L 4 KA 21/21

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Marburg (HES)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
S 12 KA 116/19
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 4 KA 21/21
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 6 KA 24/23 B
Datum
Kategorie
Urteil


Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Marburg vom 6. April 2021 wird zurückgewiesen. 

Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen einschließlich der Kosten der Berufung der Beigeladenen zu 1. zu tragen. Weitere Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.


Tatbestand

Die Beteiligten streiten um eine Entziehung der vertragsärztlichen Zulassung wegen gröblicher Verletzung der vertragsärztlichen Pflichten. 

Der Kläger ist als Facharzt für Allgemeinmedizin seit 1. April 2004 zur vertragsärztlichen Versorgung mit Praxissitz in A-Stadt zugelassen. Seit dem 1. September 2008 ist er mit Herrn C., Facharzt für Innere Medizin im hausärztlichen Versorgungsbereich, in einer Berufsausübungsgemeinschaft (BAG) tätig.

Die Beigeladene zu 1) setzte aufgrund implausibler Abrechnung in den Quartalen I bis III/08 in Bezug auf die Tätigkeit in einer Einzelpraxis gegen den Kläger eine Honorarrückforderung in Höhe von 70.813,85 € fest. Das Sozialgericht hob mit Urteil vom 21. Juli 2017 – S 16 KA 446/14 – die Honorarrückforderung durch Bescheid vom 3. Mai 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. September 2014 für das Quartal II/08 (25.567,50 €) auf und wies im Übrigen die Klage ab; auf die hiergegen erhobene Berufung der dortigen Beklagten – L 4 KA 46/17 – wurde mit Senatsurteil vom 21. März 2021 das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 21. Juli 2017 dahingehend abgeändert, dass die Klage insgesamt abgewiesen wurde; die Berufung des Klägers wurde zurückgewiesen.

Die Beigeladene zu 1) setzte für die Quartale IV/08 bis IV/10 in Bezug auf die Tätigkeit des Klägers im Ärztlichen Bereitschaftsdienst mit Bescheid vom 3. Mai 2012 eine weitere Honorarrückforderung in Höhe von 651.035,66 € fest, die sie mit Widerspruchsbescheid vom 1. Juli 2015 auf 320.921,98 € netto reduzierte. Das Sozialgericht wies mit Urteil vom 21. Juli 2017 – S 16 KA 362/15 – die Klage ab. Die hiergegen gerichtete Berufung des Klägers wurde zurückgewiesen (Senatsurteil vom 22. März 2023 – L 4 KA 47/17).

Die Beigeladene zu 1) setzte mit weiterem Bescheid vom 3. Mai 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 3. September 2014 aufgrund implausibler Abrechnung in den Quartalen I/09 bis IV/10 gegen die BAG des Klägers eine Honorarrückforderung in Höhe von 538.739,39 € fest. In der mündlichen Verhandlung zum Aktenzeichen S 16 KA 447/14 vor der 16. Kammer des SG Marburg verglichen sich die Beteiligten auf eine reduzierte Rückforderungssumme in Höhe von 363.044,04 €. Hintergrund war, dass die Beigeladene zu 1) einen Weiterbildungsassistenten nicht hinreichend berücksichtigt hatte. 

Weitere Verfahren sind im Senat anhängig. Die Klage gegen die Rückforderung gegenüber der BAG aus einer zeitbezogenen Plausibilitätsprüfung bezüglich der fünf Quartale I/11 bis I/12 in Höhe von 650.509,01 € wies das Sozialgericht mit Gerichtsbescheid vom 6. April 2021 - S 12 KA 119/18 – ab; die Berufung ist unter dem Aktenzeichen L 4 KA 22/21 anhängig. Über Rückforderungen gegenüber der BAG aus einer Plausibilitätsprüfung (Quartale II/12 bis III/13 – S 12 KA 314/19 bzw. L 4 KA 28/21) und Plausibilitätsprüfungen gegenüber dem Kläger (Quartale I/12 bis III/13 zwei Verfahren S 12 KA 315/19 und S 12 KA 316/19 bzw. L 4 KA 29/21 und L 4 KA 30/21) sind weitere Berufungen im Senat anhängig. Die Beigeladene zu 1) setzte aufgrund einer sachlich-rechnerischen Honorarberichtigung wegen implausibler Honorarabrechnungen in den Quartalen I/11 bis IV/11 in Bezug auf die Tätigkeit des Klägers im Ärztlichen Bereitschaftsdienst (ÄBD C-Stadt bzw. C-Stadt/D-Stadt/E-Stadt, ÄBD H-Stadt-West = B-Stadt und ÄBD A-Stadt) gegen den Kläger eine Honorarrückforderung in Höhe von 73.136,77 € fest. Die hiergegen erhobene Klage wies SG Marburg, Gerichtsbescheid vom 13. Februar 2019 – S 12 KA 601/17 – ab (Berufung anhängig unter L 4 KA 8/19). Schließlich betreffen weitere Berufungen – verbunden unter dem Aktenzeichen L 4 KA 9/19 – den Abzug von Betriebskostenanteilen im Rahmen des Notdienstes.

Die Beigeladene zu 1) beantragte mit Schreiben vom 24. November 2017 die Entziehung der Zulassung des Klägers wegen gröblicher Verletzung der vertragsärztlichen Pflicht. Zur Begründung wies sie auf die Plausibilitätsprüfungen bis zum Quartal IV/10 hin. Bei der Abrechnung in verschiedenen ÄBD-Zentralen in den Quartalen IV/08 bis IV/10 habe in allen ÄBD-Abrechnungen (den ÄBD-Zentralen in A-Stadt, F-Stadt, C-Stadt, H-Stadt, J-Stadt, G-Stadt und K-Stadt) vorsätzlicher Abrechnungsbetrug nachgewiesen werden können. Dies ergebe sich u. a. aus einer unter keinem Blickwinkel nachvollziehbaren Anzahl von Patienten, die sowohl in der BAG des Klägers, bezogen auf ihn selbst, als auch in den ÄBD-Zentralen behandelt und abgerechnet worden seien (sog. Patientenidentitäten). Auch sei eine implausible Anzahl von Patientenidentitäten zwischen und unter den einzelnen ÄBD-Zentralen festgestellt worden. In allen Quartalen habe sich der Befund ergeben, dass in vielen Fällen, in denen Patienten in mehreren ÄBD-Zentralen behandelt worden seien, das Einlesedatum der Versichertenkarte an lediglich einem bestimmten Tag stattgefunden habe, die abgerechneten Behandlungen in den unterschiedlichen ÄBD-Zentralen jedoch an verschiedenen Tagen. Weiter habe der Kläger eine Vielzahl von Abrechnungen für Daten vorgelegt, an denen er keinen oder in der betreffenden ÄBD-Zentrale keinen Dienst verrichtet habe. Weiterhin zeige eine Vielzahl von Abrechnungsfällen eine Diskrepanz zwischen Einlesedatum der Versichertenkarte und dem Diensttag in der entsprechenden ÄBD-Zentrale gemäß unterzeichneter Sammelerklärung. Ebenfalls seien in einer Vielzahl von Fällen Versichertenkarten von demselben Patienten in mehreren ÄBD-Zentralen, teilweise bis zu fünf ÄBD-Zentralen, eingelesen und abgerechnet worden. Nachdem sich im Quartal I/09 die Abrechnungsnummer für die ÄBD-Zentrale in K-Stadt geändert habe, seien vom Kläger daraufhin 392 Fälle kumulativ über beide Abrechnungsnummern abgerechnet worden. Darüber hinaus habe der Kläger in den Quartalen I bis IV/10 für eine Reihe von Patienten für den jeweils selben Behandlungstag jeweils zwei Behandlungsabrechnungen pro Patient angelegt und hierbei teilweise unterschiedliche Angaben zu den Praxisgebührbefreiungskennziffern gemacht. Aufgrund des sich aus den Abrechnungen ergebenden Anfangsverdachts sei das Verfahren an die Staatsanwaltschaft Frankfurt weitergeleitet worden. Zusammengefasst habe dem Kläger zu ihrer Überzeugung in allen Quartalen IV/08 bis IV/10 hinsichtlich sämtlicher genannter ÄBD-Zentralen vorsätzlicher Abrechnungsbetrug nachgewiesen werden können. Eine weitere Zusammenarbeit mit dem Kläger gefährde das System der vertragsärztlichen Versorgung und sei weder hinnehmbar noch zumutbar. 

Der Zulassungsausschuss für Ärzte bei der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen lud den Kläger unter Datum vom 20. April 2018 zu einer mündlichen Verhandlung am 8. Mai 2018.

Der Kläger führte mit Schriftsatz seiner Prozessbevollmächtigten vom 27. April 2018 aus, aufgrund der Berufungseinlegung oder des Vergleichs sei keines der von der Beigeladenen zu 1) angeführten Gerichtsurteile in Rechtskraft erwachsen. Die behaupteten Pflichtverletzungen lägen inzwischen rund zehn oder auch über acht Jahre zurück. Die Urteilsgründe der 16. Kammer des Sozialgerichts Marburg gingen nicht von Vorsatz, sondern lediglich von grober Fahrlässigkeit aus. Zu den Ausführungen der Beigeladenen zu 1) in dem Widerspruchsbescheid vom 03. September 2014, welcher seine Tätigkeit in der BAG in den Quartalen IV/08 bis IV/10 betreffe, verweise er auf seine Klagebegründung. In objektiver Hinsicht lägen tatsächlich einige Abrechnungsfehler vor, die er eingeräumt habe. Er habe keine wie auch immer gearteten Abrechnungsmuster zur Vermehrung seiner Fallzahlen verwendet. Die hohen Fallzahlen im ÄBD beruhten auf der Vielzahl seiner Dienste. Die festgestellten unrichtigen Abrechnungen seien nicht durch grob fahrlässiges Fehlverhalten zustande gekommen, sondern beruhten auf schlichtem Versehen, was vor dem Hintergrund der schier unfassbaren Behandlungsfrequenz mit der damit einhergehenden physischen und psychischen Belastung gut nachvollziehbar erscheine. Dies habe das Sozialgericht Marburg in seinem Urteil zum Verhalten im ÄBD nicht ausreichend gewürdigt. Er habe die Honorarrückforderungen schon seit langem vollständig zurückgezahlt und sich frühzeitig auf eine Tilgungsvereinbarung zur Rückzahlung der geforderten Beträge geeinigt. Er habe seit Bekanntwerden der Vorwürfe mit Plausibilitätsbescheiden vom 12. Mai 2012 dafür Sorge getragen, dass sich derartige Vorfälle nicht wiederholen könnten. 

An der mündlichen Verhandlung des Zulassungsausschusses nahmen weder der Kläger noch sein Prozessbevollmächtigter teil. 

Der Zulassungsausschuss entzog mit Beschluss vom 8. Mai 2018 dem Kläger die Zulassung gem. § 95 Abs. 6 Sozialgerichtsgesetz (SGG) i. V. m. § 27 Zulassungsverordnung für Vertragsärzte (Ärzte-ZV).

