L 7 AS 535/21

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 6 AS 1423/20
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 7 AS 535/21
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

Ein Bescheid über die vollständige Bewilligung beantragter Leistungen erledigt zwar einen nicht zugleich aufgehobenen Versagungsbescheid, wird aber nicht kraft Gesetzes zum Gegenstand des Verfahrens.

      1. Auf die Berufung der Kläger wird das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 23. März 2021 aufgehoben und festgestellt, dass der Bescheid vom 27. April 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20. Mai 2020 (W 493/20) rechtswidrig war. Die Klage auf Zinsen wird abgewiesen.

 

      1. Der Beklagte hat den Klägern die Hälfte der notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

 

      1. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

 

 

T a t b e s t a n d

 

Die Beteiligten streiten um die Versagung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (Leistungen) und nach deren Bewilligung im Berufungsverfahren um die Verzinsung dieser Leistungen.

 

Die 1962 und 1965 geborenen, miteinander verheirateten, Kläger beantragten am 30.03.2020 beim Beklagten Leistungen (Telefax v. selben Tag nebst Hauptantrag).

 

Der Beklagte forderte von den Klägern u.a. wiederholt die Vorlage der „Kontoauszüge aller Girokonten der letzten 3 Monate“ (Schreiben v. 08.04.2020), „Kontoauszüge der letzten 3 Monate aller Girokonten lückenlos und vollständig - die Abgabe ist trotz vereinfachter Vermögensprüfung aufgrund derzeitiger Rechtslage erforderlich um tatsächliche Einnahmen/Zuwendungen und Zahlungen wie zum Beispiel für Unterkunftskosten abzuberufen und ist daher zwingend notwendig“ (E-Mail v. 17.04.2020), „vollständige und lückenlose Kontoauszüge der letzten 4 Wochen aller Ihrer Girokonten, ausgehend von der Antragstellung 30.03.2020 - der Zeitraum wurde zu Ihren Gunsten verkürzt - die Abgabe ist zwingend erforderlich, unabhängig von der Prüfung des Vermögens - siehe auch beigefügte Anlage Erklärung über die Erheblichkeit von Vermögenswerten“ (Schreiben v. 20.04.2020) bzw. „Kontoauszüge der letzten 4 Wochen … Dies dient der Prüfung ob möglicherweise Einnahmen … erzielt werden, welche im zu berücksichtigen wären und ob sie tatsächlich den Zahlungsverpflichtungen der hier geltend gemachten Ausgaben für Unterkunft und Heizung nachkommen.“ (Schreiben v. 23.04.2020).

 

Die Kläger legten die Kontoauszüge nicht vor, da dies weder rechtlich noch tatsächlich notwendig sei (vgl. im Einzelnen E-Mails v. 14.04.2020, 19.04.2020, 22.04.2020 und 23.04.2020).

 

Der Beklagte versagte Leistungen „für den Zeitraum vom 1. März 2020 bis 31. August 2020“ (Bescheid v. 27.04.2020) und wies den dagegen von den Klägern erhobenen Widerspruch (Telefax v. 05.05.2020) zurück (Widerspruchsbescheid v. 20.05.2020, W ….).

 

Dagegen haben die Kläger am 25.05.2020 beim Sozialgericht Dresden (SG) Klage erhoben (Telefax v. selben Tag) und am 03.02.2021 „die Klage bezüglich, des von uns am 06.09.2020 gestellten, Weiterbewilligungsantrages“ erweitert (Telefax v. selben Tag). Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 23.03.2021 haben die Kläger beantragt, ihnen „für den Zeitraum März bis August 2020 Leistungen“ zu bewilligen (vgl. Niederschrift v. selben Tag, S. 5).

 

Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil v. 23.03.2021). Die Klage sei unzulässig, weil ihr das Rechtsschutzbedürfnis fehle. Die Rechtmäßigkeit der Versagung sei allenfalls im Rahmen der Kostentragung von Bedeutung. Der Nachweis der Hilfebedürftigkeit sei nur nach Vorlage aller Kontoauszüge erbracht.

