L 11 KR 878/23

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11.
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 5 KR 66/21
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 KR 878/23
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 02.03.2023 wird zurückwiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch in der Berufungsinstanz nicht zu erstatten.



Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist die Versorgung mit einer zum Skifahren geeigneten Sportprothese streitig.

Der 1984 geborene, bei der Beklagten versicherte Kläger erlitt bei einem Motorradunfall im Mai 2016 schwere Verletzungen des linken Fußes, sodass in der Folge eine distale Unterschenkelamputation durchgeführt werden musste. Im März 2017 wurde der Kläger zu Lasten der Beklagten mit einer Alltagsprothese versorgt.

Am 18.03.2020 erhielt die Beklagte über das Sanitätshaus G1 einen Antrag auf Kostenübernahme für eine Sportprothese zum Skifahren. Es wurden eine entsprechende Verordnung des H1 vom 02.03.2020, ein Kostenvoranschlag vom 18.03.2020 für die Anfertigung einer individuell angepassten Skiprothese in Höhe von 11.277,19 € und eine Bescheinigung der Skischule 2 vom 16.03.2020 vorgelegt, in der ausgeführt wurde, dass der Kläger seit mehr als zehn Jahren als pädagogischer Betreuer und Übungsleiter im Bereich des alpinen Skisports ehrenamtlich tätig sei. Zum Erhalt seiner Übungsleiterlizenz müsse er regelmäßige Fortbildungen besuchen.

Mit Bescheid vom 24.03.2020 lehnte die Beklagte den Antrag ab und führte zur Begründung aus, der Kläger sei bereits mit einer Tagorthese mit einem sehr hochwertigen Fuß versorgt, die auch sportliche Aktivitäten erlaube. Die gesetzliche Krankenversicherung sei nicht verpflichtet, Mehrversorgungen aufgrund hoher sportlicher Freizeitaktivitäten zu leisten, da sie das Maß des Notwendigen überstiegen und somit dem Wirtschaftlichkeitsgebot entgegenstünden.

Dagegen erhob der Kläger Widerspruch und machte geltend, er benötige die Prothese für Aktivitäten mit höherer Mobilität, für den Freizeitsport und zur Ausübung seines Ehrenamtes als Skilehrer. Im Vordergrund des Behinderungsbegriffes im Sinne des § 2 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) stünden das Ziel der Teilhabe, die Stärkung individueller Möglichkeiten und der individuelle Bedarf. Die speziellen Gegebenheiten und die individuellen Alltagsbedürfnisse des Betroffenen müssten berücksichtigt werden. Eine Kosten-Nutzen-Abwägung sei nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) nicht anzustellen. Die Wirtschaftlichkeit eines erforderlichen Hilfsmittels sei zu unterstellen und erst zu prüfen, wenn zwei gleichwertige, aber unterschiedlich teure Hilfsmittel zur Wahl stünden, was vorliegend nicht der Fall sei. Da die Beklagte den Antrag nicht an einen anderen Träger weitergeleitet habe, sei sie zudem unter Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Rechtsgrundlagen zuständig. Vorliegend kämen Leistungen zur Teilhabe in Betracht.

Auf Anfrage der Beklagten, ob die bereits vorhandene Prothese zum Skifahren geeignet sei, teilte das Sanitätshaus S1 mit Schreiben vom 02.09.2020 mit, dass dies nicht empfehlenswert sei. Da die vorhandene Prothese nicht über eine Oberschenkelhülse mit Gelenkschienen verfüge, könne es zu langfristigen Schäden am Kniegelenk kommen. Zudem biete die Alltagsprothese nicht genug Stabilität, um die beim Skifahren entstehenden Kräfte zu kompensieren, sodass die Anbindung vom Stumpf zur Prothese verloren gehen könne.

Im Rahmen eines Amtshilfeersuchens bat die Beklagte zudem das Sozial- und Versorgungsamt des Landkreises H2 um Stellungnahme. Dieses teilte mit Schreiben vom 19.10.2020 mit, dass die prothetische Versorgung für mehrere Lebensbereiche zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung gehöre. Im Einzelfall sei eine zusätzliche Sportprothese zu gewähren. Die Krankenkasse sei der vorrangig zuständige Leistungsträger, sodass eine Leistungspflicht von Seiten der Eingliederungshilfe nicht bestehe.

