S 32 KR 1498/20

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Detmold (NRW)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
32
1. Instanz
SG Detmold (NRW)
Aktenzeichen
S 32 KR 1498/20
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Der Bescheid der Beklagten vom 23.04.2020 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 05.05.2020 in Gestalt des Widerspruchbescheides vom 28.05.2020 und die Bescheide der Beklagten vom 08.02.2021 und vom 19.02.2021 in der Fassung des Abhilfebescheides vom 12.03.2021 werden aufgehoben.

Die Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte zu Recht bei der Bemessung der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung des Klägers auch die Aufwandsentschädigungen für die Tätigkeiten des Klägers als Fraktionsvorsitzender im Rat der Gemeinde M. zugrunde legen durfte.

Der Kläger ist seit dem 00.00.0000 bei der Beklagten gegen Krankheit versichert und bei der Beigeladenen pflegeversichert. Seit dem 00.00.0000 erhält der Kläger eine gesetzliche Rente der Deutschen Rentenversicherung, sowie einen Versorgungsbezug von der Kirchlichen Zusatzversorgungskrankenkasse. Bis zum 00.00.0000 war der Kläger als Arbeitnehmer krankenversichert, seit dem 00.00.0000 ist er als Rentner in der Krankenversicherung der Rentner bei der Beklagten versichert.

Der Kläger ist Fraktionsvorsitzender im Rat der Gemeinde M.. Für diese Tätigkeit erhielt der Kläger in dem Jahr 2016 Zahlungen in Höhe von insgesamt 7.628,40 Euro, im Jahr 2017 in Höhe von insgesamt 7.736,40 Euro, im Jahr 2018 in Höhe von insgesamt 7.887,60 Euro und im Jahr 2019 in Höhe von insgesamt 7.887,60 Euro als „allgemeine Aufwandspauschale“.

Ausweislich des Einkommensteuerbescheids des Klägers vom 28.06.2020 für das Jahr 2016 setzte das zuständige Finanzamt Einkünfte des Klägers aus selbstständiger Tätigkeit in Höhe von 5.132,00 Euro im Veranlagungszeitraum fest. Ausweislich des Bescheides für das Jahr 2017 vom 02.08.2019 setzte es Einkünfte in Höhe von 5.240,00 Euro und ausweislich des Bescheides für das Jahr 2018 vom 25.09.2019 in Höhe von 5.391,00 Euro fest. Die festgesetzten Beträge entsprachen dabei der im jeweiligen Jahr erhaltenen allgemeinen Aufwandsentschädigung abzüglich einer steuerfreien Pauschale.

Mit Bescheid vom 23.04.2020 setzte die Beklagte die Beiträge des Klägers unter Berücksichtigung des in den jeweiligen Einkommenssteuerbescheiden der Jahre 2016, 2017 und 2018 ausgewiesenen Arbeitseinkommens wie folgt fest:

Zeitraum

Beitrag Kranken-

versicherung

Beitrag Pflege-

versicherung

Zusatzbeitrag

Beiträge

insgesamt

00.00.0000-31.12.2016

62,44 Euro

10,05 Euro

4,70 Euro

77,19 Euro

01.01.2017- 31.12.2017

63,76 Euro

11,14 Euro

4,80 Euro

79,70 Euro

00.00.0000-00.00.0000

65,60 Euro

11,46 Euro

4,94 Euro

82,00 Euro

ab 00.00.0000

65,60 Euro

13,70 Euro

4,94 Euro

84,24 Euro

Die Festsetzung für die Zeit ab dem 00.00.0000 erfolgte dabei vorbehaltlich der abschließenden Überprüfung mit dem Einkommenssteuerbescheid. Zur Begründung führte die Beklagte aus, die Tätigkeit des Klägers als Fraktionsvorsitzender im Rat der Gemeinde M. sei als Einnahme aus sonstiger selbstständiger Arbeit einkommenssteuerpflichtig und unterfalle somit als Arbeitseinkommen der Beitragsbemessung.

Dagegen legte der Kläger am 27.04.2020 Widerspruch ein. Er machte geltend, es handle sich bei seiner der Tätigkeit als Fraktionsvorsitzender um eine ehrenamtliche Tätigkeit. Die Aufwandsentschädigung stelle kein bei der Beitragsbemessung zu berücksichtigendes Arbeitseinkommen dar.