Hiergegen legte der Kläger am 9. Juli 2018 Widerspruch ein. Mit Schriftsatz seiner Prozessbevollmächtigten vom 8. November 2018 verwies er auf seine bisherigen Ausführungen und die fehlende Rechtskraft der Urteile. Von daher bestehe auch keine Schadenssumme von über einer Million Euro. Der Zulassungsausschuss habe sich nicht mit seinem Vorbringen auseinandergesetzt, insb. nicht mit seiner hohen Dienstfrequenz und der Belastung durch die Tätigkeit in der BAG. Aus Gründen der Verhältnismäßigkeit komme allein eine disziplinarische Maßnahme in Betracht. Auch müsse eine Bewährungszeit von fünf Jahren beachtet werden. 

Der Beklagte wies nach mündlicher Verhandlung, an der der Kläger teilnahm, mit Beschluss vom 19. Dezember 2018, ausgefertigt am 31. Januar 2019, den Widerspruch als unbegründet zurück. Zur Begründung verwies er auf die Begründung der Entscheidung des Zulassungsausschusses, welcher nach eigener Prüfung in jeder Hinsicht zu folgen sei. Ergänzend führte er aus, den Zulassungsgremien sei es unbenommen, einen Vergleichsabschluss zusammen mit dem ihm zugrundeliegenden Sachverhalt ggf. im Rahmen einer freien Beweiswürdigung bei der Entscheidung über eine Zulassungsentziehung zu berücksichtigen. Eine Verwertung von Erkenntnissen aus anderen Verfahren ohne bestandskräftige Entscheidungen sei möglich. Auf der Grundlage der tatbestandlichen Schilderungen in dem Widerspruchsbescheid, der letztendlich Gegenstand des zitierten gerichtlichen Vergleichs geworden sei, sowie der erstinstanzlichen gerichtlichen Entscheidungen in den Plausibilitätsverfahren, sei es für die Zulassungsgremien möglich, unter Einbeziehung der umfangreichen Stellungnahme des Klägers eine eigenständige Beweiswürdigung vorzunehmen und eine Entscheidung zu treffen. In der Gesamtschau der konkreten Vorwürfe sei die Erkenntnis zwingend, dass hier äußerst gravierende Falschabrechnungen erfolgt seien. Die Beigeladene zu 1) habe in ihren Honorarberichtigungsbescheiden eine in keiner Weise nachvollziehbare Anzahl von Identitäten verschiedener Patienten im Einzelnen benannt, die sowohl in der BAG des Klägers von ihm selbst wie auch in den ÄBD-Zentralen abgerechnet bzw. behandelt worden seien. Derselbe Vorgang habe für verschiedene einzelne ÄBD-Zentralen festgestellt werden können. Auch sei es wiederholt vorgekommen, dass der Kläger Abrechnungen für Tage vorgenommen habe, an welchen er keinen ÄBD-Dienst verrichtet habe. Ebenfalls sei das Einlesen einer Vielzahl von Versichertenkarten derselben Patienten in mehreren ÄBD-Zentralen festgestellt worden. Auch die in einer Vielzahl von Abrechnungsfällen festgestellte Diskrepanz zwischen Einlesedatum der Versichertenkarte und dem Tag, an welchem der Widerspruchsführer in der entsprechenden ÄBD-Zentrale Dienst gehabt habe, sei mit den Einlassungen des Klägers in keiner Weise vereinbar. Dies gelte auch für die Auffälligkeit, dass in einer Vielzahl von Fällen Versichertenkarten von denselben Patienten für Tätigkeiten in mehreren ÄBD-Zentralen eingelesen und abgerechnet worden seien. Für die Quartale I bis IV/08 würden Quartalsprofile für den Kläger mit Überschreitungen von 167:09 Stunden im Quartal I/08 und 259:35 Stunden im Quartal III/08 vorliegen. Diese Profilzeiten führten zu einer rechnerischen täglichen Arbeitszeit von 13:55 Stunden im Quartal I/08 und von 14:59 Stunden im Quartal III/08, wobei von einer 7-Tage-Woche ausgegangen werde. Die tägliche Arbeitszeit unter Bereinigung der Wochenendtätigkeiten liege damit rechnerisch bei 16:13 bzw. 17:57 Stunden. Die Zugrundelegung von Quartals- bzw. Tagesprofilen sei bei der Feststellung fehlerhafter Abrechnungen ebenso zulässig wie ein hierauf aufbauender Vorwurf gröblicher Pflichtverstöße. Das Sozialgericht Marburg habe in seiner Entscheidung S 16 KA 446/14 eine Vielzahl der geschilderten Vorwürfe im Rahmen seiner Feststellungen bestätigen können. Der Kläger räume die Vorwürfe jedenfalls teilweise ein. Soweit der Kläger sich in diesem Zusammenhang darauf berufe, dass er wegen seiner enormen Arbeitsbelastung die konkrete Abrechnung einer Helferin überlassen habe, auf deren Fehlverhalten letztendlich dann die Falschabrechnungen zurückzuführen seien, könne dem nicht gefolgt werden. Die Pflicht zur peinlich genauen Abrechnung umfasse auch die Verpflichtung, ggf. die Abrechnungen, die von Hilfskräften gefertigt würden, auf Korrektheit und Plausibilität zu überprüfen, was im Rahmen der jeweiligen Sammelerklärungen durch den jeweiligen Vertragsarzt zu bestätigen sei. Dies bedeute, dass der Vertragsarzt zur Überprüfung der Arbeit seiner Hilfskräfte verpflichtet sei. Angesichts der geschilderten Implausibilitäten hätte dem Kläger bei dieser geschuldeten Überprüfung der von Hilfskräften getätigten Abrechnungen die Fehlerhaftigkeit derselben ins Auge springen müssen. Unterstelle man hier, dass die Angaben des Klägers bezüglich des Einsatzes von Hilfskräften bei der Abrechnung zutreffend sein sollten, falle dem Kläger hier zumindest eine grobe Fahrlässigkeit bei der Überprüfung der Arbeit seiner Hilfskräfte zur Last. Der Kläger habe über mehrere Quartale hinweg unkorrekte Abrechnungen wiederholt eingereicht und bei den jeweiligen Abrechnungen den Grundsatz der Erforderlichkeit einer peinlich genauen Abrechnung massiv verletzt mit dem Ergebnis, dass erhebliche Honorarsummen zu Unrecht zur Abrechnung eingereicht worden seien. Für die Tätigkeit im Rahmen des ÄBD bestehe eine Honorarrückforderung in Höhe von 321.000 € für die Jahre 2009 und 2010. Ferner sei für die Tätigkeit des Klägers im Bereich seiner vertragsärztlichen Tätigkeit durch den Vergleich eine Rückforderungssumme in Höhe von 363.044,04 € einvernehmlich festgesetzt worden. Der entstandene Schaden betrage in der Mindestsumme weit mehr als eine halbe Million Euro. Damit stehe der objektive Tatbestand einer gröblichen Pflichtverletzung fest. Auf ein Verschulden komme es nicht an. Gleichwohl folge er der Auffassung des Sozialgerichts Marburg in seiner Entscheidung S 16 KA 446/14, dass hier mindestens grobe Fahrlässigkeit, wenn nicht Vorsatz anzunehmen sei. Dies folge aus dem bereits geschilderten Umfang des Schadens sowie der festgestellten Tagesprofile wie auch der Tatsache, dass die streitgegenständlichen Falschabrechnungen sich über zwölf Quartale hinweg zugetragen hätten. Sollten die fehlerhaften Abrechnungen darauf zurückzuführen sein, dass Hilfskräfte hierfür verantwortlich seien, liege nach den obigen Ausführungen mindestens ein massives Überwachungsverschulden vor, welches jedenfalls grobe Fahrlässigkeit impliziere. Auch von einer Verhältnismäßigkeit der Maßnahme könne ausgegangen werden. Auf eine Negativprognose für die Zukunft komme es nicht an. Angesichts des zumindest festzustellenden Schuldgrades und der Höhe des entstandenen Schadens sowie der Dauer der gröblichen Pflichtverletzung stehe auch kein milderes Mittel zur Verfügung, insb. nicht die Möglichkeit einer Anordnung des Ruhens der vertragsärztlichen Tätigkeit. Eine schlichte Disziplinierung sei nicht als ausreichend anzusehen. Die Erfüllung einer zivilrechtlich ohnehin gebotenen Verpflichtung zur Rückzahlung aufgrund eines zuvor begangenen Deliktes bewirke nicht, dass das zerstörte Vertrauensverhältnis wiederhergestellt sei. Vielmehr werde lediglich der entstandene Vermögensschaden ausgeglichen. Eine gröbliche Pflichtverletzung, die das Vertrauensverhältnis zu den vertragsärztlichen Institutionen so tiefgreifend und nachhaltig störe, dass ihnen eine weitere Zusammenarbeit mit dem Vertragsarzt nicht mehr zugemutet werden könne, werde nicht bereits durch eine bloß lange Zeitdauer relativiert werden. Die Plausibilitätsbescheide seien erst im Jahre 2012 erlassen worden und es hätten sich daraufhin mehrjährige rechtliche Auseinandersetzungen bezüglich deren Rechtmäßigkeit ergeben. Unter diesem Aspekt könne auch von einer Verwirkung keine Rede sein. Dem Kläger seien schwerwiegende gröbliche Pflichtverletzungen insbesondere in den Jahren 2008 bis 2010 vorzuwerfen. Diese Pflichtverletzungen hätten in fehlerhaften implausiblen Abrechnungen bestanden, die im Ergebnis dazu geführt hätten, dass der Kläger mindestens weitaus mehr als eine halbe Million Euro Honorar zu Unrecht abgerechnet habe. Dem Kläger sei im Zusammenhang mit diesen Falschabrechnungen auch mindestens grobe Fahrlässigkeit, wenn nicht Vorsatz vorzuwerfen. Hieraus resultiere eine tiefgreifende bis heute anhaltende Störung des Vertrauensverhältnisses der vertragsärztlichen Institutionen in den Kläger, die dessen dauerhafte Entfernung aus dem vertragsärztlichen System zwingend erforderlich mache. Mildere, den Kläger weniger belastende Maßnahmen stünden nicht zur Verfügung. Auch sei keine Verjährung eingetreten. 

