- Für die Berechnung des Krankengeldes ist bei freiwillig versicherten hauptberuflich selbstständig Erwerbstätigen im Sinne einer widerlegbaren Vermutung ein Regelentgelt in Höhe des Arbeitseinkommens zugrunde zu legen, aus dem zuletzt vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit vorläufige Beiträge entrichtet worden sind, wobei eine Widerlegung der Vermutung auch zugunsten des Versicherten während des laufenden Vorverfahrens möglich ist.
- Ein Ruhen des Krankengeldanspruchs nach § 49 Abs. 1 Satz 1 SGB V aufgrund der Erzielung von Arbeitseinkommen setzt den tatsächlichen Zufluss von Einnahmen aus selbstständiger Tätigkeit im Zeitraum der Arbeitsunfähigkeit voraus. Dies gilt auch für Zeiten der stufenweisen Wiedereingliederung.
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 13. Oktober 2022 geändert.
Die Beklagte wird unter Änderung der Bescheide vom 29. April 2020 und 19. Oktober 2020, beide in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. April 2021, verurteilt, der Klägerin für den Zeitraum vom 27. April 2020 bis zum 14. März 2021 Krankengeld in Höhe von kalendertäglich 60,53 EUR brutto unter Berücksichtigung bereits erbrachter Leistungen zu zahlen.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen
Die außergerichtlichen Kosten der Klägerin trägt die Beklagte zu 41% bezüglich des Gerichtsverfahrens und in voller Höhe bezüglich des Widerspruchsverfahrens.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Höhe des der Klägerin im Zeitraum vom 27. April 2020 bis zum 14. März 2021 zustehenden Krankengelds streitig.
Die 1957 geborene Klägerin ist bei einer regelmäßigen Arbeitszeit von acht Stunden täglich als Event-Managerin hauptberuflich selbstständig tätig und bei der Beklagten freiwillig gesetzlich krankenversichert mit Anspruch auf Krankengeld ab dem 43. Tag der Arbeitsunfähigkeit.
Mit Bescheid vom 25. November 2019 setzte die Beklagte die von der Klägerin zu zahlenden Beiträge für die Kranken- und Pflegeversicherung für die Zeit ab dem 01. Dezember 2019 vorläufig neu fest und berücksichtigte dabei die sich aus dem Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2018 vom 06. November 2019 ergebenden Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von 18.544,00 EUR. Für das Jahr 2018 verblieb es bei der bereits zuvor auf Grundlage höherer Einnahmen vorgenommenen endgültigen Beitragsfestsetzung.
Am 16. März 2020 zog sich die Klägerin bei einem häuslichen Unfall eine intraartikuläre Humerusfraktur zu, infolge derer sie vom 16. März 2020 bis zum 21. März 2020 stationär behandelt wurde und im Anschluss daran arbeitsunfähig war.
Mit Schreiben vom 29. April 2020, welches nicht mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehen war, informierte die Beklagte die Klägerin darüber, dass bei Vorliegen aller Voraussetzungen ihr Krankengeld ab dem 27. April 2020 täglich 36,06 EUR brutto betrage.
In der Zeit vom 22. März 2020 bis zum 29. Oktober 2020 sowie vom 26. November 2020 bis zum 12. Februar 2021 war die Klägerin ununterbrochen ärztlich bescheinigt arbeitsunfähig und erhielt Krankengeld von der Beklagten.
Im September 2020 reichte die Klägerin bei der Beklagten zwei Einkommensteuerbescheide für das Jahr 2019 vom 20. August 2020 und 17. September 2020 ein, aus welchen sich Einkünfte aus Gewerbetrieb in Höhe von 31.129 EUR ergaben. Mit Bescheid vom 25. September 2020 setzte die Beklagte die von der Klägerin für das Jahr 2019 zu entrichtenden Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung auf Grundlage der im Jahr 2019 erzielten Einkünfte endgültig auf 512,58 EUR monatlich fest, woraus sich eine Beitragsnachforderung in Höhe von 3.655,20 EUR ergab.
