Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 25.04.2023 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens mit Ausnahme der
außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen, der diese selbst trägt.
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren endgültig auf 29.176,82 € festgesetzt.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten steht die Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen in Höhe von 29.176,82 Euro aufgrund einer Betriebsprüfung für die Zeit vom 01.01.2017 bis zum 09.02.2020 im Streit.
Die Klägerin ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH), die im Handelsregister des Amtsgerichts S1 unter der Nummer HRB xxxxx1 eingetragen ist. Als Geschäftszweck ist „Ausführung von Montagen und sonstigen Arbeiten des Baunebengewerbes“ eingetragen. Als Geschäftsführer der Klägerin waren nach Handelsregisterauszug vom 01.02.2022 folgende Personen zum Geschäftsführer bestellt: R1, geb. K1, seit dem 10.02.2009, und R2 (nachfolgend Beigeladener) seit dem 23.04.2010. Das Stammkapital der Klägerin beträgt 25.000,00 Euro. Die Beteiligung am Stammkapital stellte sich wie folgt dar: Vom 21.04.2010 bis zum 09.02.2020 hielt R1 Anteile am Stammkapital in Höhe von 15.000,00 Euro, der Beigeladene Anteile in Höhe von 10.000,00 Euro. Seit dem 10.02.2020 haben beide Anteile in Höhe von 12.500,00 Euro am Stammkapital der Klägerin. Beschlüsse der Klägerin wurden grundsätzlich mit einfacher Mehrheit der abgegebenen Stimmen gefasst. Das Stimmrecht des einzelnen Gesellschafters richtete sich dabei nach der Höhe seiner Geschäftsanteile. Eine umfassende Sperrminorität eines Minderheitgesellschafters war im Gesellschaftsvertrag vom 23.12.2008 nicht enthalten.
Mit Wirkung vom 01.05.2010 wurde zwischen der Klägerin und dem Beigeladenen ein Anstellungsvertrag als Geschäftsführer geschlossen. Dieser regelte eine monatliche Vergütung in Höhe von 1.950,00 Euro sowie die Weiterzahlung der Vergütung im Krankheitsfall für die Dauer von drei Monaten. Für den Geschäftsführer wurde von der Gesellschaft eine Lebensversicherung (betriebliche Altersversorgung, Direktversicherung) abgeschlossen. Der Beigeladene hatte Anspruch auf einen jährlich bezahlten Urlaub von 30 Arbeitstagen. Das Dienstverhältnis war auf die Dauer von fünf Jahren geschlossen. Wenn das Dienstverhältnis nicht von einem Vertragsteil spätestens sechs Monate vor Ablauf gekündigt wurde, verlängerte es sich um weitere drei Jahre.
In der Zeit vom 23.02.2017 bis 24.02.2017 fand bei der Klägerin eine Betriebsprüfung nach § 28p Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) durch die Beklagte für den Prüfzeitraum vom 01.01.2013 bis zum 31.12.2016 statt. Darüber erhielt die Klägerin die Prüfmitteilung vom 28.02.2017, wonach die in Stichproben durchgeführte Prüfung im gesamten Prüfzeitraum zu keinen Feststellungen hinsichtlich des Gesamtsozialversicherungsbeitrages geführt habe. Zudem enthält die Prüfmitteilung unter der Überschrift Stichproben folgende Ausführungen: Die Prüfung nach § 28 p Abs. 1 SGB IV kann nach § 11 Abs. 1 BVV auf Stichproben beschränkt werden. Bereits in früheren Prüfungen einbezogene Zeiträume werden in der Regel nach dem Grundsatz von Treu und Glauben nicht in die laufende Prüfung einbezogen. Sofern sich jedoch bei der Prüfung Sachverhalte ergeben, die im neuen Prüfzeitraum unzutreffend beurteilt wurden und auch im abgeschlossenen Prüfzeitraum zu beurteilen waren, kann die Prüfung auf den abgeschlossenen Prüfzeitraum ausgedehnt werden. Die Forderung für den abgeschlossenen Prüfzeitraum ist nicht verwirkt (BSG, Urteile vom 10.09.1975 – 3/12 RK 15/74 – und vom 30.11.1978 – 12 RK 6/76).
Am 25.10.2021 begann die Beklagte eine Betriebsprüfung für den nachfolgenden Zeitraum vom 01.01.2017 bis zum 31.12.2020 bei der Klägerin.