Mit Widerspruchsbescheid vom 10.12.2020 wies die Widerspruchsstelle der Beklagten den Widerspruch des Klägers mit der Begründung zurück, die bereits vorhandene Alltagsprothese ermögliche sportliche Betätigungen im nennenswerten Umfang. Der darüberhinausgehende Zusatznutzen der beantragten Versorgung mit einer Sportprothese ziele auf sportliche Betätigungen in der Freizeit ab und nicht auf die Sicherstellung eines Grundbedürfnisses des täglichen Lebens. Bei der Prothesenversorgung gehe es zwar um den unmittelbaren Behinderungsausgleich, sodass das Gebot eines möglichst weitgehenden Ausgleichs des Funktionsdefizits gelte. Gleichwohl sei auch das Wirtschaftlichkeitsgebot zu beachten. Danach bestehe im Einzelfall ein Anspruch auf eine ausreichende zweckmäßige und wirtschaftliche Hilfsmittelversorgung, nicht jedoch auf eine Optimalversorgung. Ein Anspruch auf ein teureres Hilfsmittel bestehe nicht, soweit die kostengünstigere Versorgung für den angestrebten Nachteilsausgleich funktionell in gleicher Weise geeignet sei. Die Versorgung mit einer zusätzlichen Sportprothese übersteige das Maß des Notwendigen. Auch ein Anspruch im Rahmen der Eingliederungshilfe bestehe nach Auskunft des zuständigen Trägers nicht.

Hiergegen hat der Kläger am 06.01.2021 Klage beim Sozialgericht Heilbronn (SG) erhoben und seinen bisherigen Vortrag dahingehend ergänzt, Prothesen seien für verschiedene Lebensbereiche, u.a. zur Sportausübung, zur Verfügung zu stellen. Er benötige die streitige Prothese nicht nur zur Ausübung seines Ehrenamtes, sondern auch für andere Lebensbereiche mit höherer Aktivität und für den Freizeitsport. Wenn Badeprothesen nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung zum Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenversicherung gehörten, müsse dies auch für Sportprothesen gelten. Der individuelle Wunsch des Versicherten sei insoweit zu berücksichtigen. Zur Prüfung eines etwaigen Anspruchs auf Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem SGB IX legt der Kläger diverse Nachweise zu seinem Einkommen vor. Bzgl. seines Vermögens hat der Kläger mitgeteilt, davon auszugehen, die maßgebliche Vermögensgrenze überschritten zu haben.

Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten, hat auf den Inhalt der angefochtenen Bescheide verwiesen sowie weiter betont, die gesetzliche Krankenversicherung sei nur für den Basisausgleich der Folgen der Behinderung eintrittspflichtig. Es gehe nicht um einen Ausgleich im Sinne des vollständigen Gleichziehens mit den letztlich unbegrenzten Möglichkeiten eines gesunden Menschen, sondern um die möglichst weitgehende Wiederherstellung der Gesundheit und der Organfunktionen, um ein selbstständiges Leben führen und die Anforderungen des Alltags meistern zu können. Die streitige Skiprothese werde zur sozialen Teilhabe am Freizeitsport sowie zur Ausübung seiner Tätigkeit als ehrenamtlicher Skilehrer begehrt. Hierfür sei auf die Zuständigkeit der Eingliederungshilfe zu verweisen.

Mit Beschluss vom 20.04.2021 hat das SG den Landkreis H2 (Sozial- und Versorgungsamt) beigeladen. Der Beigeladene hat sich den Ausführungen des Klägers angeschlossen. Die Krankenkasse müsse prothetische Versorgungen für mehrere verschiedene Lebensbereiche bewilligen, um einem beinamputierten Menschen die Teilhabe zu ermöglichen, so auch im Sportbereich; individuelle persönliche Wünsche und Lebensgestaltungen seien zu berücksichtigen. Auch das Ehrenamt sei durch Hilfsmittelversorgung seitens der Krankenkassen zu fördern. Da die Beklagte den Antrag nicht an den Beigeladenen weitergeleitet habe, sei sie jedenfalls auch für Leistungen zur sozialen Teilhabe im Rahmen der Eingliederungshilfe nach dem SGB IX zuständig geworden.