Am 08. und 16. Oktober 2020 wandte sich die Klägerin an die Beklagten und bat, auch ihr Krankengeld ab dem 04. September 2020 auf Grundlage des nunmehr für das Jahr 2019 eingereichten Steuerbescheides neu zu berechnen. Mit Schreiben vom 19. Oktober 2020 teilte die Beklagte mit, dass eine Neuberechnung des Krankengeldes auf Grundlage des Steuerbescheides für 2019 nicht stattfinden werde, da als Regelentgelt für die Krankengeldberechnung der kalendertägliche Betrag gelte, der zuletzt vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit für die Beitragsbemessung aus Arbeitseinkommen maßgebend gewesen sei.
In der Zeit vom 29. Oktober 2020 bis zum 25. November 2020 befand sich die Klägerin in einer ganztätigen ambulanten Rehabilitationsmaßnahme, welche durch den Rentenversicherungsträger finanziert wurde. Übergangsgeld erhielt sie während der Rehabilitationsmaßnahme nicht. In Bezug auf ihren Krankengeldanspruch wurde ihr auf ihre diesbezügliche Nachfrage am 22. Oktober 2020 durch eine Mitarbeiterin der Beklagten die Auskunft erteilt, dass für den Zeitraum der Rehabilitationsmaßnahme das Krankengeld weiter gezahlt werde, was dann auch geschah.
Mit anwaltlichen Schreiben vom 05. November 2020 legte die Klägerin durch ihren Prozessbevollmächtigten Widerspruch gegen die „Bescheide“ vom 29. April 2020 und 19. Oktober 2020 ein. Zur Begründung führte sie aus, dass aufgrund der fehlenden Rechtsbehelfsbelehrung auch die Widerspruchsfrist hinsichtlich des Bescheides vom 29. April 2020 gewahrt sei. Das zuletzt vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit für die Beitragsbemessung maßgebliche Einkommen sei lediglich im Sinne einer widerlegbaren Vermutung für die Ermittlung der Höhe des Krankengeldes heranzuziehen. Vorliegend sei das tatsächliche Arbeitseinkommen durch den nunmehr eingereichten Steuerbescheid für das Jahr 2019 nachgewiesen worden, so dass das dort ausgewiesenen Einkommen zugrunde zu legen sei. Der Krankengeldanspruch betrage daher mindestens 60,53 EUR brutto kalendertäglich.
Am 12. Februar 2021 erstellte der behandelnde Orthopäde einen ärztlichen Wiedereingliederungsplan über eine stufenweise Wiedereingliederung der Klägerin vom 13. Februar 2021 bis zum 14. März 2021, welcher für den Zeitraum bis zum 28. Februar 2021 die Wiederaufnahme ihrer Tätigkeit als Eventmanagerin im Umfang von 4 Stunden täglich und für den Zeitraum vom 01. März bis zum 14. März 2021 im Umfang von 6 Stunden täglich vorsah.
Mit Bescheid vom 23. Februar 2021 berechnete die Beklagte das Krankengeld für die Zeit ab dem 13. Februar 2021 aufgrund der Wiedereingliederung neu und bewilligte Krankengeld ab diesem Zeitraum in Höhe von 18,03 EUR brutto kalendertäglich. Dabei kürzte sie das Krankengeld im Verhältnis der bescheinigten Arbeitsfähigkeit in Höhe von vier Stunden täglich zur Normalarbeitszeit von acht Stunden täglich.