Hiergegen hat der Kläger am 1. März 2019 Klage erhoben. Er hat erstinstanzlich vorgetragen, der Beklagte habe sich mit seinem Vorbringen im Rahmen der drei Plausibilitätsverfahren weder im Verwaltungsverfahren noch in den sich hieran anschließenden Klageverfahren in irgendeiner Weise inhaltlich auseinandergesetzt. Er habe eine unfassbar hohe Zahl an ÄBDen in vielen verschiedenen ÄBD-Zentralen abgeleistet und an den Grenzen seiner Belastbarkeit gearbeitet. Die von ihm durch diese Belastungen gelegentlich begangenen Fehler in der Abrechnung von ihm erbrachter ärztlicher Leistungen im ÄBD, die er im Grundsatz nicht bestritten habe, stellten zwar einen Verstoß gegen die Pflicht zu einer peinlich genauen Abrechnung dar. Zur Grundlage einer Zulassungsentziehung ließen sich diese Abrechnungsfehler jedoch nicht machen. Er habe sich keinen rechtswidrigen Vermögensvorteil zulasten der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen verschaffen wollen oder dies auch nur angestrebt. Bei einer derart hohen Fallzahl habe keine Veranlassung für eine künstliche Fallzahlvermehrung bestanden. Seine von dem Beklagten errechnete tägliche Arbeitszeit unter Bereinigung der Wochenendtätigkeiten von 16:13 bzw. 17:57 Stunden sei unrichtig und irreführend. Das Quartalsprofil von 780 Stunden beruhe nicht auf einer 7-, sondern auf einer 5-Tage-Woche. Die im EBM hinterlegten Prüfzeiten für das Quartalsprofil eigneten sich nicht für eine Berechnung von Überschreitungen im Tagesprofil. Die 16. Kammer des Sozialgerichts Marburg komme in ihrem Urteil vom 21. Juli 2017 – S 16 KA 446/14 – zu dem Ergebnis, dass es sich bei den Abrechnungsverstößen um ein grob fahrlässiges und nicht ein vorsätzliches Verhalten gehandelt habe. Es habe einen zusätzlichen Nachweis für eine mindestens grob fahrlässige Fehlabrechnung für notwendig gehalten. Die Fehlerhaftigkeit seiner Abrechnungen, die nur einen verschwindend geringen Anteil aller abgerechneten ärztlichen Leistungen betreffe, sei ihm in nicht vorwerfbarer Weise erst mit dem Zugang der Plausibilitätsbescheide Anfang Mai 2012 bekannt geworden. Hieraus habe er auch sofort die entsprechenden Konsequenzen mit der Folge gezogen, dass sich derartige Abrechnungsfehler nicht mehr wiederholt hätten. Außer der vergleichsweise vereinbarten Rückforderung von 363.044,04 € seien die übrigen Rückforderungen Gegenstand eines gerichtlichen Verfahrens. Von einer feststehenden Rückforderungssumme in Höhe von über einer halben Million Euro könne daher nicht gesprochen werden. Der Beklagte sei in keine nachvollziehbare Verhältnismäßigkeitsprüfung eingetreten. Er habe Schadenswiedergutmachung in voller Höhe geleistet und habe sich dieser zu keinem Zeitpunkt entgegengestellt. Er habe sich bis zum Beschluss vom 19. Dezember 2018 über einen Zeitraum von 8 Jahren (2011-2018) nichts mehr zu Schulden kommen lassen. Diese lange Wohlverhaltensperiode hätte der Beklagte bereits berücksichtigen müssen. Gegebenenfalls reichten disziplinarische Maßnahmen aus. Die Generalstaatsanwaltschaft in Frankfurt habe das von der Beigeladenen zu 1) mit Strafanzeige vorn 10. April 2012 gegen ihn geführte Ermittlungsverfahren mit Nachricht vom 18. März 2020 nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt. Aus welchen Gründen der Beklagte aus einem gerichtlich geschlossenen Vergleich die Schlussfolgerung ableiten wolle, dass er mit dem Vergleichsschluss einen Schaden der Versichertengemeinschaft in der in dem Vergleich genannten Größenordnung zugestanden hätte, erschließe sich nicht. Der damalige Vergleichsschluss habe aus nachvollziehbaren Gründen lediglich ein für ihn belastendes Verfahren beenden sollen. Bei dem Vorwurf der gröblichen Verletzung vertragsärztlicher Pflichten handle es sich um eine Gesamtwürdigung des Fehlverhaltens. Eine Verletzung vertragsärztlicher Pflichten sei bei vorsätzlicher Begehungsweise sicher zu einem erheblich früheren Zeitpunkt als gröblich zu bezeichnen, als wenn der Vertragsarzt lediglich versehentliche (nicht schuldhafte) vertragsärztliche Pflichtverletzungen begangen habe. 

Der Beklagte hat auf seine Ausführungen im angefochtenen Bescheid verwiesen und ergänzend vorgetragen, der Vergleich über die 363.044,04 € habe eine indizierende Wirkung dahingehend, dass der Kläger mit diesem Vergleichsabschluss zugestanden habe, fehlerhafte Abrechnungen eingereicht zu haben, die zu einem Schaden mindestens in Höhe der Vergleichssumme geführt hätten. Mithin könne bereits hieraus auf einen Schaden in dieser Größenordnung geschlossen werden. Er habe in seinem Bescheid lediglich die zutreffende Berechnung des Sozialgerichts Marburg zu den Tagesprofilen übernommen. Das Gericht sei lediglich aufgrund letzter Restzweifel beim Grad der groben Fahrlässigkeit geblieben. Auf Verschulden komme es im Übrigen nicht an. Allein der bereits durch den abgeschlossenen Vergleich abschließend und rechtskräftig festgestellte Schaden in Höhe der Rückforderungssumme von 363.044,04 € sei als Grundlage für einen Zulassungsentzug völlig ausreichend. Die Entziehung sei verhältnismäßig. Selbst unter der Annahme, dass die erhobenen Vorwürfe nur zu einem geringeren Teil zutreffend seien, sei davon auszugehen, dass der Kläger mindestens durch grob fahrlässiges Verhalten die erhebliche Vermögensschädigung der Kassenärztlichen Vereinigung, mittelbar der Versichertengemeinschaft, zu verantworten habe. Dies reiche für die Annahme einer Verhältnismäßigkeit der Zulassungsentziehung völlig aus, da den Institutionen der vertragsärztlichen Versorgung die weitere Zusammenarbeit mit dem Kläger nicht zugemutet werden könne. Die frühere Wohlverhaltensrechtsprechung habe das Bundessozialgericht ausdrücklich aufgegeben. Die Kassenärztliche Vereinigung sei auch gezwungen gewesen, zunächst den Ausgang der Plausibilitätsverfahren abzuwarten, die beim Sozialgericht Marburg anhängig gewesen seien. Verzögerungen im Klageverfahren seien dem Kläger anzulasten. Die Verfehlungen des Klägers seien, auch wenn sie nunmehr mehr als zehn Jahre zurücklägen, so schwerwiegend, dass nach wie vor davon auszugehen sei, dass den Institutionen des vertragsärztlichen Systems eine weitere Zusammenarbeit mit dem Kläger nicht zuzumuten sei. Aus der Einstellungsverfügung ergebe sich, dass die Einstellung des Ermittlungsverfahrens hinsichtlich der Abrechnungen des Klägers bis zum Quartal IV/14 wegen des zwischenzeitlich eingetretenen Verfahrenshindernisses der Verjährung erfolgt sei.

Das Sozialgericht hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 6. April 2021 abgewiesen. Die Klage sei unbegründet. Der angefochtene Bescheid (gemeint ist: Beschluss) vom 19. Dezember 2018 sei rechtmäßig und nicht aufzuheben. Rechtsgrundlage der Entziehung der vertragsärztlichen Zulassung wegen gröblicher Pflichtverletzung sei § 95 Abs. 6 SGB V i. V. m. § 27 Ärzte-ZV. Ergänzend zur Begründung im angefochtenen Bescheid des Beklagten weise die Kammer auf Folgendes hin: Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, von der abzuweichen die Kammer keine Veranlassung sehe, sei eine Pflichtverletzung gröblich, wenn sie so schwer wiege, dass ihretwegen die Entziehung zur Sicherung der vertragsärztlichen Versorgung notwendig sei. Davon sei dann auszugehen, wenn durch sie das Vertrauen der vertragsärztlichen Institutionen in die ordnungsgemäße Behandlung der Versicherten und in die Rechtmäßigkeit der Abrechnungen durch den Vertragsarzt so gestört sei, dass ihnen eine weitere Zusammenarbeit mit dem Vertragsarzt nicht mehr zugemutet werden könne. Nicht erforderlich sei, dass den Vertragsarzt ein Verschulden treffe; auch unverschuldete Pflichtverletzungen könnten zur Zulassungsentziehung führen (Hinweis u.a. auf BSG, Beschluss vom 25. November 2020 – B 6 KA 36/19 B – juris Rn. 13). Wegen der Schwere des Eingriffs sei die Entziehung selbst immer Ultima Ratio. Die Zulassungsentziehung dürfe unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur ausgesprochen werden, wenn sie das einzige Mittel zur Sicherung und zum Schutz der vertragsärztlichen Versorgung sei (Hinweis auf BSG, Urteil vom 24. November 1993 – 6 RKa 70/91 –, juris Rn. 23). Maßgeblicher Zeitpunkt für die rechtliche und tatsächliche Beurteilung nicht vollzogener Entziehungsentscheidungen sei der Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung (Hinweis auf BSG, Urteil vom 17. August 2011 – B 6 KA 18/11 B – juris Rn. 11; BSG, Urteil vom 20. Oktober 2004 – B 6 KA 67/03 R –, juris Rn. 20 ff.). Nach der Entscheidung des Berufungsausschusses liegende Umstände – wie eine Änderung des Verhaltens – können nur in einem Verfahren auf Wiederzulassung gewürdigt werden (Hinweis auf BSG, Urteil vom 17. Oktober 2012 – B 6 KA 49/11 R –, juris Rn. 24 ff.). Eine Zulassungsentziehung erfordere keine Negativprognose für das künftige Verhalten des Leistungserbringers im Sinne der Feststellung einer Wiederholungsgefahr, da § 95 Abs. 6 Satz 1 SGB V nicht auf die Steuerung künftigen Verhaltens ausgerichtet ist, sondern auf eine nachträgliche Reaktion auf ein in der Vergangenheit liegendes pflichtwidriges Verhalten (Hinweis auf BSG, Urteil vom 21. März 2012 – B 6 KA 22/11 R –, juris Rn. 56 ff.). Für Vertragsärzte gelte das Gebot peinlich genauer Abrechnung der zu vergütenden Leistungen. Leistungen dürften nicht abgerechnet werden, die der Arzt entweder nicht oder nicht vollständig oder – sofern sie sein Tätigwerden voraussetzen – nicht selbst erbracht habe. Dies sei nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts deshalb von so entscheidender Bedeutung, weil ordnungsgemäße Leistungserbringung und peinlich genaue Abrechnung lediglich in einem beschränkten Umfang der Überprüfung durch diejenigen zugänglich seien, die die Gewähr für die Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung zu tragen hätten, nämlich die Kassenärztliche Vereinigung und die Krankenkassen. Insbesondere die Verpflichtung zur peinlich genauen Abrechnung gehöre daher zu den Grundpflichten des Arztes (Hinweis u.a. auf BSG, Urteil vom 24. November 1993 – 6 RKa 70/91 –, juris Rn. 22). Mit der Abrechnungs- und Sammelerklärung (§ 16 Abs. 2 EKV-Z) garantiere der Kassen-/Vertragsarzt, dass die Angaben auf den von ihm eingereichten Behandlungsausweisen bzw. Datenträgern zuträfen. Wiederholt unkorrekte Abrechnungen könnten die Zulassungsentziehung rechtfertigen (Hinweis u.a. auf BSG, Urteil vom 24. November 1993 - 6 RKa 70//91, juris Rn. 36). Dem Beklagten stehe weder ein Ermessens- noch Beurteilungsspielraum zu. Begründungen könnten im Übrigen nachgeholt werden (§ 41 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 SGB X). Selbst eine unzutreffende Begründung führe nicht zur Aufhebung des Entziehungsbescheids (Hinweis auf BSG, Beschluss vom 11. September 2019 – B 6 KA 10/19 B – juris Rn. 9). Der Beklagte habe sich auch umfangreich mit dem Widerspruchsvorbringen auseinandergesetzt. Ferner treffe es zu, dass bereits Umfang und Ausmaß der inkorrekten Abrechnung, die zum abgeschlossenen Vergleich in Höhe der Rückforderungssumme von 363.044,04 € geführt hätten, die Zulassungsentziehung rechtfertigen würden. 