Das SG hat Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens des F1. Dieser hat in seinem Gutachten vom 22.06.2021 ausgeführt, bei dem Kläger liege ein langer Stumpf mit distal geringer Weichteildeckung vor. Der Kläger beklage Phantomschmerzen und ein sehr empfindliches Stumpfende. Die vorhandene Prothese sei aktuell zu weit, sodass die Weite über mehrere Stumpfstrümpfe reguliert werden müsse. Die Kniekappe, die das Vakuum im Schaft herstelle und damit für einen sicheren Sitz der Prothese sorge, sei verschlissen und funktionslos. Dadurch bestehe eine erhebliche Unfallgefahr. Mit diesen Mängeln biete die vorhandene Prothese aktuell auch im alltäglichen Bereich keinen Ausgleich des Funktionsdefizits. Der Kläger betreibe neben dem Skifahren Krafttraining und Schwimmen. Grundsätzlich sei mit der Alltagsprothese die Ausübung von Krafttraining möglich. Zum Schwimmen sei grundsätzlich keine Prothese erforderlich. Aus Sicherheitsgründen komme jedoch eine Prothese für den Nassbereich in Betracht. Für das Skifahren sei die Alltagsprothese ungeeignet. Die Steuerung der Ski sei aufgrund der Bewegung zwischen Schaft und Stumpf generell nicht sicher möglich. Das Problem werde im vorliegenden Fall durch den zu weiten Schaft verstärkt. Zudem wirkten große Hebelkräfte auf das empfindliche Stumpfende, was dort Schmerzen verursache. Weiter könne es an der Oberkante des Prothesenschaftes bei einem Sturz zu einer Oberschenkelfraktur kommen. Für das Skifahren müsse die Prothese mit einem Oberschaft mit Gelenkschienen zur Verbindung mit dem Unterschenkelschaft ausgestattet sein. Eine solche Prothese könne auch zur temporären Entlastung des Stumpfes bei erhöhter Belastung (z.B. durch Sport, Wanderungen oder Gartenarbeit) eingesetzt werden. Eine günstigere Alternative zur beantragten Prothese bestehe nicht.

