S 24 KA 2/23 ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Detmold (NRW)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
24
1. Instanz
SG Detmold (NRW)
Aktenzeichen
S 24 KA 2/23 ER
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss

Die sofortige Vollziehung des Beschlusses des Antragsgegners vom 03.08.2022 (BA-Nr.: 25/2022) wird angeordnet, soweit es die Zulassung des Antragstellers zu 1) zur vertragsärztlichen Versorgung als Facharzt für Anästhesiologie für den Vertragsarztsitz Z.-straße, 00000 F. betrifft.

Im Übrigen werden die Anträge der Antragsteller zu 1) bis 4) zurückgewiesen.

Der Antragsgegner und der Beigeladene zu 8) tragen die Kosten des Verfahrens jeweils zur Hälfte. Eine Erstattung außergerichtlicher Kosten der Beigeladenen findet nicht statt.

 

 

 

 

 

 

G r ü n d e:

 

I.

 

Zwischen den Beteiligten ist die Nachbesetzung des Vertragsarztsitzes der Frau Dr. N. im Bereich der ambulanten Schmerztherapie für die Raumordnungsregion F. umstritten.

 

Frau Dr. N. ist Fachärztin für Anästhesiologie. Am 09.09.2020 stellte sie beim Zulassungsausschuss der Ärzte und Krankenkassen (ZA) für den Regierungsbezirk A. einen Antrag auf Durchführung eines Nachbesetzungsverfahrens in der Raumordnungsregion F.. Hier bestanden bei einem Versorgungsgrad von 127,2 % nach § 103 Abs. 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) für die betroffene Arztgruppe der Anästhesisten Zulassungsbeschränkungen. Eine Einstellung der vertragsärztlichen Tätigkeit wurde für den 31.03.2022 avisiert.  Am 20.03.2023 stellte die Praxisabgeberin einen Antrag auf Ruhen der Zulassung bis zur Entscheidung des laufenden Rechtsstreits beim Zulassungsausschuss.

 

Nach Anordnung des Nachbesetzungsverfahrens und Ausschreibung des Sitzes bewarben sich insgesamt elf Ärzte, wovon fünf Zulassungsanträge stellten. Darunter befanden sich die Antragsteller zu 1) bis 4) und der Beigeladene zu 8).

 

Der Antragsteller zu 1) war Facharzt für Anästhesiologie mit den Zusatzbezeichnungen „...“ Er wurde am 00.00.0000 approbiert und war seit dem 00.00.0000 Facharzt für Anästhesiologie. Auf der Warteliste stand er an Position 118.

 

Die Antragsteller zu 2) bis 4) waren eine auf dem Fachgebiet der Anästhesiologie praktizierende Berufsausübungsgemeinschaft. Sie verbanden den Zulassungsantrag mit dem Antrag auf Genehmigung der gemeinsamen, überörtlichen Berufsausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit mit dem Antragsteller zu 1). Sie reichten zudem einen Vertrag über eine überörtliche Berufsausübungsgemeinschaft (BAG) vom 22.02.2022 ein. Aus diesem ging hervor, dass die Gründung zum 01.04.2022 erfolge und der Kaufpreis in Höhe von 650.000,00 EUR für die Praxisübernahme zur Hälfte als Kredit durch die gesamte BAG und zu der anderen Hälfte als Einlage des Antragstellers zu 1) finanziert werden sollte.

 

Der Beigeladene zu 8) war Facharzt für Anästhesiologie und war als Oberarzt in der Klinik für Anästhesiologie und operative Intensivmedizin im R. in F. in Vollzeit tätig. Der Antragsteller wurde am 00.00.0000 approbiert und war seit dem 00.00.0000 Facharzt für Anästhesiologie. Er beantragte am 11.06.2021 die Eintragung auf die Warteliste für das Fachgebiet Anästhesiologie im Planungsbereich F.. Er wurde am 18.02.2022 in der Warteliste auf Position 119 für den Planungsbereich F. eingetragen.

 

Der Beigeladene zu 8) verband seinen Zulassungsantrag mit dem Antrag auf Genehmigung der sofortigen Praxisverlegung nach F., U.-straße 00 (Standort der Klinik) und beantragte außerdem die Genehmigung zur Ausübung einer Nebentätigkeit in einem Umfang von dreizehn Stunden in seiner bisherigen Beschäftigung als Oberarzt. Die Praxis von Frau Dr. N. war von dem geplanten Praxissitz 2,4 km entfernt. Gleichzeitig bat er darum, den Namen und die Anschrift des ausscheidenden Vertragsarztes zur Kenntnis zu bringen, um mit diesem ein Gespräch über die Praxisübernahme in zivilrechtlicher Hinsicht führen zu können. Der Beigeladene zu 8) reichte überdies einen Mietvertrag zwischen seiner Arbeitgeberin und ihm vom 22.02.2022 ein, laut welchem ihm ein Raum mit einer Gesamtfläche von 20,92 m2 entgeltlich überlassen werde. Beginn des Mietvertrages war der 01.09.2022, frühestens mit der Zulassung durch die Kassenärztliche Vereinigung. Ebenfalls beigefügt war eine Grundsatzvereinbarung vom 23.02.2022 und ein Kooperationsvertrag vom 21.02.2022 zwischen dem Beigeladenen zu 8) und seiner Arbeitgeberin über die Mitnutzung der Abteilung Innere Medizin sowie der damit verbundenen Einrichtungen, Geräte, Instrumentarien und der für Behandlungen notwendigen Materialien ab dem 01.04.2022.

 

Mit Beschluss vom 16.03.2022 ließ der ZA den Antragsteller zu 1) zur vertragsärztlichen Versorgung mit vollem Versorgungsauftrag in Nachbesetzung des Vertragsarztsitzes von Frau Dr. N. zu. Er lehnte den Antrag des Beigeladenen zu 8) sowie von den vier weiteren Mitbewerbern ab. Zur Begründung führte er aus, dass die Praxisabgeberin und der Antragsteller zu 1) einen Praxisübergabevertrag geschlossen hätten. Der vereinbarte Kaufpreis übersteige zwar den geschätzten Verkehrswert, was aber keinen Hinderungsgrund darstelle. Der ZA begrüße die Fortführung der Praxis am bisherigen Vertragsarztsitz. Zudem sei der Antragsteller zu 1) in der Warteliste auf Position 118 und der Beigeladene zu 8) auf Position 119 eingetragen.

