1. Nach dem Meistbegünstigungsprinzip ist insbesondere bei nicht rechtskundig vertretenen Beteiligten bei der Auslegung von Anträgen im Zweifel von einem umfassenden Rechtsschutzbegehren auszugehen.
2. Bringt der Betroffene zum Ausdruck, dass er die jüngere medizinische Entwicklung seines Gesundheitszustandes bei der GdB-Bewertung (und ggf. der Vergabe von Merkzeichen) berücksichtigt wissen will, so ist dem als "Ausstellung" eines Behindertenausweises bezeichneten Begehren nach dem Meistbegünstigungsgrundsatz regelmäßig zumindest auch das Begehren einer (Neu-) Feststellung des GdB sowie ggf. von Merkzeichen zu entnehmen.
3. Hat das erstinstanzliche Gericht wegen unzutreffender Auslegung des Klageantrags den Streitgegenstand nicht vollständig erfasst, so hat das Berufungsgericht entsprechend § 133 BGB durch eigene Auslegung des erstinstanzlichen Vorbringens zu ermitteln, welche Ansprüche wirklich erhoben worden sind, und über dieses Begehren im Berufungsverfahren zu entscheiden. Es handelt sich dabei nicht um ein sog. "Heraufholen von Prozessresten", sondern um einen mit der Berufung angreifbaren Verstoß der erstinstanzlichen Entscheidung gegen § 123 SGG.
Auf die Berufung der Klägerin wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 02.09.2024 abgeändert und der Beklagte verurteilt, die Anträge der Klägerin vom 20.01.2020, 20.08.2020 sowie vom 22.03.2023 auf Feststellung eines höheren Grades der Behinderung und der gesundheitlichen Voraussetzungen der Merkzeichen G und H unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Der Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin in beiden Rechtszügen zu einem Drittel zu erstatten.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt vom Beklagten einen Schwerbehindertenausweis mit Merkzeichen, hilfsweise die Feststellung eines höheren Grades der Behinderung (GdB) sowie von Merkzeichen, weiter hilfsweise eine Entscheidung über ihre diesbezüglichen Anträge vom 20.01.2020, 20.08.2020 sowie vom 22.03.2023.
Bei der 1943 geborenen Klägerin war zuletzt mit Bescheid des Landratsamtes L1 vom 17.01.2019 ein GdB von 40 seit dem 17.07.2018 festgestellt und eine Feststellung gesundheitlicher Merkmale (Merkzeichen) abgelehnt worden. Dem hatte eine versorgungsärztliche Stellungnahme durch W1 vom 16.01.2019 unter Auswertung beigezogener medizinischer Unterlagen zugrunde gelegen, wonach eine Funktionsbehinderung der Wirbelsäule mit einem GdB von 20, eine seelische Störung nebst funktionellen Organbeschwerden und psychovegetativem Erschöpfungssyndrom mit einem GdB von 30, ein Bluthochdruck nebst funktionellen Kreislaufstörungen mit einem GdB von 20, Gleichgewichtsstörungen und ein Schwindel mit einem GdB von 20, eine chronische Bronchitis und ein Schlafapnoe-Syndrom mit einem GdB von 20 sowie eine Funktionsbehinderung des linken Ellenbogengelenks mit einem GdB von 10 zu bewerten seien. Ein gegen den Bescheid vom 17.01.2019 erhobener Widerspruch der Klägerin war mit Widerspruchsbescheid des Beklagten vom 20.05.2019 zurückgewiesen worden.
Mit am 20.01.2020 beim Landratsamt L1 eingegangenem Schreiben vom 17.01.2020 wies die Klägerin darauf hin, dass sie laut Bescheid des Rentenversicherungsträgers eine Altersrente für „schwerstbehinderte“ Menschen erhalte und fragte, warum ihr der Behindertenausweis verweigert werde. Das Landratsamt wies mit Schreiben vom 18.02.2020 darauf hin, dass ein Behindertenausweis nur ausgestellt werden könne, wenn mindestens ein GdB von 50 besteht, wofür unter Verweis auf den Widerspruchsbescheid vom 20.05.2019 das Ausmaß der bei der Klägerin vorliegenden Behinderung nicht ausreiche. Hierzu gab die Klägerin wiederum mit Schreiben vom 03.03.2020 an, für die Verweigerung des Behindertenausweises bestehe keine Rechtsgrundlage. Ggf. werde sie das Sozialgericht bemühen, damit ihr ein ordnungsgemäßer Bescheid erteilt werde.
Am 20.08.2020 ging beim Landratsamt L1 ein mit „Antrag nach § 69 Sozialgesetzbuch“ überschriebenes Schreiben der Klägerin vom 18.08.2020 ein. Sie gebe dem Landratsamt vor einer Antragstellung bei Gericht erneut Gelegenheit zur Ausstellung des beantragten Behindertenausweises. Für eine Verweigerung des Behindertenausweises gebe es keine Rechtsgrundlage. Vorgelegt wurden zudem 2 Befundberichte des S1 jeweils vom 17.07.2020. Ausweislich einer Bestandsanzeige in der Verwaltungsakte des Landratsamtes wurde der Antrag am 02.12.2020 mit der Bemerkung „kein formloser Antrag“ als erledigt betrachtet.
Am 22.03.2023 ging beim Landratsamt L1 ein mit „COVID-19-Impfschaden und Behindertenausweis“ überschriebenes Schreiben der Klägerin vom 20.03.2023 ein, in welchem diese u.a. auf eine Keilbeinoperation vom 21.02.2023 mit länger dauerndem Heilungsprozess, eine Einschränkung beim Autofahren wegen Augenproblemen und eine am 31.03.2023 beginnende Rehabilitationsmaßnahme hinwies. Ihre Situation erfordere eine immerwährende Überwachung, weshalb sie einen Behindertenausweis mit Merkzeichen H oder G benötige. Sie bitte um Übersendung der nötigen Antragsformulare sowie Mitteilung, was an Arztberichten benötigt werde. Im gleichen Schreiben machte sie einen Impfschaden durch COVID-Impfungen insbesondere mit Beeinträchtigung des Gehvermögens geltend.
Das Landratsamt L1 übersandte der Klägerin mit Schreiben vom 03.07.2023 ein Formblatt zur Antragstellung nach dem SGB IX samt 2 Merkblättern. Ausweislich eines entsprechenden Vermerks in der Verwaltungsakte wurde die Klägerin in einem Telefonat mit zwei Mitarbeiterinnen des Landratsamtes vom 20.07.2023 gebeten, den ausgefüllten Antrag vorzulegen, damit eine etwaige Verschlechterung des Gesundheitszustandes und eine Erhöhung des GdB geprüft werden könne. Mit Schreiben vom 26.07.2023 gab die Klägerin u.a. an, mit dem Versorgungsamt negative Erfahrungen gemacht zu haben, weshalb sie „das nicht nochmal ausprobieren müsse“. Sachbearbeiter des Versorgungsamtes und Ärzte des Medizinischen Dienstes bzw. des Gesundheitsamtes dürften den Nystagmus der Klägerin nicht beurteilen, da sie nicht über die Technik zur entsprechenden Untersuchung verfügten.
