S 15 VJ 24/24

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG München (FSB)
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 15 VJ 24/24
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

I.
Eine Taubheit auf einem Ohr nach Hörsturz ist als Folge einer Impfschädigung anzuerkennen, wenn der Kausalzusammenhang nach dem aktuellen Stand der Wissenschaft medizinisch plausibel und unter abwägung aller Umstände des Einzelfalls überwiegend wahrscheinlich ist.

II.
Dagegen kann ein Entschädigungsanspruch nicht allein unter Verweis auf ein fehlendes ‚‚Risikosignal" abgelehnt werden, erst recht dann nicht, wenn es, wie hier bezüglich der Häufigkeit von Idiopathischen Hörstürzen vor der Pandemie an einer zuverlässigen Datengrundlage fehlt und insoweit statistische Aussagen von vorneherein unscharf sind.

 

I. Der Bescheid vom 12.07.2023 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 06.03.2024 wird aufgehoben.


II. Der Beklagte wird verurteilt, den Hörverlust der Klägerin auf dem rechten Ohr als Folge einer Impfschädigung der Impfung mit Comirnaty vom 23.10.2021 anzuerkennen und der Klägerin die daraus resultierenden gesetzlichen Leistungen nach einem Grad der Schädigungsfolgen (GdS) von 20 zu gewähren.


III. Der Beklagte trägt die Hälfte der außergerichtlichen Kosten der Klägerin.


T a t b e s t a n d :