Mit Anhörungsschreiben vom 25.02.2022 teilte die Beklagte der Klägerin als Ergebnis dieser Betriebsprüfung mit, dass die sich aus der Prüfung ergebende Nachforderung insgesamt 29.176,82 Euro betrage. Es werde festgestellt, dass der Beigeladene als Gesellschafter-Geschäftsführer vom 01.01.2017 bis zum 09.02.2020 in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis gegen Arbeitsentgelt im Sinne der Sozialversicherung gestanden habe. Es habe Versicherungs- und Beitragspflicht in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung bestanden. Die fehlenden Sozialversicherungsbeiträge zur Kranken-, Renten-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung würden aus dem monatlichen Arbeitsentgelt in Höhe von 1.950,00 € nachberechnet. Seit dem 10.02.2020 stehe der Beigeladene als Gesellschafter-Geschäftsführer nicht mehr in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis im Sinne der Sozialversicherung, sondern übe eine selbständige Tätigkeit aus. R1 stehe als Gesellschafterin-Geschäftsführerin nicht in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis im Sinne der Sozialversicherung, sondern übe seit dem 10.02.2009 eine selbständige Tätigkeit aus. Die Klägerin werde dazu angehört.
Mit Schreiben ihres Steuerberaters vom 14.03.2022 sowie mit Schreiben des Prozessbevollmächtigten der Klägerin vom 05.04.2022 nahm die Klägerin Stellung. Für die Geschäftsführung der G1 sei nicht ersichtlich, weshalb sich die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung gegenüber den Vorprüfungen geändert habe. Die Beteiligungsverhältnisse hätten sich seit 21.04.2010 nicht verändert. Die sozialversicherungsrechtliche Behandlung der Tätigkeit des Beigeladenen sei zuletzt mit Feststellung vom 28.02.2017 nicht beanstandet worden. Es werde deshalb um weitere Aufklärung gebeten, auf welcher Grundlage die Beurteilung geändert werde. Insbesondere sei die Rückwirkung der Beurteilung nicht nachvollziehbar. Nach dem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 19.09.2019 (B 12 R 25/18 R) komme der Betriebsprüfung vom 23./24.02.2017 Schutzwirkung zu.
Mit Bescheid vom 09.05.2022 setzte die Beklagte eine Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen in Höhe von 29.176,82 € gegen die Klägerin fest und stellte fest, dass der Beigeladene als Gesellschafter-Geschäftsführer vom 01.01.2017 bis zum 09.02.2020 in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis gegen Arbeitsentgelt im Sinne der Sozialversicherung gestanden habe, sodass Versicherungspflicht in allen Zweigen der Sozialversicherung vorgelegen habe. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass der Beigeladene zum Geschäftsführer bestellt sei und bei der Beschlussfassung in der Gesellschafterversammlung über 40 % Prozent der Stimmen verfüge. Eine vollumfängliche, alle Angelegenheiten der Gesellschaft betreffende Sperrminorität liege nicht vor, da nicht alle Beschlüsse verhindert beziehungsweise herbeigeführt werden könnten. Kraft des Anteils könne somit kein maßgeblicher Einfluss auf die Geschicke der Gesellschaft ausgeübt werden. Zudem sei mit Wirkung vom 01.05.2010 ein Anstellungsvertrag als Geschäftsführer zwischen der Klägerin und dem Beigeladenen geschlossen worden. Dieser regele die monatliche Vergütung in Höhe von 1.950,00 €, außerdem die Weiterzahlung der Vergütung im Krankheitsfall für die Dauer von drei Monaten. Für den Geschäftsführer werde von der Gesellschaft eine Lebensversicherung (betriebliche Altersversorgung, Direktversicherung) abgeschlossen. Der Beigeladene habe Anspruch auf einen jährlich bezahlten Urlaub von 30 Arbeitstagen. Nach Gesamtwürdigung aller zur Beurteilung der Tätigkeit maßgeblichen Tatsachen überwögen die Merkmale für ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis. Die Beschäftigung werde gegen Arbeitsentgelt ausgeübt, so dass dem Grunde nach Versicherungspflicht zu allen Zweigen der Sozialversicherung bestehe. Seit dem 10.02.2020 übe der Beigeladene als Gesellschafter-Geschäftsführer eine selbständige Tätigkeit aus, da er zum Geschäftsführer bestellt sei und seitdem bei der Beschlussfassung in der Gesellschafterversammlung über 50 % Prozent der Stimmen verfüge. Dem Bescheid war eine Anlage zur Berechnung der verschiedenen Beiträge angehängt.
Mit Schreiben vom 19.05.2022 legte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin Widerspruch ein. Der beanstandungsfreien Betriebsprüfung vom 23./24.02.2017 komme Schutzwirkung für die Klägerin zu, weil diese nach der Einführung des § 7 Abs. 4 Satz 2 Beitragsverfahrensverordnung (BVV) stattgefunden habe, ohne die geprüften Sachverhalte offenzulegen. Für diesen Fall habe das BSG in seinem Urteil vom 19.09.2019 (Az. B 12 R 25/18 R) ausgeführt, dass Betriebsprüfungen insoweit auch eine Schutzwirkung für Arbeitgeber zukomme, seit den Betriebsprüfungsstellen aufgegeben werde, die geprüften Sachverhalte offenzulegen. Vor diesem besonderen Hintergrund werde gleichzeitig beantragt, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs anzuordnen und die Vollziehung des gegenständlichen Bescheids bis zum Abschluss des Widerspruchsverfahrens auszusetzen.
