L 12 R 54/23

Land
Niedersachsen-Bremen
Sozialgericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Sachgebiet
Rentenversicherung
1. Instanz
SG Oldenburg (NSB)
Aktenzeichen
S 82 R 452/19
Datum
2. Instanz
LSG Niedersachsen-Bremen
Aktenzeichen
L 12 R 54/23
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Oldenburg vom 4.4.2023 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt auch die außergerichtlichen Kosten des Klägers im Berufungsverfahren.

              Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Anrechnung einmalig (nach)gezahlten Arbeitsentgelts als Hinzuverdienst auf eine Erwerbsminderungsrente des Klägers sowie eine daraus resultierende Erstattungsforderung.

Der 1955 geborene Kläger arbeitete seit März 2004 für die {H.} GmbH Bremerhaven im Fahr- und Begleitdienst der Weserfähre {I.}. Auf das Arbeitsverhältnis fanden u.a. die Regelungen des Tarifvertrages für den öffentlichen Dienst (TVöD) Anwendung. Seit dem 1.6.2016 bezog der Kläger eine zunächst befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung von der Beklagten (Bescheid vom 24.5.2017). Dies führte nach den tarifvertraglichen Regelungen zu einem Ruhen des Arbeitsverhältnisses für den Zeitraum der befristeten Rentenzahlungen (§ 33 Abs. 2 Sätze 5, 6 TVöD). Mit Bescheid vom 27.2.2019 bewilligte die Beklagte die Rente sodann ab dem 1.4.2019 unbefristet weiter; hierdurch wurde das Arbeitsverhältnis beendet (§ 33 Abs. 2 Satz 1 TVöD).

Im Mai 2019 teilte der Kläger der Beklagten die Beendigung seines Arbeitsverhältnisses zum 31.3.2019 mit. Sein Arbeitgeber habe daraufhin die Auszahlung seines Stundenkontos und die Abgeltung seines Resturlaubs durchgeführt. Er legte hierzu entsprechende Kopien elektronischer Lohnsteuerbescheinigungen sowie – auf weitere Anforderung der Beklagten – einen vom Arbeitgeber ausgefüllten Fragebogen nebst weiteren Abrechnungsunterlagen vor. Danach betrugen die Nachzahlungsbeträge im Januar 2019 1.107,55 € und im März 2019 13.755,98 €, insgesamt mithin 14.863,53 € (brutto). Die Beklagte berechnete die Rente des Klägers daraufhin mit Bescheid vom 18.6.2019 neu: Wegen der Höhe des Hinzuverdienstes, der mit monatlich 285,45 € anzusetzen sei, stehe ihm die Rente ab 1.7.2019 nur noch teilweise zu. Die monatliche (Brutto-)Rente des Klägers reduzierte sich entsprechend von 1.096,63 € auf 811,18 € (monatlicher Zahlbetrag: 721,55 €).

Mit seinem hiergegen eingelegten Widerspruch verwies der Kläger insbesondere auf zwei Urteile des Bundessozialgerichts (BSG) vom 10.7.2012 (B 13 R 81/11 R, B 13 R 85/11 R), wonach Einmalzahlungen, die nach Rentenbeginn aus einem zuvor bereits aufgrund arbeits- oder tarifrechtlicher Vorschriften ruhenden bzw. beendeten Beschäftigungsverhältnis gezahlt würden, keinen rentenschädlichen Hinzuverdienst darstellten. Vielmehr entspreche es dem Willen des Gesetzgebers, dass grundsätzlich nur Hinzuverdienste aus Arbeitsleistungen neben dem Rentenbezug angerechnet werden sollen. Beim ihm habe das Arbeitsverhältnis zwar formal bis zum 31.3.2019 fortbestanden; allerdings sei es faktisch „nicht mehr gelebt“ worden. Die ihm hieraus noch zugeflossenen Einmalzahlungen stellten daher keinen Hinzuverdienst dar.

Diesen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 16.7.2019 zurück: Mit Urteil vom 26.4.2018 (B 5 R 26/16 R) habe das BSG entschieden, dass eine Beschäftigung auch dann im leistungsrechtlichen Sinne fortbestehe, wenn der Arbeitnehmer arbeitsunfähig erkrankt, das Arbeitsverhältnis aber noch nicht beendet oder formell zum Ruhen gebracht worden sei. Urlaubsabgeltungen aus einer in diesem Sinne während eines Rentenbezuges fortbestehenden Beschäftigung seien dieser Beschäftigung unabhängig davon als Entgelt zuzuordnen, für welchen Zeitraum sie bezogen würden. Entsprechend seien sie als Hinzuverdienst zu berücksichtigen. Einwände gegen die Berechnung selbst habe der Kläger nicht erhoben.