Das SG hat die Klage mit Urteil vom 02.03.2023 abgewiesen. Der Kläger habe gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Versorgung mit einer zum Skifahren geeigneten Sportprothese, auch wenn die Beklagte grundsätzlich als erstangegangener Rehabilitationsträger für die Versorgung des Klägers nach allen in Betracht kommenden Rehabilitationsvorschriften zuständig geworden sei, da sie den Antrag nicht an einen anderen Träger weitergeleitet habe. Zum Anspruch auf Krankenbehandlung gehöre gemäß § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) auch die Versorgung mit Hilfsmitteln. Versicherte hätten gemäß § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V Anspruch auf Versorgung mit Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich seien, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs. 4 SGB V ausgeschlossen seien. Eine zum Skifahren geeignete Sportprothese sei jedoch zur Überzeugung der Kammer nicht zum Behinderungsausgleich im Sinne des § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V erforderlich. Auf das normale Gehen, Stehen und Treppensteigen ausgelegte Beinprothesen seien Körperersatzstücke gemäß § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V. Sie dienten dem unmittelbaren Ersatz des fehlenden Körperteils und dessen ausgefallener Funktion. Bei einer Beinprothese gehe es um das Grundbedürfnis auf möglichst sicheres, gefahrloses Gehen und Stehen, wie es bei nicht behinderten Menschen durch die Funktion der Beine gewährleistet sei. Diese Funktion müsse in möglichst weitgehender Weise ausgeglichen werden, und zwar unter Berücksichtigung des aktuellen Stands des medizinischen und technischen Fortschritts. Dabei könne die Versorgung mit einem fortschrittlichen, technisch weiterentwickelten Hilfsmittel nicht mit der Begründung abgelehnt werden, der bisher erreichte Versorgungsstandard sei ausreichend, solange ein Ausgleich der Behinderung nicht vollständig im Sinne des Gleichziehens mit einem nicht behinderten Menschen erreicht sei. Allerdings bestehe nur Anspruch auf die im Einzelfall ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Hilfsmittelversorgung, nicht jedoch ein Anspruch auf Optimalversorgung. Etwaige Gebrauchsvorteile einer Sportprothese dienten nicht der Bewältigung von Mobilitätserfordernissen, sondern kämen bei bestimmten sportlichen Aktivitäten, im Falle des Klägers beim Skifahren, zum Tragen. Andere Sportarten, wie z.B. Krafttraining, seien dem Kläger auch mit seiner vorhandenen Prothese möglich, was auch vom Sachverständigen F1 bestätigt werde. Da somit bereits die vorhandene Prothese sportliche Betätigung in nennenswertem Umfang ermögliche, seien die Gebrauchsvorteile der Sportprothese nicht wesentlich. Gleiches gelte für die Ausübung eines Ehrenamtes. Generell seien zahlreiche ehrenamtliche Tätigkeiten auch mit einer Alltagsprothese möglich. Der Gebrauchsvorteil einer Sportprothese betreffe eine sehr enge Auswahl ehrenamtlicher Tätigkeiten und sei somit auch insoweit nicht als wesentlich anzusehen. Soweit der Kläger geltend mache, dass für Sportprothesen dieselben Überlegungen zu gelten hätten wie für Badeprothesen, sei darauf hinzuweisen, dass eine Alltagsprothese u.a. aus Sicherheitsgründen nicht in Nassbereichen zu verwenden sei und dieser Gebrauchsnachteil durch eine zusätzliche Ausstattung mit einer Badeprothese kompensiert werde. Die Alltagsprothese und die Badeprothese ergänzten sich somit in ihren Funktionen und könnten daher nebeneinander beansprucht werden. Die Sportprothese gleiche hingegen nicht ein Funktionsdefizit der Alltagsprothese im Alltagsgebrauch aus, wie es bei der Badeprothese in Nassbereichen der Fall sei. Dass eine Sportprothese nach den Ausführungen des Sachverständigen F1 nicht nur zum Skifahren, sondern grundsätzlich auch bei anderen Aktivitäten mit erhöhter Belastung verwendet werden könne (z.B. Wanderungen oder Gartenarbeit), sei unerheblich, da solche Aktivitäten ohne Weiteres auch mit der Alltagsprothese möglich seien. Vorauszusetzen sei gewiss eine volle Funktionstüchtigkeit der Alltagsprothese, die im Falle des Klägers nach den Feststellungen des Sachverständigen F1 zum Begutachtungszeitpunkt nicht gegeben gewesen sei. Insoweit habe die Beklagte - soweit noch nicht geschehen - eine Ersatzversorgung zu prüfen. Ein Anspruch auf Versorgung mit einer Sportprothese ergebe sich hieraus jedoch nicht. Auch unter Berücksichtigung des Umstands, dass der Gesetzgeber mit dem seit 01.01.2018 geltenden Bundsteilhabegesetz den Behinderungsbegriff in § 2 SGB IX ausdrücklich entsprechend dem Verständnis der UN-Behindertenrechtskonvention neu gefasst habe, ergebe sich kein anderes Ergebnis. Diesbezüglich führe das BSG in dem klägerseits zitierten Urteil vom 08.08.2019 (B 3 KR 21/18 R) aus, dass im Vordergrund das Ziel der Teilhabe (Partizipation) an den verschiedenen Lebensbereichen sowie die Stärkung der Möglichkeiten einer individuellen und den persönlichen Wünschen entsprechenden Lebensplanung und -gestaltung unter Berücksichtigung des Sozialraumes stehe. Das BSG stelle jedoch - in Fortführung seiner ständigen Rechtsprechung - fest, dass die gesetzliche Krankenversicherung nicht jegliche Folgen von Behinderung in allen Lebensbereichen - etwa im Hinblick auf spezielle Sport- oder Freizeitinteressen - durch Hilfsmittel auszugleichen habe. Im Hinblick auf das Ehrenamt des Klägers als Skilehrer komme zwar grundsätzlich ein Anspruch auf Leistungen zur Sozialen Teilhabe im Rahmen der Eingliederungshilfe nach §§ 90 ff. SGB IX in Betracht, zu denen gemäß §§ 102 Abs. 1 Nr. 4, 113 Abs. 2 Nr. 8 SGB IX auch Hilfsmittel gehören können. Der Anspruch sei jedoch gemäß §§ 135 ff. SGB IX einkommens- und vermögensabhängig. Der Kläger habe in der Annahme, dass sein Vermögen die maßgeblichen Vermögensgrenzen übersteige, keine Angaben hierzu gemacht, sodass die Hilfebedürftigkeit nicht festgestellt werden könne.

Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner am 19.03.2023 beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg erhobenen Berufung. Er benötige die streitige Prothese für Lebensbereiche mit höherer Aktivität, für den Freizeitsport als auch zur Ausübung seines Ehrenamtes. Soweit das BSG entschieden habe, dass Prothesen für verschiedene Lebensbereiche zur Verfügung gestellt werden müssten, sei es nur konsequent, die Versicherten nicht nur mit einer Schwimmprothese für den Nassbereich, sondern auch mit einer Sportprothese auszustatten. Hierbei sei es unabhängig, ob die Prothese für eine spezielle Sportart verwandt werde oder zur allgemeinen Sportausübung diene. Mit der Neufassung des Behinderungsbegriffs in § 2 SGB IX stehe nunmehr das Ziel der Teilhabe an verschiedenen Lebensbereichen im Vordergrund sowie die Stärkung der Möglichkeiten einer individuellen und den persönlichen Wünschen entsprechenden Lebensplanung und -gestaltung unter Berücksichtigung des Sozialraumes. Das Wunsch- und Wahlrecht sei in § 6 SGB IX gesetzlich ausgestaltet. Versicherte müssten danach anstatt einer Bade- eine Sportprothese wählen können.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 02.03.2023 sowie den Bescheid der Beklagten vom 24.03.2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.12.2020 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihn mit einer zum Skifahren geeigneten Sportprothese zu versorgen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Berichterstatterin hat in dem Verfahren am 18.10.2023 einen Erörterungstermin mit den Beteiligten durchgeführt. Diesbezüglich wird auf das Protokoll auf Bl. 112/113 der Senatsakte verwiesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und die von der Beklagten vorgelegte Verwaltungsakte verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die Berufung des Klägers hat keinen Erfolg.

I. Die nach § 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig. Sie bedurfte insbesondere gemäß § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG nicht der Zulassung, da die Berufung die Versorgung mit einer Sachleistung in Höhe von 11.277,19 € und damit mehr als 750,00 € betrifft.

II. Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid der Beklagten vom 24.03.2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.12.2020, mit dem die Beklagte die Versorgung des Klägers mit einer zum Skifahren tauglichen Sportprothese ablehnte.

III. Die Berufung des Klägers ist unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Denn der Bescheid der Beklagten vom 24.03.2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.12.2020 erweist sich als rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Dieser hat keinen Anspruch auf Versorgung mit der begehrten Sportprothese, da diese zum Behinderungsausgleich nicht erforderlich ist. Das SG hat die rechtlichen Voraussetzungen der streitigen Hilfsmittelversorgung zutreffend und ausführlich dargelegt und im Einzelnen begründet, warum diese beim Kläger nicht vorliegen. Der Senat sieht von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab und weist die Berufung aus den Gründen des angefochtenen Gerichtsbescheids des SG als unbegründet zurück (§ 153 Abs. 2 SGG).

Lediglich ergänzend wird noch auf Folgendes hingewiesen:

Auf das normale Gehen, Stehen und Treppensteigen ausgelegte Beinprothesen sind Körperersatzstücke gemäß § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V. Sie dienen dem unmittelbaren Ersatz des fehlenden Körperteils und dessen ausgefallener Funktion. Sie sind auf den Ausgleich der Behinderung selbst gerichtet und dienen der medizinischen Rehabilitation, ohne dass zusätzlich die Erfüllung eines allgemeinen Grundbedürfnisses des täglichen Lebens zu prüfen ist, wie es bei Hilfsmitteln erforderlich wäre, die nur die direkten und indirekten Folgen einer Behinderung ausgleichen sollen. Dem liegt die Erwägung zu Grunde, dass sich der direkte Funktionsausgleich in allen Lebensbereichen auswirkt und damit ohne Weiteres auch Grundbedürfnisse betroffen sind, während bei einem mittelbaren Ausgleich besonders geprüft werden muss, in welchem Lebensbereich er sich auswirkt. Eine solche Differenzierung erleichtert damit die rechtliche Einordnung und den Begründungsaufwand, ändert aber nichts daran, dass auch nach neuem Recht des SGB IX die Förderung der Selbstbestimmung des behinderten Menschen und seiner gleichberechtigten Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft durch Versorgung mit Hilfsmitteln nur dann Aufgabe der gesetzlichen Krankenversicherung ist, wenn sie der Sicherstellung eines allgemeinen Grundbedürfnisses dient (BSG 06.06.2002, B 3 KR 68/01 R, juris Rn. 13). Bei einer Beinprothese geht es um das Grundbedürfnis auf möglichst sicheres, gefahrloses Gehen und Stehen, wie es bei nicht behinderten Menschen durch die Funktion der Beine gewährleistet ist. Diese Funktion muss in möglichst weitgehender Weise ausgeglichen werden (BSG 21.03.2013, B 3 KR 3/12 R, juris Rn. 15).

