L 13 VG 53/21

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
13
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 12 VG 8/20
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 13 VG 53/21
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 21.09.2021 geändert.

 

Der Bescheid vom 03.11.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.02.2020 wird für die Zeit vom 01.06.2017 bis zum 02.11.2017 aufgehoben. Der Beklagte wird für diesen Zeitraum zur Neubescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senates verpflichtet.

 

Im Übrigen wird die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 21.09.2021 zurückgewiesen.

 

Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

 

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

 

Tatbestand:

 

Streitig ist die Gewährung einer Beschädigtenrente über den 31.05.2017 hinaus.

 

Die am 00.00.0000 geborene Klägerin ist seit dem 00.00.0000 verheiratet und Mutter zweier Kinder, die 2018 und 2020 geboren wurden. Sie hat nach jeweils eigenen Angaben 2008 zunächst eine Ausbildung zur Hörgeräteakustikerin begonnen, welche sie aufgrund einer ortsfernen Versetzung vorzeitig beendete. Im Anschluss daran begann sie eine Ausbildung zur zahnmedizinischen Fachassistentin, brach diese im Jahr 2010 ab und ging im Anschluss auf die Kosmetikschule. Kurz vor der dortigen Abschlussprüfung wurde sie Opfer nachgeschilderter Tat und beendete daraufhin diese Ausbildung nicht. Von 2014 bis 2015 hat sie ein ganztägiges Praktikum bei einem Friseur absolviert und von 2016 bis 2017 im Rahmen einer geringfügigen Beschäftigung an der Supermarktkasse gearbeitet. Jedenfalls seit 2017 war sie nach eigenen Angaben als Hörgeräteakustikerin im Geschäft eines ehemaligen Schulfreundes tätig. Die zunächst volle Stelle wurde nach einiger Zeit auf 24 Wochenstunden (Angaben bei A.) bzw. 16 Wochenstunden (Angaben bei S.) reduziert. Sodann war sie in den Jahren 2021 bis 2022 als PR-Managerin und schließlich bei einem Verlag beschäftigt, der in Insolvenz gegangen ist. Seither ist sie arbeitssuchend. Ab Mai 2023 hat sie eine zwischenzeitlich abgeschlossene Ausbildung zur Reittherapeutin begonnen und gibt derzeit in beschränktem Rahmen Therapiestunden. Auf ihrem Instagram-Account setzt sie sich für Betroffene ein.

 

Im Jahr 2022 hat die Klägerin ihre Autobiographie unter dem Titel „J.“ im Selbstverlag veröffentlicht, welche zu den Akten gereicht worden ist. In dieser beschreibt sie ausweislich des dortigen Vorwortes sowie ihrer Erklärung in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ausgenommen wahre Begebenheiten aus ihrem Leben. Auf den Inhalt der Autobiographie wird insofern Bezug genommen.

 

Die Klägerin ist am 30.03.2013 Opfer einer Vergewaltigung und Körperverletzung geworden. Die Tat wurde vor der 1. Strafkammer des Landgerichts (LG) Aachen verhandelt und der damalige Angeklagte mit Urteil vom 15.10.2013 (LG Aachen 61 KLs-806 Js 650/13-27/13) wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt. Der Vollstreckung des Urteils hat sich der Verurteilte bisher – mutmaßlich durch Flucht ins Ausland – entzogen. Nach den Feststellungen des strafgerichtlichen Urteils hatten sich am Abend des 30.03.2013 die Klägerin und eine Freundin mit dem Verurteilten und einem weiteren Mann zum gemeinschaftlichen DVD anschauen und Musik hören in der damals unbewohnten, ehemaligen Wohnung der Klägerin verabredet. Im Laufe des Abends lockte der Verurteilte die Klägerin von den anderen weg in das leerstehende Schlafzimmer, wo die Rollläden herabgelassen waren. Dort schloss er die Tür und begann damit, die Klägerin zu küssen und anzufassen. Als die Klägerin ihn aufforderte, dies zu unterlassen, zog er sie gewaltsam auf den Boden, wobei ihr Hinterkopf auf diesen aufschlug. Der Verurteilte versuchte die Klägerin zunächst zum Oralverkehr zu zwingen, ließ davon aber aufgrund ihrer Gegenwehr ab und führte stattdessen gegen ihren Willen den ungeschützten vaginalen Geschlechtsverkehr bis zum Samenerguss durch. Die unmittelbar nach der Tat herbeigerufenen Polizeibeamten fanden die Klägerin stark zitternd und weinend in der Wohnung auf. Einer hinzugerufenen weiblichen Polizistin offenbarte die Klägerin die stattgefundene Vergewaltigung durch den Verurteilten, woraufhin dieser vorübergehend festgenommen wurde. Die Klägerin erlitt im Zuge dieser Tat nicht unerhebliche Schmerzen an ihrem gesamten Körper, insbesondere dem Kopf- und Halsbereich, an den Armen und Beinen sowie in ihrem Schambereich. Der Senat nimmt im Übrigen auf die Feststellungen des strafgerichtlichen Urteils Bezug.

 

Am 15.04.2013 stellte die Klägerin bei dem Beklagten einen Antrag auf Gewährung von Leistungen nach dem Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (Opferentschädigungsgesetz <OEG>). Der Beklagte zog medizinische Unterlagen über die Behandlungen der Klägerin nach der Tat bei. Danach begab sich die Klägerin unmittelbar nach der Tat in die Notaufnahme des Krankenhauses M., wo u.a. eine Verstauchung und Zerrung der Halswirbelsäule, Prellungen des Thorax, der Lumbosakralgegend und des Beckens sowie eine oberflächliche Verletzung des Kopfes festgestellt worden sind. Eine stationäre Aufnahme lehnte die Klägerin ab (Kurzarztbrief des Krankenhauses M. vom 30.03.2013). Die klägerische Hausärztin, L., beschrieb für den Zeitraum vom 03.04.2013 bis 07.11.2013 psychische Gesundheitsstörungen und diagnostizierte eine Posttraumatische Belastungsstörung (<PTBS>, Befundbericht L. vom 24.03.2014). H. gab in ihrer Auskunft vom 25.03.2014 an, dass die Klägerin bereits vor der Tat im Zeitraum vom 15.03. bis zum 06.12.2006 bei ihr in ambulanter Behandlung wegen der Diagnose F93.8 (= Sonstige emotionale Störungen des Kindesalters) gewesen sei. Am 28.05.2013 habe sie sich erneut vorgestellt, sich dann aber erst nach sechs Monaten wieder gemeldet, so dass kein Therapieplatz mehr zur Verfügung gestanden habe. Sie habe ihr berichtet, dass es ihr nach der Vergewaltigung sehr schlecht gehe, sie nicht alleine sein könne, sie Albträume habe, sich nicht konzentrieren könne und sie nicht wisse, wie es weitergehen solle. Es wurde ebenfalls eine PTBS diagnostiziert. Die Prognose sei bei möglicher Borderline-Persönlichkeitsstörung sehr ungünstig und es werde eine stationäre Therapie benötigt. Die Klägerin stellte sich zudem zunächst ambulant in der K.-Klinik – Fachklinik für Psychiatrie und Psychotherapie – in M. vor. Dort wurden die Diagnosen F32.2 (schwere depressive Episode ohne psychotische Symptome) und F43.1 (PTBS) gestellt und bestätigt, dass die Klägerin aufgrund ihrer Angstsymptomatik nicht im Stande sei, das im Januar 2014 begonnene Studium zur Tierheilpraktikerin fortzusetzen (Attest der Psychiaterin B. vom 14.03.2014 und Bericht der K. Klinik M. vom 29.04.2014).

 

Eine daraufhin von dem Beklagten veranlasste externe Begutachtung der Klägerin durch einen Neurologen und Kinderpsychiater kam nicht zustande, da die Klägerin zu den Untersuchungsterminen nicht erschien. Der Beklagte wies die Klägerin daraufhin mit Schreiben vom 22.10.2014 unter Fristsetzung auf ihre Mitwirkungspflichten und die Folgen fehlender Mitwirkung nach §§ 60ff i.V.m. § 66 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) hin. Nachdem auch auf die weiteren Erinnerungen des Beklagten vom 07.01.2015 und vom 04.03.2015 mit letztmaliger Fristsetzung bis zum 01.04.2015 keine Reaktion der Klägerin erfolgte, versagte der Beklagte mit bestandskräftig gewordenem Bescheid vom 09.04.2015 die beantragten Leistungen nach dem OEG wegen mangelnder Mitwirkung.

 

Am 21.06.2016 beantragte die Klägerin erneut Leistungen nach dem OEG. Sie gab u.a. an, dass sie am 22.08.2015 einen schweren Unfall gehabt habe, da sie von einem Hund ins Gesicht gebissen worden sei, woraufhin sie auf dem linken Auge erblindet sei. Sie sei derzeit nicht in der Lage, arbeiten zu gehen (Schreiben vom 19.06.2016, Email vom 10.11.2016). Der Hund hat dabei unstreitig der Klägerin derart ins Gesicht gebissen, dass der Tränenkanal des linken Auges operativ gerichtet werden musste. Im Nachgang kam es zu einer Infektion des Auges, infolge derer die Klägerin auf diesem Auge erblindete (Berichte der Klinik für Augenheilkunde der N. vom 27.08.2015 sowie des P. in M. vom 21.12.2015).

 

Zur Prüfung wertete der Beklagte weitere Unterlagen aus: Ausweislich eines Berichtes vom 12.05.2014 berichtet die K. Klinik M. über einen stationären Aufenthalt der Klägerin am 12.05.2014. Die Klägerin habe sich auf Wunsch ihrer Eltern vorgestellt, sie selbst habe das Gefühl, sich schon gut stabilisiert zu haben. In der Aufnahmesituation sei kein psychotisches Erleben explorierbar gewesen. Eine stationäre Aufnahme habe sie abgelehnt.

 

Ausweislich der Berichte der Psychologin I. des Deutschen Instituts für Psychotraumatologie (DIPT) in W. besuchte die Klägerin vom 13.12.2016 bis zum 16.08.2017 regelmäßig zu Lasten des Beklagten (Bescheide des Beklagten vom 03.01.2017 und 22.08.2017) die dortige traumaspezifische tiefenpsychologische Sprechstunde. Diesen ist zu entnehmen, dass dort nach einer am 13.12.2016 durchgeführten Diagnostik und anhand des klinischen Eindrucks festgestellt worden sei, dass die Klägerin ein schweres Trauma begleitet von einer schweren Depression zeige. Eine derartige Symptomatik habe für den prä-traumatischen Zeitraum nicht exploriert werden können. Die Klägerin habe berichtet, dass sich ihre Beschwerden seit 2013 verstärkt hätten, was damit zu erklären sei, dass sie im Anschluss an die Vergewaltigung im März 2013 weitere belastende Erfahrungen gemacht habe. Das Symptombild stehe daher in unmittelbarem Zusammenhang mit den traumatischen Erfahrungen, was die Kausalität unterstreiche. Ende Mai 2017 habe die Klägerin begonnen, sich zu stabilisieren, ein starkes Verständnis für ihre Situation entwickeln können und ihre Selbstfürsorge und selbstreflexiven Fähigkeiten seien gestärkt worden. Diese Verbesserung zeige sich sowohl in den leicht verbesserten Testergebnissen als auch im klinischen Eindruck. Allerdings seien die Testergebnisse dadurch negativ beeinflusst, dass die Klägerin wenige Tage vor der Abschlussdiagnostik Zeugin eines Überfalls vor ihrer Wohnung geworden sei. Dabei habe die Klägerin geschildert, dass sie am Morgen des 28.04.2017 von ihrem Küchenfenster aus beobachtet habe, wie ein Mann eine junge Frau angegriffen und mehrfach geschlagen habe. Als sie daraufhin aus dem Haus und auf den Täter zugelaufen sei, habe der Täter ihr mit den Worten gedroht: „Ich weiß, wo du wohnst, ich bringe dich um!“ Dann habe er die Frau in sein Auto gezerrt und sei mit ihr davongefahren. Die diesbezügliche Symptomatik habe sich jedoch bereits nach eigenen Angaben kurzzeitig wieder reduziert (Befundbericht vom 30.05.2017). Es zeige sich insgesamt eine leichte Besserung. Im klinischen Eindruck präsentiere sich eine deutlich gestärkte Alltagskompetenz sowie ein gebesserter Umgang mit der nach wie vor schwierigen Lebenssituation. Die Klägerin stellte sich im Herbst 2017 nochmals im DIPT vor. Ausweislich des Berichtes der Psychologin O. vom 24.10.2017 habe sich die Situation der Klägerin deutlich seit dem 30.05.2017 stabilisiert. Die Klägerin beendete die Behandlung auf eigenen Wunsch (Bericht vom 18.12.2017). Auf die weiteren Inhalte der Berichte des DIPT vom 20.12.2016, jeweils vom 30.05.2017, vom 24.10.2017 und vom 18.12.2017 wird Bezug genommen.

