L 1 P 13/23 B

Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Pflegeversicherung
1. Instanz
SG Dessau-Roßlau (SAN)
Aktenzeichen
S 26 P 19/21
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
L 1 P 13/23 B
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze

Ein pflegewissenschaftliches Gutachten im Bereich des SGB XI kann gemäß § 9 Abs 2 JVEG nach der Honorargruppe M 2 vergütet werden.

Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Dessau-Roßlau vom 30. August 2023 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Streitig ist die Vergütung eines Sachverständigengutachtens in einem Rechtsstreit nach dem Elften Buch Sozialgesetzbuch - Soziale Pflegeversicherung (SGB XI). Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die Zugrundelegung der Honorargruppe M 2 der Anlage 1 zu § 9 Abs. 1 Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz (JVEG).

Die Antragstellerin und Beschwerdegegnerin ist examinierte Krankenschwester, hat eine Weiterbildung zur Pflegeberaterin durchlaufen und ist zertifizierte Sachverständige für Pflege und Pflegeberatung im Gesundheitswesen gemäß DIN EN ISO/IEC 17024.

Sie hatte im Auftrag des Sozialgerichts Dessau-Roßlau in dem Verfahren S 26 P 19/21 das Sachverständigengutachten vom 26. Februar 2023 erstattet. In der Beweisanordnung vom 3. Januar 2023 war sie u.a. nach den ärztlicherseits festgestellten körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheiten oder Behinderungen und deren Beginn gefragt worden (Beweisfrage 1). Ferner hatte sie die gesundheitlich bedingten Beeinträchtigungen der Selbstständigkeit oder der Fähigkeiten in den verschiedenen Modulen festzustellen (Beweisfrage 2). Grundlage für die diagnostizierten pflegebegründenden Diagnosen und festgestellten Funktionseinschränkungen (Beweisfrage 2.2.8) waren neben der Würdigung der Fremdbefunde (Beweisfrage 2.2.1) auch die Feststellungen anlässlich des Hausbesuchs (Beweisfrage 2.2.2 bis 2.2.7).

Mit ihrem Entschädigungsantrag vom 27. Februar 2023 machte die Beschwerdegegnerin eine Entschädigung i.H.v. insgesamt 2.055,26 € geltend und legte für 17 Stunden Zeitaufwand den Stundensatz nach der Honorargruppe M 2 (90 €) gemäß Anlage 1 zu § 9 Abs. 1 JVEG zugrunde.

Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle setzte am 6. April 2023 die Vergütung für das Gutachten auf 1.821,54 € fest und legte die Honorargruppe M 1 (80 €) zugrunde; ferner kürzte er die Schreibauslagen um 26,40 € netto.

Die Beschwerdegegnerin stellte einen Antrag auf richterliche Festsetzung und begehrte insbesondere die Vergütung nach der Honorargruppe M 2. Diese erhalte sie für gerichtliche Pflegegutachten in Be., B., M. und S. Sie verwies auf einen - geschwärzten - Beschluss eines Sozialgerichts vom 10. März 2023.

Dem Antrag trat der Beschwerdeführer am 23. Mai 2023 entgegen. Dem vorgelegten Beschluss könne nicht entnommen werden, warum die Honorargruppe M 2 zugeordnet worden sei. Es sei auch nicht erkennbar, dass die Voraussetzungen erfüllt seien (Hinweis auf den Beschluss des erkennenden Senats vom 10. April 2017, L 1 P 19/14).

Die Kammervorsitzende hat mit Beschluss vom 30. August 2023 die Entschädigung des Beschwerdeführers für das Sachverständigengutachten auf 2.023,84 € festgesetzt. Das Gutachten sei der Honorargruppe M 2 zuzuordnen.

Es handele sich zwar nicht um ein medizinisches oder ein psychologisches Gutachten, weshalb die Anlage 1 zu § 9 Abs. 1 JVEG nicht unmittelbar Anwendung finde. Die Zuordnung sei aber gemäß § 9 Abs. 2 S. 1 JVEG gerechtfertigt.

Der anderslautenden Rechtsprechung des erkennenden Senats sei nicht zu folgen. Dieser stelle ausschließlich auf einen standardisierten, einfachen Fragenkatalog zur Ermittlung der Pflegestufen ohne besondere Schwierigkeiten ab. Auch bei medizinischen Begutachtungen im Rentenrecht oder nach dem Schwerbehindertengesetz enthielten Beweisanordnungen oftmals standardisierte Fragenkataloge.