Mit Bescheid vom 05.05.2020 korrigierte die Beklagte die Beitragsbemessung für den Zeitraum vom 00.00.0000 bis zum 00.00.0000 sowie ab dem 00.00.0000 und setzte die Beiträge des Klägers zur Krankenversicherung auf 65,59 Euro, für die Pflegeversicherung auf 11,46 Euro und für den Zusatzbeitrag auf 4,94 Euro fest.

Den Widerspruch des Klägers wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 28.05.2020 als unbegründet zurück. Die Einkünfte als Ratsmitglied gälten steuerrechtlich als Einkünfte aus selbstständiger Arbeit und unterlägen der Einkommenssteuer. Die Beklagte setze die beitragspflichtigen Einnahmen aus Arbeitseinkommen auf Grundlage des jeweiligen Einkommenssteuerbescheides fest. Die Beitragsbemessung sei daher nicht zu beanstanden.

Dagegen hat der Kläger am 09.06.2020 Klage erhoben.

Am 00.00.0000 hat der Kläger der Beklagten eine Bescheinigung über die Einkünfte aus ehrenamtlicher Tätigkeit für das Jahr 2020 übersandt, wonach er Zahlungen in Höhe von insgesamt 8.263,90 Euro als allgemeine Aufwandsentschädigung erhalten hatte. Mit Bescheid vom 08.02.2021 hat die Beklagte die Beiträge des Klägers zur Kranken- und Pflegeversicherung für die Zeit ab dem 00.00.0000 unter Berücksichtigung der Einkünfte aus ehrenamtlicher Tätigkeit vorläufig in Höhe von insgesamt 90,13 Euro neu festgesetzt.

Am 00.00.0000 hat der Kläger der Beklagten mitgeteilt, dass er seit November 2020 eine Aufwandsentschädigung von monatlich 914,00 Euro erhalten habe. Daraufhin hat die Beklagte mit Bescheid vom 19.02.2021 die Beitragsbemessung des Klägers ab dem 00.00.0000 korrigiert und die Beiträge des Klägers zur Kranken- und Pflegeversicherung für die Zeit ab dem 00.00.0000 unter Berücksichtigung von monatlichen Einkünften in Höhe von 914,00 Euro auf insgesamt 171,37 Euro vorläufig neu festgesetzt. Mit Bescheid vom 12.03.2021 hat die Beklagte den Bescheid vom 19.02.2021 ersetzt und die Beiträge des Klägers ab dem 00.00.0000 unter Berücksichtigung des jährlichen Steuerfreibetrages in Höhe von 2.496,00 Euro für das Jahr 2020 und einem daraus errechneten Einkommen des Klägers in Höhe von monatlich 706,00 Euro vorläufig neu festgesetzt. Die Beiträge zur Krankenversicherung hat sie auf 103,88 Euro, die zur Pflegeversicherung auf 21,53 Euro und den Zusatzbeitrag auf 7,77 Euro vorläufig festgesetzt.

Der Kläger macht zur Begründung seiner Klage geltend, die Aufwandsentschädigung für sein Ehrenamt als Fraktionsvorsitzender sei nicht gleichzustellen mit Arbeitseinkommen, welches bei der Beitragsbemessung zu berücksichtigen sei. Die von der Beklagten vorgenommene Verbeitragung stehe dem gesetzgeberischen Willen zur Förderung des Engagements auf kommunaler Ebene entgegen.

Der Kläger beantragt schriftsätzlich wörtlich,

              den Bescheid der Beklagten vom 23.04.2020 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 05.05.2020 in Gestalt des Widerspruchbescheides vom 28.05.2020 aufzuheben, soweit für die Zeit ab dem 00.00.0000 die Beiträge des Klägers zu gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung und die Zusatzbeiträge auch anhand der Aufwandsentschädigung des Klägers für seine ehrenamtliche Tätigkeit als Fraktionsvorsitzender im Rat der Gemeinde M. bemessen werden.

Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,

                            die Klage abzuweisen.

Sie verweist zur Begründung auf ihre Ausführungen im Widerspruchsverfahren und hält an ihrer Rechtsauffassung fest.