In der Zeit der Wiedereingliederung erbrachte die Klägerin im Rahmen eines Auftrags im Zeitraum vom 15. Februar 2021 bis zum 26. Februar 2021 Arbeitsleistungen im Umfang von insgesamt 40 Stunden (jeweils vier Stunden an zehn Arbeitstagen) und im Zeitraum vom 1. März 2021 – 12. März 2021 im Umfang von 60 Stunden (jeweils sechs Stunden an zehn Arbeitstagen). Ihre diesbezüglichen Rechnungen vom 5. März 2021 über 1.600,00 EUR zzgl. Mehrwertsteuer und vom 15. März 2021 über 2.400,00 EUR zzgl. Mehrwertsteuer wurden durch die Auftraggeberin zwischen dem 16. März 2021 und dem 27. Mai 2021 beglichen. Der Einkommenssteuerbescheid für das Jahr 2021 wies Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von insgesamt 10.739,00 EUR aus, wobei die selbstständige Tätigkeit durch die Klägerin ab Mai 2021 nur noch nebenberuflich im Umfang von 10 Stunden wöchentlich ausgeübt wurde.
Die Widersprüche der Klägerin gegen die Bescheide vom 29. April 2020 und 19. Oktober 2020 wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 12. April 2021 als unbegründet zurück. Gemäß § 47 Abs. 1 Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) betrage das Krankengeld 70 von Hundert des erzielten Arbeitseinkommens, soweit es der Beitragsberechnung unterliege (Regelentgelt). Für Versicherte, die nicht Arbeitnehmer seien, gelte im Rahmen einer widerlegbaren Vermutung als Regelentgelt der kalendertägliche Betrag, der zuletzt vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit für die Beitragsbemessung aus Arbeitseinkommen maßgebend gewesen sei (§ 47 Abs. 4 Satz 2 SGB V). Vorliegend sei der Steuerbescheid für das Jahr 2019 der Beklagten erst nach Eintritt der Arbeitsunfähigkeit am 09. September 2020 vorgelegt worden, so dass eine Berücksichtigung nicht möglich gewesen sei. Eine Konstellation in welcher das Bundessozialgericht (BSG) eine Widerlegung der Vermutung angenommen habe, liege nicht vor.
Mit Bescheid vom 19. April 2021 berechnete die Beklagte das Krankengeld für die Zeit der zweiten Stufe der Wiedereingliederung neu und bewilligte ab dem 01. März 2021 Krankengeld in Höhe von 9,29 EUR brutto kalendertäglich.
Am 10. Mai 2021 hat die Klägerin vor dem Sozialgericht (SG) Berlin Klage erhoben, welche sie mit Klagebegründung vom 17. Juni 2021 dahingehend konkretisierte, dass für den Zeitraum vom 27. April 2020 bis zum 14. März 2021 die Gewährung von Krankengeld in Höhe von kalendertäglich 60,53 EUR brutto begehrt werde. Diesbezüglich vertrat sie die Ansicht, das Krankengeld sei aus dem Arbeitseinkommen für das Jahr 2019 in Höhe von 31.129,00 EUR zu berechnen. Aufgrund der Entgeltersatzfunktion des Krankengeldes sei bei hauptberuflich selbstständig Erwerbstätigen grundsätzlich auf das vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit tatsächlich erzielte Arbeitseinkommen abzustellen. Die Vorschrift des § 47 Abs. 4 Satz 2 SGB V sei im Sinne einer widerlegbaren Vermutung zu verstehen, die der Vereinfachung diene. Dass der Steuerbescheid für das Jahr 2019 zum Zeitpunkt der ersten Behördenentscheidung noch nicht vorgelegen habe, könne nicht zu einem niedrigeren Krankengeldanspruch führen.
Im November 2021 reichte die Klägerin bei der Beklagten den Steuerbescheid für das Jahr 2020 vom 04. November 2021 ein, welcher für das Jahr 2020 Einnahmen aus Gewerbebetrieb in Höhe von 16.072,00 EUR auswies, welche die Klägerin vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit erzielt hatte. Mit Bescheid vom 02. Dezember 2021 setzte die Beklagte die für den 1. Januar 2020 bis 26. April 2020 zu zahlenden Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung ausgehend von monatlichen Einnahmen in Höhe von 4.232,80 EUR auf monatlich 810,58 EUR fest. Für die Zeit vom 27. April 2020 bis zum 31. Dezember 2020 erfolgte die endgültige Beitragsfestsetzung ausgehend von monatlichen Einnahmen in Höhe von 76,25 EUR.