Abzustellen sei vielmehr auf den Gegenstand der Begutachtung. Erforderlich gewesen seien hier eine ganzheitliche Aufnahme des körperlichen und geistigen Zustands der Klägerin und eine Beurteilungsbewertung der Auswirkungen auf deren Selbstständigkeit. Dabei seien nicht nur die gesetzlichen Vorgaben des SGB XI, sondern auch die umfangreichen Vorgaben in Richtlinien der Spitzenverbände der Pflegekassen zu berücksichtigen gewesen. Ferner seien ärztliche Befundberichte auszuwerten und einzubeziehen gewesen.

Unerheblich sei, dass sich die Beschwerdegegnerin nur auf medizinische Befunde stützen, sich aber nicht zugleich auch mit diesen habe auseinandersetzen müssen. Medizinische Diagnosen ließen auch nicht per se auf die Selbstständigkeit von Fähigkeiten schließen. Insoweit unterscheide sich die pflegerechtliche Begutachtung nicht von einer medizinischen Auseinandersetzung mit anderen Befunden bzw. Diagnosen.

Daher sei das Gutachten nach der vorgegebenen Fragestellung, seinem Aufbau und Inhalt als eine beschreibende Ist-Zustandsbegutachtung nach standardisiertem Schema mit einfacher Verlaufsprognose und durchschnittlicher Ausarbeitung der Honorargruppe M 2 zuzuordnen.

Die Schreibgebühren seien hingegen nur i.H.v. 39,60 € netto zu entschädigen.

Gegen den ihr am 14. September 2023 zugestellten Beschluss hat der Beschwerdeführer am 9. Oktober 2023 Beschwerde eingelegt. Er meint, eine Einstufung in die Honorargruppe M 2 sei nicht gerechtfertigt.

Besondere Schwierigkeiten seien bei der Feststellung des Umfangs der Pflegebedürftigkeit nach einem einfachen standardisierten Fragenkatalog und den Modul-Vorgaben nicht zu erkennen.

Ein pflegewissenschaftliches Gutachten sei nicht einem typischen sozialgerichtlichen medizinischen Gutachten mit durchschnittlicher Schwierigkeit gleichzusetzen. Die Pflegesachverständige habe sich ursächlich auf bereits feststehende medizinische Befunde und Diagnosen gestützt. Ein medizinischer Gutachter müsse sich aber mit den von anderen Ärzten erhobenen Befunden auseinandersetzen, diese kritisch würdigen und ggf. andere Diagnosen stellen.

Zwar sei für die Beantwortung der Beweisfragen eines Pflegegutachtens medizinischer Sachverstand erforderlich. Dennoch handele es sich nicht um eine medizinische Begutachtung mit durchschnittlichem Schwierigkeitsgrad einschließlich der eigenverantwortlichen Diagnosestellung.

Die erfolgte Zuordnung in die Honorargruppe M 2 sei auch nicht wegen des Umfangs der zu überprüfenden Fähigkeiten gerechtfertigt. Denn dieser müsse sich im abgerechneten Stundenaufwand widerspiegeln.

Außerdem enthielten die mit Pflegesachverständigen abgeschlossenen Vergütungsvereinbarungen gemäß § 14 JVEG grundsätzlich eine niedrigere Pauschale als die Vereinbarungen mit Ärzten oder Psychiatern.

Der Beschwerdeführer beantragt,

den Beschluss des Sozialgerichts Dessau-Roßlau vom 30. August 2023 dahingehend abzuändern, dass der Sachverständigen für das von ihr erstellte Gutachten vom 26. Februar 2023 in dem Verfahren S 26 P 19/21 eine Entschädigung i.H.v. 1.821,54 € festgesetzt wird.

Die Beschwerdegegnerin hat an ihrer Auffassung festgehalten.

II.

1.a.

Die Beschwerde des Beschwerdeführers ist statthaft und auch gemäß § 4 Abs. 4 JVEG formgerecht beim Sozialgericht eingelegt worden. Entgegen der Rechtsmittelbelehrung des angefochtenen Beschlusses ist die Einhaltung einer Beschwerdefrist wegen des allein anzuwendenden JVEG nicht erforderlich (vgl. Toussaint, Kostenrecht, 51. Aufl., § 4 JVEG Rdnr. 46; Jahnke/Pflüge, JVEG, 28. Aufl. 2014, § Rdnr. 14).

b.

