S 6 R 220/20

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Frankfurt (HES)
Sachgebiet
Rentenversicherung
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 6 R 220/20
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 2 R 190/21
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 5 R 80/24 B
Datum
Kategorie
Gerichtsbescheid


Die Klage wird abgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten. 


Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Vormerkung polnischer Versicherungszeiten gemäß dem Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen über Renten- und Unfallversicherung vom 9. Oktober 1975 (deutsch-polnisches Rentenabkommen, im Folgenden: DPRA 1975).

Der Kläger ist 1950 in D-Stadt in Polen geboren. Am 29. August 2005 erhielt der Kläger einen Bescheid, wonach die Beklagte nach § 149 Abs. 5 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) feststellte, dass der Versicherungsverlauf des Klägers keine versicherungsrelevanten Zeiten enthalte. 

Am 13. März 2018 stellte der Kläger bei der Beklagten ein Antrag auf Zahlung einer Altersrente aus der deutschen Rentenversicherung. Er sei seit Januar 1990 ständig in Deutschland und seit dem Jahr 2004 deutscher Staatsangehöriger. Derzeit beziehe er eine Rente aus Polen von der ZUS (polnischer Sozialversicherungsträger). Der Kläger begehrte die Anerkennung der polnischen Versicherungszeiten nach dem DPRA 1975 und Zahlung einer Altersrente hieraus (Bl. 43 der Verwaltungsakte (VA) d. Kl.). Die Beklagte teilte dem Kläger daraufhin mit, dass der polnische Versicherungsträger bis zum Jahr 1994 Pflichtbeitragszeiten in Polen bestätigt habe, aus denen der polnische Versicherungsträger seit dem 18. Februar 2016 eine Rente nach den EWG Vorschriften zahle (Bl. 44 der Verwaltungsakte (VA) d. Kl.). Dem stehe die Behauptung des Klägers entgegen, dass er sich bereits seit dem Jahr 1990 gewöhnlich in Deutschland aufgehalten habe.

Die Beklagte stellte daraufhin Ermittlungen an.

Diese ergaben Folgendes: Dem Kläger wurde zunächst vom 10. November 1989 bis 9. Januar 1990 eine befristete Aufenthaltserlaubnis in der Bundesrepublik für touristische Zwecke gewährt (Bl. 61 der VA d. Kl.). Für den Zeitraum 22. Januar 1990 bis 21. Februar 1990 wurde ihm eine befristete Aufenthaltserlaubnis für Arbeitszwecke erteilt (Bl. 60 der VA d. Kl.). Für die Zeit vom 2. Februar 1990 bis 31. Mai 1990 erhielt der Kläger ebenfalls eine befristete Aufenthaltserlaubnis für Arbeitszwecke. Diese war nur gültig im Rahmen der Werkverträge zwischen den Firmen C-Stadter Natursteinwerk H., C-Stadt und D. (Bl. 62 der VA d. Kl.). Für den Zeitraum 30. Mai 1990 bis 31. Mai 1991 erhielt der Kläger eine weitere befristete Aufenthaltserlaubnis für Arbeitszwecke ebenfalls unter der Verknüpfung an die oben genannten Werkverträge (Bl. 63 der VA d. Kl.). Vom 27. Mai 1991 bis 15. März 1992 erhielt der Kläger eine befristete Aufenthaltsbewilligung (Bl. 64, 67 der VA d. Kl.). Für den Zeitraum 9. März 1992 bis 2. Dezember 1996 wurden dem Kläger wiederholt befristete Aufenthaltserlaubnisse für Tätigkeiten als Geschäftsführer erteilt (Bl. 68 – 70 der VA d. Kl). Ab dem 16. Oktober 1996 erhielt der Kläger eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis (Bl. 70a der VA d. Kl.). Mit Urkunde vom 8. Juni 2004 wurde der Kläger in der Bundesrepublik Deutschland eingebürgert (Bl. 52 der VA d. Kl.). Der Kläger gab in einem Fragebogen zur Feststellung des Aufenthaltes bei Verzug von Polen nach Deutschland an, dass er seit dem 9. Juli 1996 in Polen abgemeldet sei (Bl. 45 der VA d. Kl.). 