Mit Schreiben vom 11.02.2024 nahm die Klägerin unter Vorlage auch medizinischer Unterlagen u.a. Bezug auf einen Antrag auf Ausstellung eines Behindertenausweises. Bei diesem gehe es ihr um die Parkmöglichkeit auf Behinderten-Parkplätzen und das S-Bahn-Fahren im Nahbereich.
In einer internen Stellungnahme seitens der Sachbearbeitung vom 20.02.2024 in der Verwaltungsakte wurde festgehalten, dass die Klägerin sich mehrmals geweigert habe, „das Antragsformular im SGB IX auszufüllen“. Nachdem aus früheren Schreiben nicht klar zu erkennen gewesen sei, ob überhaupt eine Antragstellung nach dem SGB IX gewollt gewesen sei, müsse jedenfalls das im Schreiben vom 11.02.2024 zum Ausdruck kommende Begehren auch ohne ausgefülltes Antragsformular als Antrag auf Neufeststellung des GdB und Feststellung der Merkzeichen G, aG und H verstanden werden. Da die Klägerin eine Schweigepflichtentbindung ihrer Ärzte verweigere und einer Weitergabe von Unterlagen an das Gesundheitsamt widersprochen habe, unterbleibe eine Vorlage der eingereichten Unterlagen an den ärztlichen Dienst. Vorgeschlagen werde eine „Androhung“ wegen fehlender Mitwirkung nach §§ 60, 66 SGB I.
In einer eingescannten internen E-Mail vom 22.02.2024 innerhalb des Landratsamtes L1 wurde nochmals festgehalten, dass eine „Androhung“ wegen fehlender Mitwirkung nach §§ 60, 66 SGB I erfolgen solle. Auf dem Scan findet sich ein handschriftlicher Vermerk vom 05.03.2024 u.a. mit dem Hinweis, dass die Klägerin bei Verweigerung der Antragstellung den Rechtsweg beschreiten müsse.
Am 22.05.2024 hat die Klägerin beim Sozialgericht Stuttgart zu dem dortigen Aktenzeichen S 22 SB 1902/24 Klage „auf Ausstellung eines Behindertenausweises über 50 %“ erhoben. Das Landratsamt L1 verweigere die Bearbeitung ihres Antrages/Widerspruchs vom 12.06.2018. Seitens des Landratsamtes werde sie nicht für zurechnungsfähig gehalten. In der Folge der Entfernung eines Tumors aus dem Kopf müsse sie sich regelmäßigen Kontrollen unterziehen. Mitarbeiter des Landratsamtes und Ärzte des Gesundheitsamtes seien nicht befugt, die vorliegenden Arztberichte und MRTs zu interpretieren. Dem Landratsamt L1 stehe es frei, ein Gutachten zur Zurechnungsfähigkeit der Klägerin und zu ihrer gesundheitlichen Situation erstellen zu lassen. Auch oder gerade Unzurechnungsfähige hätten einen Anspruch auf einen Behindertenausweis.
Mit Beschluss vom 01.07.2024 hat das Sozialgericht Stuttgart sich für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Sozialgericht Heilbronn (SG) verwiesen, wo der Rechtsstreit unter dem Aktenzeichen S 3 SB 1396/24 geführt worden ist.
Der Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Diese sei bereits unzulässig. Sinngemäß begehre die Klägerin die Schwerbehinderteneigenschaft. Allerdings dürfte der diesbezüglich letzte Widerspruchsbescheid vom 20.05.2019 bindend geworden sein. Weitere Bescheide seien aus der Akte nicht ersichtlich.
Mit Schreiben vom 01.08.2024 hat die Klägerin u.a. ausgeführt, ihr Rechtsmittel gegen den ablehnenden Bescheid von 2018 sei in der Ablage verschwunden. In der Sache gehe es „um einen Behindertenausweis mit dem Buchstaben G oder H“.
Mit Schreiben vom 06.08.2024 hat das SG die Beteiligten zu einer beabsichtigten Entscheidung durch Gerichtsbescheid angehört. Die Klägerin hat daraufhin u.a. geltend gemacht, den Namen des Richters und seine Rechtsmeinung zu Behindertenausweisen nicht zu kennen. Zudem hat sie u.a. einen Bescheid des Landratsamtes L1 vom 15.08.2024 über die Ablehnung von Beschädigtenversorgung wegen eines Impfschadens nach dem Injektionsschutzgesetz vorgelegt.
Mit Gerichtsbescheid vom 02.09.2024 hat das SG die Klage abgewiesen. Streitgegenständlich sei die Ausstellung eines Schwerbehindertenausweises nach § 152 Abs. 5 SGB IX, für deren gerichtliche Geltendmachung die allgemeine Leistungsklage statthaft und zulässig sei. Die Klage sei jedoch unbegründet, da bei der Klägerin zuletzt mit Bescheid vom 17.01.2019 und Widerspruchsbescheid vom 20.05.2019 keine Schwerbehinderteneigenschaft festgestellt worden sei, sondern lediglich ein GdB von 40. Der Gerichtsbescheid ist der Klägerin am 03.09.2024 zugestellt worden.
Mit am 11.09.2024 beim SG eingegangenem Schreiben hat die Klägerin mitgeteilt, den „Beschluss“ des SG vom „25.05.2023“ aufs Schärfste zurückzuweisen. Ihr Antrag im März 2023 auf den Behindertenausweis könne nicht, wie im Beschluss vom 02.09.2024 ausgeführt werde, bereits am 17.01.2019 bzw. 20.05.2019 abgelehnt worden sein. Sie erwarte die unverzügliche Ausstellung des Behindertenausweises mit dem Buchstaben H oder G. Dieses Schreiben hat das SG als Berufungsschrift gewertet und an das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg weitergeleitet.
Die Klägerin beantragt (sachdienlich gefasst),
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 02.09.2024 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ihr einen Schwerbehindertenausweis mit den Merkzeichen H und G auszustellen, hilfsweise bei ihr einen Grad der Behinderung von mindestens 50 sowie die Nachteilsausgleiche Merkzeichen H und G festzustellen, weiter hilfsweise über ihre Anträge auf Feststellung eines höheren GdB sowie der Nachteilsausgleiche Merkzeichen H und G zu entscheiden.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.
Der Beklagte ist der Berufung entgegengetreten. Entsprechend den Ausführungen des SG habe die Klägerin keinen Anspruch auf Ausstellung eines Schwerbehindertenausweises mit Merkzeichen, nachdem mit dem letzten maßgeblichen Bescheid des Landratsamtes L1 vom 17.01.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.05.2019 bei der Klägerin ein GdB von 40 seit 17.07.2018 festgestellt worden sei. Die nunmehr geltend gemachten Merkzeichen seien in der erstinstanzlichen Entscheidung schon nicht Gegenstand gewesen.
Der Berichterstatter hat die Beteiligten mit Schreiben vom 01.10.2024 darauf hingewiesen, dass die Auslegung des Klagebegehrens als auf bloße Ausstellung eines Schwerbehindertenausweises gerichtet bedenklich erscheine. Vielmehr dürfte das auch bereits an das Versorgungsamt herangetragene Rechtsschutzbegehren der Klägerin unter Beachtung des Meistbegünstigungsgrundsatzes als Antrag auf Feststellung eines höheren GdB sowie der Merkzeichen G und H zu verstehen sein. Der in der Klageschrift erhobenen Rüge einer verzögerten Bearbeitung ihres Antrags dürfte daher zumindest auch ein Verpflichtungsbegehren i.S. einer Untätigkeitsklage beizumessen sein.
