L 6 VG 1561/22 WA

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
6.
1. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 VG 1561/22 WA
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Wiederaufnahme des Verfahrens L 6 VG 1226/19 wird abgelehnt.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Der Klägerin werden Kosten nach § 192 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in Höhe von 2.000 € auferlegt.



Tatbestand

Die Klägerin begehrt die Wiederaufnahme des Berufungsverfahrens L 6 VG 1226/19.

Sie ist 1954 in D1 geboren und beantragte am 24. Oktober 2014 die Gewährung von Beschädigtenversorgung nach dem Gesetz über die Entschädigung der Opfer von Gewalttaten (OEG) i. V. m. dem Bundesversorgungsgesetz (BVG). Ihr Stiefvater T1 habe sie zwischen 1958 und September 1961 sexuell missbraucht. Die nächtlichen Übergriffe hätten in einer Kellerwohnung stattgefunden, wo ihr Kinderzimmer gewesen sei. Ihre Großmutter mütterlicherseits habe damals Anzeige erstattet. Ihr Stiefvater sei gesucht worden, habe sich jedoch in einer Wohnung im schweizerischen B1 versteckt. 2013 seien dort Briefe gefunden worden, die Hinweise auf den Missbrauch beinhalteten.

Vorgelegt wurde ein Schreiben ihrer Großmutter an ihren Sohn T1 vom 12. Juli 1961. Darin schilderte sie, dass ihr seine Ehefrau, Mutter der Klägerin, erzählt habe, dass sich ihr Sohn –T1 – an seiner Stieftochter, der Klägerin, vergriffen habe.

Der Antrag auf Beschädigtenversorgung wurde mit Bescheid vom 1. Juni 2015 abgelehnt. Die von der Klägerin geltend gemachten Gesundheitsstörungen ließen sich nicht zweifelsfrei auf einen Tatbestand nach dem Opferentschädigungsrecht zurückführen. Nach dem Ergebnis der Ermittlungen sei nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit belegbar, dass sie im geltend gemachten Zeitraum Opfer einer Gewalttat geworden sei.

Im Widerspruchsverfahren wurde die Mutter der Klägerin schriftlich als Zeugin angehört. Diese gab an, T1 sei ein liebevoller, großzügiger, fleißiger und fröhlicher Ehemann gewesen, der sehr gut für die Familie gesorgt habe. Das Familienleben sei sehr harmonisch gewesen. Er habe sich mit der Klägerin gut verstanden. In der Freizeit hätten sie viel herumgealbert und zusammen gespielt. Er habe ihr Geschenke gemacht, etwa eine sehr teure Puppe. Wenn er von der Nachtschicht nach Hause gekommen sei, habe er sich oft im Kinderzimmer aufgehalten. Sie habe von dort häufig Schreie gehört. Die Klägerin sei von einem Arzt in P1, einem Stadtteil von D1, gynäkologisch untersucht worden. Dabei sei der sexuelle Missbrauch festgestellt worden. Dies habe sie im Frühjahr 1961 bei der Polizeidienststelle in D2 angezeigt. Außer dem Schriftwechsel ihres verstorbenen Ehemannes und ihrer Schwiegermutter lägen ihr in dieser Angelegenheit heute keine weiteren Unterlagen mehr vor. T1 habe das Land verlassen und habe ihres Wissens nach zuletzt als Rangierarbeiter in B1 gearbeitet. Mitte September 1961 habe er unter dem Einfluss von Alkohol Suizid begangen.

Die Klägerin führte im Januar 2016 weiter aus, an die genauen sexuellen Handlungen könne sie sich nicht mehr erinnern. Sie könne nur sagen, dass sie Verletzungen erlitten habe. Es sei damals festgestellt worden, dass sie keine Jungfrau mehr sei. Daraufhin sei es zur Strafanzeige gekommen.

Die Staatsanwaltschaft D1 teilte im Januar 2016 mit, die Personalien der Klägerin und von T1 könnten nicht zugeordnet werden. Zu solchen Daten sei nichts registriert. Akten seien nicht vorhanden.

S1 ging in ihrer versorgungsärztlichen Stellungnahme von Februar 2016 davon aus, nach den vorliegenden Unterlagen bestehe keine Klarheit, von welchem Missbrauch, wann und wie oft, gutachtlich konkret als schädigendes Ereignis auszugehen sei. Bis 1998 gebe es keinen Nachweis einer psychischen Störung mit Krankheitswert. Es gebe weder Hinweise auf psychische Erkrankungen im Kindesalter, zunächst völlig unabhängig von der Verursachung, noch Anzeichen für Verhaltensstörungen in der Schule. Die Klägerin habe einen Beruf erlernt, studiert und in der DDR viele Jahre in einer leitenden Position gearbeitet. Eine psychische Erschöpfung habe erstmals 1998 nach schweren privaten und beruflichen Belastungen im Vordergrund gestanden. Zunehmend spielten beginnende altersphysiologische Abbauprozesse mit einer Verringerung der Leistungsfähigkeit eine Rolle. Gleichwohl sei eine wesentliche, also ausgeprägtere Psychopathologie nicht befundet worden. Eine posttraumatische Belastungsstörung lasse sich weder anhand einer Befunderhebung noch aus einer konkreten Anamneseerhebung ableiten. Bei einer wahrscheinlichen Vernachlässigung im Kindesalter sowie nach der Ablehnung durch die Mutter, der Trennung der Eltern und der Zurückweisung lasse sich eine frühe Bindungsstörung ableiten. Diese habe zu persönlichkeitsbedingt defizitären Konfliktbewältigungsstrategien geführt, was sich erst in zunehmenden Anforderungssituationen gezeigt habe.

Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 24. Februar 2016 zurückgewiesen, hiergegen erhob die Klägerin am 29. März 2016 Klage beim Sozialgericht (SG) Konstanz (S 3 VG 697/16). Das SG hörte die Klägerin in der nichtöffentlichen Sitzung vom 19. Oktober 2017 an. Dort gab sie an, dass sie nicht mehr wisse, wo und wann sie wegen des sexuellen Missbrauches beim Arzt gewesen sei. Es sei ein älterer Mann gewesen, der sich sehr geschämt habe. Sonst sei sie bei ihm nicht in Behandlung gewesen. Durch den sexuellen Missbrauch im Anus sei ihr Darm geschädigt worden. Der Schließmuskel sei beeinträchtigt. Sie sei im Grunde stuhlinkontinent und trage auch heute eine Windelhose. Wegen des mit der Darminkontinenz zusammenhängenden Geruches sei sie schon in der Schule gemieden worden.

Die Klage wurde mit Gerichtsbescheid vom 26. Februar 2019 abgewiesen, die dagegen gerichtete Berufung (Landessozialgericht [LSG] Baden-Württemberg – L 6 VG 1226/19) wurde vom erkennenden Senat mit Urteil vom 23. Januar 2020 zurückgewiesen.

Am 25. Mai 2022 hat die Klägerin Wiederaufnahmeklage beim LSG Baden-Württemberg eingelegt und geltend gemacht, dass mit Schreiben des Stasi-Unterlagen-Archivs vom 5. April 2022, zugegangen am 25. April 2022, Unterlagen gefunden worden seien, die von dem Staatssicherheitsdienst der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (DDR) zur ihr angelegt worden seien. Neben nicht diesen Fall, sondern die Ausreise betreffenden Unterlagen hätten im Zuge der Recherchen zu Justizakten zwei Urkunden gefunden werden können, die den Justizakten der Staatsanwaltschaft D1 aus dem Jahr 1961 zuzuordnen seien.

Es handele sich um das Vernehmungsprotokoll vom 31. Juli 1961 (in Kopie vorgelegt) des Herrn K1 vom Volkspolizeikreisamt D1 und zum anderen um einen Vermerk des Staatsanwaltes G1 von der Staatsanwaltschaft des Stadtbezirks D2 vom 20. September 1961 mit dem Aktenzeichen SK II 109/61 (ebenfalls in Kopie vorgelegt).

Der Senat habe sich in der Entscheidung darauf gestützt, dass sie sexuelle Missbrauchshandlungen bis zu ihrem vollendeten siebten Lebensjahr behauptet habe, diese Behauptungen indes zu vage geblieben seien, als dass sie hinreichend glaubhaft hätten erscheinen können. Zudem seien die Angaben widerspruchsfrei (richtig: nicht widerspruchsfrei) gewesen und habe sich eine Gewalteinwirkung ferner nicht aus insbesondere psychischen Erkrankungen ableiten lassen. Des Weiteren habe die Beweiserhebung auch sonst keinen hinreichenden Hinweis auf eine mehr als mögliche Tatbegehung erbracht. Ihre Mutter habe zwar über Schreie aus dem Kinderzimmer berichtet, ob hierfür sexuelle Missbrauchshandlungen die Ursache gewesen seien, lasse sich damit aber nicht begründen. Weiter habe die Mutter angegeben, dass nach einer gynäkologischen Untersuchung bei der Polizeidienststelle D2 im Frühjahr 1961 Anzeige wegen sexuellen Missbrauchs erstattet zu haben. Unterlagen hierüber lägen nicht mehr vor.

Weiter sei ausgeführt worden, dass sich der Umstand nicht erschließe, weshalb erstmals im Januar 1988 eine schwere sexuelle Traumatisierung durch den Stiefvater geschildert worden sei. Dass dies 35 Jahre später geschehen sei, spreche gegen eine Tatbegehung. Es erschließe sich nicht, weshalb die Thematik nicht bereits während der häufig berichteten Klinikaufenthalte zur Sprache gebracht worden sei. Allein mit einer Verdrängung, wie die Klägerin geltend mache, lasse sich dies nicht erklären.

Sie habe sich am 21. April 2020 an das Stasi-Unterlagen-Archiv gewandt, dass das Auffinden der benannten Unterlagen mitgeteilt habe.

Aus dem in Kopie vorgelegten Protokoll des Volkspolizeiamtes D1 vom 31. Juli 1961 über die Befragung eines Kindes ergab sich zum Tatgeschehen folgendes:

„Es ist schon lange her, da habe ich in meinem Bett gelegen und der Vati hat auf meinem Bett gesessen. Da hat der Vati mit mir herumgespielt. Der Vati hat mit seinem Fingern an meiner Luller herumgespielt. Der Vati hat immer mit seinem Finger so an meiner Luller herumgekratzt. Ich habe dann geschlafen. Meine Mutti war in der Schlafkammer. Früh habe ich das dann gleich meiner Mutti gesagt. Was die Mutti gesagt hat, daß weiß ich nicht mehr. Der Vati hat das dann nicht mehr gemacht, ich habe dann die Türe gehen hören und er ist abgehauen. Der Vati ist bisher noch nicht wieder in die Wohnung zurückgekommen. Weiter hat der Vati nichts mit mir gemacht.“

Weiter hat die Klägerin in Kopie einen Vermerk der Staatsanwaltschaft in Kopie vorgelegt, wonach das Strafverfahren gegen T1 nach dessen Selbstmord eingestellt worden sei.

Diese Unterlagen seien geeignet, den mildesten Beweismaßstab der Glaubhaftmachung zu erfüllen und sie hätten daher zu einem anderen Ergebnis des Berufungsverfahrens geführt.