Der gemäß § 4 Abs. 3 JVEG erforderliche Wert des Beschwerdegegenstands von mehr als 200 € ist hier erreicht. Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen die vom Sozialgericht vorgenommene Honorierung des Gutachtens i.H.v. 2.023,84 € und hält einen Betrag von 1.821,54 € für angemessen; die Differenz beträgt 202,30 €.

c.

Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist allein die Frage der Vergütung des Zeitaufwands nach der Honorargruppe M 1 oder M 2. Dabei besteht zwischen den Beteiligten kein Streit über die von der Beschwerdegegnerin beantragte Entschädigung des Zeitaufwands von 17 Stunden.

Soweit das Sozialgericht die Kosten für die Schreibgebühren nach § 12 JVEG gekürzt hat, ist dies nicht Gegenstand des Beschwerdeverfahrens. Die Beschwerdegegnerin hat gegen den Beschluss des Sozialgerichts kein Rechtsmittel eingelegt.

d.

Zuständig für die Entscheidung über die Beschwerde ist der 1. Senat des Landessozialgerichts (LSG) Sachsen-Anhalt. Der Senatsvorsitzende und Berichterstatter hat gemäß § 7 Abs. 1 S. 2 JVEG das Verfahren dem Senat wegen grundsätzlicher Bedeutung übertragen.

2.

Die Beschwerde ist jedoch unbegründet. Das Sozialgericht hat den Zeitaufwand der Beschwerdegegnerin nach pflichtgemäßem Ermessen gemäß der Honorargruppe M 2 bestimmt. Insoweit hält der Senat an seiner bisherigen Rechtsprechung (Beschluss vom 10. April 2017, L 1 P 19/14) nicht mehr fest.

a.

Zu Recht hat das Sozialgericht darauf abgestellt, dass die Erstattung eines Gutachtens über den Umfang der Pflegebedürftigkeit im Bereich des SGB XI nicht unter § 9 Abs. 1 JVEG fällt. Denn nach Teil 2 der Anlage 1 zu § 9 Abs. 1 JVEG sind dort nur medizinische oder psychologische Gutachten erfasst. Hier hat die Beschwerdegegnerin „nur“ ein pflegewissenschaftliches Gutachten erstattet.

b.

Deshalb ist gemäß § 9 Abs. 2 S. 1 JVEG die Leistung unter Berücksichtigung der allgemein für Leistungen dieser Art außergerichtlich und außerbehördlich vereinbarten Stundensätze nach billigem Ermessen zu vergüten. Dabei darf der höchste Stundensatz nach der Anl. 1 nicht überschritten werden. Diesen Anforderungen genügt die angefochtene Entscheidung des Sozialgerichts.

a.a.

Entgegen der Auffassung des  Beschwerdeführers ist hier nicht zu berücksichtigen, dass eine gewisse Anzahl von Gutachter/innen, auch solche im Bereich des SGB XI (aktuell: 2), vertragliche Vereinbarungen mit dem LSG Sachsen-Anhalt über eine pauschale Honorierung ihres Zeitaufwands vereinbart haben. Die für solche vertraglichen Vereinbarungen vorgesehenen Kostenpauschalen sind im Bereich des SGB XI tatsächlich deutlich geringer als in den übrigen Rechtsgebieten.

Es handelt sich dabei aber nicht um „allgemein für Leistungen dieser Art außergerichtlich und außerbehördlich vereinbarte Stundensätze“ i.S.v. § 9 Abs. 2 S. 1 JVEG mit Bindungswirkung. Vielmehr sind es freiwillige Vereinbarungen dieser Sachverständigen mit dem LSG, die keine Bindungswirkung für andere Fälle außerhalb der Vertragsbeziehung selbst haben.

Außerdem wird der Abschluss eines Vertrags über ein Pauschalhonorar - regelmäßig auch - auf der Überlegung der Sachverständigen beruhen, im Gegenzug nur zur vereinfachten Rechnungslegung verpflichtet zu sein. Deshalb ließe sich auch kein sicherer Rückschluss aus der vorgesehenen Honorarhöhe für Pauschalverträge auf eine mindere Schwierigkeit der gutachterlichen Tätigkeit ziehen.

b.b.