Der Kläger versuche mit seinem Vorbringen, die massiven Abrechnungsverstöße zu bagatellisieren. In dem klageabweisenden Urteil in Bezug auf die Tätigkeit des Klägers im ÄBD in den elf Quartalen IV/08 bis IV/10 weise die 16. Kammer des Sozialgerichts Marburg darauf hin, dass zur vollen Überzeugung der Kammer bereits mit den im Einzelnen ausführlich dargestellten Tatsachen der Indizienbeweis einer Implausibilität erbracht sei. Es handele sich nämlich um eine Häufung von Auffälligkeiten, die sich zu einem Großteil zwar isoliert für jeden Einzelfall durchaus sachgerecht erklären ließen, nicht aber in ihrer Häufung und zugleich in der Kumulation mit den jeweils anderen Auffälligkeiten. Hinzu komme, dass einzelne Auffälligkeiten keiner Erklärung zugänglich seien, die zur Annahme ordnungsgemäßer Leistungsabrechnung führten. Dies betreffe insb. die Leistungsabrechnung unter ÄBD-Zentralen, in denen der Kläger zum Behandlungstag keinen Dienst gehabt habe. Die über die streitgegenständlichen Quartale hervortretenden Abrechnungsmuster deuteten sehr stark auf ein planvolles und zielgerichtetes Vorgehen zur Erlangung eines rechtswidrigen Honorarzuwachses hin. Besonders auffällig werde dies an den Leistungsabrechnungen, bei denen der Kläger für denselben Behandlungstag Leistungen unter mehreren ÄBD-Zentralen angegeben habe, in denen er aber zum jeweiligen Datum keinen Dienst verrichtet habe (vgl. SG Marburg, Urteil vom 21. Juli 2017 – S 16 KA 362/15 –, Umdruck S. 32). Schließlich weise der Kläger das erforderliche Maß des Verschuldens, nämlich jedenfalls den Grad der groben Fahrlässigkeit auf. Die Kammer halte es für höchst wahrscheinlich, dass der Kläger seine Abrechnungen gegenüber der dortigen Beklagten unter Einsatz von krimineller Energie zielgerichtet und planvoll vorgenommen habe, um sich einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zulasten der Beklagten zu verschaffen. Es sei dem Kläger auf gründliches Befragen in der mündlichen Verhandlung nicht gelungen, diesen Eindruck zu zerstreuen, vielmehr habe er ihn noch verstärkt. Beispielsweise bei der Frage der Kammer, wie der von ihm bezeichnete „Fehlklick“ nicht lediglich zu einer einzigen Abrechnung unter der sodann falschen Abrechnungsnummer (z. B. ÄBD A-Stadt statt ÄBD F-Stadt), sondern zur Anlage kumulativer Abrechnungen habe führen können (im genannten Beispiel also ÄBD A-Stadt und ÄBD F-Stadt), sei er der Beantwortung durch ständige ausufernde Erzählweise ausgewichen. Auf konkretes Nachfragen habe er mehrfach die Rückfrage an das Gericht gerichtet, warum er denn das vorgeworfene Verhalten an den Tag hätte legen sollen (vgl. SG Marburg, Urteil vom 21. Juli 2017 – S 16 KA 362/15 – Umdruck S. 38). Der Beklagte habe in eigener Würdigung die Kürzungsmaßnahmen und die zu seinem Entscheidungszeitpunkt vorhandenen erstinstanzlichen Gerichtsentscheidungen gewürdigt. Die Kammer habe zwischenzeitlich die Honorarkürzung wegen implausibler Abrechnung in den Quartalen I/11 bis IV/11 in Bezug auf die Tätigkeit des Klägers im ÄBD in verschiedenen ÄBD-Bereichen in Höhe von 73.136,77 € bestätigt. Die Zulassungsgremien und Gerichte könnten sich bei einer Zulassungsentziehung wegen gröblicher Pflichtverletzung auf bestandskräftige und nicht bestandskräftige Honorarberichtigungsbescheide berufen, ohne in eine detaillierte Prüfung einzutreten, jedenfalls dann, wenn es an der Offensichtlichkeit einer Rechtswidrigkeit der Bescheide oder an einem substantiierten Vorbringen des Vertragsarztes fehle. Auf die Einstellung der staatsanwaltlichen Ermittlungen, die jedenfalls bzgl. der Quartale bis III/13 aus Gründen der Verjährung erfolgt seien, komme es nicht an. Staatsanwaltliche und polizeiliche Ermittlungsergebnisse könnten von den Zulassungsgremien bei einer eigenen Beweiswürdigung herangezogen werden. Staatsanwaltliche Ermittlungen könnten zwar nicht, wie rechtskräftige Urteile oder ein Strafbefehl, präjudizielle Wirkung entfalten, sie könnten aber Grundlage der eigenen Bewertung durch die Zulassungsgremien sein (Hinweis u.a. auf BSG, Urteil vom 21. März 2018 – B 6 KA 47/16 R –, juris Rn. 27; Pawlita in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 4. Aufl., § 95 SGB V <Stand: 18. Januar 2021>, Rn. 1176). Eine Zulassungsentziehung erforderte keine Negativprognose für das künftige Verhalten des Leistungserbringers im Sinne der Feststellung einer Wiederholungsgefahr, da § 95 Abs. 6 Satz 1 SGB V nicht auf die Steuerung künftigen Verhaltens ausgerichtet sei, sondern auf eine nachträgliche Reaktion auf ein in der Vergangenheit liegendes pflichtwidriges Verhalten. Eine Prüfung des Wohlverhaltens finde nach der neueren Rechtsprechung des Bundessozialgerichts im Verfahren über die Zulassungsentziehung nicht mehr statt (Hinweis u.a. auf BSG, Urteil vom 17. Oktober 2012 – B 6 KA 49/11 R –, juris Rn. 53 ff.). Bis zur Entscheidung des Berufungsausschusses habe der Kläger aber seine Eignung zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Tätigkeit durch verändertes Verhalten nicht wiederhergestellt. Die bereits erfolgte Zahlung der Honorarrückforderungen folge aus den gesetzlichen Regelungen, da Widerspruch und Klage gegen Berichtigungsbescheide keine aufschiebende Wirkung hätten. Im Übrigen habe der Kläger zunächst versucht, bzgl. der Honorarkürzungen für die Quartale IV/08 bis IV/10 die aufschiebende Wirkung der Widersprüche im Wege einer einstweiligen Anordnung zu erwirken, was die Kammer mit Beschluss vom 24. Mai 2012 – S 12 KA 217/12 ER u. a. – abgelehnt habe und im Beschwerdeverfahren zu einer vergleichsweisen Einigung mit der Beigeladenen zu 1) bzgl. eines Einbehalts und laufender Zahlungen bzw. Einbehalte geführt habe. Es sei nicht ersichtlich, dass der Kläger an der Aufklärung des tatsächlichen Behandlungsverhaltens und des entstandenen Schadens mitgewirkt hätte. Darauf wiesen auch die bereits oben zitierten Ausführungen der 16. Kammer hin. 

Der Gerichtsbescheid ist dem Kläger am 14. April 2021 zugestellt worden. Die hiergegen gerichtete Berufung des Klägers ist am 12. Mai 2021 bei dem Hessischen Landessozialgericht eingegangen.

Der Kläger wiederholt und vertieft seinen Vortrag zur außerordentlichen Arbeitsintensität in Bezug auf die Fallzahlen im ÄBD an den Grenzen seiner Belastbarkeit. Die unbestritten nicht unerheblichen Regelverstöße hinsichtlich der peinlich genauen Abrechnung müssten vor dem Hintergrund dieser extensiven Tätigkeit des Klägers anders eingeordnet werden als bei sonstigen vergleichbaren Plausibilitätsverfahren, die zur Grundlage einer Zulassungsentziehung eines Leistungserbringers gemacht werden sollten. Entgegen den Ausführungen des Sozialgerichts zum Beurteilungsspielraum und zum Begründungserfordernis sei die Würdigung des Vorbringens des Klägers im Rahmen des Zulassungsentziehungsverfahrens für die Beurteilung, ob es sich bei der Zulassungsentziehung um die einzig mögliche Maßnahme handele, unerlässlich. Hinsichtlich der vom Sozialgericht geäußerten Rechtsauffassung zur Prüfung des Wohlverhaltens sei darauf hinzuweisen, dass die sehr lange Wohlverhaltensperiode vor Dezember 2018 in den Blick zu nehmen sei. Der Kläger sei seit 1. Januar 2011 beanstandungsfrei vertragsärztlich tätig gewesen. In Verfahren der Wiederzulassung habe sich eine Bewährungszeit von fünf Jahren beanstandungsfreier Tätigkeit etabliert. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebiete es, Pflichtverletzungen, die länger als die übliche Bewährungszeit von 5 Jahren zurücklägen, nur noch dann zur Grundlage einer Zulassungsentziehung zu machen, wenn sie besonders gravierend seien oder wenn sie aus anderen Gründen fortwirkten (Hinweis auf BSG, Beschluss vom 2. April 2014 – B 6 KA 58/13). Der erkennende Senat gehe davon aus, dass es bei Pflichtverstößen, die länger als 9 Jahre zurücklägen, nicht mehr darauf ankomme, ob diese zutreffend gewesen seien oder nicht (Hinweis auf Senatsentscheidung vom 25. April 2007 – L 4 KA 28/05). Vor diesem Hintergrund müssten die vorgeworfenen Auffälligkeiten bis einschließlich des Quartals IV/2009 zurücktreten. Dem könne nicht entgegengehalten werden, dass sich der Kläger gegen die dem vorliegenden Verfahren zu Grunde liegenden Plausibilitätsbescheide vom Mai 2012 mit rechtlichen Mitteln zur Wehr gesetzt habe. Die Verfahren hätten zur Folge gehabt, dass die Honorarrückforderungssumme um über die Hälfte des ursprünglichen Betrages gesenkt worden sei. Dies könne dem Kläger nicht entgegengehalten werden. Der Kläger habe nie bestritten, im Rahmen der Abrechnungen Abrechnungsfehler begangen zu haben, die aus einer mangelnden Aufsicht über die die Abrechnung erstellenden Arzthelferin resultiert habe. Der Kläger habe den verbleibenden Schaden vollständig zum Ausgleich gebracht, so schnell seine wirtschaftlichen Möglichkeiten dies erlaubt hätten. Die fehlende aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Klage schmälerten dies nicht. Die Hinweise des Sozialgerichts auf das damalige Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes seien irreführend. Wegen des Missverhältnisses zu den vorherigen Einnahmen aus dem Bereitschaftsdienst habe das Landessozialgerichts auf einen Vergleich hingewirkt.