Dem Gegenstand nach besteht für den unmittelbaren ebenso wie für den mittelbaren Behinderungsausgleich ein Anspruch auf die im Einzelfall ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Hilfsmittelversorgung, nicht jedoch ein Anspruch auf Optimalversorgung. Deshalb besteht kein Anspruch auf ein teureres Hilfsmittel, soweit die kostengünstigere Versorgung für den angestrebten Nachteilsausgleich funktionell in gleicher Weise geeignet ist; andernfalls sind die Mehrkosten gemäß § 33 Abs. 1 Satz 5 SGB V (ebenso § 31 Abs. 3 SGB IX) von dem Versicherten selbst zu tragen. Die Krankenkassen haben auch nicht für solche „Innovationen“ aufzukommen, die keine wesentlichen Gebrauchsvorteile für den Versicherten bewirken, sondern sich auf einen bloß besseren Komfort im Gebrauch oder eine bessere Optik beschränken (BSG 21.03.2013, B 3 KR 3/12 R, juris Rn. 14).

Das BSG hat in seiner Entscheidung vom 21.03.2013 (B 3 KR 3/12 R, juris) bereits entschieden, dass ein Versorgungsanspruch nach § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V nicht besteht, weil die Sportprothese nur der sportlichen Betätigung in der Freizeit dient und damit ein Versorgungsziel verfolgt wird, für das die Krankenkassen nicht aufzukommen haben. Die Ermöglichung sportlicher Aktivitäten fällt grundsätzlich nur dann in die Leistungspflicht der GKV bei der Hilfsmittelversorgung, wenn es dabei zugleich um die Gewährleistung eines allgemeinen Grundbedürfnisses des täglichen Lebens geht, wie es z.B. bei der Teilnahme am Sportunterricht in der Schule im Rahmen der Schulpflicht (BSG 22.07.1981, 3 RK 56/80, juris - Sportbrille) oder bei der Integration von Kindern und Jugendlichen in den Kreis Gleichaltriger (BSG 16.04.1998, B 3 KR 9/97 R - Rollstuhl-Bike als Fahrradersatz) der Fall ist, oder wenn es sich um die Teilnahme am ärztlich verordneten Rehabilitationssport und Funktionstraining (§ 44 Abs. 1 Nr. 3 und 4 SGB IX) handelt. Die Förderung des Freizeitsports und des Vereinssports gehört hingegen nicht zu den Aufgaben der Krankenkassen bei der Hilfsmittelversorgung (BSG 18.05.2011, B 3 KR 10/10 R, juris - Sportrollstuhl zur Teilnahme am Rollstuhlbasketballspiel in einem Behindertensportverein; Bayerisches LSG 30.04.2019, L 4 KR 339/18, juris Rn. 42).

Auch wenn das BSG in seiner Entscheidung vom 25.06.2009 den Anspruch eines beinamputierten Versicherten, der bereits mit einer normalen Laufprothese ausgestattet, auf Versorgung mit einer süßwasserbeständigen Badeprothese bejahte (BSG 25.06.2009, B 3 KR 2/08 R, juris Rn. 17 ff., für eine salzwasserbeständige Badeprothese jedoch verneinte: BSG 25.06.2009, B 3 KR 10/08 R, juris Rn. 11 ff.), ging es hierbei nicht um die Ermöglichung einer bestimmten gesundheitsfördernden sportlichen Betätigung, nämlich das Schwimmen, sondern um die Befriedigung des Mobilitätsbedürfnisses in Nassbereichen und damit um die Erfüllung eines allgemeinen Grundbedürfnisses des täglichen Lebens (BSG 21.03.2013, B 3 KR 3/12 R, juris Rn. 16). Dies ist erforderlich zum Ausgleich des konstruktionsbedingten Nachteils einer normalen Beinprothese, welche durch den Kontakt mit Wasser Schaden nimmt.