 

Hiergegen legte der Beigeladene zu 8) am 10.05.2022 Widerspruch ein. Zur Begründung führte er aus, dass der Zulassungsausschuss keine Einzelfallabwägung vorgenommen habe. Es sei darauf hinzuweisen, dass die Praxisabgeberin zu ihm hinsichtlich der Praxisnachfolge keinen Kontakt aufgenommen habe, sodass der Abschluss eines Praxisübergabevertrages nicht habe vorgenommen werden können. Soweit der Zulassungsausschuss daher zur Grundlage seiner Entscheidung den Praxisübergabevertrag gemacht habe, sei dies rechtswidrig. Denn so werde dem abgebenden Vertragsarzt die Möglichkeit eröffnet, das Praxisnachfolgeverfahren und die Vergabe der Zulassung zu beeinflussen. Die Vergabe der Zulassung obliege aber dem ZA. Zudem sei nicht der Abschluss eines Praxiskaufvertrages nur insoweit zu berücksichtigen, als dass der Kaufpreis nicht die Höhe des Verkehrswertes übersteige. Bedeutsam sei, dass augenscheinlich nicht der Antragsteller zu 1) die Entrichtung des Kaufpreises übernehmen solle, sondern dass eine Abschreibung des gesamten Kaufpreises von der Gesellschaft übernommen werde und diese auch einen Kredit über die Hälfte aufgenommen habe. Es dränge sich der Gedanke auf, dass es hier nicht um die Praxisnachfolge durch den Antragsteller zu 1), sondern um die Übernahme des Vertragsarztsitzes durch die BAG gehe. Er selbst sei bereit, den Verkehrswert zu zahlen. Hinsichtlich der vom ZA angeführten Übernahme des Vertragsarztsitzes am bisherigen Praxisort sei anzumerken, dass er selbst keine Gelegenheit erhalten habe, die Praxis und die notwendigen Unterlagen in Augenschein zu nehmen. Der Antrag auf Verlegung des Vertragsarztsitzes sei rein vorsorglich gestellt worden. Eine abschließende Entscheidung über den Praxisort sei noch nicht getroffen worden, da die Praxisverhältnisse bisher nicht bekannt gegeben worden seien. Was die Eintragung in die Warteliste angehe, lasse der ZA jegliche Ausführungen zum Eintragungszeitpunkt vermissen. Offensichtlich sei die Eintragung im Zusammenhang mit der Bewerbung erfolgt. Er selbst habe sich bereits am 10.06.2021 auf den Vertragsarztsitz beworben, der Antragsteller zu 1) erst am 13.11.2021.

 

In der mündlichen Verhandlung am 03.08.2022 zum Widerspruch des Beigeladenen zu 8) stellte der Antragsteller zu 1) einen Antrag auf sofortige Vollziehung gegenüber dem Antragsgegner.

 

Der Widerspruch des Beigeladenen zu 8) wurde mit Beschluss des Antragsgegners in der Sitzung vom 03.08.2022 zurückgewiesen. Zur Begründung wurde angegeben, dass der Ausnahmecharakter der mit einer Nachbesetzung verbundenen Durchbrechung bestehender Zulassungsbeschränkungen es rechtfertige, an die Fortführung einer Praxis strenge Anforderungen zu stellen. Dies setze einen Fortführungswillen voraus. Dieser sei gegeben, wenn der sich um eine Praxisnachfolge bewerbende Arzt am bisherigen Standort der Praxis als Vertragsarzt tätig werden wolle. Dies beinhalte auch eine räumliche Komponente, die auf Dauer abziele. Es gebe keine Hinweise, dass der Beigeladene zu 8) die Voraussetzungen der Fortführung zu erfüllen bereit sei. Denn er habe gleichzeitig einen Verlegungsantrag gestellt. Zudem spreche gegen ihn, dass der angemietete Praxisraum sich im Krankenhaus befinde, in dem er als Oberarzt angestellt sei und nur 20,92 m2 groß sei. Es erschließe sich nicht, wie er auf derart beengtem Raum eine Praxis fortführen wolle. Auch der Antrag auf Genehmigung einer Nebentätigkeit von dreizehn Stunden Umfang als Oberarzt trage nicht die Idee der Weiterführung einer eingeführten Praxis am bisherigen Ort. Eine Kontinuität der Versorgung sei angesichts dessen nicht gewährleistet. Außerdem hätte er sich leicht Kenntnis von den Begebenheiten der Praxis Kenntnis verschaffen können. Auch die übermittelten Fallzahlen seien durchaus geeignet, einem erfahrenen Bewerber, wie es der Beigeladene zu 8) sei, Anhaltspunkte für eine sachliche und personelle Ausstattung über die Praxis zu geben. Selbst wenn die Praxisabgeberin keinen Kontakt aufgenommen haben sollte, habe er dennoch die Möglichkeit gehabt, sich die für ein Kaufangebot notwendigen Kenntnisse zu verschaffen.

 

Zudem lehnte der Antragsgegner den Antrag auf Anordnung der sofortigen Vollziehung des Antragstellers zu 1) ab. Es bestehe kein öffentliches Interesse durch die Handverletzung der Praxisabgeberin. Es sei nicht absehbar, ob sie längerfristig an der Ausübung der Tätigkeit gehindert sei. Auch sei nicht absehbar, dass eine gerichtliche Entscheidung abzuwarten sein werde.

 

Gegen den Beschluss des Antragsgegners hat der Beigeladene zu 8) am 09.11.2022 Klage erhoben, die unter dem Aktenzeichen S 24 KA 2/22 geführt wird. Zur Begründung beruft er sich auf seine Widerspruchsbegründung. Ergänzend trägt er vor, dass er die Praxis von Frau Dr. N. nicht einfach habe betreten können, ohne dass ihm dies von der Ärztin gestattet worden wäre. Ausgehend von dem Verhalten der Ärztin hätte er sich eines Hausfriedensbruches schuldig machen können. Anhand des Internetauftrittes sei ihm eine Kenntniserlangung der Begebenheiten der Praxis nicht möglich gewesen. Bei dem geplanten Praxisraum handele es sich lediglich um das Arztzimmer, was anhand des Kooperationsvertrages deutlich werde.