 

Aufgrund des o.g. Ereignisses am 28.04.2017 stellte die Klägerin am 01.06.2017 einen weiteren Antrag auf Leistungen nach dem OEG bei dem Beklagten, den sie allerdings auf einen Hinweis des Beklagten, dass ein tätlicher Angriff hierin nicht zu sehen sei, mit Schreiben vom 27.04.2018 wieder zurücknahm.

 

Nach Auswertung der vorliegenden medizinischen Unterlagen schlug die Psychiaterin und Psychotherapeutin T. in ihrer gutachtlichen Stellungnahme vom 02.11.2017 eine Staffelung der Schädigungsfolgen dergestalt vor, dass eine psychoreaktive Störung nach Traumatisierung am 30.03.2013 im Zeitraum von Juni 2016 bis Mai 2017 mit einem Grad der Schädigungsfolgen (GdS) von 30 und Restbeschwerden einer psychoreaktiven Störung nach Traumatisierung am 30.03.2013 ab Juni 2017 mit einem GdS von unter 25 anzunehmen seien.

 

Diesem Vorschlag folgte der Beklagte mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 03.11.2017 und stellte darin zunächst fest, dass die Gesundheitsstörung psychoreaktive Störung nach Traumatisierung am 30.03.2013 im Zeitraum von Juni 2016 bis Mai 2017 sowie die Gesundheitsstörung Restbeschwerden einer psychoreaktiven Störung nach Traumatisierung am 30.03.2013 ab Juni 2017 durch schädigende Einwirkungen i.S.d. § 1 OEG hervorgerufen seien. Der GdS ab dem 01.06.2016 betrage 30 und ab dem 01.06.2017 unter 25. Insofern erhalte die Klägerin eine Grundrente in Höhe von 132,00 € monatlich für Juni 2016 und für den Zeitraum Juli 2016 bis Mai 2017 in Höhe von 138,00 €. Diese Grundrente sei ab Januar 2017 (§ 44 Abs. 2, 1. HS SGB I) und bis Oktober 2017 zu verzinsen (Auszahlung im November 2017), so dass sich insgesamt ein Zahlbetrag in Höhe von 1.698,10 € ergebe. Auf die Bescheidbegründung wird Bezug genommen.

 

Am 17.11.2017 legte die Klägerin Widerspruch gegen den Bescheid vom 03.11.2017 ein. Ihr psychischer Zustand sei unzureichend berücksichtigt. Fälschlicherweise sei ein GdS von unter 25 für die Zeit ab Juni 2017 angenommen worden. Aus einem Vergleich der beiden Abschlussberichte des DIPT werde deutlich, dass zwar kleine Verbesserungen eingetreten seien, diese aber nicht für eine Minderung des GdS ausreichten. Es sei dort immer noch die Rede von einer schwierigen Lebenssituation mit der dringenden Notwendigkeit psychotherapeutischer Behandlung. Sie habe ihre Behandlung unterbrochen, da ihre bekannte Therapeutin, C., erkrankt sei. Sie habe nach einer Beratung bei einer anderen Therapeutin die Sitzungen des DIPT abgebrochen, da diese ihr die zunächst zugesicherte Unterstützung für das OEG-Verfahren wieder entzogen und sie ihr gegenüber kein Vertrauen mehr gehabt habe. Auf Wunsch der Klägerin ruhte das Widerspruchsverfahren zunächst für die Dauer ihrer Schwangerschaft.

 

Die Klägerin entband im Juni 2018 einen Sohn im Rahmen eines Notkaiserschnitts. Bei diesem wirkte die verabreichte Anästhesie nicht ausreichend, so dass die Klägerin während des Kaiserschnitts kaum Schmerzlinderung erfuhr.

 

Nachdem die Klägerin um die Fortsetzung des Verfahrens gebeten hatte, ließ der Beklagte sie durch die Ärztin für Neurologie und Psychiatrie A. mittels persönlicher Untersuchung begutachten. In ihrem Gutachten vom 23.09.2019 hielt die Gutachterin zunächst anamnestisch fest, dass die Klägerin den Visusverlust auf dem linken Auge gut kompensieren könne und auch wieder Auto fahre. Ca. zwei Jahre nach der Geburt ihres Kindes habe die Klägerin plötzlich nicht laufen können, eine Lähmung der linken Gesichtshälfte gehabt, seitdem bestehe bis jetzt durchgehend ein sensible Hemisymptomatik links. Bei einer neurologischen Abklärung im Krankenhaus M. E. im Septmber2018 sei jedoch keine Ursache gefunden worden. Seit Mai 2019 sei sie wieder in einer Psychotherapie (Verhaltenstherapie) bei der Dipl.-Psych. Q.. Ihren Mann habe sie im Internet kennengelernt, im August 2015 getroffen und am 00.00.0000 geheiratet. Nach einer Kinderwunschoperation (Zysten und Endometriose) im Sommer 2017 sei im Juni 2018 ihr Wunschkind (Sohn) geboren.

 

Die Gutachterin diagnostizierte bei der Klägerin folgende Gesundheitsstörungen: Restsymptome einer PTBS gemäß ICD-10 F43.1 wie Ängstlichkeit, vereinzelte Flashbacks und Intrusionen. Sie sei insgesamt aber stabilisiert, lebe zukunftsorientiert, habe einen weiteren Kinderwusch, zeige weder in der Versorgung ihres Kindes noch bei alltagspraktischen Dingen Einschränkungen, könne Freizeitaktivitäten und Hobbies durchführen und zeige auch hinsichtlich der Hunde keine Phobien, was ebenfalls für eine Stabilisierung spreche. Die Symptomatik sei rückläufig und der GdS werde aktuell mit unter 25 eingestuft. Nichtschädigungsfolgen bestünden nicht, Hinweise auf psychische Vorschäden bestünden auch nicht, auch sei kein Nachschaden festzustellen. Insgesamt sei die Staffelung wie von dem Beklagten angenommen vorzunehmen. Auf die weiteren Ausführungen der Gutachterin wird Bezug genommen.

 

Die Beratungsärztin T. bestätigte dieses Ergebnis in ihrer fachärztlichen Stellungnahme vom 07.11.2019. Gestützt darauf wies der Beklagte den Widerspruch der Klägerin mit Widerspruchsbescheid vom 05.02.2020 als unbegründet zurück. Auf die Begründung wird Bezug genommen.

 

Dagegen hat sich die Klägerin am 04.03.2020 mit ihrer Klage vor dem Sozialgericht (SG) Aachen gewandt und ihr Begehren fortgeführt. Zur Begründung hat sie ausgeführt, dass sie auch über den 31.05.2017 hinaus an einer schweren Symptomatik mit zahlreichen psychischen, psychosomatischen und psychophysiologischen Funktionseinschränkungen mit schweren und erheblichen Teilhabebeschränkungen leide. Insoweit werde auf das beigefügte Attest ihrer behandelnden Psychotherapeutin, der Dipl.-Psych. Q. vom 01.04.2020 verwiesen, in welchem diese bestätige, dass bei ihr eine depressive Entwicklung und eine Panikstörung vorlägen, die Folgestörungen der PTBS seien. Sie zeige eine schwere Symptomatik, die sie jedoch durch Funktionalität gut verdecken könne. Die damit verbundenen ständigen Vermeidungsstrategien führten zu einer enormen Erschöpfung und zu einer Verstärkung der Symptome, statt zu der erhofften Anerkennung. Daher würde die Anerkennung des Leides in diesem Verfahren auch zur weiteren Heilung beitragen.

 

Die Klägerin hat beantragt,

 

den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 03.11.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.02.2020 zu verurteilen, bei der Klägerin auch über den 31.05.2017 hinaus einen GdS von mindestens 30 festzustellen und die hieraus resultierenden Rentenleistungen zu gewähren.

 

Der Beklagte hat beantragt,

 

            die Klage abzuweisen.

 

Zur Begründung hat er auf seine streitigen Bescheide Bezug genommen.

 

Das SG hat zunächst Befundberichte der behandelnden Ärzte V. (Fachärztin für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie), Z. (Facharzt für Allgemeinmedizin) und G. (Fachärztin für Allgemeinmedizin) eingeholt. V. hat in ihrem Befundbericht vom 05.08.2020 mitgeteilt, dass sie die Klägerin zwei Mal (06.04. und 08.05.2020) behandelt habe. Neben den von der Klägerin selbst geschilderten Symptome könne sie aufgrund der kurzen Behandlungsdauer keine Aussagen machen. Z. hat in seinem Befundbericht vom 11.08.2020 angegeben, dass er die Klägerin vom 23.10.2008 bis zum 06.09.2017 behandelt habe. Er übersandte diverse Arztberichte, auf deren Inhalte Bezug genommen wird. G. hat in ihrem Befundbericht vom 27.08.2020 erklärt, dass sie die Klägerin im Zeitraum vom 11.09.2017 bis zum 20.04.2020 behandelt habe. Sie bestätigte zuletzt anhaltende rezidivierende Beschwerden bei PTBS, diesbezüglich sei eine Psychotherapie angedacht. Übersandt wurden ebenfalls weitere Arztberichte, auf deren Inhalt jeweils Bezug genommen wird.

 

Sodann hat das SG Beweis durch Einholung eines neurologisch-psychiatrischen Sachverständigengutachtens nach § 106 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch den Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie S. erhoben. Der Sachverständige hat in seinem Gutachten vom 16.03.2021 aufgrund ambulanter Untersuchung der Klägerin die Diagnosen einer andauernden Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung (ICD-10 F62.0G) und einer generalisierten Angststörung (ICD-10 F41.1G) gestellt. Er hat erläutert, dass die Vergewaltigung vom 30.03.2013 eindeutig die Basiskriterien eines Eingangstraumas einer PTBS erfülle. Eine solche folge dem Trauma mit einer unterschiedlich langen Latenz, die jedoch selten mehr als sechs Monate betrage und heile in der weit überwiegenden Zahl der Fälle im Verlauf von Monaten oder spätestens einigen Jahren wieder ab. Nur bei wenigen Patienten nehme die Störung über viele Jahre einen chronischen Verlauf und gehe dann in eine andauernde Persönlichkeitsänderung gemäß ICD-10 F62.0 über. Der Verlauf der Symptomatik sei im vorliegenden Fall für eine PTBS ungewöhnlich, da es erst ab Ende 2014 und damit 20 Monate nach der Tat zu ausgeprägten Symptomen gekommen sei, die sich dann über die nachfolgenden drei Jahre sukzessive verstärkt hätten. Der zwischenzeitlich stattgefundene schwere Hundebiss habe sicherlich dazu beigetragen, dass es zu einer Zunahme der Ängste gekommen sei. Die aktuelle Schilderung der Klägerin von Triggern und Flashbacks sei indes häufig unscharf und teils widersprüchlich. Ihre Ängste vor Männern, die sie an den Täter erinnerten, vor Männern insgesamt, die Wut, die Schlafstörungen, die in der geschilderten Intensität medizinisch nicht plausibel seien, und die Gefühle von Entfremdung ließen sich als Trauma-Spätfolgen klassifizieren, wobei jedoch das Vollbild einer PTBS sicherlich nicht mehr vorliege. Das aktuell bestehende Krankheitsbild der Klägerin gehe im Hinblick auf die ständige innere Anspannung, die diffusen Ängste, die ständige vegetative Übererregbarkeit und die auch körperlichen Symptome über das einer PTBS hinaus. Diesbezüglich seien die Kriterien einer generalisierten Angststörung nach ICD-10 bei der Klägerin erfüllt.