Am 23. Juni 2018 stellte der Kläger über seinen Prozessbevollmächtigten einen Antrag gemäß § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) auf Überprüfung des „ersten Bescheides“. Darin führte er aus, dass der Kläger einerseits im Jahr 1990 seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland gehabt habe und andererseits bis zum Jahr 1994 die Versicherungsbeiträge in Polen gezahlt habe, wobei er zwar Deutschland gelebt, aber für eine polnische Firma gearbeitet habe. Mit Schreiben vom 18. Februar 2019 begründete er den Antrag weiter wie folgt: Der Kläger habe bereits in den Jahr 1986-1988 in Deutschland als Leiter einer Baustelle gearbeitet. Als er im Jahr 1990 nach Deutschland gekommen sei, habe er entschieden, dass er dauerhaft in Deutschland bleiben wolle. Aufgrund einer Erkrankung seines Schwiegervaters habe seine Familie im Jahr 1990 noch nicht nach Deutschland kommen können. Seine Familie sei dann im Jahr 1992 nach Deutschland gekommen. Der Kläger habe noch bis zum Jahr 1996 für eine polnische Firma gearbeitet, habe aber nicht vorgehabt, nach Polen zurückzukehren. Trotz der Verknüpfung der Aufenthaltserlaubnisse an die Werkverträge und die Befristung der Aufenthaltserlaubnisse sei von einem zukunftsoffenen gewöhnlichen Aufenthalt des Klägers auszugehen.

Mit Bescheid vom 26. März 2019 wies die Beklagte den Antrag des Klägers auf Rücknahme des Bescheides vom 19. August 2005 zurück (Bl. 96 der VA d. Kl.). Es sei weder das Recht unrichtig angewandt worden, noch von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen worden. Ein gewöhnlicher, zukunftsoffener Aufenthalt in Deutschland liege erst nach Wegfall der Kopplung der Aufenthaltserlaubnis an das Bestehen eines Beschäftigungsverhältnisses in Deutschland vor. Dieser Sachverhalt sei jedoch erst nach dem Stichtag für die Anwendung des DPRA 1975, dem 31. Dezember 1990 bzw. dem 30. Juni 1991, gegeben. Es fänden daher die entsprechenden EU-Verordnungen Anwendung. Hiergegen legte der Kläger am 20. Juli 2019 Widerspruch ein. Mit Schreiben vom 21. September 2019 begründete er seinen Widerspruch mit denselben Gründen wie im Schreiben vom 18. Februar 2019. Mit Widerspruchsbescheid vom 9. Juni 2020 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück. Für die Anwendbarkeit des DPRA 1975 sei entscheidend, ob der Kläger bis zum 31. Dezember 1990 seinen Wohnort in Deutschland begründet und beibehalten habe. Darunter sei der „Ort des gewöhnlichen Aufenthalts“ zu verstehen, der wie in § 30 Abs. 3 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) zu verstehen sei. Es müsse der Lebensmittelpunkt dauerhaft in Deutschland begründet worden sein. Dauerhaft sei er, wenn er zukunftsoffen sei. Bei Ausländern seien insoweit die ausländerrechtlichen Aufenthaltstitel entscheidend. Dem Kläger seien zunächst befristete Aufenthaltserlaubnisse erteilt worden, die jeweils mit einer Nebenbestimmung an die ebenfalls befristeten Werkverträge gekoppelt waren. Die unbefristete Aufenthaltserlaubnis sei erst am 16. Oktober 1996 erteilt worden. Für eine zukunftsoffene Aufenthaltsberechtigung hätten die befristeten Aufenthaltserlaubnisse nicht ausgereicht. Daher sei die Anwendung des DPRA 1975 ausgeschlossen. 

