Behördliches Unterlassen ist als abwägungsrelevanter Belang in die Ermessensentscheidung über die Rücknahme eines begünstigenden Verwaltungsakts einzustellen, wenn ein Wechsel der Rechtsgrundlage von § 45 SGB X auf § 48 SGB X erfolgt.
Revision eingelegt.
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 5. Juli 2021 geändert.
Der Bescheid der Beklagten vom 25. Februar 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. September 2020 wird aufgehoben.
Der Bescheid der Beklagten vom 18. September 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. April 2020 wird aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, die Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.
Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin für den gesamten Rechtsstreit zu einem Drittel.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Im Streit stehen die Rechtmäßigkeit überzahlter Rentenleistungen sowie deren Erstattung.
Die Jahr 1953 geborene Klägerin beantragte bei der Beklagten im Jahr 1992 Witwenrente aus der Versicherung ihres am geborenen 1944 und am 1984 verstorbenen Ehemannes H SS(im Folgenden: Versicherter) sowie Halbwaisenrente für ihre am 1975 und am 1976 geborenen Söhne.
Zunächst bewilligte die Beklagte der Klägerin, die ein Kind unter 18 Jahren erzog, befristet vom 1. Januar 1992 bis 30. September 1994 mit Bescheid vom 4. Mai 1995 eine große Witwenrente, im Anschluss gewährte die Beklagte ihr mit Bescheid vom 3. Juli 1995 eine kleine Witwenrente. Bei diesen Rentenleistungen erfolgte jeweils eine Einkommensanrechnung nach § 97 SGB VI.
Mit Schreiben vom 30. September 1996 bat die Klägerin um Neuberechnung der Witwenrente, da sie ab dem 1. November 1996 arbeitslos werde.
Mit Bescheid vom 26. Februar 1998 nahm die Beklagte die Neuberechnung der Rente vor und forderte für die Zeit vom 1. Januar 1996 bis zum 31. März 1998 die Erstattung eines überzahlten Betrages i.H.v. 538,40 DM.
Mit Bescheid vom 6. April 1999 gewährte die Beklagte der Klägerin beginnend ab dem 1. August 1998 eine große Witwenrente i.H.v. damals 838,14 DM. Der Bescheid enthielt auf Seite 3 auszugsweise folgende Ausführungen:
„Mitteilungspflichten
Erwerbseinkommen und Erwerbsersatzeinkommen können Einfluss auf die Rentenhöhe haben. Daher besteht die gesetzliche Verpflichtung, uns den Bezug, das Hinzutreten oder die Veränderung von Erwerbseinkommen, das sind Arbeitsentgelt,
Einkommen aus selbständiger Tätigkeit, vergleichbares Einkommen, oder von Erwerbsersatzeinkommen unverzüglich mitzuteilen. Erwerbsersatzeinkommen sind, auch als Kapitalleistung oder Abfindung, folgende Leistungen:
Krankengeld, Verletztengeld, Versorgungskrankengeld, Mutterschaftsgeld, Übergangsgeld, Unterhaltsgeld, Kurzarbeitergeld, Schlechtwettergeld, Arbeitslosengeld, Insolvenzgeld und vergleichbare Leistungen,
[...]"
Auf Seite 4 heißt es weiter:
„Die Meldung von Veränderungen erübrigt sich bei Einkommen aus einer in der Bundesrepublik Deutschland ausgeübten rentenversicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit [...]"
Der Beklagten war aufgrund verschiedener Mitteilungen des Arbeitsamtes P aus dem Jahr 1999 bekannt, dass die damals Mitte 40-jährige Klägerin Arbeitslosenhilfe bezog. Weitere Nachfragen beim Arbeitsamt bzgl. der von der Klägerin bezogenen Leistungen erfolgten seitens der Beklagten nicht.
Zum 5. Februar 2000 nahm die Klägerin eine Beschäftigung auf, ohne die Beklagte hiervon in Kenntnis zu setzen.
Die Überprüfung der Halbwaisenrenten erfolgte in regelmäßigen Abständen.
Im November 2002 erfolgte eine Befassung der Beklagten mit dem Rentenvorgang. Die Verwaltungsakte des Versicherten enthält den Hinweis des Dezernates 4570 an das Dezernat 4526 „Bereinigung der RtNr. 02 (Witwe)“. Bei der am 10. Dezember 2002 erfolgten Datenerfassung wird eine Einkommensanrechnung nach § 314 SGB VI ohne Abstufung nach § 314 SGB VI ausgewiesen.
Im Rahmen einer erstmaligen Prüfung von Einkommen durch die Beklagte und der dabei erfolgten Anforderung von Daten betreffend des bei der Beklagten geführten Versicherungskontos der Klägerin - aufgrund des von ihr gestellten Antrages auf Regelaltersrente - ergab sich die Ausübung einer Beschäftigung der Klägerin.
Mit Schreiben vom 4. April 2019 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass die seit dem 1. August 1998 bezogene Witwenrente überprüft werden müsse, da die Klägerin zum 2000 eine Beschäftigung aufgenommen habe.
Am 3. Juni 2019 unterrichtete die Klägerin die Beklagte darüber, dass sie vom bis zum erwerbstätig gewesen sei. Für den Zeitraum vom habe ebenfalls eine Erwerbstätigkeit vorgelegen.
Mit Anhörungsschreiben vom 5. August 2019 kündigte die Beklagte an, dass eine Einkommensanrechnung nach § 97 SGB IV vorzunehmen sei. Die Klägerin habe seit dem 2000 in einem Beschäftigungsverhältnis gestanden und ab 2019 Altersrente bezogen. Sie kündigte an, dass beabsichtigt sei, den Bescheid vom 6. April 1999 in der Fassung der Rentenanpassungsmitteilungen mit Wirkung ab 1. Juli 2001 nach § 45 SGB X zurückzunehmen und die Überzahlung für die Zeit vom 1. Juli 2001 bis 31. August 2019 i.H.v. von 78.733,28 Euro zurückzufordern. Der Klägerin wurde Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben.
Mit Schreiben vom 21. August 2019 äußerte sich die Klägerin dahingehend, dass sie nicht gewusst habe, dass sie ihr Arbeitsverhältnis hätte mitteilen müssen. In den Bescheiden der Beklagten sei kein Hinweis darauf ersichtlich gewesen. Sie sei davon ausgegangen, dass durch die Meldung seitens des Arbeitgebers eine automatische Weiterleitung erfolge. Sie habe darauf vertraut, dass alles seine Richtigkeit habe.