Die Beigeladene stellte keinen Antrag.

Die Beteiligten haben sich mit einem Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte der Beklagten, welche Gegenstand der Entscheidung waren, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Kammer konnte vorliegend durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten ihr Einverständnis mit dieser Verfahrensweise erklärt haben, § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Gegenstand des Verfahrens ist zunächst der Bescheid der Beklagten vom 23.04.2020 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 05.05.2020 in Gestalt des Widerspruchbescheides vom 28.05.2020, in dem die Beklagte die Beiträge des Klägers zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung ab dem 00.00.0000 bis zum 00.00.0000 endgültig und ab dem 00.00.0000 vorläufig festsetzte.

Die Bescheide der Beklagten vom 08.02.2021 und vom 19.02.2021 in der Fassung des Abhilfebescheides vom 12.03.2021 sind nach § 96 SGG Gegenstand des Klageverfahrens geworden, da sie die mit der Klage angegriffene Entscheidung änderten. Die Beiträge wurden für die Zeit ab dem 00.00.0000 vorläufig neu festgesetzt und ersetzten insoweit die zuvor ergangenen streitgegenständlichen Bescheide (vgl. Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 3. September 2020 – B 14 AS 55/19 R –, Rn. 9 ff. juris).

Der Klageantrag des Klägers war unter Berücksichtigung des Meistbegünstigungsprinzips (vgl. BSG Urteil vom 06.04.2011 -B 4 AS 119/10 R-, juris) nach § 123 SGG dahingehend auszulegen, dass die Bescheide vom 08.02.2021 und vom 19.02.2021 in der Fassung des Abhilfebescheides vom 12.03.2021 ebenfalls aufzuheben sind. Denn auch in diesen Bescheiden wird der Beitragsbemessung des Klägers die erhaltene Aufwandsentschädigung zugrunde gelegt. Der Klageantrag war auch insoweit auszulegen, als die Bescheide vollständig und nicht nur teilweise aufzuheben sind. Denn die Beklagte legt in den streitgegenständlichen Bescheiden allein die Einkünfte des Klägers aus seiner ehrenamtlichen Tätigkeit bei der Beitragsbemessung zugrunde. Die Verbeitragung anderer Einkünfte erfolgte nicht. Die Bescheide sind bei einer erfolgreichen Klage insgesamt rechtswidrig und aufzuheben und nicht nur teilweise.

Die Klage ist zulässig und begründet.

Die Klage ist als Anfechtungsklage gemäß § 54 Abs. 1 Satz 1 Al. 1 SGG statthaft. Der Kläger begehrt mit seiner Klage die Nichtberücksichtigung der erhaltenen Aufwandsentschädigung für seine Tätigkeit als Fraktionsvorsitzender im Rat der Gemeinde M. bei der Beitragsbemessung zur Kranken- und Pflegeversicherung. Mit der Anfechtungsklage können die Bescheide aufgehoben und die Beitragsfestsetzung dahingehend beseitigt werden. Das Klageziel kann der Kläger dadurch vollständig erreichen.

Die Klage ist begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 23.04.2020 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 05.05.2020 in Gestalt des Widerspruchbescheides vom 28.05.2020 und die Bescheide der Beklagten vom 08.02.2021und vom 19.02.2021 in der Fassung des Abhilfebescheides vom 12.03.2021 sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten im Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG. Die Beklagte hat zu Unrecht Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung des Klägers ab dem 00.00.0000 unter Berücksichtigung der Aufwandsentschädigungen aus der ehrenamtlichen Tätigkeit des Klägers nach § 237 Abs. 1 Nr. 3 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) bzw. 226 Abs. 1 Nr. 4 SGB V berechnet. Bei diesen Einnahmen handelt es sich nicht um Arbeitseinkommen im Sinne des § 15 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV) und damit nicht um beitragspflichtige Einnahmen.

