Ein Geschäftsführer, der nicht über eine Kapitalbeteiligung von mehr als 50 % der Anteile am Stammkapital der Gesellschaft verfügt und damit als Mehrheitsgesellschafter ausscheidet, ist grundsätzlich abhängig beschäftigt.
Für die sozialversicherungsrechtliche Berücksichtigung einer im Gesellschafterbeschluss vereinbarten Sperrminorität ist die Eintragung in das Handelsregister erforderlich.
Die bloße Behauptung, es drohe "unmittelbar" Zahlungsunfähigkeit und damit Insolvenz, genügt im sozialgerichtlichen Eilverfahren nicht, um die gesetzlich angeordnete unmittelbare Zahlungspflicht umzukehren.
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung wird abgelehnt.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Streitwert wird auf 19.852,50 EUR festgesetzt.
Gründe:
Der Antrag der Antragstellerin, die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs gegen den Bescheid vom 19.05.2023 gemäß § 86b Abs. 1 SGG anzuordnen, ist zulässig aber unbegründet.
Nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch und Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen.
Der Antrag der Antragstellerin ist nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG statthaft, weil ihr Widerspruch vom 10.07.2024 gegen den Bescheid vom 06.06.2024 keine aufschiebende Wirkung hat. Insofern bestimmt § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG, dass die aufschiebende Wirkung bei der Entscheidung über Versicherungs-, Beitrags- und Umlagepflichten sowie der Anforderung von Beiträgen, Umlagen und sonstigen öffentlichen Abgaben einschließlich der darauf entfallenden Nebenkosten entfällt. Bei dem angefochtenen Bescheid vom 06.06.2024 handelt es sich um einen die Beitragspflicht regelnden Verwaltungsakt.
Soweit dem Widerspruch damit eine aufschiebende Wirkung nicht zukommt, setzt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung voraus, dass bei Abwägung der Interessen das Interesse der Antragstellerin an der Aussetzung der Vollziehung gegenüber dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung überwiegt (Keller, in: Meyer-Ladewig, SGG,14. Aufl. 2023, § 86b Rn. 12 ff.). Im Rahmen der nach pflichtgemäßem Ermessen zu treffenden gerichtlichen Entscheidung ist dabei insbesondere zu berücksichtigen, dass das Gesetz von der Regel ausgeht, dass bei der Entscheidung über Beitragspflichten die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Klage entfällt (§ 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG). Nur ausnahmsweise kann nach dem Rechtsgedanken der insoweit entsprechend anzuwendenden Vorschrift des § 86a Abs. 3 S. 2 SGG die aufschiebende Wirkung anzuordnen sein, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die Vollziehung eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte (LSG NRW, Beschluss vom 07.03.2005 - L 3 B 1/05 R ER -; Beschluss vom 13.10.2006 - L 16 B 1/06 R ER -). Da § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG das Vollzugsrisiko bei Beitragsbescheiden grundsätzlich auf den Adressaten verlagert, können nur solche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides ein überwiegendes Suspensivinteresse begründen, die einen Erfolg des Rechtsbehelfs in der Hauptsache - hier des Widerspruchs - zumindest überwiegend wahrscheinlich erscheinen lassen. Hierfür reicht es nicht aus, dass im Rechtsmittelverfahren möglicherweise noch ergänzende Tatsachenfeststellungen zu treffen sind. Maßgeblich ist vielmehr, ob nach der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Eilentscheidung mehr für als gegen die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides spricht (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 11.8.2016 - L 8 R 1096/14 B ER -, juris Rn. 25 m.w.N.).
Davon ausgehend hat das Gericht nach summarischer Prüfung auf der Grundlage des gegenwärtigen Sach- und Streitstandes keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides vom 06.06.2024. Die Antragsgegnerin war nach dem Ergebnis der Betriebsprüfung gemäß § 28p Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Satz 5 SGB IV zum Erlass dieses Bescheides ermächtigt und verpflichtet.
Für die Tätigkeit der beiden Minderheitsgesellschafter-Geschäftsführer R. V. und F. O. für die Antragstellerin besteht seit dem 18.10.2017 Versicherungs- und Beitragspflicht in der Krankenversicherung, Versicherungs- und Beitragspflicht in der Pflegeversicherung, Versicherungs- und Beitragspflicht in der Rentenversicherung sowie Versicherungs- und Beitragspflicht nach dem Recht der Arbeitsforderung (vgl. § 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V, § 20 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB XI, § 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI und § 25 Abs. 1 SGB III).