Bei der hier geltend gemachten Versorgung mit einer zusätzlichen Sportprothese zur vorhandenen Alltagsprothese geht es jedoch nicht um den Ausgleich eines solchen Funktionsdefizits, sondern vielmehr um ein technisch verbessertes bzw. aufwändiger ausgestattetes Hilfsmittel. Es geht dabei um den besonderen Fall der qualifizierten Zweitversorgung bei Vorhandensein von zwei demselben Versorgungsziel dienenden Hilfsmitteln (BSG 21.03.2013, B 3 KR 3/12 R, juris Rn. 21, 23). Diese technische Verbesserung besteht vorliegend in der Ausstattung der Unterschenkelprothese mit einem Oberschaft mit Gelenkschienen zur Verbindung mit dem Unterschenkelschaft, um eine Steuerung der Ski zu ermöglichen, die ansonsten aufgrund der Bewegung zwischen Schaft und Stumpf nicht sicher möglich wäre, wie der F1 in seinem Gutachten vom 22.06.2021 ausgeführt hat. Diesen Gebrauchsvorteil im Vergleich zur normalen Laufprothese benötigt der Kläger jedoch nicht zur Bewältigung von Mobilitätserfordernissen im Alltag, sondern ausschließlich für den Freizeitsport, der ihm in einem erheblichen Maße auch schon durch die vorhandene Prothese ermöglicht wird. So bestätigte der F1 einen Ausgleich des bei ihm bestehenden Funktionsdefizits durch die vorhandene Alltagsprothese sowohl in seiner beruflichen Tätigkeit, bei welcher der Kläger vorwiegend auf Baustellen tätig ist, wo er mitunter viel und auch in unebenem Gelände gehen muss, als auch z.B. beim Krafttraining. Eine Verbesserung des Gangbilds oder eine Erhöhung der Sicherheit beim Gehen wird durch die begehrte Prothese jedoch nicht erreicht.

Entgegen der Auffassung des Klägers führt weder das in § 9 Abs. 1 Satz 1 und 2 SGB IX normierte Wunsch- und Wahlrecht des Behinderten, wonach bei der Entscheidung über die Leistungen und bei der Ausführung der Leistungen zur Teilhabe berechtigten Wünschen der Leistungsberechtigten entsprochen und auf die persönliche Lebenssituation, das Alter, das Geschlecht, die Familie sowie die religiösen und weltanschaulichen Bedürfnisse der Leistungsberechtigten Rücksicht genommen werden soll, noch die Neufassung des Behinderungsbegriffs in § 2 SGB IX zu einer Ausweitung des Leistungskatalogs der gesetzlichen Krankenversicherung (BSG 07.05.2013, B 1 KR 12/12 R, BSGE 113, 231-240, juris Rn. 19). 

Auch aus dem „Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen“ (UN-Konvention, seit dem 03.05.2008 in Kraft) können keine über § 33 SGB V hinausgehenden Leistungsansprüche hergeleitet werden (BSG 21.03.2013, B 3 KR 3/12 R, juris Rn. 24).

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aufgrund der vom Kläger ausgeübten ehrenamtlichen Tätigkeit als pädagogischer Betreuer und Übungsleiter im Bereich des alpinen Skisports. Die Beklagte ist nur zuständig für Maßnahmen, die bei der medizinischen Bekämpfung der Krankheit oder der Behinderung selbst ansetzen, nicht aber bei deren Folgen auf beruflichem, gesellschaftlichem oder privatem Gebiet; für derartige Bedürfnisse, die über die Befriedigung der genannten Grundbedürfnisse hinausgehen, sind ggf. andere Sozialleistungsträger zuständig (Hessisches LSG 07.07.2005, L 1 KR 5/04, juris Rn. 7; LSG Baden-Württemberg 26.07.2005, L 11 KR 729/05, juris Rn. 23).

Auch wenn gemäß § 11 Abs. 2 Satz 2 SGB XII die aktive Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft auch ein gesellschaftliches Engagement und damit auch die Ausübung einer ehrenamtlichen Tätigkeit umfasst (BSG 23.08.2013, B 8 SO 24/11 R, juris), so dass ein Anspruch auf Leistungen der sozialen Teilhabe im Rahmen der Eingliederungshilfe nach §§ 90 ff. SGB IX, zu denen gemäß §§ 102 Abs. 1 Nr. 4, 113 Abs. 2 Nr. 8 SGB IX auch Hilfsmittel gehören können, unter Umständen denkbar wäre, scheitert ein diesbezüglicher Anspruch jedenfalls an der vom Kläger mitgeteilten fehlenden Hilfebedürftigkeit, da dieser Anspruch gemäß §§ 135 ff. SGB IX einkommens- und vermögensabhängig ist. Ob ein solcher Anspruch dem Grunde nach gegeben wäre, kann der Senat daher dahinstehen lassen.

IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

V. Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.


 

Rechtskraft
Aus
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