Die Beklagte muss grundsätzlich das Arbeitseinkommen des Klägers bei der Beitragsbemessung zugrunde legen. Für die Zeit vom 00.00.0000 bis zum 00.00.0000 war der Beitragsbemessung des Klägers als versicherungspflichtiger Beschäftigter nach § 226 Abs. 1 Nr. 4 SGB V das Arbeitseinkommen, soweit es neben einer Rente der gesetzlichen Rentenversicherung oder Versorgungsbezügen erzielt wird, zu berücksichtigen. Der Kläger war in diesem Zeitraum als Arbeitnehmer bei der Beklagten nach § 5 Nr. 1 SGB V pflichtversichert. Seit dem 00.00.0000 ist der Kläger in der Krankenversicherung der Rentner bei der Beklagten nach § 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V versichert. Gemäß § 237 Abs. 1 Nr. 3 SGB V wird der Beitragsbemessung versicherungspflichtiger Rentner auch das Arbeitseinkommen zugrunde gelegt.

Was unter dem Begriff des Arbeitseinkommens zu verstehen ist, normiert § 15 SGB IV. Arbeitseinkommen nach § 15 SGB IV ist der nach den allgemeinen Gewinnermittlungsvorschriften des Einkommensteuerrechts ermittelte Gewinn aus einer selbständigen Tätigkeit. Damit entspricht das Arbeitseinkommen dem Betrag, der im Einkommensteuerbescheid als Summe der Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft, Gewerbebetrieb oder selbstständiger Arbeit (§ 2 Abs. 1 S. 1 Nr. 1–3 Einkommenssteuergesetz [EStG] ) nach Abzug der Betriebsausgaben, aber vor Abzug der Sonderausgaben und Freibeträge, festgestellt ist (BSG SozR 2200 § 1248 Nr. 19, BeckOK SozR/Wagner, 63. Ed. 1.12.2021, SGB IV § 15 Rn. 3a-4).

Die Vorschrift schließt es aus, dass - soweit eine eigene selbständige Tätigkeit ausgeübt wird - der Gewinn hieraus für die Zwecke der Sozialversicherung anders ermittelt wird als im Einkommensteuerrecht; Einkommen ist vielmehr immer dann auch in der Sozialversicherung als (Arbeits-)Einkommen zu werten, wenn es "als solches nach dem Einkommensteuerrecht zu bewerten ist" , § 15 Abs. 1 Satz 2 SGB IV. Da es auf den nach den "allgemeinen Gewinnermittlungsvorschriften des Einkommensteuerrechts ermittelten Gewinn" (vgl. Wortlaut des § 15 Abs. 1 Satz 1 SGB IV) im Einkommensteuerrecht (nur) bei den Einkünften aus Land- und Forstwirtschaft, Gewerbebetrieb und selbständiger Arbeit ankommt (vgl. § 2 Abs. 2 Nr. 1 EStG) folgt hieraus: Ist jemand selbständig tätig und erzielt er aus dieser selbständigen Tätigkeit einen steuerlichen Gewinn aus Land- und Forstwirtschaft, Gewerbebetrieb oder selbständiger Arbeit im Sinne von § 2 Abs. 2 EStG liegt in Höhe des steuerlichen Gewinns auch Arbeitseinkommen im Sinne von § 15 Abs. 1 Satz 1 SGB IV vor (BSG, Urteil vom 27. Januar 1999 – B 4 RA 17/98 R –, SozR 3-2400 § 15 Nr. 6, SozR 3-2600 § 97 Nr. 1, Rn. 20).

Hingegen kann § 15 SGB IV nicht entnommen werden, dass die steuerrechtliche Qualifizierung bestimmter Einkünfte als eine der sieben Einkunftsarten des § 2 EStG (Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft, aus Gewerbebetrieb, aus selbständiger Arbeit, aus nichtselbständiger Arbeit, aus Kapitalvermögen, aus Vermietung und Verpachtung und sonstige Einkünfte im Sinne des § 22 EStG) auch darüber entscheidet, ob im Sinne von § 15 SGB IV von einer selbständigen Tätigkeit und damit hieraus resultierender Einkünfte als Arbeitseinkommen auszugehen ist. Dies ergibt sich schon daraus, dass das Einkommensteuerrecht den Begriff des "Arbeitseinkommens" nicht kennt. § 15 SGB IV liefe leer, wenn er im strengen Wortsinn darauf abstellte, dass Einkommen immer, aber auch nur dann als Arbeitseinkommen zu werten ist, wenn "es als solches" nach dem Einkommensteuerrecht zu bewerten ist. Dies ist nie der Fall: Einkommen wird im Einkommensteuerrecht nicht als "Arbeitseinkommen" bewertet, sondern allenfalls einer der o.g. Einkunftsarten zugerechnet. (BSG, Urteil vom 27. Januar 1999 – B 4 RA 17/98 R –, SozR 3-2400 § 15 Nr. 6, SozR 3-2600 § 97 Nr. 1, Rn. 21)