Gegen den Widerspruchsbescheid vom 9. Juni 2020 hat der Kläger am 6. Juli 2020 Klage am Sozialgericht Frankfurt am Main erhoben. Er wiederholt insoweit die Begründung aus dem Widerspruchsverfahren. 

Der Kläger beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 26. März 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 9. Juni 2020 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, den Bescheid vom 29. August 2005 aufzuheben und den Zeitraum 31. Oktober 1969 bis 31. Dezember 1990, in dem der Kläger in Polen Beiträge zur polnischen Sozialversicherung geleistet hat, unter Anwendung des Deutsch-Polnischen-Sozialversicherungsabkommens vom 9. Oktober 1975 (DPRA 1975) als rentenversicherungsrechtliche Zeit vorzumerken.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie verweist Begründung auf die Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden. 

Am 18. Juni 2021 ist ein Erörterungstermin durchgeführt worden. Dort hat der Kläger erklärt, dass auf Seite 4 des Schriftsatzes vom 28. Juli 2020 ist ein Tippfehler sei. Es müsse heißen, dass der Schwiegervater im Jahr 1991 gestorben sei. Außerdem hat er auf Nachfrage des Gerichts erklärt, dass er im Dezember 1991 in A-Stadt eine Wohnung gefunden habe. Im Januar 1992 sei seine Familie nach Deutschland nachgekommen. In der Zeit davor habe ihm sein Arbeitgeber für die Zeit, die er in Deutschland gearbeitet habe, eine Dienstwohnung in Deutschland zur Verfügung gestellt. Seine Kinder seien im Jahr 1992 direkt nach den Sommerferien ins Gymnasium gekommen, ohne vorher auf eine andere Schule zu gehen. Im Rahmen des Erörterungstermins sind die Beteiligten zur Entscheidung durch Gerichtsbescheid nach § 105 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) angehört worden. 

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte des Klägers bei der Beklagten, die Gegenstand der Entscheidung war, Bezug genommen.


Entscheidungsgründe

Das Gericht kann ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist, der Sachverhalt geklärt ist und die Beteiligten zuvor gehört worden sind (§ 105 Abs. 1 Satz 1 und 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG)).

Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Bescheid vom 26. März 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 9. Juni 2020 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.

Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch darauf, dass sie gemäß § 44 Abs. 1 S. 1 i.V.m. Abs. 2 SGB X den Bescheid vom 29. August 2005 aufhebt und die polnischen Versicherungszeiten des Klägers als rentenrechtliche Zeiten i.S.d. § 149 Abs. 5 SGB VI vormerkt. 

Gemäß § 44 Abs. 1 S. 1 SGB X ist, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Nach § 44 Abs. 2 SGB X ist im Übrigen ein rechtswidriger nicht begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft zurückzunehmen. Er kann auch für die Vergangenheit zurückgenommen werden. 

Bei dem Feststellungsbescheid nach § 149 Abs. 5 SGB VI handelt es sich um einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung, der die Aufgabe der Beweissicherung hat (Westphal, in: Kreikebohm/Roßbach, 6. Auflage 2021, SGB VI Rn. 10). Es handelt sich um einen nicht begünstigenden Verwaltungsakt nach § 44 Abs. 2 SGB X. Ein Verwaltungsakt ist dann nicht begünstigend, wenn die Begründung eines Rechts oder rechtserheblichen Vorteils abgelehnt, ein bestehender Vorteil entzogen oder ein Recht nicht in gebührendem Umfang zugestanden wird (Heße, in: BeckOK SozR, § 44 SGB X Rn. 22). Bei dem Feststellungsbescheid vom 29. August 2005 handelt es sich um einen nicht begünstigenden Verwaltungsakt, da die Beklagte die Anerkennung der polnischen Versicherungszeiten des Klägers nicht als rentenrechtliche Zeiten anerkannt hat.