Mit streitgegenständlichem Bescheid vom 18. September 2019 berechnete die Beklagte die große Witwenrente der Klägerin ab 1. Juli 2001 neu. Für die Zeit ab dem 1. November 2019 ergab sich ein Zahlbetrag i.H.v. nunmehr 391,39 Euro. Für die Zeit vom 1. Juli 2001 bis 31. Oktober 2019 sei eine Überzahlung i.H.v. 79.212,32 Euro erfolgt. Der überzahlte Betrag sei zu erstatten.
Im Oktober 2019 reichte die Klägerin einen vom bis 2019 befristeten Arbeitsvertrag ein. Mit Schreiben vom 29. Januar 2020 teilte sie mit, dass sie seit 1. Dezember 2019 nicht mehr berufstätig sei.
Gegen den Bescheid vom 18. September 2019 legte die Klägerin Widerspruch ein und führte aus, dass keine grobe Sorgfaltspflichtverletzung ihrerseits gegeben sei. Sie habe die Witwenrente bereits verbraucht und könne sich daher auf Vertrauensschutz berufen. Eine Mitwirkungspflicht habe nicht bestanden, da die Tatsachen der Beklagten bereits bekannt gewesen seien. Zudem sei der Bescheid der Beklagten hinsichtlich der Mitteilungspflichten missverständlich gewesen.
Mit weiterem Bescheid vom 25. Februar 2020, der den Hinweis enthielt, dass er gemäß § 86 SGG Gegenstand des laufenden Widerspruchsverfahrens werde, berechnete die Beklagte die Witwenrente der Klägerin ab dem 1. März 2019 neu. Es sei für den Zeitraum vom 1. März 2019 bis zum 31. März 2020 eine Überzahlung i.H.v. 3.171,63 Euro eingetreten. Der überzahlte Betrag sei zu erstatten.
Dagegen legte die Klägerin mit Schreiben vom 1. April 2020 ebenfalls Widerspruch ein, die Begründung entsprach der des Widerspruchs zum Bescheid vom 18. September 2019.
Mit Widerspruchsbescheid vom 24. April 2020 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin gegen den Bescheid vom 18. September 2019 als unbegründet zurück und führte aus, dass die Voraussetzungen des § 45 SGB X gegeben seien. Die Klägerin habe aufgrund der Informationen und Hinweise im Rentenbescheid vom 6. April 1999 wissen müssen, dass das Einkommen, das zu dem Hinterbliebenenrentenbezug hinzutrete, unmittelbar Auswirkung auf die Höhe der Rente entfalte. Darüber hinaus habe sie bereits ab Bezug der kleinen Witwenrente Kenntnis davon gehabt, dass Einkommen zu berücksichtigen sei. Auch unter Ermessenserwägungen sei die Bescheidrücknahme gerechtfertigt, weil weder persönliche, wirtschaftliche oder verfahrensrechtliche Gründe erkennbar seien, die einer Bescheidaufhebung entgegenstünden. Eine rückwirkende Bescheidaufhebung sei darüber hinaus auch nach Ablauf der Zehnjahresfrist nach § 45 Abs. 3 Satz 4 SGB X zulässig, wenn die wiederkehrende Geldleistung mindestens bis zum Beginn des Verwaltungsverfahrens über die Rücknahme gezahlt werde. Inzwischen sei nochmals eine Neuberechnung ab 1. März 2019 erforderlich gewesen, weil das Einkommen aus der ausgeübten Beschäftigung außer Acht gelassen worden sei. Es habe sich daraus eine weitere Überzahlung i.H.v. 3.171,63 Euro ergeben. Der entsprechende Bescheid vom 25. Februar 2020 sei Gegenstand des anhängigen Widerspruchsverfahrens geworden.
Mit Schreiben vom 28. April 2020 verwies die Beklagte die Klägerin darauf, dass der Bescheid vom 25. Februar 2020 Gegenstand des anhängigen Widerspruchsverfahrens geworden und ein weiteres Rechtsmittel nicht zu eröffnen sei.
Am 27. Mai 2020 hat die Klägerin gegen den Bescheid vom 18. September 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. April 2020 Klage zum Sozialgericht Berlin erhoben.
Mit Widerspruchsbescheid vom 22. September 2020 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin gegen den Bescheid vom 25. Februar 2020 zurück und führte aus, dass unter Abwägung der Gründe, die „gegen“ und die „für“ die Bescheidrücknahme sprechen, die Gründe für eine Bescheidrücknahme überwiegen würden. Zudem treffe die Beklagte kein Mitverschulden an dem Entstehen der Forderung.
Hiergegen hat die Klägerin am 12. Oktober 2020 ebenfalls Klage zum Sozialgericht Berlin erhoben. Das Verfahren wurde zunächst unter dem Aktenzeichen S geführt. Mit Beschluss vom 20. Januar 2021 hat das Gericht nach Anhörung der Beteiligten beide Verfahren zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden und als führendes Verfahren das Verfahren S festgesetzt.
Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, dass die Beklagte die Bescheide für die Vergangenheit nicht habe aufheben dürfen. Der Hinweis auf die bestehenden Mitteilungspflichten sei missverständlich gewesen. Auch hätte die Beklagte aus dem eigenen Versicherungskonto der Klägerin die Aufnahme der Tätigkeit ersehen können. Diese Tatsache sei somit bekannt gewesen, weshalb bereits keine Mitteilungspflicht hätte verletzt werden können. Jedenfalls habe die Beklagte ihr Ermessen nicht ordnungsgemäß ausgeübt. Die Missverständlichkeit des Hinweises zu den Mitteilungspflichten sowie die ohnehin vorliegende Kenntnis über die Einkünfte (durch Meldung des Arbeitgebers und Mitteilung der Bundesversicherungsanstalt) hätten bei der Ermessenentscheidung berücksichtigt werden müssen. Die Beklagte nutze den Hinweis auch nicht mehr in neueren Rentenbescheiden, da dieser missverständlich sei. Darüber hinaus sei die Aufhebung der Rentenbewilligung nicht innerhalb eine Jahres ab Kenntnis im Sinne der § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X erfolgt, der über § 48 Abs. 4 Satz 1 SGB X entsprechend anzuwenden sei. Die Beklagte habe in jedem Falle am 3. April 2002 Kenntnis von dem Einkommen der Klägerin erlangt. Denn bei der Ermittlung des auf die Rente anzurechnenden Einkommens sei die Beklagte bzw. die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte zu dem Ergebnis gekommen, dass das Einkommen der Klägerin nicht auf die Witwenrente anzurechnen sei. Auch sei die Zehn-Jahres-Frist nach § 45 Abs. 3 SGB X zum Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides bereits abgelaufen gewesen.