Entscheidend für die Berücksichtigung von Arbeitseinkommen bei der Beitragsbemessung des Klägers ist unter Zugrundelegung dieser Grundsätze, ob die Tätigkeit des Klägers als Fraktionsvorsitzender im Rat als selbstständige Tätigkeit zu werten ist. Dies ist nach Ansicht der Kammer nicht der Fall.

„Aus einer selbstständigen Tätigkeit“ im Sinne des § 15 SGB IV bildet den Gegenbegriff zur „Beschäftigung“ im Sinne des § 7 SGB IV und 14 SGB IV, die die Tätigkeit der abhängig Beschäftigten (Arbeitnehmer) betrifft. Einkünfte aus selbstständiger Tätigkeit sind in der Regel dann anzunehmen, wenn der Erwerbstätige mit Gewinnerzielungsabsicht nachhaltig auf eigene Rechnung und Gefahr am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr teilnimmt. Als Einkünfte aus einer selbstständigen Tätigkeit i.S.d. § 15 SGB IV gehören die charakteristisch mit einer persönlichen Arbeitsleistung verbundenen selbstständigen Tätigkeiten, die in § 18 Abs. 1 Nr. 1-4 EStG ausdrücklich genannt sind, oder solche, die diesen Tätigkeiten ähnlich sind. Erfasst werden hiervon insbesondere die selbstständig tätigen Angehörigen der freien Berufe, sowie Selbstständige mit wissenschaftlichen, künstlerischen, schriftstellerischen, unterrichtenden oder erziehenden Tätigkeiten, § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 und 2 EStG (Fischer in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB IV, 4. Aufl., § 15 SGB IV (Stand: 01.08.2021), Rn. 36). Die selbstständige Tätigkeit ist geprägt durch das eigene Unternehmerrisiko (wirtschaftliche Verantwortung und Verfügungsgewalt über die Betriebseinrichtungen und Betriebsmittel), die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit (persönliche Unabhängigkeit; BSG AP BGB § 611 Nr. 30; BeckOK SozR/Wagner, 63. Ed. 1.12.2021, SGB IV § 15 Rn. 3).

Gemessen an diesen Grundätzen ist die Tätigkeit des Klägers als Fraktionsvorsitzender im Rat der Gemeinde M. nicht als selbstständige Tätigkeit im Sinne des § 15 SGB IV zu werten. Bei den vom Kläger erzielten, streitbefangenen Einkünften handelt es sich um solche aus einer ehrenamtlichen Tätigkeit, die keine selbstständige versicherungspflichtige Tätigkeit darstellt und keine auf Erzielung von Gewinn im Sinne des Einkommensteuergesetzes (EStG) gerichtete selbstständige unternehmerische Tätigkeit ist (vergleiche zur Problematik: BSG Urteile vom 16. August 2017, B 12 KR 14/16 R und vom 27. April 1982,1 RJ 72/81).

Eine allgemeingültige gesetzliche Definition der ehrenamtlichen Tätigkeit, die in allen Lebensbereichen Anwendung finden könnte, kennt das deutsche Recht nicht. Die ehrenamtliche Tätigkeit ist insbesondere dadurch geprägt, dass sie ideelle Zwecke verfolgt und ohne Erwerbsabsicht unentgeltlich ausgeübt wird. Bei einem ehrenamtlichen Engagement wird typischerweise keine Gegenleistung erbracht und erwartet, sondern allenfalls eine Entschädigung gewährt, die Aufwände konkret oder pauschal abdeckt (vgl. BSG Urteil vom 16. August 2017, a.a.O., Kasseler Kommentar/Zieglmeier, Kommentar zum SGB IV, § 7 SGB IV, Rn. 247 ff.). Sofern finanzielle Zuwendungen erfolgen, schließen diese die Unentgeltlichkeit des ehrenamtlichen Engagements nicht prinzipiell aus (BSG, Urteil vom 16. August 2017, a.a.O.). Das ehrenamtliche Engagement ist objektiv abzugrenzen von der Erwerbsmäßigkeit. Dazu ist zu klären, was vom ehrenamtlich Tätigen im konkreten Fall normativ oder mangels rechtlicher Regelung nach allgemeiner Verkehrsanschauung - von Aufwandsentschädigung und Aufwendungsersatz abgesehen - ohne Entlohnung seiner Arbeitskraft erwartet werden kann. Die Verrichtung von Tätigkeiten zur Verfolgung eines ideellen Zwecks ohne Erwerbsabsicht muss objektiv erkennbar vorliegen (BSG, Urteil vom 16. August 2017, a.a.O.).

