Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin dem Grunde nach in vollem Umfang für die Untätigkeitsklage S 14 R 640/ 24
Gründe
Nach § 193 Abs. 1 Satz 1 und 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entscheidet das Gericht durch Beschluss, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben, wenn der Rechtsstreit - wie vorliegend - anders als durch Urteil beendet wird. Die Entscheidung ist unter Berücksichtigung des Sach- und Streitstandes zum Zeitpunkt der Erledigung nach sachgemäßem Ermessen zu treffen, wobei es in der Regel billig ist, dass derjenige die Kosten trägt, der unterliegt bzw. dessen Rechtsstreit auch vor Erledigung unter Berücksichtigung des bis dahin vorliegenden Sach- und Streitstandes keine Aussicht auf Erfolg gehabt hätte (Bundessozialgericht – BSG - Beschluss vom 13.12.2016 - B 4 AS 14/15 R, juris, Rn. 7 ,mwN; Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 14. Aufl. 2023, § 193 Rn. 12 a mwN). Allerdings sind bei der gerichtlichen Entscheidung neben den Erfolgsaussichten alle weiteren Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen, insbesondere die Gründe, die Anlass zur Klageerhebung i. S. des Veranlassungsprinzips gegeben haben (BSG Beschluss vom 16. 05.2007, B 7b AS 40/06 R, juris; Schmidt, in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, a. a. O., Rn. 12b ff.).
Hiernach entspricht es zur Überzeugung des Gerichts der Billigkeit, dass die Beklagte die erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin in vollständigem Umfang ( = zu 100%) dem Grunde nach trägt.
Handelt es sich bei dem erledigten Streitverfahren um eine Untätigkeitsklage gemäß § 88 SGG, so fallen die Kosten dann der Beklagtenseite zur Last, wenn der Kläger mit einer Bescheidung vor Klageerhebung rechnen durfte (vgl. Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, 14. Aufl. 2023, § 193 Rn. 13c). Dies gilt insbesondere dann, wenn innerhalb angemessener Frist kein Bescheid ergangen ist und für die Klägerseite aufgrund des Verhaltens der Beklagten nicht erkennbar ist, welche Gründe für die Verzögerung bestehen und ob in absehbarer Zeit eine Entscheidung getroffen wird (Spruchpraxis der erkennenden Kammer: SG Münster Beschlüsse vom 8. 7.2020 - S 14 R 396/20 sowie vom 26.04.2021 – S 14 R 29/21, jeweils nach juris , unveröffentlicht auch noch : Kammer-Beschluss vom 16.12.2022 – S 14 R 651/22, sämtlich rechtskräftig). Im Umkehrschluss muss bei Erledigung einer Untätigkeitsklage die Beklagtenseite die Kosten dann nicht erstatten, wenn es einen zureichenden Grund für Untätigkeit gab und dieses dem Kläger bzw. Klägerin mitgeteilt wurde bzw. dort bekannt war (vgl. SG Berlin Beschluss vom 25.09. 2020 – S 90 AY 58/20 –, juris Rn.4, mwN dazu auch Bespr. Gerloff, ASR 2020, 228).
In diesem Zusammenhang kann auch der Kooperation der Beteiligten untereinander im Vorfeld der Untätigkeitsklage entscheidungserhebliche Bedeutung zukommen (vgl. Hessisches Landessozialgericht - LSG - Beschluss vom 03.05.2006 – L 9 B16/06 SO, juris). Darüber hinaus misst die Rechtsprechung aber insbesondere auch dem Umstand Bedeutung zu, ob Ermittlungen z.B. zeitnah auf Eingang eines Widerspruchs ( im Falle des § 88 Abs. 2 SGG also) aufgenommen wurden (vgl. LSG NRW Beschluss vom 22.06.2007 – L 20 B 19/07 AY, zu weiteren Aspekten Schmidt in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,SGG,aaO. Rn. 13, abzulehnen: SG Duisburg Beschluss vom 18.01.2021 - S 10 R 706/20, juris, auch mit kritischer Bespr, Rieker, jurisPR-SozR 12/2021 vom 17.06.2021, Anm. 4.).
Unter Heranziehung der o.g. Grundsätze ist die volle Kostenerstattungspflicht der Beklagten dem Grunde nach hier gegeben. Die Verzögerung ist wie folgt erkennbar durch die Klägerbevollmächtigte in ihrer Untätigkeits-Klage vom 26.10.2024 umschrieben :
„Die Klägerin bezog Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit, welche bis zum 29.02.2024 befristet war und an diesem Datum endete. Die Klägerin erhielt diesbezüglich mit Schreiben vom 24.09.2023 eine Mitteilung der E. mit dem Hinweis, dass sie einen Antrag auf Weiterzahlung der Rente stellen möge, sofern sie sich weiterhin für erwerbsgemindert halte. Am 07.10.2023 sandte die Klägerin der Beklagten den Antrag auf Weiterzahlung einer Rente wegen Erwerbsminderung nebst Erläuterungen und Anlagen zu. Trotzdem der Beklagten aus den vorherigen Unterlagen die Schweigepflichtsentbindung für die Ärzte bereits vorlag, forderte diese erst über einen Monat (13.12.2023) nach Eingang des Antrages erneut eine Entbindung von der ärztlichen Schweigepflicht an. Die Entbindung von der Schweigepflicht wurde der Beklagten am 31.12.2023 ausgestellt und zugestellt.