Mit Schreiben vom 27.11.2024 hat die Klägerin eine „Terminabsage“ bezüglich der für den 06.12.2024 geladenen mündlichen Verhandlung mitgeteilt sowie u.a. angegeben, am 25.11.2024 mit einer schweren Lungenentzündung aus Israel zurückgekehrt zu sein. Einen ärztlichen Nachweis habe sie noch nicht und halte sie auch nicht für erforderlich. Den Vorsitzenden des Senats halte sie für befangen oder nur für unqualifiziert. Falls der Vorsitzende sich der Meinung des SG anschließe und die Klägerin für unzurechnungsfähig halte, bitte sie konkret um die Gründe und die Beiordnung eines Anwaltes. Ohne Anwesenheit und Zeugenvernehmung des Richters des SG, des Landrats und des Regierungspräsidenten könne eine mündliche Verhandlung nicht durchgeführt werden. Auf Hinweis des Senats vom 28.11.2024, dass eine die Verhandlungsfähigkeit beeinträchtigende Erkrankung bisher nicht nachgewiesen sei und ggf. um Vorlage eines entsprechenden ärztlichen Attestes rechtzeitig vor dem Termin gebeten werde, hat die Klägerin mit Schreiben vom 30.11.2024 u.a. geltend gemacht, die 14-tägige Ladungsfrist sei nicht eingehalten. Vor dem 05.12.2024 habe sie von der anberaumten mündlichen Verhandlung keine Kenntnis erlangen können. Angesichts ihres Alters könne es jederzeit auch kurzfristig vor dem Termin zu einem Ausfall kommen. Eine Verhandlungsunfähigkeit werde sie bei Vorliegen entsprechender „Ergebnisse auf Papier“ nachweisen. Mit Schreiben vom 02.12.2024 hat sie angegeben, dem Senat stehe es frei, einen Krankentransport zur mündlichen Verhandlung zu veranlassen.
Der Beklagte hat mit Schreiben vom 03.12.2024 mitgeteilt, seitens des Landratsamts sei kein weiterer Bescheid ergangen.
Mit Schreiben vom 02.12.2024 hat der Vorsitzende die Klägerin darauf hingewiesen, dass am Termin vom 06.12.2024 festgehalten werde, solange kein ärztlicher Nachweis einer Verhandlungs- oder Reiseunfähigkeit vorliege. Angesprochene Sach- und Rechtsfragen könnten umfassend im Termin am 06.12.2024 erörtert werden.
Mit Schreiben vom 03.12.2024 hat die Klägerin einen Befangenheitsantrag gegen den Berichterstatter und die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle des Senats gestellt, welcher mit Beschluss des Senats vom 04.12.2024 (Az. L 8 SF 3496/24 AB) in Besetzung ohne den Berichterstatter zurückgewiesen worden ist. Der Beschluss ist der Klägerin vorab per Fax zur Kenntnisnahme übermittelt worden.
Mit Schreiben vom 04.12.2024 hat die Klägerin daraufhin geltend gemacht, das Fax sei nicht existent und die förmliche Zustellung könne sie nicht rechtzeitig erreichen. Gegen den Vorsitzenden des Senats habe sie bereits einen Befangenheitsantrag gestellt.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die sozialgerichtlichen Verfahrensakten beider Instanzen sowie auf die beigezogene Verwaltungsakte des Landratsamtes L1 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
I. Die nach § 151 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht beim SG zum LSG eingelegte Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des SG vom 02.09.2024 ist gemäß § 105 Abs. 3 i.V.m § 143 SGG statthaft und zulässig.
1. Der Senat kann in seiner geschäftsordnungskonformen Besetzung entscheiden. Insbesondere sind der Berichterstatter und der Vorsitzende des Senats nicht an einer Mitwirkung gehindert. Ein Befangenheitsantrag gegen den Berichterstatter ist mit Beschluss des Senats vom 04.12.2024 zurückgewiesen worden. Gegen den Vorsitzenden des Senats kann im Schreiben vom 27.11.2024 schon kein Befangenheitsantrag erblickt werden, da die Klägerin selbst alternativ zur Befangenheit eine vermeintlich mangelnde Qualifikation des Vorsitzenden angibt. Soweit sie im Schreiben vom 04.12.2024 angegeben hat, gegen den Vorsitzenden bereits einen Befangenheitsantrag gestellt zu haben, ist im Sinne der Meistbegünstigung dieses Schreiben vom 04.12.2024 als Befangenheitsantrag zu werten. Dieser ist jedoch bereits unzulässig, da er erkennbar allein von verfahrensfremden Zwecken – nämlich der Ausschaltung eines Richters mit einer vermeintlich missliebigen Rechtsansicht und der Erzwingung einer Terminsverlegung – getragen ist (vgl. dazu etwa BSG, Beschluss vom 19.08.2021 – B 11 AL 39/21 B – juris Rn. 5; Keller in: Meyer-Ladewig u.a., SGG-Kommentar, 14. Aufl. § 60 Rn. 10c m.w.N.). In einem solchen Fall darf der betroffene Richter über das Ablehnungsgesuch mitentscheiden, wobei keine gesonderte Entscheidung erforderlich ist, sondern eine Begründung der Rechtsmissbräuchlichkeit – wie vorstehend – in der Entscheidung über die Sache ausreichend (BSG, a.a.O.; Keller, a.a.O. Rn. 10d, 10e m.w.N.).
2. Der Senat ist auch durch die Abwesenheit der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vom 06.12.2024 nicht an einer Entscheidung in der Sache gehindert. Die ausweislich der betreffenden Postzustellungsurkunde am 20.11.2024 durch Einwurf in den zur Wohnung der Klägerin gehörenden Briefkasten zugestellte Terminsbestimmung enthält u.a. den ausdrücklichen Hinweis, dass auch im Falle des Ausbleibens von Beteiligten Beweis erhoben, verhandelt und entschieden werden kann. Soweit die Klägerin geltend gemacht hat, am 25.11.2024 mit einer schweren Lungenentzündung aus Israel zurückgekehrt zu sein, ist trotz Anforderung mit Schreiben des Senats vom 28.11.2024 die z.B. durch Einholung in einer hausärztlichen Sprechstundenpraxis noch vor dem Verhandlungstermin mögliche Vorlage eines ärztlichen Attestes zur Beeinträchtigung einer Teilnahme am Termin zur mündlichen Verhandlung nicht erfolgt und daher eine Reise- oder Verhandlungsunfähigkeit nicht hinreichend glaubhaft gemacht (zum Erfordernis einer ärztlichen Bescheinigung über Art, Schwere und voraussichtliche Dauer der Erkrankung sowie daraus resultierende Verhandlungsunfähigkeit vgl. Senger in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, § 62 Rn. 27 m.w.N.). Die Klägerin ist auch wiederholt darauf hingewiesen worden, dass der Termin vorbehaltlich der Vorlage eines ärztlichen Attestes bestehen bleibt. Allein aufgrund eines gestellten Ablehnungsgesuchs darf ein Beteiligter i.d.R. nicht mit einer Terminsverlegung rechnen (Keller, a.a.O., § 62 Rn. 6e m.w.N.). Zudem ist die Zurückweisung des Befangenheitsantrags gegen den Berichterstatter der Klägerin bereits mit Fax vom 04.12.2024 vorab zur Kenntnis übermittelt worden. Soweit die Klägerin geltend gemacht hat, erst nach ihrer Rückkehr am 25.11.2024 von der Terminsbestimmung auf den 06.12.2024 erfahren zu haben, ist darauf hinzuweisen, dass nach § 110 Abs. 1 Satz 1 SGG lediglich „in der Regel“ eine Terminsmitteilung zwei Wochen vor dem Termin erfolgt, wobei es sich um eine bloße Ordnungsvorschrift handelt (B. Schmidt in: Meyer-Ladewig u.a., SGG-Kommentar, 14. Aufl., § 110 Rn. 13 m.w.N.). Die Mindestladungsfrist beträgt nach § 202 Satz 1 SGG i.V.m. § 217 ZPO drei Tage (B. Schmidt, a.a.O., Rn. 14). Dass die Klägerin sich ab dem Zeitpunkt der tatsächlichen Kenntnisnahme von der Terminsbestimmung unzureichend auf etwaigen weiter für erforderlich gehaltenen Vortrag hätte vorbereiten können, ist – zumal angesichts ihrer umfassenden Einlassungen auch in der Folgezeit – nicht ersichtlich.