Die dem hiesigen Verfahren zu Grunde liegenden Plausibilitätsbescheide der Beigeladenen datierten vom 3. Mai 2012. Es sei nicht nachvollziehbar, warum erst fünfeinhalb Jahre nach Erlass des entsprechenden Erstbescheides ein Antrag auf Entziehung der vertragsärztlichen Zulassung gestellt worden sei. Aus dem zeitlichen Ablauf könne nur der Schluss gezogen werden, dass die Beigeladene die Pflichtverstöße des Klägers über einen langen Zeitraum als nicht so schwerwiegend eingestuft habe, um einen Antrag auf Entzug der vertragsärztlichen Zulassung zu stellen. Nach alledem sei unter Abwägung der für und gegen den Kläger sprechenden Umstände nicht von einer so nachhaltigen Störung des Vertrauensverhältnisses zu den vertragsärztlichen Institutionen auszugehen, dass Ihnen eine Zusammenarbeit mit dem Kläger nicht mehr zugemutet werden könne und somit die Zulassungsentziehung die einzige und gebotene Maßnahme sei. Vielmehr sei zu bedenken, dass die Entscheidung die wirtschaftliche Existenz des Klägers für unabsehbare Zeit zerstören werde. Wenn man nunmehr trotz der seit langem bestehenden beanstandungsfreien Tätigkeit noch eine Reaktion der Aufsichtsbehörden für notwendig hielte, so wäre der Beschluss des Beklagten aufzuheben. Es bestünde dann die Möglichkeit, die Durchführung eines Disziplinarverfahrens gegen den Kläger zu beantragen.

Der Kläger beantragt, 
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Marburg vom 6. April 2021 und den Beschluss des Beklagten vom 19. Dezember 2018 aufzuheben. 

Der Beklagte und die Beigeladene zu 1) beantragen,
die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Der Beklagte trägt vor, die gröblichen Pflichtverletzungen seien vom Kläger in den Jahren 2008 bis 2010 begangen worden. Zur Aufdeckung dieser Pflichtverletzungen, zur Ermittlung des Umfangs und der rechtsverbindlichen Feststellung des entstandenen Schadens seien umfangreiche Ermittlungen sowie eine Reihe rechtlicher Auseinandersetzungen erforderlich gewesen. Dies habe unabdingbar zu einem Zeitaufwand von mehreren Jahren geführt. Der Antrag auf Entziehung sei am 24. November 2017 gestellt worden. Die Zulassungsgremien hätten das Verfahren in zwei Instanzen mit der gebotenen Zügigkeit geführt, das behördliche Verfahren habe weniger als 13 Monate in Anspruch genommen. Die eingetretenen jahrelangen Verfahrensverzögerungen hätten meist auf den gesundheitlichen Problemen des Verfahrensbevollmächtigten des Klägers bzw. seiner Partnerin beruht. Hinsichtlich des Umstandes, dass das Bundessozialgericht seine sog. Wohlverhaltensrechtsprechung aufgegeben habe, sei allein die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung maßgeblich.

Der Kläger versuche nach wie vor, die massiven Abrechnungsverstöße zu bagatellisieren. Im Rahmen des ÄBD sei für die Jahre 2009 und 2010 eine Honorarrückforderung von 321.000 € entstanden. Für die vertragsärztliche Tätigkeit sei eine Rückforderungssumme von 363.044,04 € einvernehmlich festgesetzt worden. Angesichts dieser Schadenshöhe könne nicht von einer Bagatelle ausgegangen werden. Die Strafverfolgungsbehörden seien nicht von einer Geringfügigkeit ausgegangen. Aus der Einstellungsverfügung der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main ergebe sich, dass die Staatsanwaltschaft bis zum Quartal II/2015 Ermittlungen vorgenommen habe. Die Staatsanwaltschaft habe eingeräumt, dass aufgrund des Umfangs der Abrechnungen und der Komplexität des Sachverhalts einerseits sowie der während der Ermittlung noch anzutreffenden Unzulänglichkeiten bei der Sachverhaltsaufklärung durch Beauftragung von Sachverständigen nicht möglich gewesen sei, eine hinreichende und umfassende Klärung der strafrechtlichen Verantwortlichkeiten für die Quartale I/2008 bis IV/2010 herbeizuführen.

Auch mit dem Argument, dass die Zeit vom 1. Januar 2011 bis ein 31. Dezember 2018 beanstandungsfrei geblieben sei, könne der Kläger nicht gehört werden. Die Staatsanwaltschaft habe bis September 2015 ermittelt und die Ermittlungen nicht vollständig abschließen können. Hätte die Kassenärztliche Vereinigung zu einem früheren Zeitpunkt ein Antrag auf Entziehung der vertragsärztlichen Zulassung des Klägers gestellt, hätte dieser in honorarrechtlicher Hinsicht dahingehend argumentieren können, dass der Umfang der berechtigten Rückforderungen nicht rechtskräftig festgestellt sei, so dass die Dimension der ihm vorgeworfenen Pflichtverstöße noch gar nicht so deutlich geworden sei.

Hinsichtlich des Ergebnisses der mündlichen Verhandlung am 13. September 2023 wird auf den Inhalt des Protokolls verwiesen. Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.


Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung ist unbegründet, da die Klage zulässig, aber unbegründet ist.

Das Sozialgericht ist zutreffend von einer statthaften und im Übrigen zulässigen Anfechtungsklage ausgegangen, gerichtet allein gegen den Bescheid des Berufungsausschusses (vgl. BSG, Urteil vom 6. Februar 2008 – B 6 KA 40/06 R – juris Rn. 12).

Die Klage ist unbegründet.

Rechtsgrundlage der angefochtenen Entscheidung des Beklagten ist § 95 Abs. 6 Satz 1 SGB V. Danach ist einem Vertragsarzt die Zulassung unter anderem dann zu entziehen, wenn er seine vertragsärztlichen Pflichten gröblich verletzt. Eine Pflichtverletzung ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, der der Senat folgt, gröblich, wenn sie so schwer wiegt, dass ihretwegen die Entziehung zur Sicherung der vertragsärztlichen Versorgung notwendig ist (auch zum Folgenden BSG, Urteil vom 17. Oktober 2012 – B 4 KA 49/11 R –, juris Rn. 20 m.w.N.). Davon ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Beschluss vom 26. September 2016 – 1 BvR 1326/15 –, juris, Rn. 40) wie auch des Bundessozialgerichts auszugehen, wenn die gesetzliche Ordnung der vertragsärztlichen Versorgung durch das Verhalten des Arztes in erheblichem Maße verletzt wird und das Vertrauensverhältnis zu den vertragsärztlichen Institutionen tiefgreifend und nachhaltig gestört ist, sodass ihnen eine weitere Zusammenarbeit mit dem Vertragsarzt nicht mehr zugemutet werden kann. Bei der Auslegung ist den aus Art. 12 Abs. 1 Grundgesetz folgenden Grenzen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes Rechnung zu tragen; dabei dient es der Sicherung des gewichtigen Gemeinwohlbelangs der Funktionsfähigkeit der gesetzlichen Krankenversicherung, ausschließlich geeignete Ärzte zur vertragsärztlichen Versorgung zuzulassen (BVerfG a.a.O., Rn. 43). Die Zulassungsentziehung darf nur ausgesprochen werden, wenn sie das einzige Mittel zur Sicherung und zum Schutz der vertragsärztlichen Versorgung ist.

Nach § 27 Satz 1 Ärzte-ZV in der bis 10. Mai 2019 geltenden Fassung hat der Zulassungsausschuss von Amts wegen über die vollständige oder hälftige Entziehung der Zulassung zu beschließen, wenn die Voraussetzungen nach § 95 Abs. 6 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch gegeben sind. Die Kassenärztliche Vereinigung und die Landesverbände der Krankenkassen sowie die Ersatzkassen können die Entziehung der Zulassung beim Zulassungsausschuss unter Angabe der Gründe beantragen (§ 27 Satz 2 Ärzte-ZV a.F.).

Maßgeblicher Zeitpunkt der Sach- und Rechtslage ist der der Entscheidung durch den Berufungsausschuss (BSG, Urteil vom 17. Oktober 2012 – B 6 KA 49/11 R – juris, Rn. 24 ff., insbesondere 32 ff.).

Die angegriffene Entscheidung des Beklagten leidet an keinen formellen Mängeln. Soweit der Kläger mit der Berufung im Zusammenhang mit der Begründung der erstinstanzlichen Entscheidung zum fehlenden Ermessen und zum fehlenden Beurteilungsspielraum den erforderlichen Begründungsumfang thematisiert, ist die Rechtsauffassung des Sozialgerichts in Übereinstimmung mit dem Bundessozialgericht nicht zu beanstanden, dass nach § 42 Satz 1 SGB X die Aufhebung des Entziehungsbescheides nicht allein deshalb beansprucht werden kann, weil er unter Verletzung von Vorschriften über das Verfahren, die Form oder die örtliche Zuständigkeit zustande gekommen ist, wenn offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat; selbst wenn der Beklagte seine Entscheidung nicht zutreffend begründet hätte, würde das deshalb nicht die Aufhebung des Verwaltungsaktes zur Folge haben (BSG, Beschluss vom 11. September 2019 – B 6 KA 10/19 B –, Rn. 9 juris m.w.N.). Hiervon zu unterscheiden ist die Frage, ob die Begründung des Bescheids in hinreichender Weise die vorgeworfene Pflichtverletzung erkennen lässt. Dies ist eine Frage der Bestimmtheit nach § 33 Abs. 1 SGB X. Insoweit bestehen keine Zweifel an der hinreichenden Bestimmtheit, denn im streitgegenständlichen Bescheid wird auf Seite 2 bis 4 präzise auf die implausiblen Abrechnungen in den Quartalen I bis III/2008 sowie IV/2008 bis IV/2010 nebst der von der Beigeladenen zu 1) insoweit erlassenen Bescheide und schließlich auf die Überprüfung der Vorwürfe in den zwei sozialgerichtlichen Verfahren (zuletzt vor dem Senat unter den Aktenzeichen L 4 KA 46/17 und L 4 KA 47/17) verwiesen.