Streitig ist eine Versorgung wegen Impfschadens.
Die am 2005 geborene Klägerin beantragte am 10.01.2022 Leistungen nach dem Infektionsschutzgesetz (IfSG). Sie macht geltend, dass sie nach der zweiten Impfung gegen das SARS-CoV-2-Virus mit dem Impfstoff Comirnaty der Firma Biontech am 23.10.2021 rechts eine an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit erworben habe.
Gemäß beigefügtem Befundbericht des Universitätsklinikums F-Stadt vom 22.12.2021 befand sich die Klägerin am gleichen Tag zur ambulanten Behandlung in der Klinik, wobei eine an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit auf der rechten Seite, anamnestisch einen Tag nach der zweiten Impfung gegen das SARS-CoV-2-Virus, festgestellt worden ist. Nebenbefundlich beschrieb die Klägerin immer wieder Kopfschmerzen frontal auch mit Schwindelgefühl. Sie benötige in der Schule und im Alltag eine höhere Konzentration aufgrund der hochgradigen Hörminderung auf der rechten Seite. Die Klägerin berichtete auch, dass sie am Morgen nach der Impfung mit Fieber erwacht sei und am Vormittag dann eine kurze Zeit später die Hörminderung aufgefallen sei. Eine intravenöse und intratympanale Kortikoidtherapie (siehe hierzu Befund vom 04.11.2021, Bl. 56 der Verwaltungsakte: hierbei Schwindelfreiheit vermerkt) erbrachte aufgrund des Befunds keine Besserung des Hörvermögens.
Am 12.11.2021 erfolgte eine diagnostische Tympanotomie mit Abdeckung einer möglichen Perilymphfistel (OP-Bericht Bl. 68 der Verwaltungsakte, Entlassbrief Bl. 70 der Verwaltungsakte).
Der Beklagte holte die Befundberichte der behandelnden Ärzte ein. Danach führte der Pädiater B. aus, dass am 25.10.2021 eine akute Infektion der oberen Atemwege vorgelegen habe. Die Klägerin habe über Kopfweh, Schwindel und Hörverlust auf einem Ohr geklagt. Gemäß dem Befund zeigte das rechte Trommelfell keine Entzündungszeichen und war nicht rot gefärbt. Vom Gesamteindruck her liege ein grippaler Infekt vor. Einen Tag später wurde eine matte Verfärbung des Trommelfells festgestellt "wie bei Tubenbelüftungsstörung". Rachen und Atmung waren ohne Befund.
Versucht wurde eine Therapie mit kortisonhaltigem Nasenspray (Mometason) zur Verbesserung der Tubenbelüftung.
Der Arzt für HNO-Heilkunde L. berichtete am 29.10.2021 (Blatt 23 der Verwaltungsakte) und am 03.02.2022 (Blatt 42 der Verwaltungsakte), dass bei einer durchgeführten Untersuchung am 29.10.2021 ein Schwindel, eine Neuropathia vestibularis rechts, ein Tinnitus rechts sowie ein Verdacht auf einen Hörsturz rechts diagnostiziert worden ist. Auch sei über Schwindel nach der zweiten Impfdosis mit Comirnaty berichtet worden. Es wird von einem normalen Trommelfell- und Gehörgangbefund berichtet, im Tonaudiobefund sei hingegen ein Verdacht auf Hörsturz rechts bei massivem Innenohrabfall zu konstatieren. Eine Videonystagmographie habe eine periphere vestibuläre Störung rechts ergeben. Die Klägerin teilte dem Arzt sodann am 31.01.2022 mit, dass sie aktuell Hörgeräte für das rechte Ohr ausprobieren würde. L. überwies die Klägerin zum Universitätsklinikum D-Stadt, wo sie untersucht wurde.
Der Hausarzt L1. berichtete am 21.01.2022, dass bei der Klägerin am 24.10.2021 39,5° Temperatur, ein Vertigo (Schwindel) sowie rechts Tinnitus und Taubheit vorgelegen hätten.
Gemäß Laborbefund vom 26.10.2021 lag bei der Klägerin ein CRP-Wert von 1,0 mg/dl (= 10 mg/l und damit erhöht) vor (Bl. 40 der Verwaltungsakte). Gemäß Befund einer Computertomografie vom 10.11.2021 des Universitätsklinikums D-Stadt (Blatt 61 der Verwaltungsakte) gelang eine unauffällige Darstellung der beiden Mittel- und Innenohre bei Vorliegen einer Sinusitis im rechten Sinus sphenoidalis. Ein Kernspintomografiebefund vom gleichen Tag (Blatt 63 der Verwaltungsakte) erbrachte keinen Nachweis einer Raumforderung in der Kleinhirnbrückenwinkelregion beidseits. Auch erfolgte eine normale Signalgebung des Labyrinths beidseits.
Der Beklagte befragte sodann die Klägerin am 04.04.2022 bezüglich ihres Krankheitsverlaufs nach der Impfung am 23.10.2021. Die Klägerin führte am 06.04.2022 aus, dass sie am Nachmittag gegen 16:00 Uhr die Impfung mit Comirnaty erhalten habe. Unmittelbar nach der Impfung habe sie keine Reaktion verspürt. Um ca. 20:00 Uhr habe ein Tinnitus begonnen. Als sie am 24.10.2021 aufgewacht sei, habe sie auf dem rechten Ohr kein Hörempfinden mehr und einen Tinnitus gehabt. Sie habe mit 39,4 °C gefiebert, starken Schwindel, starke Kopfschmerzen und Erbrechen gehabt. Sie sei dann mit Wadenwickel und Paracetamol 500 mg sowie kalten Umschlägen behandelt worden, sodass das Fieber dann auf 38,2 °C gesunken sei. Am 25.10.2021 sei das Beschwerdebild unverändert gewesen mit Hörverlust rechts und starkem Schwindel etc.. Sie sei dann zum Kinderarzt gegangen, wobei Blut abgenommen wurde und Ibuprofen verschrieben worden sei. Eine Besserung des Beschwerdebilds hätte sich nicht ergeben. Sie hätte Ängste und das Gefühl von Ausgeliefertsein verspürt. Am 26.10.2021 habe sie weiterhin den Hörverlust gehabt und einen starken Schwindel verspürt, sodass sie das Universitätsklinikum F-Stadt aufgesucht habe. Dort sei in der HNO-Ambulanz Blut entnommen worden und sie habe Übungen bezüglich eines Lagerungsschwindels gezeigt bekommen. Eine Besserung sei nicht erfolgt. Ab dem 27.10.2021 habe sie sich um einen Termin beim niedergelassenen Arzt für HNO-Heilkunde bemüht. Sowohl Tinnitus als auch Hörverlust rechts würden immer noch persistieren. Mittlerweile würde sie ein Hörgerät rechts tragen. Die nächste Kontrolle beim Universitätsklinikum F-Stadt sei für den 20.04.2022 geplant.
L. führte am 27.07.2022 aus, dass eine Verbesserung des Hörvermögens rechts aktuell unwahrscheinlich sei. Der Beklagte forderte sodann von der Aktivpartei die Hörgeräteanpassungsprotokolle des Hörgeräteakustikers sowie die letzten Hörtests an. Letztere wurden am 08.02.2023 auch beim Universitätsklinikum F-Stadt (Bl. 117 der Verwaltungsakte) angefordert.
Der Beklagte holte sodann, nachdem die Unterlagen eingegangen waren, eine versorgungsärztliche Stellungnahme (Bl. 162 der Verwaltungsakte) ein. Frau G. (Fachärztin für Arbeitsmedizin und Öffentliches Gesundheitswesen) führte am 07.03.2023 aus, dass am 25.10.2021 die Verdachtsdiagnose einer Tubenbelüftungsstörung durch den Kinderarzt gestellt worden sei. Ein Marker für Thrombosen (D-Dimere, die beim Abbau von Thromben entstehen) im Blut sei erhöht gewesen. Es sei eine dreitägige intravenöse Kortisontherapie erfolgt. Im Rahmen von ambulanten Vorstellungen im Universitätsklinikum F-Stadt ab dem 04.11.2021 sei eine lokale Kortikoidtherapie im rechten Innenohr über drei Tage durchgeführt worden, die zu keiner Besserung geführt habe. Auch das zur weiteren Diagnostik durchgeführte Pyramiden-Computertomogramm und Kleinhirnbrückenwinkel-Computertomogramm habe einen unauffälligen Befund ergeben. Durch eine diagnostische Probeeröffnung des Mittelohrs habe am 12.11.2021 eine Fistel ausgeschlossen werden können. Die Verlaufskontrollen im Dezember 2021, im Februar 2022 und im Juni 2022 hätten weiterhin eine unverändert hochgradige Schwerhörigkeit rechts gezeigt (im Hochtonbereich an Taubheit grenzend). Nach Angaben des Arztes für HNO-Heilkunde im Juli 2022 sei mittlerweile eine Hörgeräteversorgung rechts erfolgt.
Aus den Unterlagen würden sich keine Hinweise für einen vorangegangenen Infekt ergeben. Vorerkrankungen seien bei der Klägerin nicht bekannt. Ein Tumor sei bildgebend ausgeschlossen worden. Auch Hinweise auf eine Autoimmunerkrankung würden sich nicht finden.
Eine plötzlich eintretende Minderung oder der vollständige Verlust des Hörvermögens werde als Hörsturz bezeichnet. Es würde sich um eine Innenohrschwerhörigkeit handeln. Die genauen Ursachen seien nicht abschließend geklärt. Auslöser könnten virale Infektionen (insbesondere Mumps), eine Gefäßerkrankung, Autoimmunerkrankungen oder Stress sein. Auch ein Tumor komme als Ursache eines Hörverlustes in Betracht. Ein plötzlicher Hörverlust in der Kindheit sei selten und werde in der Literatur mit 3,5 % bis 10 % aller plötzlichen Hörverluste angegeben. In Deutschland seien von Januar 2000 bis Dezember 2003 bei Kindern unter 18 Jahren 14 Fälle eines idiopathischen Hörverlustes aufgetreten. Aktuellere Veröffentlichungen seien in einer Literaturrecherche (PubMed) nicht gefunden worden.
In der Literatur würden vereinzelt Fälle eines Hörverlustes in zeitlichem Zusammenhang mit der Comirnaty-Impfung beschrieben. Die Studienergebnisse größerer Übersichtsarbeiten seien widersprüchlich. Während in einer Observed-versus-Expected-Analyse in den USA keine erhöhte Anzahl an sensorineuralem Hörverlust (Innenohrschwerhörigkeiten) im Zusammenhang mit der Impfung gegen das SARS-CoV-2-Virus habe beschrieben werden können, sei in einer großen israelischen Studie ein Zusammenhang zwischen Comirnaty und plötzlichem Hörverlust beschrieben worden (zitiert wird Yanir et al., Association between the BNT 162b2 Messsenger RNA Covid-19 Vaccine and the Risk of Sudden Sensorineuronal Hearing Loss, International Journal of Audiology, 59:4, 243-253). Auch seien Hörstürze nach Impfungen mit anderen Impfstoffen (zum Beispiel gegen Influenza, Tetanus/Diphtherie, Meningokokken, Tollwut) bekannt.
Dem Paul-Ehrlich-Institut (PEI) seien bezogen auf 100.000 Impfungen mit Comirnaty 184 Hörstürze gemeldet worden. Nach Gabe des bivalenten, an die Omicron-Variante angepassten Impfstoffes nur noch drei Fälle.
Eine mögliche Erklärung für den Hörsturz der Klägerin sei ein vaskuläres Ereignis, insbesondere da die Gefäße des Innenohrs ganz besonders empfindlich gegenüber einer verminderten Durchblutung seien. Zwei Tage nach der Impfung seien bei der Klägerin ein erhöhter CRP-Wert (Entzündungsparameter) und erhöhte Werte an D-Dimeren bei normaler Anzahl an Blutplättchen (Thrombozyten) nachgewiesen worden. Ein erhöhter Wert an D-Dimeren sei ein Hinweis auf eine verstärkte Blutgerinnung im Körper. Sie würden beim Abbau von geronnenem Blut entstehen und seien daher ein Hinweis auf einen Gefäßverschluss durch ein Blutgerinnsel (thrombotisches Ereignis). Andere Ursachen der Erhöhung der D-Dimere wie beispielsweise ein chronisches Vorhofflimmern, eine Ausbuchtung der Herzwand, ein Tumor, Infektionen oder eine Operation hätten bei der Klägerin laut Aktenlage nicht vorgelegen.