Hiergegen hat der Kläger am 1.8.2019 unter Bekräftigung seines Vorbringens aus dem Widerspruchsverfahren sowie ebenfalls unter Bezug auf das Urteil des BSG vom 26.4.2018 (a.a.O.) Klage vor dem Sozialgericht (SG) Oldenburg erhoben. Den Anspruch auf Überstundenausgleich und die Vergütung für nicht in Anspruch genommene Urlaubstage habe er bereits lange vor Rentenbeginn – „spätestens bis zum 30.11.2015“ – erworben. Demgegenüber seien nach Beginn seiner Erkrankung und dem Ende des Krankengeldbezuges keinerlei Ansprüche gegenüber seinem Arbeitgeber mehr entstanden. Dies verbiete, die streitige Zahlung als Hinzuverdienst zu berücksichtigen. Im Übrigen seien ihm nicht die von der Beklagten zugrunde gelegten 14.863,53 €, sondern tatsächlich nur 9.326,76 € aus den Einmalzahlungen zugeflossen - und dies auch erst nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 29./30.4.2019. Die von der Beklagten für ihre Entscheidung herangezogene Vorschrift des § 96a SGB VI in der seit dem 1.7.2017 geltenden Fassung des Gesetzes zur Flexibilisierung des Übergangs vom Erwerbsleben in den Ruhestand und zur Stärkung von Prävention und Rehabilitation im Erwerbsleben (Flexirentengesetz) vom 8.12.2016 (BGBl. I, 2838) habe zudem erst nach seinem Renteneintritt Wirkung entfalten können; eine Rückwirkung sei dabei nicht vorgesehen.

Die Beklagte hat zur Klageerwiderung v.a. auf die von ihr bereits im Widerspruchsbescheid genannten Gründe Bezug genommen. Da es sich bei den streitigen Zahlungen um Einkommen aus dem Arbeitsverhältnis handele, das nach Rentenbeginn am 1.6.2016 fortbestanden habe, sei es als Hinzuverdienst auf die Rente anzurechnen. Da die Zahlungen zudem 2019 erfolgt seien, seien sie auch in diesem Kalenderjahr – unabhängig davon, aus welchem Zeitraum die Ansprüche resultierten - zu berücksichtigen. Auf die beitragsrechtliche Zuordnung einmalig gezahlten Arbeitsentgelts komme es im Rahmen der rentenrechtlichen Hinzuverdienstregelungen nicht an. Die Übertragung der Rechtsprechung des BSG zur früheren Fassung des § 96a SGB VI sei „nicht angebracht“; maßgeblich sei nach der Neufassung vielmehr ausschließlich, dass Arbeitsentgelt nach Rentenbeginn bezogen worden sei. Dieses lasse sich auch aus der Begründung zur gesetzlichen Neuregelung entnehmen.

Mit weiterem Bescheid vom 18.12.2019 hat die Beklagte die Rente erneut neu berechnet, da seit dem 1.1.2020 kein Hinzuverdienst mehr zu berücksichtigen sei; seither erhielt der Kläger die Rente ungekürzt. Ferner hat die Beklagte mit Bescheid vom 2.6.2020 auch für den Zeitraum vom 1.1. bis 30.6.2019 die Rente des Klägers unter Zugrundelegung der streitigen Zahlungen neu be- und insoweit eine Überzahlung in Höhe von 1.522,88 € errechnet, die von ihm zwischenzeitlich – unter Vorbehalt – erstattet worden ist.

Das SG hat im weiteren Verfahren zunächst eine ergänzende Auskunft der {H.} GmbH Bremerhaven vom 3.8.2022 zur weiteren Aufgliederung der Einmalzahlungen eingeholt. Danach erfolgte die Auszahlung der Überstunden- und Urlaubsabgeltung am 30.4.2019. Bei der Urlaubsvergütung in Höhe von 12.731,18 € handele es sich um Ansprüche aus den Jahren 2017-2019. Bei der Überstundenvergütung in Höhe von 2.132,35 € handele es sich um einen im Jahr 2017 ermittelten Saldo.

