an einem privatrechtlichen Beschäftigungsverhältnis orientierten deutschen Rentenversicherungssystem nicht vergleichbar. 

Die Klägerin hat am 7. März 2022 Klage zum Sozialgericht Wiesbaden erhoben, mit der sie ihr Begehren weiterverfolgt hat. 

Mit Urteil vom 30. März 2023 hat das Sozialgericht die Bescheide der Beklagten vom 25. Oktober 2021, vom 5. Januar 2022 und 6. Januar 2022 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 9. Februar 2022 aufgehoben, soweit der Beitrag der Klägerin zur gesetzlichen Krankenversicherung und der Zusatzbeitrag über dem Beitragssatz nach § 247 S. 2 SGB V festgesetzt worden ist, und hat die Beklagte weiter verurteilt, den Bescheid vom 26. Februar 2021 zurückzunehmen, soweit ein Beitrag zur gesetzlichen Krankenversicherung und ein Zusatzbeitrag über dem Beitragssatz nach § 247 S. 2 SGB V festgesetzt worden ist. Statthafte Klageart sei die Anfechtungsklage, soweit die Beiträge der Klägerin ab dem 1. November 2021 betroffen seien, und die kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage, soweit die zeitlich zuvor zu entrichtenden Beiträge der Klägerin betroffen seien. Denn in der E-Mail des Ehegatten der Klägerin vom 4. März 2021, mit welcher dieser für die Klägerin die Verbeitragung nach § 247 S. 2 SGG beantragt habe, könne kein wirksamer Widerspruch gegen den Bescheid der Beklagten vom 26. Februar 2021 gesehen werden, da die E-Mail jedenfalls nicht der vorgeschriebenen Form nach § 84 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entsprochen habe (Hinweis auf Hessisches Landessozialgericht, Beschluss vom 11. Juli 2007 – L 9 AS 161/07). Die E-Mail sei daher als Überprüfungsantrag nach § 44 Sozialgesetzbuch – Zehntes Buch – (SGB X) zu werten, welchen die Beklagte mit dem Bescheid vom 25. Oktober 2021 abgelehnt habe.  

Die Klage habe auch Erfolg. Die Verbeitragung der Rente der Klägerin über dem Satz nach § 247 S. 2 Sozialgesetzbuch - Fünftes Buch - (SGB V) sei rechtswidrig. Nach § 227 SGB V gelte für die nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V Versicherungspflichtigen § 240 SGB V entsprechend, wonach nach § 240 Abs. 1 SGB V bei freiwilligen Mitgliedern die Beitragsbemessung einheitlich durch den GKV-Spitzenverband geregelt werde. Diese fänden in den Einheitlichen Grundsätzen zur Beitragsbemessung freiwilliger Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung und weiterer Mitgliedergruppen sowie zur Zahlung und Fälligkeit der von Mitgliedern selbst zu entrichtenden Beiträge (Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler – BeitrVerfGrsSz) ihren Niederschlag. Nach § 240 Abs. 2 S. 5 SGB V finde darüber hinaus § 247 S. 1 und 2 SGB V Anwendung. Nach § 247 S. 1 und 2 SGB V gelte: Für Versicherungspflichtige findet für die Bemessung der Beiträge aus Renten der gesetzlichen Rentenversicherung der allgemeine Beitragssatz nach § 241 Anwendung. Abweichend von Satz 1 gelte bei Versicherungspflichtigen für die Bemessung der Beiträge aus ausländischen Renten nach § 228 Absatz 1 Satz 2 die Hälfte des allgemeinen Beitragssatzes und abweichend von § 242 Absatz 1 Satz 2 die Hälfte des kassenindividuellen Zusatzbeitragssatzes. Nach § 228 Abs. 1 S. 1, 2 SGB V gelte: Als Rente der gesetzlichen Rentenversicherung gelten Renten der allgemeinen Rentenversicherung sowie Renten der knappschaftlichen Rentenversicherung einschließlich der Steigerungsbeträge aus Beiträgen der Höherversicherung. Satz 1 gelte auch, wenn vergleichbare Renten aus dem Ausland bezogen werden.