Als Ursache des Hörverlustes könne daher ein thrombotisches Geschehen bei erhöhten D-Dimeren in Betracht gezogen werden, auch wenn hinsichtlich einer Thrombose ohne Erniedrigung der Blutplättchen die Studien bei Comirnaty laut PEI nicht einheitlich seien. Eine eindeutige Aussage im Hinblick auf ein mögliches Thromboserisiko nach Impfung gegen das SARS-CoV-2-Virus ließe sich laut PEI daraus nicht ableiten. Ein Thrombose-mit-Thrombopenie-Syndrom (TTS), wie es nach Impfung mit dem Impfstoff von AstraZeneca (Vaxzevria) und der Firma J. (1.) auftreten könne, liege nicht vor. Dieses führe ebenfalls zu Thrombosen, setze aber eine erniedrigte Zahl an Blutplättchen und/oder den Nachweis von Antikörpern gegen den Plättchenfaktor 4 (Anti-PF4-AK) voraus. Bei der Klägerin sei die Anzahl der Thrombozyten bei Diagnose normal gewesen, eine Bestimmung des Anti-PF4-AK sei nicht vorgenommen worden.
In der Vorgeschichte würden sich keine richtungsweisenden Ursachen für den rechtsseitigen Hörverlust finden. Vorerkrankungen, eine relevante Vormedikation oder vorangegangene Infekte würden nicht vorliegen. Als mögliche Ursache komme eine Thrombose bei erhöhten D-Dimeren in Betracht. Die Frage des ursächlichen Zusammenhangs ließe sich aufgrund des derzeitigen wissenschaftlichen Kenntnisstandes nicht eindeutig bejahen oder verneinen. Für einen kausalen Zusammenhang spreche aber das sehr seltene Auftreten eines plötzlichen Hörverlustes in der Kindheit und die zeitlich unmittelbar nach der Impfung auftretenden Beschwerden. Auch gebe es Fallbeispiele aus der Literatur, die einen Hörverlust in zeitlichem Zusammenhang mit der Comirnaty-Impfung beschreiben würden. Da die zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung erforderliche Wahrscheinlichkeit nur deshalb nicht gegeben ist, weil über die Ursache der festgestellten Gesundheitsstörung in der medizinischen Wissenschaft Ungewissheit bestehe, werde empfohlen, die an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit rechts als Schädigungsfolge der Impfung im Rahmen der Kann-Versorgung anzuerkennen.
Der Beklagte fragte sodann beim Bayerischen Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales um Zustimmung zur Anerkennung der Kann-Versorgung. Zudem wurde der Vorgang noch einmal in der Zentrale des ZBFS geprüft.
Der Ärztliche Dienst der Zentrale des ZBFS (S., Facharzt für Innere Medizin) führte am 20.06.2023 aus, dass etwa 4 Stunden nach der Comirnaty-Impfung Ohrgeräusche rechts aufgetreten seien und am nächsten Tag ein nahezu vollständiger Hörverlust auf der rechten Seite bemerkt worden sei. Der Kinderarzt habe zwei Tage nach der Impfung Zeichen eines grippalen Infektes beschrieben. Bei der körperlichen Untersuchung seien geringe Auffälligkeiten bei der Untersuchung des rechten Gehörgangs beschrieben worden, sonst hingegen keine Hinweise auf einen ursächlichen Krankheitswert. Die vorgelegten fachärztlichen Befunde würden die Schwindelbeschwerden abschließend auf einen gutartigen paroxysmalen Lagerungsschwindel zurückführen. Für einen plötzlichen Hörverlust ohne erkennbare Ursache (Hörsturz) gebe es nur Erklärungsversuche und mögliche Risikofaktoren. Nach der Fachinformation zum Impfstoff und den Sicherheitsberichten des PEI sei ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Impfung und dem Auftreten eines Hörsturzes nicht wahrscheinlich. Nach Seite 6 des Sicherheitsberichts des PEI vom 07.09.2022 seien auf 10 Millionen Impfungen mit Comirnaty nur 14 Verdachtsmeldungen eines Hörsturzes als mögliche Impfnebenwirkung gemeldet worden. In der Gesamtschau sei trotz des zeitlichen Zusammenhangs der ursächliche Zusammenhang zwischen dem rechtsseitigen Hörverlust und der Comirnaty Impfung nicht wahrscheinlich.
Der Beklagte lehnte dann trotz der positiven Stellungnahme von G. alleine aufgrund der Stellungnahme von S. den Antrag mit Bescheid vom 12.07.2023 ab. In dem Bescheid wurde alleine ein Auszug aus der Stellungnahme von S. zitiert, die Stellungnahme von G. wurde nicht erwähnt. Auch wurde nicht dargelegt, weshalb die Argumentation von G. falsch sei und weshalb alleine ein abstrakter Sicherheitsbericht des PEI konkrete Kausalitätsfragen im Falle der Klägerin beantworten kann.
Die Klägerin ließ hiergegen mit Schreiben vom 07.08.2023 Widerspruch erheben. Dieser wurde mit Schreiben vom 22.12.2023 ausführlich begründet (Blatt 198 ff. der Verwaltungsakte). Die Klägerin ließ monieren, dass nach Vorliegen der ersten versorgungsärztlichen Stellungnahme der Teamleiter einen Aktenvermerk (Blatt 166 der Verwaltungsakte) anfertigte, wonach es fraglich sei, ob die Voraussetzungen einer Kann-Versorgung überhaupt vorliegen würden. Diese Aussage sei weder medizinisch noch rechtlich begründet und würde im Widerspruch zu der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 07.03.2023 stehen. Da zu diesem Zeitpunkt auch noch eine versorgungsärztliche Stellungnahme der Zentrale (S.) ausstand, würde eine irritierende subjektive Ablehnungstendenz vorliegen.
S. habe die Voraussetzungen des Vorliegens einer Kann-Versorgung nicht geprüft. Richtigerweise werde zwar festgestellt, dass die Entstehungsursache eines plötzlichen Hörverlustes nicht aufklärbar sei. In einer zweiten Prüfungsstufe unterbleibe allerdings eine Stellungnahme zu einer "guten Möglichkeit" (in Abgrenzung zur Wahrscheinlichkeit). Es werde lediglich auf den Sicherheitsbericht des PEI vom 07.09.2022 hingewiesen. Es sei hierbei anzumerken, dass es insgesamt 184 Verdachtsfälle gab. Es sei naheliegend, dass auch der Fall der Klägerin ein solcher Verdachtsfall ist. Es würden daher mehr Umstände für als gegen einen ursächlichen Zusammenhang sprechen.
Erneut wurde S. mit einer Stellungnahme beauftragt. Dieser führte aus, dass Fieber nicht zu den Begleitsymptomen eines Hörsturzes gehören würde. Der kurze zeitliche Abstand von nur ca. 4 Stunden zwischen Verabreichung des Impfstoffs und der ersten Hörstörungen spreche gegen einen theoretisch begründbaren ursächlichen Zusammenhang.
Sodann wurde mit Widerspruchsbescheid vom 06.03.2024 der Widerspruch zurückgewiesen. Dieser führte aus, dass sich die Gesundheitsstörung/Schwerhörigkeit auf einen akuten Hörsturz zurückführen lassen würde.
Hiergegen richtet sich die Klage zum Sozialgericht München vom 05.04.2024. Bezüglich der Klagebegründung wird auf Blatt 35 ff. der Gerichtsakte verwiesen. Es werde von einem GdS von 50 ausgegangen, da Taubheit auf einem von zwei Ohren vorliegen würde. In der mündlichen Verhandlung wurde der Antrag nach entsprechendem Hinweis des Vorsitzenden abgeändert.
Die Klägerin beantragt:
1. Der Bescheid vom 12.07.2023 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.03.2024 wird aufgehoben.
2. Der Beklagte wird verurteilt, den Hörverlust auf dem rechten Ohr als Folge einer Impfschädigung der Impfung mit Comirnaty vom 23.10.2021 anzuerkennen und der Klägerin die daraus resultierenden gesetzlichen Leistungen nach einem GdS von 20 zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das Gericht hat Befundberichte der behandelnden Ärzte eingeholt und sodann am 24.10.2024 den begründeten Hinweis gegeben, dass die Klage aufgrund der überzeugenden Ausführungen von G. dem Grunde nach begründet ist.
Der Beklagte erwiderte hierzu am 08.01.2025 in Form einer Stellungnahme von S. Laborwerte vom 25./ 26.10.2021 hätten einen anfangs gering erhöhten CRP-Wert von 17,6 mg/l gezeigt, der am 26.10.2021 auf 10 mg/l abgefallen sei (Normwert: < 5 mg/l). Diese Erhöhung könne mit dem diagnostizierten akuten Infekt der oberen Atemwege oder durch die gewünschte Impfreaktion auf Comirnaty erklärt werden. Der am 25.10.2021 gemessene, gering erhöhte D-Dimere-Wert von 738 Mikrogramm/ml (Normbereich < 500 Mikrogramm/ml) ließe keinen Rückschluss auf eine bestimmte Erkrankung zu, insbesondere nicht auf eine Thrombose im Bereich des Innenohrs. Bei allen Entzündungen könnte auch der D-Dimere-Wert leicht ansteigen (bis auf 1.000 Mikrogramm/ml), ohne dass dies auf eine Thrombose hinweisen würde. Die von P. zitierte Studie habe zudem die Inzidenz für einen idiopathischen Hörsturz auf 10/100.000 Kinder in der Region Aachen angegeben, was auf Deutschland übertragbar sein dürfte (Anmerkung der Kammer: bei ca. 14 Mio. Kinder entspräche dies 1.400 Fällen). Auch die HNO-Klinik F-Stadt habe keine Thrombose in Erwägung gezogen, sondern an eine Perilymphfistel gedacht. Zwar sei diese gem. OP-Bericht (Bl. 68-79 der IfSG-Akte) nicht gefunden worden, jedoch seien drei potentielle Schwachstellen abgedichtet worden, weshalb eine organische Ursache evtl. nicht völlig auszuschließen sei. Gem. PEI seien bei 133 Mio. Impfungen mit Comirnaty nur 184 Fälle von Hörsturz nach der Impfung gemeldet worden entsprechend 1,4 Verdachtsmeldungen auf 1 Mio. Impfungen. Würde ein ursächlicher Zusammenhang bestehen, so wäre zu erwarten, dass ein Hörsturz nach Comirnaty öfter gemeldet wird. Die Häufigkeit eines Hörsturzes nach Impfung mit Comirnaty sei nicht höher als in der ungeimpften Bevölkerung, so dass eine Wahrscheinlichkeit für eine Ursächlichkeit nicht bestehen würde. In der Literatur würde eine Prävalenz von 10-20 Hörstürzen pro 100.000 angegeben. In der Zeitschrift für Komplementärmedizin sei 2012 eine Inzidenz von 160-400/ 100.000 genannt worden. In einer Studie von H. sei anhand der französischen P.-Datenbank eine Melderate von weniger als 2 Fällen pro 1 Mio. Impfungen für den Zeitraum von Januar 2021 bis Februar 2022 angegeben worden, was unterhalb der geschätzten Inzidenz für die spontane Entstehung plötzlicher Hörminderungen liegen würde. Die israelische Studie Yanir Y. et al., die ein erhöhtes Risiko annehme, berücksichtige nicht Vorerkrankungen der Betroffenen. Zwar sei in dieser Studie auch ausgeführt, dass das Auftreten eines plötzlichen Hörverlusts als sehr seltene Nebenwirkung einer mRNA-Impfung definiert werden könne, weil bei 8 Personen der Studie nach einer erneuten mRNA-Covid-19-Impfung wiederum Hörstörungen aufgetreten seien. Nach Auffassung von S. könnten diese acht Fälle jedoch nicht das Ergebnis vieler 100 Mio. Impfungen in Frage stellen, bei denen sich keine Häufung ergab. Ein Teil dieser acht Personen hätte auch Vorerkrankungen, zudem würde es bei 30 % zu spontanen Rezidiven kommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird zur Ergänzung des Sachverhalts auf den Inhalt der Verwaltungsakte des Beklagten sowie der Gerichtsakte des hiesigen Verfahrens Bezug genommen.