 

Mit seinem Antrag vom 06.04.2023 begehrt der Antragsteller zu 1) nunmehr die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Zulassungsentscheidung und zudem die Antragsteller zu 1) bis 4) die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Genehmigung zur gemeinsamen Ausübung überörtlicher vertragsärztlicher Tätigkeit. Zur Begründung berufen sie sich auf die Ausführungen des Antragsgegners in seinem Beschluss vom 03.08.2022. Ergänzend tragen sie vor, es bleibe zunächst unbeachtlich, dass sich der Beigeladene zu 8) nicht gegen die Genehmigung der gemeinsamen Ausübung gewandt habe. Denn der Antragsgegner habe einen Widerspruch auch hiergegen unterstellt und beschieden. Zudem sei die wirksame Zulassung Voraussetzung für die gemeinsame Ausübung. Die sofortige Vollziehung sei schon deshalb anzuordnen, weil die Klage des Beigeladenen zu 8) keine Aussicht auf Erfolg habe. Der Prozessbevollmächtigte des Beigeladenen zu 8) habe in der mündlichen Verhandlung vor dem Antragsgegner angegeben, dass die beantragte Zulassung in wenigen Jahren in ein Medizinisches Versorgungszentrum (MVZ) eingebracht werden solle. Dies erwecke Zweifel an dem Fortführungswillen des Beigeladenen zu 8). Zudem enthalte der Kooperationsvertrag zwischen dem Beigeladenen zu 8) und seiner Arbeitgeberin einen Passus, nach welchem er seine vertragsärztliche Tätigkeit unverzüglich am Standort des R.s ausüben solle. Das zeige, dass die Verlegung des Vertragsarztsitzes nicht nur vorsorglich erfolgt sei. Gegen den Fortführungswillen spreche auch, dass der Bevollmächtigte des Beigeladenen zu 8) versucht habe, eine Einigung zu erzielen, nach welcher ein Viertelversorgungsauftrag auf das MVZ bei der Arbeitgeberin des Beigeladenen zu 8) mit dessen Anstellung übergehen sollte. Es müsse auch berücksichtigt werden, dass der Antragsteller zu 1) bereits über sieben Jahre im Rahmen einer Ermächtigung 70 Patienten im Quartal vertragsärztlich versorgt habe. Diese Patienten seien ihm in die Behandlung durch die Berufsausübungsgemeinschaft gefolgt. Zurzeit würden diese die Praxis der Antragsteller zu 2) bis 4) aufsuchen. Eine vollumfängliche Versorgung sei diesen unter den aktuellen Umständen aber nicht mehr möglich. Eine Versorgung durch die Praxisabgeberin erfolge auch nicht mehr. Der Antragsteller erleide erhebliche wirtschaftliche Nachteile, solange er nicht von der Zulassung Gebrauch machen könne. Denn er habe seine bisherige Anstellung gekündigt und die gesamte Planung der beruflichen Tätigkeit auf die Zulassung ausgerichtet. Entfiele das Praxissubstrat der Praxis von Frau Dr. N. in tatsächlicher Hinsicht wären die damit verbundenen Investitionen in großen Teilen vergebens. Der Beigeladene zu 8) erleide durch die Anordnung der sofortigen Vollziehung keine vergleichbaren Nachteile.

 

 

 

 

 

Der Antragsteller zu 1) beantragt,

 

die sofortige Vollziehung des Beschlusses vom 03.08.2022 des Antragsgegners über die Zulassung des Antragstellers zu 1) zur vertragsärztlichen Versorgung als Facharzt für Anästhesiologie für den Vertragsarztsitz Z.-straße, 33602 F. anzuordnen.

 

Die Antragsteller zu 1) bis 4) beantragen,

 

die sofortige Vollziehung des Beschlusses des Antragsgegners über die Genehmigung zur gemeinsamen Ausübung überörtlicher vertragsärztlicher Tätigkeit an den Vertragsarztsitzen Z.-straße 21-22, 33602 F. und L.-straße 000, 00000 H. anzuordnen.

 

Der Beigeladene zu 8) beantragt,

 

die Anträge zurückzuweisen.

 

Der Antragsgegner stellt keinen Antrag. Er spricht sich für die sofortige Vollziehung der Zulassung des Antragstellers zu 1) aus und verweist zur Begründung auf seine Entscheidung vom 03.08.2022. Ergänzend führt er aus, dass Frau Dr. N. entgegen seiner Vermutung ihre ärztliche Tätigkeit nicht mehr aufgenommen habe. Es könne auch nicht davon ausgegangen werden, dass sich dies noch einmal ändern würde. Der von den Antragstellern befürchtete Wegfall des Praxissubstrates könne bei weiterem Zeitverlauf in tatsächlicher Hinsicht einer realistischen Betrachtungsweise entsprechen.

 

Der Beigeladene zu 8) ist der Auffassung, dass die Befürchtung des Wegfalles des Praxissubstrates nicht bestehe. Denn insoweit komme es nicht auf Zeitpunkt des Beschlusses des Berufungsausschusses oder die letzte mündliche Tatsachenverhandlung an, sondern auf den Zeitpunkt der Antragstellung auf Ausschreibung des Praxissitzes. Die Gefährdung der Versorgung sei nicht ebenfalls nicht zu befürchten, da im Bereich F. eine Überversorgung im Fachgebiet Anästhesiologie bestehe. Zu der Behauptung, dass der Beigeladene zu 8) den Vertragsarztsitz in ein paar Jahren in ein MVZ einbringen wolle, sei zu sagen, dass diese Bemerkung nicht im Sitzungsprotokoll enthalten sei. Zudem müsse der Fortführungswille nur für fünf Jahre fortbestehen, was vom Begriff der wenigen Jahre durchaus umfasst sei. Außerdem seien im Einzelfall Konstellationen denkbar, in denen ein kürzerer Zeitraum ausreichend sein könne. Eine vollständige Beendigung des Anstellungsverhältnisses sei bei Erteilung der Zulassung nicht notwendig. In der Rechtsprechung sei dies nicht ausgeschlossen worden. Es dürfe an dieser Stelle nicht außer Acht gelassen werden, dass in dem Gesellschaftervertrag der Antragsteller zu 1) bis 4) vorgesehen sei, dass ein Gesellschafter beim Ausscheiden sein Recht auf den Vertragsarztsitz auf die anderen Gesellschafter übertrage und verpflichtet sei, im Falle von Zulassungsbeschränkungen, den Sitz durch die Beigeladene zu 1) ausschreiben zu lassen. Der Antragsgegner habe zudem keine Ausführungen in seinem Beschluss zum Aspekt der prognostischen Gewähr für eine länger andauernde kontinuierliche Patientenversorgung gemacht, da er sich lediglich mit der Frage des Fortführungswillens befasst habe. Es sei bisher nicht berücksichtigt worden, dass die Erteilung der Zulassung eine erhebliche Verbesserung der wirtschaftlichen Tätigkeit des Beigeladenen zu 8) bewirken würde. Ferner sei vom Antragsgegner nicht gewertet worden, dass der Beigeladene zu 8) bereits viele Jahre im Raum F. im Bereich der Versorgung tätig sei. Der Antragsteller zu 1) sei hingegen in H. tätig gewesen.