 

Gegen das - ihnen am 14.04.2021 zugestellte - Urteil haben die Kläger am 13.05.2021 beim erkennenden Gericht Berufung eingelegt (Telefax v. selben Tag).

 

Im Berufungsverfahren bewilligte der Beklagte den Klägern „abschließend“ für März bis August 2020 Leistungen, da seit dem 07.07.2021 „alle leistungserheblichen Auskünfte“ vorlägen (vgl. Bescheid v. 14.07.2021).

 

Die Kläger meinen, der Beklagte habe die Vorlage ungeschwärzter Kontoauszüge nicht verlangen können und damit gegen sein eigenes Merkblatt von August 2019 verstoßen. Der Bescheid vom 14.07.2021 beruhe auf einer erneuten Antragstellung. Hierfür habe der Beklagte keine ungeschwärzten Kontoauszüge gefordert. Die zu spät bewilligten und gezahlten Leistungen seien für die Zeitspanne der Verzögerung mit 4 % zu verzinsen.

 

Die Kläger beantragen nach ihrem Vorbringen,

 

das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 23.03.2021 aufzuheben, die Rechtswidrigkeit des Bescheids vom 24.04.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.05.2020 (W ….) festzustellen und den Beklagten zu verurteilen, ihnen für die am 30.03.2020 beantragten und mit Bescheid vom 14.07.2021 bewilligten Leistungen für März bis August 2020 Zinsen nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften zu zahlen.

 

Der Beklagte beantragt,

 

die Berufung zurückzuweisen.

 

Er verteidigt die angefochtenen Entscheidungen. Weder der Bewilligungsbescheid vom 14.07.2021 noch die Gewährung von Zinsen seien Streitgegenstand dieses Verfahrens. Die Kontoauszüge seien erst am 25.06.2021 eingereicht worden.

 

Die Beteiligten haben einer Entscheidung durch Einzelrichter ohne mündliche Verhandlung zugestimmt (Schreiben der Kläger v. 25.06.2021 und 24.12.2021 sowie des Beklagten v. 22.06.2021 und 18.01.2022).

 

Dem Senat liegen neben der Gerichtsakte die vom Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten (vgl. dessen Schreiben v. 02.12.2024) vor.

 

 

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

 

 

 

Die statthafte und auch im Übrigen zulässige Berufung der Kläger gegen das Urteil vom 23.03.2021 ist begründet, da nach Erledigung des gegenständlichen Versagungsbescheids dessen Rechtswidrigkeit festzustellen ist. Die im Berufungsverfahren von den Klägern geltend gemachte Klage auf Zinsen ist unzulässig.

 

Der Senat konnte im Einverständnis der Beteiligten durch den Berichterstatter als Einzelrichter und ohne weitere mündliche Verhandlung entscheiden (§ 124 Abs. 2 i.V.m. § 153 Abs. 1, § 155 Abs. 3 f. SGG).

 

Gegenstand des Verfahrens ist neben der vorinstanzlichen Entscheidung nur der Bescheid des Beklagten vom 27.04.2020 in der Gestalt (§ 95 SGG) des Widerspruchsbescheids vom 20.05.2020 (W ….), mit dem der Beklagte die von den Klägern am 30.03.2020 beantragten Leistungen für März bis August 2020 versagte (§ 66 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 SGB I).

 