E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

Die zulässige Klage ist im noch streitigen Umfang begründet. Die angegriffenen Bescheide halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand und beschweren die Klägerin im Sinne von § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Die Klägerin hat einen Anspruch auf Versorgung auf der Grundlage eines GdS von 20. Soweit die Klägerin ursprünglich eine Versorgungsrente nach einem GdS von 50 beantragt hat, war die Klage unbegründet und der Antrag wurde entsprechend in der mündlichen Verhandlung angepasst.

1.
Nach § 60 Abs. 1 Satz 1 IfSG in der zum Zeitpunkt der vorliegenden Antragstellung geltenden Fassung vom 10.01.2022 erhält, wer durch eine Schutzimpfung oder durch eine andere Maßnahme der spezifischen Prophylaxe, die (1.) von einer zuständigen Landesbehörde öffentlich empfohlen und in ihrem Bereich vorgenommen wurde, die (1a.) gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 aufgrund einer Rechtsverordnung nach § 20i Absatz 3 Satz 2 Nummer 1 Buchstabe a, auch in Verbindung mit Nummer 2, des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) vorgenommen wurde, die (2.) auf Grund dieses Gesetzes angeordnet wurde, die (3.) gesetzlich vorgeschrieben war oder die (4.) auf Grund der Verordnungen zur Ausführung der Internationalen Gesundheitsvorschriften durchgeführt worden ist, eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, nach der Schutzimpfung wegen des Impfschadens im Sinne des § 2 Nr. 11 oder in dessen entsprechender Anwendung bei einer anderen Maßnahme wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen der Schädigung auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG, soweit dieses Gesetz nichts Abweichendes bestimmt. § 60 IfSG in der Fassung vom 12.12.2023 hat eine Änderung im Wesentlichen lediglich bzgl. des Zusatzes erfahren, dass auch Schutzimpfungen von Personen, die in der privaten Krankenversicherung versichert sind, erfasst sind, die in einem Umfang vorgenommen werden, der dem Anspruch auf Basis einer Rechtsverordnung nach § 20i Abs. 3 SGB V entspricht.
Vorliegend ist nicht § 24 SGB XIV einschlägig. Gemäß § 141 Satz 1 SGB XIV, der eine Übergangsvorschrift zur Lösung des Konflikts zwischen der alten Regelung des Impfschadensrechts in § 60 IfSG und der Neuregelung in § 24 SGB XIV darstellt, erhalten Personen, die wie die Klägerin vor dem Inkrafttreten dieses Buches am 01.01.2024 geschädigt worden sind, Leistungen nach diesem Buch, wenn die Voraussetzungen nach § 60 IfSG in der bis zum 31.12.2023 geltenden Fassung erfüllt waren.
Nach § 2 Nr. 11, 1. Halbsatz IfSG in der bis 31.12.2023 unverändert geltenden Fassung vom 20.07.2000 ist der Impfschaden definiert als die gesundheitliche und wirtschaftliche Folge einer über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung durch die Schutzimpfung.
a.
Die Anerkennung als Impfschaden setzt eine dreigliedrige Kausalkette voraus (BSG, Urteil vom 25.03.2004 - B 9 VS 1/02 R; BSG, Urteil vom 16.12.2014 - B 9 V 3/13 R): Ein schädigender Vorgang in Form einer "Schutzimpfung oder einer anderen Maßnahme der spezifischen Prophylaxe", der die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 Satz 1 IfSG erfüllt (1. Glied), muss zu einer "gesundheitlichen Schädigung" (2. Glied), also einem Primärschaden in Form einer Impfkomplikation geführt haben, die wiederum den "Impfschaden", d.h. die dauerhafte gesundheitliche Schädigung, also den Folgeschaden (3. Glied) bedingt.
Diese drei Glieder der Kausalkette müssen - auch im Impfschadensrecht - im Vollbeweis, d.h. mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nachgewiesen sein (ständige Rspr., vgl. BSG, Urteile vom 15.12.1999 - B 9 VS 2/98 R - und vom 07.04.2011 - B 9 VJ 1/10 R; BayLSG, Urteil vom 25.07.2017 - L 20 VJ 1/17; Hessisches LSG, Urteil vom 26.06.2014 - L 1 VE 12/09; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 01.07.2016 - L 13 VJ 19/15). Für diesen Beweisgrad ist es zwar nicht notwendig, dass die erforderlichen Tatsachen mit absoluter Gewissheit feststehen. Ausreichend, aber auch erforderlich ist jedoch ein so hoher Grad der Wahrscheinlichkeit, dass bei Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens kein vernünftiger, den Sachverhalt überschauender Mensch am Vorliegen der Tatsachen zweifelt (vgl. BSG, Urteil vom 28.06.2000 - B 9 VG 3/99 R) und somit eine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit vorliegt (vgl. BSG, Urteil vom 05.05.1993 - 9/9a RV 1/92).
Ausgehend von diesen Grundsätzen sind die diese drei Glieder der Kausalkette unstrittig gegeben. Die Klägerin hatte bereits kurz, d.h. am selben Tag, nach der Impfung mit Comirnaty (welche eine Schutzimpfung ist, die die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 Satz 1 IfSG erfüllt) Tinnitus und kurz anschließend, d.h. am nächsten Tag, Hörprobleme (Primärschaden, sofern die Kausalität zu bejahen ist, dazu unten). Dieser Primärschaden hat sich in einen dauerhaft erheblichen Hörverlust verstetigt (Sekundärschaden).