Mit Urteil vom 4.4.2023 hat das SG den „Bescheid der Beklagten vom 18.6.2019 in Gestalt des Bescheides vom 2.6.2020 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 16.7.2019“ aufgehoben, „soweit bei der Berechnung der Erwerbsminderungsrente für die Zeit vom 01.01.2019 bis 31.12.2019 ein Hinzuverdienst angerechnet wurde“. Der Bescheid vom 2.6.2020, mit dem eine „Spitzabrechnung“ für das Jahr 2019 erfolgt sei, sei Gegenstand des Klageverfahrens geworden, weil er den angefochtenen Bescheid vom 18.6.2019 abgeändert habe. Die Zahlung der {H.} GmbH Bremerhaven stelle grundsätzlich ein als Hinzuverdienst zu berücksichtigendes Arbeitsentgelt dar, weil hierdurch die Hinzuverdienstgrenze für einen Anspruch auf eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit überschritten worden sei. Allerdings sei die Anrechnung nur gerechtfertigt, wenn der Hinzuverdienst nicht nur während des Rentenbezuges tatsächlich zugeflossen sei, sondern dieser Zeit auch rechtlich zugeordnet werden könne. Nach der Rechtsprechung des BSG sei dies nur bei einer „zeitlich-rechtlichen Kongruenz“ zwischen fortbestehendem Beschäftigungsverhältnis und Rentenbezug der Fall. Hieran habe sich auch durch die Neufassung der Hinzuverdienstregelungen durch das Flexirentengesetz nichts geändert. Insbesondere folge aus der Gesetzesänderung kein Wille des Gesetzgebers für eine Änderung der bislang geltenden Grundsätze und für eine Verschlechterung der Rechtsposition der Versicherten (Verweis auf Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 8.3.2022 – L 18 R 164/21). Danach aber sei eine zeitlich-rechtliche Kongruenz u.a. dann ausgeschlossen, wenn das Beschäftigungsverhältnis (bei rechtlich fortbestehendem Arbeitsverhältnis) dadurch ende, dass der Arbeitgeber auf seine Verfügungsbefugnis verzichte bzw. der Arbeitnehmer seine Dienstbereitschaft endgültig einstelle, wie es – etwa – der Fall sei, wenn das Beschäftigungsverhältnis aufgrund tarif- oder arbeitsvertraglicher Regelungen wegen des Bezuges einer befristeten Rente wegen voller Erwerbsminderung mehr als nur „faktisch“ ruhe. Dies sei beim Kläger jedoch der Fall gewesen. Das Arbeits- und damit auch das Beschäftigungsverhältnis habe aufgrund tarifvertraglicher Regelungen bereits seit der Zustellung des Rentenbescheides vom 24.5.2017 geruht. Die zeitlich-rechtliche Kongruenz des Arbeitsentgelts zum Beschäftigungsverhältnis sei hierdurch aufgelöst, sodass es nicht als Hinzuverdienst angerechnet werden könne. Gleichermaßen sei es deshalb auch nicht zu der von der Beklagten errechneten Überzahlung von 1.522,88 € gekommen; die vom Kläger insoweit geleistete Zahlung sei ihm deshalb zu erstatten.

Gegen dieses ihr am 3.5.2023 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 22.5.2023 Berufung eingelegt. Entgegen der Auffassung des SG komme es seit Inkrafttreten des Flexirentengesetzes für die Beurteilung der Frage, ob Arbeitsentgelt als Hinzuverdienst zu berücksichtigen sei, gerade nicht mehr darauf an, ob ein Beschäftigungsverhältnis noch bestanden oder geruht habe. Vielmehr müsse der Hinzuverdienst für die Anrechnung lediglich aus Arbeitsentgelt aus einem Arbeitsverhältnis stammen, dass über den Rentenbeginn (hinaus) noch bestanden habe. Um solches Arbeitsentgelt handele es sich indes bei den dem Kläger gezahlten Beträgen.

Die Beklagte beantragt nach ihrem schriftsätzlichen Vorbringen,

das Urteil des Sozialgerichts Oldenburg vom 4.4.2023 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für rechtmäßig und bekräftigt unter ergänzendem Hinweis auf das Urteil des BSG vom 6.9.2017 (B 13 R 21/15 R) seinen bisherigen Vortrag.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des übrigen Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Prozessakte und den Inhalt der Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, die der Entscheidungsfindung des Senats zugrunde gelegen haben.

