L 11 KR 3317/24 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11.
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 5 KR 2891/24 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 KR 3317/24 ER-B
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze

Bei dem Medikament Mounjaro (Wirkstoff Tirzepatid) handelt es sich um einen Appetitzügler, der der Regulierung des Körpergewichts dient. Das Medikament unterfällt dem gesetzlichen Ausschluss des § 34 Abs. 1 Satz 7 SGB V. Die Zuordnung zur Anlage II der AM-RL durch den GB-A (Beschluss vom 19.09.2024) hat nur deklaratorische Bedeutung.

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Karlsruhe vom 15.11.2024 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.



Gründe


I.

Streitig ist die Versorgung mit dem Appetitzügler Mounjaro (Wirkstoff Tirzepatid).

Der 2001 geborene und bei der Antragsgegnerin seit dem 01.12.2024 als Arbeitnehmer gem. § 5 Abs. 1 Nr. 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) pflichtversicherte Antragsteller leidet unter einer Adipositas permagna (Body-Maß-Index > 40) und den damit einhergehenden Folgeerkrankungen. Unter Behandlung mit dem Medikament Wegovy (Wirkstoff Semaglutid) gelang ihm eine Gewichtsreduktion von 30 kg, nach Unterbrechung der Therapie nahm er wieder 13 kg zu.

Mit Schreiben vom 19.10.2024 beantragte er die Versorgung mit dem Medikament Mounjaro ab dem 01.12.2024 zur Behandlung seiner Adipositas. Die Behandlung sei medizinisch notwendig, um sein Gewicht zu reduzieren und die damit verbundenen Gesundheitsrisiken zu minieren. Adipositas sei eine chronische Erkrankung. Ohne die medikamentöse Therapie bestehe die Gefahr, dass in Zukunft eine bariatrische Operation notwendig werden könnte. Zwar seien nach § 34 Abs. 1 SGB V Arzneimittel von der Versorgung ausgeschlossen, bei deren Anwendung eine Erhöhung der Lebensqualität im Vordergrund stehe, doch gehe es hier um die Behandlung einer schwerwiegenden chronischen Erkrankung. Die Behandlung sei kosteneffizient und spiele eine wesentliche Rolle in seinem Behandlungsplan. Ein Ausschluss dieser Behandlung stelle einen grundrechtswidrigen Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit dar, auch liege ein Verstoß gegen Art. 3 Grundgesetz (GG) vor, wenn andere chronische Erkrankungen, nicht aber die Adipositas behandelt würden. Auch liege ein Verstoß gegen das Prinzip „ambulant vor stationär“ vor, wenn zwar eine medikamentöse Therapie ausgeschlossen werde, aber gleichzeitig bariatrische Operationen verfügbar seien.

Mit Bescheid vom 01.11.2024 lehnte die Antragsgegnerin den Antrag ab, da der Gesetzgeber die Kostenübernahme von Lifestyle-Medikamenten ausgeschlossen habe.

Hiergegen legte der Antragsteller Widerspruch ein und trug ergänzend vor, die Einstufung als „Lifestyle-Medikament“ sei nicht korrekt, da Adipositas eine anerkannte chronische Erkrankung sei. Studien hätten die Wirksamkeit nachgewiesen.

Am 04.11.2024 hat der Antragsteller beim Sozialgericht Karlsruhe (SG) einen Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes gestellt unter Wiederholung der bisherigen Begründung. Die Sache sei eilbedürftig, weil er nach Unterbrechung seiner Therapie schnell zugenommen habe. Die Gesundheitsversorgung dürfe nicht von der individuellen Zahlungskraft eines Bürgers abhängen.

Die Antragsgegnerin ist dem Antrag entgegengetreten und hat vorgetragen, die streitgegenständliche Versorgung sei nach § 34 Abs. 1 Satz 7 bis 9 SGB V ausgeschlossen. Zu verweisen sei auf § 14 Abs. 1 der Arzneimittelrichtlinie (AM-RL) i.V.m. deren Anlage II und auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 06.03.2012 (B 1 KR 10/11 R). Auch fehle ein Anordnungsgrund.