 

Der Antragsgegner hat entgegnet, dass der Beigeladene zu 8) verkenne, dass es hier nicht um die Frage gehe, wie lange der Fortführungswille theoretische bestehen könne. Dies sei erst auf der zweiten Stufe entscheidend, wenn bereits grundsätzlich ein Fortführungswille des Nachfolgers festgestellt worden sei. Dies sei hinsichtlich des Beigeladenen zu 8) nicht der Fall. Die Frage des Wegfalles des Praxissubstrates berühre nicht den Fortführungswillen, sondern die Frage, nach welchem Zeitraum ein fortführungsfähiger Arztsitz nicht mehr bejaht werden könne. Die Frage, ob die Einstellung einer Praxistätigkeit einer Fortführung entgegenstehe sei an den Umständen des Einzelfalles zu bewerten. Derartige Umstände seien hier darin zu sehen, dass Frau Dr. N. die vertragsärztliche Tätigkeit seit geraumer Zeit und auch schon vor dem 03.08.2022 nicht mehr ausgeübt habe. Dass über einen derart langen Zeitraum einer Vakanz zudem Patienten wegbrechen könnten, was den Arztsitz entwerte, sei naheliegend. Es sei nicht zu beanstande, wenn die Zulassungsgremien bei der Auswahl des Nachfolgers auch den Umstand berücksichtigten, ob ein Bewerber deutlich mehr die prognostische Gewähr für eine länger andauernde kontinuierliche Patientenversorgung biete als ein anderer. Die Frage, ob sich die Praxisübergabe an einen Bewerber, mit dem bereits ein Übergabevertrag geschlossen worden sei, voraussichtlich reibungslos gestalten werde, wirke sich auch auf die Versorgungskontinuität aus.

 

Der Beigeladene zu 8) hat eingewandt, dass er nicht beurteilen könne, ob Frau Dr. N. an der Fortführung der Versorgung gehindert sei. Selbst wenn dies so sei, könne sie einen Vertreter bestellen.

 

Wegen der weiteren Einzelheiten nimmt das Gericht Bezug auf die Gerichtsakten und die beigezogenen Verwaltungsakten des Antragsgegners. Der Inhalt dieser Akten war Gegenstand der Entscheidungsfindung.

 

 

 

II.

 

Der Antrag des Antragstellers zu 1) ist zulässig und begründet, soweit er auf die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Entscheidung des Antragsgegners im Beschluss vom 03.08.2022 hinsichtlich der Zulassung gerichtet ist. Die Anträge der Antragsteller zu 1) bis 4) sind unzulässig, soweit sie auf die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Genehmigung der überörtlichen Ausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit gerichtet sind.

 

Der Antrag auf Anordnung der sofortigen Vollziehung der erteilten Zulassung des Antragstellers zu 1) ist zulässig und begründet.

 

Nach § 86b Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung haben, die sofortige Vollziehung ganz oder teilweise anordnen. Die Befugnis des Antragsgegners zur Anordnung des Sofortvollzugs auf der Grundlage von § 97 Abs. 4 SGB V lässt die Zuständigkeit des Gerichts unberührt, auf einen Antrag des Begünstigten hin die sofortige Vollziehbarkeit des angefochtenen Beschlusses nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG selbst anzuordnen, wenn die gegen den Beschluss statthafte Drittanfechtungsklage des Beigeladenen zu 8) – hier geführt unter dem Aktenzeichen S 24 KA 2/22 – gemäß § 86a Abs. 1 Satz 2 Alt. 3 SGG aufschiebende Wirkung entfaltet.

 

In der hier vorliegenden Drittanfechtungssituation genügt es für einen Erfolg des Antrags nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG, dass die (vorläufige) gerichtliche Prüfung ergibt, dass die in der Hauptsache angefochtene Entscheidung offensichtlich rechtmäßig ist und ein öffentliches Interesse oder überwiegende Interessen eines Beteiligten für den Sofortvollzug sprechen. Für einen Erfolg des Antrages bedarf es – im Unterscheid zu § 86b Abs. 2 SGG  – keiner besonderen Eilbedürftigkeit im Sinne eines Anordnungsgrundes. Vielmehr sind die gegen eine sofortige Vollziehung sprechenden Suspensivinteressen umso geringer zu gewichten je weniger Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen. Ein Verbot der Vorwegnahme gibt es bei einer Entscheidung nach § 86b Abs. 1 SGG nicht (Sächsisches Landessozialgericht [LSG], Beschluss vom 11.01.2021 – L 1 KA 4/20 B ER –, Rn. 31, juris).

 

Der Beschluss des Antragsgegners vom 03.08.2022 ist offensichtlich rechtmäßig. Der Antragsgegner hat die Bewerberauswahl ermessensfehlerfrei getroffen.

 

Die Bewerberauswahl ist keine gebundene Entscheidung, sondern eine Ermessensentscheidung (§ 103 Abs. 4 Satz 4 SGB V). Der Antragsgegner hat das ihm eingeräumte Ermessen nicht nur dann auszuüben, wenn sich gleich geeignete Bewerber gegenüberstehen. Vielmehr haben die Zulassungsgremien stets eine Ermessensentscheidung zu treffen, die – unter Berücksichtigung der gesetzlichen Kriterien – die Bewerberlage wertend beurteilt, im Übrigen aber nur durch die der Ermessensausübung innewohnenden Schranken eingeschränkt ist. Dafür spricht bereits der Gesichtspunkt, dass die Regelung, wonach der Zulassungsausschuss nach pflichtgemäßem Ermessen zu handeln hat (Satz 4), den „Auswahlkriterien“ nach Satz 5 vorangestellt ist. Zudem sind die in § 103 Abs. 4 Satz 5 SGB V aufgeführten „Kriterien“ nicht „zu beachten“, sondern lediglich „zu berücksichtigen“. Damit wird keine strikte Verbindlichkeit vorgegeben. Der Begriff „berücksichtigen“ beinhaltet allein, dass die Zulassungsgremien die gesetzlich vorgegebenen Kriterien nicht gänzlich außer Betracht lassen dürfen, sondern sie in ihre Überlegungen mit einbeziehen („in Erwägung ziehen“) müssen; es steht ihnen aber frei, hiervon aus Sachgründen abzuweichen.

 

Aus dem Charakter der Auswahlentscheidung als Ermessensentscheidung folgt, dass die gerichtliche Überprüfung wie üblich darauf beschränkt ist, ob das Ermessen fehlerhaft ausgeübt wurde und der Antragsteller durch den Ermessensfehler beschwert ist. Den Zulassungsgremien ist ein Entscheidungsspielraum eröffnet, den die Gerichte zu respektieren haben. Die gerichtliche Rechtskontrolle ist auf die Überprüfung beschränkt, ob die Behörde von einem vollständigen und richtigen Sachverhalt ausgegangen ist, die rechtlichen Grenzen ihres Ermessensspielraums eingehalten und von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat (§ 54 Abs. 2 Satz 2 SGG). Eine danach rechtsfehlerfreie Auswahlentscheidung muss das Gericht hinnehmen; es ist nicht befugt, an Stelle der Zulassungsinstanzen eine eigene Auswahlentscheidung zu treffen (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 13.11.2019 – L 7 KA 36/17 –, Rn. 43 - 44, juris).