Entscheidungsgründe

Der Senat hat über die Berufung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheiden können, nachdem sich die Beteiligten mit dieser Verfahrensweise in schriftlichen Erklärungen vom 18.1. bzw. 26.2.2024 ausdrücklich einverstanden erklärt haben (§ 124 Abs. 2 SGG).

Den Gegenstand der Berufung bilden neben dem angefochtenen Urteil des SG und dem Bescheid der Beklagten vom 18.6.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.7.2019 gem. § 96 Abs. 1 SGG auch der Bescheid vom 2.6.2020, wie das SG zutreffend erkannt hat. Mit diesem wurde die Rente des Klägers ab dem 1.1.2019, mithin auch für den von den Ausgangsbescheiden umfassten Zeitraum ab dem 1.7.2019, (erneut) neu berechnet und für das gesamte Jahr 2019 unter Anrechnung der streitigen Einmalzahlungen nur teilweise gewährt. Die Rentengewährung ab dem 1.1.2020 war demgegenüber zwischen den Beteiligten ersichtlich zu keinem Zeitpunkt streitig, sodass diesbezüglich weder der Bescheid vom 18.12.2019 noch der diesen Zeitraum betreffende Teil des Bescheides vom 2.6.2020 gerichtlich zu überprüfen waren.

Die Berufung ist zulässig, jedoch nicht begründet. Die Erwerbsminderungsrente des Klägers war auch zur Überzeugung des Senats für das Jahr 2019 nicht unter Berücksichtigung der streitigen Einmalzahlungen neu zu berechnen, weil diese keinen anrechenbaren Hinzuverdienst darstellen. Das Urteil des SG ist daher nicht zu beanstanden.

Zutreffend haben die Beklagte und das SG der Beurteilung zunächst §§ 3496a SGB VI in der seit dem 1.7.2017 (bis 31.12.2022) geltenden Fassung von Art. 1 Nr. 15 bzw. Nr. 20 des Flexi-rentengesetzes (SGB VI a.F.) zugrunde gelegt, wonach bisherige Bescheide bei einer Änderung des zu berücksichtigenden Hinzuverdienstes, die den Rentenanspruch betrifft, von dem sich nach § 34 Abs. 3c bis 3e SGB VI a.F. ergebenden Zeitpunkt an aufzuheben und von der Aufhebung erfasste Leistungen zu erstatten sind (§ 96a Abs. 5 i.V.m. § 34 Abs. 3f Satz 1, 2 SGB VI a.F.). Eine Änderung in diesem Sinne ist auch der Hinzutritt oder der Wegfall von Hinzuverdienst (§ 96a Abs. 5 i.V.m. § 34 Abs. 3e Satz 2 SGB VI a.F.). Die Vorschriften zur Anhörung Beteiligter (§ 24 SGB X), zur Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes (§ 45 SGB X) und zur Aufhebung eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung bei Änderung der Verhältnisse (§ 48 SGB X) sind nicht anzuwenden (§ 96a Abs. 5 i.V.m. § 34 Abs. 3f Satz 3 SGB VI a.F.). Einer weiteren Wiederholung dieses Maßstabes bedarf es hier nicht.

Gleichermaßen zutreffend haben die Beklagte und das SG die streitigen Einmalzahlungen in diesem Zusammenhang auch als Arbeitsentgelt im Sinne von § 96a Abs. 2 Satz 1 SGB VI a.F. bewertet, welches grundsätzlich als Hinzuverdienst auf die dem Kläger gezahlte Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit zu berücksichtigen ist. Dies gilt ohne Weiteres für den als Ausgleich für geleistete Überstunden gezahlten Anteil der Einmalzahlung (vgl. u.a. bereits BSG, Urteil vom 25.6.1999 - B 7 AL 16/98 R – sowie vom 10.12.2019 - B 12 R 9/18 R), ebenso aber auch für den als Abgeltung für nicht in Anspruch genommenen Urlaub gezahlten Anteil. Denn selbst wenn die Urlaubsabgeltung grundsätzlich die Beendigung des Arbeitsverhältnisses voraussetzt (§ 7 Abs. 4 Bundesurlaubsgesetz – BurlG), handelt es sich um eine dem Arbeitgeber aus dem Arbeitsverhältnis obliegende Gegenleistung, die „lediglich“ aus Gründen des Arbeitnehmerschutzes erst mit dem Verfall bzw. der Unmöglichkeit einer Erfüllung des Urlaubsanspruchs im (zuvor) laufenden Arbeitsverhältnis anfällt (vgl. im Einzelnen zuletzt u.a. BSG, Urteil vom 12.3.2019 – B 13 R 35/17 R – m.w.N.).