Sie habe selbst vorgetragen, dass sie im Vorschulalter von ihrem Stiefvater mehrfach sexuell missbraucht worden sei. Ihre Großmutter sei damals mit ihr beim Arzt gewesen, der den sexuellen Missbrauch festgestellt habe. Daraufhin habe die Großmutter den Stiefvater angezeigt. Nach der Aufdeckung habe der Stiefvater Suizid begangen.

Aus dem Bericht der T2 vom 3. April 2023 ergebe sich, dass die Beschwerden Folge der frühen Traumatisierung mit emotionaler und physischer Vernachlässigung und schweren sexuellen Übergriffen seien. Der aktuelle Konflikt am Arbeitsplatz habe alte Ängste reaktiviert und die Beschwerden verschlimmert. W1 und G2 hätten ebenfalls komplexe Posttraumatische Belastungsstörungen diagnostiziert.

Der Beklagte begründe seine Ablehnung damit, dass sich aus der 1998 erfolgten psychosomatischen Rehabilitation keine Hinweise auf die diagnostizierte, posttraumatische Belastungsstörung ergäben. Die Diagnose sei aufgrund allgemeiner Angaben eines Missbrauchs gestellt worden, ohne detaillierte Schilderungen zu beinhalten. Bei dieser Begründung handele es sich um eine bloße Mutmaßung ohne stichhaltige Anhaltspunkte. Zudem sei zu beachten, dass Missbrauchsopfer zunächst einem Verdrängungseffekt unterlägen und sich erst im Laufe einer ausführlichen Beratung und Therapie öffnen könnten. Vorwürfe fehlender Detailliertheit bezüglich erster Schilderungen des Traumas seien daher mit größter Vorsicht zu betrachten. Sie habe die im Vorschulalter erlittenen Taten über Jahrzehnte verdrängt. Tatsächliche Erinnerungen seien erst aufgetreten, nachdem die Briefe der Großmutter an den Stiefvater gefunden worden seien.

Auch der Einwand des Beklagten, aus den aktenkundigen Unterlagen ließen sich schädigungsabhängige Gesundheitsstörungen nicht wahrscheinlich machen, stehe im Widerspruch zu den ärztlichen Aussagen, die gerade Gesundheitsstörungen beschrieben, die auf das Trauma zurückzuführen seien. Zudem sei ihre Mutter im Widerspruchsverfahren angehört worden.

Durch die Unterlagen sei bewiesen, dass sie sich die Taten des Stiefvaters nicht einbilde und unter den langsam zurückkehrenden Erinnerungen leide. Dafür sprächen die von T2 erwähnten phobischen Ängste vor Kellerräumen und zum Teil psychogenen gastrointestinalen Funktionsstörungen. Das psychische Trauma sei durch die Taten verursacht. Ein unabhängiges Sachverständigengutachten werde beweisen, dass die psychischen Traumata, die phobischen Ängste und die zum Teil psychogen gastrointestinalen Funktionsstörungen durch den erlittenen sexuellen Missbrauch als Kind verursacht seien.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 23. Januar 2020 im Verfahren L 6 VG 1226/19 aufzuheben und das Verfahren wieder aufzunehmen,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 26. Februar 2019 und den Bescheid vom 1. Juni 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Februar 2016 aufzuheben sowie den Beklagten zu verpflichten, ihr wegen der Folgen des sexuellen Missbrauches durch T1 von 1958 bis September 1961 Beschädigtenversorgung nach dem Opferentschädigungsgesetz in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz ab 1. Oktober 2014 zu gewähren,

hilfsweise ein Sachverständigengutachten gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) bei C1, Universitätsklinikum T3, O1 16, T3 einzuholen.

Der Beklagte beantragt,

            die Wiederaufnahme abzulehnen und die Berufung zurückzuweisen.

Er weist darauf hin, dass fraglich erscheine, weshalb die Klägerin den Antrag erst am 21. April 2020 gestellt habe. Es sei nicht ausgeführt worden, was sie an einer früheren Einführung in das Verfahren gehindert habe. Von ihrem Inhalt her seien die Unterlagen nicht geeignet, eine andere Entscheidung zu begründen. Außerdem spreche die Klägerin in dem Protokoll von einem einmaligen Vorfall, der sich nicht wiederholt habe. Im Versorgungsantrag vom 24. Oktober 2012 sei hingegen angegeben worden, dass die Klägerin im Zeitraum von 1958 bis 1961 mehrfach von ihrem Stiefvater sexuell missbraucht worden sei. Von einer Penetration anal, wie in der Verhandlung vom 19. Oktober 2017 vorgetragen, oder einem sonstigen Eindringen in den Körper sei nicht die Rede.

Ob sich an die Befragung ein Ermittlungsverfahren angeschlossen habe, sei nicht erkennbar, da kein Aktenzeichen vermerkt sei. Aus dem Vermerk der Staatsanwaltschaft ergebe sich nicht, weswegen ermittelt worden sei. Im Schreiben der Mutter des Stiefvaters vom 12. Juli 1961 sei ausgeführt, dass der Stiefvater als Sittlichkeitsverbrecher gesucht werde. Dieser Zeitpunkt liege vor dem Zeitpunkt der Befragung der Klägerin. Außerdem habe die Klägerin im Schriftsatz vom 13. Januar 2016 angegeben, dass beim Arzt festgestellt worden sei, dass sie keine Jungfrau mehr gewesen sei, während in der Befragung als Kind von einem Eindringen in den Körper nicht die Rede sei.