Maßgeblich für den bei der Klägerin anzuwenden Beitragssatz sei daher, ob bei ihr eine Rente im Sinne des § 228 Abs. 1 S. 2 SGB V vorliege. Vergleichbarkeit sei zu bejahen, wenn die ausländische Leistung in ihrem „Kerngehalt“ den gemeinsamen und typischen Merkmalen der inländischen Leistung entspreche (Hinweis auf Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 30. November 2016 – B 12 KR 22/14 R m.w.N.). Im Kontext der Vergleichbarkeit von Altersrenten sei eine rechtsvergleichende Qualifizierung von Funktion und Struktur der bezogenen Sozialleistung geboten. Da eine völlige Identität der Leistungsmerkmale in- und ausländischer Renten kaum denkbar sei, liege Vergleichbarkeit vor, wenn die ausländische Leistung in ihrem „Kerngehalt“ den anhand der Essentialia der nationalen Norm bemessenen typischen Merkmalen der inländischen Leistung entspreche, d.h. nach Motivation und Funktion gleichwertig sei. Vergleichbarkeit mit einer deutschen Altersrente komme insbesondere dann in Betracht, wenn die ausländische Leistung an das Erreichen einer bestimmten Altersgrenze anknüpfe und Lohn-/Entgeltersatz nach einer im Allgemeinen den Lebensunterhalt sicherstellenden Gesamtkonzeption darstelle (Hinweis auf BSG, Urteil vom 23. Februar 2021 – B 12 KR 32/19 R m.w.N.).

Nach Art. 40 Brasilianische Verfassung (BV) handele es sich bei dem RPPS um ein beitragsorientiertes solidarisches Sozialversicherungssystem, welches mit Beiträgen des jeweiligen öffentlich-rechtlichen Arbeitgebers, der aktiven und inaktiven Beschäftigten sowie der Bezieher von Hinterbliebenenrenten finanziert werde. Nach den für die Klägerin geltenden Voraussetzungen der Nr. 20 Verfassungsänderung von 1998 - nach Art. 3. idF der Nr. 47 der Verfassungsänderung von 2005 und Art. 7 idF Nr. 41 der Verfassungsänderung von 2003 – sei die Voraussetzung für die Berentung ein Lebensalter von 55 Jahren bei Frauen, 30 Beitragsjahren, 10 Jahren im aktiven öffentlichen Dienst und 5 Jahren im letzten Amt vor Eintritt in den Ruhestand. Von der Klägerin sei dabei zu Zeiten ihres aktiven Dienstes ein Beitrag in Höhe von 10,3 % ihres Bruttogehalts an das Sozialsystem abzuführen gewesen. In der Höhe liege die ausgezahlte Rente mit 14.255 Brasilianische Real (BRL) ca. 700 BRL unterhalb des letzten Bruttogehalts der Klägerin, wobei auch auf die Rente Beiträge zum RPPS zu entrichten seien. Konzeptionell handele es sich bei dem RPPS demnach um eine durch Arbeitgeber, Beschäftigte und Leistungsempfänger verpflichtend finanzierte Leistung zur Absicherung im Alter. Der Höhe nach entspreche die Leistung im Wesentlichen dem Entgelt in der Zeit der Erwerbstätigkeit, weshalb die Rente auch nach ihrer Konzeption den Lebensunterhalt im Alter sichern solle. Bereits anhand dieser Bestimmung sei keine Vergleichbarkeit mit der deutschen Beamtenversorgung oder einer betrieblichen Altersvorsorge zu erkennen. Allein die Tatsache, dass es sich bei dem RPPS um ein Sondersystem handele, das öffentliche Bedienstete betreffe, reiche insoweit nicht aus. Dies zeige sich bereits dadurch, dass das RPPS nicht exklusiv zur Anwendung komme, sondern auch die Möglichkeit der Versorgung im Regime General de Previdencia Social (RGPS) bestehe, sofern der jeweilige öffentliche Arbeitgeber keine eigene Versorgung sicherstelle. Es sei insoweit weder Identität noch Kongruenz, sondern eine Vergleichbarkeit mit der gesetzlichen Rentenversicherung gefordert. Darüber hinaus sei zu beachten, dass das Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Föderativen Republik Brasilien über Soziale Sicherheit vom 3. Dezember 2009 (BGBl. 2010 II S. 918, 920 - SozSichAbk BRA) in Art. 2 Abs. 1 b) ii iVm Art. 11 Abs. 1 eine Regelung getroffen habe, wonach Versicherungszeiten im RPPS auch auf den Anspruch in der gesetzlichen Rentenversicherung anrechenbar seien. Dabei sei grundsätzlich zu beachten, dass eine Verletzung der Gegenseitigkeit zu befürchten wäre, wenn eine Einstufung von Rentenleistungen als Versorgungsbezügen vorgenommen würde, obwohl das Abkommen von einer Rente ausgehe (vgl. BSG, Urteil vom 30. November 2016 – B 12 KR 3/15 R). Demnach sei in der Gesamtschau vorliegend von einer Rente nach § 228 Abs. 1 S. 2 SGB V auszugehen. 