Mit Beschluss vom 15.11.2024 hat das SG den Eilantrag abgelehnt. Versicherte hätten Anspruch auf Versorgung mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln, soweit die Arzneimittel nicht nach § 34 SGB V oder durch Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V ausgeschlossen seien (§ 31 Abs. 1 Satz 1 SGB V). Von der Versorgung ausgeschlossen seien (u.a.) Arzneimittel, bei deren Anwendung eine Erhöhung der Lebensqualität im Vordergrund stehe (§ 34 Abs. 1 Satz 7 SGB V). Ausgeschlossen seien insbesondere Arzneimittel, die (u.a.) überwiegend zur Regulierung des Körpergewichts dienten (§ 34 Abs. 1 Satz 8 SGB V). Das Nähere regele die Richtlinie nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V (§ 34 Abs. 1 Satz 9 SGB V). Das Arzneimittel Mounjaro habe zwei Anwendungsgebiete: zum einen Typ-2-Diabetes mellitus, zum anderen Gewichtsmanagement. Zum zweiten Punkt führe der Anbieter aus, Mounjaro sei angezeigt als Ergänzung zu einer kalorienreduzierten Diät und erhöhter körperlicher Aktivität zum Gewichtsmanagement, einschließlich Gewichtsabnahme und Gewichtserhaltung (vgl. Ziff. 4.1 der Fachinformation). Der Antragsteller begehre Mounjaro nicht zur Behandlung eines Diabetes mellitus, sondern zum Gewichtsmanagement. Insoweit diene das Arzneimittel „zur Regulierung des Körpergewichts“ im Sinne des § 34 Abs. 1 Satz 8 SGB V. In diesem Anwendungsgebiet unterfalle Mounjaro daher dem gesetzlichen Leistungsausschluss. Zu keinem anderen Ergebnis führe der Umstand, dass es sich bei der Adipositas des Antragstellers wohl um eine behandlungsbedürftige Krankheit handele. Denn der gesetzliche Leistungsausschluss gelte auch dann, wenn durch das Arzneimittel auf eine Krankheit eingewirkt werden solle; er sei nicht auf nicht-medizinische Behandlungsanlässe beschränkt. Im Übrigen habe kürzlich auch der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) durch (deklaratorischen) Beschluss vom 19.09.2024 das Arzneimittel Mounjaro der Anlage II der Arzneimittelrichtlinie zugeordnet, in der nach § 34 Abs. 1 Satz 7 SGB V ausgeschlossene Arzneimittel gelistet seien.

Hiergegen hat der Antragsteller am 19.11.2024 Beschwerde beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) eingereicht unter Wiederholung und Vertiefung seiner bisherigen Argumentation. Ergänzend hat er dargelegt, es sei fraglich, ob § 34 SGB V in seiner aktuellen Fassung angesichts der medizinischen Fortschritte noch verfassungskonform sei. Adipositas sei eine lebensbedrohliche Erkrankung. Es sei nicht nachvollziehbar, dass Tirzepatid bei Diabetes Typ 2 von den Krankenkassen übernommen, ihm aber verwehrt werde, weil er nur die Vorstufe eines Prädiabetes habe. § 34 SGB V sehe zwei kumulative Voraussetzungen für den Ausschluss von der Versorgung vor, nämlich die Erhöhung der Lebensqualität und „insbesondere“ die Zügelung des Appetits bzw. Regulierung des Körpergewichts. Das Wort „insbesondere“ verdeutliche, dass beide Bedingungen erfüllt sein müssten. Die AM-RL präzisiere die erste Voraussetzung. Aus dieser Definition lasse sich ableiten, dass ein Präparat, das - wie hier - in erster Linie der Behandlung einer ernstzunehmenden Krankheit diene, definitionsgemäß nicht als Lifestyle-Medikament eingestuft werden könne. Der Ausschluss des Medikaments Tirzepatid durch den G-BA sei lediglich ein deklaratorischer Akt, dem keine eigenständige Rechtswirkung zukomme. Es wäre angemessen, das Verfahren auszusetzen und eine Normenkontrolle beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) zu beantragen. Da bei ihm eine lebensbedrohliche Erkrankung vorliege, bedürfe es nach der Rechtsprechung des BVerfG einer grundrechtsorientierten Auslegung der maßgeblichen Vorschriften.

Der Antragsteller beantragt (sachdienlich gefasst),

den Beschluss des Sozialgerichts Karlsruhe vom 15.11.2024 aufzuheben und die Antragsgegnerin vorläufig zu verpflichten, ihn ab 01.12.2024 bis zur Entscheidung in der Hauptsache mit dem Medikament Mounjaro zu versorgen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie hat auf die Ausführungen im angefochtenen Beschluss verwiesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten sowie des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten sowie der Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde hat keinen Erfolg.