Hierzu hat die Klägerin geltend gemacht, dass sie nicht geglaubt habe, dass es zu den sexuellen Übergriffen Dokumente im Bundesarchiv gebe. Sie sei davon ausgegangen, dass es Material über die Ausreise 1988 gebe, nicht aber zum Jahr 1961. Es sei erstaunlich, dass in den Akten überhaupt noch etwas gefunden worden sei, nachdem der Beschuldigte weder politisch aktiv noch politisch auffällig gewesen sei. Diesbezüglich habe es keinen Grund für eine Überwachung durch das damalige Ministerium für Staatssicherheit gegeben. Dass über den Beschuldigten dennoch etwas in den Akten enthalten sei, sei aus historischer und politischer Sicht sehr ungewöhnlich.

Durch die Unterlagen hätten sich sexuelle Missbrauchshandlungen bis zu ihrem vollendeten siebten Lebensjahr bestätigt. In den Entscheidungsgründen des Urteils werde die Glaubhaftigkeit der Aussagen diskutiert. Nach der Vorlage der Unterlagen aus dem Bundesarchiv könne ihr nicht mehr vorgehalten werden, den Missbrauch erst im Jahr 1998 erstmals vorgebracht zu haben. Dass die Missbrauchstaten nicht schon bei der ambulanten Psychotherapie zur Sprache gekommen seien, lasse sich durchaus mit einer Verdrängung erklären. Dies müsse aufgeklärt werden, weshalb ein Glaubhaftigkeitsgutachten einzuholen sei. Gegenstand eines solches Gutachtens sei, ob sich Erinnerungen auf tatsächlich Erlebtes bezögen.

Der Senat hat die Beteiligten in der mündlichen Verhandlung vom 18. Juli 2024 darauf hingewiesen, dass die Wiederaufnahmeklage mehrstufig zu prüfen ist. Eine Sachentscheidung hinsichtlich der Beschädigtenversorgung selbst komme nur in Betracht, wenn der Senat zu der Entscheidung komme, dass das Verfahren wiederaufzunehmen ist. Der Senat werde vor diesem Hintergrund erst über die Wiederaufnahme – ggf. durch Zwischenurteil – entscheiden.

Nachdem für die Klägerin zum Termin vom 18. Juli 2024 niemand erschienen ist, hat der Senat – insbesondere im Hinblick auf die erteilten Hinweise – zur Wahrung des rechtlichen Gehörs die mündliche Verhandlung auf den 15. August 2024 vertagt. Zu diesem Termin ist für die Klägerin wiederum niemand erschienen.

Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Verwaltungs- und Gerichtsakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe

Der Senat konnte verhandeln und entscheiden, obwohl für die Klägerin zum Termin niemand erschienen ist. Der Beschluss über die Vertagung der mündlichen Verhandlung und Bestimmung des nächsten Verhandlungstermins auf den 15. August 2024 ist in der mündlichen Verhandlung vom 18. Juli 2024 verkündet und dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 31. Juli 2024 sowie zusätzlich – nachdem das Empfangsbekenntnis zunächst nicht zurückgesandt wurde – zusätzlich per Telefax und Postzustellungsurkunde zugestellt worden. Auf die Fortgeltung der Hinweise in der Ladung zum 18. Juli 2024 ist ausdrücklich hingewiesen worden (§ 110 Abs. 1 Satz 2 SGG). Der Senat hat mit dem Beginn des auf 12.20 Uhr anberaumten Termins bis 12.30 Uhr zugewartet, die mündliche Verhandlung wurde erst um 12.40 Uhr geschlossen. Vor Verkündung der Entscheidung ist nochmals ein Aufruf erfolgt (vgl. Protokoll). Der Senat hat die Sache jeweils über die Lautsprecheranlage aufgerufen, wobei die Durchsage deutlich zu hören gewesen ist. Weiter ist durch Mitglieder des Spruchkörpers vor dem Sitzungssaal die Anwesenheit von Beteiligten geprüft worden.

Die Wiederaufnahmeklage ist gemäß § 179 Abs. 1 SGG i. V. m. § 580 Nr. 7b Zivilprozessordnung (ZPO) zulässig, insbesondere innerhalb der Monatsfrist des § 586 Abs. 1 ZPO erhoben, bleibt aber in der Sache ohne Erfolg. Die Zuständigkeit des Senats für die Entscheidung über die Wiederaufnahmeklage folgt aus § 584 Abs. 1 ZPO. Danach ist für die Klage ausschließlich zuständig das Gericht, das im ersten Rechtszug erkannt hat, wenn das angefochtene Urteil durch das Berufungsgericht erlassen wurde, das Berufungsgericht.

Der Senat hat durch Endurteil entschieden, da das Verfahren nicht wieder aufnehmen ist. Ein Zwischenurteil (vgl. dazu Schmidt in: Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, Kommentar zum SGG, 14. Aufl. 2023, § 179 Rz. 9a), um das Verfahren in der Hauptsache fortzusetzen und ggf. die von der Klägerin nach § 109 SGG beantragte Beweiserhebung durchzuführen, kam deshalb nicht in Betracht.

Nach § 179 Abs. 1 SGG kann ein rechtskräftig beendetes Verfahren entsprechend den Vorschriften des Vierten Buches der Zivilprozessordnung wieder aufgenommen werden, wobei die Wiederaufnahmegründe im Gesetz abschließend aufgezählt sind (vgl. §§ 578 ff. ZPO). Ein Wiederaufnahmeverfahren erfolgt in drei Abschnitten, die üblicherweise als Zulässigkeitsprüfung, aufhebendes Verfahren und ersetzendes Verfahren bezeichnet werden. Voraussetzung für die Zulässigkeit des Antrages ist insbesondere die schlüssige Darlegung eines Wiederaufnahmegrundes, wie sie in § 579 und § 580 ZPO aufgeführt sind (BSG, Beschluss vom 23. April 2014 – B 14 AS 368/13 B –, juris, Rn. 9).