 

Rechtsgrundlage für Entscheidungen der Zulassungsgremien über Anträge, in einem gesperrten Planungsbereich im Wege der Nachbesetzung eines ausgeschriebenen Vertragsarztsitzes die Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung zu erhalten, ist § 103 Abs. 4 SGB V.

 

Anlass für ein Nachbesetzungsverfahren besteht dann, wenn die Zulassung eines Vertragsarztes in einem Planungsbereich, für den Zulassungsbeschränkungen angeordnet sind, durch Tod, Verzicht oder Entziehung endet und die Praxis von einem Nachfolger weitergeführt werden soll (vgl. § 103 Abs. 3a Satz 1 SGB V). Der ZA entscheidet, ob überhaupt ein Nachbesetzungsverfahren für den Vertragsarztsitz durchgeführt werden soll (§ 103 Abs. 3a Satz 1 SGB V). Die Kassenärztliche Vereinigung hat sodann diesen Vertragsarztsitz unverzüglich auszuschreiben und eine Liste der eingehenden Bewerbungen zu erstellen (§ 103 Abs. 4 Satz 1 SGB V).

 

Die gerichtliche Überprüfung erfolgt zweistufig. Zunächst ist zu klären, ob das Auswahlverfahren verfahrensfehlerfrei durchgeführt wurde, sodann ist zu klären, ob die Auswahlentscheidung sachlich rechtmäßig ist.

 

Das Ausschreibungsverfahren weist keine Verfahrensfehler auf. Frau Dr. N. beantragte bei der Beigeladenen zu 1) die Ausschreibung ihres Vertragsarztsitzes, worauf hin dieser ausgeschrieben wurde. Fristgerechte Bewerbungen gingen von dem Antragsteller zu 1), dem Beigeladenen zu 8) und neun weiteren Bewerber ein. Nur fünf Bewerber stellten einen Antrag auf Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung bzw. ein Antrag auf Genehmigung zur Beschäftigung eines angestellten Arztes. Die Beigeladene zu 9) stellte keinen Zulassungsantrag und war deshalb im weiteren Verfahren nicht zu berücksichtigen. Eine Entscheidung in diesem Verfahren zur Frage, ob die vom Frist zum Stellen von Zulassungsanträgen durch den ZA eine Ausschlussfrist darstellt, kann daher dahinstehen.

 

Bereits im Zulassungsverfahren wurde gegenüber dem Zulassungsausschuss signalisiert, dass der Antragsteller zu 1) und der Beigeladene zu 8) einen Praxisübernahmevertrag geschlossen haben und damit gewährleistet sei, dass von dem Antragsteller die schmerztherapeutische Versorgung fortgeführt werde und eine kontinuierliche Versorgung der Patienten erfolgen könne.

 

Die Auswahlentscheidung wurde vom Antragsgegner sachlich rechtmäßig getroffen.

 

Die Auswahl des Praxisnachfolgers richtet sich nach § 103 Abs. 4 Satz 4 ff. sowie Abs. 5 Satz 3 SGB V. Der Zulassungsausschuss hat unter mehreren Bewerbern, die die ausgeschriebene Praxis als Nachfolger des bisherigen Vertragsarztes fortführen wollen, den Nachfolger nach pflichtgemäßem Ermessen auszuwählen (§ 103 Abs. 4 Satz 4 SGB V). Bei der Auswahl der Bewerber sind gemäß § 103 Abs. 4 Satz 5 SGB V die berufliche Eignung (Nr. 1), das Approbationsalter (Nr. 2) und die Dauer der ärztlichen Tätigkeit (Nr. 3) zu berücksichtigen. Weitere zu berücksichtigende Kriterien sind eine Tätigkeit in unterversorgten Gebieten (Nr. 4) sowie die Bereitschaft des Bewerbers, besondere Versorgungsbedürfnisse zu erfüllen (Nr. 7). Zusätzlich bestimmt § 103 Abs. 5 Satz 3 SGB V, dass bei der Auswahl der Bewerber für die Übernahme einer Vertragsarztpraxis nach Absatz 4 die Dauer der Eintragung in die Warteliste zu berücksichtigen ist.

 

Die Ausführungen des Antragsgegners in dem Beschluss vom 03.08.2022 sind hinsichtlich dieser Voraussetzungen nicht zu beanstanden. Denn sowohl der Antragsteller zu 1) als auch der Beigeladene zu 8) unterscheiden sich nicht anhand der unter § 103 Abs. 4 Satz 5 Nr. 1 - 4 SGB V aufgeführten Merkmale. Insbesondere macht § 103 Abs. 4 Satz 5 Nr. 1 3 SGB V keine Angaben dazu, dass die ärztliche Tätigkeit in der Raumordnungsregion, in der sich der nachzubesetzende Arztsitz befindet, bisher schon ausgeübt worden sein muss. Der Antragsgegner hat zudem – im Gegensatz zum ZA – Feststellungen zu den Merkmalen nach § 103 Abs. 4 Satz 5 Nr. 7 und 8 SGB V getroffen. Auch hier unterscheiden sich der Antragsteller zu 1) und der Beigeladene zu 8) – aufgrund gegenteiliger Anhaltspunkte – nicht.

 

Ausführungen zur Warteliste sind vorliegend entbehrlich. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats entscheidet der Berufungsausschuss (BA) nicht über einen Widerspruch, sondern er trifft eine eigene Sachentscheidung. Die Entscheidung des ZA geht in der Entscheidung des BA auf (Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 11.12.2013 – B 6 KA 49/12 R –, Rn. 22, juris). Das vom ZA herangezogene Argument der unterschiedlichen Positionen auf der Warteliste wurde vom Antragsgegner in seinem Beschluss nicht herangezogen, weshalb eine Entscheidung, ob dieses Argument Ergebnis einer rechtmäßigen Ermessensentscheidung ist, dahinstehen kann.

 

Der Antragsgegner hat sein Ermessen fehlerhaft ausgeübt, indem er davon ausgegangen ist, dass eine (abhängige) Nebenbeschäftigung von dreizehn Stunden gegen einen Fortführungswillen spricht. Denn der Rechtsprechung, nach der die Ausübung einer Beschäftigung im Umfang von mehr als dreizehn Wochenstunden der Zulassung mit einem vollen Versorgungsauftrag und die Ausübung einer Beschäftigung im Umfang von mehr als sechsundzwanzig Wochenstunden auch der Zulassung mit einem halben Versorgungsauftrag entgegensteht, ist durch die gesetzliche Neuregelung die Grundlage entzogen. Eine feste zeitliche Grenze, bei deren Überschreitung eine Zulassung nicht mehr erteilt werden kann, gilt nicht mehr (BSG, Urteil vom 16.12.2015 – B 6 KA 19/15 R –, Rn. 20ff., juris; vgl. dazu auch Sozialgericht München, Urteil vom 20.06.2018 – S 38 KA 360/17 –, Rn. 23, juris). Dies ist aber unschädlich, da jedenfalls die Entscheidung maßgeblich auf anderen von dem Antragsgegner herangezogenen Aspekten beruht und dieses Argument lediglich unterstützend herangeführt wurde. Denn aus der vorzunehmenden summarischen Prüfung folgt, dass die Praxis der Frau Dr. N. durch den Beigeladene zu 8) nicht fortgeführt werden würde im Fall der Zulassung im Nachbesetzungsverfahren.