Der Senat entscheidet über die Beschwerde des Antragstellers durch Beschluss (§ 176 Sozialgerichtsgesetz [SGG]). Eine mündliche Verhandlung wird nicht für erforderlich gehalten (§§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 3 SGG). Die form- und fristgerecht (§ 173 SGG) und auch ansonsten nach § 172 SGG statthafte Beschwerde ist zulässig, in der Sache jedoch unbegründet. Vielmehr hat das SG das einstweilige Rechtsschutzgesuch zu Recht abgelehnt.


Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruchs, d.h. des materiellen Anspruchs, für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird, sowie das Vorliegen eines Anordnungsgrundes, d.h. die Unzumutbarkeit voraus, bei Abwägung aller betroffenen Interessen die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten. Sowohl Anordnungsanspruch als auch Anordnungsgrund müssen glaubhaft gemacht sein. Bei der Beurteilung, ob Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes notwendig sind, sind die Belange der Öffentlichkeit mit denen des Antragstellers abzuwägen. Ergibt die im Eilverfahren gebotene summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage, dass eine Klage keine Aussicht auf Erfolg hätte, wäre ein Recht, das geschützt werden müsste, nicht vorhanden. Wäre eine Klage offensichtlich zulässig und begründet, vermindern sich die Anforderungen an den Anordnungsgrund. Bei offenem Ausgang ist eine einstweilige Anordnung zu erlassen, wenn es dem Antragsteller nicht zuzumuten ist, die Hauptsacheentscheidung abzuwarten (vgl. dazu Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, 14. Aufl., § 86b Rn. 28 ff.).

Die Anforderungen an die Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs dürfen, gemessen an der drohenden Rechtsverletzung, nicht überspannt werden (BVerfG 14.03.2019, 1 BvR 169/19, juris). Grundsätzlich ist allerdings bei der Entscheidung über die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes eine summarische Prüfung verfassungsrechtlich unbedenklich; die notwendige Prüfungsintensität steigt jedoch mit der drohenden Rechtsverletzung, die bis dahin reichen kann, dass die Gerichte unter besonderen Umständen - wenn sie sich an den Erfolgsaussichten der Hauptsache orientieren wollen - dazu verpflichtet sein können, die Sach- und Rechtslage nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen. Droht einem Antragsteller bei Versagung des einstweiligen Rechtsschutzes eine erhebliche, über Randbereiche hinausgehende Verletzung in seinen Grundrechten, die durch eine der Klage stattgebende Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden kann, so ist - erforderlichenfalls unter eingehender tatsächlicher und rechtlicher Prüfung des im Hauptsacheverfahren geltend gemachten Anspruchs - einstweiliger Rechtsschutz zu gewähren, es sei denn, dass ausnahmsweise überwiegende, besonders gewichtige Gründe entgegenstehen. Denn in diesen Fällen kann das Gericht nur im einstweiligen Rechtsschutz eine endgültige Grundrechtsverletzung verhindern. Ausschließlich auf eine sorgfältige und hinreichend substantiierte Folgenabwägung kommt es nur an, soweit eine - nach vorstehenden Maßstäben durchzuführende - Rechtmäßigkeitsprüfung nicht möglich ist (BVerfG 14.09.2016, 1 BvR 1335/13, juris).

Gemessen an diesen Maßstäben kommt eine vorläufige Versorgung des Antragstellers mit dem begehrten Medikament nicht in Betracht. Es fehlt am Anordnungsanspruch.

Wie das SG zutreffend ausgeführt hat, sind gem. § 34 Abs. 1 Satz 7 SGB V solche Arzneimittel von der Versorgung ausgeschlossen, bei deren Anwendung eine Erhöhung der Lebensqualität im Vordergrund steht. Ausgeschlossen sind insbesondere Arzneimittel, die überwiegend zur Behandlung der erektilen Dysfunktion, der Anreizung sowie Steigerung der sexuellen Potenz, zur Raucherentwöhnung, zur Abmagerung oder zur Zügelung des Appetits, zur Regulierung des Körpergewichts oder zur Verbesserung des Haarwuchses dienen (§ 34 Abs. 1 Satz 8 SGB V). Das Nähere regeln die Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V.