 

Hinsichtlich der andauernden Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung im Sinne einer Folgeschädigung einer PTBS sei ein kausaler Zusammenhang zu der Tat am 30.03.2013 klar gegeben.

 

Daneben lägen bei der Klägerin jedoch auch psychische Symptome vor, die nicht ursächlich im Sinne der Kausalität überwiegend auf das Eingangstrauma vom 30.03.2013 zurückzuführen seien, nämlich die generalisierte Angststörung. Eine generalisierte Angststörung sei nach allgemeiner Lehrmeinung multifaktoriell bedingt und nicht auf ein singuläres Ereignis zurückzuführen. Es sei auch angesichts eines Zeitraums von nunmehr acht Jahren seit der Tat nicht valide, jegliche psychischen Symptome als Folge des Traumas aufzufassen. Insbesondere wegen des eher untypischen Verlaufs der PTBS sei ein kritischer Blick auf konkurrierende Ursachen für psychische Symptome angezeigt. Diesbezüglich fänden sich in der Biographie der Klägerin beispielsweise der Hundebiss, in dessen Folge das linke Auge erblindet sei, die Gerichtsverhandlung vor dem LG Aachen oder der lange Zeit unerfüllt gebliebene Kinderwunsch der Klägerin. Auch diese seien geeignet, psychische Symptome wie die Angststörung auszulösen.

 

Den GdS hinsichtlich der andauernden Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung beziffere er mit 20, da es sich um eine leichtere psychovegetative oder psychische Störung handle und infolge des Schädigungsereignisses vom 30.03.2013 keine weiteren Gesundheitsstörungen vorliegen. Das Ausmaß einer stärker behindernden psychischen Störung werde hier nicht erreicht. In seiner gutachtlichen Einschätzung weiche er von Frau A. dahingehend ab, dass er den insgesamt vorliegenden psychischen Zustand der Klägerin als schwerer einschätze, jedoch zusätzlich zur PTBS eine generalisierte – nicht kausale – Angststörung diagnostiziere. Im Hinblick auf die Bezifferung des GdS für die PTBS bestehe keine Diskrepanz. Auf die weiteren schriftlichen Ausführungen des Sachverständigen nimmt der Senat Bezug.

 

Die Klägerin hat sich mit diesen Feststellungen nicht einverstanden erklärt und eine weitere Stellungnahme ihrer behandelnden Therapeutin Dipl.-Psych. Q. vom 28.05.2021 vorgelegt. Diese hat eingewandt, dass sie aufgrund der ständigen Vermeidungsstrategien zur Unterdrückung der durch die Vergewaltigung hervorgerufenen Scham- und Ekelgefühle Ängste entwickelt habe. Diese Ängste hätten zunächst in unmittelbarem Zusammenhang mit der Vergewaltigung gestanden, sich jedoch mit der Zeit vermehrt und auch auf andere Situationen ausgedehnt. Ihre Grundlage liege aber nach wie vor in der Vergewaltigung. Nach den Kriterien des ICD-11, dessen Wertungen schon jetzt gelten würden, müsse bei der Klägerin diagnostisch von einer PTBS ausgegangen werden, in der die Ängste aufgingen. Wenn man diagnostisch von einer eigenständigen Diagnose der generalisierten Angststörung ausginge, müsse man diese zumindest als durch die Vergewaltigung begründet ansehen. Die Diagnose einer andauernden Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung sei jedenfalls unzutreffend.

 

In seiner daraufhin eingeholten ergänzenden Stellungnahme vom 08.07.2021 hat sich der Sachverständige S. dem nicht angeschlossen. Stattdessen hat er ausgeführt, dass die Ängste der Klägerin objektiv kritisch betrachtet nur zum Teil auf das traumatische Ereignis der Vergewaltigung gerichtet seien. Als Sachverständiger habe er – anders als im therapeutischen Kontext – die Angaben der Klägerin auf inhaltliche Konsistenz zu prüfen. Die Therapeutin sehe nicht, dass hier im Zusammenhang mit der Bewertung des GdS ein Zusammenhang der Gesundheitsstörungen zu der Tat hergestellt werden müsse. Die Klägerin habe darüber hinaus auch diffuse traumaunabhängige Ängste entwickelt. Er habe die Diagnosen anhand des ICD-10 bestimmt, der ICD-11 entfalte noch keine Gültigkeit.

 

Das SG hat mit Urteil vom 21.09.2021 die Klage als unbegründet abgewiesen. Auf die Entscheidungsgründe wird Bezug genommen.

 

Die Klägerin hat sich gegen das ihr am 28.09.2021 zugestellte Urteil des SG Aachen vom 21.09.2021 mit ihrer am 04.10.2021 eingelegten Berufung gewandt. Sie wiederholt ihren erstinstanzlichen Vortrag. Vertiefend trägt sie vor, dass ihre nach wie vor schweren seelischen Beeinträchtigungen einzig auf die Vergewaltigung vom 30.03.2013 zurückzuführen seien. Insbesondere habe der vielzitierte Hundebiss nicht zu einer psychischen Beeinträchtigung geführt. Sie habe als langjährige Hundebesitzerin ein ungestört gutes Verhältnis zu Hunden. Auch mit ihrem Kinderwunsch hätten ihre seelischen Leiden nichts zu tun. Sie sei glückliche, zweifache Mutter. Ihren Vortrag bekräftigt sie mit einem weiteren Attest ihrer behandelnden Psychiaterin V. vom 10.12.2021. Darin bestätigt diese, dass die Klägerin anamnestisch Symptome angegeben habe, die einer PTBS zuzuordnen seien. Überdies habe sie einen angespannten Affekt und eine verminderte affektive Schwingungsbreite bei deutlicher Antriebssteigerung als Ausdruck der inneren Anspannung exploriert.

 

Die Klägerin beantragt,

 

das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 21.09.2021 zu ändern und den Beklagten unter teilweiser Aufhebung seines Bescheides vom 03.11.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.02.2020 zu verurteilen, ihr eine Beschädigtenrente nach einem GdS von mindestens 25 v.H. nach weiterer Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen über den 31.05.2017 hinaus zu gewähren,

 

hilfsweise den Beklagten zur Neubescheidung für den Zeitraum vom 01.06.2017 bis zum 02.11.2017 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senates zu verpflichten.

 

Der Beklagte beantragt,

 

die Berufung zurückzuweisen.

 

Er hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend und nimmt im Wesentlichen darauf sowie auf sein bisheriges Vorbringen Bezug.

 

Der Senat hat zunächst die Behandlungsunterlagen der Klägerin von V. und Dipl.-Psych. Q. angefordert. V. hat daraufhin einen Auszug aus ihrer Patientenkartei und ein Attest vom 08.02.2022 übersandt, auf deren Inhalte Bezug genommen wird.

 

Den Unterlagen der Dipl.-Psych. Q. ist u.a. ihre schriftliche Begründung vom 10.05.2020 an den zuständigen Träger der Krankenversicherung zum Antrag der Klägerin auf Umwandlung der Kurzzeit- in eine Langzeittherapie zu entnehmen. Darin gibt die Therapeutin an, dass es im Leben der Klägerin zu zahlreichen psychisch belastenden Erlebnissen gekommen sei. Sie benennt die Tatsache, dass die Anästhesie der Klägerin bei ihrem ersten Kaiserschnitt nicht richtig gewirkt habe und die Geburt daher extrem schmerzhaft gewesen sei. Ferner habe die Klägerin zuvor im Rahmen der Kinderwunschbehandlungen viele Operationen erdulden und zwei Fehlgeburten erleiden müssen. Der Hundebiss sei als weiteres traumatisches Erlebnis zu nennen, obwohl die Klägerin keine Angst vor Hunden habe. Dazu komme, dass die Mutter der Klägerin depressiv sei und es deswegen immer wieder Konflikte mit ihr gebe. Daher würden sich die Eltern der Klägerin, die im selben Haus in einer eigenen Wohnung lebten, nunmehr nach einer eigenen Wohnung umsehen. Das Verhalten der Klägerin analysiert die Therapeutin dahingehend, dass diese kompensatorische Strategien wie das fortwährende Funktionieren in allen Lebensbereichen und einen hohen Leistungsanspruch und Leistungswillen entwickelt habe, die jedoch dysfunktional seien, weil sie dazu führten, dass die Klägerin in Vermeidungsschleifen bliebe und keine positiven korrigierenden Erfahrungen machen könne. So bleibe das schädigende Selbst- und Beziehungskonzept aufrechterhalten und werde verstärkt. Die Symptome der Klägerin seien als Folgestörungen der traumatischen Erfahrungen zu bewerten. Diagnostisch handele es sich um den Verdacht auf eine komplexe PTBS mit den gesicherten Folgestörungen einer rezidivierenden depressiven Störung, gegenwärtig mittelgradiger Ausprägung sowie einer generalisierten Angststörung. Auf die weiteren Inhalte wird Bezug genommen.

 

Der Sachverständige S. ist in seinen weiteren ergänzenden Stellungnahmen vom 14.03.2022 und 07.07.2022 zu den beigezogenen Behandlungsdokumentationen und einem weiteren von der Klägerin vorgelegten Attest ihrer Therapeutin Dipl.-Psych. Q. vom 28.05.2022 bei seiner Einschätzung verblieben. Die behandelnde Ärztin wie die Therapeutin der Klägerin differenzierten die Symptome im Hinblick auf ihre Kausalität nicht näher, was aus therapeutischer Sicht auch nicht erforderlich sei. Soweit die Therapeutin daraus, dass vor der Tat bei der Klägerin keine Symptome vorhanden gewesen seien, schließe, dass alle Symptome durch die Tat verursacht seien, unterliege sie einem unzulässigen post-hoc-ergo-propter-hoc-Schluss. Er habe in seinem Gutachten herausgearbeitet, dass die Symptome der Klägerin sich in einer für eine PTBS untypischen Weise in großem zeitlichen Abstand zu dem Trauma eingestellt hätten. Gerade in einem solchen Fall sei die Symptomatik im Hinblick auf konkurrierende Faktoren kritisch zu hinterfragen. Die Symptomatik der Klägerin sei keinesfalls spezifisch für eine PTBS, sondern viele diesbezügliche Symptome seien durch eine generalisierte Angststörung hervorgerufen worden. Er bezweifle zwar nicht die Diagnose einer PTBS, müsse aber feststellen, dass es im Verlauf diesbezüglich zu einer deutlichen Besserung gekommen sei, wie sich aus der weiteren Biographie der Klägerin zeige. Zudem verweist der Sachverständige nochmals auf die im Rahmen der Kausalitätsbetrachtung relevanten konkurrierenden Faktoren. Auf den weiteren Inhalt wird Bezug genommen.

 

Sodann hat die Klägerin beantragt (Schriftsatz vom 16.11.2022), ein psychiatrisches Sachverständigengutachten nach § 109 SGG von dem Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie U. einzuholen. Noch bevor der Senat über diesen Antrag entscheiden konnte, hat die Klägerin das bereits gefertigte Gutachten von U. vom 24.11.2022 übersandt, welches dieser aufgrund einer bereits am 27.10.2022 durchgeführten Untersuchung der Klägerin erstellt hat. Die Gerichts- und Verwaltungsakten haben ihm bei der Gutachtenerstellung nicht zur Verfügung gestanden, sondern lediglich die durch die Klägerin partiell zur Verfügung gestellten Unterlagen, die er u.a. auf den Seiten 2 bis 6 seines Gutachtens aufgelistet hat.