Die Voraussetzungen des von der Klägerin einzig geltend gemachten Restitutionsgrundes des Auffindens einer Urkunde liegen nicht vor. Nach § 580 Nr. 7b ZPO findet die Restitutionsklage statt, wenn die Partei eine Urkunde auffindet oder zu benutzen in den Stand gesetzt wird, die eine ihr günstige Entscheidung herbeigeführt haben würde.

Die Urkunde darf im Vorprozess nicht benutzbar gewesen sein, z.B. weil ihr Verbleib nicht bekannt war, und die Nichtbenutzbarkeit darf nicht auf einem Verschulden der Partei (vgl. § 582 ZPO) beruhen (vgl. Greger in: Zöller, Zivilprozessordnung, 35. Aufl. 2024, § 580 Rz. 19). Zu Gunsten der Klägerin geht der Senat davon aus, dass diese nicht damit rechnen konnte, dass entsprechende Unterlagen bei der Stasi-Unterlagen-Behörde vorhanden sind. Es bestehen weiter keine Anhaltspunkte dafür, dass ihr die Unterlagen vor dem Zeitpunkt des vorgelegten Schreibens bekanntgeworden sind, somit ist die Wiederaufnahmeklage zulässig.

Die aufgefundenen Dokumente sind jedoch nicht geeignet, zu einer günstigen Entscheidung des Vorprozesses zu führen. Um die Feststellung zu treffen, dass eine günstigere Entscheidung herbeigeführt worden wäre, dürfen nur das tatsächliche Vorbringen im Vorprozess, der im Zusammenhang mit der nachträglich aufgefundenen Urkunde stehende Prozessstoff und als Beweismittel nur die im Vorprozess erhobenen und angetretenen Beweise sowie die neuen Urkunden berücksichtigt werden. Bei der Beweiswürdigung sind die nachträglich aufgefundenen Urkunden in Verbindung mit dem im Vorprozess vorgetragenen Prozessstoff zu würdigen. Auf Urkunden, die nur in Verbindung mit anderen im Vorprozess nicht vorgebrachten Beweismitteln zu einer für den Restitutionskläger günstigeren Entscheidung führen könnten, kann die Restitutionsklage nach § 580 Nr. 7b ZPO nicht gestützt werden. Es kommt im Kern darauf an, ob im Vorprozess eine für den Restitutionskläger günstigere Entscheidung ergangen wäre, wenn er damals die nachträglich aufgefundenen Urkunden vorgelegt und den damit im Zusammenhang stehenden Prozessstoff vorgetragen hätte (vgl. Bundesverfassungsgericht [BVerfG], Nichtannahmebeschluss vom 24. Oktober 2017 – 1 BvR 2762/12 –, juris, Rz. 29 unter Verweis auf Bundesgerichtshof [BGH], Urteil vom 12. Dezember 1962 – IV ZR 127/62 und Bundesverwaltungsgericht [BVerwG], Beschluss vom 11. Oktober 2004 – 7 B 83.04).

Das ist hinsichtlich der Aktennotiz der Staatsanwaltschaft D2 vom 20. September 1961 schon deshalb nicht der Fall, da aus dieser nicht hervorgeht, worum es sich bei dem Verfahren, das wegen des Selbstmords des Beschuldigten eingestellt worden ist, überhaupt gehandelt hat. Es kann daher dahingestellt bleiben, dass dem Dokument nicht einmal entnommen werden kann, dass es sich bei „dem Beschuldigten“ um den Stiefvater der Klägerin, T1, gehandelt hat.

Aber auch hinsichtlich des Protokolls vom 31. Juli 1961 über die Befragung der Klägerin beim Volkspolizeikreisamt D1 ergibt sich nichts anderes. Der Senat hat in dem rechtskräftigen Urteil vom 23. Januar 2020 (Zustellung an die Klägerin am 31. Januar 2020, vgl. Eingangsstempel), dessen Wiederaufnahme die Klägerin begehrt, ausgeführt:

„Die Klägerin behauptete sexuelle Missbrauchshandlungen bis zu ihrem vollendeten siebten Lebensjahr.

Diese sind indes bis zuletzt zu vage geblieben, als sie dem Senat hätten hinreichend glaubhaft erscheinen können. Bei der Antragstellung im Oktober 2014 führte sie nächtliche Übergriffe im Kinderzimmer, welches sich im Keller befand, an. In der nichtöffentlichen Sitzung beim SG im Oktober 2017 hielt sie die Nacht als Tatzeitraum demgegenüber nur noch für möglich. Als Erinnerung führte sie nunmehr an, dass es bei den Taten dunkel war. Weiter erwähnte sie wenig konkret, es habe mit streicheln begonnen, später mit einer analen Penetration. Im Januar 2016 hatte sie dem Beklagten damit in Einklang stehend mitgeteilt, sich an genaue sexuelle Handlungen nicht zu erinnern.

Die Angaben der Klägerin waren überdies nicht widerspruchsfrei. In der nichtöffentlichen Sitzung beim SG gab sie nicht nachvollziehbar an, dass sie die Übergriffe anfangs als angenehm empfunden haben will. Ihre beiden Ehescheidungen führte sie darauf zurück, dass sie mit ihren Partnern nicht normal sexuell aktiv sein konnte. Demgegenüber erwähnte sie während des stationären Aufenthaltes in der W2-Klinik III Anfang 1998 Verletzungen und Enttäuschungen in den Ehen, weil sie ihre Partner immer nach dem Muster ihres Stiefvaters auswählte. Ausweislich des Entlassungsberichtes von O2 führte sie keine Beeinträchtigung der Sexualität als Grund für die jeweilige Trennung an. In der nichtöffentlichen Sitzung beim SG führte sie an, wegen des mit der Darminkontinenz, die sie bei W1 auf eine missbrauchsbedingte Darmerweiterung zurückführte, zusammenhängenden Geruches sei sie schon in der Schule gemieden worden. Gegenüber O2 hatte sie indes noch angeführt, ihre Mutter verwehrte ihr, saubere Kleidung in die Schule anzuziehen, sodass sie wegen des hierdurch bewirkten Gestankes von ihren Mitschülerinnen und Mitschülern gemieden wurde. Der Senat konnte diese Widersprüche würdigen (§ 128 Abs. 1 Satz 1 SGG). Er war nicht gehalten, der Klägerin die Gelegenheit zu geben, sie aufzulösen.