Der Streitgegenstand, d.h. das aufgrund eines bestimmten Sachverhalts (Klagegrund) an das Gericht gerichtete Begehren auf Ausspruch einer - durch den Klageantrag - bestimmten oder bestimmbaren Rechtsfolge (vgl. z.B. BSG v. 06.04.2011 - B 4 AS 119/10 R - Rn. 28, BSG v. 09.08.2018 - B 14 AS 38/17 R - Rn. 11, BSG v. 30.06.2021 - B 4 AS 70/20 R - Rn. 14), wäre in zeitlicher Hinsicht auch ohne die ausdrückliche Versagung der Leistungen für den „Zeitraum vom 1. März 2020 bis 31. August 2020“ durch den gegenständlichen Bescheid aufgrund des weiteren Leistungsantrags der Kläger vom 06.09.2020 (unter dem selben Tag unterzeichnetes Formular „Weiterbewilligungsantrag“) bis zum 30.09.2020 begrenzt (zur zeitlichen Zäsur eines neuen Leistungsantrags vgl. z.B. BSG v. 06.06.2023 - B 4 AS 4/22 R - insb. Rn. 37; zu Leistungen auf Eingliederung in Arbeit vgl. hingegen z.B. BSG v. 06.06.2023 - B 14 AS 131/22 B - Rn. 19 und B 14 AS 132/22 B - Rn. 18; zur Wirkung eines Leistungsantrags auf den Ersten des Monats vgl. § 37 Abs. 2 Satz 2 SGB II i.d.F. der Bekanntmachung v. 13.05.2011, BGBl. I S. 850). Dem entsprechend wurde der weitere (Versagungs-) Bescheid vom 03.02.2021 „für den „Zeitraum vom 1. September 2020 bis 28. Februar 2021“ nicht nach § 96 Abs. 1 SGG Gegenstand des hiesigen Klageverfahrens, da es bereits zeitlich betrachtet an einer zumindest teilweisen Identität beider Regelungsgegenstände (zu dieser Voraussetzung des § 96 Abs. 1 SGG vgl. z.B. BSG v. 03.09.2020 - B 14 AS 55/19 R - Rn. 11) mangelt.

 

Dahinstehen kann, ob die Kläger im erstinstanzlichen Verfahren die streitgegenständliche Zeit zulässig auf einen (Bewilligungs-) Zeitraum ab September 2020 „erweitern“ (vgl. deren Schreiben v. 03.02.2021) konnten (zu den Voraussetzungen einer zulässigen Klageänderung vgl. § 99 Abs. 1 f. SGG), da sie daran im Termin zur mündlichen Verhandlung am 23.03.2021 nicht festgehalten haben, indem sie wiederum nur für „März bis August 2020“ Leistungen begehrten (vgl. Niederschrift zum vorgenannten Termin, S. 5 unter „Antrag“).

 

Der Bescheid vom 14.07.2021 über die Bewilligung von Leistungen für die streitgegenständliche Zeit von März bis August 2020 hat den gegenständlichen Versagungsbescheid in vollem Umfang erledigt (§ 39 Abs. 2 SGB X i.V.m. § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II). Zwar hat der Beklagte trotz der von ihm angenommenen Nachholung der Mitwirkung (vgl. hierzu § 67 SGB I) der Kläger durch Vorlage der „geforderten Kontoauszüge“ (vgl. nur Schreiben des Beklagten v. 13.08.2021) den Versagungsbescheid vom 27.04.2020 nicht aufgehoben (§ 48 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Nr. 1 SGB X; zur gesonderten Aufhebung des Versagungs- / Entziehungsbescheids i.S.d. § 66 SGB I nach Nachholung der Mitwirkung vgl. z.B. BSG v. 22.02.1995 - 4 RA 44/94 - juris Rn. 20; Spellbrink in: BeckOGK-SozR, SGB I, § 66 Rn. 38, § 67 Rn. 14, Stand: 01.08.2019). Indes verlor dieser Versagungsbescheid mit der nachträglichen Bewilligung der von den Klägern am 30.03.2020 begehrten Leistungen vollständig seine regelnde Wirkung, womit er sich auf andere Weise erledigte (ebenso bei Bewilligung von Leistungen nach Versagung z.B. Bayerisches LSG v. 13.11.2008 - L 7 AS 266/08 - juris Rn. 14, Bayerisches LSG v. 29.12.2010 - L 16 AS 738/10 - juris Rn. 21, LSG Berlin-Brandenburg v. 19.05.2022 - L 19 AS 1242/21 - juris Leits. 1, Rn. 22 ff., sich darauf beziehend z.B. Voelzke in: jurisPK-SGB I, 4. Aufl., § 66 Rn. 73; weiterhin ebenso z.B. LSG Baden-Württemberg v. 27.11.2024 - L 3 AS 2341/23 - juris Leits. 1, Rn. 23, 27 ff.; weitergehend als hier z.B. Sichert in: Hauck/Noftz, SGB I, § 66 Rn. 28 ff., Stand: November 2011, wonach sich der Versagungsbescheid bereits mit der Nachholung der Mitwirkung auf andere Weise erledige; a.A. zur Erledigung durch Bewilligung der Leistungen z.B. SG München v. 12.10.2017 - S 46 AS 899/17 - juris Rn. 19 f.). Eine „Abschließende Festsetzung von Leistungen“ (vgl. Bescheid v. 14.07.2021) aufgrund eines vom Beklagten angenommenen Antrags der Kläger im erstinstanzlichen Termin zur mündlichen Verhandlung am 23.03.2021 auf „endgültige Leistungsbewilligung“ (vgl. z.B. Schreiben des Beklagten v. 22.06.2021, S. 3 f.) schied entgegen der Auffassung des Beklagten und der Vorinstanz aus, da eine abschließende Entscheidung über Leistungen deren vorläufige Bewilligung voraussetzt. Daher kann auch dahinstehen, ob es sich bei einer Versagung um einen vorläufigen Verwaltungsakt handelt (ablehnend z.B. Spellbrink, a.a.O., § 66 Rn. 38, § 67 Rn. 14).