Mit Schreiben vom 24.06.2022 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass die Vollziehung des Bescheides vom 09.05.2022 nicht ausgesetzt werde, da nach nochmaliger Prüfung des Sachverhalts keine ernstlichen Zweifel bezüglich der getroffenen Feststellungen vorlägen.
Mit Schreiben vom 05.07.2022 wies der Prozessbevollmächtigte der Klägerin nochmals darauf hin, dass es vorliegend allein darum gehe, dass nach der Einführung des § 7 Abs. 4 Satz 2 BVV eine beanstandungsfreie Betriebsprüfung stattgefunden habe, der nach dem zitierten BSG-Urteil vom 19.09.2019 Schutzwirkung zukomme. Insofern werde um erneute Prüfung gebeten.
Mit Schreiben vom 07.07.2022 teilte die Beklagte mit, sie halte an ihrer Auffassung fest. Eine Schutzwirkung infolge der beanstandungsfreien Betriebsprüfung sei zu verneinen.
Sodann stellte die Klägerin am 20.07.2022 einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes (Az. S 24 BA 2343/22 ER) beim Sozialgericht Stuttgart (SG), der mit Beschluss vom 28.07.2022 abgelehnt wurde. Die anschließend zum Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegte Beschwerde (L 7 BA 2269/22 ER-B) blieb ebenfalls erfolglos und wurde mit Beschluss vom 29.09.2022 zurückgewiesen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 14.09.2022 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin als unbegründet zurück. Zum Verwaltungsverfahren der Rentenversicherungsträger bei Abschluss einer beanstandungslosen Prüfung habe sich das BSG im Rahmen eines Streitverfahrens zum Vertrauensschutz eines Arbeitgebers zweier GmbH-Minderheitsgesellschafter-Geschäftsführer in die sog. "Kopf- und Seele Rechtsprechung" geäußert. Das BSG habe einen auf Rechtsprechung basierenden Vertrauensschutz verneint und infolgedessen die streitgegenständliche Beitragsnachforderung, die die Jahre 2011 bis 2014 betraf, für rechtmäßig befunden (Urteil vom 19.9.2019 – B 12 R 25/18 R). Der erkennende 12. Senat habe das Verfahren allerdings zum Anlass genommen, seine Rechtsprechung zu beanstandungslosen Betriebsprüfungen im Hinblick auf die Indienstnahme der Arbeitgeber für Zwecke der Sozialversicherung fortzuentwickeln. Danach sei künftig auch bei beanstandungsfreien Betriebsprüfungen das Verfahren durch einen Verwaltungsakt abzuschließen, der den Bestimmtheitsanforderungen genüge und Gegenstand sowie Ergebnis der Prüfung angebe. Des Weiteren habe sich die Betriebsprüfung zwingend auf die im Betrieb tätigen Ehegatten, Lebenspartner, Abkömmlinge des Arbeitgebers sowie geschäftsführende GmbH-Gesellschafter zu erstrecken, sofern ihr sozialversicherungsrechtlicher Status nicht bereits durch Verwaltungsakt festgestellt worden sei. Der Gesetzeswortlaut in § 28p Abs. 1 Satz 5 SGB IV beinhalte keine Verpflichtung, jede Prüfung förmlich mit einem Verwaltungsakt abzuschließen. Vielmehr grenze insbesondere der zweite Halbsatz die Kompetenzen und Berechtigungen der Träger der Rentenversicherung "im Rahmen der Prüfung" von denen der Einzugsstellen außerhalb der Prüfungen ab. Eine Verpflichtung der Rentenversicherungsträger, Ehegatten, Lebenspartner, Abkömmlinge des Arbeitgebers sowie geschäftsführende GmbH-Gesellschafter, die im Betrieb tätig und nicht als Beschäftigte gemeldet seien, im Rahmen von Betriebsprüfungen zu prüfen und einen Verwaltungsakt zum Bestehen oder Nichtbestehen von Versicherungspflicht zu erlassen, lasse sich aus dem Wortlaut einschlägiger Normen (§ 28p Abs. 1 SGB IV, § 7a Abs. 1 Satz 2 SGB IV, § 11 BW) nicht ableiten. Die GmbH und der betroffene Gesellschafter-Geschäftsführer hätten jederzeit die Möglichkeit gehabt, rechtsverbindlich eine sozialversicherungsrechtliche Beurteilung durch die Clearingstelle der Deutschen Rentenversicherung Bund nach § 7a SGB IV vornehmen zu lassen. Von dieser gesetzlichen Möglichkeit keinen Gebrauch zu machen, sich dann aber nachträglich auf Vertrauensschutz berufen zu wollen, sei widersprüchlich (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 22.02.2019 – L 4 BA 313/18). Obwohl entgegen dem entsprechenden Leitsatz der Entscheidung des 12. Senats des BSG keine gesetzliche Verpflichtung dazu bestehe, hätten sich die Rentenversicherungsträger darauf verständigt, ab dem 01.01.2021 bei jeder turnusmäßigen Betriebsprüfung Verwaltungsakte zum sozialversicherungsrechtlichen Status solcher im Betrieb erwerbstätigen und nicht als Beschäftigte gemeldeten Personen zu erlassen, die Angehörige des Arbeitgebers (Ehegatten, Lebenspartner, Abkömmlinge) oder GmbH-Gesellschafter-Geschäftsführer seien und deren Status nicht bereits durch einen Verwaltungsakt festgestellt worden sei. Damit sollten diese erfahrungsgemäß besonders streitanfälligen Sachverhalte künftig befriedet werden. Vertrauensschutz könne sich nach alledem aus der Prüfmitteilung vom 28.02.2017 nicht ergeben.
Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat am 06.10.2022 Klage beim SG erhoben und zeitgleich einen erneuten Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gestellt (Az. S 11 BA 3180/22 ER). Er hat zur Klagebegründung auf die Entscheidung des BSG vom 07.04.2022 (Az. B 5 R 24/21 R) hingewiesen. Er hat insbesondere vorgetragen, dass die Beklagte die Betriebsprüfung für den Zeitraum 01.01.2013 bis 31.12.2016 tatsächlich nicht durch eine konkrete Prüfmitteilung abgeschlossen habe, obwohl seit 01.01.2017 eine diesbezügliche gesetzliche Verpflichtung bestehe. Die Formwidrigkeit dieses Verwaltungshandels sei für die Klägerin in der Laiensphäre nicht erkennbar gewesen, sodass sie von gesetzmäßigem Verwaltungshandeln, nämlich der Erstreckung der Betriebsprüfung auf geschäftsführende GmbH-Gesellschafter, ausgehen und die – wenn auch nicht „konkrete“ – Prüfmitteilung der Beklagten vom 28.02.2017 nach Treu und Glauben als – mindestens konkludente – feststellende Regelung verstehen durfte, dass der Beigeladene als geschäftsführender Gesellschafter der Klägerin nicht in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis im Sinne der Sozialversicherung stehe. Aufgrund der hieraus resultierenden Schutzwirkung für die Klägerin sei der Beklagten die jetzt für die Zeit vom 01.01.2017 bis 09.02.2020 getroffene abweichende Entscheidung verwehrt gewesen.
Die Beklagte hat zur Klageerwiderung auf ihr Vorbringen im Widerspruchsbescheid verwiesen und hat ergänzend vorgetragen, dass der dem Urteil des BSG vom 07.04.2022 (Az. B 5 R 24/21 R) zugrundeliegende Sachverhalt mit der Prüfmitteilung vom 28.02.2017 nicht vergleichbar sei.
Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat den Eilantrag im Verfahren S 11 BA 3180/22 ER am 21.12.2022 nach Durchführung eines Erörterungstermins am 08.12.2022 zurückgenommen.
Das SG hat den Geschäftsführer R2 mit Beschluss vom 21.04.2023 zum Verfahren notwendig beigeladen.
Das SG hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 25.04.2023 abgewiesen und hat zur Begründung auf die Gründe der angefochtenen Bescheide, insbesondere des Widerspruchsbescheides vom 14.09.2022 sowie die Ausführungen der 24. Kammer des SG Stuttgarts im Beschluss vom 28.07.2022 (Az. S 24 BA 2343/22 ER) sowie des LSG Baden-Württemberg im Beschluss vom 29.09.2022 (Az. L 7 BA 2269/22 ER-B) verwiesen. Soweit die Klägerin auf die Entscheidung des BSG vom 07.04.2022 (Az. B 5 R 24/21 R) verweise, folge hieraus keine andere rechtliche Beurteilung, da sich bereits der zugrundeliegende Sachverhalt als nicht vergleichbar darstelle.
Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat gegen den ihm am 25.04.2023 zugestellten Gerichtsbescheid am 24.05.2023 Berufung beim LSG eingelegt. Er hat zur Berufungsbegründung im Wesentlichen sein Vorbringen im Verwaltungs- und Klageverfahren wiederholt und ausgeführt, dass aus den Urteilen des BSG vom 19.09.2019 (Az. B 12 R 25/18 R) sowie vom 07.04.2022 (B 5 R 24/21 R) eine Schutzwirkung der beanstandungslos durchgeführten Betriebsprüfung vom 23./24.02.2017 zugunsten der Klägerin folge.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 25.04.2023 sowie den Bescheid der Beklagten vom 09.05.2022 in Gestalt des Widerspruchsbescheids des Beklagten vom 14.09.2022 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten festzustellen, dass der Beigeladene als geschäftsführender Gesellschafter der Klägerin auch in der Zeit vom 01.01.2017 bis 09.02.2020 nicht in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis im Sinne der Sozialversicherung stand.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.