Die Beklagte ist dem entgegen getreten und hat die Ansicht vertreten, dass die angegriffenen Bescheide rechtmäßig seien. Der Hinweis auf die Entbehrlichkeit der Mitteilung bei Veränderungen sei nicht missverständlich. Hinsichtlich der Verletzung von Mitteilungspflichten sei außerdem zu berücksichtigen, dass die Klägerin im Bescheid vom 6. April 1999 unter der Überschrift „Mitteilungspflichten" dazu verpflichtet worden sei, den „Bezug" von Arbeitsentgelt unverzüglich mitzuteilen. Diese Mitteilungspflicht habe sie unstreitig verletzt. Mit Blick darauf, dass der Hinweis auf die Mitteilungspflicht ebenfalls unmissverständlich sei, liege grobe Fahrlässigkeit vor. Entgegen der ursprünglichen Darstellung sei § 48 SGB X einschlägig. Ausgehend von einem Anwendungsfall des § 48 SGB X lägen die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X vor. Der Klägerin habe nicht verborgen geblieben sein können, dass sie nach Beschäftigungsaufnahme keinen einzigen Bescheid erhalten habe, mit dem ihre Witwenrente wegen des Hinzutrittes von Einkommen neu berechnet worden sei. Insoweit habe die Klägerin nicht den geringsten Anlass zu der Annahme gehabt, dass das Arbeitsentgelt auf die Witwenrente angerechnet werde. Die Beklagte sei nicht zu einem Abgleich beziehungsweise zu einer Verknüpfung der Versicherungskonten des Verstorbenem und der Klägerin, in das die Arbeitsentgelte gemeldet wurden, verpflichtet gewesen. Eine Pflicht zur Einkommensnachprüfung bestehe nach dem Urteil des Bundessozialgerichts vom 3. Juli 1991 (9b RAr 2/90) nicht. Ein Mitverschulden der Beklagten sei nicht erkennbar, weshalb auch kein atypischer Fall vorliege.
Mit Urteil vom 5. Juli 2021 hat das Sozialgericht den Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 24. April 2020 insoweit aufgehoben, als darin über den Zeitraum vom 1. November 2019 bis 31. März 2020 entschieden worden ist und im Übrigen die Klagen abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass sich das vorausgegangene Verwaltungsverfahren nur auf die Zeit vom 1. Juli 2001 bis 31. Oktober 2019 bezog habe. Durch die Einbeziehung des Zeitraumes von November 2019 bis März 2020 sei der Klägerin in unzulässiger Weise die Gewährung rechtlichen Gehörs hinsichtlich dieses Überzahlungszeitraums abgeschnitten, so dass der Widerspruchsbescheid insoweit aufzuheben gewesen sei.
Darüber hinaus seien die angefochtenen Bescheide rechtmäßig. Die Beklagte durfte den Bescheid vom 6. April 1999 nach § 48 Abs. 1 Nr. 3 SGB X auch für die Vergangenheit aufheben. Die Klägerin habe seit der Aufnahme ihrer Tätigkeit zum Einkommen erzielt, das nach § 97 SGB VI zur Minderung ihres Anspruches auf Witwenrente geführt habe. Die Einkommensanrechnung selbst sei zwischen den Beteiligten unstreitig. Es habe auch kein atypischer Fall vorgelegen, der einer Aufhebung für die Vergangenheit im Rahmen einer Ermessensprüfung im Wege stünde. Die Rücknahme erfolge mit Wirkung für die Vergangenheit. Das Wort „soll" in § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X bedeute, dass der Leistungsträger in der Regel den Verwaltungsakt rückwirkend aufheben müsse, er jedoch in atypischen Fällen nach seinem Ermessen abweichen könne. Anders als bei § 45 SGB X enthalte also § 48 SGB X nicht für alle, sondern nur für „atypische Fälle" eine Verpflichtung zur Ermessensausübung. Die Prüfung, ob ein solcher „atypischer Fall" vorliege, sei nicht Teil der Ermessensentscheidung, sondern gerichtlich in vollem Umfang nachprüfbar. Hierfür seien die konkreten Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen. Es komme darauf an, ob der Einzelfall aufgrund seiner besonderen Umstände von dem Regelfall der Tatbestände nach § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X signifikant abweiche und die vorgesehene Rechtsfolge für den Betroffenen eine unverhältnismäßige Härte darstellen würde. Dabei sei zu prüfen, ob die mit der Aufhebung verbundene Pflicht zur Erstattung der zu Unrecht erhaltenen Leistung nach Lage des Falls eine Härte bedeute, die den Leistungsbezieher in atypischer Weise stärker belaste als den hierdurch im Normalfall Betroffenen. Die mit einer Rückforderung üblicherweise immer verbundene Belastung allein sei jedoch nicht ausreichend. Ebenso sei das Verhalten des Leistungsträgers im Geschehensablauf in die Betrachtung einzubeziehen. Vorliegend sei zu berücksichtigen, dass sich die generellen „Mitteilungspflichten" auf Seite 3 des Bescheides befänden und direkt unter der hervorgehobenen Überschrift alle Fallkonstellationen auflisteten, in denen der oder die Versicherte Meldung an den Rentenversicherungsträger machen müsse. Die erst auf der nächsten Seite ohne besondere Hervorhebung aufgeführte Ausnahme für die Veränderung von Einkommen stelle somit ersichtlich eine ausnahmsweise Einschränkung einer an und für sich umfassenden Mitteilungspflicht dar. Auch sei der zunächst erteilte Hinweis im Bescheid umfassend auf „Bezug, Hinzutreten und Veränderung" von Einkommen gerichtet und stelle gleich zu Beginn der Erläuterungen zu den Mitteilungspflichten klar, dass diese drei Begrifflichkeiten voneinander zu unterschieden seien. Wenn somit in den weiteren Ausführungen des Bescheides alleinig auf den Begriff „Veränderung" abgestellt werde, so könne davon ausgegangen werden, dass nach objektivem Empfängerhorizont die exakte Unterteilung von der vorangegangenen Seite in drei verschiedene Fallgruppen nicht plötzlich aufgehoben werden solle. Vielmehr lege gerade die vorrangige Unterscheidung in drei Fallgruppen und die spätere Bezugnahme auf nur eine der drei Fallgruppen hinreichend nahe, dass sich die dort geregelte Ausnahme von den Mitteilungspflichten eben allein auf die Konstellation einer Veränderung im Einkommen beziehe.