3. Schließlich ist ein wirksamer Antrag auf Prozesskostenhilfe (PKH) nicht gestellt worden. Im Schreiben vom 27.11.2024 hat die Klägerin angegeben, falls der Vorsitzende des Senats sich der Meinung des SG anschließen und sie für unzurechnungsfähig halten sollte, bitte sie konkret um die Gründe und die Beiordnung eines Anwalts. Ungeachtet der Bedingungsfeindlichkeit von Prozesserklärungen wie einem Antrag auf Prozesskostenhilfe vermag der Senat keine Zweifel an der Zurechnungsfähigkeit der Klägerin zu erkennen. Der im gleichen Schreiben enthaltene Hinweis „nur am Rande“ auf die Verweigerung einer PKH-Gewährung durch das VG Stuttgart stellt einen bloßen Erfahrungsbericht aus einem anderen Gerichtsverfahren dar.
II. Die Berufung der Klägerin ist im aus dem Tenor ersichtlichen Umfang im zweiten Hilfsantrag begründet, im Übrigen jedoch unbegründet. Der Gerichtsbescheid des SG leidet insofern an einem Verfahrensfehler, als das Rechtsschutzbegehren der Klägerin nicht zutreffend ausgelegt und dementsprechend der Streitgegenstand der Klage nicht korrekt erfasst worden ist.
1. Gegenstand der Klage ist das Begehren der Klägerin nach einem Schwerbehindertenausweis mit den Merkzeichen H und G gewesen. Soweit allerdings das SG ausschließlich von einer isolierten Leistungsklage auf Ausstellung eines Schwerbehindertenausweises ausgegangen ist, wird dieses Verständnis dem materiellen Rechtsschutzbegehren der Klägerin nicht gerecht. Zum einen hat diese bereits im erstinstanzlichen Verfahren mit ihrem Schreiben vom 01.08.2024 zum Ausdruck gebracht, dass es ihr auch im Klageverfahren um die Merkzeichen H bzw. G geht. Zum anderen bedarf die Bezeichnung des Klagebegehrens – zumal bei nicht anwaltlich oder sonst rechtskundig vertretenen Beteiligten wie der Klägerin – grundsätzlich der Auslegung. Dies kommt bereits in § 123 SGG zum Ausdruck, wonach das Gericht über die vom Kläger erhobenen Ansprüche entscheidet, ohne an die Fassung der Anträge gebunden zu sein. Das Klagebegehren wird also nicht zwingend oder abschließend durch den gestellten Antrag bestimmt, sondern durch den erkennbar gewordenen, dem wirklichen Begehren des Klägers entsprechenden Klagegegenstand (Hübschmann in: beck-online.Großkommentar, Stand 01.11.2024 SGG § 123 Rn. 8 f.). Zwar ist das Klagebegehren in der Klageschrift zu bezeichnen. Bei der Auslegung ist jedoch in entsprechender Anwendung der Auslegungsregel des § 133 BGB der wirkliche Wille zu erforschen, wobei nicht nur der Wortlaut der das Begehren ausdrückenden Formulierung, sondern auch die sonstigen für das Gericht und die anderen Beteiligten erkennbaren Umstände des Falles zu berücksichtigen sind. Im Zweifel ist davon auszugehen, dass nach Maßgabe des Meistbegünstigungsprinzips alles begehrt wird, was dem Kläger aufgrund des Sachverhalts rechtlich zusteht. Der Grundsatz, dass im Zweifel von einem umfassenden Rechtsschutzbegehren ausgegangen werden muss, ist Ausfluss des verfassungsrechtlichen Auftrags der Gerichte zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes. Die Auslegung von Anträgen richtet sich danach, was als Leistung möglich ist, wenn jeder verständige Antragsteller mutmaßlich seinen Antrag bei entsprechender Beratung angepasst hätte und keine Gründe zur Annahme eines abweichenden Verhaltens vorliegen; im Zweifel ist davon auszugehen, dass ein Kläger alles zugesprochen haben möchte, was ihm aufgrund des Sachverhalts zusteht (zum Ganzen etwa BSG, Urteil vom 14.06.2018 – B 9 SB 2/16 R – juris Rn. 12; BSG, Beschluss vom 06.12.2018 – B 8 SO 38/18 B – juris Rn. 6).
Ausgehend hiervon hat die Klägerin im Ausgangspunkt ausdrücklich in ihrer Klageschrift die „Ausstellung eines Behindertenausweises über 50 %“ beantragt, was durchaus nach dem Wortlaut als im Wege der isolierten Leistungsklage (§ 54 Abs. 5 SGG) statthaft zu verfolgendes Rechtsschutzbegehren auf einen bloßen Ausstellungsanspruch nach § 152 Abs. 5 SGB IX für einen Schwerbehindertenausweis ohne Ergehen eines (feststellenden) Verwaltungsaktes zu verstehen ist. Im Schreiben vom 01.08.2024 hat sie zudem deutlich gemacht, dass es ihr auch um die – im Sinne der Meistbegünstigung kumulativen – Merkzeichen G und H geht.
Bei sachdienlicher Auslegung im Sinne des Meistbegünstigungsgrundsatzes ist das Klagebegehren jedoch darüber hinaus dahingehend zu verstehen, dass hilfsweise eine Verurteilung des Beklagten zur Feststellung eines höheren GdB sowie der Merkzeichen G und H begehrt wird.
Bereits in dem am 20.01.2020 beim Landratsamt L1 eingegangenen Schreiben vom 17.01.2020 bezog sich die Klägerin auf ihren früheren „Erstantrag nach § 69 Sozialgesetzbuch“. Mit der Vorlage des Neuberechnungsbescheides der Deutschen Rentenversicherung Bund vom 10.01.2020 hinsichtlich einer der Klägerin bewilligten Altersrente für schwerbehinderte Menschen sowie mit der Frage, warum ihr der Behindertenausweis verweigert werde, brachte sie bereits zum Ausdruck, dass sie eine erneute Entscheidung des Landratsamtes zum Vorliegen der Schwerbehinderteneigenschaft unter Berücksichtigung weiterer Umstände – nämlich des Bezugs einer Altersrente für schwerbehinderte Menschen – wünschte. Das Schreiben ist daher als mit Eingang am 20.01.2020 gestellter Antrag auf Feststellung eines höheren GdB zu werten.