 

In der Anamnese schildert U., dass die Klägerin nicht die Verletzung durch den Hund, sondern die anschließende von ihr als unzureichend empfundene Behandlung ihres Auges durch die Klinik (fehlende Antibiose) für den Verlust ihres Augenlichts verantwortlich mache. Sie habe die Klinik ohne Erfolg verklagt. Ihr habe zum einen das Geld gefehlt, zum anderen seien die Akten der Klinik verschwunden gewesen. Zum Überfall am 28.04.2017, den sie bezeugt habe, habe die Klägerin erklärt, dass sie nachträglich von der Polizei erfahren habe, dass Opfer und Täter ein Paar gewesen und in der Vergangenheit bereits öfter auffällig geworden seien. Auch habe sie sich nicht spontan, sondern erst auf Nachfrage an diesen Vorfall erinnern können. Andere Ängste seien auf Nachfrage verneint worden. Während der Schilderung des Tathergangs der Vergewaltigung habe die Klägerin ein psychovegetatives Hyperarousal (Übererregbarkeit des autonomen Nervensystems) gezeigt. Sie habe dabei auch geschildert, dass es zum Oralverkehr gekommen sei, weil sie diesen nicht habe abwehren können.

 

Nach U. sei von einer PTBS auszugehen. Eine generalisierte Angststörung könne er nicht bestätigen, denn bei genauer Betrachtung der Verhaltensmuster der Klägerin zeige sich, dass deren Ängste sich sämtlich auf eine mögliche Wiederholung der Erlebnisse vom 30.03.2013 bezögen und keinesfalls generalisiert seien. Dieses Muster zeige sich über Jahre stabil. Dementgegen sei eine generalisierte Angststörung von Ängsten mit deutlich wechselndem Charakter geprägt. Solche Ängste zeige die Klägerin nicht. Auch der Diagnose der andauernden Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung (F62.0) könne er nicht zustimmen. Diese setze voraus, dass ein länger andauerndes Ereignis, das nachhaltig und tiefgreifend bis hinab auf die Persönlichkeitsebene wirke, stattgefunden habe. Ein solches sei in dem singulären Ereignis einer Vergewaltigung nicht zu sehen. Außerdem ließe S. die von ihm selbst erfasste fortbestehende psychoreaktive Symptomatik der Klägerin diagnostisch unberücksichtigt. Eine solche komme weder im Rahmen einer generalisierten Angststörung noch im Rahmen der anhaltenden Persönlichkeitsveränderung nach Extrembelastung vor, sondern sei ausschließlich für die floride PTBS definierend.

 

Für diese PTBS sei ausschließlich die Vergewaltigung vom 30.03.2013 ursächlich. Konkurrierende Ursachen könne er nicht ausmachen. Der Hundebiss komme dafür nicht in Betracht. Auch die Bezeugung des Überfalls vor ihrer Wohnung im April 2017 stelle keine Konkurrenzursache dar. Die Klägerin habe diesen Vorfall im Nachhinein durch einen Anruf bei der Polizei für sich klären können. Zwar sei eine anfängliche Zunahme der bereits vorbestehenden psychoreaktiven Symptome und eine psychische Destabilisierung aktenkundig, doch habe dieses Ereignis nicht zu einer nachhaltigen Veränderung der Symptomatik geführt. Dafür spreche auch, dass sich die Klägerin nicht von alleine an das Ereignis erinnert habe, sondern habe angesprochen werden müssen. Auch könne er das von S. angeführte vermeintlich hohe Funktionsniveau der Klägerin in ihrem Lebenslauf nicht erkennen. Er beurteile das Störungsbild der Klägerin unter Berücksichtigung der erheblichen familiären Probleme und des sozialen Rückzugs insgesamt mit einem GdS von 30. Auf die weiteren Ausführungen wird Bezug genommen.

 

Der Sachverständige S. hat zu den Ausführungen des U. am 23.01.2023 nochmals ergänzend Stellung genommen und ausgeführt, es treffe nicht zu, dass die aktuell bei der Klägerin bestehenden Ängste sich ausschließlich auf die Vergewaltigung bezögen. Diese seien deutlich generalisiert, was auch schon die Therapeutin der Klägerin, Dipl.-Psych. Q., am 01.04.2020 festgestellt habe. Auch sei es nicht zutreffend, dass die Klägerin durchgehend dieselben Symptome gezeigt habe. Es wäre ungewöhnlich, dass noch zehn Jahre nach einem Eingangstrauma unverändert dieselben Symptome bestehen würden. U. übernehme unkritisch die Selbsterklärungsversuche der Klägerin hinsichtlich der Ätiologie ihrer komplexen psychischen Symptomatik, verharmlose den Hundebiss und ignoriere die weiteren Probleme in der Biographie der Klägerin, wie sie auch von ihr selbst abgewehrt würden. Für Opfer einer Gewalttat sei es ein häufig anzutreffender Mechanismus, alle zeitlich später eintretenden Widrigkeiten auf dieses Ereignis zurückzuführen. Auf den weiteren Inhalt wird Bezug genommen.

 

Der Senat hat letztlich die Schwerbehindertenakten der Klägerin bei dem Kreis M. angefordert. Daraus folgt, dass der Klägerin seit dem 30.06.2017 ein Grad der Behinderung (GdB) von 70 sowie die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen RF zuerkannt worden sind. Als maßgebende Beeinträchtigungen sind genannt: 1. Sehminderung und 2. Restbeschwerden einer psychoreaktiven Störung nach Traumatisierung (OEG-Bescheid). Laut der gutachtlichen Stellungnahme vom 10.01.0218 ist der Kreis M. dabei von einem Einzel-GdB von 60 für die Sehminderung und einem Einzel-GdB von 20 für die psychischen Leiden ausgegangen.

 

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsakte des Beklagten, die jeweils Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

 

 

Entscheidungsgründe:

 

Die Berufung der Klägerin hat teilweisen Erfolg.

 

A. Gegenstand der Berufung ist das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 21.09.2021, welches den Bescheid des Beklagten vom 03.11.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.02.2017 bestätigt. Mit diesem hat der Beklagte die Gewährung einer Beschädigtenrente über den 31.05.2017 hinaus abgelehnt.

 

Nicht streitgegenständlich ist damit der Zeitraum bis einschließlich dem 31.05.2017 (§ 123 SGG). Weiterhin nicht streitrelevant ist der Vorfall vom 28.04.2017, bei welchem die Klägerin Zeugin eines Überfalls geworden und nach ihren Angaben von dem Täter bedroht worden ist. Den darauf gestützten Antrag verfolgte die Klägerin bereits ausdrücklich im Verwaltungsverfahren nicht weiter (Schreiben vom 27.04.2018), so dass der Beklagte dies auch in seine Entscheidung nicht mit einbezogen hat.

 

B. Die so ausgelegte, am 04.10.2021 schriftlich eingelegte und auch im Übrigen bereits den förmlichen Anforderungen des § 65d SGG genügende Berufung der Klägerin, gegen das ihr am 28.09.2021 zugestellte Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 21.09.2021 ist zulässig, insbesondere gemäß §§ 143, 144 SGG ohne gerichtliche Zulassung statthaft sowie auch im Weiteren form- und fristgerecht eingelegt worden (§ 151 Abs. 1, Abs. 3; § 64 Abs.1 bis 3; § 63 SGG).

 

C. Die Berufung ist im tenorierten Umfang begründet.

 

I. Die Klage ist zunächst zulässig. Für das auf weitere Zuerkennung einer Beschädigtenrente gerichtete Begehren der Klägerin ist die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage gemäß § 54 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 SGG i.V.m. § 56 SGG statthaft (Bundessozialgericht <BSG>, Urteil vom 18.11.2015, B 9 V 1/14 R, juris, Rn. 12; BSG, Urteil vom 17.04.2013, B 9 V 1/12 R, BSGE 113, 205), gerichtet auf den Erlass eines Grundurteils i.S. des § 130 Abs. 1 SGG (BSG, Urteil vom 15.12.2016, B 9 V 3/15 R, BSGE 122, 218, Rn. 12; BSG, Urteil vom 24.11.2020, B 9 V 3/18 R, BSGE 131, 61, Rn. 10). Soweit die Klägerin im Rahmen ihres zulässig erhobenen (§§ 153, 99 Abs. 3 Nr. 2 SGG; Guttenberger in: jurisPK-SGG, 2. Aufl., § 99 Rn. 34) Hilfsantrags die Verurteilung des Beklagten zur Neubescheidung begehrt, wird dieses Rechtsschutzziel von der Anfechtungs- und Verpflichtungsklage im Wege der Neubescheidungsklage erfasst.

 

Die Klage ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere fristgerecht am 04.03.2020 binnen eines Monats nach Bekanntgabe des Widerspruchsbescheides vom 05.02.2020 erhoben worden (§§ 87 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2; 90; 78 Abs. 1 Satz 1; 85 Abs. 3 Satz 1 SGG).

 

II. Die Klage ist für die Zeit ab dem 03.11.2017 unbegründet (dazu unter 1.) und für die Zeit vom 01.06.2017 bis zum 02.11.2017 teilweise begründet (dazu unter 2.).

 

1. Für die Zeit ab dem 03.11.2017 hat das SG Aachen die Klage zu Recht abgewiesen, da die Klägerin durch die angefochtenen Bescheide nicht in ihren Rechten verletzt wird (§ 54 Abs. 1 Satz 2 SGG). Sie hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Beschädigtenrente.

 

a) Unter Berücksichtigung, dass die Klägerin ihr Begehren im Rahmen der Anfechtungs- und Leistungsklage verfolgt, ist der vorliegende Rechtsstreit grundsätzlich nach der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz zu beurteilen (zum Beurteilungszeitpunkt: Söhngen in: jurisPK-SGG, 2. Aufl., § 54 Rn. 51; Landessozialgericht <LSG> Baden-Württemberg, Urteil vom 12.01.2023, L 6 VG 1976/21, juris, Rn. 73). Der Anwendung der mit Art. 60 Abs. 7 des Gesetzes zur Regelung des Sozialen Entschädigungsrechts vom 12.12.2019 (BGBI. 2019 I, 2652) zum 01.01.2024 in Kraft getretenen Regelungen des Sozialgesetzbuchs Vierzehntes Buch (SGB XIV) steht indes die dortige Übergangsregelung des § 142 Abs. 2 SGB XIV entgegen (vgl. SG Berlin, Urteil vom 27.05.2024, S 118 VG 54/19, Rn. 16, juris; für Impfschäden und § 141 SGB XIV: Bayerisches LSG, Urteil vom 30.04.2024, L 15 VJ 2/23, juris, Rn. 51). Nach § 142 Abs. 2 Satz 1, 2 SGB XIV ist über einen bis zum 31.12.2023 gestellten und nicht bestandskräftig beschiedenen Antrag auf Leistungen nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) oder nach einem Gesetz, das das BVG ganz oder teilweise für anwendbar erklärt, nach dem im Zeitpunkt der Antragstellung geltenden Recht zu entscheiden. Wird hierbei ein Anspruch festgestellt, werden ebenfalls Leistungen nach Absatz 1 Satz 1 erbracht. Der vorliegende Antrag auf Leistungen nach dem OEG i.V.m. dem BVG datiert auf den 19.06.2016, ist dem Beklagten am 21.06.2016 zugegangen und damit vor dem 01.01.2024 gestellt, ohne dass über ihn bereits eine bestandskräftige Entscheidung getroffen worden ist. Damit ist das im Zeitpunkt der Antragstellung geltende Recht anwendbar. Es liegt auch kein Fall einer Neufeststellung nach § 149 SGB XIV vor, da der Ausgangsbescheid aufgrund seiner Befristung angefochten worden ist. Ob in dieser Konstellation eine Ausübung des Wahlrechts nach § 152 SGB XIV zu einem anderen Ergebnis führen könnte, kann der Senat offenlassen, denn jedenfalls fehlt es an einer entsprechenden Erklärung (vgl. § 153 SGB XIV).

 

b) Die Rechtsgrundlage bestimmt sich eingedenk dessen nach den Vorschriften des OEG und des BVG in seiner bis zum 31.12.2023 geltenden Fassung, konkret anwendbar für die von der Klägerin begehrte Beschädigtenrente sind die § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG i.V.m. § 9 Abs. 1 Nr. 3 Alt. 1, §§ 30, 31 BVG.

 

Dabei war der sachlich und sowohl nach dem Tatortprinzip (§ 4 Abs. 1 OEG a.F.) als auch nach dem Wohnsitz der Klägerin (§ 4 Abs. 1 und 2 OEG i.d.F. des Gesetzes vom 15.04.2020 <BGBl. I 811>) örtlich zuständige Beklagte zu einer Entscheidung nach den o.g. Vorschriften für die Zeit ab dem 03.11.2017 befugt.