Darüber hinaus bestehe auch kein einen atypischen Fall begründendes Mitverschulden der Beklagten aufgrund (vermeintlicher) Kenntnis vom Einkommen der Klägerin. Die Beklagte sei zunächst nicht verpflichtet, einen Abgleich zwischen dem eigenen Versicherungskonto der Klägerin, in welches die erzielten Entgelte gemeldet wurden, und dem Versicherungskonto des verstorbenen Ehemannes der Klägerin vorzunehmen. Dass die Beklagte eine solche Kontenverbindung theoretisch erstellen könne, begründe keinen atypischen Fall. Denn die primäre Verpflichtung zur Einkommensanzeige obliege allein der Klägerin. Die Mitwirkungspflichten des Leistungsberechtigten, dessen Versäumnis Nachteile zur Folge habe, verdeutlichten, dass vom Bürger eigenverantwortliches Handeln gefordert werde. Dadurch werde grundsätzlich eine überwachende und nachforschende Verwaltung entbehrlich. Unterlasse die Verwaltung eine regelmäßige Kontrolle, könne ihr kein Fehlverhalten durch Unterlassen vorgeworfen werden. Bei der Verpflichtung, Einkommen mitzuteilen, bestehe auch keine Differenzierung zwischen Einkommen, das zur Beitragszahlung beim Rentenversicherungsträger führe und sonstigen Einkommen. Auch könne sich die Klägerin nicht auf die angebliche Kenntnis der Beklagten vom Erwerbseinkommen seit 2002 berufen, da sich die vom Klägerbevollmächtigten für diese Argumentation herangezogenen Unterlagen auf die gewährten Halbwaisenrenten bezögen. Die diesbezügliche Kenntnis der Beklagten von einem etwaigen Einkommen stehe somit in keinem Zusammenhang zum von der Klägerin erzielten und (unstreitig) nicht mitgeteilten Erwerbseinkommen, so dass sich auch hieraus nicht ein atypischer Fall ableiten lasse. Weitere, eine Atypik des Falles begründende Umstände seien nicht ersichtlich. Vielmehr handele es sich um einen typischen Fall der Rentenüberzahlung aufgrund unterbliebener Meldung von Erwerbseinkommen. Allein die Höhe der Überzahlung könne für sich genommen weder eine Atypik noch einen besonderen Vertrauensschutztatbestand begründen. Vorliegend sei zudem zu berücksichtigen, dass der Klägerin aus dem ursprünglichen Bezug von kleiner und großer Witwenrente hätte bekannt sein müssen, dass Erwerbseinkommen rentenmindernd berücksichtigt werde. Selbst wenn man entgegen den obigen Ausführungen einen atypischen Fall bejahte, habe die Beklagte vorliegend umfangreiche Ermessenserwägungen angestellt, die nur einer eingeschränkten gerichtlichen Kontrolle unterliegen würden. Auf den Seiten 4 und 5 des Bescheides vom 18. September 2019 sowie auf Seite 3 des Bescheides vom 25. Februar 2020 führe die Beklagte sämtliche Aspekte an, die aus ihrer Sicht bei der Entscheidung über die Aufhebung auch für die Vergangenheit zu berücksichtigen gewesen seien. Ermessensfehler seien insoweit nicht zu erkennen. Darüber hinaus greife auch die von der Klägerin ins Feld geführte Verjährungsregelung nach § 45 Abs. 3 Satz 3 SGB X nicht. Denn vorliegend sei die Witwenrente auch im Zeitpunkt der ersten Aufhebung durch den Bescheid vom 18. September 2019 noch gezahlt worden.
Mit ihrer am 5. August 2021 eingelegten Berufung verfolgt die Klägerin ihr Anliegen weiter. Sie wiederholt und vertieft zur Begründung ihren bisherigen Vortrag und trägt vor, dass entgegen der Ansicht des Sozialgerichts ein atypischer Fall gegeben sei. Die Hinweise der Beklagten im Bescheid vom 6. April 1999 seien missverständlich (Hinweis auf Hessisches LSG, Urteil vom 27. Januar 2012 – L 5 R 395/10) und begründeten Vertrauensschutz. Dieser sei im Rahmen des Vorliegens eines atypischen Falles zu prüfen. Die Beklagte habe somit ihr Ermessen fehlerhaft ausgeübt. Vorliegend sei aus Billigkeitsgründen von einer Ermessensreduzierung auf Null auszugehen. Zudem werde sie dafür bestraft, dass sie erst im Jahr 2000 und nicht schon 1999 eine Erwerbstätigkeit aufgenommen habe, denn im ersteren Fall wäre § 45 SGB X mit den dort normierten Vertrauensschutzregelungen anwendbar; hierin sei ein Verstoß gegen Artikel 3 GG zu sehen. Grobe Fahrlässigkeit habe nicht vorgelegen. Zwar habe sie im Jahr 1996 der Beklagten ihr Einkommen mittgeteilt. Sie habe im Jahr 2001 aufgrund der fortgeschrittenen Digitalisierung von einem automatischen Datenabgleich ausgehen können. Da sich die Beklagte mit dem Einkommen der Klägerin während des Bezuges der Witwenrente ausweislich der Verwaltungsakte beschäftigt habe, musste sich im vorliegenden Fall eine Veränderung der Umstände aufdrängen, die Anlass zur Nachfrage hätte ergeben müssen. Insoweit sei von einem atypischen Fall auszugehen.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 5. Juli 2021 zu ändern und den Bescheid der Beklagten vom 18. September 2019 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 25. Februar 2020 und des Widerspruchsbescheides vom 24. April 2020 sowie den Widerspruchsbescheid vom 22. September 2020 in vollem Umfang aufzuheben,
hilfsweise, die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin neu unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung. Der Hinweis auf die bestehenden Mitteilungspflichten sei unmissverständlich. Die Klägerin lasse unberücksichtigt, dass das Hessische LSG seine diesbezügliche Rechtsauffassung mittlerweile aufgegeben habe (Urteil vom 30. Januar 2015, Az.: L 5 R 390/12). Auch der Umstand, dass es sich um einen (Erstattungs-)Zeitraum von rund 20 Jahren handele sei nicht zu Gunsten der Klägerin zu berücksichtigen. Dies folge aus der gesetzlichen Regelung des § 45 Abs.3 SGB X. Mit dem „Gesetz zur sozialen Absicherung flexibler Arbeitszeitregelungen“, dass zum 15. April 1998 in Kraft getreten sei, sei der Absatz 3 des § 45 SGB X um einen Satz 4 ergänzt. Seitdem sei eine Rücknahme ohne zeitliche Einschränkung zulässig, wenn - wie hier - die rechtswidrige Leistung bis zum Beginn des Rücknahmeverfahrens gezahlt werde. Das Alter der Klägerin sei nicht zu deren Gunsten zu berücksichtigen. Bei Erlass des Bescheides sei die Klägerin 67 Jahre alt gewesen, also nicht in einem besonders hohen Alter. Der Verbrauch der Leistungen sei bereits nicht schutzwürdig erfolgt. Die finanzielle Situation des Betroffenen sei nicht auf der Ebene der Anspruchsfestsetzung, sondern erst auf der Ebene der Anspruchsdurchsetzung zu berücksichtigen. Im Übrigen seien neben den Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X auch die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X gegeben. Der lange Zeitraum seit Antragstellung sei nicht maßgebend, sondern die Aufnahme der hier in Rede stehenden Beschäftigung. Ein eigenes