Für die Tätigkeit als Fraktionsvorsitzender erhält der Kläger eine pauschale Aufwandsentschädigung nach § 45 Gemeindeordnung Nordrhein-Westfalen (GO NRW) in Verbindung mit der Verordnung über die Entschädigung der Mitglieder kommunaler Vertretungen und Ausschüsse (Entschädigungsverordnung - EntschVO). Nach Auffassung der Kammer übt der Kläger seine Tätigkeit nach der Verkehrsanschauung nicht mit Gewinnerzielungsabsicht aus, sondern verfolgt vielmehr ideelle Zwecke. Das Mandat wird nicht in der Erwartung einer (finanziellen) Gegenleistung ausgeübt. Der Sinn und Zweck der Regelungen zur Aufwandsentschädigung bekräftigen dies. Denn die Aufwandsentschädigung dient gerade nicht der Sicherung des Lebensunterhaltes, sondern der (pauschalen) Abgeltung des entstandenen Aufwandes.

§ 45 GO NRW dient der Absicherung des passiven Wahlrechts indem er darauf abzielt, allen Bevölkerungsgruppen die Übernahme eines kommunalen Mandats zu ermöglichen (vgl. RCLK/Paal Rn. 2 m.w.N.). Niemand, der die Wählbarkeitsvoraussetzungen erfüllt und bereit ist, sich in dieser Weise auf kommunaler Ebene im Interesse des Gemeinwohls zu engagieren, soll hieran aus finanziellen Gründen gehindert sein. Die Aufwandsentschädigung dient gerade nicht der Alimentation, sie ist keine Leistung zur Sicherung des Lebensunterhalts, sondern verfolgt allein den Zweck, pauschal, also ohne Nachweise im Einzelfall, den gesamten Aufwand abzugelten, der mit der Mandatsausübung verbunden ist (VG Düsseldorf BeckRS 2019, 9160 Rn. 19; RCLK/Paal Rn. 33 ff.; vgl. auch BVerwGE 95, 208 (211 f.) = BeckRS 9998, 170373, BeckOK KommunalR NRW/Frenzen, 18. Ed. 1.12.2021, GO NRW § 45 Rn. 21). Dadurch soll sichergestellt sein, dass das ehrenamtliche Engagement nicht zu finanziellen Einbußen führt, die den finanziell weniger gut Gestellten unter Umständen davon abhielten, das Mandat zu übernehmen (BeckOK KommunalR NRW/Frenzen, 18. Ed. 1.12.2021, GO NRW § 45).

Auch die Höhe der geleisteten Aufwandsentschädigungen spricht nach Auffassung der Kammer nicht gegen das Vorliegen einer ehrenamtlichen Tätigkeit. Der Kläger erhielt  eine allgemeine Aufwandspausche in dem Jahr 2016 in Höhe von 7.628,40 Euro, im Jahr 2017 in Höhe von 7.736,40 Euro, im Jahr 2018 in Höhe von 7.887,60 Euro, im Jahr 2019 in Höhe von 7.887,60 Euro und  im Jahr 2020 in Höhe von 8.263,90 Euro. Diese Höhe gibt keinen Anlass zu der Annahme, dass eine Erwerbsabsicht der Ausübung der ehrenamtlichen Tätigkeit zugrunde liegt.