 

Es konnte der Beklagte nämlich trotz des am 09.04.2015 erlassenen Versagungsbescheides durch Bescheid vom 03.11.2017 auf o.g. Rechtsgrundlage über den Anspruch der Klägerin entscheiden, denn ihr erneuter Antrag vom 19.06.2016 führte mit Bescheiderlass zu einer entsprechenden Zäsur (zur zeitlichen Zäsur durch Antragstellung und Bescheiderlass: BSG, Urteil vom 01.06.2010, B 4 AS 67/09 R, SozR 4-4200 § 11 Nr. 28, Rn. 13; BSG, Urteil vom 31.10.2007, B 14/11b AS 59/06 R, juris, Rn. 13; BSG, Urteil vom 24.05.2017, B 14 AS 16/16 R, juris, Rn. 13 m.w.N.; BSG, Urteil vom 13.07.2017, B 4 AS 17/16 R, juris, Rn. 13 m.w.N.; BSG, Urteil vom 11.11.2021, B 3 P 2/20 R, BSGE 133, 141, Rn. 9; Bayerisches LSG, Beschluss vom 19.01.2016, L 7 AS 894/15 ER, juris, Rn. 14; Voelzke in: jurisPK-SGB I, 4. Aufl., § 67 Rn. 25, 33). Es bedurfte daher für diesen Zeitraum keines Vorgehens nach den §§ 66, 67 SGB I. Soweit das BSG im Rahmen des Schwerbehindertenrechts eine Zäsurwirkung verneint, bezieht sich dies auf die Stellung eines Änderungsantrages i.S. einer Verschlimmerung während des laufenden Klageverfahrens und der daraufhin behördlicherseits abgelehnten Änderung der im Klageverfahren bereits streitigen Bescheide (vgl. BSG, Urteil vom 17.04.2013, B 9 SB 6/12 R, SozR 4-1300 § 48 Nr. 26, SozR 4-3250 § 69 Nr. 17, Rn. 5, 28), während es sich hier zum einen um eine Fallgestaltung mangelnder Mitwirkung nach den §§ 66, 67 SGB I handelt, die zum anderen bereits vor der Neuantragstellung bestandskräftig abgeschlossen gewesen ist.

 

c) Die Voraussetzungen einer Rentengewährung hat der Beklagte für diesen Zeitraum zu Recht verneint.

 

Die Versorgung nach dem BVG umfasst u.a. nach § 9 Abs. 1 Nr. 3 BVG die Beschädigtenrente (§§ 29 ff BVG). Beschädigte erhalten gemäß § 31 Abs. 1 BVG eine monatliche Grundrente ab einem GdS von 30. Nach § 30 Abs. 1 Satz 1 BVG ist der GdS – bis zum Inkrafttreten des Gesetzes zur Änderung des BVG und anderer Vorschriften des Sozialen Entschädigungsrechts vom 13.12.2007 (BGBl I S. 2904) am 21.12.2007 als Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) bezeichnet – nach den allgemeinen Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen, welche durch die als Schädigungsfolge anerkannten körperlichen, geistigen oder seelischen Gesundheitsstörungen bedingt sind, in allen Lebensbereichen zu beurteilen. Der GdS ist nach Zehnergraden von 10 bis 100 zu bemessen; ein bis zu fünf Grad geringerer GdS wird vom höheren Zehnergrad mit umfasst (§ 30 Abs. 1 Satz 2 BVG). Liegt der GdS insofern unter 25 besteht kein Anspruch auf eine Rentenentschädigung (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 18.12.2014, L 6 VS 413/13, juris, Rn. 42; Dau in: Knickrehm, Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht, 1. Auflage 2012, § 31 BVG, Rn. 2).

 

Ein Versorgungsanspruch setzt dabei zunächst voraus, dass die allgemeinen Tatbestandsmerkmale des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG gegeben sind (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 23.04.2009, B 9 VG 1/08 R, juris, Rn. 27 m. w. N). Danach erhält eine natürliche Person („wer“), die im Geltungsbereich des OEG durch einen vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriff eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG. Somit besteht der Tatbestand des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG aus drei Gliedern (tätlicher Angriff, Schädigung und Schädigungsfolgen), die durch einen Ursachenzusammenhang miteinander verbunden sind.

 

Hinsichtlich der entscheidungserheblichen Tatsachen kennt das OEG drei Beweismaßstäbe. Grundsätzlich bedürfen die drei Glieder der Kausalkette (schädigender Vorgang, Schädigung und Schädigungsfolgen) des Vollbeweises. Für die Kausalität selbst genügt gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG i.V.m. § 1 Abs. 3 BVG die Wahrscheinlichkeit (vgl. BSG, Urteil vom 17.04.2013, B 9 V 3/12 R, juris, Rn. 26, 33; BSG, Urteil vom 24.09.2020, B 9 V 3/18 R, BSGE 131, 61, Rn. 15). Nach Maßgabe des § 15 Satz 1 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOVVfG), der gemäß § 6 Abs. 3 OEG anzuwenden ist, sind der Entscheidung hinsichtlich des schädigenden Vorgangs die Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, zugrunde zu legen, wenn Unterlagen nicht vorhanden oder nicht zu beschaffen oder ohne Verschulden des Antragstellers oder seiner Hinterbliebenen verlorengegangen sind und wenn die Angaben des Antragstellers nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen (vgl. dazu: BSG, Urteil vom 15.12.2016, B 9 V 3/15 R, BSGE 122, 218, Rn. 25).

 

Für den Vollbeweis muss sich das Gericht die volle Überzeugung vom Vorhandensein oder Nichtvorhandensein einer Tatsache verschaffen. Eine Tatsache ist bewiesen, wenn sie in so hohem Grade wahrscheinlich ist, dass alle Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung zu begründen (BSG, Beschluss vom 08.08.2001, B 9 V 23/01 B, SozR 3-3900 § 15 Nr. 4; BSG, Urteil vom 05.05.2009, B 13 R 55/08 R, BSGE 103, 99; BSG, Urteil vom 15.12.2016, B 9 V 3/15 R, BSGE 122, 218, Rn. 26 m.w.N.).

 

Eine Wahrscheinlichkeit i.S. des § 1 Abs. 3 Satz 1 BVG ist dann gegeben, wenn nach der geltenden wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen einen ursächlichen Zusammenhang spricht (BSG, Beschluss vom 08.08.2001, B 9 V 23/01 B, SozR 3-3900 § 15 Nr. 4 S 14 m.w.N.; BSG, Urteil vom 15.12.2016, B 9 V 3/15 R, BSGE 122, 218, Rn. 27). Diese Definition ist der Fragestellung nach dem wesentlichen ursächlichen Zusammenhang angepasst, die nur entweder mit ja oder mit nein beantwortet werden kann. Es muss sich unter Würdigung des Beweisergebnisses ein solcher Grad von Wahrscheinlichkeit ergeben, dass ernste Zweifel hinsichtlich einer anderen Möglichkeit ausscheiden. Für die Wahrscheinlichkeit ist ein "deutliches" Übergewicht für eine der Möglichkeiten erforderlich. Sie entfällt, wenn eine andere Möglichkeit ebenfalls ernstlich in Betracht kommt (BSG, Urteil vom 17.04.2013, B 9 V 1/12 R, BSGE 113, 205, Rn. 34 und B 9 V 3/12 R, juris, Rn. 35; BSG, Urteil vom 15.12.2016, B 9 V 3/15 R, BSGE 122, 218, Rn. 27).

 

Bei dem "Glaubhafterscheinen" i.S. des § 15 Satz 1 KOVVfG handelt es sich um den dritten, mildesten Beweismaßstab des Sozialrechts. Glaubhaftmachung bedeutet das Dartun einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit (BSG, Urteile vom 17.04.2013, B 9 V 1/12 R, BSGE 113, 205, Rn. 35 und B 9 V 3/12 R, juris, Rn. 36), d.h. der guten Möglichkeit, dass sich der Vorgang so zugetragen hat, wobei durchaus gewisse Zweifel bestehen bleiben können (BSG, Beschluss vom 08.08.2001, B 9 V 23/01 B, SozR 3-3900 § 15 Nr. 4 S 14). Dieser Beweismaßstab ist durch seine Relativität gekennzeichnet. Es muss nicht, wie bei der Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhanges, absolut mehr für als gegen die glaubhaft zu machende Tatsache sprechen. Es reicht die gute Möglichkeit aus, d.h. es genügt, wenn bei mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten das Vorliegen einer davon relativ am wahrscheinlichsten ist (BSG, Urteile vom 17.04.2013, B 9 V 1/12 R, BSGE 113, 205, Rn. 35), weil nach der Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für diese Möglichkeit spricht. Von mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Sachverhaltsvarianten muss einer den übrigen gegenüber ein gewisses (kein deutliches) Übergewicht zukommen. Wie bei den beiden anderen Beweismaßstäben reicht die bloße Möglichkeit einer Tatsache nicht aus, um die Beweisanforderungen zu erfüllen. Das Gericht ist allerdings im Einzelfall grundsätzlich darin frei, ob es die Beweisanforderungen als erfüllt ansieht (Freiheit der richterlichen Beweiswürdigung, § 128 Abs. 1 Satz 1 SGG; vgl. BSG, Urteile vom 17.04.2013, B 9 V 1/12 R, BSGE 113, 205, Rn. 35 35 und B 9 V 3/12 R, juris, Rn. 36; BSG, Beschluss vom 08.08.2001, B 9 V 23/01 B, SozR 3-3900 § 15 Nr. 4 S 14; BSG, Urteil vom 15.12.2016, B 9 V 3/15 R, BSGE 122, 218, Rn. 28).

 

Diese Grundsätze haben ihren Niederschlag auch in den „Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz“ in ihrer am 01.10.1998 geltenden Fassung der Ausgabe 1996 (AHP 1996) und nachfolgend – seit Juli 2004 – den „Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil 2 SGB IX)“ in ihrer jeweils geltenden Fassung (AHP 2005 und 2008) gefunden, welche zum 01.01.2009 durch die Anlage zu § 2 Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) vom 10.12.2008, den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen (<VMG> Teil C, Ziff.. 1 bis 3; vgl. BR-Drucks 767/1/08 S. 3, 4) ersetzt worden ist (vgl. BSG, Urteil vom 16.12.2014, B 9 V 6/13 R, Rn. 17, juris; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 14.09.2023, L 6 VG 2379/22, juris, Rn. 75).

 

aa) Zunächst steht vorliegend ein schädigender Vorgang als erstes Glied der Kausalkette i.S. eines „vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs" gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG im Vollbeweis fest.

 

Nach der Rechtsprechung des BSG ist bei der Auslegung des Rechtsbegriffs „vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff" im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG entscheidend auf die Rechtsfeindlichkeit, vor allem verstanden als Feindlichkeit gegen das Strafgesetz, abzustellen; von subjektiven Merkmalen (wie etwa einer kämpferischen, feindseligen Absicht des Täters) hat sich die Auslegung insoweit weitestgehend gelöst. Als tätlicher Angriff ist grundsätzlich eine in feindseliger bzw. rechtsfeindlicher Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielende, gewaltsame Einwirkung anzusehen, wobei die Angriffshandlung in aller Regel den Tatbestand einer ─ jedenfalls versuchten ─ vorsätzlichen Straftat gegen das Leben oder die körperliche Unversehrtheit erfüllt (BSG, Urteil vom 17.04.2013, B 9 V 1/12 R, juris, Rn. 27 m.w.N.; BSG, Urteil vom 15.12.2016, B 9 V 3/15 R, BSGE 122, 218, Rn. 23; BSG, Beschluss vom 26.01.2021, B 9 V 26/20 B, juris, Rn. 15).

 

(1) Vorliegend ist die Klägerin am 30.03.2013 im Rahmen einer Vergewaltigung Opfer eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs geworden. Der Täter ist durch das LG Aachen mit Urteil vom 15.10.2013 aufgrund dieser Tat rechtskräftig verurteilt worden. Auf die Ausführungen des LG Aachen in seinen schriftlichen Entscheidungsgründen wird Bezug genommen; der Senat macht sich diese Wertung nach eigener Prüfung zu eigen. Die Tat steht im Übrigen zwischen den Beteiligten auch nicht im Streit. Ebenso wenig steht im Streit, dass keine Versagensgründe nach § 2 OEG vorliegen. Der Beklagte hat stattdessen die entsprechende Tat in seinen streitgegenständlichen Bescheiden – zu Recht – zugrunde gelegt.