Eine Gewalteinwirkung lässt sich ferner nicht aus psychischen Erkrankungen ableiten (vgl. Urteil des Senats vom 22. September 2016, L 6 VG 1927/15 -, juris, Rz. 92 m. w. N.), wie sie erstmals aktenkundig O2 als posttraumatische Belastungsstörung, narzisstische Neurose und zwanghaft-hysterische Abwehr diagnostizierte, schon gar nicht in Bezug auf eine spezifische Person als möglichen Täter (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 16. September 2011 - L 10 VG 26/07 -, juris, Rz. 31).

Die Beweiserhebung ergab auch sonst keinen hinreichenden Hinweis auf eine mehr als mögliche Tatbegehung. Die Mutter der Klägerin, welche diejenige von T1 in einem Brief von Juli 1961 damit konfrontierte, er habe sich an der Klägerin vergriffen und werde als Sittlichkeitsverbrecher gesucht, führte zwar auf Nachfrage des Beklagten im November 2015 an, dass sie häufig Schreie aus dem Kinderzimmer vernahm, wenn T1 sich nach der Nachtschicht dort noch aufhielt. Ob hierfür sexuellen Missbrauchshandlungen die Ursache waren, lässt sich damit aber nicht begründen. Die Mutter der Klägerin äußerte weiter, nach einer gynäkologischen Untersuchung bei der Polizeidienststelle in D2 im Frühjahr 1961 Anzeige wegen sexuellen Missbrauches erstattet zu haben. Unterlagen hierüber lagen ihr jedoch nicht mehr vor. Über die Staatsanwaltschaft D1 konnte kein Aktenvorgang mehr nachvollzogen werden. An den Namen des Arztes konnte sich weder die Klägerin noch ihre Mutter erinnern. Soweit er tatsächlich einen sexuellen Missbrauch bei Ersterer erkannt haben sollte, fehlte es dem Senat mangels Befundunterlagen an einer Grundlage, um diese ärztliche Feststellung nachvollziehen zu können. Ohnehin ließe sich hieraus allein nicht der Schluss ziehen, dass T1 die Gewalteinwirkung vornahm. Es steht weiter nicht fest, weshalb er seinen Wohnsitz nach B1 verlegt und sich Mitte September 1961 das Leben nahm. Er mag der Klägerin teure Geschenke wie eine Puppe gemacht haben. Soweit sie hierin eine typische Wiedergutmachung und die Erwägung sieht, dass sie zum Schweigen gebracht werden sollte, handelt es sich um Mutmaßungen, die in ihrem Fall nicht erwiesen sind. Nicht zuletzt der Umstand, dass die Klägerin erstmals im Januar 1998 mit O2 einer Ärztin eine schwere sexuelle Traumatisierung durch ihren Stiefvater schilderte, also mehr als 35 Jahre später, spricht eher gegen eine entsprechende Tatbegehung. Es erschließt sich dem Senat nicht, weshalb die Thematik nicht bereits während der häufigen Klinikaufenthalte vor der Übersiedlung in die BRD, welche die Klägerin gegenüber W1 anführte, oder zumindest bei der jahrelangen ambulanten Psychotherapie schon vor 1998, welche sie bei T2 erwähnte, zur Sprache kam. Allein mit einer Verdrängung, wie die Klägerin vortrug, lässt sich dies nicht erklären. Denn tatsächliche Erinnerungen sollen sich erst viel später, nachdem die Briefe ihrer Großmutter an den Stiefvater gefunden wurden, eingestellt haben, wie sie im Berufungsverfahren anführte.“

Hieraus folgt, dass das Protokoll über die Befragung vom 31. Juli 1961 auch bei Vorliegen im Erstprozess zu keiner anderen Beurteilung geführt hätte. Vielmehr unterstreicht das Protokoll die bereits in dem Urteil aufgezeigten Widersprüchlichkeiten in den Angaben der Klägerin. Nach dem Protokoll soll sich nämlich, worauf der Beklagte zu Recht hinweist, nur ein einmaliger Vorfall ereignet haben, der zum Zeitpunkt der Vernehmung nach Angaben der Klägerin „schon lange her“ gewesen ist. Von einem fortgesetzten Missbrauch bis zur Vollendung des siebten Lebensjahres, wie ihn die Klägerin im Entschädigungsverfahren geltend macht, kann somit keine Rede sein. Daneben ist dem Protokoll ausdrücklich zu entnehmen, dass die Klägerin bekundet hat „Weiter hat der Vati nichts mit mir gemacht“. Weitere oder fortgesetzte Taten werden durch das damalige Vorbringen der Klägerin also gerade nicht plausibilisiert, sondern von ihr selbst ist vielmehr das Gegenteil behauptet worden. Nachdem die Klägerin damals bekundet hat, dass ihr Vater zum Aussagezeitpunkt bereits ausgezogen war und nicht mehr erschien, können danach zwangsläufig keine weiteren Taten mehr passiert sein, zumal er in die Schweiz verzogen war. Dass die Angaben so auch gegenüber der Mutter gemacht wurden, hat diese auf dem Protokoll bestätigt.