Der Senat ist auch der Auffassung, dass ein pflegewissenschaftliches Gutachten einem typischen sozialgerichtlichen medizinischen Gutachten mit durchschnittlicher Schwierigkeit gemäß der Definition zu M 2 (beschreibende „(Ist-Zustands-) Begutachtung“ nach standardisiertem Schema ohne Erörterung spezieller Kausalzusammenhänge mit einfacher medizinischer Verlaufsprognose und mit durchschnittlichem Schwierigkeitsgrad), grundsätzlich gleichgesetzt werden kann. Die tabellarische Auflistung zur Honorargruppe M 2 ist nicht abschließend, wie sich aus dem Wort „insbesondere“ vor der Aufzählung ergibt.

Insoweit kann zumindest dem Grunde nach eine qualitative Vergleichbarkeit mit Gutachten in den Verfahren nach dem Neunten Buch Sozialgesetzbuch - Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen (SGB IX) gegeben sein. Diese Gutachten werden von der Honorargruppe M 2 ausdrücklich erfasst. Auch dort sind körperliche oder geistige Erkrankungen und Funktionseinschränkungen zu ermitteln und sodann nach einem vorgegebenen tabellarischen Schema (früher sog. „Gliedertaxe“) zu bewerten. Diese Aufgabe entspricht also im Wesentlichen den Anforderungen an ein pflegewissenschaftliches Gutachten.

Allerdings ist im Bereich der Pflegeversicherung noch zu berücksichtigen, dass auch die häusliche Versorgungs- und Wohnsituation sowie etwaige Pflegehilfsmittel oder technische Hilfen zu dokumentieren sind. Aus diesem Grund werden pflegewissenschaftliche Gutachten regelmäßig nach Hausbesuchen durchgeführt. Außer der Beschreibung des vorgefundenen geistigen und körperlichen Zustands wird also von dem Sachverständigen nach dem SGB XI - zusätzlich - eine genaue Ermittlung und Beschreibung der Wohnverhältnisse sowie der gesamten Versorgungsituation gefordert.

Kausalzusammenhänge sind weder bei Begutachtungen nach dem SGB IX noch nach dem SGB XI durchzuführen. Eine medizinische Verlaufsprognose wird in beiden Fällen regelmäßig nicht gefordert, denn anders als etwa bei Erwerbsminderungsrenten sind zeitlich befristete Feststellungen eines Grads der Behinderung oder des Vorliegens von Pflegegraden nicht üblich.

Die Umsetzung des vorgefundenen und dokumentierten Zustands in die Tabellenwerte nach dem SGB IX weist einen durchschnittlichen Schwierigkeitsgrad auf. Nichts anderes gilt für die Einordnung der Einschränkungen der Selbstständigkeit nach dem SGB XI anhand von 6 Modulen nach der ab dem 1. Januar 2017 geltenden Rechtslage.

Dabei sind, worauf das Sozialgericht zu Recht hinweist, auch verschiedenste Vorgaben der Verbände der Pflegekassen im Rahmen der Beurteilungsrichtlinien zu beachten. Seit der Einführung des neuen Pflegerechts zum 1. Januar 2017 haben sich die Anforderungen an die Ermittlung eines Pflegegrads deutlich erhöht. Neben den reinen Zustandsbeschreibungen sind innerhalb der verschiedenen Module auch Gewichtungen vorzunehmen und Summenwerte zu ermitteln.

Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers obliegt es den Gutachtern nach den Richtlinien des GKV-Spitzenverbands neben der Darstellung des gutachterlichen Befunds auch, selbst „pflegebegründende Diagnosen“ zu stellen. Die gutachterliche Aufgabe ist nicht etwa darauf beschränkt, frühere Diagnosen nur zu übernehmen und der Beantwortung der Beweisfragen zugrunde zu legen. Dies zeigt sich schon an der Beweisfrage Nr. 2 in der Beweisanordnung des Sozialgerichts, mit der von Beschwerdeführerin eine eigene Ermittlung der gesundheitlich bedingten Beeinträchtigungen der Selbstständigkeit oder der Fähigkeiten verlangt worden ist. Grundlage für die diagnostizierten pflegebegründenden Diagnosen und festgestellten Funktionseinschränkungen (2.2.8) waren dann auch die Feststellungen anlässlich des Hausbesuchs (2.2.2 bis 2.2.7).