Mit Schriftsatz vom 26. Januar 2022 erweiterte die Klägerin ihre Klage dahingehend, dass sie nunmehr für den streitigen Zeitraum Krankengeld in Höhe von mindestens 98,77 EUR brutto (4.232,80 EUR / 30 Tage x 0,7) begehrte.
Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Krankengeldberechnung sei der Erlasszeitpunkt des Bescheides vom 29. April 2020. Zu diesem Zeitpunkt hätten keine Anhaltspunkte für ein höheres Einkommen der Klägerin vorgelegen.
Das SG hat die Klage mit Urteil vom 13. Oktober 2022 abgewiesen. Für die Berechnung des Krankengelds bei freiwillig versicherten hauptberuflich Selbstständigen sei grundsätzlich (im Sinne einer widerlegbaren Vermutung) ein Regelentgelt zu Grunde zu legen, welches dem Betrag entspreche, aus dem zuletzt vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit freiwillig Beiträge entrichtet worden seien. Hiervon könne nur abgewichen werden, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür vorlägen, dass dieser Betrag erkennbar nicht der tatsächlichen wirtschaftlichen Situation des Versicherten vor Arbeitsunfähigkeit entspreche. Dies sei zwar auch zu Gunsten des Versicherten möglich, erforderlich sei jedoch, dass entsprechende Unterlagen der Krankenkasse bereits vor der Krankengeldberechnung vorgelegen hätten. Eine Neuberechnung oder Nachberechnung des Krankengeldes während des laufenden Bezugs sei im Gesetz nicht vorgesehen und entspreche nicht dem Sinn der vom Gesetzgeber gewählten Berechnungsmethode, die allein auf die Verhältnisse vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit abstelle, um möglichst schnell und mit möglichst wenig Verwaltungsaufwand eine Entscheidung über die Höhe des zeitlich nur begrenzt zu gewährenden Krankengelds zu ermöglichen. Vor diesem Hintergrund habe die Beklagte zu Recht auf das im Jahr 2018 erzielte Arbeitseinkommen abgestellt.
Hiergegen hat die Klägerin am 02. November 2022 Berufung eingelegt. Sie ist der Meinung, dass auf das tatsächlich erzielte Einkommen vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit abzustellen sei. Dass ein höheres Einkommen vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit nicht nachgewiesen worden sei, sei allein darin begründet, dass die Beklagte sie nicht zur Einreichung entsprechender Unterlagen aufgefordert habe. Vor diesem Hintergrund könne ihr nicht vorgeworfen werden, sie habe die Vermutung nicht rechtzeitig widerlegt. Die Beklagte hätte die ihre Einkommensverhältnisse vielmehr ermitteln müssen. Es sei zudem nicht nachvollziehbar, dass der Versicherte der Trägheit der Finanzbehörden schutzlos ausgeliefert sei. Auch wenn im Interesse einer zeitnahen Entscheidung das Krankengeld zunächst anhand der bisherigen Beitragsbemessung festgesetzt werde, folge aus § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X), dass bei Nachweis des tatsächlich vor Arbeitsunfähigkeit erzielten Einkommens die Krankengeldhöhe zu Gunsten des Versicherten mit Wirkung für die Vergangenheit abgeändert werden müsse. Das SG habe übersehen, dass es sich beim Krankengeld um Versicherungsleistungen handele, für welche sie – die Klägerin – Beiträge anhand ihres tatsächlich erzielten Einkommens entrichtet habe. Sie habe jedoch kein Krankengeld erhalten, was der Höhe ihrer entrichteten Beiträge entsprochen habe. Nach den allgemeinen Grundsätzen sei im Rahmen der Anfechtungs- und Verpflichtungsklage für die Höhe des Krankengeldanspruchs maßgeblich, aus welchem Einkommen sie vor dem Eintritt der Arbeitsunfähigkeit zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz Beiträge entrichtet habe. Hier sei die endgültige Festsetzung vom 02. Dezember 2022 maßgeblich, durch welche die vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit zu entrichtenden Beiträge aus einem monatlichen Einkommen in Höhe von 4.232,80 EUR berechnet worden seien. Aus der Rechtsprechung des BSG ergebe sich nichts Abweichendes, da diese zur alten Rechtslage ergangen sei, als noch nicht zwischen vorläufiger und endgültiger Festsetzung zu differenzieren gewesen sei.