Die Berichterstatterin hat das Verfahren nicht öffentlich mit den Beteiligten am 20.12.2023 erörtert.
Die AOK hat mit Schreiben vom 09.01.2024 ebenso wie die Agentur für Arbeit mit Schreiben vom 10.01.2024 auf Anfrage der Berichterstatterin vom 21.12.2023 mitgeteilt, dass sie keinen Antrag auf Beiladung nach § 75 Abs. 2b Satz 1 SGG stellt.
Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung nach § 124 Abs. 2 SGG erteilt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes sowie des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge sowie auf die beigezogene Verwaltungsakte verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die gemäß § 151 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 SGG entscheidet, ist gemäß §§ 143, 144 SGG zulässig, in der Sache aber nicht begründet.
Streitgegenstand des Berufungsverfahrens ist die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung der Tätigkeit des Beigeladenen als Geschäftsführer-Gesellschafter bei der Klägerin und die Nachforderung von Gesamtsozialversicherungsbeiträgen in Höhe von 29.176,82 € für den Zeitraum vom 01.01.2017 bis zum 09.02.2020.
Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 09.05.2022 in der in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14.09.2022, mit dem die Beklagte Beiträge zur Rentenversicherung, Krankenversicherung, Pflegeversicherung und Arbeitslosenversicherung sowie die Umlage U2 nach dem Aufwendungsausgleichsgesetz sowie die Insolvenzgeldumlage erhoben hat, ist rechtmäßig.
Die Beklagte ist nach § 28p Abs. 1 SGB IV in der Fassung der Bekanntmachung vom 12.11.2009 (BGBl. I, 3710) für die Nachforderung von Gesamtsozialversicherungsbeiträgen zuständig. Danach prüfen die Träger der Rentenversicherung bei den Arbeitgebern, ob diese ihre Meldepflichten und ihre sonstigen Pflichten im Zusammenhang mit dem Gesamtsozialversicherungsbeitrag ordnungsgemäß erfüllen; sie prüfen insbesondere die Richtigkeit der Beitragszahlungen und der Meldungen alle vier Jahre (Satz 1). Die Prüfung umfasst auch die Lohnunterlagen der Beschäftigten, für die Beiträge nicht gezahlt wurden (Satz 4). Gemäß § 28p Abs. 1 Satz 5 SGB IV erlassen die Träger der Rentenversicherung im Rahmen der Prüfung Verwaltungsakte zur Versicherungspflicht und Beitragshöhe in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung einschließlich der Widerspruchsbescheide gegenüber den Arbeitgebern.
Für die Zahlung von Beiträgen von Versicherungspflichtigen aus Arbeitsentgelt zur gesetzlichen Renten- und Arbeitslosenversicherung gelten nach § 174 Abs. 1 SGB VI die Vorschriften über den Gesamtsozialversicherungsbeitrag (§§ 28d bis 28n und 28r SGB IV). Diese Vorschriften gelten nach § 1 Abs. 1 Satz 2 SGB IV, § 348 Abs. 2 SGB III auch für die Arbeitslosenversicherung bzw. Arbeitsförderung.
Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB IV ist Beschäftigung die nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis (Satz 1). Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers (Satz 2). Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG setzt eine abhängige Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer von der Arbeitgeberin persönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht der Arbeitgeberin unterliegt. Diese Weisungsgebundenheit kann - vornehmlich bei Diensten höherer Art - eingeschränkt und zur "funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess" verfeinert sein. Demgegenüber ist eine selbstständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmensrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet (BSG Urteil vom 23.02.2021– B 12 R 15/19 R –, juris).
Diese Abgrenzungsmaßstäbe gelten grundsätzlich sowohl für die Geschäftsführer einer GmbH (vgl. zuletzt BSG, Urteil vom 23.02.2021 – B 12 R 18/18 R –, juris Rdnr. 14 f; BSG, Urteil vom 08.07.2020 – B 12 R 2/19 R – juris) als auch für in einer GmbH angestellte Gesellschafter (BSG, Urteil vom 12.05.2020 – B 12 KR 30/19 R –, juris). Allerdings ist ein GmbH-Gesellschafter, der in der Gesellschaft angestellt und nicht zum Geschäftsführer bestellt ist, regelmäßig abhängig beschäftigt. Er besitzt allein aufgrund seiner gesetzlichen Gesellschafterrechte nicht die Rechts-macht, seine Weisungsgebundenheit als Angestellter der Gesellschaft aufzuheben. Das Weisungsrecht gegenüber den Angestellten der GmbH obliegt - sofern im Gesellschaftsvertrag nichts anderes vereinbart ist - nicht der Gesellschafterversammlung, sondern ist Teil der laufenden gewöhnlichen Geschäftsführung. Erst wenn Gesellschafter kraft ihrer gesellschaftsrechtlichen Position letztlich auch die Leitungsmacht gegenüber der Geschäftsführung haben, unterliegen sie nicht mehr deren Weisungsrecht (ständige Rspr.; vgl. BSG, Urteil vom 12.05.2020 – B 12 KR 30/19 R –, juris; vgl. zuletzt BSG, Urteil vom 29.06.2021 – B 12 R 8/19 R –, juris).