Die Entscheidung des Beklagten vom 19. Dezember 2018 erweist sich auch in materieller Hinsicht als rechtmäßig.

Der Kläger hat das Gebot peinlich genauer Abrechnung in besonders gröblicher Weise verletzt. 

Für die Frage der Gröblichkeit der Pflichtverletzung ist maßgeblich, welchen Stellenwert die verletzte Pflicht hat und wie schwer der Verstoß unter Berücksichtigung seiner Eigenart wiegt. Davon ist dann auszugehen, wenn durch sie das Vertrauen der vertragsärztlichen Institutionen in die ordnungsgemäße Behandlung der Versicherten und in die Rechtmäßigkeit der Abrechnungen durch den Vertragsarzt so gestört ist, dass ihnen eine weitere Zusammenarbeit mit dem Vertragsarzt nicht mehr zugemutet werden kann. Nicht erforderlich ist, dass den Vertragsarzt ein Verschulden trifft; auch unverschuldete Pflichtverletzungen können zur Zulassungsentziehung führen (vgl. u.a. BSG, Beschluss vom 25. November 2020 – B 6 KA 36/19 B – juris Rn. 13). Wegen der Schwere des Eingriffs ist die Entziehung selbst immer Ultima Ratio. Die Zulassungsentziehung darf unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur ausgesprochen werden, wenn sie das einzige Mittel zur Sicherung und zum Schutz der vertragsärztlichen Versorgung ist (vgl. BSG, Urteil vom 24. November 1993 – 6 RKa 70/91BSGE 73, 234 = SozR 3-2500 § 95 Nr. 4, juris Rn. 23). Vorrangig, aber nicht im Sinne eines gestuften Verfahrens, kommen Disziplinarmaßnahmen in Betracht; auch ist als milderes Mittel die Anordnung des Ruhens (vgl. 95 Abs. 5 SGB V) zu prüfen.

Eine für die Funktionsfähigkeit der vertragsärztlichen Versorgung grundlegende Pflicht von großem Gewicht ist insbesondere die Pflicht zur peinlich genauen Leistungsabrechnung. Denn das Abrechnungs- und Honorierungssystem der vertragsärztlichen Versorgung baut auf Vertrauen auf. Der Honorierung werden die Angaben der Leistungserbringer über die von ihnen erbrachten Leistungen zugrunde gelegt; eine Überprüfung erfolgt nur bei Auffälligkeit oder stichprobenweise. Da also bei der Honorierung die Angaben der Leistungserbringer grundsätzlich als zutreffend zugrunde gelegt werden, muss auf deren Richtigkeit vertraut werden können: Dies ist ein Fundament des Systems der vertragsärztlichen Versorgung (BSG, Urteil vom 21. März 2012 – B 6 KA 22/11 R –, SozR 4-2500 § 95 Nr. 24, juris Rn. 24 f.). Wiederholt unkorrekte Abrechnungen können die Zulassungsentziehung rechtfertigen (vgl. BSG, Urteil vom 24. November 1993 – 6 RKa 70/91BSGE 73, 234 = SozR 3-2500 § 95 Nr. 4, juris Rn. 36).

Der Zulassungsausschuss und der Beklagte mit seiner Bezugnahme auf den Sachverhalt im Verfahren vor dem Sozialgericht Marburg – S 16 KA 446/14 – haben die Gröblichkeit der Pflichtverletzung zutreffend zum einen mit dem der Implausibilität der Abrechnung in den Quartalen I/2008 bis III/2008 zugrunde liegenden Sachverhalt begründet, die der Honorarrückforderung nach Plausibilitätsprüfung durch die Beigeladene zu 1) in den Quartalen in Höhe von 45.246,35 € – so das Sozialgericht Marburg – bzw. 70.813,85 € – so die Beigeladene zu 1) bzw. der erkennende Senat – zur Folge hatte.

Der erkennende Senat hatte dies im Urteil vom 24. März 2021 – L 4 KA 46/17 – eingehend zu würdigen und macht sich die folgenden Feststellungen und rechtlichen Bewertungen aus diesem Urteil in der hier zur Entscheidung berufenen Besetzung nach erneuter Prüfung vollumfänglich zu Eigen:

„Die Beklagte stützt das Indiz der Implausibilität zutreffend auf folgende Überschreitungen:

Quartal Berechnung des QP für einen Arzt und einen WBA Zulässiges Quartalsprofil mit WBA Tatsächlich erreichtes Quartalsprofil Überschreitung des zulässigen Quartalsprofils in Stunden (in %)
I/08 780 + 195 Std. 975 Std. 1.142:09 167:09 Std. 
(17,14358974 %)
II/08 780 + 195 Std. 975 Std. 1.191:44 216:44 Std. (22,22905983 %)
III/08 (nur Juli, Aug.) 520 + 130 Std. 650 Std. 909:35 259:35 Std. 
(39,93589744 %)


Es liegen keine weiteren, nach § 12 Abs. 3 AbrechnPr-RL bedeutsamen Umstände vor, die dieses Indiz widerlegen. Insoweit wird mit den nachfolgenden Ergänzungen zum Quartal II/2008 und zum Berufungsvortrag auf die zutreffenden Ausführungen im angegriffenen Urteil, S. 18 bis 21 bzw. Bl. 227 ff. d.A., verwiesen.

Auch im Quartal II/2008 greifen die vom Sozialgericht zu den übrigen Quartalen gemachten Ausführungen, wonach die Überschreitungen sich nicht durch das Klägervorbringen erklären ließen.

Das Berufungsvorbringen des Klägers rechtfertigt keine andere Beurteilung. Zum Prüfungsmaßstab ist in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, dass auf der Ebene der Plausibilitätsprüfung Verschuldensfragen unbeachtlich sind, was möglicherweise in dem sozialgerichtlichen Urteil nach seinem Aufbau nicht hinreichend deutlich wird. Auch das Bundessozialgericht hat zuletzt mit Urteil vom 15. Mai 2019 – B 6 KA 63/17 R –, juris Rn. 31 einerseits und Rn. 33 andererseits darauf hingewiesen, dass im Rahmen der Plausibilitätsprüfung ein Verschulden bei der fehlerhaften Abrechnung irrelevant ist, indes beim Erlass des Bescheides über die sachlich-rechnerische Berichtigung die Reichweite der Aufhebbarkeit des Honorarbescheides durch den Grundsatz eröffnet wie begrenzt wird, dass die vollständige Neufestsetzung des Honorars im Wege einer pauschalierenden Schätzung nur dann eröffnet ist, wenn die Garantiefunktion der Abrechnungssammelerklärung und damit die Grundlage der Honorarfestsetzung durch zumindest eine grob fahrlässige Falschabrechnung weggefallen ist (dazu ausführlich unten). Beide Aspekte sind also strikt voneinander zu trennen.

Die Vertiefung seines Vorbringens zur effizienten Praxisorganisation und zur Versorgung von 100 bis über 200 Patientinnen und Patienten täglich vermag die Auffälligkeiten nicht zu erklären, da – wie das Sozialgericht – zutreffend ausgeführt hat die Prüfzeiten nur nicht delegierbare Zeiten darstellen. Soweit der Kläger in diesem Zusammenhang auf § 12 AbrechnPr-RL verweist, wird auf die obigen Ausführungen Bezug genommen. Die Angriffe auf die Stichprobenprüfungen erweisen sich als unsubstantiiert. Es wäre Sache des Klägers gewesen, nachzuweisen, dass sich seine Patientenstruktur so wesentlich von der Fachgruppe unterscheidet, dass z.B. atypische „Verdünner“, Patienten, die nur zur Rezeptabholung erscheinen usw. den Regelfall bilden. Insoweit brachte auch die Anhörung des Klägers in der mündlichen Verhandlung kein klareres Bild. Auch die Kritik der Methodik bleibt unsubstantiiert. Damit hat die Beklagte überzeugend dargelegt, dass ihre Stichprobenprüfung ergeben habe, die jeweiligen Diagnosen bei den betroffenen Patienten hätten eine eingehende Untersuchung vorausgesetzt und seien nicht mit einem Rezept oder einer Überweisung zu erledigen gewesen. Es bleibt auch nach dem Berufungsvortrag nicht erkennbar, warum der Kläger durchschnittlich mehr solcher „Kurzleistungen“ gehabt haben sollte, als andere Praxen. Auch seine Angaben in der mündlichen Verhandlung zum Einsatz des Weiterbildungsassistenten erbrachten – ungeachtet der Berücksichtigungsfähigkeit – keine Erklärung, da der Kläger erklärt hat, er habe sich auch die vom Weiterbildungsassistenten betreuten Patienten „angeschaut“, was naturgemäß Zeit kostet.“

Zutreffend haben der Beklagte und das Sozialgericht zum anderen auch die vom Beklagten festgestellten Pflichtverletzungen im ÄBD durch die Entscheidung des Sozialgerichts vom 21. Juli 2017 – S 16 KA 362/15 – bestätigt gesehen. Der Beklagte hatte zuvor in eigener Würdigung die Kürzungsmaßnahmen und die zu seinem Entscheidungszeitpunkt vorhandenen erstinstanzlichen Gerichtsentscheidungen gewürdigt. Der Senat hat diese Umstände selbst in seinem Senatsurteil vom 22. März 2023 – L 4 KA 47/17 – geprüft und im Rahmen eines Rückforderungsbescheides nach Plausibilitätsprüfung als tragfähig erachtet. Die nachfolgenden Feststellungen des Senats in den genannten Verfahren begründen auch eine gröbliche Verletzung des Gebotes peinlich genauer Abrechnung in der vom Beklagten vorgeworfenen Schwere. Die dortige Honorarrückforderung für neun Quartale der Honorare für die Tätigkeit im ÄBD belief sich auf zuletzt 320.921,98 € netto.

Der Senat verweist über die zutreffende Sachverhaltsdarstellung im angefochtenen Bescheid und den Entscheidungsgründen des Sozialgerichts hinaus ergänzend auf die Entscheidungsgründe seines Senatsurteils vom 22. März 2023 – L 4 KA 47/17 – für die Pflichtverletzungen im Rahmen des ÄBD in den Quartalen IV/2008 bis IV/2010 (S. 31 ff.) und macht sich auch diesbezüglich die Feststellungen und rechtlichen Bewertungen in der hier zur Entscheidung berufenen Besetzung nach erneuter Prüfung vollumfänglich zu Eigen:

„Eine für sich genommen hinreichende Abrechnungsauffälligkeit, die die Vermutung der rechtliche Fehlerhaftigkeit der ärztlichen Abrechnungen des Klägers in jedem streitgegenständlichen Quartal trägt, und bereits im Ausgangsbescheid festgestellt wurde, ist die Quote der Doppelpatienten zwischen der BAG des Klägers und der ÄBD-Zentrale A-Stadt sowie die Anzahl der Doppelpatienten zwischen den ÄBD-Zentralen. 