Zu dem behaupteten Ereignis hat die Klägerin nur mitgeteilt: „Der Vati hat mit seinen Fingern an meiner Luller herumgespielt. Der Vati hat bloß an meiner Luller herumgespielt. Der Vati hat immer mit seinen Fingern so an meiner Luller gekratzt“. Der Beklagte weist zu Recht darauf hin, dass aus diesem Vorbringen weder ein anales noch ein vaginales Eindringen des Stiefvaters folgt, sodass es nach dem eigenen Vorbringen der Klägerin in dem Protokoll abwegig ist, wenn sie nunmehr behauptet, durch anale Penetration eine Darmerweiterung mit jetzt bestehender Darminkontinenz erlitten zu haben und dass festgestellt worden sei, dass sie keine Jungfrau mehr ist. Die Behauptung der Klägerin beim SG, dass sie wegen der Darminkontinenz Probleme in der Schule gehabt habe, ist daher ebenfalls unschlüssig.

Die Aussagen der Klägerin im Berufungsverfahren werden durch das Protokoll somit nicht gestützt, sondern die daran aufgezeigten Zweifel vielmehr verstärkt. Hinzu kommt, dass sich das Urteil nicht nur auf diese tatsächlichen Umstände gestützt, sondern auch darauf verwiesen hat, dass es an hinreichenden Nachweisen bezüglich der geltend gemachten Schädigungsfolgen fehlt. Auf diese kommt es aber schon deshalb tragend an, weil Entschädigungsansprüche hieran anknüpfen. Hinsichtlich des medizinischen Sachverhaltes ergeben sich aus dem Protokoll keine neuen Erkenntnisse. Dieses beschreibt vielmehr überhaupt keine gesundheitlichen Beeinträchtigungen. Dies ist zwar einerseits vor dem Hintergrund, dass nur Berührungen der Klägerin durch den Stiefvater mit den Fingern geschildert worden sind, nachvollziehbar. Es erschließt sich andererseits aber deshalb nicht, da der Anzeige eine gynäkologische Untersuchung vorausgegangen sein soll, die den Missbrauch bestätigt haben soll.

Ärztliche Unterlagen über die behauptete gynäkologische Untersuchung 1961, auf deren Fehlen der Senat in der Entscheidung ebenfalls hingewiesen hat, liegen weiter nicht vor, sodass sich insoweit ebenfalls keine andere Beurteilung ergibt. Es kann deshalb dahinstehen, wie realistisch es erscheint, dass aufgrund der geschildeten Berührungen der Klägerin durch den Stiefvater mit den Fingern ein ärztlich feststellbarer Körperschaden überhaupt entstanden ist.

Nachdem somit keine Unterlagen aufgefunden worden sind, die einen medizinischen Sachverhalt enthalten, kann sich eine andere Beurteilung der darauf bezogenen Würdigung des Senats in dem Urteil schon deswegen nicht ergeben. Es führt deshalb im Rahmen der Wiederaufnahmeklage nicht weiter, wenn die Klägerin ausführlich darlegt, welche Diagnosen und Befunde sich aus den aktenkundigen Befundberichten ergäben und welche Schlussfolgerungen sie meint, daraus ziehen zu können. Die Klägerin greift damit die Beweiswürdigung in dem Urteil an, wodurch eine Wiederaufnahmeklage nicht begründet werden kann.

Letztlich führt es nicht zum Erfolg der Wiederaufnahmeklage, dass die Klägerin meint, aufgrund des Protokolls sei durch ein aussagepsychologisches Sachverständigengutachten zu klären, welche Erinnerungen erlebnisbasiert seien. Es reicht insoweit nicht aus, wenn die Urkunde in Verbindung mit dem allein zu berücksichtigenden Prozessstoff keinen urkundlichen Beweiswert hat, sondern nur Anlass geben soll, im Vorprozess noch nicht benannte Zeugen und Sachverständige zu vernehmen. Die Urkunde würde dann nämlich nur dazu dienen, neue Beweismittel in den Rechtsstreit einzuführen, was unzulässig ist. Auf eine Urkunde, die nur zusammen mit solchen neu in den Prozess einzuführenden weiteren Beweismitteln Grundlage für die Überzeugung des Richters von der Wahrheit sein kann, kann die Wiederaufnahmeklage daher nicht gestützt werden (vgl. BGH, Urteil vom 12. Dezember 1962 – IV ZR 127/62 –, juris, Rz. 19; BGH, Urteil vom 26. Februar 1951 – IV ZR 102/50 –, juris, Rz. 3).

Vorstehendes gilt weiter dafür, dass die Klägerin nach ihrer eigenen medizinischen Würdigung – für die ihr die Sachkunde fehlt – meint, der chronologische Ablauf und die späte Diagnosestellung sei einem Verdrängungseffekt geschuldet, weshalb es der aussagepsychologischen Begutachtung bedürfe, um die Erlebnisbasiertheit zu klären. Dafür, ob es medizinisch plausibel ist, dass eine jahrelange Verdrängung bestanden hat und die Ereignisse der Klägerin erst später wieder präsent geworden sind, wie sie behauptet, geben die neu vorgelegten Unterlagen keine Anhaltspunkte. Die Voraussetzungen einer Wiederaufnahmeklage ergeben sich hieraus ebenfalls nicht, vielmehr greift die Klägerin damit letztlich die versorgungsärztliche Auswertung der medizinischen Befunde durch die S1 an.