Ist ein GmbH-Geschäftsführer zugleich als Gesellschafter am Kapital der Gesellschaft beteiligt, sind der Umfang der Kapitalbeteiligung und das Ausmaß des sich daraus für ihn ergebenden Einflusses auf die Gesellschaft das wesentliche Merkmal bei der Abgrenzung von abhängiger Beschäftigung und selbstständiger Tätigkeit (zu den ähnlichen Kriterien des unionsrechtlichen Arbeitnehmerbegriffs EuGH Urteil vom 11.11.2020 – C-232/09 – Slg 2010, I-11405 Danosa – juris; EuGH, Urteil vom 09.07.2015 – C-229/14 – NJW 2015, 2481 Balkaya – juris; EuGH Urteil vom 10.09.2015 – C-47/14 – ABl EU 2015, Nr. C 363, 8 (Leitsatz) Holterman Ferho Exploitatie – juris; BGH, Urteil vom 26.03.2019 – II ZR 244/17 – BGHZ 221, 325 Rdnr. 20 ff). Ein Gesellschafter-Geschäftsführer ist nicht per se kraft seiner Kapitalbeteiligung selbstständig tätig, sondern muss, um nicht als abhängig Beschäftigter angesehen zu werden, über seine Gesellschafterstellung hinaus die Rechtsmacht besitzen, durch Einflussnahme auf die Gesellschafterversammlung die Geschicke der Gesellschaft bestimmen zu können. Eine solche Rechtsmacht ist bei einem Gesellschafter gegeben, der zumindest 50 v.H. der Anteile am Stammkapital hält oder bei einer geringeren Kapitalbeteiligung nach dem Gesellschaftsvertrag über eine umfassende ("echte" oder "qualifizierte"), die gesamte Unternehmenstätigkeit erfassende Sperrminorität verfügt. Ein selbstständig tätiger Gesellschafter-Geschäftsführer muss in der Lage sein, einen maßgeblichen Einfluss auf alle Gesellschafterbeschlüsse auszuüben und dadurch die Ausrichtung der Geschäftstätigkeit des Unternehmens umfassend mitbestimmen zu können. Ohne diese Mitbestimmungsmöglichkeit ist der Minderheitsgesellschafter-Geschäftsführer nicht im "eigenen" Unternehmen tätig, sondern in weisungsgebundener, funktionsgerecht dienender Weise in die GmbH als seine Arbeitgeberin eingegliedert (st.Rspr. BSG; vgl. zuletzt BSG, Urteil vom 13.03.2023 – B 12 R 4/21 R –, juris Rdnr. 14 ff. m.w.N.).
Ausgehend von diesen Maßstäben stellt der Senat fest, dass im streitgegenständlichen Zeitraum eine abhängige Beschäftigung und damit Versicherungspflicht in sämtlichen Zweigen der Sozialversicherung vorlag. Der Anstellungsvertrag (AV) des Beigeladenen vom 01.05.2010 ist durch typische Merkmale eines Beschäftigungsverhältnisses geprägt. Der Beigeladene erhält nach § 2 AV eine monatliche Vergütung in Höhe von 1.950,00 Euro sowie nach § 4 AV die Weiterzahlung der Vergütung im Krankheitsfall für die Dauer von drei Monaten. Auch sind Leistungen der betrieblichen Altersvorsorge nach § 5 AV durch den Abschluss einer Lebensversicherung sowie ein jährlicher bezahlter Urlaubanspruch von 30 Arbeitstagen nach § 11 AV vereinbart worden. Der Beigeladene hatte nach § 9 AV seine volle Arbeitskraft der Gesellschaft zur Verfügung zu stellen und unterlag nach § 1 AV den Weisungen der Gesellschafterversammlung. Durch die Beteiligung am Gewinn durch Einräumung einer Gewinntantieme nach § 2 Abs. 2 AV hatte der Beigeladene zwar ein Eigeninteresse am wirtschaftlichen Erfolg der Klägerin. Er setzte aber angesichts des festen Monatsgehalts seine Arbeitskraft nicht mit der Gefahr des Verlusts ein. Der Beigeladene trug daher auch kein nennenswertes Unternehmerrisiko. Die Freiheiten bei der Ausübung seiner Tätigkeit ändern nichts daran, dass der Beigeladene in funktionsgerecht dienender Teilhabe am Arbeitsprozess in die GmbH eingegliedert war. Denn er verfügte mangels ausreichender Sperrminorität aufgrund seiner Beteiligung an der Klägerin von 40 v.H. nicht über eine ausreichende Rechtsmacht in der Gesellschaft.