b.
Die Beurteilung des Ursachenzusammenhangs zwischen den drei Gliedern der Kausaltätskette folgt, wie ansonsten im Versorgungsrecht auch, der Theorie der wesentlichen Bedingung (ständige Rspr. des BSG, vgl. z.B. Urteile vom 23.11.1977 - 9 RV 12/77, vom 08.05.1981 - 9 RV 24/80, vom 20.07.2005 - B 9a V 1/05 R - und vom 18.05.2006 - B 9a V 6/05 R). Diese beruht auf der naturwissenschaftlich-philosophischen Bedingungstheorie: Danach ist jedes Ereignis Ursache eines Erfolges, das nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (conditio sine qua non). Als rechtserheblich werden allerdings nur solche Ursachen angesehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben.
Für den ursächlichen Zusammenhang zwischen den drei Gliedern der Kausalitätskette reicht nach § 61 Satz 1 IfSG der Beweismaßstab der Wahrscheinlichkeit aus. Die Beweisanforderung der Wahrscheinlichkeit gilt sowohl für den Bereich der haftungsbegründenden Kausalität zwischen dem ersten und dem zweiten Glied der Kausalitätskette als auch für den Bereich der haftungsausfüllenden Kausalität zwischen dem zweiten und dem dritten Glied (vgl. BSG, Urteil vom 15.12.1999 - B 9 VS 2/98 R).
Eine potentielle, versorgungsrechtlich geschützte Ursache begründet dann einen wahrscheinlichen Zusammenhang, wenn ihr nach sachgerechter Abwägung aller wesentlichen Umstände gegenüber jeder anderen Möglichkeit ein deutliches Übergewicht zukommt (vgl. BSG, Urteil vom 22.09.1977 - 10 RV 15/77), also mehr für als gegen einen Kausalzusammenhang spricht (vgl. BSG, Urteile vom 19.08.1981 - 9 RVi 5/80, vom 26.06.1985 - 9a RVi 3/83, vom 19.03.1986 - 9a RVi 2/84, vom 27.08.1998 - B 9 VJ 2/97 R - und vom 07.04.2011 - B 9 VJ 1/10 R). Nicht ausreichend ist dagegen eine bloße - abstrakte oder konkrete - Möglichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs (vgl. BSG, Urteile vom 26.11.1968 - 9 RV 610/66, und vom 07.04.2011, a.a.O.).
Kann eine Aussage zu einem wahrscheinlichen Zusammenhang nur deshalb nicht getroffen werden, weil über die Ursache des festgestellten Leidens in der medizinischen Wissenschaft Ungewissheit besteht, kommt die sogenannte Kann-Versorgung gemäß § 60 Abs. 1 IfSG i.V.m. § 61 S. 2 IfSG in Betracht.
Lässt sich der Vollbeweis in Bezug auf die drei Glieder der Kausalitätskette nicht führen oder der Ursachenzusammenhang zwischen den drei Gliedern der Kausalitätskette nicht wahrscheinlich machen und auch über die Kann-Versorgung nicht herstellen, so geht die Nichterweislichkeit der Tatsache bzw. des Ursachenzusammenhangs nach den allgemeinen Regeln der Beweislast zu Lasten dessen, der sich zur Begründung seines Anspruchs hierauf stützen will.
Allein ein gewisser zeitlicher Zusammenhang ist für die Annahme einer Kausalität nicht ausreichend (vgl. Teil C Nr. 3c Versorgungsmedizinische Grundsätze - VG, Anlage zu § 2 Versorgungsmedizin-Verordnung). Jedoch kann eine zeitliche Nähe zwischen der Impfung und dem Auftreten von Gesundheitsstörungen einen potentiellen Hinweis auf einen möglichen ursächlichen Zusammenhang darstellen, ohne einen solchen generell zu belegen. Denn für die Annahme einer auf die Impfung zurückzuführenden Primärschädigung ist die Erfüllung mehrerer Kriterien im Rahmen einer detaillierten Prüfung erforderlich (vgl. für Viele z.B. Karl: in Schmidt, SGB XIV, 1. Aufl. 2021, § 24, Rn. 70 ff.).
Schließlich ist eine Kann-Versorgung mit Zustimmung des zuständigen Ministeriums zu gewähren, wenn ein ursächlicher Zusammenhang nur deshalb nicht als wahrscheinlich angenommen werden kann, weil über die Ursache des festgestellten Leidens in der medizinischen Wissenschaft Ungewissheit besteht. Nach Teil C Nr. 4.2 VG ist eine Kann-Versorgung zu prüfen, wenn über die Ätiologie und Pathogenese des als Schädigungsfolge geltend gemachten Leidens keine durch Forschung und Erfahrung genügend gesicherte medizinisch-wissenschaftliche Auffassung herrscht und entsprechend die ursächliche Bedeutung von Schädigungstatbeständen für die Entstehung oder den Verlauf des Leidens nicht mit Wahrscheinlichkeit beurteilt werden kann. In diesen Fällen ist die Kann-Versorgung zu gewähren, wenn ein ursächlicher Einfluss des geltend gemachten schädigenden Tatbestandes in den wissenschaftlichen Arbeitshypothesen als theoretisch begründet in Erwägung gezogen wird.
Dabei reicht die allein theoretische Möglichkeit eines Ursachenzusammenhangs nicht aus. Denn die Verwaltung ist nicht ermächtigt, bei allen Krankheiten ungewisser Genese immer die Möglichkeit des Ursachenzusammenhangs - die so gut wie nie widerlegt werden kann - ausreichen zu lassen (vgl. BSG, SozR 3-3200 § 81 Nr. 9 m.w.N.). Es genügt nicht, wenn ein Arzt oder auch mehrere Ärzte einen Ursachenzusammenhang nur behaupten. Vielmehr ist es erforderlich, dass diese Behauptung medizinisch-biologisch nachvollziehbar begründet und durch wissenschaftliche Fakten, die insbesondere auf statistischen Erhebungen beruhen (vgl. BSG, Urteil vom 12.12.1995 - 9 RV 17/94), untermauert ist. Die Fakten müssen - in Abgrenzung zu den Voraussetzungen der Pflichtversorgung - zwar (noch) nicht so beschaffen sein, dass sie bereits die überwiegende medizinische Fachwelt überzeugen. Die niedrigere Schwelle zur Kann-Versorgung ist daher bereits dann überschritten, wenn die vorgelegte Begründung einschließlich der diese belegenden Fakten mehr als die einfache Möglichkeit eines Ursachenzusammenhangs belegt (vgl. BSG, Urteile vom 12.12.1995 - 9 RV 17/94 - und vom 17.07.2008 - B 9/9a VS 5/06 R) und damit zumindest einen eingeschränkten Personenkreis der Fachmediziner überzeugt. Es darf also nicht nur eine theoretische Möglichkeit des Zusammenhangs bestehen. Es muss sich vielmehr um eine "gute Möglichkeit" handeln, die sich in der wissenschaftlichen Medizin nur noch nicht so zur allgemeinen Lehrmeinung verdichtet hat, dass von gesicherten Erkenntnissen gesprochen werden kann (BSG, Urteil vom 12.12.1995 - 9 RV 17/94).