Verschulden, das bei der Ermessensausübung zu berücksichtigen sei, bestehe nicht; ebenso wenig sei sie zu weitergehenden Überwachungsmaßnahmen zur Vermeidung der Überzahlung verpflichtet (Hinweis auf BSG, Urteil vom 3. Juli 1991 - 9b RAr 2/90). Die Frage des Vorliegens eines atypischen Falles stelle sich vorliegend nicht, da in den streitgegenständlichen Bescheiden entsprechend § 45 SGB X bereits Ermessen ausgeübt worden sei und die Ermessensausübung nach der Rechtsprechung des BSG (B 13 R 15/13 R) im gerichtlichen Verfahren nur eingeschränkter Überprüfung unterliege. Danach seien Ermessensfehler nicht gegeben. Auch folge aus der die Behörde grundsätzlich treffenden Schadensminderungspflicht, unter Hinweis auf das Urteil des BSG vom 3. Juli 1991 (9b RAr 2/90), keine überwachende und nachforschende Nachprüfungspflicht seitens der Behörde, ob der Versicherte - unabhängig von seinem Alter - Einkommen erziele. Auch habe sich aufgrund des verwaltungsinternen Hinweises vom 28. November 2002 „Bereinigung der RtNr.02“, der sich auf eine interne edv-mäßige Tätigkeit beziehe, keine Anspruchsprüfungspflicht ergebe, da sich die Rentennummer 02 auf die gezahlte kleine Witwenrente beziehe. Die hier streitige Überzahlung sei jedoch bei der ab dem 1. August 1998 gezahlten großen Witwenrente entstanden. Auch wenn die Beklagte ein Mitverschulden treffen würde, sei entsprechend der Rechtsprechung des BSG (B 12 R 14/11 R) zu beachten, dass dies aufgrund der grob fahrlässigen Verletzung der Mitteilungspflichten durch die Klägerin im Rahmen der Ermessensausübung kein Ermessens- bzw. Abwägungsdefizit darstelle.
Die Gerichtsakte sowie die Verwaltungsakten des Versicherten waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Wegen Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt dieser Aktenstücke Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die form- und fristgerecht (§ 151 Abs. 1 SGG) erhobene Berufung ist statthaft und hat im tenorierten Umfang Erfolg.
Die Klägerin wendet sich statthaft mit der Anfechtungsklage (§ 54 Abs. 1 SGG) gegen den Bescheid der Beklagten vom 18. September 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. April 2020 sowie gegen deren Bescheid vom 25. Februar 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. September 2020.
Rechtsgrundlage für den streitigen Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 18. September 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. April 2020 ist - wie das Sozialgericht zutreffend ausgeführt hat - § 48 Abs. 1 SGB X - was die Aufhebung betrifft - und § 50 Abs. 1 SGB X - was die Erstattungsforderung betrifft.
Der angefochtene Bescheid begegnet hinsichtlich der formellen Rechtmäßigkeit keinen Bedenken. Er ist hinreichend bestimmt i.S.v. § 33 Abs. 1 SGB X. Auch die gemäß § 24 Abs. 1 SGB X vorzunehmende Anhörung ist ordnungsgemäß erfolgt.
Die Beklagte hat die Jahresfrist für die Aufhebung des Verwaltungsaktes seit Kenntnis der Tatsachen, welche die Aufhebung des Dauerverwaltungsaktes bei Änderung der Verhältnisse für die Vergangenheit rechtfertigten, eingehalten. Die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X beginnt mit Kenntnis des Aufhebungsgrundes. Hierzu gehört jedenfalls die Kenntnis der Tatsachen, aus denen sich die wesentliche Änderung gegenüber den Verhältnissen bei Erlass des früheren Verwaltungsaktes ergeben, hier April 2019.
Nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsakts mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Gemäß § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X soll der Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit
1. die Änderung zugunsten des Betroffenen erfolgt,
2. der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist,
3. nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde, oder
4. der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist.
Die Voraussetzungen von Satz 1 dieser Regelung liegen vor. Bei der mit Bescheid vom 6. April 1999 erfolgten Bewilligung von Witwenrente handelte es sich um einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung. Die wesentliche Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen, die beim Erlass der Bewilligungsbescheide vorlagen, liegt in der Erzielung von Arbeitseinkommen aufgrund der am 5. Februar 2000 aufgenommenen Beschäftigung, das nach § 97 SGB VI auf die Witwenrente anzurechnen war.
Die Berechnung der Beklagten ist insoweit nicht zu beanstanden.
Die Überzahlung beruht auch auf einem grob fahrlässigen Verhalten der Klägerin.
Die Klägerin ist der durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für sie nachteiliger Änderungen der Verhältnisse zur Überzeugung des Senats zumindest grob fahrlässig nicht nachgekommen (§ 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X). Gemäß § 60 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB I hat derjenige, der Sozialleistungen erhält, Änderungen in den Verhältnissen, die für die Leistung erheblich sind oder über die im Zusammenhang mit der Leistung Erklärungen abgegeben worden sind, unverzüglich mitzuteilen. Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat (Legaldefinition in § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 2. Halbs. SGB X). Der Begriff der groben Fahrlässigkeit setzt demnach ein gesteigertes Verschulden voraus. Das ist dann der Fall, wenn der Betroffene seine Mitwirkungspflicht aufgrund einfachster und naheliegender Überlegungen hätte erkennen können, wenn also nicht beachtet wird, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen (ständige Rechtsprechung des BSG, Urteil vom 8. Februar 2001, - B 11 AL 21/00 R -, juris, Rn. 23). Dabei ist kein objektiver Maßstab anzulegen, sondern auf die persönliche Urteils- und Kritikfähigkeit, das Einsichtsvermögen und das Verhalten des Betroffenen sowie die besonderen Umstände des Falles abzustellen (subjektiver Fahrlässigkeitsbegriff: BSG, Urteil vom 8. Februar 2001, a.a.O.). Auf die im Tatbestand wiedergegebenen Mitteilungs- und Mitwirkungspflichten ist die Klägerin ausdrücklich mit Bescheid vom 6. April 1999 hingewiesen worden. Diese sind verständlich und nachvollziehbar formuliert. Der Umstand, dass vorhandenes bzw. nicht vorhandenes Einkommen die Höhe ihrer Witwerrente maßgeblich bestimmt, ist der Klägerin zudem ersichtlich seit Beginn des Bezuges der Witwerrente ab dem 1. Januar 1992 an bewusst gewesen, da sie im September 1996 die Neuberechnung ihrer Witwenrente aufgrund ihrer Arbeitslosigkeit und ihrer deswegen geringeren Einkünfte beantragt hatte.