Die Rechtsmacht innerhalb der Gesellschaft muss grundsätzlich gesellschaftsrechtlich eingeräumt sein. Allerdings wird die gesellschaftsrechtliche Bewertung nach ständiger Senatsrechtsprechung dadurch sozialversicherungsrechtlich überlagert, dass das Erfordernis der Vorhersehbarkeit und Klarheit sozialversicherungs- und beitragsrechtlich relevanter Sachverhalte zu beachten ist. Danach sind nur solche Rechtspositionen einzubeziehen, die die Beklagte bereits zum Beginn des zu beurteilenden Zeitraums klar hätte erkennen können. Im Interesse sowohl der Versicherten als auch der Versicherungsträger muss die Frage der Zuordnung als selbstständige Tätigkeit oder abhängige Beschäftigung grundsätzlich schon bei Aufnahme der Tätigkeit zu klären sein, weil es darauf nicht nur für die Entrichtung der Beiträge, sondern auch für die Leistungspflichten der Sozialversicherungsträger und die Leistungsansprüche des Betroffenen ankommt (vgl. u.a. BSG Urteil vom 10.12.2019 – B 12 KR 9/18 R – BSGE 129, 254 = SozR 4-2400 § 7 Nr. 46, Rdnr. 19). Das Postulat der Vorhersehbarkeit prägt das Recht der Pflichtversicherung in der Sozialversicherung und unterscheidet es ggf. auch von Wertungen des - an anderen praktischen Bedürfnissen ausgerichteten - Gesellschaftsrechts (vgl. BSG, Urteil vom 08.07.2020 – B 12 R 1/19 R – SozR 4-2400 § 7 Nr. 48 Rdnr. 28 zur Auslegung eines mehrdeutigen Gesellschafterbeschlusses; BSG, Urteil vom 05.03.2014 – B 12 KR 1/12 R – SozR 4-2600 § 229 Nr. 2 zur Auslegung des § 1 Satz 4 SGB VI). Die Klarheit beitragsrechtlicher Sachverhalte für alle Betroffenen erfordert, dass typisierte Abgrenzungsmerkmale möglichst einfach festzustellen und ohne Weiteres überprüfbar sein müssen (vgl. BSG Urteil vom 05.03.2014 – B 12 KR 1/12 R – SozR 4-2600 § 229 Nr. 2 Rdnr. 22). Dies dient der Rechtssicherheit; zugleich wird dadurch der Aufwand für die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens von Versicherungspflicht auf ein vertretbares Maß begrenzt.
In Anwendung dieser Maßstäbe hatte der Beigeladene keine Gesellschafterposition im Umfang einer Beteiligung von 50 v.H. im streitgegenständlichen Zeitraum inne. Dies stellt der Senat aufgrund der Gesellschafterliste vom 21.04.2010 fest. Erst ab dem 10.02.2020 hat der Beigeladene einen Gesellschaftsanteil von 50 v.H. erhalten und war ab diesem Zeitpunkt unstreitig nicht mehr abhängig beschäftigt. Der Senat stellt auch fest, dass der Beigeladene weder über eine gesellschaftsrechtlich verankerte Sperrminorität noch über ein Vetorecht im Zeitraum vom 01.01.2017 bis zum 09.02.2020 verfügt hat. Der Gesellschaftsvertrag (GV) enthält insoweit keine entsprechenden Regelungen, sondern sieht bezüglich der Beschlussfassung in § 9 Abs. 1 Satz 2 GV eine einfache Stimmmehrheit vor.
Entgegen dem Vorbringen der Klägerin kann diese sich auch nicht auf Vertrauensschutz infolge der beanstandungsfrei verlaufenen Betriebsprüfung vom 23./24.02.2017 berufen.