Die Beklagte hat nach § 44 Abs. 1 S. 1 SGB X weder das Recht unrichtig angewandt noch ist sie von einem Sachverhalt ausgegangen, der sich als unrichtig erweist. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Vormerkung der polnischen Versicherungszeiten vom 31. Oktober 1969 bis zum 31. Dezember 1990 als Pflichtbeitragszeit nach dem DPRA 1975. Die Beklagte hat es zu Recht unterlassen, diese Zeiten als Versicherungszeiten in den Versicherungsverlauf des Klägers aufzunehmen.

Das DPRA 1975 ist aufgrund des (Zustimmungs-)Gesetzes vom 12. März 1976 (BGBl. II S. 393) in innerstaatliches Recht transformiert worden und am 1. Mai 1976 in Kraft getreten (BGBl. II S. 463). Als Rechtsgrundlage für den vom Kläger geltend gemachten Anspruch kommt Art. 4 Abs. 2 DPRA 1975 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 des entsprechenden Zustimmungsgesetzes in Betracht. Danach sind Zeiten, die nach dem polnischen Recht der Rentenversicherung zu berücksichtigen sind, in demselben zeitlichen Umfang in der deutschen Rentenversicherung in entsprechender Anwendung des Fremdrentengesetzes (FRG) und des Fremdrenten- und Auslandsrenten-Neuregelungsgesetzes (FANG) zu berücksichtigen, solange der Berechtigte im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland nach dem Stand vom 2. Oktober 1990 „wohnt“. Das FRG bestimmt insoweit, dass Beitragszeiten, die bei einem nichtdeutschen Träger der gesetzlichen Rentenversicherung zurückgelegt sind, den nach Bundesrecht zurückgelegten Beitragszeiten gleichstehen (§ 15 Abs. 1 S 1 FRG). Aufgrund dieser „Eingliederung“ werden die Renten davon Begünstigter im Ergebnis so berechnet, als ob sie ihr gesamtes Erwerbsleben – also auch die in Polen absolvierten Zeiten – rentenrechtlich in Deutschland zurückgelegt hätten (BSG, Urteil vom 16.06.2015 – B 13 R 36/13 R, juris). 

Das DPRA 1975 ist nicht durch das Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen über soziale Sicherheit vom 8. Dezember 1990 (BGBl II 1991, S. 743, im Folgenden: DPSVA 1990), das durch das (Zustimmungs-)Gesetz vom 18. Juni 1991 (BGBl II S. 1741) in innerstaatliches Recht transformiert und am 1. Oktober 1991 in Kraft getreten ist (BGBl II 1072), nicht ausnahmslos verdrängt bzw. ersetzt worden. Nach dem DPSVA 1990 galt das Leistungsexportprinzip, d.h. jeder Staat leistet nur aus Zeiten, die in seinem Hoheitsgebiet zurückgelegt worden sind (BSG, Urteil vom 16.06.2015 – B 13 R 36/13 R, juris). Die Fortgeltung des DPRA 1975 ist in den Übergangs- und Schlussbestimmungen des Art. 27 DPSVA 1990 geregelt. Diese finden auch trotz des Beitritts Polen in die Europäische Union im Jahr 2004 weiterhin Anwendung. Dabei gelten im Verhältnis zur Republik Polen die VO EWG Nr. 1408/71 (bis 31. April 2010) bzw. die VO EG Nr. 883/2004 (seit 1. Mai 2010). Nach Art. 6 lit. a) VO EWG Nr. 1408/71 und nach Art. 8 Abs. 1 Satz 1 VO EG Nr. 883/2004 tritt das Europarecht grundsätzlich an die Stelle geltender Sozialversicherungsabkommen zwischen den Mitgliedstaaten. Einzelne Bestimmungen von Abkommen über soziale Sicherheit, die von den Mitgliedstaaten vor dem Beginn der Anwendung dieser Verordnung geschlossen wurden, gelten jedoch fort, sofern sie für die Berechtigten günstiger sind oder sich aus besonderen historischen Umständen ergeben und ihre Geltung zeitlich begrenzt ist (Art. 8 Abs. 1 S. 2 VO 883/2004). Um weiterhin Anwendung zu finden müssen diese Bestimmungen in Anhang 2 aufgeführt sein (Art. 8 Abs. 1 S. 3 VO 883/2004). Dies trifft auf das DPRA 1975 zu. Es wird ausdrücklich angeordnet, dass das zwischen Deutschland und Polen abgeschlossene Abkommen unter den in Art. 27 Abs. 2-4 DPSVA 1990 festgelegten Bedingungen weiterhin gilt. Auch im Anwendungsbereich der VO 883/2004 sind damit unverändert nur diejenigen Ansprüchen Anwartschaften besitzstandsgeschützt, die auf der Grundlage des DPRA 1975 entstanden waren (BSG, Urteil vom 10.12.2013 – B 13 R 9/13 R, juris, BSG, Urteil vom 16.06.2015 – B 13 R 36/13 R, juris, LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 17.10.2018, L 4 R 177/17, juris). Die Anwendbarkeit des DPRA ist jedoch auf Zeiten bis zum 31. Dezember 1990 begrenzt (LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 17.10.2018, L 4 R 177/17, juris). 