c.
Nach diesen Grundsätzen ist zunächst anzumerken, dass im Falle der Klägerin ein plötzlicher Hörsturz vorliegt, welcher sich in sehr engem zeitlichen Zusammenhang mit der Impfung, nämlich am nächsten Tag, manifestiert hat.
G. vom Versorgungsärztlichen Dienst hat am 07.03.2023 ausgeführt, dass die genauen Ursachen eines Hörsturzes im Sinne einer Innenohrschwerhörigkeit nicht abschließend geklärt seien. Auslöser (also zumindest mittelbare Verursacher der Erkrankung) könnten jedoch nach der Wissenschaft virale Infektionen (insbesondere Mumps), eine Gefäßerkrankung, Autoimmunerkrankungen oder Stress sein.
Eine mögliche Erklärung für den Hörsturz der Klägerin sei ein vaskuläres Ereignis, insbesondere da die Gefäße des Innenohrs ganz besonders empfindlich gegenüber einer verminderten Durchblutung seien.
Zwei Tage nach der Impfung seien bei der Klägerin ein erhöhter CRP-Wert (Entzündungsparameter) und erhöhte Werte an D-Dimeren bei normaler Anzahl am Blutplättchen (Thrombozyten) nachgewiesen worden. Ein erhöhter Wert an D-Dimere sei ein Hinweis auf eine verstärkte Blutgerinnung im Körper. Sie würden beim Abbau von geronnenem Blut entstehen und seien daher ein Hinweis auf einen Gefäßverschluss durch ein Blutgerinnsel (thrombotisches Ereignis). Andere Ursachen der Erhöhung der D-Dimere wie beispielsweise ein chronisches Vorhofflimmern, eine Ausbuchtung der Herzwand, ein Tumor, Infektionen oder einer Operation hätten bei der Klägerin laut Aktenlage nicht vorgelegen.
Damit liegt eine plausible Ursachenbeschreibung vor, nämlich, dass ein Thrombus im engen zeitlichen Zusammenhang mit der Impfung mittelbarer Verursacher des Hörsturzes war. Es handelt sich mithin um eine gute Möglichkeit im obigen Sinne.
Versorgungsrechtlich entscheidend ist nun die Frage, ob die mRNA-Impfung Thromben auslösen kann. Das LSG Bayern hat jüngst - gestützt auf eine Aussage des dortigen Gutachters - entschieden, dass "es für einen kausalen Zusammenhang zwischen Impfungen mit einem mRNA-Impfstoff und Thrombosen keine seriöse wissenschaftliche Lehrmeinung" geben würde (Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 30. April 2024 - L 15 VJ 2/23 -, Rn. 72, juris). Unklar ist, auf welche Lehrmeinung sich der dortige Gutachter und damit das LSG Bayern stützte. Auch ist unklar, welcher kausale Zusammenhang genau eingefordert wurde.
Maßstab der Kausalität ist nach ständiger Rechtsprechung der Sozialgerichtsbarkeit, dass eine potentielle, versorgungsrechtlich geschützte Ursache dann einen wahrscheinlichen Zusammenhang begründet, wenn ihr nach sachgerechter Abwägung aller wesentlichen Umstände gegenüber jeder anderen Möglichkeit ein deutliches Übergewicht zukommt.
Die von G. hier in den Blick genommene Ursache ist eine Thrombose in den besonders empfindlichen Gefäßen des Innenohrs. Diese ist dann geschützt, wenn ihr gegenüber allen anderen Möglichkeiten ein deutliches Übergewicht zukommt. Andere Möglichkeiten der Ursache für die Thrombosebildung wurden auch von S. nicht benannt. Die Möglichkeit einer Thrombenbildung ist aufgrund des erhöhten D-Dimere-Wert auch wahrscheinlich. Ungeeignet in diesem Zusammenhang ist die Argumentation von S., dass es auch andere Möglichkeiten für eine Erhöhung des D-Dimere-Werts als die Bildung einer Thrombose geben würde, etwa ein viraler Infekt etc.. Zum einen hat auch G. diese Möglichkeit (chronisches Vorhofflimmern, Ausbuchtung der Herzwand, Tumor, Infektionen oder Operation) besprochen und verneint. Zum anderen ist vorliegend bei der Klägerin ein Hörsturz eingetreten, der wiederum durch Thromben im Innenohr ausgelöst werden kann, wobei für die Thrombenbildung der D-Dimere-Wert spricht. Damit gibt es die gute Möglichkeit einer Ursachenkette, ohne dass es auf (hier nicht gegebene) Alternativursachen für die Erhöhung des D-Dimere-Werts ankommt. Hierzu ist klinisch passend auch, dass die Klägerin eine leichte Erhöhung des CRP-Werts und Fieber im Sinne einer immunologischen Reaktion entwickelt hatte. Es ist mithin wesentlich wahrscheinlicher, dass die Impfung Auslöser für die Ursachenkette war als ein hypothetischer, nicht nachgewiesener Virusinfekt oder sonstige nicht nachgewiesene Alternativursachen für die D-Dimere-Erhöhung. Hierfür streitet schon die zeitliche Nähe des Ereignisses.
G. hat daher insgesamt überzeugend ausgeführt, dass fünf entscheidende Faktoren in der Kausalitätsbetrachtung in den Blick zu nehmen sind: Einmal die extreme Seltenheit von idiopathischen Hörstürzen im Alter der Klägerin (15 Jahre zum Zeitpunkt der Schädigung), die enge zeitliche Nähe, die nach obigen Ausführungen als Indiz für eine Kausalität durchaus betrachtet werden darf, die Meldung von Hörstürzen nach mRNA-Impfungen (als Impfschadensverdacht; mit 184 insgesamt), die Studienlage (hier insbesondere die israelische Studie mit Doppeltereignissen auf zwei nachfolgenden mRNA-Impfungen) und die Absenz von Reserveursachen bei der Klägerin (keine Tumore, kardialen Probleme etc.).
Auch eine PubMed-Recherche zeigt, dass der Zusammenhang zwischen Impfungen mit mRNA-Impfstoffen und plötzlichen Hörstürzen durchaus bekannt ist.
So führt die Studie von Tawk et al. "Sudden Hearing Loss Waves: The Effect of COVID-19 Infection and Vaccination on the Inner Ear" (Adv Exp Med Biol 2024:1457:265-28; https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/39283432/) aus:
"Sudden sensorineural hearing loss (SSNHL) has emerged as a potential complication of COVID-19 infection and vaccination. Various mechanisms by which the SARS-CoV-2 virus can cause hearing loss have been reported, including direct viral invasion, neuroinflammation, blood flow disturbances, and immune-mediated response. However, the temporal relationship between COVID-19 infection and SSNHL remains unclear, with mixed findings and conflicting results reported in different studies. Similarly, while anecdotal reports have linked COVID-19 vaccination to SSNHL, evidence remains scarce. Establishing a correlation between COVID-19 vaccines and SSNHL implies a complex and multifactorial pathogenesis involving interactions between the immune system and the body's stress response."
Zu Deutsch:
"Plötzlicher sensorineuraler Hörverlust (SSNHL) hat sich als mögliche Komplikation einer COVID-19-Infektion und -Impfung herausgestellt. Es wurde über verschiedene Mechanismen berichtet, durch die das SARS-CoV-2-Virus Hörverlust verursachen kann, darunter direkte Virusinvasion, Neuroinflammation, Störungen des Blutflusses und immunvermittelte Reaktionen. Der zeitliche Zusammenhang zwischen einer COVID-19-Infektion und SSNHL ist jedoch nach wie vor unklar, wobei in verschiedenen Studien gemischte und widersprüchliche Ergebnisse berichtet wurden. Auch wenn anekdotische Berichte einen Zusammenhang zwischen der COVID-19-Impfung und dem SSNHL herstellen, gibt es nur wenige Beweise. Die Feststellung eines Zusammenhangs zwischen COVID-19-Impfstoffen und SSNHL lässt auf eine komplexe und multifaktorielle Pathogenese schließen, die Wechselwirkungen zwischen dem Immunsystem und der Stressreaktion des Körpers beinhaltet." (Hervorhebung durch das Gericht)
Apeksha et al. führen aus (Indian J Otolaryngol Head Neck Surg. 2023 Mar 6;75 (Suppl 1):532-534; https://pmc.ncbi.nlm.nih.gov/articles/PMC9987368/):
"This article highlights a client with sensorineural hearing loss reported after 2 days of 2nd dose of COVID-19 vaccination. The audiological evaluations suggest unilateral hearing loss which recovered after the treatment. This article focuses on spreading awareness about the complications after vaccination and the importance of treatment."
Zu Deutsch:
"In diesem Artikel geht es um einen Patienten mit Schallempfindungsschwerhörigkeit, die 2 Tage nach der zweiten Dosis der COVID-19-Impfung festgestellt wurde. Die audiologischen Untersuchungen ergaben einen einseitigen Hörverlust, der sich nach der Behandlung erholte. Dieser Artikel soll das Bewusstsein für die Komplikationen nach der Impfung und die Bedeutung der Behandlung schärfen."
Bei genauerer Betrachtung der Erwiderung von S. auf den richterlichen Hinweis vom 24.10.2024 fällt auf, dass S. letztlich nur ein einziges medizinisches Argument brachte (i.e. der D-Dimere-Wert kann auch nach anderen Ereignissen als nach einer Thrombose erhöht sein, ein Argument, dass G. durchaus beachtet hat: Reserveursachen wurden von ihr aber gerade verneint und auch von S. nicht belegt) und ansonsten primär epidemiologisch auf der einzigen Grundlage einer einzigen Zahl des Sicherheitsberichts des PEI vom 07.09.2022 argumentiert, nämlich dass nur 184 Hörstürze oder 14 Verdachtsfälle auf 10 Mio Cormirnaty-Impfungen gemeldet wurden.
S. übersieht hierbei, dass sich die von ihm genannten Zahlen (0,14 Hörstürze pro 1 Mio. Impfungen) auf einen kurzen Zeitraum nach der Impfung beziehen, wohingegen sich die von ihm herangezogenen Referenzwerte (z. B. 10-20 oder gar 160-400 pro 100.000) auf ein volles Jahr erstrecken. Damit werden völlig unterschiedliche Bezugsgrößen miteinander verglichen - eine seriöse Abschätzung lässt sich so nicht treffen. Zudem ist die angegebene Spanne der (u.a. idiopathischen, Vor-Pandemie-) Inzidenzraten derart groß (10-400 Fälle pro 100.000 Einwohner, d.h. eine 40-fache Spannbreite!), dass es generell zweifelhaft ist, ob eine erhöhte Inzidenz nach einer Impfung über das statistische Rauschen hinaus erkennbar wäre. Auch ist der Hinweis, dass Comirnaty "nicht für Thromboseneigung bekannt" sei, insofern problematisch, als daraus nicht folgt, dass mikrothrombotische Vorgänge ausgeschlossen wären. Gerade wenn - wie vermutet - die S1-Untereinheit des Spike-Proteins sowohl bei einer natürlichen Infektion als auch nach einer Impfung zu Gefäßentzündungen und im Anschluss zu Thrombosen im Körper führen kann, bleibt offen, ob und in welchem Ausmaß sich auch Kleinstgefäße im Innenohr betroffen zeigen. Eine bloße Abwesenheit eines statistisch auffälligen Signals in den bekannten Daten heißt schließlich nicht, dass es solche Komplikationen nicht geben kann. Genau in diese Richtung argumentieren sowohl die Autoren der israelischen Studie als auch Frau G.. Zudem bräuchte es für eine valide statistische Bewertung insbesondere valide statistische Vor-Pandemie-Stichproben. Diese liegen bei einer 40fachen Spannweite der angenommenen Vor-Pandemie-Prävalenz hingegen schlicht nicht vor.
Unklar ist ferner, weshalb die israelische Studie, in der lediglich 42,8 % der anfänglichen Verdachtsfälle als echte Hörminderungen klassifiziert wurden, automatisch gegen einen möglichen Zusammenhang herangezogen wird. Nicht nur bleibt unerwähnt, welche konkrete Inzidenz sich nach einer Bereinigung (der "falschen" Hörsturz-Ereignisse) letztendlich ergeben hat, sondern es wird auch nicht darauf eingegangen, ob für die PEI-Meldezahlen dieselben oder andere Kriterien galten. Somit vermengt S. verschiedene Datengrundlagen, ohne darzulegen, wie verlässlich oder vergleichbar die jeweiligen Erhebungen sind. Schließlich ignoriert er den unmittelbar nach der Impfung aufgetretenen Hörverlust, also den engen zeitlichen Zusammenhang, der zumindest als Indiz für eine impfbedingte Ursache herangezogen werden muss. So gerät seine Argumentation in mehrfacher Hinsicht ins Wanken und verfehlt die für eine überzeugende medizinische Begründung notwendige Plausibilität.
In diesem Zusammenhang sei auch die Stellungnahme von Briggs et al. (JAMA Otolaryngol Head Neck Surg. 2022;148(2):196-197. doi:10.1001/jamaoto.2021.3384) "Sudden Sensorineural Hearing Loss and COVID-19 Vaccination" erwähnt, wenn sie ausführt:
"To the Editor Recent attention has centered on whether COVID-19 vaccines are associated with Bell Palsy1,2 or sudden sensorineural hearing loss (SSNHL).3 Formeister and colleagues3 address the latter, using Centers for Disease Control and Prevention (CDC) Vaccine Adverse Event Reporting System (VAERS) data to compare the incidence of SSNHL in individuals receiving a COVID-19 vaccine to historical baseline rates. Their study reports a lower estimated incidence of SSNHL in vaccinated individuals compared with historical norms. As the authors acknowledge,3 the finding should be interpreted with care. The VAERS is an early warning system for detecting adverse events, and reports may be incomplete, inaccurate, coincidental, or unverifiable.4 Extrapolated epidemiological analyses are susceptible to bias, underreporting, or spurious associations. Many cases go unreported (particularly if mild and self-limited), and duplicate reporting may occur.4 As an example of potential distortions, long before the pandemic, VAERS reporting increased during pending litigation for vaccine injury.5
The study also poses methodological questions.3 How reliable was the diagnosis of SSNHL in the cases identified? Specifically, how often did the hearing loss meet diagnostic criteria for SSNHL? What was the time frame at which SSNHL could be presumed to be related to vaccination? How reliable is the reporting of steroid administration as a proxy for verified SSNHL, given common deviation from guideline-based care? Could conductive hearing loss, vestibular neuritis/labyrinthitis, or other disorders be characterized by the patient as SSNHL? Should we, therefore, only rely on physician coding databases-and, if so, are physicians accurately including postvaccination codes when identifying SSNHL? Could there be false-positive or false-negative results in identification of duplicates? Finaly, given that there is no unvaccinated control group in VAERS, is normative epidemiological data on incidence of SSNHL a valid comparator?."
Zu Deutsch:
"An die Redaktion In jüngster Zeit ist die Frage aufgekommen, ob COVID-19-Impfstoffe mit Glockenlähmung oder plötzlichem sensorineuralem Hörverlust (SSNHL) in Verbindung gebracht werden. Formeister und Kollegen befassen sich mit der letzteren Frage, indem sie Daten des Vaccine Adverse Event Reporting System (VAERS) der Centers for Disease Control and Prevention (CDC) verwenden, um die Häufigkeit von SSNHL bei Personen, die einen COVID-19-Impfstoff erhalten haben, mit historischen Ausgangsraten zu vergleichen. Ihre Studie berichtet über eine niedrigere geschätzte Inzidenz von SSNHL bei geimpften Personen im Vergleich zu historischen Normen. Wie die Autoren einräumen, sollte dieses Ergebnis mit Vorsicht interpretiert werden. Das VAERS ist ein Frühwarnsystem zur Erkennung unerwünschter Ereignisse, und die Berichte können unvollständig, ungenau, zufällig oder nicht nachprüfbar sein. Extrapolierte epidemiologische Analysen sind anfällig für Verzerrungen, unzureichende Meldungen oder falsche Assoziationen. Viele Fälle werden nicht gemeldet (vor allem, wenn sie mild und selbstbegrenzt sind), und es kann zu Doppelmeldungen kommen. Ein Beispiel für mögliche Verzerrungen ist, dass lange vor der Pandemie die VAERS-Meldungen während eines anhängigen Rechtsstreits wegen Impfstoffschäden zunahmen.
Die Studie wirft auch methodische Fragen auf. Wie zuverlässig war die Diagnose von SSNHL in den identifizierten Fällen? Wie oft erfüllte der Hörverlust die Diagnosekriterien für SSNHL? In welchem Zeitrahmen konnte ein Zusammenhang zwischen SSNHL und der Impfung vermutet werden? Wie zuverlässig ist die Berichterstattung über die Verabreichung von Steroiden als Indikator für verifiziertes SSNHL, wenn man bedenkt, dass häufig von leitliniengerechter Behandlung abgewichen wird? Könnte eine Schallleitungsschwerhörigkeit, eine Vestibularisneuritis/Labyrinthitis oder eine andere Erkrankung vom Patienten als SSNHL bezeichnet werden? Sollten wir uns daher nur auf ärztliche Kodierungsdatenbanken verlassen - und wenn ja, geben die Ärzte bei der Identifizierung von SSNHL genau die Nachimpfungscodes an? Könnte es bei der Identifizierung von Duplikaten zu falsch-positiven oder falsch-negativen Ergebnissen kommen? Und schließlich: Sind angesichts der Tatsache, dass es in VAERS keine ungeimpfte Kontrollgruppe gibt, normative epidemiologische Daten über die Häufigkeit von SSNHL eine gültige Vergleichsgröße?" (Hervorhebungen durch das Gericht)
Damit wird gerade die von S. zitierte Studie von Formeister et al. (von S. unter [3] zitiert) zutreffend in Frage gestellt. Die Stellungnahme zeigt auch die Grenzen jeder Statistik auf, vor allem, wenn die vom PEI erhobenen Daten nicht normiert sind (sich vielmehr auf die ärztliche Kodierung verlassen wird) und es mangels Meldepflicht nur freiwillige Meldungen gibt (d.h. blande Verläufe am Ende in der Statistik gar nicht auftauchen).
Das dortige Ergebnis von Formeister et al. (von S. unter [3] zitiert), dass die Inzidenz eines plötzlichen Hörsturzes nach Impfungen gegen das SARS-CoV-2-Virus niedriger sei als in der nicht-geimpften Bevölkerung, könnte überdies damit zu erklären sein, dass die Erkrankung mit dem SARS-CoV-2-Virus relativ zu mehr Hörstürzen führt als die Impfung, ohne dass deswegen ausgeschlossen ist (zumal bei einer einleuchten Pathogenese von von der S1-Untereinheit des vom Geimpften ebenfalls exprimierten Spike-Proteins erzeugten entzündlichen Prozessen an der Gefäßwand), dass die Impfung auch zu Hörstürzen führen kann.
Nach allem ist schließlich auch die Aussage von S. wissenschaftlich nicht haltbar, dass der Bericht von acht doppelten Hörstürzen jeweils nach Impfung mit mRNA-Impfstoff deshalb nicht zu beachten sei, weil dies das "Ergebnis vieler 100 Mio. Comirnaty-Impfungen infragestellen [würde], bei denen sich keine Häufung von Hörstürzen ergab". (S. spricht insoweit auch nur von einer bloßen Meinungsäußerung; solche sollten hingegen nicht Gegenstand einer Begutachtung sein). Die Frage ist in diesem Zusammenhang insbesondere, wann eine "Häufung" statistisch überhaupt feststellbar ist bzw. in welcher Größenordnung eine Häufung vorliegen muss, dass sie bei der gegebenen Vor-Pandemie-Datenlage ein statistisches Signal ergibt. Zu all dem fehlen schlüssige Angaben des Beklagten.
Das Impfschadensrecht umfasst in diesem Zusammenhang nicht nur häufige ("gehäufte") Impfnebenwirkungen, sondern auch seltene. Bei letzteren ist aber gerade eine rein statistische Beweiserhebung aus den genannten Gründen kaum (abhängig vor allem von der Güte der Vor-Pandemie-Daten) möglich und limitiert damit inhärent eine rein statistische Argumentation.
Die Kammer bejaht nach allem aufgrund des schlüssigen Gutachtens von G. und aufgrund der o.g. Argumente die Kausalität zwischen der Impfung und dem Hörsturz der Klägerin auf dem rechten Ohr.