Entsprechendes gilt für das am 20.08.2020 beim Landratsamt L1 eingegangene Schreiben der Klägerin vom 18.08.2020, welches ausdrücklich als „Antrag nach § 69 Sozialgesetzbuch“ überschrieben ist. Dabei machte die Klägerin unter Vorlage ärztlicher Berichte vom 17.07.2020 auch ein Wachstum einer Raumforderung im Schädel geltend. Auch hierin ist ein Neufeststellungsantrag bezüglich der Höhe des GdB zu erblicken.
In ihrem am 22.03.2023 beim Landratsamt L1 eingegangenen Schreiben vom 20.03.2023 nahm die Klägerin ebenfalls auf neuere gesundheitliche Entwicklungen angesichts einer am 21.02.2023 durchgeführten Operation Bezug und fragte an, was an Arztberichten benötigt werde. Zudem bat sie um Übersendung der nötigen Antragsformulare. Sie gab an, „einen Behindertenausweis mit dem Buchstaben H oder G“ zu benötigen. Hierin ist erneut ein Begehren auf schwerbehinderungsrechtliche Feststellungen unter Berücksichtigung ihrer neueren gesundheitlichen Entwicklung zu sehen. Es handelt sich daher auch bei dem am 22.03.2023 eingegangenen Schreiben um einen Antrag auf Neufeststellung der Höhe des GdB, nunmehr verbunden auch mit einer Feststellung der – im Sinne des Meistbegünstigungsgrundsatzes kumulativen – Merkzeichen G und H.
Wenngleich die Klägerin sich in der Folge geweigert hat, ein entsprechendes Antragsformular ausgefüllt vorzulegen, ihre Ärzte von der Schweigepflicht zu entbinden, und auch einer Interpretation von Arztberichten durch Mitarbeiter des Landratsamtes sowie Ärzte des Gesundheitsamtes (einschließlich des dort angesiedelten ärztlichen Dienstes) widersprochen hat, hat sie doch mit allen drei Anträgen jeweils zum Ausdruck gebracht, dass sie die neu vorgelegten Unterlagen bzw. die jüngeren medizinischen Entwicklungen in ihrem Gesundheitszustand bei der GdB-Bewertung (und später auch bei der Vergabe von Merkzeichen) berücksichtigt wissen möchte. Der von einem nicht rechtskundig vertretenen Betroffenen gestellte Antrag auf Ausstellung eines Behindertenausweises ist in einem solchen Fall nach dem Meistbegünstigungsgrundsatz zumindest auch als Antrag auf Neufeststellung des GdB sowie ggf. begehrter Merkzeichen zu werten. Hierfür spricht im vorliegenden Fall zusätzlich, dass die Klägerin bereits zuvor in einer Sachstandsanfrage vom 05.09.1995 ihren am 13.03.1995 eingegangen Erstantrag als solchen „auf Ausstellung eines Behindertenausweises“ bezeichnet hatte. Auch im Schreiben vom 12.07.2018 mit Vorlage eines am 06.07.2018 ausgefüllten Antragsformulars, welches dem vormaligen Bescheid des Landratsamtes L1 vom 17.01.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.05.2019 zugrunde lag, hatte die Klägerin angegeben, sie „beantrage einen Behindertenausweis“.
Mit ihrer Klage zum SG hat die Klägerin das vorstehend dargestellte Feststellungsbegehren weiterverfolgt. Bereits mit ihrer Klageschrift hat sie erneut auf Folgen einer im Vorjahr erfolgten operativen Entfernung eines Tumors aus dem Kopf verwiesen und u.a. einen Befundbericht der Klinik für Kardiologie, Pneumologie und Angiologie des E1 vom 29.04.2024 vorgelegt. Im Schreiben vom 01.08.2024 hat sie zudem mehrere Ärzte für eine mögliche Erstellung und Auswertung vorhandener MRTs benannt sowie mitgeteilt, dass es ihr um einen Behindertenausweis mit dem Merkzeichen G bzw. H geht. Damit hat sie deutlich gemacht, dass sie ihr auf die Berücksichtigung der neu vorgelegten Unterlagen und der weiteren Entwicklungen ihres Gesundheitszustands bei der Bemessung des GdB und der Vergabe von Merkzeichen gerichtetes Begehren aus dem Verwaltungsverfahren auch im Klageverfahren weiterverfolgen möchte. Dem Klagebegehren ist dementsprechend als Hilfsantrag zu entnehmen, dass der Beklagte zur Feststellung eines GdB von mindestens 50 sowie der Voraussetzungen der Merkzeichen G und H verurteilt werden soll.
Schließlich hat die Klägerin in ihrer Klageschrift vom 20.05.2024 ausdrücklich geltend gemacht, dass das Landratsamt die Bearbeitung ihres Begehrens auf Ausstellung eines Behindertenausweises verweigere, wobei die Nichtbearbeitung auf einer Arroganz und Inkompetenz der Bearbeiter des Landratsamtes bzw. auf einer Verweigerung von dienstrechtlichen Maßnahmen beruhe. Hierin ist nach dem Meistbegünstigungsgrundsatz – wiederum hilfsweise – ein auf Bescheidung ihrer Anträge auf Feststellung eines höheren GdB sowie der Merkzeichen G und H gerichtetes Klagebegehren im Sinne einer Untätigkeitsklage nach § 88 Abs. 1 SGG zu sehen.
2. Mit ihrer Berufungsschrift verfolgt die Klägerin ihr vor dem SG geltend gemachtes Begehren weiter. Sie hat auch ausdrücklich geltend gemacht, das SG habe den erstinstanzlichen Antrag nicht korrekt gelesen und den Vortrag der Klägerin nicht verstanden. Nach dem Meistbegünstigungsgrundsatz ist dies dahingehend zu verstehen, dass sie sämtliche vorstehenden Gegenstände des Klageverfahrens weiterverfolgen möchte. Zwar hat das SG allein über den Ausstellungsanspruch eines Schwerbehindertenausweises entschieden und die weiteren Klagegegenstände übergangen. Gleichwohl kann der Senat in der Berufung gegen die Entscheidung des SG über alle betreffenden Streitgegenstände entscheiden.
Es liegt kein echtes Teilurteil vor, das einer Erstreckung des Streitgegenstands im Berufungsverfahren auf von der Entscheidung des SG (noch) nicht behandelte Ansprüche entgegenstünde. Ein Teilurteil nach § 202 Satz 1 SGG i.V.m. § 301 ZPO setzt voraus, dass das Gericht bewusst nur über einen von mehreren selbständigen prozessualen Ansprüchen entscheiden und die Instanz damit noch nicht hinsichtlich aller Streitgegenstände abschließen wollte. Wollte das Gericht hingegen ein Vollurteil erlassen, so stellt die Entscheidung auch dann kein Teilurteil dar, wenn sie den Streitgegenstand nicht erschöpft hat (Keller in: Meyer-Ladewig u.a., SGG-Kommentar, 14. Aufl., § 125 Rn. 3a, 3b m.w.N.). Aus der vorliegenden Entscheidung des SG wird nicht ersichtlich, dass es nur über einen Teil des Streitgegenstandes entscheiden wollte. Ausweislich der Abschlussverfügung hat das SG vielmehr den Rechtsstreit durch den Gerichtsbescheid vom 02.09.2024 in erster Instanz als insgesamt erledigt betrachtet.