Diese gesetzliche Regelung ist eindeutig: Appetitzügler oder Arzneimittel zur Regulierung des Körpergewichts sind von der Versorgung ausgeschlossen. Bei dem Medikament Mounjaro (Wirkstoff Tirzepatid und nicht - wie vom Antragsteller z.T. vorgetragen - Semaglutid) handelt es sich - wie sich der Gebrauchsinformation eindeutig entnehmen lässt, vgl. Seite 1 unter Ziffer 1: „Mounjaro beeinflusst die Appetitregulation“ - für die Anwendung zum Gewichtsmanagement um einen solchen Appetitzügler, der zugleich der Regulierung des Körpergewichts dient. Damit unterfällt Mounjaro unmittelbar dem gesetzlichen Ausschluss, so dass die Zuordnung von Mounjaro (Wirkstoff Tirzepatid) in der Indikation zum Gewichtsmanagement als zentral wirkendes Abmagerungsmittel unter den gesetzlichen Ausschluss in Anlage II der AM-RL durch den G-BA (Beschluss vom 19.09.2024, noch nicht in Kraft) nur deklaratorisch wirkt (vgl. hierzu BSG 12.12.2012, B 6 KA 50/11 R, juris Rn. 13). Mit anderen Worten: Es kommt auf den Beschluss des G-BA nicht entscheidend an.

Das Argument des Antragstellers, beide Voraussetzungen in § 34 Abs. 1 Satz 7 und Satz 8 - nämlich die im Vordergrund stehende Erhöhung der Lebensqualität (Lifestyle-Produkt) und die Eigenschaft als Appetitzügler/Medikament zur Regulierung des Körpergewichts - müssten kumulativ vorliegen und hier gehe es nicht um eine Erhöhung der Lebensqualität, sondern um die Behandlung von Adipositas und ihre schwerwiegenden Folgen, überzeugt den Senat nicht. Vielmehr geht der Gesetzgeber, indem er das Wort „insbesondere“ verwendet, ganz offensichtlich davon aus, dass ein Appetitzügler bzw. ein Medikament zur Regulierung des Körpergewichts stets vornehmlich der Lebensqualität dient bzw. dass - wie der G-BA in § 14 Abs. 1 Satz 2 Ziff. 1 der AMR-RL präzisiert hat - dessen Einsatz durch die private Lebensführung bedingt ist oder aufgrund der Zweckbestimmung insbesondere nicht oder nicht ausschließlich zur Behandlung von Krankheiten dient. Diese Erwägungen sind für den Senat nachvollziehbar. Eine Gewichtsreduktion kann nämlich auch durch eine reduzierte Kalorienzufuhr erreicht werden, ohne dass es hier unterstützender Medikamente bedarf, sofern der adipöse Versicherte die hierfür nötige Disziplin und Willensstärke aufbringt. Ein appetitzügelndes Medikament hingegen führt zu einem Sättigungsgefühl, obwohl der Betroffene weniger Nahrung als sonst aufgenommen hat, so dass es ihm wesentlich leichter fällt, seine Ernährung umzustellen. Insofern betrifft ein Appetitzügler unmittelbar die private Lebensführung durch eine Beeinflussung des Essverhaltens und zielt erst in zweiter Linie auf die Reduktion der Adipositas ab. Die Auffassung des Gesetzgebers, Appetitzügler seien „Lifestyle-Produkte“, ist daher zutreffend.


Der gesetzliche Leistungsausschluss des genannten Arzneimittels verletzt weder das Recht auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz [GG]) noch das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Sozialstaatsprinzip (vgl. dazu Bundesverfassungsgericht [BVerfG], 06.12.2005, 1 BvR 347/98, BVerfGE 115, 25-51, juris Rn. 21, 24) noch das verfassungsrechtliche Benachteiligungs- oder das konventionsrechtliche Diskriminierungsverbot (vgl. BSG 06.03.2012, B 1 KR 10/11 R, juris Rn. 32). Der Gesetzgeber hat lediglich in verhältnismäßiger Weise von seinem Gestaltungsrecht Gebrauch gemacht, den Bereich der Eigenvorsorge zu umreißen. Grundsätzlich nimmt es das Verfassungsrecht hin, dass der Gesetzgeber den Leistungskatalog der GKV unter Abgrenzung der Leistungen ausgestaltet, die der Eigenverantwortung des Versicherten zugerechnet werden (vgl. BVerfG a.a.O. Rn. 26). Die gesetzlichen Krankenkassen sind nicht von Verfassungs wegen gehalten, alles zu leisten, was an Mitteln zur Erhaltung oder Wiederherstellung der Gesundheit verfügbar ist (vgl. BVerfG a.a.O. Rn. 27). Verfassungsunmittelbare Leistungsansprüche erwachsen Versicherten lediglich als Ausnahme in Fällen einer notstandsähnlichen Situation aufgrund einer lebensbedrohlichen oder vorhersehbar tödlich verlaufenden Krankheit, in der ein erheblicher Zeitdruck für einen zur Lebenserhaltung bestehenden akuten Behandlungsbedarf typisch ist und für die eine dem allgemein anerkannten medizinischen Standard entsprechende Behandlungsmethode nicht existiert (vgl. BVerfG a.a.O. Rn. 24; BSG 13.12.2016, B 1 KR 1/16 R, juris Rn. 17 ff.; vgl. auch § 2 Abs. 1a SGB V). Da die beim Antragsteller vorliegende Adipositas zum jetzigen Zeitpunkt nicht lebensbedrohlich ist, greifen diese Erwägungen hier nicht.