Nach Art. 27 Abs. 2 S. 1 DPSVA 1990 bleiben die vor dem 1. Januar 1991 aufgrund des DPRA 1975 von Personen in einem Vertragsstaat erworbenen Ansprüche und Anwartschaften erhalten, solange diese Personen auch nach dem 31. Dezember 1990 ihren Wohnort im Hoheitsgebiet dieses Vertragsstaates beibehalten. Es gelten die Bestimmungen des DPRA 1975 weiter. Nach Art. 27 Abs. 3 DPSVA 1990 gilt dies unter den dort genannten Voraussetzungen auch, wenn Personen spätestens bis vom 30. Juni 1991 an in diesem Vertragsstaat „wohnen“. 

Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Der Kläger hatte frühestens zu Beginn des Jahres 1992 seinen Wohnort in Deutschland und damit nach den genannten Stichtagen. 

Für die Begriffe „Wohnort“ und „wohnen“ in Art. 27 DPSVA 1990 ist die Definition im DPRA 1975 maßgeblich (BSG, Urteil vom 10.12.2013 – B 13 R 9/13 R, juris, m.w.Nw.). Nach Art 1 Nr. 2 Spiegelstrich 1 DPRA 1975 versteht man hierunter – für die Bundesrepublik Deutschland – „den Ort des gewöhnlichen Aufenthalts“ oder „sich gewöhnlich aufhalten“. Ergänzend bestimmt Art 1a des deutschen Zustimmungsgesetzes zu DPRA 1975 (AbKG), der nachträglich mit Wirkung vom 1. Juli 1990 eingefügt wurde (durch das Rentenreformgesetz 1992 vom 12.12.1989, BGBl I 2261), dass einen gewöhnlichen Aufenthalt i.S. des Art 1 Nr. 2 DPRA im Geltungsbereich des Gesetzes nur hat, „wer sich dort unbefristet rechtmäßig aufhält“. 

Da das DPRA 1975 die Begriffe „Wohnort“ und „wohnen“ nicht näher bestimmt, ist auf den (deutschen) Rechtsbegriff des gewöhnlichen Aufenthalts nach § 30 Abs. 3 S. 2 SGB I abzustellen (BSG, Urteil vom 10.12.2013 – B 13 R 9/13 R, juris; BSG, Urteil vom 16.06.2015 – B 13 R 36/13 R, juris; BSG, Beschluss vom 21.10.2020 – B 13 R 7/19 B, juris). Den gewöhnlichen Aufenthalt hat danach jemand dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt.