 

(2) Soweit die Klägerin im weiteren Verlauf des Verwaltungsverfahrens mitgeteilt hat, dass sie am 22.08.2015 „einen schweren Unfall gehabt habe, da sie von einem Hund ins Gesicht gebissen worden sei, worauf sie auf dem linken Auge erblindet sei“, fehlt es diesbezüglich an einem tätlichem, von einem menschlichen Willen gesteuerten Angriff, was der Beklagte nicht verkannt hat.

 

bb) Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist bei der Klägerin eine primäre Schädigung sowie eine sekundäre Schädigungsfolge zur Überzeugung des Senates festzustellen.

 

Die nachfolgenden Feststellungen beruhen insbesondere auf dem Sachverständigengutachten von S. unter Einbeziehung seiner ergänzenden Stellungnahmen sowie des Gutachtens von A.. Die erfahrenen Sachverständigen habe ihre jeweiligen Gutachten unter Auswertung sämtlicher, zum jeweiligen Zeitpunkt vorliegenden Arzt- und Befundberichte sowie etwaiger Vorgutachten und einer ausführlichen ambulanten Untersuchung der Klägerin sorgfältig und gewissenhaft erstattet. Die aus diesen Feststellungen abgeleiteten Diagnosen haben die Sachverständigen, soweit der Senat ihnen folgt (dazu sogleich), eingehend und überzeugend begründet und dabei insbesondere den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand der Zustandsbegutachtung berücksichtigt und sie nach dem geltenden Kodiersystem klassifiziert (ICD-10 und DSM-V: BSG, Urteil vom 28.06.2022, B 2 U 9/20 R, juris, Rn. 27; BSG, Beschluss vom 14.12.2022, B 2 U 1/22 B, juris, Rn. 14, LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 04.07.2024, L 3 U 24/20, juris, Rn. 49). Die Gutachten sind insofern in sich schlüssig und frei von Widersprüchen.

 

(1) Es ist dabei zwischen den Beteiligten unstreitig und durch die vorliegenden medizinischen Unterlagen wie durch die eingeholten Sachverständigengutachten im Verwaltungs- wie im gerichtlichen Verfahren belegt, dass sich bei der Klägerin zunächst eine PTBS i.S. einer primären Schädigung entwickelt hat.

 

(2) Die Klägerin leidet zur Überzeugung des Senats auch über den 31.05.2017 hinaus noch unter einer restsymptomatischen PTBS im Sinne der ICD-10 F43.1. Hinsichtlich der weiteren Diagnose einer PTBS sind sich im Wesentlichen sowohl die durch den Beklagten, das Gericht sowie die Klägerin beauftragten Gutachter als auch die Behandler der Klägerin einig. Ihre Annahmen variieren lediglich im Bereich der Schwere der Erkrankung.

 

(a) So geht A. in ihrem im Verwaltungsverfahren erstatteten Gutachtens, das der Senat im Wege des Urkundsbeweises verwertet (§ 118 Abs. 1 SGG i.V.m. §§ 415ff. Zivilprozessordnung <ZPO>) von einer Restsymptomatik einer PTBS aus und begründet dies für den Senat nachvollziehbar, mit einer rückläufigen Symptomatik und einem geringen Vermeidungsverhalten. Diese Annahme stützen maßgeblich die Berichte des DIPT, aus welchen sich eine Besserung ab Ende Mai 2017 ergibt.

 

(b) Dem steht die Einordnung des Sachverständigen S., der die Symptomatik der Klägerin als eine andauernde Persönlichkeitsveränderung nach Extrembelastung (ICD-10 F 62.0) benennt, nicht entgegen. So führt auch S. nachvollziehbar aus, dass bei der Klägerin nicht mehr das Vollbild einer PTBS vorliege, keine isolierte schwere PTBS mehr erkennbar sei und noch traumaspezifische Restsymptome vorlägen (Gutachten vom 16.03.2021, ergänzende Stellungnahmen vom 14.02.2022 und 23.01.2023). Ferner nimmt auch er bei der Klägerin einen chronifizierten bzw. persistierenden Verlauf an (Gutachten vom 16.03.2021, ergänzende Stellungnahme vom 08.07.2021). Er verweist allerdings zudem darauf, dass er angesichts des langen zeitlichen Abstands zwischen der Tat und der jetzigen Symptomatik der Klägerin von einer andauernden Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung im Sinne der ICD-10 Ziffer F62.0 ausgehe, die er allerdings offenbar als eine chronifizierte Form der PTBS versteht und welche er gleichfalls als rückläufig ansieht (vgl. dazu Maier/Müller, Andauernde Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung: Sinnvolle und nützliche Diagnose? Trauma und Gewalt, 2009, 50, 53f).

 

An einer hingegen nach ICD-10 F62.0 geforderten andauernden Belastung und damit an Geschehnissen wie dem Ausgesetzsein in lebensbedrohlicher Situation, z.B. als Opfer von Terrorismus, andauernder Gefangenschaft mit unmittelbarer Todesgefahr, Folter, Katastrophen bzw. Konzentrationslagererfahrungen, welche länger anhaltend und geeignet sind, nachhaltige und tiefgreifende Effekte bis hinab auf die Persönlichkeitsebene zu haben, fehlt es vorliegend. So verweist auch U. darauf, dass eine Vergewaltigung kein Ereignis von dieser Qualität ist.

 

(c) Nicht davon überzeugen konnte sich der Senat, dass die PTBS bei der Klägerin weiterhin im Vollbild festzustellen ist.

 

Die Annahmen der Dipl.-Psych. Q. sowie der Psychiaterin V. überzeugen bereits vor dem Hintergrund der Ausführungen der Gutachter Dres. A. und S. nicht.

 

Soweit der Parteigutachter U. maßgeblich diese Annahme vertritt und bei der Klägerin in seinen Ausführungen vom 24.11.2022 eine PTBS feststellt, ist ihm gleichfalls nicht zu folgen. Vorliegend handelt es sich zunächst nicht um ein durch einen gerichtlich nach §§ 106, 109 SGG bestellten Sachverständigen erstelltes Gutachten, was bereits den Beweiswert seiner Angaben schmälert. Er unterlag damit auch nicht den Pflichten eines gerichtlich bestellten Sachverständigen (§ 118 SGG i.V.m. §§ 407ff ZPO). Den Ausführungen des Privatgutachters lagen indes auch nicht die vollständigen Akten zugrunde, weshalb ihm auch eine umfassende Verwertung aller weiteren Unterlagen und vorliegenden Befunde nicht möglich war; ebenso wenig wie eine nachhaltige Prüfung der Konsistenz des klägerischen Vorbringens. Stattdessen wurden ihm klägerischerseits Unterlagen zur Verfügung gestellt, wie sie sich u.a. aus den Seiten 2 bis 6 seiner Ausführungen ergeben. Die z.B. vollständigen Berichte des DIPT gehörten offenbar (erwähnt werden nur die Berichte vom 30.05.2017) ebenso wenig dazu wie die ergänzenden Stellungnahmen von S., da sie dort jeweils keine Erwähnung finden. Auch inhaltlich sind die Ausführungen nicht überzeugend, wenn zwar eine Auseinandersetzung mit dem Sachverständigengutachten S. erfolgt, nicht aber mit dem gleichfalls vorliegenden Gutachten der A.. Mangels Erkennbarkeit, welche Fragen U. gestellt worden sind, ist auch nicht ersichtlich, ob er von den korrekten Anknüpfungstatsachen und dem anzuwendenden rechtlichen Rahmen ausgegangen ist.

 

Auch inhaltlich vermag er nicht zu überzeugen. In seiner Beurteilung bleibt unberücksichtigt, dass die Symptomatik der Klägerin sich im zeitlichen Verlauf deutlich verändert hat. Gegenüber den initial traumaspezifischen Albträumen und Ängsten, allein zu sein, ist es im weiteren Verlauf zu einem wesentlich komplexeren psychischen Störungsbild gekommen. Dies bestätigt auch die Therapeutin Dipl.-Psych. Q., die ebenfalls ausführt, dass sich die Ängste der Klägerin ausgeweitet und auf andere Situationen ausgedehnt haben.

 

(3) Neben der PTBS besteht bei der Klägerin zudem noch eine generalisierte Angststörung gemäß ICD-10 F41.1 als weitere psychische Erkrankung.

 

Diesbezüglich folgt der Senat den Ausführungen von S. in seinem Gutachten vom 16.03.2021 sowie den ergänzenden Stellungnahmen. S. hat aus den anamnestischen Angaben der Klägerin klar herausgearbeitet, dass diese nicht nur an Ängsten leidet, die mit dem Tatereignis vom 30.03.2013 in Zusammenhang stehen, wie der Angst im Dunkeln, oder der Angst vor Männern, die sie an den Täter erinnern, sondern darüber hinaus auch frei flottierende generalisierte Ängste entwickelt hat. Nachvollziehbar erläutert der Sachverständige, dass das von der Klägerin geschilderte Krankheitsbild der ständigen inneren Anspannung, der diffusen Ängste, der ständigen vegetativen Übererregbarkeit und auch der körperlichen Symptome über das einer PTBS hinausgeht. Bestätigt wird diese Diagnose auch im Vergleich der Explorationen von A. und S.. Darin zeigt sich, dass die Symptomatik der Klägerin zunächst rückläufig war und sich im zeitlichen Verlauf wieder verstärkt hat. Dies ist als Spät-Folge einer PTBS nicht ausreichend zu erklären, sondern bestätigt die Entwicklung der weiteren Diagnose einer generalisierten Angststörung. Auch die behandelnde Psychotherapeutin Dipl.-Psych. Q., die dort gleichfalls diese Diagnose stellt, beschreibt in ihrem Berichten vom 01.04.2020 und 28.05.2021, dass die Klägerin „Sorgenketten in unsicheren Situationen“ zeige und als Folge der vielen Vermeidungen im alltäglichen Leben Ängste entwickelt habe, die zunächst in unmittelbarem Zusammenhang mit der Vergewaltigung gestanden, sich mit der Zeit aber auf andere Situationen ausgedehnt hätten.

 

(4) Weitere psychische oder physische Gesundheitsstörungen sind hingegen nicht mehr feststellbar und werden von der Klägerin auch nicht vorgetragen.

 

cc) Auf das schädigende Ereignis vom 30.03.2013 kausal zurückzuführen ist zur Überzeugung des Senats die bestehende Restsymptomatik einer PTBS. Die daneben bestehende generalisierte Angststörung ist hingegen nicht kausal.

 

Als Schädigungsfolgen bzw. deren Verschlimmerung sind nur solche nachgewiesenen Gesundheitsstörungen anzuerkennen, die wenigstens mit Wahrscheinlichkeit durch das schädigende Ereignis verursacht worden sind. Wahrscheinlichkeit i.S. des § 1 Abs. 3 Satz 1 BVG liegt – wie bereits erläutert – vor, wenn nach geltender medizinischer Lehrmeinung mehr für als gegen einen Ursachenzusammenhang spricht, d.h. wenn die für den Zusammenhang sprechenden Umstände mindestens deutlich überwiegen. Danach gilt als Ursache im Rechtssinn nicht jede Bedingung, gleichgültig mit welcher Intensität sie zum Erfolg beigetragen hat und in welchem Zusammenhang sie dazu steht. Als Ursachen sind vielmehr nur diejenigen Bedingungen anzusehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben (Theorie der wesentlichen Bedingung). Haben mehrere Ursachen zu einem Schaden beigetragen, ist eine vom Schutzbereich des BVG umfasste Ursache dann rechtlich wesentlich, wenn sie in ihrer Bedeutung und Tragweite für den Eintritt des Erfolges – verglichen mit den mehreren übrigen Umständen – annähernd gleichwertig ist. Das ist dann der Fall, wenn sie in ihrer Bedeutung und Tragweite für den Eintritt des Erfolges allein mindestens so viel Gewicht hat wie die übrigen Umstände zusammen (vgl. BSG, Urteil vom 16.12.2014, B 9 V 6/13 R, juris, Rn. 20). Im Einzelnen bedarf es dazu der wertenden Abwägung der in Betracht kommenden Bedingungen (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 09.12.2021, L 6 VG 2424/21, juris, Rn. 95)

 

(1) Nach diesen Grundsätzen ist die Vergewaltigung der Klägerin am 30.03.2013 als die wesentliche Ursache für die restlichen Symptome der PTBS festzustellen. Eine PTBS stellt per definitionem die Folge eines Traumas dar, welches auch bei einer zuvor psychisch gesunden Person zu entsprechenden Symptomen führt. Diesbezüglich sind sich bezogen auf die Klägerin alle medizinischen Stimmen, die sich in dem vorliegenden Verfahren geäußert haben, einig. Auch zwischen den Beteiligten ist dies unstreitig.