Dass - wie der Antragsteller vorträgt - der gesetzliche Ausschluss von Appetitzüglern aufgrund des medizinischen Fortschritts nicht weiter gelten könne, erschließt sich dem Senat nicht. Auch wenn Appetitzügler nun bessere Ergebnisse liefern als zum Zeitpunkt des Erlasses der gesetzlichen Regelung (Fassung vom 25.11.2003, gültig ab 01.01.2004), geht es doch weiterhin vornehmlich darum, den Betroffenen das Leben zu erleichtern, indem ihnen bei der Ernährungsumstellung geholfen wird.

Soweit der Antragsteller sich mit Diabetespatienten vergleicht, überzeugt dies bereits deshalb nicht, weil er - nach eigenen Angaben - nicht an Diabetes erkrankt ist. Diabetes Typ II und Adipositas sind auch keine vergleichbaren Erkrankungen, so dass der Hinweis auf Art. 3 GG nicht passt. Ebenso wenig überzeugt seine Argumentation, eine ambulante Behandlung (mit dem begehrten Medikament) gehe einer stationären (i.e. bariatrischen Operation) vor. Dieser Grundsatz besagt lediglich, dass die Krankenkasse keine stationäre Behandlung zu übernehmen hat, wenn derselbe Erfolg auch ambulant erreichbar wäre. Selbstredend können hier aber nur solche Behandlungen miteinander verglichen werden, die vom Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenversicherung umfasst sind. Weiterhin verfängt auch der Verweis des Antragstellers, eine bariatrische Operation sei mit höheren Kosten verbunden, nicht. Geringere Kosten ändern zum einen nichts an einem gesetzlichen Leistungsausschluss. Zum anderen muss Tirzepatid wohl lebenslang eingenommen werden, weil sonst das Gewicht wieder steigt (vgl. hierzu nur
https://www.apotheke-adhoc.de/nachrichten/detail/pharmazie/tirzepatid-uebertrifft-semaglutid-beim-gewichtsverlust/). Dieser Effekt zeigt sich auch beim Antragsteller, der nach eigenen Angaben nach Medikamenteneinnahme sein Gewicht um 30 kg reduzieren konnte, aber sofort wieder 13 kg zunahm, als er das Medikament absetzte. Ob somit eine einmalige bariatrische Operation tatsächlich mehr kostet als die u.U. lebenslange Versorgung mit einem Appetitzügler, ist fraglich.

Da somit nach summarischer Prüfung kein Anordnungsanspruch besteht, kommt eine Versorgung des Antragstellers mit dem begehrten Präparat im Wege dieses Eilverfahrens nicht in Betracht.

Zweifelhaft ist hier im Übrigen auch der Anordnungsgrund, mithin die Eilbedürftigkeit. Der Antragsteller, gelernter Diplom-Rechtspfleger (FH), ist seit 01.12.2024 als Arbeitnehmer gesetzlich pflichtversichert, verfügt somit über Arbeitseinkommen. Es ist nicht ersichtlich und auch nicht substantiiert vorgetragen worden, dass er die Kosten für das begehrte Medikament (etwa 430 € pro Monat, vgl.
https://www.doktorabc.com/de/behandlungen/mounjaro/mounjaro-preis) bis zur Entscheidung in der Hauptsache nicht selbst tragen kann.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer analogen Anwendung von § 193 SGG.

 

Rechtskraft
Aus
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