 

Der Bewilligungsbescheid vom 14.07.2021 erledigte zwar den gegenständlichen Versagungsbescheid (vgl. zuvor), wurde indes weder kraft Gesetzes (§ 96 Abs. 1 SGG) noch durch Klageänderung (§ 99 Abs. 1 SGG) zum Gegenstand des Berufungsverfahrens (§ 153 Abs. 1 SGG).

 

Nach § 96 Abs. 1 SGG (i.d.F. des Gesetzes v. 26.03.2008, BGBl. I S. 444) wird ein neuer Verwaltungsakt nur dann Gegenstand des Klageverfahrens, wenn er nach Erlass des Widerspruchsbescheids ergangen ist und den angefochtenen Verwaltungsakt abändert oder ersetzt. Geändert oder ersetzt wird ein Verwaltungsakt (§ 33 Satz 1 SGB X), wenn in seine Regelung, den Verfügungssatz, eingegriffen und damit die Beschwer des Betroffenen vermehrt oder vermindert wird (vgl. weiterhin z.B. BSG v. 14.07.2021 - B 6 KA 1/20 R - Rn. 20). Ein bloßer Sachzusammenhang genügt hierfür nicht (vgl. wiederum z.B. BSG v. 03.09.2020 - B 14 AS 55/19 R - Rn. 11). Ein Bescheid über die Bewilligung (oder Ablehnung) von Leistungen steht lediglich im Sachzusammenhang zu einem Bescheid über deren Versagung, da beide Entscheidungen unterschiedliche Voraussetzungen und Rechtsfolgen haben (vgl. nur BSG v. 17.04.1986 - 7 RAr 91/84 - juris Rn. 27). Daher wird ein Bescheid über die Bewilligung (oder Ablehnung) von Leistungen nicht nach § 96 Abs. 1 SGG zum Gegenstand des Verfahrens über einen Bescheid über deren Versagung (vgl. z.B. LSG Berlin-Brandenburg v. 31.01.2008 - L 21 R 187/05 - juris Rn. 18; LSG für das Land Nordrhein-Westfalen v. 06.08.2008 - L 19 B 94/08 AS - juris Rn. 16; Bayer. LSG v. 29.12.2010 - L 16 AS 738/10 - juris, Leits., Rn. 23; SG München v. 12.10.2017 - S 46 AS 899/17 - juris Rn. 27 ff.; Bayer. LSG v. 12.07.2018 - L 18 SO 38/18 - juris Leits., Rn. 24 ff.; Bayer. LSG v. 19.07.2018 - L 7 AS 452/18 - juris Rn. 18; LSG Baden-Württemberg v. 25.02.2022 - L 4 P 3969/19 - juris Leits. 4., Rn. 33; BSG v. 20.08.2024 - B 8 SO 12/23 BH - Rn. 11; Hintz in: BeckOK-SozR, SGG, § 96 Rn. 1, Stand: 01.09.2024; Schmidt in: Meyer-Ladewig u.a., SGG, 14. Aufl., § 96 Rn. 4b; Spellbrink, a.a.O., § 66 Rn. 31, 52; Trenk-Hinterberger in: Krahmer/Trenk-Hinterberger, SGB I, 4. Aufl., § 67 Rn. 13; zur besonderen Konstellation im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes vgl. indes Senatsentscheidungen v. 31.05.2021 - L 7 AS 438/21 B ER - juris Rn. 18 und 25.04.2022 - L 7 AS 151/22 B ER - n.v. S. 4).