Die Höhe der geleisteten Aufwandsentschädigung ist in der EntschVO entsprechend normiert. Der Aufwand wird bereits von Gesetzeswegen pauschal und nicht konkret abgegolten. Allein das Abstellen auf die Höhe der erhaltenen Aufwandsentschädigung kann nicht ausschlaggebend für die Annahme einer ehrenamtlichen Tätigkeit sein. Andernfalls könnte dies im Einzelfall zu einem Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) führen. Denn je nach Gemeindegröße und konkreter Position im Rat fällt die Aufwandsentschädigung unterschiedlich hoch aus. Es wäre gesetzeswidrig, bei einer niedrigen Aufwandsentschädigung eine ehrenamtliche Tätigkeit zu bejahen und bei einer hohen Aufwandsentschädigung zu verneinen und Beiträge zu erheben, obwohl die gleiche Tätigkeit als kommunaler Vertreter vorliegt.

Die Aufwandsentschädigung durfte nach diesen Grundsätzen ebenfalls nicht bei der Beitragsbemessung zur Pflegeversicherung des Klägers berücksichtigt werden.

Die Beklagte war zunächst als Trägerin der Kranken- und Pflegeversicherung berechtigt, auch die Beiträge zur sozialen Pflegeversicherung festzusetzen. Nach § 46 Abs. 2 Satz 4 Sozialgesetzbuch Elftes Buch ( SGB XI) können Kranken- und Pflegekassen für Mitglieder, die ihre Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung und zur sozialen Pflegeversicherung selbst zu zahlen haben, die Höhe der Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung und zur sozialen Pflegeversicherung in einem gemeinsamen Beitragsbescheid festsetzen. Hierbei ist das Mitglied darauf hinzuweisen, dass der Bescheid über den Beitrag zur sozialen Pflegeversicherung im Namen der Pflegekasse ergeht, § 46 Abs. 2 Satz 5 SGB XI. Es kann zudem in den Fällen des § 46 Abs. 2 Satz 4 gemäß § 46 Abs. 2 Satz 6 SGB XI ein gemeinsamer Widerspruchsbescheid erlassen werden. Den erforderlichen Hinweis auf den gemeinsamen Bescheid hat die Beklagte in ihren Bescheiden gegeben.

Für die Bemessung der Beiträge in der sozialen Pflegeversicherung sind die §§ 226, 237 SGB V  für in der gesetzlichen Krankenversicherung Pflichtversicherte gemäß § 57 Abs. 1 Satz 1 SGB XI entsprechend anzuwenden.

Die Beitragsbemessung folgt daher den gleichen Regeln wie in der gesetzlichen Krankenversicherung. Gemessen an den obigen Ausführungen ist die Berücksichtigung der Aufwandsentschädigung bei der Beitragsbemessung in der gesetzlichen Krankenversicherung und damit auch in der sozialen Pflegeversicherung rechtswidrig.

Der von der Beklagten erhobene Zusatzbeitrag ist der Höhe nach ebenfalls rechtswidrig. Die Bemessung des Zusatzbeitrages richtet sich nach § 242 Abs. 1 Satz 1 SGB V. Nach dieser Vorschrift kann die Krankenkasse, soweit ihr Finanzbedarf nicht durch Zuweisungen aus dem Fond gedeckt ist, in ihrer Satzung bestimmen, dass von ihren Mitgliedern ein Zusatzbeitrag erhoben wird. Ausweislich § 9 der Satzung der Beklagten beträgt die Höhe des Zusatzbeitrages 1,1 % der beitragspflichtigen Einnahmen des Mitglieds. Nach dem Vorstehenden ist die Aufwandsentschädigung des Klägers als Fraktionsvorsitzender im Rat der Gemeinde M. nicht als Arbeitseinkommen bei den beitragspflichtigen Einnahmen zu berücksichtigen und daher auch nicht bei der Erhebung des Zusatzbeitrages.

Unter Berücksichtigung all dessen durften die Beklagten diese Aufwandsentschädigung des Klägers für die Tätigkeit als Fraktionsvorsitzender im Rat der Gemeinde M. nicht der Verbeitragung in der Kranken- und Pflegeversicherung zugrunde legen. Unter Berücksichtigung all dessen waren die angefochtenen Bescheide aufzuheben und der Klage stattzugeben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Rechtskraft
Aus
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