Die Frage des Vorliegens eines gewöhnlichen Aufenthalts nach § 30 Abs. 3 S 2 SGB I ist anhand einer dreistufigen Prüfung zu klären. Ausgangspunkt ist ein „Aufenthalt“; es sind dann die mit dem Aufenthalt verbundenen „Umstände“ festzustellen. Sie sind schließlich daraufhin zu würdigen, ob sie „erkennen lassen“, dass der Betreffende am Aufenthaltsort oder im Aufenthaltsgebiet „nicht nur vorübergehend verweilt“ (BSG, Urteil vom 10.12.2013 – B 13 R 9/13 R). Ob jemand sich gewöhnlich an einem Ort oder in einem Gebiet aufhält oder nur vorübergehend dort verweilt, lässt sich nur im Wege einer vorausschauenden Betrachtungsweise (Prognose) entscheiden (BSG aaO). Dabei sind alle bei Prognosestellung für die Beurteilung der künftigen Entwicklung erkennbaren Umstände zu berücksichtigen. Dies können subjektive wie objektive, tatsächliche wie rechtliche sein (BSG aaO). Es kann demnach nicht allein auf den Willen des Betroffenen ankommen, einen gewöhnlichen Aufenthalt zu begründen (sog Domizilwille; BSG Urteil vom 9.5.1995 – 8 RKn 2/94, juris). Ist nach der Prognose davon auszugehen, dass die betreffende Person zukunftsoffen „bis auf weiteres“ an dem Ort oder in dem Gebiet verweilen wird, so hat sie dort ihren gewöhnlichen Aufenthalt, wobei kein dauerhafter (unbegrenzter) Aufenthalt erforderlich ist (BSG, Urteil vom 10.12.2013 – B 13 R 9/13 R). Dem vorübergehenden Aufenthalt wohnt dagegen als zeitliches Element eine Beendigung von vornherein inne. Bei Ausländern ist im Rahmen der Gesamtwürdigung als ein rechtlicher Gesichtspunkt deren Aufenthaltsposition heranzuziehen, ohne dass diese aber allein Grundlage einer Prognose über die Dauer des Aufenthalts sein kann (BSG, aaO). Dabei wird die Aufenthaltsposition wesentlich durch den Inhalt der von der Ausländerbehörde erteilten Bescheinigungen bestimmt, wie er sich nach der behördlichen Praxis und der gegebenen Rechtslage darstellt (BSG aaO). Insoweit kann auch die familiäre Situation, etwa der Aufenthaltsstatus eines Ehegatten, eine Rolle spielen (BSG aaO). Ein dauerhafter bzw. zukunftsoffener Aufenthalt entfällt daher, wenn der Aufenthaltstitel nach der Entscheidung der Ausländerbehörde auflösend befristet oder bedingt ist im Gegensatz zur „bloßen“ Befristung (Meißner/Timme, in: LPK-SGB I, 4. Auflage 2020, § 30 Rn. 10). 