 

Der Bescheid vom 14.07.2021 wurde auch nicht durch Klageänderung (§ 99 Abs. 1 SGG) zum Gegenstand des Berufungsverfahrens (§ 153 Abs. 1 SGG). Zwar haben die Kläger nach dessen Kenntnis „Zinsen von 4 % für die Zeitspanne der Verzögerung“ begehrt (vgl. erstmals Schreiben v. 09.11.2021). Darüber hat der Beklagte mit dem vorgenannten Bescheid indes weder ausdrücklich noch konkludent entschieden, da den damit verlautbarten Verwaltungsakten, der Begründung und den Berechnungsbögen hierzu nicht ansatzweise tatsächliche Anknüpfungspunkte für eine Regelung hinsichtlich eines Zinsanspruchs entnommen werden können sowie die Kläger erst danach vom Beklagten Zinsen für die nachträglich bewilligten Leistungen begehrten (zur Auslegung eines Bescheids, der Geldleistungen bewilligt und zu einem Zinsanspruch schweigt, vgl. z.B. BSG v. 03.07.2020 - B 8 SO 5/19 R - Rn. 15 ff.; zur Ablehnung durch "beredtes Schweigen" bei Geltendmachung von Zinsen bereits im Vorverfahren vgl. z.B. BSG v. 03.07.2020 - B 8 SO 15/19 R - Rn. 8). Gegen Art und Höhe der Bewilligung von Leistungen für März bis August 2020 durch den vorgenannten Bescheid haben sich die Kläger in diesem Verfahren nicht gewandt.

 

Die - jedenfalls zum maßgeblichen Zeitpunkt der Einlegung (vgl. nur BSG v. 08.10.1981 - 7 RAr 72/80 - juris Rn. 16) - statthafte (§ 143 SGG), da nicht der Zulassung bedürftige (§ 144 Abs. 1 Satz 1 SGG), Berufung ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt (§ 151 Abs. 1 SGG).

 

Die Berufung der Kläger gegen das erstinstanzliche Urteil vom 23.03.2021 ist begründet und ihre im Berufungsverfahren um einen Anspruch auf Zinsen erweiterte Klage unzulässig.

 

Die Kläger begehrten (§ 123 SGG) zunächst vom Beklagten Leistungen für den gegenständlichen Zeitraum (vgl. erstinstanzlich nur das Schreiben der Kläger v. 25.05.2020 und deren Antrag im Termin zur mündlichen Verhandlung am 23.03.2021 sowie zweitinstanzlich deren Schreiben v. 13.05.2021). Nach deren Bewilligung durch den Bescheid vom 14.07.2021 beantragten sie eine gerichtliche Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Aufforderung des Beklagten zur Vorlage „komplette(r), ungeschwärzte(r) Kontoauszüge“ (vgl. erstmals Schreiben v. 01.09.2021, s. anschließend auch Schreiben v. 09.11.2021, 24.12.2021 und 03.01.2022) sowie „Zinsen von 4 % für die Zeitspanne der Verzögerung“ (vgl. Schreiben v. 09.11.2021).