Beurteilungsmaßstab für das Vorliegen einer (abhängigen) Beschäftigung ist § 7 Abs. 1 SGB IV. Danach ist Beschäftigung die nicht selbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis (§ 7 Abs. 1 Satz 1 SGB IV). Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers (Satz 2). Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) setzt eine abhängige Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Die hierfür entwickelten Abgrenzungsmaßstäbe gelten grundsätzlich auch für Geschäftsführer einer GmbH. Ob ein Beschäftigungsverhältnis vorliegt, richtet sich bei Geschäftsführern einer GmbH aber in erster Linie danach, ob der Geschäftsführer nach der ihm zukommenden, sich aus dem Gesellschaftsvertrag ergebenden Rechtsmacht ihm nicht genehme Weisungen verhindern oder Beschlüsse beeinflussen kann, die sein Anstellungsverhältnis betreffen (vgl. BSG Urteil vom 14.3.2018 - B 12 KR 13/17 R - BSGE 125, 183 und BSG Urteil vom 14.3.2018 - B 12 R 5/16 R -).
Bei einem Fremdgeschäftsführer scheidet eine selbstständige Tätigkeit generell aus (BSG Urteil vom 14.3.2018 - B 12 KR 13/17 R -). Ist ein GmbH-Geschäftsführer zugleich als Gesellschafter am Kapital der Gesellschaft beteiligt, sind der Umfang der Kapitalbeteiligung und das Ausmaß des sich daraus für ihn ergebenden Einflusses auf die Gesellschaft ein wesentliches Merkmal bei der Abgrenzung von abhängiger Beschäftigung und selbstständiger Tätigkeit. Ein Gesellschafter-Geschäftsführer ist nicht per se kraft seiner Kapitalbeteiligung selbstständig tätig, sondern muss über seine Gesellschafterstellung hinaus die Rechtsmacht besitzen, durch Einflussnahme auf die Gesellschafterversammlung die Geschicke der Gesellschaft bestimmen zu können. Eine solche Rechtsmacht ist bei einem Gesellschafter gegeben, der mehr als 50% der Anteile am Stammkapital hält. Ein Geschäftsführer, der nicht über diese Kapitalbeteiligung verfügt und damit als Mehrheitsgesellschafter ausscheidet, ist dagegen grundsätzlich abhängig beschäftigt. Er ist ausnahmsweise nur dann als Selbstständiger anzusehen, wenn er exakt 50% der Anteile am Stammkapital hält oder ihm bei einer geringeren Kapitalbeteiligung nach dem Gesellschaftsvertrag eine umfassende ("echte" oder "qualifizierte"), die gesamte Unternehmenstätigkeit erfassende Sperrminorität eingeräumt und diese im Handelsregister eingetragen ist. Denn der selbstständig tätige Gesellschafter-Geschäftsführer muss eine Einflussmöglichkeit auf den Inhalt von Gesellschafterbeschlüssen haben und zumindest ihm nicht genehme Weisungen der Gesellschafterversammlung verhindern können. Demgegenüber ist eine "unechte", auf bestimmte Gegenstände begrenzte Sperrminorität nicht geeignet, die erforderliche Rechtsmacht zu vermitteln (vgl. zu Vorstehendem BSG, Urteil vom 19. September 2019 – B 12 R 25/18 R –).
Gemessen daran waren die Geschäftsführer R. V. und F. O. abhängig im streitgegenständlichen Zeitraum beschäftigt. Sie sind zu Geschäftsführern bestellt und verfügten bei der Beschlussfassung in der Gesellschafterversammlung bis zum 19.05.2021 über jeweils 30 Prozent der Stimmen. Seit dem 20.05.2021 verfügen sie über jeweils 45 Prozent der Stimmen. Kraft ihrer jeweiligen Anteile kann daher kein maßgeblicher Einfluss auf die Geschicke der Gesellschaft ausgeübt werden. Eine vollumfängliche, alle Angelegenheiten der Gesellschaft betreffende Sperrminorität liegt für R. V. und F. O. nicht vor. Zwar ist im Gesellschafterbeschluss vorn 18.10.2018 die Einführung einer qualifizierten Sperrminorität beschlossen worden. Diese ist jedoch nicht im Handeisregister eingetragen worden, was für die sozialversicherungsrechtliche Berücksichtigung erforderlich gewesen wäre (vgl. BSG Urteil vom 10.12.2019 -B 12 KR 9/18 R -).