Die Einmalzahlungen waren indes auch zur Überzeugung des Senats nicht als Hinzuverdienst auf die Erwerbsminderungsrente anzurechnen. Zu § 96a SGB VI in der vor Inkrafttreten des Flexirentengesetzes geltenden Fassung hat das BSG in der bereits von den Beteiligten angeführten Rechtsprechung (vgl. insbesondere die Urteile vom 6.9.2017, 26.4.2018 und 12.3.2019, a.a.O.) wiederholt entschieden, dass ein Hinzuverdienst grundsätzlich nur dann vorliegt, wenn das Arbeitsentgelt nicht nur während des Rentenbezuges tatsächlich zugeflossen ist, sondern dieser Zeit auch rechtlich zugeordnet werden kann („zeitlich-rechtliche Kongruenz“). Erforderlich ist daher, dass dem Versicherten das Arbeitsentgelt während des Rentenbezuges aus einem noch bestehenden Beschäftigungsverhältnis zufließt. Denn wird die Rente als Kompensation für die mit den gesundheitlichen Leistungseinschränkungen verbundenen wirtschaftlichen Nachteile verstanden, ist eine Minderung der Rente nur durch einen solchen Hinzuverdienst angebracht, den der Versicherte trotz bzw. mit der geminderten Erwerbsfähigkeit „gleichzeitig“ erwirtschaftet hat. Das von der Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit abgedeckte Risiko hat sich dann in dem jeweiligen Bezugszeitraum gerade nicht voll verwirklicht (BSG, Urteil vom 6.9.2017, a.a.O., juris Rn. 44). Von einem Fortbestehen des Beschäftigungsverhältnisses im leistungsrechtlichen Sinne des § 96a SGB VI a.F. kann etwa dann ausgegangen werden, wenn es lediglich durch Arbeitsunfähigkeit oder ein „faktisches Ruhen“ nicht zur tatsächlichen Erbringung der Arbeit kommt, solange die arbeitsvertraglichen Hauptpflichten aus dem fortbestehenden Arbeitsvertrag nicht suspendiert worden sind (BSG, Urteil vom 12.3.2019, a.a.O., juris Rn. 18 m.zahlr.w.N.). Anders ist die Sachlage jedoch zu beurteilen, wenn das Beschäftigungsverhältnis aus Rechtsgründen zum Ruhen kommt oder endet und der Arbeitgeber deshalb auf seine Verfügungsbefugnis verzichtet bzw. der Arbeitnehmer seine Dienstbereitschaft endgültig einstellt (einstellen darf). Dies ist insbesondere der Fall, wenn das Arbeitsverhältnis wegen des Bezuges einer befristeten Rente wegen voller Erwerbsminderung nach tarifrechtlichen oder arbeitsvertraglichen Absprachen ruht. Denn damit wird nach außen deutlich, dass später entstehende Ansprüche nicht mehr dem Beschäftigungsverhältnis zugeordnet werden sollen (BSG, Urteil vom 6.9.2017, a.a.O., juris Rn. 63 m.w.N.; vgl. ferner LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 27.1.2016 – L 2 R 615/14).

Der Senat hat für den vorliegenden Fall keinen Anlass, von diesem Maßstab abzuweichen. Das Arbeits- und damit auch das Beschäftigungsverhältnis des Klägers mit der {H.} GmbH Bremerhaven ruhte indes seit Beginn der befristeten Rentenzahlungen wegen voller Erwerbsminderung nach den maßgeblichen tarifvertraglichen Vorgaben (vgl. erneut § 33 Abs. 2 Satz 5, 6 TVöD). Ob der Kläger danach überhaupt noch einen Anspruch auf Erholungsurlaub – und hieraus bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses auf Urlaubsabgeltung – erwerben konnte (vgl. § 26 Abs. 2 lit. c. TVöD), braucht der Senat für den vorliegenden Fall nicht abschließend zu entscheiden. Denn selbst wenn ihm die Zahlungen insoweit ggf. teilweise rechtsgrundlos zugeflossen wären, ändert dies nichts an dem Umstand, dass sie aufgrund des Ruhens nicht mehr in „zeitlich-rechtlicher Kongruenz“ zu einem noch während des Rentenbezuges fortdauernden Beschäftigungsverhältnis erfolgten; ihre Berücksichtigung als Hinzuverdienst im Rahmen von § 96a SGB VI a.F. war damit ausgeschlossen.