 

Für das vorgenannte Feststellungsbegehren ist nach Erledigung des gegenständlichen Versagungsbescheids nur noch eine sog. Fortsetzungsfeststellungsklage (§ 131 Abs. 1 Satz 3 SGG) statthaft. Die Änderung des entsprechenden Klageantrags ist nicht als Klageänderung anzusehen (§ 99 Abs. 3 Nr. 3 SGG, vgl. z.B. BSG v. 17.10.2007 - B 6 KA 42/06 R - Rn. 14) und damit auch im Berufungsverfahren (§ 153 Abs. 1 SGG) ohne weitere Voraussetzungen zulässig. Dahinstehen kann, ob dies ebenso für die Erweiterung der Klage um einen Anspruch auf Zinsen gilt (§ 99 Abs. 3 Nr. 2 SGG: „Klageantrag … auf Nebenforderungen erweitert“; vgl. hierzu bei einem Antrag auf Zinsen im Revisionsverfahren z.B. BSG v. 14.06.2018 - B 9 V 3/17 R - Rn. 14 unter Bezug auf BSG v. 06.02.2003 - B 7 AL 72/01 R - Rn. 13; zur Erhöhung des geltend gemachten Zinssatzes vgl. z.B. BSG v. 12.09.2012 - B 3 KR 17/11 R - Rn. 12), obwohl Gegenstand des Verfahrens kein Bescheid über die Ablehnung von Leistungen, sondern deren Versagung war, der sich zudem zum Zeitpunkt der Klageerweiterung bereits erledigt hatte. Denn die Geltendmachung von Ansprüchen der Kläger gegen den Beklagten auf Zinsen der mit Bescheid vom 14.07.2021 bewilligten Leistungen für März bis August 2020 ist in diesem Rechtsstreit unzulässig, da der Beklagte darüber mit dem vorgenannten Bescheid nicht entschieden hat (vgl. bereits zuvor) und Tatsachen für eine andere Entscheidung des Beklagten hierzu weder vorgetragen noch erkennbar sind (vgl. bereits entsprechend für die zwischen den Beteiligten streitigen Zinsen für Zeiten von 2007 bis 2012 die rechtskräftigen Urteile des erkennenden Gerichts v. 04.04.2019 - L 3 AS 2025/13, L 3 AS 2026/13 und L 3 AS 1294/14, nunmehr Streitgegenstand im Berufungsverfahren beim erkennenden Senat unter dem Az. L 7 AS 341/22).

 

Die Klage auf Feststellung der Rechtswidrigkeit des gegenständlichen Versagungsbescheids ist zulässig. Insbesondere haben die Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung (§ 131 Abs. 1 Satz 3 SGG). Ein derartiges Feststellungsinteresse als Sonderform des Rechtsschutzbedürfnisses ist regelmäßig dadurch gekennzeichnet, dass der Kläger nicht ohne Not um die "Früchte" des bisherigen Prozesses gebracht werden darf, wenn das Verfahren einen bestimmten Stand erreicht hat; dies entspricht dem Gebot des effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG). Es setzt jedenfalls voraus, dass die angestrebte Entscheidung geeignet ist, die Position des Klägers zu verbessern. Es kann rechtlicher, wirtschaftlicher oder auch ideeller Natur sein und kommt grundsätzlich in Betracht bei Präjudizialität für andere Rechtsverhältnisse, bei Vorliegen eines Rehabilitierungsinteresses oder wenn Wiederholungsgefahr besteht (vgl. zum Vorstehenden nur BSG v. 14.12.2021 - B 14 AS 77/20 R - Rn. 16, BSG v. 16.02.2022 - B 8 SO 3/20 R - Rn. 17). Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe hat die von den Klägern begehrte Feststellung nach deren Vorbringen im Berufungsverfahren jedenfalls Präjudizialität (zur Unterscheidung zwischen rechtlicher und tatsächlicher Präjudizialität vgl. z.B. BSG v. 28.01.2021 - B 8 SO 9/19 R - Rn. 20) für die von ihnen für den streitgegenständlichen Zeitraum vom Beklagten verlangten Zinsen. Dies würde zumindest für deren Geltendmachung als Schadensersatz gelten (zur Präjudizialität in diesen Fällen vgl. z.B. Keller in: Meyer-Ladewig u.a., SGG, 14. Aufl., § 131 Rn. 10a, 10d ff.), soweit trotz - für die Zulässigkeit der Klage - unterstellter Rechtswidrigkeit des Versagungsbescheids gleichwohl die Verzinsung nach § 44 Abs. 2 SGB I ausscheidet, da - wie der Beklagte meint (vgl. Schreiben v. 10.12.2021) - ein Leistungsantrag der Kläger erst mit Vorlage der Kontoauszüge im Juni 2021 vollständig vorgelegen habe.