Aufgrund der vorstehenden Ausführungen hätte die Klägerin zur Überzeugung des Senats nachfolgend auch erkennen können und müssen, dass eine Einkommensanrechnung auf die Witwerrente durch die Beklagte nicht erfolgte und sie die Witwerrente ungekürzt erhielt. Somit liegen auch die Voraussetzungen von § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X vor.
Wenn der Senat trotz der vorstehenden Ausführungen das angefochtene Urteil geändert und die Beklagte zur Neubescheidung verurteilt hat, so beruht dies darauf, dass die Beklagte und das Sozialgericht unzutreffend davon ausgegangen sind, dass vorliegend kein sogenannter „atypischer Fall“ vorliegt. In solch einem Fall kann der Leistungsträger nach seinem Ermessen von der im Regelfall zwingend vorzunehmenden vollständigen rückwirkenden Aufhebung der Leistungsbewilligung abweichen (s. im Einzelnen stellvertretend BSG, Urteil vom 25. Mai 2018 - B 13 R 3/17 R).
Das Wort "soll" in Abs. 1 Satz 2 des § 48 SGB X bedeutet, dass der Leistungsträger in der Regel den Verwaltungsakt rückwirkend aufheben muss, er jedoch in atypischen Fällen nach seinem Ermessen hiervon abweichen kann. Die Frage, ob ein atypischer Fall vorliegt, ist als Rechtsvoraussetzung im Rechtsstreit von den Gerichten zu überprüfen und zu entscheiden (stRspr, z.B. BSG, Urteil vom 12. Dezember1995, - 10 RKg 9/95).
Bei der Prüfung, ob eine zur Ermessensausübung zwingende Atypik des Geschehensablaufs vorliegt, kommt es auf die Umstände des Einzelfalls an (BSG, Urteil vom 26. Oktober 1998, - B 2 U 35/97 R). Diese müssen Merkmale aufweisen, die signifikant vom (typischen) Regelfall abweichen, in dem die Rechtswidrigkeit eines ursprünglich richtigen Verwaltungsakts ebenfalls durch nachträgliche Veränderung in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen eingetreten ist. Hierbei ist zu prüfen, ob die mit der Aufhebung verbundene Pflicht zur Erstattung der zu Unrecht erhaltenen Leistungen (§ 50 Abs. 1 SGB X) nach Lage des Falls eine Härte bedeuten, die den Leistungsbezieher in atypischer Weise stärker belastet als den hierdurch im Normalfall Betroffenen. Ebenso ist das Verhalten des Leistungsträgers im Geschehensablauf in die Betrachtung einzubeziehen. Mitwirkendes Fehlverhalten auf seiner Seite, das als eine atypische Behandlung des Falls i.S. einer Abweichung von der grundsätzlich zu erwartenden ordnungsgemäßen Sachbearbeitung zu werten ist, kann im Einzelfall die Atypik des verwirklichten Tatbestands nach § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X ergeben. Dabei ist die Frage, ob ein atypischer Fall vorliegt, nicht losgelöst davon zu beurteilen, welcher der in Nr. 1 bis 4 vorausgesetzten Aufhebungstatbestände erfüllt ist (BSG, Urteil vom 5. Oktober 2006, - B 10 EG 6/04 R).
Die Höhe der Erstattungsforderung begründet für sich allein keine besondere Härte, denn die mit einer Erstattung verbundene Härte mutet das Gesetz jedem Betroffenen zu (BSG, Urteil vom 11. Februar 1988, - 7 RAr 55/86). Die Klägerin hätte ohne die zurückgeforderten Leistungen angesichts der Höhe ihres Einkommens auch keinen Anspruch auf Sozialhilfe bzw. Grundsicherungsleistungen gehabt, der im Nachhinein nicht mehr geltend gemacht werden könnte (vgl. BSG, Urteil vom 12. Dezember 1995, - 10 RKg 9/95 - sowie Urteil vom 30. Juni 2016, - B 5 RE 1/15 R).
Ein atypischer Sachverhalt ergibt sich auch nicht allein daraus, dass die rückwirkende Aufhebung und die Erstattungsforderung einen Zeitraum von mehr als 20 Jahren umfassen.
Auch besteht grundsätzlich keine Verpflichtung der Beklagten zur regelmäßigen Überprüfung der Einkommenssituation des jeweiligen Rentenbeziehers. Hierauf ist sowohl von der Beklagten als auch vom Sozialgericht unter Nennung einschlägiger höchstrichterlicher Rechtsprechung zutreffend hingewiesen worden.
Zu berücksichtigen ist vorliegend jedoch, dass der Beklagten, der in regelmäßigen Abständen die Akte des Versicherten vorlag, durch jegliches Unterlassen eines Datenabgleiches über einen derartig langen Zeitraum und der damit verbundenen fehlenden Nachfrage bei der Klägerin dieses Nichthandeln als mitursächlich für die Überzahlung anzusehen ist. Angesichts des Alters der Klägerin mit 39 Jahren bei Beginn der Gewährung der Witwenrente hätte die Überlegung nahe gelegen, dass hier im Hinblick auf die Einkommenssituation Veränderungen eintreten können. Dies ergibt sich schon aus dem Umstand, dass der Beklagten bekannt war, dass die Klägerin Arbeitslosenhilfe bezog sowie daraus, dass die Halbwaisenrenten der Söhne der Klägerin einer regelmäßigen Überprüfung unterlagen und der Beklagten in diesem Zusammenhang regelmäßig die Akte des Versicherten vorlag. Dabei war nach allgemeiner Lebenserfahrung jedenfalls nicht auszuschließen, dass mit zunehmendem Alter der Kinder und deren Ausbildungsabschluss die Klägerin wieder eine Erwerbstätigkeit aufnimmt. Sofern unter den Bedingungen einer Massenverwaltung eine individuelle Betrachtung als unzweckmäßig erscheint, sind durch entsprechende organisatorische Maßnahmen und Vorgaben Vorkehrungen zu treffen, zum Beispiel durch Einrichtung eines automatischen Datenabgleichs zwischen den verschiedenen Versicherungskonten oder durch automatische Vorlagefristen für Anfragen für eine Einkommensüberprüfung. Das Unterbleiben solcher organisatorischen Vorkehrungen stellt zwar kein individuelles Verschulden des zuständigen Sachbearbeiters dar, unzureichende organisatorische Vorkehrungen sind jedoch der Beklagten als handelnde Organisation zuzurechnen. Dass der Beklagten eine solche Prüfung mit Aufdeckung der Überzahlung ohne weiteres möglich gewesen wäre, zeigt die tatsächlich nach mehr als 20 Jahren durchgeführte und zum vorliegenden Verfahren führende Prüfung der Einkommensverhältnisse von Amts wegen (vgl. Bl. 839 der Verwaltungsakte). Soweit die Beklagte darauf hinweist, sie sei zu einem Datenabgleich nicht verpflichtet, mag dies zutreffen. Dass sie aber hierzu nicht befugt sei, behauptet auch die Beklagte nicht. Insoweit hätte im vorliegenden Fall eine Nachfrage bei der Klägerin bereits zu einem deutlich früheren Zeitpunkt aufgedrängt.