 

Gesetzliche Voraussetzung für die Zulassung auf einen ausgeschriebenen Vertragsarztsitz im Nachbesetzungsverfahren nach § 103 Abs. 4 SGB V ist neben der Erfüllung der allgemeinen Zulassungsvoraussetzungen u.a., dass der Bewerber den Willen hat, die zu übernehmende Praxis fortzuführen. Insofern besteht auch kein Ermessens- oder Beurteilungsspielraum der Zulassungsgremien, sodass dieses Merkmal der vollen gerichtlichen Überprüfung unterliegt. Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des § 103 Abs. 4 Satz 4 SGB V, der die vorzunehmende Auswahlentscheidung auf Bewerber bezieht, "die die ausgeschriebene Praxis als Nachfolger des bisherigen Vertragsarztes fortführen wollen". Die Schwierigkeiten, die mit der Ermittlung solcher subjektiven Merkmale verbunden sein können, begründen keinen Ermessens- oder Beurteilungsspielraum der Verwaltung (BSG, Urteil vom 11.12.2013 – B 6 KA 49/12 R –, Rn. 54, juris).

 

Bereits der Ausnahmecharakter der mit einer Nachfolgebesetzung nach § 103 Abs. 4 SGB V verbundenen Durchbrechung bestehender Zulassungsbeschränkungen rechtfertigt es, an die "Fortführung" einer Praxis strenge Anforderungen zu stellen, um zu verhindern, dass es zu gesetzlich nicht gewollten Käufen von Praxissitzen kommt.

 

In überversorgten Planungsbereichen ist aufgrund angeordneter Zulassungsbeschränkungen ein Hinzutreten weiterer Vertragsärzte grundsätzlich ausgeschlossen (vgl. § 95 Abs. 2 Satz 9 i.V.m. § 103 Abs. 1 Satz 2 SGB V). Nach der gesetzlichen Konzeption ist in diesen Planungsbereichen auch die Nachbesetzung von Vertragsarztsitzen unerwünscht. Das Ausscheiden eines Arztes aus der vertragsärztlichen Versorgung in einem für Neuzulassungen wegen Überversorgung gesperrten Planungsbereich führt grundsätzlich dazu, dass der Vertragsarztsitz dieses Arztes entfällt, weil dieser nicht zur Versorgung der Versicherten benötigt wird. Das vermindert entweder die Zahl der zugelassenen Ärzte oder führt – auf kürzere oder längere Sicht – dazu, dass der Planungsbereich entsperrt wird. Damit ist er dann auch wieder für solche Ärztinnen und Ärzte offen, die sich niederlassen wollen, ohne eine Praxis zu übernehmen und die damit verbundenen Lasten auf sich zu nehmen. Der Gesetzgeber lässt es mit der in § 103 Abs. 4 SGB V getroffenen Regelung demgegenüber zu, dass ein bestehender – für die Versorgung nicht erforderlicher – Vertragsarztsitz nachbesetzt werden kann. Mit dieser Ausnahme berücksichtigt der Gesetzgeber die finanziellen Interessen des bisherigen Praxisinhabers bzw. seiner Erben, welche andernfalls wegen der fehlenden Verwertungsmöglichkeit der Arztpraxis erhebliche Nachteile erleiden würden, und trägt damit den Erfordernissen des Eigentumsschutzes Rechnung. Weil typischerweise die Arztpraxis nicht veräußert werden kann, wenn der Erwerber den mit ihr verbundenen Sitz nicht erhält, bedarf es der Zulassung des Erwerbers. Nicht der Vertragsarztsitz, sondern die Arztpraxis ist veräußerbar. Wo die Praxis in Wirklichkeit gar nicht veräußert werden soll, weil jedenfalls der neu zuzulassende Arzt sie nicht fortführen kann oder will, besteht kein Grund für eine Nachfolgezulassung. Diese dient dann lediglich der Kommerzialisierung des Vertragsarztsitzes, die vom Gesetzgeber nicht gewollt ist (BSG, Urteil vom 20.032013 – B 6 KA 19/12 R –, Rn. 26ff., juris). So soll auch ein Beitrag zur Kontinuität der bereits bestehenden Versorgung geleistet werden. Es soll durch das Nachbesetzungsverfahren aber nicht die Möglichkeit geschaffen werden, dass unmittelbar ein neuer Vertragsarztsitz im gesperrten Bereich initiiert werden kann.

 

Eine Praxis wird nur dann im Sinne des § 103 Abs. 4 SGB V "fortgeführt", wenn der sich um eine Praxisnachfolge bewerbende Arzt am bisherigen Praxisort als Vertragsarzt – ggf. auch als Mitglied einer überörtlichen Berufsausübungsgemeinschaft – tätig werden will bzw. tätig wird. Es reicht nicht aus, wenn der Nachfolger lediglich als angestellter Arzt in der Zweigpraxis einer Berufsausübungsgemeinschaft oder eines MVZ dort tätig werden will.

Eine Praxisfortführung beinhaltet sowohl eine "räumliche" als auch eine "personelle" Komponente. In räumlicher Hinsicht setzt sie – grundsätzlich – voraus, dass der Nachfolger eines ausscheidenden Vertragsarztes auf Dauer die bisherigen Patienten in denselben Praxisräumen mit Unterstützung desselben Praxispersonals und unter Nutzung derselben medizinisch-technischen Infrastruktur behandelt oder zumindest behandeln will. Eine Praxisfortführung wird daher nicht schon dann angestrebt, wenn ein Bewerber lediglich die vertragsärztliche Tätigkeit im selben medizinischen Fachgebiet und im selben Planungsbereich wie der ausscheidende Vertragsarzt ausüben will. Andererseits verlangt eine Praxisfortführung im Sinne des § 103 Abs. 4 SGB V nicht notwendig, dass der Nachfolger den Praxisbetrieb in der dargestellten Art und Weise auf Dauer fortführt. Auch mag es im Einzelfall sachliche Gründe dafür geben, die Praxis zumindest nicht am bisherigen Ort oder nicht mit dem bisherigen Personal fortzuführen, etwa weil sich die Praxis im Einfamilienhaus des aus der vertragsärztlichen Versorgung ausscheidenden Arztes befindet oder dessen Ehefrau als Arzthelferin beschäftigt war (BSG, Urteil vom 20.03.2013 – B 6 KA 19/12 R –, Rn. 33f., juris).