 

(2) Die mit der generalisierten Angststörung einhergehende Symptomatik ist hingegen nicht als durch die Tat vom 30.03.2013 verursacht anzusehen, sondern multifaktoriell bedingt.

 

Der Senat folgt auch hier den überzeugenden Darlegungen des Sachverständigen S.. Er stellt nachvollziehbar und einleuchtend dar, dass es bei der Klägerin in für eine PTBS untypischer Weise erst recht spät zu einer Ausprägung von Symptomen gekommen ist. Angesichts des zeitlichen Ablaufs im Falle der Klägerin sei daher genauer zu prüfen, ob mögliche konkurrierende Ursachen vorlägen. Diesbezüglich weist er darauf hin, dass sich solche in der Biographie der Klägerin an einigen Stellen fänden. Hier nennt er die schwere Verletzung der Klägerin durch den Hundebiss infolge derer die Klägerin ihr Augenlicht auf dem linken Auge verloren hat sowie die Bezeugung des Überfalls am 28.04.2017. Soweit die Klägerin eine psychische Belastung durch diese konkurrierenden Ereignisse ausschließt, ist dies nach dem Sachverständigen S. dadurch zu erklären, dass es ein typisches Verhalten von PTBS-Patienten ist, alle weiteren seelischen Probleme mit dem Ereignis in Verbindung zu bringen.

 

(a) Dies stützend schildert auch die Klägerin in ihrer Autobiographie sehr ausführlich, anschaulich und eingehend den Hundebiss und die medizinischen Auswirkungen – letztlich mit Verlust der Sehfähigkeit auf einem Auge – bzw. der nachfolgenden Erstbehandlung sowie die Komplikationen während der ersten Geburt ohne ausreichende Anästhesie dar (vgl. UU.). Art und Weise der Schilderung lassen erkennen, dass diese Ereignisse als gravierend empfunden worden sind. Hinzukommen früher erfahrende Mobbing-Situationen in der Schule (vgl. Autobiographie Kapitel 1 „WF.“) sowie Verlustsituationen bzgl. ihres Hundes sowie Pferdes in schwierigen Lebenssituationen (vgl. Autobiographie S.  und S. ff).

 

Dies belegen auch die weiteren Unterlagen. So schildert U. in seiner Anamnese, dass die Klägerin zwar nicht die Verletzung durch den Hund, wohl aber die anschließende, von ihr als unzureichend empfundene Behandlung ihres Auges durch die Klinik für den Verlust ihres Augenlichts verantwortlich mache. Sie habe die Klinik verklagt, doch sei dies nicht erfolgreich gewesen, da ihr das Geld gefehlt habe und die Akten der Klinik verschwunden seien. Dies erklärt im Übrigen auch das weiterhin bestehende gute Verhältnis zu Hunden, auf welches die Klägerin wiederholt verweist. Auch die Dipl.-Psych. Q. benennt den Hundebiss als weiteres traumatisches Erlebnis neben der nicht wirksamen Anästhesie bei dem ersten Kaiserschnitt und diverser Operationen im Rahmen der Kinderwunschbehandlungen sowie zwei Fehlgeburten. Ferner schätzte das DIPT das weitere Ereignis vom 28.04.2017, welches die Klägerin zudem zu einem ergänzenden OEG-Antrag bewog, als gravierend und für die Klägerin destabilisierend ein.

 

(c) Demgegenüber kann die These der behandelnden Therapeutin Dipl.-Psych. Q., dass die generalisierten Ängste eine Folge der dysfunktionalen Kompensation der PTBS seien, den Senat angesichts der zahlreichen konkurrierenden Faktoren in der Biographie der Klägerin nicht überzeugen. S. verweist zu Recht darauf, dass die Therapeutin der Klägerin von einem unzulässigen post hoc ergo propter hoc-Schluss ausgehe. Sie schließe von dem Auftreten der Symptome nach der Tat darauf, dass diese auch durch die Tat verursacht seien. Dabei würden andere Aspekte ignoriert, die sich außerhalb der Abfolge der beiden Ereignisse befänden. Dies kann – entgegen der Dipl.-Psych. Q. – nicht zu einer zwingenden logischen Schlussfolgerung führen, denn die chronologische Reihenfolge zweier Ereignisse beweist keine Ursache-Wirkungs-Beziehung zwischen ihnen. Überdies stellt sich die Therapeutin mit dieser Annahme in Widerspruch zu ihren früheren Angaben, als sie das Erfordernis einer Langzeittherapie für die Klägerin mit zahlreichen neben der Vergewaltigung bestehenden belastenden Faktoren aus dem Leben der Klägerin begründet hat.

 

Auch die diesbezüglichen Ausführungen des U. überzeugen nicht, da er unkritisch die Erklärungsversuche der Klägerin hinsichtlich der Ätiologie ihres komplexen psychischen Störungsbildes übernimmt, ohne auch nur die komplette Aktenlage zu kennen. Überdies zeigen sich in den anamnestischen Angaben der Klägerin gegenüber U. Variationen zu früheren Darstellungen. So schildert die Klägerin, dass es bei der Vergewaltigung zum Oralverkehr gekommen sei, wovon bisher nicht die Rede gewesen ist. Im Urteil des LG Aachen vom 15.10.2013 wird dies ausdrücklich verneint (vgl. Urteil S. 8). Ferner gibt die Klägerin bei der Anamnese vom 27.10.2022 an, die Bezeugung des Überfalls vom 28.04.2017 nur auf Nachfrage zu erinnern, während sie darüber ausführlich in ihrem im selben Jahr erschienenen Buch berichtet hat (vgl. Autobiographie S. 145ff).

 

(d) Diesem Ergebnis stehen die vom BSG entwickelten Grundsätze der bestärkten Wahrscheinlichkeit nicht entgegen. Danach gilt folgendes: Wenn ein Vorgang nach den medizinischen Erkenntnissen - etwa fußend auf dem Erfahrungswissen der Ärzte - in signifikant erhöhtem Maße geeignet ist, eine bestimmte Erkrankung hervorzurufen, liegt die Wahrscheinlichkeit nahe, dass sich bei einem hiervon Betroffenen im Einzelfall die Gefahr einer Schädigung auch tatsächlich verwirklicht hat; die Möglichkeit verdichtet sich dann zur Wahrscheinlichkeit. Begründen nach Maßgabe dieser allgemeinen Erkenntnisse im Einzelfall Tatsachen einen derartigen Kausalzusammenhang, so ist eine bestärkte Kausalität - eine bestärkte Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhanges - gegeben, die wiederum nur widerlegbar ist, wenn eine sichere alternative Kausalität festgestellt wird. Dieses gilt grundsätzlich auch, wenn die psychische Erkrankung erst nach einer Latenzzeit manifest in Erscheinung tritt. Allerdings kann ein größerer zeitlicher Abstand zum schädigenden Ereignis - insbesondere gegen Ende der nach wissenschaftlichen Erkenntnissen möglichen Latenzzeit - den Grad der Wahrscheinlichkeit mindern (BSG, Urteil vom 12.06.2003 – B 9 VG 1/02 R –, BSGE 91, 107, Rn. 20, 23 m.w.N.). Wie oben ausgeführt sind jedoch nur die Restsymptome der PTBS im Sinne einer Wahrscheinlichkeit auf das Tatereignis zurückzuführen, wohingegen für die im zeitlichen Verlauf später manifestierte generalisierte Angststörung zahlreiche andere und wahrscheinlichere Ursachen vorhanden sind.

 

dd) Nach Auffassung des Senats erreicht die Schädigungsfolge „Restsymptome der PTBS“ keinen GdS von mindestens 25 v.H., der eine Rentengewährung nach sich zöge.

 

Nach § 30 Abs. 1 BVG ist der Grad der Schädigungsfolgen nach den allgemeinen Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen, die durch die als Schädigungsfolge anerkannten körperlichen, geistigen oder seelischen Gesundheitsstörungen bedingt sind, in allen Lebensbereichen zu beurteilen (Satz 1). Bei der Beurteilung des GdS sind die VMG als Anlage zu § 2 VersMedV zu beachten.

 

Die bei der Klägerin festgestellte Schädigungsfolge im psychischen Bereich ist zunächst dem Funktionssystem Gehirn einschließlich Psyche nach Teil A Nr. 2e) VMG zuzuordnen und wird grundsätzlich über Teil B Nr. 3 VMG „Nervenschäden und Psyche“ – hier konkret von Teil B Nr. 3.7 VMG „Neurosen, Persönlichkeitsstörungen, Folgen psychischer Traumen“ – erfasst.

 

(1) Nach Teil B Nr. 3.7 VMG werden leichtere psychovegetative oder psychische Störungen mit einem GdS von 0 bis 20, stärker behindernde Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit (z.B. ausgeprägtere depressive, hypochondrische, asthenische oder phobische Störungen, Entwicklungen mit Krankheits-wert, somatoforme Störungen) mit einem GdS von 30 bis 40 sowie schwere Störungen (z. B. schwere Zwangskrankheit) zum einen mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten mit 50 bis 70 und zum anderen mit schweren sozialen Anpassungsschwierigkeiten mit 80 bis 100 bewertet.

 

Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts können zur Auslegung der Begriffe "mittelgradige" und "schwere" soziale Anpassungsschwierigkeiten die vom ärztlichen Sachverständigenbeirat am Beispiel des "schizophrenen Residualzustandes" entwickelten Abgrenzungskriterien herangezogen werden (vgl. BSG, Urteil vom 23.04.2009, B 9 VG 1/08 R, juris, Rn. 43 unter Bezugnahme auf die Beschlüsse des ärztlichen Sachverständigenbeirats vom 18./19.03.1998 und vom 8./9.11.2000; LSG NRW, Urteil vom 04.10.2021, L 1 SB 312/18, juris, Rn. 60; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 06.02.2013, L 11 SB 245/10, juris, Rn. 45; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 23.01.2015, L 11 VU 24/10, juris, Rn. 81; LSG NRW, Urteil vom 11.03.2008, L 6 VG 13/06, juris, Rn. 69ff.). Danach werden leichte soziale Anpassungsschwierigkeiten angenommen, wenn z.B. Berufstätigkeit trotz Kontaktschwäche und/oder Vitalitätseinbuße auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch ohne wesentliche Beeinträchtigung möglich ist (wesentliche Beeinträchtigung nur in besonderen Berufen, z.B. Lehrer, Manager) und keine wesentliche Beeinträchtigung der familiären Situation oder bei Freundschaften, z.B. keine krankheitsbedingten wesentlichen Eheprobleme bestehen. Mittelgradige soziale Anpassungsschwierigkeiten werden angenommen bei einer in den meisten Berufen sich auswirkenden psychischen Veränderung, die zwar eine weitere Tätigkeit grundsätzlich noch erlaubt, jedoch eine verminderte Einsatzfähigkeit bedingt, die auch eine berufliche Gefährdung einschließt; als weiteres Kriterium werden erhebliche familiäre Probleme durch Kontaktverlust und affektive Nivellierung genannt, aber noch keine Isolierung, noch kein sozialer Rückzug in einem Umfang, der z.B. eine vorher intakte Ehe stark gefährden könnte; schwere soziale Anpassungsschwierigkeiten werden angenommen, wenn die weitere berufliche Tätigkeit sehr stark gefährdet oder ausgeschlossen ist; als weiteres Kriterium werden schwerwiegende Probleme in der Familie oder im Freundes- oder Bekanntenkreis bis zur Trennung von der Familie, vom Partner oder Bekanntenkreis benannt (LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 06.02.2013, a.a.O., Rn. 45 ff.; Senat, Urteil vom 26.07.2024, L 13 SB 84/19).