Das Mitverschulden des Leistungsträgers an einer Leistungsüberzahlung in allen Fällen des § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X ist unter Berücksichtigung aller Faktoren im konkreten Fall von derartiger Bedeutung, dass die rückwirkende Aufhebung der Leistungsbewilligung die Ausübung von Ermessen erforderte. Entgegen der Auffassung der Beklagten fehlt es vorliegend an einer derartigen Ermessensentscheidung, wenn sie lediglich pauschal und ohne weitere Begründung in ihren Bescheiden ausführt, dass sie kein Mitverschulden an dem Entstehen der Forderung treffe. Insoweit kann sich die Beklagte auch nicht auf die Wertungen in dem von ihr angeführten Urteil des BSG vom 30. Oktober 2013 (Az. B 12 R 14/11 R) stützen. Die Ausführungen des BSG sind nicht auf den vorliegenden Fall übertragbar, da in den Fällen des der Entscheidung zugrunde liegenden § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X geregelten Fallkonstellation, die generell einen Ausschluss des Vertrauensschutzes begründet, die Ursache für den Erlass eines begünstigenden rechtswidrigen Verwaltungsaktes regelmäßig (allein) im Verwaltungsbereich der Beklagten liegt und den Regelfall des § 45 SGB X darstellt (s. zur Kritik an dem Urteil des 2. Senates des BSG im Übrigen Schleswig-Holsteinisches LSG, Urteil vom 13. Dezember 2023 - L 9 SO 19/19 -, juris Rn. 55 ff, Revision zum Az. B 8 SO 1/24 R anhängig).
Nach alledem war der Bescheid vom 18. September 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. April 2020 und die Beklagte zur Neubescheidung zu verpflichten.
Der Bescheid vom 25. Februar 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. September 2020 war in vollem Umfang aufzuheben. Die Beklagte war nicht berechtigt, ihre ursprüngliche Erstattungsforderung zu Lasten der Klägerin zu erhöhen.
Ausweislich des Verfügungssatzes des Erstattungsbescheides vom 18. September 2019 wurde von der Klägerin aus den für die Zeit 1. Juli 2001 bis 31. Oktober 2019 zu Unrecht gezahlten Rentenbeträgen ein Erstattungsbetrag i.H.v. 79.212,32 Euro zurückgefordert. Dass die Beklagte gegenüber der Klägerin eine lediglich teilweise, zeitraumbezogene Regelung getroffen hatte, lässt sich weder dem Verfügungssatz des Bescheides noch der hierzu gegebenen Begründung (§ 35 SGB X) oder den sonstigen, mit dem Erstattungsverlangen zusammenhängenden Umständen entnehmen, die zur Auslegung des Regelungsgehalts eines Verwaltungsaktes nach dem Empfängerhorizont (vgl. hierzu grundlegend: BSG, Urteil vom 28. Juni 1990, - 4 RA 57/89) regelmäßig herangezogen werden können.
Ausgehend hiervon durfte und musste die Klägerin den Bescheid vom 18. September 2019 dahingehend verstehen, dass die Beklagte wegen der von ihr ausgeübten Tätigkeiten überzahlte Rentenleistungen von insgesamt 79.212,32 Euro erstattet verlangt. Anhaltspunkte dafür, dass es sich hierbei nur um eine vorläufige Entscheidung gehandelt bzw. die Beklagte sich vorbehalten haben könnte, nachträglich eine höhere Erstattung gegenüber der Klägerin geltend zu machen, lassen sich weder dem Bescheid entnehmen noch sind sie sonst ersichtlich.
Die Beklagte ist nach § 39 Abs. 2 SGB X an den Regelungsgehalt ihres Bescheides vom 18. September 2019 gebunden, solange und soweit er nicht zurückgenommen, widerrufen, anderweitig aufgehoben oder durch Zeitablauf oder auf andere Weise erledigt ist. Damit nimmt diese Vorschrift im Wesentlichen Bezug auf die §§ 44 ff. SGB X. Grundsätzlich ist von einer Unzulässigkeit der „Verböserung“ im Widerspruchsverfahren auszugehen. Die Bindung der Verwaltung an die erlassenen Verwaltungsakte kann aber durch die Vorschriften über die Rücknahme und den Widerruf nach §§ 44 ff. SGB X durchbrochen werden. Die Behörden können Verwaltungsakte deshalb nur nach Maßgabe der §§ 44 ff. SGB X zurücknehmen oder widerrufen (BSG, Urteil vom 18. Juni 2008, - B 14/11b AS 67/06 R -, juris Rn. 18).
Insoweit kann dahingestellt bleiben, ob der „verbösernde“ Bescheid 25. Februar 2020 - wie zunächst von der Beklagten angenommen - Gegenstand des Widerspruchsverfahrens gegen den Bescheid vom 18. September 2019 geworden ist und ob der Widerspruchsbescheid vom 22. September 2020 insoweit eine wiederholende Verfügung oder einen Zweitbescheid darstellt oder es sich bei dem Bescheid vom 25. Februar 2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. September 2020 um eigenständige Regelung handelt.
Zu einer Korrektur ihres ursprünglichen Erstattungsverlangens ist die Beklagte in allen genannten Fallkonstellationen nur unter Beachtung der in §§§ 44 SGB X normierten Einschränkungen berechtigt.
In Betracht kommt vorliegend allein eine teilweise Rücknahme des wegen Nichtbeachtung von weiteren erzielten Einkünften rechtswidrigen Erstattungsbescheides vom 18. September 2019 mit Wirkung für die Zukunft nach § 45 SGB X.