Auch handelt es sich nicht um einen Fall des § 140 Abs. 1 Satz 1 SGG, wonach ein Urteil auf Antrag nachträglich ergänzt wird, wenn es einen von einem Beteiligten erhobenen Anspruch oder den Kostenpunkt ganz oder teilweise übergangen hat. Das versehentliche Übergehen eines Anspruchs setzt voraus, dass das Gericht bei einem zunächst korrekt bestimmten Streitgegenstand in der Folge irrtümlich einen aus der Sicht des Gerichts entscheidungsbedürftigen Punkt aus den Augen verloren, also schlicht übergangen hat. Im Gegensatz dazu steht das bewusste Ausklammern eines Anspruchs aus der den gesamten Rechtsstreit abschließenden, also nicht etwa ein Teilurteil, sondern ein Vollurteil darstellenden Entscheidung, weil das Gericht – aus welchen Gründen auch immer – davon ausging, über diesen speziellen Punkt nicht (mehr) entscheiden zu dürfen bzw. zu müssen. Ein typischer Grund für eine bewusste Ausklammerung eines Teils des Klagebegehrens aus der einen Rechtsstreit abschließenden Entscheidung durch ein Vollurteil ist dabei der Rechtsirrtum eines Gerichts, der auf der unzutreffenden Auslegung des geltend gemachten Klagebegehrens oder der irrtümlichen Annahme einer Beschränkung der Klage beruht. Das Berufungsgericht hat dann entsprechend § 133 BGB durch eigene Auslegung des Vorbringens des Klägers in der ersten Instanz zu ermitteln, welchen Anspruch er wirklich erhoben hat und über dieses Begehren im Berufungsverfahren zu entscheiden, wenn der förmliche Antrag, über den das SG entschieden hat, damit nicht übereinstimmt. Für eine Urteilsergänzung hingegen ist in solchen Fällen kein Raum (zum Ganzen vgl. BSG, Beschluss vom 02.04.2014 – B 3 KR 3/14 B – juris Rn. 10; LSG Bayern, Urteil vom – L 15 VS 6/15 – juris Rn. 46; Schütz in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, § 140 Rn. 14 f.).
So liegt der Fall auch hier. Das SG hat sich zu den geltend gemachten Merkzeichen G und H im Gerichtsbescheid vom 02.09.2024 an keiner Stelle geäußert. Auch die Angaben im Tatbestand sowie der zugrunde gelegte formale Antrag der Klägerin zeigen, dass das SG allein einen etwaigen Anspruch der Klägerin auf Ausstellung eines Schwerbehindertenausweises als streitgegenständlich angesehen hat. Die bewusste Ausklammerung insbesondere auch eines Feststellungsanspruchs und Bescheidungsinteresses i.S. der Untätigkeitsklage zeigt sich schließlich am Ende der Entscheidungsgründe, wonach es der Klägerin angesichts des bestandskräftig festgestellten GdB von 40 unbenommen bleibe, „beim Beklagten eine Erhöhung des Grades der Behinderung im Wege der Neufeststellung von 40 auf mindestens 50 zu beantragen“. Danach hat das SG einen Feststellungsanspruch und eine auf einen diesbezüglichen Antrag bezogene Untätigkeitsklage rechtsirrig wegen zu enger Auslegung des Klagebegehrens schon nicht als Streitgegenstand des Klageverfahrens angesehen.
In derartigen Fällen ist auf Berufung über die betreffenden Streitgegenstände zu entscheiden, soweit sie in der Berufung weiterverfolgt werden. Dies ist nach den obenstehenden Ausführungen für das gesamte erstinstanzliche Klagebegehren der Fall. Es handelt sich um einen Verstoß des SG gegen § 123 SGG, indem es rechtsirrig den Klageantrag unzutreffend ausgelegt hat. Ein solcher Verfahrensfehler ist mit der Berufung angreifbar, woraufhin das Berufungsgericht die erstinstanzliche Entscheidung am Maßstab des zutreffend ausgelegten Klagebegehrens überprüft (vgl. BSG, Urteil vom 26.05.2011 – B 10 EG 12/10 R – juris Rn. 17 bei einem nach § 96 Abs. 1 SGG einzubeziehenden Bescheid, der vor Berufungseinlegung aber nach der Entscheidung des SG ergangen ist und daher vor SG übergangen wurde; BSG, Urteil vom 10.12.2013 – B 13 R 91/11 R – juris Rn. 16 zur erforderlichen Entscheidung des Berufungsgerichts über einen vom SG unter Verstoß gegen § 123 SGG übergangenen Hilfsantrag; Keller in: Meyer-Ladewig, a.a.O., § 140 Rn. 2c; Schreiber, in: Fichte/Jüttner, SGG-Kommentar, 3. Aufl., § 143 Rn. 20; Willersinn, NZS 2019, 481, 484). Die Problematik eines sog. „Heraufholens von Prozessresten“ stellt sich in derartigen Fallgestaltungen nicht, da kein heraufzuholender Prozessrest in der Vorinstanz anhängig geblieben ist (Willersinn, a.a.O.; vgl. auch Keller in: Meyer-Ladewig, a.a.O., § 140 Rn. 2a, 2c; a.A. LSG Bayern, Urteil vom – L 15 VS 6/15 – juris Rn. 46; ferner LSG Bayern, Urteil vom 22.07.2010 – L 10 AL 90/09 – juris Rn. 16 in dem allerdings zweifelhaften Fall einer nicht nachvollziehbaren erstinstanzlichen Antragstellung des Klägers; kritisch dazu auch Schreiber, a.a.O., Fn. 52).
3. Passivlegitimiert ist für alle vorgenannten (ggf. hilfsweisen) Streitgegenstände der Beklagte, vertreten durch das Landesversorgungsamt Baden-Württemberg beim Regierungspräsidium S1. Dies gilt auch, soweit mit der Untätigkeitsklage eine Verbescheidung der Anträge beim Landratsamt L1 begehrt wird. Das Landratsamt ist nach § 112 SGB XIV i.V.m. § 2 Abs. 1 des Gesetzes über die Versorgungsverwaltung Baden-Württemberg (VersVG) für die Durchführung des SGB XIV und damit für schwerbehinderungsrechtliche Feststellungen und Ausstellungen von Ausweisen nach § 152 Abs. 1, 4 und 5 SGB IX als untere Verwaltungsbehörde zuständig. Maßgeblicher Rechtsträger ist das Land Baden-Württemberg. Dieses wird nach den Regelungen zur Prozessfähigkeit gemäß § 71 Abs. 5 SGG u.a. in Angelegenheiten des Schwerbehindertenrechts durch die Stelle vertreten, die für die Durchführung des SGB XIV oder des Rechts der Teilhabe von Menschen mit Behinderungen zuständig ist oder der nach Maßgabe des Landesrechts diese Aufgaben übertragen worden sind. Nach § 1 Abs. 2 Satz 2 VersVG ist das Regierungspräsidium S1 (Landesversorgungsamt) zuständige Stelle i.S.d. § 71 Abs. 5 SGG, ihm ist somit die Vertretung des Beklagten in allen schwerbehinderungsrechtlichen Gerichtsverfahren übertragen. Dies gilt auch für Untätigkeitsklagen bezüglich einer Untätigkeit des zuständigen Landratsamtes als untere Verwaltungsbehörde.