d.
Zusätzlich lägen nach Auffassung der Kammer auch die Voraussetzungen der Kann-Versorgung vor, wenn argumentiert wird, dass über die Ursache des festgestellten Leidens in der medizinischen Wissenschaft Ungewissheit besteht (welches nicht - wie dargelegt - korrekt ist, da vaskuläre Ursachen für einen Hörsturz schon länger diskutiert werden, vgl. insoweit die gute Zusammenfassung auf https://www.usz.ch/krankheit/hoersturz/, die das Gutachten von G. vollumfänglich bestätigt).
Notwendig ist in diesem Zusammenhang nicht, dass kardiovaskuläre Ereignisse in jedem Fall Verursacher eines Hörsturzes sind, sondern dass sie im Einzelfall nach der medizinischen Wissenschaft Ursache sein können.
Die Kammer geht hingegen davon aus, dass G. deshalb eine Verbescheidung nach der Kann-Versorgung vorgeschlagen hat, weil sie die Frage, ob es wahrscheinlich ist, dass die mRNA-Impfung zu Thromben führt, nicht mit der nötigen Sicherheit bejahen konnte.
Bei einer Kann-Versorgung kommt es hingegen nicht auf eine eindeutige medizinisch-naturwissenschaftliche Sicherheit an. Es reicht, wenn ein ursächlicher Einfluss des geltend gemachten schädigenden Tatbestandes in den wissenschaftlichen Arbeitshypothesen als theoretisch begründet in Erwägung gezogen wird.
G. hat sich deshalb auf die wissenschaftliche Literatur bezogen und begründet, dass die Wissenschaft die Kausalität, d.h. den ursächlichen Einfluss von Comirnaty auf Thrombosen, für theoretisch begründet erachtet und hier auf eine Übersichtsarbeit von israelischen Forschern verwiesen. Es sei in diesem Kontext darauf hingewiesen, dass Comirnaty vor der Verimpfung in Deutschland millionenfach in Israel verimpft wurde und die dortigen Risikosignale bei der Abwägung, ob auch Deutschland in die Impfung mit diesem Impfstoff eintritt, entscheidende Bedeutung hatten.
Verwiesen wird insoweit auf den Diskussionsbeitrag von Formeister et al. (Sudden Sensorineural Hearing Loss and COVID-19 Vaccination Revisited-An Ongoing Conversation-Reply; https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/35771537/):