 

Unabhängig von der Standortkontinuität reicht es für eine "Fortführung" der Arztpraxis im Sinne des § 103 Abs. 4 SGB V nicht aus, dass der bisher an die Praxis gebundene Vertragsarztsitz in irgendeiner Variante zur Grundlage der vertragsärztlichen Tätigkeit im jeweiligen Planungsbereich genutzt wird. In "personeller" Hinsicht ist vielmehr erforderlich, dass der Nachfolger die Praxis in eigener Person weiter betreibt. Dabei genügt es nicht, dass dieser dort eine ärztliche Tätigkeit entfaltet, sondern der Begriff "Fortführung" beinhaltet auch, dass der Nachfolger den Praxisbetrieb als Inhaber – zumindest als Mitinhaber – der Praxis fortsetzt. Denn nur so hat dieser auch die rechtliche Möglichkeit, seinen Fortführungswillen umzusetzen. Es genügt daher nicht, wenn ein Bewerber beabsichtigt, den Praxisbetrieb zwar am bisherigen Standort, jedoch lediglich als angestellter Arzt in der Zweigpraxis einer Berufsausübungsgemeinschaft oder eines MVZ fortzusetzen, weil dann die Fortführung der Praxis tatsächlich ganz maßgeblich nicht von seinem Willen, sondern aufgrund des Direktionsrechts seines Arbeitgebers von dessen Willen abhängt. Damit wäre nicht gewährleistet, dass der "Nachfolger" tatsächlich für längere Zeit, oder überhaupt, am bisherigen Standort der Praxis tätig werden kann (BSG, a.a.O, Rn. 35).

 

Zunächst liegt keine Fortführung der Praxis in räumlicher Hinsicht durch den Beigeladenen  zu 8) vor. Gegen den Fortführungswillen spricht vorliegend zunächst, dass der Beigeladene zu 8) mit seinem Zulassungsantrag zudem einen Antrag auf sofortige Verlegung gestellt hat. Es ist nicht ersichtlich, dass dieser Antrag lediglich vorsorglich gestellt wurde, so wie es der Beigeladene zu 8) vorgetragen hat. So hat er zwar mit Schreiben vom 14.02.2022 erneut nach Adressdaten der Praxisabgeberin gefragt. Im Zulassungsantrag vom 26.01.2022 hat er aber bereits in seinem Antrag auf Verlegung den Namen der Praxisabgeberin und die Praxisdaten angegeben. Zudem hat der Beigeladene zu 8) mit seiner Arbeitgeberin bereits im Zeitraum 22.02.2022 bis 24.02.2022 einen Kooperationsvertrag, eine Grundsatzvereinbarung und auch einen Mietvertrag hinsichtlich einer Ausübung der Zulassung im Klinikum seiner Arbeitgeberin geschlossen. Auch aus diesen Unterlagen geht eine „Vorsorglichkeit“ nicht hervor.

Die Ausführungen in diesen Verträgen erwecken vielmehr Zweifel an dem Bestehen der personellen Komponente des Fortführungswillens. Denn es ist nicht ersichtlich, dass der Beigeladene zu 8) den Fortführungswillen weisungsunabhängig und selbständig ausüben könnte, falls er die Zulassung erhalten würde. Bereits in der Grundsatzvereinbarung steht, dass der Vertragsarztsitz in ein MVZ eingebracht werden soll und dass seine Arbeitgeberin ein Weisungsrecht hinsichtlich des Vertragsarztsitzes gegenüber dem Beigeladenen zu 8) hat.

 

Gegen einen Fortführungswillen spricht schließlich, dass die Voraussetzungen von § 32 Abs. 1 der Zulassungsverordnung für Vertragsärzte (Ärzte-ZV) nicht gegeben sind. Danach muss ein Ausüben der vertragsärztlichen Tätigkeit persönlich und in freier Praxis gewährleistet sein. Damit unterscheidet sich die vertragsärztliche Tätigkeit maßgeblich von der Ermächtigung, denn nach § 32a Ärzte-ZV bei Ermächtigung nur persönliche Ausübung notwendig, nicht hingegen in freier Praxis.

Es bestehen Zweifel an der Möglichkeit der freien Ausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit durch den Beigeladenen zu 8). Laut des Kooperationsvertrages würden vorliegend alle personellen und sächlichen Mittel von der Arbeitgeberin des Beigeladenen zu 8) gestellt werden. Zudem ist der eigentliche der Praxisraum an sich mit 20,92 m2 sehr klein und der Organisationseinheit des Krankenhauses angegliedert.

 

Es folgt schließlich kein Ermessenfehler aus der Tatsache, dass der Antragsgegner hätte berücksichtigen müssen, dass bei dem Antragsteller zu 1) personelle Komponente der Fortführung fehlen könnte. Denn es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass der Antragsgegner davon hätte ausgehen müssen, dass der Antragsteller zu 1) die Zulassung lediglich in die BAG einbringen wollte und keinen eigenen Fortführungswillen hatte. An dieser Stelle ist es unschädlich, wenn der Nachfolger des Praxisabgebers nur Mitinhaber der Praxis ist. Entscheidend ist vielmehr, dass er sie selbstständig fortführt. Vorliegend wird der Antragsteller zu 1) gleichberechtigter Gesellschafter der BAG und finanziert einen Teil des Kaufpreises alleine. Nur der restliche Kaufpreis wird von der BAG an sich, nicht von den einzelnen Gesellschaftern finanziert. Anhaltspunkte für eine weisungsgebundene und somit nicht selbständige Ausübung des Fortführungswillens durch den Antragsteller zu 1) ergeben sich daraus nicht und sind auch ansonsten nicht ersichtlich.

 

Nach alledem erweist sich der Beschluss des Antragsgegners derzeit überwiegend wahrscheinlich als rechtmäßig.

 

Der Antrag auf Anordnung der sofortigen Vollziehung ist begründet. Einer solchen Anordnung steht nicht prinzipiell entgegen, dass an einer Nachbesetzung eines Vertragsarztsitzes in einem überversorgten Planungsbereich kein öffentliches Interesse i.S. des § 97 Abs. 4 SGB V bestehen könne. Die gerichtliche Vollziehungsanordnung oder -aussetzung nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG ist an diese Voraussetzung nicht gebunden, sondern kann auch im überwiegenden Interesse eines Beteiligten (vgl. § 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG) erfolgen, insbesondere wenn dieser von der ihm zugebilligten Rechtsposition überhaupt nur Gebrauch machen kann, wenn er kein Hauptsacheverfahren abwarten muss. Eine Klärung der Nachbesetzungsfrage im Verfahren nach § 86b SGG – ähnlich wie bei Konkurrentenklagen im Beamtenrecht gemäß § 123 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) – liegt im Übrigen auch im Interesse des abgebenden Arztes. Dessen Aussichten, den Praxisanteil verwerten zu können, sinken mit jedem Monat, in dem die zur Nachbesetzung erforderliche Zulassung in der Schwebe bleibt (BSG, Urteil vom 5.11.2003 – B 6 KA 11/03 R –, Rn. 40, juris).