Der Anwendungsbereich des § 45 SGB X ist eröffnet, weil der Erstattungsbescheid vom 18. September 2019 neben seiner belastenden Wirkung auch zugunsten der Klägerin einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet hat. Insoweit handelt es sich um einen begünstigenden Verwaltungsakt im Sinne des § 45 Abs. 1 SGB X. Der Bescheid vom 18. September 2019 hat für die Klägerin Doppelwirkung. Neben der Belastung, einem Eingriff in die Rechtsposition der Klägerin dergestalt, dass sie an die Beklagte einen Betrag von 79.212, 32 Euro zu erstatten hat, regelt der Bescheid zugleich, dass die Klägerin auch keinen höheren als eben jenen Betrag erstatten muss. Soweit später diese Begünstigung zu ihren Lasten revidiert werden soll, geht es ausschließlich darum, diesen rechtlichen Vorteil des ursprünglichen Erstattungsbescheides zu beseitigen, mithin einen anfänglich rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakt im Sinne von § 45 SGB X teilweise zurückzunehmen (ebenso Hessisches LSG, Urteil vom 8. Juni 2018,- L 5 R 195/15).
Nach § 45 Abs. 1 SGB X darf ein rechtswidriger Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden.
Gemäß Absatz 2 darf ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte nicht berufen, soweit
1. er den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat,
2. der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat, oder
3. er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat.
Eine Rücknahme mit Wirkung für die Vergangenheit kommt gemäß § 45 Abs. 4 Satz 1 SGB X nur in den Fällen von § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X oder § 45 Abs. 3 Satz 2 SGB X in Betracht. Keiner dieser Tatbestände hier erfüllt.
Eine Rücknahme nach § 45 Abs. 3 Satz 2 SGB X scheidet aus; Wiederaufnahmegründen entsprechend § 580 ZPO liegen bzw. lagen hier ersichtlich nicht vor.
Auch auf § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 SGB X kann eine Rücknahme offenkundig nicht gestützt werden, weil keinerlei Anhaltspunkte für einen durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkten Verwaltungsakt vorliegen.
Schließlich greifen die Tatbestände des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 und Nr. 3 SGB X hier nicht ein. Nach diesen Vorschriften kann sich der Begünstigte auf Vertrauen nicht berufen, soweit der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die er vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat (Nr. 2) oder er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat (Nr. 3).
Zur Überzeugung des Senats beruht der überzahlte Betrag i.H.v. 3.171,63 Euro nicht auf Angaben, die die Klägerin vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat, denn die Beklagte nahm ohne jegliches zutun der Klägerin mit Bescheid vom 25. Februar 2020 gegenüber dem Bescheid vom 18. September 2019 eine Neuberechnung ab 1. März 2019 vor und errechnete einen weiteren Nachzahlungsbetrag.
Ebenso wenig sind die Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X gegeben. Zwar behauptet die Beklagte pauschal, die Klägerin habe die Rechtswidrigkeit gekannt. Worauf diese Kenntnis beruhen soll, wird seitens der Beklagten nicht ausgeführt. Warum die Klägerin positive Kenntnis von der weiteren Überzahlung in dem Umfang des streitigen Erstattungsbetrages i.H.v. 3.171, 63 Euro gehabt haben soll, während dies der Beklagten bei Erlass des Bescheides vom 18. September 2019 und des dort ausgewiesenen Erstattungsbetrages trotz Prüfung verborgen geblieben ist, ist für den Senat - auch im Hinblick auf den vorangegangenen unübersichtlichen Verfahrensablauf - nicht nachvollziehbar.
Schließlich beruhte die Unkenntnis bzgl. der teilweisen Rechtswidrigkeit der Nachzahlung im Umfang von 3.171,63 Euro auch nicht auf grober Fahrlässigkeit. Denn die Klägerin hat bezogen auf den hier konkret zu beurteilenden Sachverhalt die erforderliche Sorgfalt nicht in besonders schwerem Maße verletzt.
Die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße hat danach verletzt, wer schon einfachste, ganz naheliegende Überlegungen nicht anstellt und daher nicht beachtet, was im gegebenen Fall jedem einleuchten muss (stRspr seit BSG, Urteil vom 31. August 1976, - 7 RAr 112/74) Danach ist die Unkenntnis grob fahrlässig im Sinne von § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X, wenn der Adressat, hätte er den Bewilligungsbescheid gelesen und zur Kenntnis genommen, auf Grund einfachster und naheliegender Überlegungen sicher hätte erkennen können, dass der zuerkannte Anspruch nicht oder jedenfalls so nicht besteht. Davon ist bei Fehlern auszugehen, die sich erstens aus dem begünstigenden Verwaltungsakt selbst oder anderen Umständen ergeben und zweitens für das Einsichtsvermögen des Betroffenen ohne weiteres erkennbar sind. Das ist anzunehmen bei solchen Fehlern, die unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere der Persönlichkeit des Betroffenen und seines Verhaltens, augenfällig sind. Augenfällig in diesem Sinne sind Fehler zunächst, wenn die Begünstigung dem Verfügungssatz nach ohne weitere Überlegungen als unzutreffend erkannt werden kann. Ausschlaggebend für die nach diesen Kriterien zu beurteilende Erkennbarkeit eines Fehlers ist der individuelle Verständnishorizont des Begünstigten. Mussten sich einem Bescheidempfänger allerdings Zweifel an der Richtigkeit der ergangenen Entscheidung aufdrängen, besteht eine Verpflichtung zu Erkundigungen. Bei komplizierten Berechnungen und maschinellen Verschlüsselungen wird hingegen von einer groben Fahrlässigkeit regelmäßig nur ausgegangen werden können, wenn diese durch einen erklärenden Langtext hinreichend verständlich ist.
Unter Beachtung dieser Grundsätze ist der Senat der Ansicht, dass die teilweise Fehlerhaftigkeit des im Bescheid vom 18. September 2019 ausgewiesenen Erstattungsbetrages für die Klägerin nicht ohne weiteres sofort erkennbar war. Dies ergibt sich für den Senat aus dem vorangegangenen unübersichtlichen Verwaltungsverfahren mit Unklarheiten. Zudem ein offensichtlicher Fehler dem Bescheid nicht zu entnehmen ist.
Somit liegen die Tatbestandsvoraussetzungen des § 45 Abs. 4 Satz 1 SGB X nicht vor, sodass der mit dem angefochtenen Bescheid festgesetzte Erstattungsanspruch gemäß § 50 Abs. 2 SGB X nicht besteht.
Die Kostenentscheidung ergeht gemäß § 193 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 SGG. Sie orientiert sich am Ausgang des Verfahrens.
Der Senat hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).