Zwar haben sich Pflegesachverständige bei der Befunderhebung auf festgestellte medizinische Befunde und Diagnosen zu stützen (so Beweisfrage 1). Es obliegt ihnen aber gleichfalls, etwaige beim Hausbesuch vorgefundene Abweichungen zu dokumentieren, ggf. neue Berichte über stationäre Behandlungen oder Pflegebefundberichte auszuwerten und schließlich festgestellte Abweichungen bei den Diagnosen und Funktionseinschränkungen zu benennen. Wie bei einem Gutachten nach dem SGB IX erwartet das Sozialgericht, dass im pflegewissenschaftlichen Gutachten eine Auseinandersetzung mit den von Ärzten erhobenen Befunden stattfindet, diese kritisch gewürdigt werden und ggf. auch eine andere Diagnose gestellt wird. Das gleiche gilt für den Fall des Abweichens von den Feststellungen des Sozialmedizinischen Dienstes (Beweisfrage 7).

c.c.

Auch ein Vergleich mit weiteren in den Honorargruppen M 1 und M 2 aufgeführten Gutachten rechtfertigt nach Auffassung des Senats eine grundsätzliche Gleichstellung von pflegewissenschaftlichen Gutachten mit der Honorargruppe M 2.

Dazu gehören u.a. Gutachten zur Einrichtung oder Aufhebung einer Betreuung oder zur Anordnung oder Aufhebung eines Einwilligungsvorbehalts nach § 1903 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Dafür ist die Ermittlung des Ausmaßes von Störungen im Bereich der freien Willensbildung auf geistigem oder psychiatrischem Gebiet erforderlich.

In die Honorargruppe M 1 werden hingegen diejenigen Gutachten gefasst, die lediglich zur Frage der Verlängerung einer Betreuung oder zur Prüfung eines bereits angeordneten Einwilligungsvorbehalts eingeholt werden. Diese geringere Honorierung nach der M 1 lässt sich rechtfertigen, weil es insoweit nur um die reine Nachkontrolle einer bereits erfolgten und dokumentierten gutachterlichen Einschätzung geht. Die sich dem Sachverständigen dort stellende Frage ist in diesen Fällen nur, ob eine Verbesserung des bereits ermittelten Gesundheitszustands eingetreten ist oder nicht.

Mit solchen einfachen gutachtlichen Beurteilungen in der Honorargruppe M 1 lässt sich ein pflegewissenschaftliches Gutachten keinesfalls gleichsetzen. Denn es geht hier nicht um die bloße Überprüfung einer Abweichung zu einer bereits erfolgten Einstufung. Vielmehr wird in dem Gutachten eine Auseinandersetzung mit vorherigen Einschätzungen, etwa des Medizinischen Dienstes oder Sozialmedizinern verlangt. Denn regelmäßig geht es auch um streitige Zeiträume in der Vergangenheit (Beweisfrage 6). Dafür sind zudem die in den Verwaltungsvorgängen oder im Gerichtsverfahren beigezogenen medizinischen Befunde auszuwerten und zu würdigen.

d.d.

Im Rahmen der pflichtgemäßen Ermessensausübung bei der Zuordnung zu einer Honorargruppe hat der Senat nicht zuletzt auch berücksichtigt, dass die Beschwerdegegnerin glaubhaft eine Entschädigung ihrer gerichtlichen Pflegegutachten in Be., B., M. und S. nach der Honorargruppe M 2 mitgeteilt hat.

Tatsächlich scheint bundesweit der größere Teil der Gerichte regelmäßig die Honorargruppe M 2 für Pflegegutachten zur Anwendung zu bringen (in JURIS veröffentlicht: LSG für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 17. Juni 2020, L 15 36/20 B; Bayerisches LSG, Beschluss vom 11. Januar 2021, L 12 SF 113/19; Hessisches LSG, Beschluss vom 13. Mai 2015, L 2 P 6/14 B; so auch: Jahnke/Pflüge, JVEG, 28. Aufl. 2021, § 9 Rdnr. 6).

Veröffentlichte Entscheidungen oder Kommentarliteratur über die Anwendung der Honorargruppe M 1 finden sich - außer dem o.g. Beschluss des erkennenden Senats - nicht.

Daher hält der Senat es auch aus Gründen der Gleichbehandlung für ermessensgerecht, länderübergreifend vergleichbare Entlohnungsmaßstäbe anzuwenden.

3.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 4 Abs. 8 Satz 2 JVEG.

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 4 Abs. 4 S. 3 JVEG).

Rechtskraft
Aus
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