Dass eine gewisse Quote an Patientenidentität zwischen Ärzten bzw. Ärzten und Betriebsstätten des Bereitschaftsdienstes eine Abrechnungsauffälligkeit begründet, ist in der Rechtsprechung anerkannt (siehe BSG Urteil vom 22. März 2006 – B 6 KA 76/04 R) und bezüglich der Plausibilitätsprüfung bei Praxisgemeinschaften in § 11 AbrechnPr-RL 2008 ausdrücklich geregelt. Eine Abrechnungsauffälligkeit ist nach § 11 Abs. 2 AbrechnPr-RL 2008 zu vermuten, wenn die nachstehenden Grenzwerte überschritten worden sind: a) 20 % Patientenidentität – auf die abrechnenden Praxen bezogen – bei versorgungsbereichsidentischen Praxen und b) 30 % Patientenidentität – auf die abrechnenden Praxen bezogen – bei versorgungsbereichsübergreifenden Praxen. Nach § 11 Abs. 4 AbrechnPr-RL 2008 kann die Prüfung auch auf Ärzte erstreckt werden, welche nicht in Organisationsgemeinschaften verbunden sind. Aus § 11 Abs. 4 AbrechnPr-RL 2008 folgt mithin, dass nicht nur Patientenidentitäten innerhalb von Praxisgemeinschaften geprüft werden dürfen und in der Folge eine Abrechnungsauffälligkeit begründen können, weshalb auch der Senat die Rechtsauffassung vertritt, dass Doppelpatienten zwischen der BAG des Klägers und seinen Bereitschaftsdiensten gleichermaßen eine Abrechnungsauffälligkeit begründen können (im Ergebnis wie hier ohne Präjudiz: SG Marburg, Gerichtsbescheid vom 21. Mai 2021 – S 12 KA 314/19 – Berufung im Senat anhängig unter dem Aktenzeichen L 4 KA 28/21). 

Für diese Rechtsauffassung spricht entscheidend eine tragende Erwägung der Beklagten aus dem Widerspruchsbescheid, die sich der Senat zu eigen macht (Bl. 196 der Verwaltungsakte): „Die hohe Zahl der Doppelpatienten zwischen Ihrer BAG und insbesondere der ÄBD-Zentrale A-Stadt lässt den Schluss zu, dass Sie die Behandlung ihrer Patienten in den auf Akutfälle ausgerichteten ärztlichen Bereitschaftsdienst verlagern. Sie erzeugen damit neben dem Behandlungsfall in der Regelversorgung zusätzliche Behandlungsfälle im ÄBD. Durch Umgehung der Honorarbudgetierung und behandlungsfallbezogenen Vergütungen (z.B. Versichertenpauschale) in der Regelversorgung sowie der Vorgaben zur Genehmigung einer Zweigpraxis erlangen sie Honorar, dass bei ordnungsgemäßer Ausübung des vertragsärztlichen Berufs nicht angefallen wäre.“ (…)

Die Überschneidungsdichte von behandelten Patienten in der ÄBD-Zentrale A-Stadt und der BAG, bezogen auf den Kläger bewegt sich über alle streitgegenständlichen Quartale auf einem Niveau von zwischen 37% und 58%. Die einzelnen Werte ergeben sich aus folgender Tabelle:

Quartal Zahl der Doppelpatienten nur zwischen dem ABD A-Stadt und der BAG sowie Anteil der Doppelpatienten im Verhältnis zur Fallzahl im ÄBD Zahl aller vom Kläger behandelten Patienten im ÄBD A-Stadt 
IV/2008 458 = 37% 1216
I/2009 433 = 45 %   950
II/2009 643 44 % 1456
III/2009 757 = 46% 1619
IV/2009 1122 = 45 % 2466
I/2010 1234 = 58% 2124
II/2010 1016 = 52% 1952
III/2010 806 = 46 % 1735
IV/2010 645 = 42 % 1504

           
Dass jedenfalls bei einer Patientenidentität von 30 Prozent entsprechend § 11 Abs. 2 AbrechnPr-RL 2008 eine Abrechnungsauffälligkeit vermutet werden kann, unterliegt keinem Zweifel.

Die Überschneidungsdichte der behandelten Patienten zwischen den einzelnen ÄBD Zentralen ergibt sich aus nachfolgender Tabelle:
 

Quartal Zahl der Doppelpatienten zwischen den ÄBD-Zentralen
IV/2008 238
I/2009 104 (ohne ÄBD K-Stadt)
II/2009 138 (ohne ÄBD J-Stadt)
III/2009 119
IV/2009   81
I/2010 113
II/2010   47
III/2010   85
IV/2010   50

Die vom Kläger hiergegen mit der Berufung vorgebrachten Einwände greifen nicht durch.

Soweit er vorträgt, die Zahl der Doppelpatienten im Sinne von Patientenidentitäten zwischen BAG und ÄBD sei dem Kläger nicht vorzuhalten, er hätte die Patienten auch nicht ablehnen müssen und er müsse sich von der Behandlungsbedürftigkeit eines Patienten überzeugen, geht dies am Vorwurf vorbei. Denn es ist aus sich heraus nicht erklärbar, wie es ohne eine aktive Verlagerung von Patientinnen und Patienten aus der Regelversorgung in den Bereitschaftsdienst zu einer so hohen Quote kommen kann. Ohne aktives Einwirken auf die Patientinnen und Patienten erscheint es dem Senat ausgeschlossen, dass sich im Quartal I/2010 – in absoluten Zahlen – 1234 Behandlungsfälle aus „seiner“ BAG im Bereitschaftsdienst vorgestellt haben, während im gleichen Zeitraum auf den Rest der Patientenschaft lediglich 890 Behandlungsfälle entfielen. Gerade die hohe absolute Zahl der Behandelten spricht gegen Zufälle und statistische Abweichungen, denn mit der Höhe der Zahl der Fälle des Bereitschaftsdienstes sollte sich auch eine möglicherweise gehäufte „Patientenspezies“ in der eigenen Praxis nivellieren – es sei denn, man legt es darauf an, den Bereitschaftsdienst gerade mit den eigenen Patienten zu befüllen.

Der Kläger verkennt ebenso wie im Rahmen der Anhörung in der mündlichen Verhandlung am 24. März 2021 – L 4 KA 46/17 –, dass die Schilderung eines erstaunlichen Zusammentreffens einer schier unglaublichen Patientenmenge, eigener scheinbar unbegrenzter Leistungsfähigkeit und einer besonderen Klientel es gerade nicht plausibler macht, dass die abgerechneten Leistungen auch tatsächlich erbracht wurden.

Auch der Verweis auf die Seltenheit von Doppelpatienten bezüglich der verschiedenen ÄBD-Zentralen und der Doppeleinlesung von Karten vermag nicht zu überzeugen. Hinsichtlich der Doppelpatienten bleibt der Kläger eine konsistente Schilderung schuldig, was sich hinter diesen Behandlungsfällen verbirgt. In keinem Quartal kam es zu weniger als 50 Doppelvorstellungen in mindestens zwei ÄBD-Zentralen während des Dienstes des Klägers, wobei die Zahl höher ausfallen dürfte, da Fälle, in denen die Person in drei oder mehr ÄBD-Zentralen in der Abrechnung erschien, von der Beklagten als ein Fall gewertet wurde (vgl. Widerspruchsbescheid, S. 9 Bl. 195 der Verwaltungsakte). Hinsichtlich der Doppeleinlesung von Karten ist allein die Seltenheit kein Argument. (…)

In der Rechtsfolge war die Beklagte auch berechtigt, jeweils das gesamte Quartalshonorar zum Gegenstand einer Schätzung zu machen. (…) Der Beklagten ist der Nachweis von mindestens einem konkreten, grob fahrlässig oder vorsätzlich verschuldeten Abrechnungsfehlers pro Quartal und einzelner ÄBD-Zentrale gelungen.

Es kommt nicht darauf an, ob die Rechtsauffassung des Sozialgerichts zutrifft, dass angesichts der Vielzahl der Verstöße es entbehrlich sei, für jede Abrechnung bezüglich jeder einzelnen ÄBD-Zentrale eine mindestens grob fahrlässige Falschabrechnung nachweisen zu müssen. Denn dieser Nachweis ist zur Überzeugung des Senats gelungen, zum einen aus den im Wesentlichen vom Sozialgericht dargestellten Abrechnungsfehler in Anlehnung an den Anhang 3 des Widerspruchsbescheides, sowie weiteren in einer ergänzenden Tabelle dargestellten Abrechnungsfehler, deren Qualität mit hinreichender Gewissheit auf eine grob fahrlässige oder vorsätzliche Falschabrechnung hindeutet.

Zu Recht hat das Sozialgericht im Wesentlichen auf die in Anlage 3 zum Widerspruchsbescheid aufgelisteten Fälle Bezug genommen. Die dort auf acht Seiten aufgelisteten Fälle sind alle dadurch gekennzeichnet, dass der Kläger Leistungen in einer ÄBD-Zentrale abgerechnet hat, die an Tagen erbracht worden sein sollen, an denen er laut Sammelerklärung in einer anderen ÄBD-Zentrale Dienst hatte oder in keiner ÄBD-Zentrale Dienst hatte. In jedem der Quartale kommen einzelne abgerechnete Leistungen hinzu, die dadurch gekennzeichnet sind, dass Einlesedatum, Behandlungstag und ÄBD-Dienstort am Einlesetag auseinanderfallen (siehe jeweils vierte Spalte). Es kommen mithin jeweils zwei Fehler zusammen, also das Auseinanderfallen von ÄBD-Ort und behauptetem Behandlungsort sowie ÄBD-Dienstort und Einlesedatum an einem Tag, an dem am Einleseort kein Bereitschaftsdienst geleistet wurde. Hinzu kommen noch in einzelnen Quartalen die vom Sozialgericht hervorgehobenen Fälle der Doppelabrechnung, in denen nicht nur ein „Fehlklick“ zur falschen BSNR geführt hat, sondern dort noch unter der zweiten BSNR doppelt abgerechnet wurde.

Ohne Präjudiz wird darauf hingewiesen, dass auch im Rahmen der Zulassungsentziehung ein planvolles und zielgerichtetes Vorgehen gerade darin gesehen wurde, dass der Kläger Leistungen unter mehreren ÄBD-Zentralen angegeben habe, in denen er aber am jeweiligen Datum keinen Dienst verrichtet habe (SG Marburg, Gerichtsbescheid vom 6. April 2021 – S 12 KA 116/19 – Seite 15; Berufung anhängig im Senat unter – L 4 KA 21/21).