Die Neuregelung des § 96a SGB VI durch das Flexirentengesetz führt entgegen der Auffassung der Beklagten nicht zu einer anderen Beurteilung. Zwar hat der Gesetzgeber in diesem Zusammenhang u.a. § 96a Abs. 1 Satz 2 SGB VI in seiner vorangegangenen Fassung, in der auf „das Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen aus einer Beschäftigung oder selbständigen Tätigkeit“ abgestellt wurde, durch eine Neufassung des § 96a Abs.1a SGB VI ersetzt, die keinen (direkten) Bezug auf eine „Beschäftigung“ mehr enthält. Dass hiermit eine (zumal: bewusste) Aufgabe der bisher durch die höchstrichterliche Rechtsprechung entwickelten Maßstäbe erfolgt ist oder auch nur erfolgen sollte, ist jedoch nicht ersichtlich. So nehmen bereits §§ 34 Abs. 3b Satz 1, 96a Abs. 2 Satz 1 SGB VI in der Fassung des Flexirentengesetzes als grundsätzlich berücksichtigungsfähigen Hinzuverdienst (u.a.) das Arbeitsentgelt in Bezug, welches nach der Legaldefinition des § 14 Abs. 1 Satz 1 SGB IV „alle laufenden oder einmaligen Einnahmen aus einer Beschäftigung“ umfasst. Zudem ergeben sich auch aus der Begründung des Flexirentengesetzes, der systematischen Einordnung des § 96a SGB VI sowie dem Sinn und Zweck der gesetzlichen Neuregelung keine Anhaltspunkte dafür, dass die bisherige Rechtsauslegung aufgegeben werden sollte. Zutreffend ist insoweit bereits in dem auch vom SG herangezogenen Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 8.3.2022 (a.a.O., mit - zustimmender – Anmerkung von Prange, NZS 2022, 909) darauf hingewiesen worden, dass „mit dem Entfallen der bisherigen Formulierung ‚aus einer Beschäftigung oder selbständigen Tätigkeit‘ [lediglich] klargestellt [werden sollte], dass es für die Frage, ob Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen als rentenrechtlicher Hinzuverdienst zu berücksichtigen ist, nicht darauf ankommt, ob eine Beschäftigung oder Tätigkeit tatsächlich ausgeübt wird“ (BT-Drs. 18/9787, S. 39 zu Buchstabe b zu Abs. 3b). Der Senat schließt sich auch im Übrigen den Ausführungen des LSG Nordrhein-Westfalen in der genannten Entscheidung nach eigener Überprüfung an und macht sie sich zu Eigen. Auch der Kommentarliteratur ist – soweit sie die Problematik überhaupt aufgreift - eine Abkehr von dem in der bisherigen Rechtsprechung entwickelten Maßstab nach Inkrafttreten des Flexirentengesetzes nicht zu entnehmen (vgl. u.a. Ringkamp in: Hauck/​Noftz, SGB VI, 2. EL 2024, § 96a Rn. 6; Dankelmann, in: Kreikebohm/Roßbach, SGB VI, 6. Aufl. 2021, § 96a Rn. 6).

Da mithin eine Anrechnung der streitigen Einmalzahlung als Hinzuverdienst auf die Rente des Klägers wegen voller Erwerbsminderung nicht vorzunehmen war und die gegen ihn mit Bescheid vom 2.6.2020 geltend gemachte Erstattung in Höhe von 1.522,88 € rückabzuwickeln ist, bedarf es schließlich auch keines Eingehens auf die von der Beklagten hierbei vorgenommene, im Übrigen aber auch vom Kläger der Sache nach nicht beanstandete Berechnung.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 SGG und entspricht dem Obsiegen des Klägers im Rechtsstreit.

Der Senat hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG), weil die Frage, ob seit dem Inkrafttreten des Flexirentengesetzes zum 1.7.2017 das Erfordernis einer zeitlich-rechtlichen Kongruenz zwischen fortbestehendem Beschäftigungsverhältnis und Rentenbezug entfallen und deshalb allein der Zufluss während des Rentenbezuges maßgeblich ist, einer höchstrichterlichen Klärung bedarf.

 

Rechtskraft
Aus
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