 

Vorliegend wurde die vertragsärztliche Tätigkeit durch Frau Dr. N. das letzte Mal im ersten Quartal des Jahres 2022 ausgeübt. Durch das tatsächliche Brachlieben des Praxissubstrates steht zu befürchten, dass mit immer größerem Zeitablauf eine zunehmende Entwertung einhergeht, was schließlich dazu führen könnte, dass keine fortführungsfähige Praxis mehr vorliegt. Gegen eine von dem Beigeladenen zu 8) angeführte Vertretung der Frau Dr. N. spricht der § 32 Abs. 1 Ärzte-ZV. Denn danach ist eine Vertretung innerhalb von 12 Monaten bis zu drei Monate zulässig. Dies würde den „freien“ Zeitraum aber nicht abdecken.

Der Erhalt dieses tatsächlichen Praxissubstrates dürfte zudem ebenfalls im Interesse des Beigeladenen zu 8) liegen, da auch er im Falle eines Obsiegens im Hauptsacheverfahren davon profitieren würde, wenn ein tatsächliches Praxissubstrat noch vorliegen würde.

 

 

 

Schließlich spricht zwar nicht die Versorgungssicherheit, weil es sich um eine Nachbesetzung im überversorgten Planungsgebiet handelt, aber die Versorgungskontinuität der gesetzlich Versicherten dafür, den Vertragsarztsitz alsbald fortzuführen.

 

 

Der Antrag auf Anordnen der sofortigen Vollziehung der Genehmigung der Ausübung überörtlicher vertragsärztlicher Tätigkeit der Antragsteller zu 1) bis 4) ist unzulässig.

 

Die Antragsteller zu 1) bis 4) haben kein Rechtschutzbedürfnis. Dieses ist gegeben, wenn die erstrebte gerichtliche Entscheidung dem Antragsteller einen rechtlichen oder tatsächlichen Vorteil bringen kann, z.B., weil weitere Vollziehungsmaßnahmen unterbunden werden. Der Antragsteller muss sich vor dem Antrag nach Abs. 1 nicht zunächst mit dem Begehren einer Entscheidung nach § 86a Abs. 3 an die Verwaltung gewandt haben (Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, 13. Aufl. 2020, § 86b SGG, Rn. 7a). Vorliegend ist der Antrag der Antragsteller zu 1) bis 4) nicht notwendig, um das Ziel, nach Anordnung der sofortigen Vollziehung der Zulassung die vertragsärztliche Tätigkeit in einer überörtlichen BAG auszuüben, zu erreichen. Denn ein Rechtsmittel eines Dritten gegen die Genehmigung der gemeinsamen Berufsausübung von anderen Vertragsärzten ist unzulässig, weil eine solche Genehmigung unter keinem rechtlichen Aspekt Rechte des Dritten – namentlich eines nicht an der BAG-Gründung beteiligten Arztes – tangieren kann. Im Genehmigungsverfahren nach § 33 Abs. 2 der Ärzte-ZV wird im Interesse der Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung geprüft, ob die Voraussetzungen für die Begründung des Status einer BAG vorliegen. Rechte von Ärzten, die nicht an der BAG beteiligt sind, spielen insoweit keine Rolle. Das gilt auch dann, wenn durch die Zuerkennung des Status "BAG" die Chancen eines Arztes, im Wege der Nachfolgezulassung den Sitz eines an der gegründeten BAG beteiligten Arztes übernehmen zu können, faktisch geschmälert werden, weil gemäß § 103 Abs. 6 Satz 2 SGB V im Falle gemeinschaftlicher Berufsausübung die Interessen der in der Praxis verbleibenden Vertragsärzte bei der Bewerberauswahl angemessen zu berücksichtigen sind (BSG, Urteil vom 22.10.2014 – B 6 KA 43/13 R –, Rn. 13, juris).

 

Es hätte ausgereicht, wenn nur der Antragsteller zu 1) einen Antrag auf sofortige Vollziehung der Entscheidung über die Zulassung gestellt hätte. Die Zulassungen der beteiligten Leistungserbringer müssen im Zeitpunkt der Beschlussfassung über die Bildung der BAG noch nicht bestandskräftig sein. Der Zulassungsausschuss kann in ein und derselben Sitzung sowohl über beantragte Zulassungen als auch die Genehmigung der gemeinsamen vertragsärztlichen Tätigkeit entscheiden. Ist die Zulassungsentscheidung, z.B. wegen eines Widerspruchs, nicht vollziehbar, so kann auch der Genehmigungsbescheid mangels Aufnahme einer gemeinsamen Tätigkeit nicht vollzogen werden (Düring in: Schallen, Zulassungsverordnung, a) Erteilung der Genehmigung, Rn. 97). Daraus folgt, dass im Fall der Vollziehung der Zulassung automatisch auch der – von den Berechtigten nicht angefochtene – Genehmigungsbescheid über die Ausübung überörtlicher vertragsärztlicher Tätigkeit vollzogen werden kann.

 

Selbst wenn der Beigeladene zu 8) die Genehmigung angefochten hätte, wäre keine aufschiebende Wirkung eingetreten, da die Klage insoweit aufgrund der fehlenden Klagebefugnis unzulässig gewesen wäre. Denn eine offensichtlich unzulässige (Dritt-)Anfechtung entfaltet bereits keine aufschiebende Wirkung. Ein solcher (Ausnahme-)Fall, in dem die im Prozessrecht regelhaft angeordnete aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs zu verneinen ist, wird angenommen, wenn sich die fehlende (Dritt-)Anfechtungsberechtigung bereits mit hinreichender Deutlichkeit aus der höchstrichterlichen Rechtsprechung ergibt (LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 5.10.2015 – L 3 KA 42/15 B ER –, Rn. 19, juris). Dies ist nach den oben genannten Grundsätzen der Fall.

 

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. §§ 154 Abs. 3, 155 Abs. 1 VwGO und berücksichtigt, dass die Antragsteller zu 1) bis 4) hinsichtlich eines geringen Teils unterlegen sind, der Antragsteller zu 1) aber zum Großteil obsiegen konnte, was auch das Begehren der Antragsteller zu 2) bis 3) letztendlich stützt.

Rechtskraft
Aus
Saved