4. Bezüglich des Begehrens auf Ausstellung eines Schwerbehindertenausweises ist die Berufung unbegründet. Das SG hat insofern die statthafte isolierte Leistungsklage zu Recht als zulässig aber unbegründet abgewiesen. Diesbezüglich folgt der Senat den Ausführungen im angegriffenen Gerichtsbescheid des SG und sieht daher von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 153 Abs. 2 SGG).
Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass insbesondere auch nach § 152 Abs. 2 SGB IX vorliegend kein Schwerbehindertenausweis ausgestellt werden kann. Nach dessen Satz 1 sind Feststellungen nach § 152 Abs. 1 SGB IX nicht zu treffen, wenn eine Feststellung über das Vorliegen einer Behinderung und den Grad einer auf ihr beruhenden Erwerbsminderung schon in einem Rentenbescheid, einer entsprechenden Verwaltungs- oder Gerichtsentscheidung oder einer vorläufigen Bescheinigung der für diese Entscheidungen zuständigen Dienststellen getroffen worden ist, es sei denn, dass der behinderte Mensch ein Interesse an anderweitiger Feststellung nach § 152 Abs. 1 SGB IX glaubhaft macht. Die Feststellung in den betreffenden anderen Entscheidungen gilt zugleich als Feststellung des GdB. Bei einer solchen Feststellung insbesondere etwa in einem Rentenbescheid der Gesetzlichen Unfallversicherung mit Angabe einer konkreten Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) kann somit auf eine eigenständige Feststellung des GdB durch die Versorgungsverwaltung verzichtet werden und ggf. direkt ein Behindertenausweis nach § 152 Abs. 5 SGB IX auf der Grundlage der bereits vorhandenen Feststellung ausgestellt werden.
Im vorliegenden Fall kann insbesondere dem klägerseits wiederholt vorgelegten Rentenbescheid vom 20.01.1994 keine Feststellung i.S.d. § 152 Abs. 2 Satz 1 SGB IX entnommen werden. Der Bescheid betrifft eine Rente der Klägerin wegen Berufsunfähigkeit, wobei der Eintritt des Versicherungsfalles auf den 01.03.1989 datiert wurde. Die Berufsunfähigkeit wird allerdings – anders als die MdE im Recht der Gesetzlichen Unfallversicherung – gerade nicht in mit einem GdB vergleichbaren Graden angegeben. Bescheiden der Rentenversicherung über Renten wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit kann daher keine Bindungswirkung i.S.d. § 152 Abs. 2 SGB IX zukommen (vgl. auch BSG, Beschluss vom 08.08.2001 – B 9 SB 5/01 B – juris Rn. 5; Palsherm in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB IX, § 152 Rn. 38). Erforderlich ist in diesen Fällen vielmehr eine eigenständige Feststellung des GdB gemäß § 152 Abs. 1 SGB IX durch die Versorgungsverwaltung.
Auch der Bezug einer Altersrente für schwerbehinderte Menschen, auf den die Klägerin etwa in ihrem Schreiben vom 17.01.2020 unter Vorlage eines Neuberechnungsbescheides der Deutschen Rentenversicherung Bund vom 10.01.2020 hingewiesen hat, lässt nicht den Schluss auf einen bestimmten GdB oder gar das Vorliegen von Merkzeichen zu. Anspruch auf eine Altersrente für schwerbehinderte Menschen haben nach § 236a Abs. 3 SGB VI auch Versicherte, die vor dem 01.01.1951 geboren sind sowie die betreffende Altersgrenze und Wartezeit erfüllt haben, wenn sie bei Beginn der Altersrente berufsunfähig oder erwerbsunfähig nach dem am 31.12.2000 geltenden Recht sind. In diesen Fällen kann daher eine Altersrente für schwerbehinderte Menschen auch ohne anerkannte Schwerbehinderung bezogen werden. Die Klägerin ist vor 1951 – nämlich im Jahr 1943 – geboren und bezog ausweislich des Rentenbescheides der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte vom 20.01.1994 eine Berufsunfähigkeitsrente aufgrund einer bereits am 01.03.1989 eingetretenen Berufsunfähigkeit. Daher lässt der spätere Bezug einer Altersrente für schwerbehinderte Menschen hier auch keinen Schluss auf das Vorliegen einer dem GdB nach § 152 Abs. 2 SGB IX entsprechende Feststellung zu. Vielmehr hat die Klägerin selbst in ihrem vormals am 06.07.2018 – also bereits deutlich nach Erreichen der Regelaltersgrenze – ausgefüllten Antragsformular gegenüber dem Landratsamt L1 angegeben, dass weder eine GdB- oder GdS-Feststellung durch ein Versorgungsamt/Landratsamt, eine andere Verwaltungsbehörde oder ein Gericht noch eine MdE-Feststellung durch eine Berufsgenossenschaft erfolgt ist.
Auch hinsichtlich der begehrten Merkzeichen G und H ist die Leistungsklage auf schlichte Ausstellung eines entsprechenden Behindertenausweises unbegründet, da hierauf zumindest bisher kein Anspruch besteht. Ein entsprechender Feststellungsbescheid liegt nicht vor, nachdem im Bescheid des Landratsamtes L1 vom 17.01.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.05.2019 lediglich ein GdB von 40 seit 17.07.2018 festgestellt wurde, eine Feststellung von Merkzeichen jedoch abgelehnt wurde. Auch im Erstfeststellungsbescheid vom 22.05.1996 unter Feststellung eines GdB von 30 seit 13.03.1995 wurden keine Merkzeichen festgestellt. Eine Ausstellung auf der Grundlage des § 152 Abs. 2 SGB IV scheidet schon aus systematischen Gründen aus, da die Norm ausdrücklich auf § 152 Abs. 1 SGB IX verweist, nicht jedoch auf den die Feststellung von Merkzeichen regelnden § 152 Abs. 4 SGB IX.
5. Bezüglich des Begehrens auf Verurteilung des Beklagten zur Feststellung eines höheren GdB sowie der Merkzeichen G und H ist die Berufung ebenfalls unbegründet, da die Klage bereits unzulässig ist. Die Feststellung des GdB nach § 152 Abs. 1 SGB IX durch den Beklagten ergeht durch Verwaltungsakt. Entsprechendes gilt für die Feststellung gesundheitlicher Merkmale als Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen nach § 152 Abs. 4 SGB IX (sog. Merkzeichen). Eine Verpflichtungsklage auf den Erlass eines Verwaltungsaktes ist nach § 54 Abs. 1 Satz SGG stets mit einer Anfechtungsklage verbunden. Sie setzt daher voraus, dass ein anfechtbarer Verwaltungsakt vorliegt, mit welchem die Behörde gegenüber dem Betroffenen über das Begehren entschieden und den Erlass des begehrten Verwaltungsaktes – zumindest teilweise – abgelehnt hat (vgl. Keller in: Meyer-Ladewig u.a., SGG-Kommentar, 14. Aufl., § 54 Rn. 21).