Gegen das am 12. Juni 2023 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 10. Juli 2023 Berufung eingelegt. 

Sie führt unter nochmaligem Hinweis auf die Stellungnahme der DVKA und der DRV Nordbayern aus, der Auffassung der erstinstanzlichen Entscheidung sei entgegenzutreten. Unstreitig existierten in Brasilien zwei unterschiedliche Rentenversicherungssysteme für die Beschäftigten der Privatwirtschaft (RGPS) und für die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes (RPPS). Die Klägerin sei über das RPPS versichert und beziehe eine Rente aus dem Sozialversicherungssystem für Beschäftigte im öffentlichen Dienst. Dieses Sondersystem gehe auf das Versorgungsprinzip zurück, mit dem der öffentlich Bedienstete das Recht auf Versorgung im Alter durch seine Anbindung an das Gemeinwesen erwerbe, auch wenn Beiträge für ihn gezahlt würden. Dies sei mit dem von Arbeitnehmern und Arbeitgebern gleicherweise beitragsfinanzierten, an einem privatrechtlichen Beschäftigungsverhältnis orientierten deutschen Rentenversicherungssystem nicht vergleichbar. 

Die Beklagte beantragt, 
das Urteil des Sozialgerichts Wiesbaden vom 30. März 2023 aufzuheben und die Klage abzuweisen. 

Die Klägerin beantragt, 
die Berufung zurückzuweisen. 

Sie verteidigt das Urteil des Sozialgerichts, mit dem sich die Beklagte in keiner Weise auseinandersetze. Die Beklagte nehme nach wie vor nicht zur Kenntnis, dass das Sondersystem, auf welches sie hier poche, nicht einmal für alle Beschäftigten im öffentlichen Dienst Anwendung finde, sondern nur für solche Bezirke, in denen die jeweilige Behörde ein solches System eingerichtet habe. Bei Beschäftigungswechsel in andere Regionen finde ein nahtloser Übergang in das allgemeine System unter Fortführung des Aufbaus von Anwartschaftsrechten im allgemeinen System statt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte der Beklagten, der Gegenstand der Entscheidung des Senats war, Bezug genommen. Die Beteiligten haben einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.


Entscheidungsgründe

Im Einverständnis der Beteiligten entscheidet der Senat über die Berufung ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG). 

Die Berufung der Beklagten ist zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg. Das Urteil des Sozialgerichts ist in vollem Umfang zu bestätigen. Es hat ausführlich und mit überzeugender Begründung dargelegt, dass es sich bei den Zahlungen des Sozialversicherungssystems für Beschäftigte im öffentlichen Dienst (RPPS) um eine Leistung handelt, die iSv § 228 Abs. 1 S. 2 SGB V als „vergleichbare Rente aus dem Ausland“ anzusehen ist. Der Senat nimmt auf diese Darlegungen zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug (§ 153 Abs. 2 SGG). Ergänzend ist lediglich auszuführen:

Bei den Zahlungen aus dem brasilianischen Sondersystem für die Bediensteten im öffentlichen Dienst (RPPS) handelt es sich nicht um „Versorgungsbezüge aus einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis oder aus einem Arbeitsverhältnis mit Anspruch auf Versorgung nach beamtenrechtlichen Vorschriften oder Grundsätzen“ im Sinne von § 229 Abs. 1 Nr. 1 SGB V. Gemeint sind hier Versorgungsbezüge im engeren Sinne, welche etwa an Beamte, Richter und Soldaten sowie ihre Hinterbliebenen nach den maßgeblichen Versorgungsgesetzen geleistet werden sowie Bezüge, die den bei öffentlich-rechtlichen Körperschaften in einem (privatrechtlichen) Arbeitsverhältnis stehenden Beschäftigten auf der Grundlage beamtenrechtlicher Vorschriften geleistet werden (Geistliche, bestimmte Lehrer, DO-Angestellte; vgl. Klaus Peters in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 4. Aufl., § 229 SGB V, Rn. 30). Kennzeichnend für einen solchen Versorgungsbezug ist, dass er nicht auf einer vorherigen Beitragszahlung beruht, sondern an den innegehabten Rang und die Länge einer vorangegangenen Diensttätigkeit anknüpft (vgl. für die "Armed Forces Pension" aufgrund einer Diensttätigkeit in der britischen Armee Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 23. November 2023 – L 5 KR 785/22 –, juris). An diesen Merkmalen fehlt es bei den Rentenzahlungen aus dem RPPS. Insoweit ist ergänzend zu den Darlegungen des Sozialgerichts auf die Bescheinigung des 16. Regionalen Arbeitsgerichts Brasilien vom 5. Juli 2021 hinzuweisen, wonach es sich beim dem RPPS um ein staatliches Sozialversicherungssystem mit Pflichtbeiträgen handelt, welches den Beschäftigten im Öffentlichen Dienst des Bundes die Teilnahme an einem beitragsorientierten und solidarischen Sozialversicherungssystem gewährleistet, welches mit den Beiträgen des öffentlich rechtlichen Arbeitgebers und der aktiven Beschäftigten unter Beachtung des finanz- und versicherungsmathematischen Gleichgewichts finanziert wird. 

Bei dem RPPS handelt es sich auch nicht im Sinne von § 229 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 SGB um eine Versicherungs- oder Versorgungseinrichtung, die für Angehörige bestimmter Berufe errichtet wurde. Hierunter fallen nach der Vorstellung des Gesetzgebers im Wesentlichen die mitgliedschaftlich organisierten öffentlich-rechtlichen Versicherungs- und Versorgungseinrichtungen der kammerfähigen freien Berufe (BT-Drucks 9/458 S. 35), also Architekten, Notare, Ärzte usw. (BSG, Urteil vom 30. März 1995 – 12 RK 40/94 –, juris Rn. 20; Urteil vom 22. April 1986 – 12 RK 50/84 –, Rn. 11). Die RPPS ist in diesem Sinne keine durch Statut errichtete Versicherungs- oder Versorgungseinrichtung für „bestimmte Berufe“, sondern ein unmittelbar auf der Verfassungsnorm des Art. 40 BV beruhendes, allgemeines Rentenversicherungssystem für alle Beschäftigten des Öffentlichen Dienstes in Brasilien. 

Die Rente aus dem RPPS ist schließlich keine Rente der betrieblichen Altersversorgung im Sinne von § 229 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 SGB V. Bei der betrieblichen Altersversorgung handelt es sich typischerweise um ein Zusatzsystem. Sie steht im deutschen Recht als sog "Zweite Säule" neben den gesetzlichen Versorgungssystemen (Gesetzliche Rentenversicherung oder berufsständische Versorgung) und der privaten Vorsorge. Ihre finanziellen Leistungen beruhen weder auf einer öffentlich-rechtlichen Pflichtmitgliedschaft noch auf einer rein privat organisierten Versicherungsform. Vielmehr steht die Zugehörigkeit zu dem Versorgungssystem der betrieblichen Altersversorgung im Zusammenhang mit einer Erwerbstätigkeit. Ausländische Renten sind mit einer deutschen Rente der betrieblichen Altersversorgung im Sinne von § 229 Abs. 1 Satz 1 Nr 5, Satz 2 SGB V dann vergleichbar, wenn sie nicht auf einer öffentlich-rechtlichen Pflichtzugehörigkeit, sondern auf einer vom Arbeitgeber aus Anlass eines Arbeitsverhältnisses nach Maßgabe einer einzel- oder kollektivvertraglichen Grundlage (mit-)organisierten Altersversorgung beruhen (BSG, Urteil vom 23. Februar 2021 – B 12 KR 32/19 R – Rn. 21). Daran fehlt es beim RPPS als paritätisch finanzierter Sozialversicherung, welche alle Beschäftigten des Öffentlichen Dienstes als Pflichtmitglieder erfasst, deren Regeln gesetzlich festgelegt sind und deren Leistungen alle Strukturmerkmale einer staatlichen gesetzlichen Rente erfüllen. 

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor. 
 

Rechtskraft
Aus
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