Gerade die Vielzahl der einzelnen Fehler und die Kumulierung von mehreren Unrichtigkeiten spricht gegen jede Form von Fahrlässigkeit aufgrund der Fehlbedienung der Software „Turbomed“, sondern für bedingten Vorsatz. Gerade Dauer und Vielzahl der Abrechnungsfehler sind gewichtige Indizien für ein Wissen und Wollen des Klägers. Das Vorgehen erscheint zwar nur begrenzt „planvoll“, da eine Vielzahl der Abrechnungsfehler für die Beklagte offensichtlich erkennbar war. Bei der Würdigung des Verschuldens können indes die äußeren Begleitumstände nicht außen vor bleiben. So ist es die Gesamtschau von übermäßig vielen Patientenidentitäten der BAG und den Behandlungsfällen im ÄBD, die in absoluten Zahlen häufigen Behandlungen derselben Personen in unterschiedlichen Bereitschaftsdiensten an unterschiedlichen Orten, die Doppelabrechnungen, die Mehrfacheinlesung von Karten am selben Tag und die oft falschen Behandlungstagen und –Orten zugeordneten Abrechnungen, die in der Summe ein nicht mehr mit Versehen zu erfassendes, vielmehr in verschiedenen Erscheinungsformen musterartiges Vorgehen deutlich machen. Der Kläger hat in der informatorischen Anhörung angegeben, dass er im Rahmen des Bereitschaftsdienstes regelmäßig selbst die Abrechnungssoftware auf einem Notebook angewendet habe; es handelt sich mithin um eigenes Verschulden.

Ebensowenig wie das Sozialgericht ist auch der Senat nicht davon überzeugt, dass Ungleichzeitigkeiten sich allein damit erklären lassen, dass Patientinnen und Patienten ihr „Kärtchen“ vergessen hätten. Denn die Beklagte – wie auch der Senat nach eigener Prüfung der Feststellung der Beklagten – hat gleichermaßen nach Behandlung erfolgte Karteneinlesungen festgestellt, wie vor der Behandlung erfolgte Karteneinlesungen. Vor diesem Hintergrund kann der Entschuldigungsversuch den Senat nicht überzeugen. Zum umgekehrten Fall beschränkt sich der Klägervortrag nämlich im Wesentlichen auf die Feststellung, dass dies nur selten vorgekommen sei (vgl. S.6 der Berufungsschrift einerseits und S. 7 andererseits, Bl. 246 f. d.A.).

Im Einzelnen steht zur Überzeugung des Senats fest, dass folgende, in der Anlage 3 genannten Fehlabrechnungen in der Sammelerklärung bedingt vorsätzlich erfolgt sind, weil sie sich nicht durch einen einzelnen „Fehlklick“ erklärbar sind. Wie in der Anlage 3 festgestellt liegt nämlich sowohl eine Abweichung zwischen der Betriebsstätte der Sammelerklärung (abgerechneter Schein der ÄBD-Zentrale) und dem Ort des am Behandlungstag Bereitschaftsdienstes vor sowie zweitens eine Abweichung zwischen Einlesedatum und Behandlungsdatum, die sich nicht mit einem über zwei Tage sich erstreckenden Dienst erklären lässt, da am jeweiligen Tag kein Bereitschaftsdienst in der abgerechneten ÄBD-Zentrale geleistet wurde oder aber es gar nicht der Folgetag war.“

[Vom Abdruck der den Beteiligten bekannten Aufstellung wird abgesehen]

„Auch bei allen bislang nicht aufgeführten Abrechnungen bzw. Quartalen ist mindestens ein Abrechnungsfehler grob fahrlässig oder vorsätzlich erfolgt, wobei hier zwei Varianten zu unterscheiden sind: Bei den folgenden Sammelerklärungen begründen entweder taggleichen Mehrfachabrechnungen ohne Dienst in der betreffenden ÄBD-Zentrale oder Abrechnungsmuster bezüglich des Abweichens des Einlesedatums den Vorwurf vorsätzlicher Falschabrechnung. Bezüglich der ersten Variante ist festzustellen, dass bei einer Vielzahl von Patienten jeweils exakt derselbe Fall über bis zu fünf ÄBD-Abrechnungsnummern abgerechnet wurde, bei denen der Kläger nicht einmal in allen ÄBD-Zentralen Dienst hatte. Eine solche Häufigkeit von Mehrfachabrechnungen in Zusammenschau mit dem Umstand, dass jeweils gar nicht in allen Fällen ein Bereitschaftsdienst abgeleistet wurde, lässt sich für den Senat nicht mit einer Software-Fehlbedienung erklären. Bezüglich der zweiten Variante spricht die Vielzahl der Fälle des Auseinanderfallens von Einlese- und Behandlungsdatum jedenfalls für grobe Fahrlässigkeit. Jedenfalls grob fahrlässig war es, entweder wegen der Mehrzahl in den aus Anlage 1a zum Widerspruchsbescheid gelisteten Fällen oder wegen mehrerer dort beschriebener Auffälligkeiten.“

[Vom Abdruck der den Beteiligten bekannten Aufstellung wird abgesehen]

Schließlich ist im Rahmen der Schwere der Pflichtverletzung zu berücksichtigen, dass sich Kläger und Beigeladene zu 1) hinsichtlich der implausiblen Abrechnungen in den Quartalen I/2009 bis IV/2010 auf eine Rückforderungssumme von weiteren 363.044,04 € geeinigt haben.

Auch der Senat ist der Auffassung, dass in Gesamtwürdigung der vom Beklagten, dem Sozialgericht und vom Senat getroffenen Feststellungen das besonders hohe Gewicht für die Bewertung der Pflichtverletzung als gröblich erstens aus der durchweg grob fahrlässigen und teilweise – vgl. die Feststellungen im Senatsurteil vom 22. März 2023 – L 4 KA 47/17 – vorsätzlichen Verletzung der Pflicht zur peinlich genauen Leistungsabrechnung folgt. Insbesondere die oben dargestellten, im Verfahren L 4 KA 47/17 festgestellten Fehlersummierungen und Mehrfachabrechnungen über mehr als zwei ÄBD-Abrechnungsnummern hinweg, die einen einzigen „Fehlklick“ mit hinreichender Gewissheit ausschließen, sowie die Abrechnungsmuster lassen auf ein planvolles oder organisiertes Vorgehen mit gesteigerter subjektiver Vorwerfbarkeit schließen. Zweitens beruht die gesteigerte Erheblichkeit der Verletzung der gesetzlichen Ordnung der vertragsärztlichen Versorgung durch das Verhalten des Arztes auf der langen Dauer des fortgesetzten Verhaltens über zwölf Quartale und drittens wegen der Vielzahl der Fälle in allen jeweiligen Quartalen auf dem daraus resultierenden erheblichen Schaden. Aufgrund der Feststellungen des Senats und der unstreitigen Vergleichssumme beziffern sich die Honorarrückforderungen auf 70.813,85 €, 363.044,04 € und 320.921,98 €, wobei allein die letztgenannte Rückforderung noch nicht rechtkräftig festgestellt ist. Bereits die vom Beklagten dargestellte, und nach Überprüfung für den Senat feststehende Vielzahl der Verstöße über den langen Zeitraum in Zusammenschau mit dem rechtkräftig festgestellten Schaden spricht mit hohem Gewicht gegen die Zumutbarkeit einer weiteren Zusammenarbeit der vertragsärztlichen Institutionen mit dem Kläger. 

Geschützte Interessen des Klägers vermögen diese Umstände im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung nicht aufzuwiegen, so dass die Zulassungsentziehung auch verhältnismäßig ist:

Ob der Beigeladenen zu 1) oder den Zulassungsgremien im Zusammenhang mit dem Entziehungsverfahren Versäumnisse anzulasten sind, etwa wegen zögerlicher Bearbeitung oder der Art und Weise der Zusammenarbeit mit den Strafverfolgungsbehörden, ist für die Frage der Zumutbarkeit der Fortsetzung der Zusammenarbeit ohne Bedeutung (vgl. Senatsurteil vom 24. Juli 2019 – L 4 KA 24/17 – juris Rn. 49; ähnlich Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 14. August 2013 – L 7 KA 24/12 –, Rn. 49, juris, damals im Rahmen der Prüfung des sog. Wohlverhaltens).

Eine Zulassungsentziehung erfordert aus Gründen der Verhältnismäßigkeit keine Negativprognose für das künftige Verhalten des Leistungserbringers im Sinne der Feststellung einer Wiederholungsgefahr, da § 95 Abs. 6 Satz 1 SGB V nicht auf die Steuerung künftigen Verhaltens ausgerichtet ist, sondern auf eine nachträgliche Reaktion auf ein in der Vergangenheit liegendes pflichtwidriges Verhalten (vgl. BSG, Urt. v. 21. März 2012 – B 6 KA 22/11 RBSGE 110, 269 = SozR 4-2500 § 95 Nr. 24, juris Rn. 56 ff.). Aspekte eines Wohlverhaltens oder einer Wiedergutmachung, die zeitlich nach der Entscheidung des Beklagten liegen, sind wegen des maßgeblichen Zeitpunkts der Beurteilung der Sach- und Rechtslage – dem der Entscheidung des Beklagten – nicht zu berücksichtigen (BSG, Urteil vom 17. Oktober 2012 – B 6 KA 49/11 R – juris, Rn. 24 ff., insbesondere 32 ff.; Senatsurteil vom 24. Juli 2019 – L 4 KA 24/17 –, Rn. 50, juris). Insoweit kommt allein die Würdigung des Verhaltens des Klägers im Zeitraum vom 1. Januar 2011 bis 18. Dezember 2018 in Betracht.

Dass die vom Kläger angeführten Umstände in diesem Zeitraum die Zulassungsentziehung nicht in Frage stellen, hat das Sozialgericht für den Senat überzeugend dargelegt, insoweit wird auf S. 16 bis 18 des angefochtenen Gerichtsbescheides verwiesen. Die Berufung hat hiergegen keine durchgreifenden Argumente aufgezeigt. 

Es bedarf daher keiner weiteren Aufklärung oder Würdigung, ob bereits die vom Beigeladenen zu 1) dem Kläger für den Folgezeitraum vorgeworfenen Pflichtverletzungen, die den vom Kläger angegriffenen Honorarrückforderungen bezüglich des ÄBD in den Quartalen I/2011 bis IV/2011 (Berufungsverfahren L 4 KA 8/19), bezüglich der fünf Quartale I/2011 bis I/2012 bezüglich der BAG (anhängig unter L 4 KA 22/21), Quartale II/2012 bis III/2013 – L 4 KA 28/21) und der Rückforderung gegenüber dem Kläger betreffend die Quartale I/2012 bis III/2012 (L 4 KA 29/21 und L 4 KA 30/21) der Annahme eines Wohlverhaltens entgegenstehen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i. V. m. § 154 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Die Kosten der erfolglos eingelegten Berufung fallen dem Berufungskläger zur Last. Die Kostenentscheidung bezüglich der Kosten der Beigeladenen zu 1) folgt aus § 197a SGG i. V. m. § 162 Abs. 3 VwGO.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
 

Rechtskraft
Aus
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