 

Die Fortsetzungsfeststellungsklage ist begründet, da der Versagungsbescheid rechtswidrig war.

 

Rechtsgrundlage des gegenständlichen Versagungsbescheids ist § 66 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 SGB I. Danach kann der Leistungsträger u.a. demjenigen, der eine Sozialleistung beantragt, seinen Mitwirkungspflichten nach §§ 60 bis 62, 65 SGB I nicht nachkommt, wodurch die Aufklärung des Sachverhalts erheblich erschwert wird, ohne weitere Ermittlungen die Leistung bis zur Nachholung der Mitwirkung ganz oder teilweise versagen, soweit die Voraussetzungen der Leistung nicht nachgewiesen sind.

 

Die §§ 60 ff. SGB I sind (ergänzend) anwendbar, da das SGB II für den gegenständlichen Versagungsbescheid keine hiervon abweichenden Regelungen (vgl. z.B. § 5 Abs. 3 Satz
3 ff. SGB II i.d.F. des Gesetzes v. 26.07.2016, BGBl. I S. 1824)
und für die Kläger neben allgemeinen Mitwirkungsobliegenheiten nach § 60 SGB I eine lediglich bereichsspezifische Ausgestaltung in § 60 Abs. 4 SGB II (i.d.F. des vorgenannten Gesetzes) enthält (§ 37 Satz 1 SGB I; zur lediglich ergänzenden Anwendung der §§ 60 ff. SGB I im SGB II vgl. z.B. BSG v. 19.09.2008 - B 14 AS 45/07 R - Rn. 13 f., BSG v. 19.02.2009 - B 4 AS 10/08 R - Rn. 13 f.; BSG v. 28.03.2013 - B 4 AS 42/12 R - Rn. 14; BSG v. 26.11.2020 - B 14 AS 13/19 R - Rn. 12; Seleserpe, DVP 2013, 324 ff.).

 

Maßgeblicher Zeitpunkt für die gerichtliche Beurteilung der Rechtmäßigkeit eines Versagungsbescheids ist der Abschluss des Verwaltungsverfahrens durch Erlass des Widerspruchsbescheids (vgl. nur BSG v. 12.10.2018 - B 9 SB 1/17 R - Rn. 14), da das materielle Recht keinen hiervon abweichenden anderen Beurteilungszeitpunkt bestimmt (zur Maßgeblichkeit des materiellen Rechts sowie zum Rückgriff auf die Klageart zur Bestimmung der maßgeblichen Sach- und Rechtslage lediglich als sog. Faustformel vgl. z.B. BSG v. 28.11.2018 - B 4 AS 43/17 R - Rn. 16; zum Erlass des Widerspruchsbescheids als Zeitpunkt, von dem an bei einem Vorverfahren erst von einer Nachholung der Mitwirkung i.S.d. § 67 SGB I gesprochen werden kann, vgl. mit beachtlichen Gründen z.B. Mroyzynski, SGB I, 6. Aufl., § 67 Rn. 4 ff., insb. Rn. 7, insoweit wohl a.A. z.B. Voelzke, a.a.O., § 67 Rn. 13 f., wonach eine bestandskräftige Entscheidung nach § 66 SGB I Grundvoraussetzung einer Entscheidung nach § 67 SGB I sei).