Nach Auswertung aller Umstände war der Aufenthalt des Klägers in Deutschland bis zum Juni 1991 noch nicht dauerhaft im Sinne eines „zukunftsoffenen“ Aufenthalts. Der Kläger hatte sich nach eigenen Angaben bereits in 1980er Jahren in Deutschland als Leiter einer Baustelle gearbeitet und dann im Jahr 1990 entschieden, dass er dauerhaft in Deutschland bleiben wolle. Dieser Willensentschluss des Klägers als sog. Domizilwille ist nach der oben genannten Rechtsprechung des BSG jedoch alleine nicht ausreichend. Als rechtlicher Gesichtspunkt sind die dem Kläger erteilten Aufenthaltstitel von Bedeutung. Für den Zeitraum bis zum 31. Dezember 1990 galt das Ausländergesetz vom 28. April 1965 (BGBl. I, S. 353, AuslG a.F.), ab dem 1. Januar 1991 das Ausländergesetz vom 9. Juli 1990 (BGBl. I S. 1354, AuslG n.F.). Der Kläger verfügte bis zum 31. Dezember 1990 über zwei jeweils befristete Aufenthaltserlaubnisse i.S.d. §§ 2, 5 AuslG a.F. Diese waren jedoch nicht „schlicht“ befristet, sondern bedingt durch die Tätigkeit des Klägers im Rahmen der Werkverträge zwischen der deutschen Firma C-Stadter Natursteinwerk H. aus C-Stadt und der polnischen Firma D. Dabei war der Kläger für die polnische Firma tätig. Sein Aufenthalt war daher mit seiner beruflichen Tätigkeit verknüpft bzw. durch diese befristet. Gemäß § 12 Abs. 1 AuslG a.F. war der Kläger daher bei Ablauf der Befristung bzw. bei Beendigung seiner Stellung als Mitarbeiter der Firma D. zur Ausreise verpflichtet. Damit war der Aufenthalt zwar rechtmäßig, aber noch nicht derart gefestigt, dass von einem „zukunftsoffenen“ Aufenthalt auszugehen war. Ab dem 27. Mai 1991 verfügte der Kläger sogar „nur“ noch über eine Aufenthaltsbewilligung nach § 28 Abs. 1 S. 1 AuslG n.F. Danach wird die Aufenthaltsgenehmigung als Aufenthaltsbewilligung erteilt, wenn einem Ausländer der Aufenthalt nur für einen bestimmten, seiner Natur nach einen nur vorübergehenden Aufenthalt erfordernden Zweck erlaubt wird. Somit war auch vor dem 30. Juni 1991 nur von einem (noch) befristeten und damit unsicheren Aufenthalt des Klägers in Deutschland auszugehen. Hinzu kommen weitere Faktoren: Im Jahr 1990 bzw. in der ersten Hälfte des Jahres 1991 war der Lebensmittelpunkt des Klägers noch nicht im Sinne eines dauerhaften, also zukunftsoffenen Aufenthaltes von Polen nach Deutschland verlegt. Zwar arbeitete der Kläger für eine polnische Firma. Gemeldet war er aber bis zum Jahr 1996 (zumindest auch) in Polen. Er verfügte über keine eigene Wohnung in Deutschland. Vielmehr hat der Kläger angegeben, dass ihm für die Zeit, die er in Deutschland arbeitete, von seinem Arbeitgeber eine Wohnung gestellt wurde. Eine eigene Wohnung in A-Stadt hat der Kläger erst Ende des Jahres 1991 gefunden. Auch war im Jahr 1990 noch unklar, wann die Familie nach Deutschland übersiedeln würde. Der Schwiegervater des Klägers war an Krebs erkrankt, sodass die Ehefrau des Klägers in Polen bleiben musste. Auch die Kinder des Klägers blieben zunächst in Polen. Der Kläger befand sich daher zwar in der Planung einer Übersiedlung nach Deutschland, diese war aber zum Stichtag 31. Dezember 1990 bzw. 30. Juni 1991 noch nicht im Sinne eines dauerhaften, zukunftsoffenen Aufenthalts erfolgt. Die bloße Tatsache, dass sich auch die Familie des Klägers insoweit vorbereitete, also die Kinder bspw. Deutsch lernten, genügt nicht, da dies lediglich einen rein subjektiven Domizilwillen begründet. Auch verfügten weder die Ehefrau des Klägers noch dessen Kinder in den Jahren 1990/91 über eine Berechtigung zum Aufenthalt in Deutschland nach den damals geltenden ausländerrechtlichen Vorschriften. Erst mit Anmietung einer Wohnung in A-Stadt Ende des Jahres 1991 und der Übersiedlung der Familie des Klägers Anfang des Jahres 1992 kann von einem hinreichend gesicherten dauerhaften und damit zukunftsoffenen Aufenthalt des Klägers in Deutschland ausgegangen werden. Dieser Zeitpunkt liegt jedoch erst nach dem Stichtag für die Anwendbarkeit des DPRA 1975, dem 31. Dezember 1990. 

Die Kostenentscheidung beruht auf § 105 Abs. 1 S. 3 i.V.m. § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Verfahrens.
 

Rechtskraft
Aus
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