Im vorliegenden Fall ist bei der Klägerin zuletzt mit Bescheid vom 17.01.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.05.2019 ein GdB von 40 festgestellt worden. Eine Klage gegen diesen Widerspruchsbescheid ist nicht erhoben worden und wäre nach deutlicher Überschreitung der einmonatigen Klagefrist gemäß § 87 Abs. 1 Satz 1 SGG auch nicht mehr zulässig. In der Folge ist ein weiterer Verwaltungsakt über die Feststellung des GdB, der Gegenstand einer Klage sein könnte, nicht mehr ergangen. Insbesondere über den Antrag der Klägerin vom 22.03.2023 ist ebenso wie bereits über den seitens des Landratsamtes offensichtlich als bloßes Ausstellungsbegehren gewerteten Antrag vom 02.01.2020 und den Antrag vom 20.08.2020 kein Verwaltungsakt ergangen, sodass eine (isolierte) Verpflichtungsklage auf Verurteilung des Beklagten zur Feststellung eines höheren GdB sowie der Merkzeichen G und H unzulässig ist.
6. Hat die Behörde über einen Antrag auf Erlass eines Verwaltungsaktes nicht entschieden, kann gerichtlich ein Bescheidungsinteresse im Wege der Untätigkeitsklage nach § 88 SGG durchgesetzt werden. Hierauf ist vorliegend der zweite Hilfsantrag gerichtet. Diesbezüglich ist die Berufung der Klägerin begründet, denn die Untätigkeitsklage nach § 88 SGG ist zulässig und begründet.
Ist ein Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsakts ohne zureichenden Grund in angemessener Frist sachlich nicht beschieden worden, so ist nach § 88 Abs. 1 Satz 1 SGG die Klage nicht vor Ablauf von 6 Monaten seit dem Antrag auf Vornahme des Verwaltungsakts zulässig. Liegt ein zureichender Grund dafür vor, dass der beantragte Verwaltungsakt noch nicht erlassen ist, so setzt das Gericht das Verfahren bis zum Ablauf einer von ihm bestimmten Frist aus, die verlängert werden kann.
Im vorliegenden Fall stellte die Klägerin bei sachdienlicher Auslegung nach obenstehenden Ausführungen bereits am 20.01.2020 einen Antrag auf Feststellung eines höheren GdB. Diesen wertete das Landratsamt L1 angesichts des Hinweises auf das Bestehen eines GdB von 50 als Voraussetzung für die Ausstellung eines Behindertenausweises und angesichts des Verweises auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid vom 20.05.2019 offensichtlich als reines Ausstellungsbegehren, über welches nicht durch Verwaltungsakt entschieden wurde. Ebenfalls nicht entschieden wurde über den weiteren Antrag vom 20.08.2020 auf Feststellung eines höheren GdB. Vielmehr findet sich diesbezüglich lediglich eine „Bestandsanzeige“ in den Verwaltungsakten, wonach der Antrag am 02.12.2020 mit der Bemerkung „kein formloser Antrag“ als erledigt betrachtet wurde. Schließlich liegt auch über den Antrag vom 22.03.2023 auf Feststellung eines höheren GdB sowie der Merkzeichen G und H bisher kein Verwaltungsakt vor. Mit Schreiben vom 03.12.2024 hat der Beklagte nochmals mitgeteilt, dass nach Auskunft des zuständigen Landratsamtes kein weiterer Bescheid erteilt worden ist. Alle drei Anträge haben im Zeitpunkt der Klageerhebung vom 22.05.2024 bereits mehr als 6 Monate zurückgelegen. Über die auf Vornahme eines Verwaltungsaktes (nämlich zur Feststellung eines höheren GdB bzw. der Merkzeichen G und H) gerichteten Anträge wurde nicht in angemessener Frist entschieden, ohne dass hierfür ein zureichender Grund vorgelegen hätte.
Die Anträge haben sich nicht auf andere Weise erledigt, insbesondere sind sie nicht zurückgenommen worden. Dass die Klägerin sich in der Folge des Antrags vom 22.03.2023 geweigert hat, ein ausgefülltes Antragsformular vorzulegen, kann ebenso wenig als Antragsrücknahme gewertet werden wie die Verweigerung einer Entbindungserklärung von der ärztlichen Schweigepflicht oder eine Ablehnung der Interpretation von Befunden durch Sachbearbeiter des Landratsamtes oder Ärzte des Gesundheitsamtes. Ausweislich des betreffenden Vermerks wurde die Klägerin etwa im Telefonat vom 20.07.2023 von den Mitarbeiterinnen des Versorgungsamts um Vorlage des ausgefüllten Antrags gebeten, wohingegen die Klägerin äußerte, es sei nirgends geregelt, dass ein solcher Antrag benötigt werde, und es könne ja das Antragsformular zum Impfschaden kopiert werden. Hierdurch mag die Klägerin die gebotene Mitwirkung für eine fundierte Sachentscheidung des Versorgungsamtes verweigert haben. Eine Antragsrücknahme ist darin jedoch nicht zu sehen, und eine Entscheidung des Versorgungsamtes über den Antrag ist damit auch nicht hinfällig. Vielmehr ist in §§ 60, 66 SGB I ein Vorgehen der Behörde bei unzureichender Mitwirkung des Betroffenen geregelt, welches ggf. zu einem Versagungsbescheid führen kann. Dies hat das Versorgungsamt spätestens mit der internen E-Mail vom 22.02.2024 auch durchaus erkannt. Gleichwohl ist in der Folge keine entsprechende Anhörung oder gar Entscheidung ersichtlich, und auch auf das Hinweisschreiben vom 01.10.2024 im Berufungsverfahren ist beklagtenseits mitgeteilt worden, dass nach Auskunft des zuständigen Landratsamtes kein weiterer Bescheid erteilt worden ist. Vielmehr findet sich auf der eingescannten E-Mail vom 22.02.2024 lediglich ein handschriftlicher Vermerk vom 05.03.2024, dass die Klägerin bei Verweigerung der Antragstellung den Rechtsweg beschreiten müsse. Ein zureichender Grund für die Nichtbescheidung der Anträge vom 20.01.2020, 20.08.2020 sowie vom 22.03.2023 liegt somit nicht vor.
7. Soweit die Klägerin im Schreiben vom 27.11.2024 angegeben hat, eine mündliche Verhandlung erfordere die Anwesenheit und Zeugenvernehmung des Richters des SG, des Landrats und des Regierungspräsidenten, handelt es sich um eine Beweisanregung, welcher der Senat jedoch nicht folgt. Ein für das vorliegende Verfahren relevantes Beweisthema bei einer Vernehmung der betreffenden Personen ist weder von der Klägerin vorgetragen noch sonst ersichtlich.
8. Zusammenfassend ist die Untätigkeitsklage im zweiten Hilfsantrag der Klägerin erfolgreich und der Beklagte war zu verurteilen, über die Anträge der Klägerin vom 20.01.2020, 20.08.2020 sowie vom 22.03.2023 auf Neufeststellung des GdB sowie Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen der Merkzeichen G und H zu entscheiden. Im Übrigen war die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht erfüllt sind.