Auch aus dem Umstand, dass R. V. und F. O. – wie von der Antragstellerin zur Begründung ihres Antrages vorgetragen – im geprüften Zeitraum Krankenversicherungsbeiträge geleistet haben, folgt keine andere Bewertung. Denn die Zahlung freiwilliger Krankenversicherungsbeiträge ist bei beidseits gewünschter freier Mitarbeit kein Indiz für ein Unternehmerrisiko und damit für das Bestehen einer selbständigen Beschäftigung (Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 9. Mai 2022 – L 8 R 974/17 –, Rn. 15).
Die Beschäftigung von R. V. und F. O. wurde nach der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren gebotenen summarischen Prüfung auch gegen Arbeitsentgelt ausgeübt, sodass dem Grunde nach Versicherungspflicht zu allen Zweigen der Sozialversicherung anzunehmen ist. Laut Lohnabrechnungen für die Zeit vom 01.05.2020 bis zum 31.12.2022 galt als Arbeitsentgelt eine Nettolohnzahlung (Lohnart 2102 Nettogehalt) als vereinbart. R. V. und F. O. erhielten danach ein monatliches Nettoarbeitsentgelt in Höhe von 1.500,00 Euro. Soweit die Antragstellerin in ihrem Widerspruch vom 10.07.2024 zu diesen Zahlungen ausgeführt hat, dass es sich hierbei nicht um ein Geschäftsführergehalt, sondern um Darlehensrückzahlungen der Gesellschaft an die Gesellschafter gehandelt habe, spricht hiergegen bereits, dass die Antragstellerin aus diesem Entgelt bereits Steuern (Lohnsteuer und Kirchensteuer) abgeführt und die Zahlung im Fragebogen selbst als Vergütung für geleistete Arbeit deklariert hat. Im Übrigen hat die Antragstellerin die hierzu von der Antragsgegnerin mit Schreiben vom 31.07.2024 und vom 30.08.2024 angeforderten Nachweise trotz zweimaliger Fristsetzung nicht an die Antragsgegnerin übersandt und auch nicht im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens vorgelegt.
Schließlich ist die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin auch nicht wegen einer unbilligen Härte im Sinne von § 86a Abs. 3 Satz 2 Alt. 2 SGG anzuordnen. Allein die mit einer (vorläufigen) Zahlungspflicht verbundenen wirtschaftlichen Konsequenzen reichen hierfür nicht aus. Vielmehr hat der Gesetzgeber Härten, die sich aus der Vollstreckung von Abgabenbescheiden vor Eintritt der Bestandskraft ergeben, bewusst in Kauf genommen, indem er der vollständigen Abgabenerhebung den Vorrang eingeräumt und einstweiligen Rechtsschutz nur eingeschränkt zur Verfügung stellt (vgl. u.a. LSG Sachsen, Beschluss vom 30.8.2013 - L 1 KR 129/13 B ER -; LSG Hamburg, Beschluss vom 16.4.2012 - L 3 R 19/12 B ER -). Auch eine drohende Insolvenz des Beitragsschuldners führt nicht ohne weiteres zur Annahme einer unbilligen Härte. Schwierigen Vermögensverhältnissen des Beitragspflichtigen kommt eine ausschlaggebende Relevanz im Eilverfahren regelmäßig nur dann zu, wenn er substantiiert darlegt und glaubhaft macht, dass es sich um einen nur vorübergehenden finanziellen Engpass bei grundsätzlich ausreichender Ertragssituation handelt, der bereits mit Zahlungserleichterungen - etwa in Form von Ratenzahlungen - erfolgreich und nachhaltig behoben werden kann (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 17.2.2017 - L 2/12 R 243/16 B ER -). Die Antragstellerin hat selbst nicht behauptet, dass ihr im Falle der Vollstreckung die Insolvenz droht. Dafür gibt es auch sonst keine Anhaltspunkte.
Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung von § 197 a SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 und § 161 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 197 a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 63 Abs. 2 Satz 1, § 52 Abs. 1 und § 53 Abs. 2 Nr. 4 GKG. Sie berücksichtigt die ständige Praxis der Kammer, im einstweiligen Rechtsschutz von einem Viertel des Hauptsachestreitwerts einschließlich der Säumniszuschläge auszugehen.