Obwohl der Antrag der Klägerin bereits im Oktober 2023 einging und die Unterlagen zu den Erkrankungen und Operationen aufgrund der vorherigen Anträge vorlag, bearbeitete die Beklagte den Antrag nicht, sondern teilte mit Schreiben vom 21.02.2024 lediglich mit, dass der Antrag der Klägerin vorläge, aber eine Entscheidung bis zum 29.02.2024 nicht vorliege und daher die Zahlungen ab dem 29.02.2024 endeten. In Ermangelung der Anforderung weiterer Unterlagen und der offensichtlichen Tatsache, dass eine Besserung des gesundheitlichen Zustandes bei der Klägerin anhand der der Beklagten bereits vorliegenden Unterlagen nicht eintritt und eintreten kann, entschied die Beklagte trotz Kenntnis der bisherigen Sachlage nicht. Daher wurde die Beklagte erneut mit Schreiben vom 04.03.2024 aufgefordert, über den Antrag der Klägerin kurzfristig zu entscheiden, da die Klägerin sonst in Sozialhilfe falle und damit der Lebensunterhalt und die mtl. Verpflichtungen der Klägerin nicht gedeckt sind. Daraufhin teilte die Beklagte lediglich mit, dass die Entbindung von der Schweigepflicht erst im Januar ( 2024) eingereicht worden wäre und daher eine Entscheidung noch nicht vorliege. Auf den folgenden Schriftwechsel mit Schreiben vom 19.03.2024 , vom 10.04.2024 sowie vom 18.04.2024 erfolgte dann keinerlei Reaktion seitens der Beklagten mehr. Erst Ende Mai 2024 wurde der Klägerin mitgeteilt, dass sie ( die Beklagte..) eine erneute Begutachtung wünsche.
Weder wurde bis heute das Ergebnis der Begutachtung mitgeteilt noch ist seit Mai 2024 weitere fünf Monate später immer noch keine Entscheidung getroffen worden. Seit Antragstellung im Oktober 2023 und der Einreichung der Schweigepflichtsentbindung im Januar 2024, …, sind zwischenzeitlich 12 Monate vergangen, ohne dass die Beklagte willens ist, über den Antrag zu entscheiden.“
Soweit die Beklagte hingegen mit Schriftsatz vom 10.12.2024 ausführte, die Feststellung der medizinischen Voraussetzungen für den weiteren Rentenanspruch seien noch nicht abgeschlossen, führt dies auch zu keiner „Exkulpation“ für die dann bereits erkennbar sogar überjährige Bearbeitungsdauer. Die Beklagte schrieb am 10.12.2024 wörtlich Folgendes : „Die E. hat am 06.12.2023 ihre Medizinische Steuerstelle beauftragt die medizinischen Ermittlungen zum Weiterzahlungsantrag aufzunehmen. Hierbei wurde festgestellt, dass die Schweigepflichtsentbindung für die medizinischen Ermittlungen nicht unterschrieben war, so dass diese am 13.12.2023 von der Klägerin angefordert wurde. Nach Eingang der unterschriebenen Schweigepflichtsentbindung am 8.1.2024 hat die E. zunächst Befundberichte vom Klinikum K. (Eingang am 22.3.2024) und vom MVZ F. (Eingang am 22.3.2024) angefordert. Nach Auswertung der Unterlagen hielt die Abteilung Sozialmedizin noch eine ambulante orthopädische Begutachtung für erforderlich, welche am 21.5.2024 in Auftrag gegeben wurde. Die Untersuchung wurde am 12.9.2024 durch Dr. N. durchgeführt. Die Auswertung des am 7.10.2024 eingegangenen Gutachtens ergab, dass eine medizinische Rehabilitationsmaßnahme indiziert ist, so dass die E. der Klägerin am 06.11.2024 ein entsprechendes Angebot zur Durchführung einer Rehabilitationsmaßnahme unterbreitet hat. Eine Rückmeldung der Klägerin hierzu steht noch aus.“
Exemplarisch für die ohne rechtfertigenden Grund durch die Beklagte im Zeitrahmen von 6 Monaten ( § 88 Abs. 1 SGG) unterbliebene Entscheidung ist hingegen auf dem Zeitstrahl schon allein der Abstand vom Eingang der Befundberichte vom Klinikum K. am 22.3.2024 sowie vom MVZ F. ebenfalls am 22.3.2024, zum nachfolgenden Gutachtenauftrag durch die Abteilung Sozialmedizin am 21.5.2024, wobei dann schließlich das orthopädische Gutachten von Dr. N. am 7.10.2024 der Entscheidungsebene bei der Beklagten vorlag. Diese Verzögerungen über 6 Monate Umfang hinaus hat die Beklagte zu vertreten. Organisationsmängel, gerade auch infolge der gerichtsbekannt mehrjährig betriebenen, mit den dadurch ständig bedingten zeitlichen Verzögerungen im Bereich „Sozialmedizin“ quasi selbst verschuldeten, Konsequenzen von Umstrukturierung und Neugestaltung der sozialmedizinischen Sachbearbeitung, dürfen jedoch nach allgemein anerkannter Rechtsprechung und mehrheitlicher Literatur-Ansicht eben nicht zu Lasten der Versicherten gehen. All das ist soweit erkennbar ausschließlich der Sphäre der Beklagten zu zuordnen gewesen. Auch ein gedanklicher „Experimentier-Bonus“ für Verfahrensverzögerungen über 12 Monate Dauer hinaus steht der Beklagte nach Recht und Gesetz ersichtlich nicht zu. Dafür hat sie dann nun hier finanziell aufzukommen .
Die Beklagte trägt aus o.g. ausführlich dargelegten Gründen die Kosten der Untätigkeitsklage S 14 R 640/24 gemäß § 88 Abs. 1 SGG wie erkannt dem Grund nach in vollem Umfang. Im Übrigen wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf den Inhalt der Akten verwiesen.