Eine Vertrauensschutz bewirkende materielle Bindungswirkung aufgrund einer Betriebsprüfung kann sich nach ständiger Rechtsprechung des BSG (vgl. zuletzt BSG, Urteil vom 13.03.2023 – B 12 R 6/21 R –, juris Rdnr. 28 m.w.N.) nur insoweit ergeben, als Versicherungs- und Beitragspflicht sowie -höhe personenbezogen für bestimmte Zeiträume durch gesonderten Verwaltungsakt festgestellt worden sind (BSG, Urteil vom 19.09.2019 – B 12 R 25/18 R –, juris Rdnr. 30 ff. m.w.N.; BSG, Urteil vom 18.10.2022 – B 12 R 7/20 R –, juris Rdnr. 13). Das Schreiben vom 28.02.2017 über die Betriebsprüfung vom 23./24.02.2017 enthält insofern keine Feststellung zur Tätigkeit des Beigeladenen. Ein Vertrauensschutz vermittelnder Tatbestand liegt somit nicht vor. Vertrauensschutz folgt auch nicht aus der Tatsache, dass die Prüfmitteilung vom 28.02.2017 nach der Rechtsprechung des BSG infolge der fehlenden personenbezogenen Feststellung keinen Verwaltungsakt darstellt (vgl. BSG, Urteil vom 19.09.2019 – B 12 R 25/18 R –, juris Rdnr. 32). Aus dem formal noch möglichen Anspruch auf Bescheidung infolge der Nichteinhaltung der Anforderungen des § 28p Abs. 1 Satz 5 SGB IV i.V.m. § 7 Abs. 4 Satz 1 und 2 BVV kann jedoch nach der Rechtsprechung des BSG kein Bestands- und Vertrauensschutz für die Vergangenheit begründet werden, weil es an einem die Beanstandungsfreiheit regelnden Verwaltungsakt gerade fehlt. Auch ist der Rentenversicherungsträger aufgrund des Rechtsstaatsprinzips nicht verpflichtet, für vergangene Zeiträume zwischenzeitlich als rechtswidrig erkannte Feststellungen in dem zu erlassenden Verwaltungsakt zu treffen (vgl. BSG, a.a.O. Rdnr. 36).
Das Urteil des BSG vom 07.04.2022 (BSG, Urteil vom 07.04.2022 – B 5 R 24/21 R –, juris Rdnr. 11 ff.) führt ebenfalls nicht zur Anwendung von Vertrauensschutz im vorliegenden Fall, da es sich bei dem in diesem Urteil entschiedenen Fall der Verwaltungsaktqualität einer Abrechnungsmitteilung über eine Rentennachzahlung aus der gesetzlichen Rentenversicherung um einen nicht vergleichbaren Sachverhalt handelt. Die im Urteil des BSG vom 07.04.2022 streitige Abrechnungsmitteilung enthält im Unterschied zur vorliegenden Fallkonstellation eine konkrete sachbezogene Feststellung über die Festsetzung und Höhe einer Nachzahlung, wohingegen das vorliegende Schreiben vom 28.02.2017 gerade keinen konkreten Regelungsgehalt enthält, da eine personenbezogene Prüfung nicht erfolgte. Insofern ist die Entscheidung des 5. Senats zu einem völlig anderen Sachverhalt ergangen und steht daher auch nicht zu den einschlägigen Entscheidungen des für Beitragsstreitigkeiten zuständigen 12. Senat des BSG (vgl. Urteil vom 13.03.2023 – B 12 R 6/21 R –; Urteil vom 19.09.2019 – B 12 R 25/18 R –; Urteil vom 18.10.2022 – B 12 R 7/20 R – alle juris) im Widerspruch. Aus dem Vorbringen der Klägerin im Berufungsverfahren folgt somit keine anderweitige Bewertung des Sachverhalts
Im Rahmen der gebotenen Gesamtabwägung überwiegen im Ergebnis in Anbetracht der fehlenden gesellschaftlichen Rechtsmacht und des fehlenden Unternehmerrisikos die Indizien, die für eine abhängige Beschäftigung des Beigeladenen im streitgegenständlichen Zeitraum vom 01.01.2017 bis zum 09.02.2020 sprechen. Der Beigeladene war daher als Geschäftsführer-Gesellschafter der Klägerin im streitgegenständlichen Zeitraum vom 01.01.2017 bis zum 09.02.2020 bei dieser abhängig beschäftigt und unterlag der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Renten- und Krankenversicherung, der sozialen Pflegeversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung.
Die Höhe der nachgeforderten Gesamtsozialversicherungsbeiträge einschließlich der Umlagen begegnet keinen Bedenken des Senats. Einwände hiergegen hat die Klägerin nicht geltend gemacht.
Die Berufung der Klägerin war damit in vollem Umfang zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG in Verbindung mit § 154 Abs. 1 VwGO. Der Beigeladene hat im Berufungsverfahren keinen Antrag gestellt; es entspricht daher der Billigkeit, seine Kosten nicht der Klägerin aufzulegen.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird endgültig auf 29.176,82 € festgesetzt. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 63, Abs. 2 und 3, 52 Abs. 1 und 23, 47 Abs. 1 GKG.
Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Betriebsprüfungen
Abteilung
8.
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 11 BA 3082/22
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 BA 1510/23
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Rechtskraft
Aus
Saved