 

(2) Eingedenk dessen ist bei der Klägerin aufgrund der bestehenden restsymptomatischen PTBS Funktionsbeeinträchtigungen im Rahmen leichterer psychische Störungen und Anpassungsschwierigkeiten ein GdS von nicht über 20 anzuerkennen.

 

(a) Zunächst ist den dargestellten Grundsätzen zu entnehmen, dass der klägerische Einwand, es werde der Vorwurf erhoben, dass sie am Leben teilhabe, fehlgeht. Vielmehr werden Auswirkungen der Schädigungsfolge mit einem sog. Grad der Schädigungsfolgen (GdS) bemessen (Teil A Ziff. 1b) VMG), wobei der GdS – wie auch der GdB – die Auswirkungen von Funktionsbeeinträchtigungen in allen Lebensbereichen zum Inhalt hat (Teil A Ziff. 2a) VMG), die insofern zu betrachten sind.

 

(b) Bei der Klägerin sind leichte soziale Anpassungsschwierigkeiten festzustellen. Sie verfügt über eine erhaltene Fähigkeit zur sozialen Interaktion und Kommunikation; nicht feststellbar ist hingegen eine wesentlichere Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit.

 

(aa) Die Klägerin leidet an Ängsten vor Männern, die sie an den Täter erinnern sowie an Ängsten im Dunkeln. Hinsichtlich des Bestehens von Triggern und Flashbacks schließt sich der Senat S. an, der diesbezüglich einige Unschärfen und Widersprüchlichkeiten in den Angaben der Klägerin herausgearbeitet hat. Zudem ist es der Klägerin (inzwischen) möglich ist, medial (TV, Presse und auf ihrem Instagram-Account) von dem schädigenden Ereignis zu berichten.

 

(bb) Die familiäre Situation sowie das Beziehungsleben der Klägerin ist nicht erkennbar beeinträchtigt. Sie lebt in einem intakten familiären Umfeld, ist glücklich verheiratet und Mutter zweier Kinder. Sie und ihre Familie leben in einem Mehrfamilienhaus mit Garten – jedenfalls zeitweise – zusammen mit ihren Eltern. Darüber hinaus verfügt die Klägerin über vielfältige Interessen. Sie pflegt ihren Freundeskreis und lebt nicht sozial zurückgezogen. Sie hält einen Hund sowie Pferde und vermag insofern nicht nur Verantwortung für sich und ihre Familie, sondern auch für Tiere zu übernehmen.

 

(cc) Sie war ab dem 01.06.2017 durchgehend berufstätig und zwar zunächst in Teilzeit in einem Hörgeräteakustiker-Geschäft. Im Anschluss hat sie in den Jahren 2021 bis 2022 als PR-Managerin gearbeitet. Danach war sie bei einem Verlag beschäftigt, der in Insolvenz gegangen ist. Sie hat in 2023 eine Ausbildung zur Reit-Therapeutin begonnen und zwischenzeitlich erfolgreich abgeschlossen und ist als Reittherapeutin unter „ad F.“, nach eigenen Angaben in der mündlichen Verhandlung, zunächst nur in kleinem Umfang tätig (https://www.X.-reittherapie.de/uber-uns/; Abruf 26.08.2024).

 

(dd) Ihre funktionalen Alltagskompetenzen zeigen sich auch darin, dass sie in der Lage gewesen ist, ein Buch zu schreiben, im Selbstverlag herauszugeben sowie eine größere Medienöffentlichkeit zu organisieren.

 

(c) Auch, wenn es sich bei der Bemessung des GdS grundsätzlich um eine tatrichterliche Aufgabe handelt (zum GdB: std. Rspr; z.B. BSG, Urteil vom 16.12.2021, B 9 SB 6/19 R, SozR 4-1300 § 48 Nr. 40, Rn. 38; BSG, Beschluss vom 18.04.2019, B 9 SB 2/19 BH, juris, Rn. 11; BSG, Beschluss vom 01.06.2017, B 9 SB 20/17 B, juris, Rn. 7), nehmen auch die Gutachter Dres. R. und Y. einen GdS von unter 25 an. Zudem stützt die Bewertung des GdB durch den Kreis M., der – unwidersprochen – einen Einzel-GdB für die psychischen Erkrankungen der Klägerin von 20 angenommen hat, die Einschätzung des Senates.

 

II. Hinsichtlich des Zeitraums vom 01.06.2017 bis zum 02.11.2017 ist die Klägerin mit ihrem auf Bescheidanfechtung gerichteten Hauptantrag erfolgreich, jedoch ist dem Senat eine Sachentscheidung hinsichtlich des Antrages auf Verpflichtung verwehrt. Aufgrund des dementsprechenden Eintritts der innerprozessualen Bedingung hat er auf den Hilfsantrag der Klägerin den Beklagten zur Neubescheidung verpflichtet.

 

1. Soweit sich die Klägerin gegen die streitigen Bescheide im Zeitraum vom 01.06.2017 bis zum 02.11.2017 wendet, ist sie durch diese in ihren subjektiven Rechten beschwert, da sich diese als rechtswidrig erweisen und insoweit aufzuheben waren; der Beklagte hat sich auf die falsche Ermächtigungsgrundlage gestützt.

 

a) Dem Beklagten hätte nur ein Vorgehen nach § 67 SGB I i.V.m. § 48 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) offen gestanden.

 

aa) So kann der Leistungsträger, wenn die Mitwirkung nachgeholt wird und die Leistungsvoraussetzungen vorliegen, Sozialleistungen, die er nach § 66 SGB I versagt oder entzogen hat, nachträglich ganz oder teilweise erbringen, § 67 SGB I. Auch nach Auffassung des Beklagten hatte sich die ursprünglich geforderte Mitwirkung durch Vortrag und der Möglichkeit der Beiziehung medizinischer Unterlagen erledigt. Dabei ist die Nachholung der Mitwirkungshandlung allgemein der anderweitigen Erledigung der geforderten Mitwirkung gleichgestellt (Voelzke in: jurisPK-SGB I, 4. Auflage, § 67 Rn. 18). Zudem hat eine Begutachtung der Klägerin letztlich stattgefunden. Darüber hinaus ging der Beklagte auch davon aus, dass zumindest für die Zeit ab dem 01.06.2016 die Leistungsvoraussetzungen vorlagen.

 

bb) Da die Nachholung der Mitwirkung jedoch lediglich dazu führt, dass sich die Entscheidung nach § 66 SGB I in Widerspruch zum materiellen Recht setzt, sich nicht aber erledigt, bedarf es gemäß § 48 Abs. 1 GB X zudem der Aufhebung des Versagungsbescheides vom 09.04.2015 (vgl. dazu BSG, Urteil vom 22.02.1995, 4 RA 44/94, SozR 3-1200 § 66 Nr. 3; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 28.02.2017, L 16 R 70/17, juris, Rn. 19; Sichert in: Hauck/Noftz SGB I, 49. Ergänzungslieferung, § 67 Rn. 8; Voelzke in: jurisPK-SGB I, 4. Aufl., § 67 Rn. 19, 20), der vorliegend indes nicht streitgegenständlich ist.

 

cc) Eine entsprechende Umdeutung des Bescheides vom 03.11.2017 nach § 43 SGB X kommt bereits deshalb nicht in Betracht, da der Beklagte zum einen in diesem nicht hat erkennen lassen, dass eine Aufhebung des Bescheides vom 09.04.2015 seinem Willen entsprochen hat. Der Bescheid vom 03.11.2017 verfolgt insoweit nicht das gleiche Ziel, § 43 Abs. 1 und 2 SGB X. Zum anderen hat der Beklagte darin auch das ihm zustehende Ermessen – im Sinne eines Ermessensnichtgebrauch – nicht ausgeübt (vgl. zur Umdeutung eines Bescheides nach § 48 SGB X in einen nach § 45 SGB X: Leopold in: jurisPK-SGB X, 3. Auflage, § 43 Rn. 52 m.w.N.), denn in diesen Fällen entsteht gemäß § 67 SGB I i.V.m. § 39 Abs. 1 SGB I ein Recht des Anspruchsstellers auf ermessensfehlerfreie Entscheidung (vgl. dazu BSG, Urteil vom 14. Dezember 1994, 4 RA 42/94, juris) über die nachträgliche Erbringung der versagten Leistungen. Auch eine Ermessensreduktion auf null ist nicht anzunehmen (dazu sogleich).

 

b) Da dem Beklagten Ermessen zusteht, ist dem Senat eine Sachentscheidung für den streitigen Zeitraum vom 01.06.2017 bis zum 02.11.2017 verwehrt, so dass die darauf gerichtete Verpflichtungsklage im Hauptantrag unbegründet ist.

 

Das – wie erläutert – nach § 67 SGB I dem Leistungsträger eingeräumte Ermessen betrifft sowohl das „Ob“ als auch den Umfang („ganz oder teilweise“) der nachträglichen Gewährung. Der Umfang betrifft in erster Linie die Höhe der Leistung. Maßgeblich sind die Umstände des Einzelfalls einschließlich der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Betroffenen sowie der individuell erheblichen Bedeutung der Leistung (Sichert in: Hauck/Noftz SGB I, 49.Ergänzungslieferung, § 67 SGB 1, Rn. 13, 14).

 

Der Beklagte hat in seinem Bescheid vom 03.11.2017 kein Ermessen ausgeübt. Es liegt insofern ein Ermessensausfall bzw. Ermessennichtgebrauch vor. Eine Heilung eines Ermessensfehlgebrauchs oder eines Ermessensausfalls ist unzulässig (vgl. BSG, Urteil vom 01.03.2011, B 7 AL 2/10 R, juris, Rn. 14; LSG Bayern, Urteil vom 13.12.2023, L 16 AS 382/22, juris, Rn. 33; Schütze in: Schütze, SGB X, Kommentar, 9. Auflage, § 41 Rn. 11; Baumeister in: jurisPK-SGB X, 3. Auflage § 41 Rn. 48 m.w.N.).

 

Dabei liegt auch ein Fall einer Ermessensreduktion auf null nicht vor. Das ist der Fall, wenn sämtliche anzustellenden Ermessenserwägungen zu einem einzigen ermessensgerechten Ergebnis führen (Groth in: jurisPK-SGB I, 4. Auflage, § 39 Rn. 49). Zunächst bedarf es zur Überzeugung des Senats einer übergreifenden Ermessensentscheidung hinsichtlich des „Ob“ und des „Wie“ einer Leistungsgewährung für den gesamten Zeitraum ab der ursprünglichen Antragstellung am 15.04.2013 bis zum 02.11.2017, so dass anzustellende Ermessenserwägungen auch hinsichtlich den unterschiedlichen Arten einer etwaigen Leistungsgewährung nicht aufgrund prozessualer Erwägungen aufgespalten werden können. Soweit sich der Beklagte hinsichtlich der bereits mit Bescheid vom 03.11.2017 erfolgten Bewilligung einer Beschädigtenrente vom 01.06.2016 bis zum 31.05.2017 selbst gebunden hat, wird er dies aufgrund des insoweit bestandskräftig gewordenen Bescheides vom 03.11.2017 zu berücksichtigen haben, ohne dass der Senat, da dieser Zeitraum nicht streitig ist, darüber zu befinden hat.

 

2. Da die innerprozessuale Bedingung des Hilfsantrages insoweit ausgelöst worden ist, war der Senat dazu befugt darüber zu entscheiden, weshalb er den Beklagten zur Neubescheidung verpflichtet hat. Zur Begründung nimmt der Senat auf seine obigen Ausführungen Bezug.

 

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Aufgrund des geringfügigen Obsiegens hat der Senat von einer Kostenquotelung abgesehen.

 

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.

 

 

Rechtskraft
Aus
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