In Reply We appreciate the opportunity to reply to the thoughtful commentary provided by Briggs et al. The authors have nicely summarized the recent literature on the topic of COVID-19 and COVID-19 infection-related otologic manifestations. Two different studies, which were published in tandem in JAMA Otolaryngology, one from our group,1 and another from Yanir et al,2 offer an opportunity for discussion with respect to different methodologies used and different conclusions reached. Whereas our group used a publicly reported database with unverified case reports submitted to the Centers for Disease Control and Prevention's Vaccine Adverse Events Reporting System (VAERS), Yanir et al harnessed a more widely used population-based database in Israel that captures approximately 50% of the population or more. Despite using sensitivity analyses that maximized an estimate for the incidence of sudden sensorineural hearing loss (SSNHL) following COVID-19 vaccination, we did not find a clear population level signal for increased incidence of SSNHL after COVID-19 vaccination more than what would be expected over a similar time frame in the US population.
In contrast, Yanir et al2 did find a significantly increased risk of SSNHL after COVID-19 vaccination in their population-based study, though the authors thoughtfully emphasize that the effect size (eg, the absolute risk increase relative to those who were not vaccinated, which was 0.61-0.91 additional cases of SSNHL per 100 000 vaccinated) was still extremely small, thus not heralding a risk that should limit the continued widespread dissemination of COVID-19 vaccinations. That differing results arose from these very different study designs is not surprising, and results from each study need to be contextualized in these inherent methodological differences to allow thoughtful interpretation. As Ulrich et al3 have eloquently underscored, even if a small increase in the absolute risk for SSNHL after COVID-19 vaccination exists, it should not limit our efforts at achieving widespread immunity to COVID-19.
We applaud the continued global efforts to investigate hypotheses regarding mechanisms for COVID-19 infection-related hearing loss and COVID-19 vaccination-mediated otologic manifestations, and reemphasize that only prospective, population-level trials with high-fidelity reporting of cases would definitively establish association between vaccination and hearing loss, whereas causation would require additional laboratory-based investigations. Results such as those published by Frazier et al,4 and recently by Jeong et al,5 have established some biologic plausibility for hearing loss related to COVID-19 infection, and we are confident that ongoing concerted endeavors to characterize these relationships will help clarify unanswered questions about otologic symptoms after COVID-19 vaccination.
Die Autoren haben die aktuelle Literatur zum Thema COVID-19 und COVID-19-infektionsbedingte otologische Manifestationen gut zusammengefasst. Zwei unterschiedliche Studien, die gleichzeitig in JAMA Otolaryngology veröffentlicht wurden, eine von unserer Gruppe1 und eine andere von Yanir et al.2, bieten Gelegenheit zur Diskussion über die unterschiedlichen Methoden und die verschiedenen Schlussfolgerungen, die gezogen wurden. Während unsere Gruppe eine öffentlich zugängliche Datenbank mit unbestätigten Fallberichten verwendete, die an das Vaccine Adverse Events Reporting System (VAERS) der Centers for Disease Control and Prevention übermittelt wurden, nutzten Yanir et al. eine weiter verbreitete bevölkerungsbasierte Datenbank in Israel, die etwa 50 % der Bevölkerung oder mehr erfasst. Trotz Sensitivitätsanalysen, die eine Schätzung des Auftretens von plötzlichem sensorineuralem Hörverlust (SSNHL) nach der COVID-19-Impfung maximierten, fanden wir kein klares Signal auf Bevölkerungsebene für ein erhöhtes Auftreten von SSNHL nach der COVID-19-Impfung, das über das hinausgeht, was in einem ähnlichen Zeitraum in der US-Bevölkerung zu erwarten wäre.
Im Gegensatz dazu fandenYanir et al.2 in ihrer bevölkerungsbasierten Studie ein signifikant erhöhtes Risiko für SSNHL nach einer COVID-19-Impfung. Die Autoren betonen jedoch, dass die Effektgröße (z. B. die absolute Risikoerhöhung im Vergleich zu den nicht Geimpften, die 0,61-0,91 zusätzliche Fälle von SSNHL pro 100 000 Geimpfte betrug) immer noch äußerst gering war und somit kein Risiko darstellt, das die weitere Verbreitung von COVID-19-Impfungen einschränken sollte. Dass diese sehr unterschiedlichen Studiendesigns zu unterschiedlichen Ergebnissen führten, ist nicht überraschend, und die Ergebnisse der einzelnen Studien müssen vor dem Hintergrund dieser inhärenten methodischen Unterschiede kontextualisiert werden, um eine durchdachte Interpretation zu ermöglichen. Wie Ulrich et al.3 anschaulich unterstrichen haben, sollte ein geringer Anstieg des absoluten Risikos für SSNHL nach einer COVID-19-Impfung unsere Bemühungen um eine weit verbreitete Immunität gegen COVID-19 nicht einschränken, auch wenn er besteht.
Wir begrüßen die fortgesetzten weltweiten Bemühungen zur Untersuchung von Hypothesen über die Mechanismen der durch die COVID-19-Infektion bedingten Schwerhörigkeit und der durch die COVID-19-Impfung hervorgerufenen otologischen Manifestationen und betonen erneut, dass nur prospektive Studien auf Bevölkerungsebene mit einer genauen Berichterstattung über die Fälle einen definitiven Zusammenhang zwischen Impfung und Schwerhörigkeit herstellen können, während für eine kausale Erklärung zusätzliche laborgestützte Untersuchungen erforderlich sind. Ergebnisse wie die von Frazier et al.(4) und kürzlich von Jeong et al.(5)veröffentlichten haben eine gewisse biologische Plausibilität für Hörverlust im Zusammenhang mit einer COVID-19-Infektion geschaffen, und wir sind zuversichtlich, dass die laufenden konzertierten Bemühungen zur Charakterisierung dieser Zusammenhänge dazu beitragen werden, unbeantwortete Fragen zu otologischen Symptomen nach einer COVID-19-Impfung zu klären.
Übersetzt mit DeepL.com (kostenlose Version)

Die Argumentation von G. überzeugt daher, die von S. hingegen in keiner Weise. Es ist (bzgl. auf die Argumentation von S.) weder rechtlich noch tatsächlich überzeugend, wenn dargelegt wird, dass kein Risikosignal bestehen würde, da Impfnebenwirkungen, die ein Risikosignal ausgelöst haben, nicht streitig sein werden (eine schöne Übersichtsarbeit, wie ein solches "Risikosignal" gebildet wird, gibt Hung et al., Sudden Sensorineural Hearing Loss after COVID-19 Vaccination: A Review of the Available Evidence through the Prism of Causality Assessment, https://www.researchgate.net/publication/378160851_Sudden_Sensorineural_Hearing_Loss_after_COVID-19_Vaccination_A_Review_of_the_Available_Evidence_through_the_Prism_of_Causality_Assessment).
Aufgabe des Beklagte ist es vielmehr, gerade die seltenen Impfnebenwirkungen zu evaluieren, hierbei die bestehende Literatur zu sichten und auf die Schwierigkeit einzugehen, das Risiko bei seltenen Erkrankungen statistisch zu erfassen. Sodann müssen bzgl. der Kausalitätsproblematik die wissenschaftlich-medizinischen Argumente pro und contra einer Kausalität zusammengefasst und bewertet werden. Dies hat G. vorbildlich gemacht, nicht aber (aus o.g. Gründen) S..

2.
Weder die an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit (vgl. hierzu auch den Ambulanzbrief vom 03.12.2024, der in der mündlichen Verhandlung zur Akte genommen wurde) noch die Ursächlichkeit des Hörsturzes für die Schwerhörigkeit sind streitig, so dass ein GdS von 15 oder 20 nach Ziffer 5.2.4 VMG "Zur Ermittlung des GdS aus den Schwerhörigkeitsgraden für beide Ohren" vorliegt. Es resultiert mithin ein GdS von 20, da auch bei einem GdS von 15 gem. § 30 Abs. 1 S. 2 BVG aufgerundet wird.


3.
Nach allem war der Klage im noch streitigen Umfang stattzugeben. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 und berücksichtigt, dass die Klägerin anfangs eine Rente nach einem GdS von 50 beantragte.

 

Rechtskraft
Aus
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