 

Zum Zeitpunkt des Widerspruchsbescheids vom 20.05.2020 lagen bereits die tatbestandlichen Voraussetzungen für den Erlass des gegenständlichen Versagungsbescheids nicht vor. Zwar war der Beklagte befugt, den Bezug existenzsichernder Leistungen nach dem SGB II zur Prüfung der Leistungsvoraussetzungen von der Vorlage u.a. von Kontoauszügen abhängig zu machen, jedenfalls soweit die Einnahmeseite betroffen ist. Das verpflichtet die Antragsteller von Leistungen grundsätzlich zur Vorlage der Kontoauszüge der letzten Zeit vor Antragstellung, jedoch mit der Einschränkung, dass die Angaben zu Empfängern nicht leistungserheblicher Zahlungsausgänge auf den Kontoauszügen geschwärzt werden können (vgl. zum Vorstehenden ausführlich z.B. BSG v. 14.05.2020 - B 14 AS 7/19 R - insb. Rn. 20 ff. m.w.N. auch zur vorhergehenden Rspr. zur früheren Rechtslage). Dahinstehen kann mangels Entscheidungserheblichkeit, ob und inwieweit daran das sog. Vereinfachte Verfahren für den Zugang zu sozialer Sicherung aus Anlass der COVID-19-Pandemie (§ 67 SGB II, eingefügt durch Gesetz v. 27.03.2020, BGBl. I S. 575; zur zeitlichen Anwendbarkeit des § 67 Abs. 1 SGB II und sukzessive Verlängerung des sog. „Pandemiezeitraums“ i.S.d. SGB II vgl. z.B. BSG v. 14.12.2023 - B 4 AS 4/23 R - insb. Rn. 22, 26) etwas änderte. Denn ein entsprechendes Mitwirkungsbegehren muss einen gesonderten Hinweis auf die Möglichkeit vorgenannter Schwärzung (zu § 67 Abs. 12 i.V.m. § 67a Abs. 1 Satz 2 SGB X i.d.F. des Gesetzes v. 18.05.2001, BGBl. I S. 904, vgl. bereits BSG v. 19.09.2008 - B 14 AS 45/07 R - Rn. 27 a.E.). Keines der Mitwirkungsverlangen des Beklagten (vgl. Schreiben bzw. E-Mails v. 08.04.2020, 17.04.2020, 20.04.2020 und 23.04.2020) enthält einen entsprechenden Hinweis oder zumindest einen Verweis auf das von den Klägern im Berufungsverfahren vorgelegte „Merkblatt zur Vorlage der Kontoauszüge - 08/2019“ (vgl. die Anlage zum Schreiben der Kläger v. 03.01.2022). Der Hinweis in der vom Beklagten verlangten sowie von den Klägern ausgefüllten, unter dem 14.04.2020 unterzeichneten und vorgelegten „Erklärung über die Erheblichkeit von Vermögenswerten“, wonach lediglich „bei Bedarf die Kontostände“ geschwärzt werden können, genügt den vorgenannten Anforderungen nicht. Unter Berücksichtigung der umfassenden Kommunikation der Beteiligten und sonstigen Mitwirkung der Kläger seit deren Antragstellung am 30.03.2020 bestehen auch keine überwiegenden Anhaltspunkte für eine grundsätzliche Verweigerung der Kläger, notwendige Unterlagen vorzulegen. Vielmehr bestand nach Aktenlage eher ein gewisses Unverständnis der Kläger insbesondere über die „behördlich angeordnete Schließung unseres Geschäftes, aufgrund der Corona Pandemie“ (vgl. bereits Antragsschreiben v. 30.03.2020) einerseits sowie die als zu weitgehend und nicht für überzeugend begründet gehaltene Forderung des Beklagten nach Vorlage der Kontoauszüge trotz zeitnaher Erbringung aller „zur Berechnung notwendigen Nachweise“ (vgl. z.B. E-Mail v. 23.04.2020) andererseits.

 

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG (zur Kostenentscheidung bei einem erfolglosen Rechtsmittel nur für den jeweiligen Rechtszug trotz des Grundsatzes der Einheitlichkeit der Kostenentscheidung vgl. z.B. Schmidt, a.a.O., § 193 Rn. 2a).

 

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nr. 1, 2 SGG) liegen nicht vor.

Rechtskraft
Aus
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