Weitere Restitutionsgründe sind weder geltend gemacht, noch sonst ersichtlich. Die Wiederaufnahme des Verfahrens war daher abzulehnen, sodass es bei der Rechtskraft des Urteils im Verfahren L 6 VG 1226/19 verbleibt. Da das Verfahren nicht fortzusetzen gewesen ist, war eine Sachentscheidung in der Hauptsache nicht zu treffen und kam auch die Einholung eines Sachverständigengutachtens nach § 109 SGG nicht in Betracht.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Der Klägerin sind gemäß § 192 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG die Kosten für die Vertagung der mündlichen Verhandlung vom 18. Juli 2024 aufzuerlegen gewesen. Danach kann das Gericht im Urteil oder, wenn das Verfahren anders beendet wird, durch Beschluss einem Beteiligten ganz oder teilweise die Kosten auferlegen, die dadurch verursacht werden, dass durch Verschulden des Beteiligten die Vertagung einer mündlichen Verhandlung oder die Anberaumung eines neuen Termins zur mündlichen Verhandlung nötig geworden ist. Dem Beteiligten steht sein Vertreter oder Bevollmächtigter gleich, § 192 Abs. 1 Satz 2 SGG. Schuldhaft ist ein Verhalten dann, wenn die im Prozess erforderliche Sorgfaltspflicht verletzt ist, grobes Verschulden oder Verschleppungsabsicht sind hingegen nicht erforderlich. Eine Hinweispflicht besteht nicht (vgl. Schmidt in: Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, Kommentar zum SGG, 14. Aufl. 2023, § 192 Rz. 5 ff.).

Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Nachdem der Senat dem – ebenfalls –  erst am Terminstag vom 25. Juni 2024 gestellten ersten Verlegungsantrag – wohlwollend – entsprochen und gleichzeitig neuen Termin auf den 18. Juli 2024 bestimmt hat, erweist es sich bereits als grobe Verletzung der Sorgfaltspflicht, erst am 16. Juli 2024 – 16:37 Uhr – einen weiteren Verlegungsantrag zu stellen, wobei sich der Verlegungsgrund aus einem schon zuvor bestimmten anderweitigen Termin hat ergeben sollen. Zwischen dem 25. Juni 2024 und dem 16. Juli 2024 wäre ausreichend Zeit verblieben, um für eine anderweitige Vertretung Sorge zu tragen, in welchem der kollidierenden Verfahren auch immer. Dabei ist insbesondere in Rechnung zu stellen, dass sich die Wiederaufnahme des Verfahrens, die hier streitig ist, vorwiegend nach zivilprozessualen Vorschriften richtet, also nicht einmal sozialrechtliche Probleme im Vordergrund stehen, was eine Vertretung vereinfacht.

Auf die Ankündigung vom Terminstag, den Termin per Videokonferenz wahrzunehmen, hat der Senat noch am Terminstag die Teilnahme per Videokonferenz durch Beschluss gestattet und dem Bevollmächtigten einen Zugangslink zugesandt. Nachdem sich dieser nicht zugeschaltet hat, ist während der mündlichen Verhandlung ein weiterer Zugangslink übersandt worden, eine Zuschaltung wiederum nicht erfolgt. Auch hat sich der Bevollmächtigte nicht veranlasst gesehen, telefonisch Kontakt mit dem Gericht aufzunehmen, die mehrfachen – vgl. die Auflistung im Protokoll vom 18. Juli 2024 – Versuche der Geschäftsstelle, mit der Kanzlei telefonischen Kontakt aufzunehmen, scheiterten ebenfalls. Der Senat hat die mündliche Verhandlung dann unterbrochen, wobei die Videokonferenzanlage eingeschaltet gewesen ist und jederzeit eine Zuschaltung möglich gewesen wäre. Die mündliche Verhandlung ist anschließend um 13:19 Uhr fortgesetzt und schließlich der Beschluss gefasst worden, diese zu vertagen, da im Hinblick auf die Erteilung der rechtlichen Hinweise das rechtliche Gehör hat gewahrt werden müssen. Letztlich ist es durch das Verhalten des Bevollmächtigten, der sich weder zugeschaltet hat, noch telefonisch erreichbar gewesen ist und nicht wenigstens verbindlich mitgeteilt hat, nicht zu erscheinen, zu einem Zeitaufwand von gut einer Stunde gekommen, wobei die Arbeitszeit von drei Berufsrichtern, die Kosten für die Anwesenheit von zwei ehrenamtlichen Richtern und die Beanspruchung der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle für die vergeblichen Versuche der telefonischen Kontaktaufnahme mit dem Bevollmächtigten in Rechnung zu stellen sind. Daneben ist die Vorbereitungszeit auf die mündliche Verhandlung und die durch die Vertagung notwendig gewordene organisatorische Belastung des Senats, auch für den weiteren – dritten – Termin, inklusive der zusätzlichen Arbeit der Geschäftsstelle zu berücksichtigen.

In Ausübung seines ihm zukommenden Ermessens hat der Senat die Kosten der Vertagung der Klägerin auferlegt. Dabei hat der Senat den hierdurch bedingten Schaden gemäß § 202 Satz 1 SGG i. V. m. § 287 Zivilprozessordnung (ZPO) auf 2.000 € geschätzt. Gründe, von einer Auferlegung der Kosten abzusehen hat der Senat ebenso wenig gesehen, wie ein geringerer Betrag in Ansatz zu bringen gewesen ist. Auf die beabsichtigte Auferlegung der Kosten hat der Senat in der mündlichen Verhandlung vom 18. Juli 2024 hingewiesen und diesen Hinweis ins Protokoll aufgenommen, sodass er der Klägerin zur Kenntnis gelangt ist. Eine Äußerung hierzu ist nicht erfolgt.

Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht gegeben, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.


 

Rechtskraft
Aus
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