Im Berufungsverfahren hat die Klägerin hinsichtlich der vom 29. Oktober 2020 bis zum 25. November 2020 stattgefundenen ganztägigen ambulanten Rehabilitationsmaßnahme den Rehabilitationsbericht vom 16. Dezember 2020 eingereicht. Nach dem Bericht bestand während der Rehabilitationsmaßnahme Arbeitsunfähigkeit der Klägerin. Auch die Entlassung sei arbeitsunfähig erfolgt.
In der mündlichen Verhandlung vom 21. November 2024 hat die Beklagte die Bescheide vom 23. Februar 2021 und 19. April 2021 aufgehoben.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 13. Oktober 2022 zu ändern und die Beklagte unter Änderung der Bescheide vom 29. April 2020 und 19. Oktober 2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. April 2021 zu verurteilen, ihr für den Zeitraum vom 27. April 2020 bis zum 14. März 2021 Krankengeld i.H.v. kalendertäglich 98,77 EUR brutto unter Berücksichtigung bereits erbrachter Leistungen zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie bezieht sich insofern auf das erstinstanzliche Vorbringen und die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands, insbesondere wegen des Vorbringens der Beteiligten im Einzelnen, wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung des Senats gewesen sind.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung hat teilweise Erfolg.
Die nach § 151 Abs. 1 und 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist gemäß §§ 143, 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG statthaft und zulässig.
Gegenstand des Berufungsverfahrens sind, nachdem der Beklagte die Bescheide 23. Februar 2021 und 19. April 2021 aufgehoben hat, neben dem Urteil des SG vom 13. Oktober 2022 die auch von der Beklagten als Verwaltungsakte im Sinne von § 31 SGB X angesehenen Schreiben vom 29. April 2020 und vom 19. Oktober 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12. April 2021. Mit dem Bescheid vom 29. April 2020 wollte die Beklagte rechtsverbindlich über die Krankengeldhöhe für den gesamten Zeitraum ununterbrochener Arbeitsunfähigkeit ab dem 27. April 2020 entscheiden, wobei die Prüfung der gesetzlichen Voraussetzungen des Krankengeldanspruchs gesondert erfolgen sollte (hierzu sogleich). Mit Bescheid vom 19. Oktober 2020 lehnte sie die Änderung der Krankengeldhöhe ab dem 04. September 2020 ab.
Die Klage ist nur teilweise zulässig.
Statthafte Klageart ist die auf Abänderung der Bescheide vom 29. April 2020 und 19. Oktober 2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. April 2021 und auf Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von höherem Krankengeld gerichtete kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 SGG).
Soweit die Klägerin über den ursprünglich geltend gemachten Klageanspruch in Höhe von kalendertäglich 60,53 EUR hinaus einen Krankengeldanspruch in Höhe von kalendertäglich mindestens 98,77 EUR geltend macht, ist die Klage bereits unzulässig.
Zwar liegt in der Erhöhung des Klageanspruchs keine Klageänderung, sondern eine Erweiterung des Klageantrags in der Hauptsache gem. § 99 Abs. 3 Nr. 2 SGG. Aus der Zulässigkeit der Klageerweiterung folgt jedoch nicht die Zulässigkeit der erweiterten Klage (Guttenberger in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 2. Aufl., § 99 SGG (Stand: 15.06.2022) Rn. 55), so dass auch für die Klageerweiterung sämtliche Sachurteilsvoraussetzungen vorliegen müssen. Vorliegend steht der Zulässigkeit der Klageerweiterung die Bestandskraft der angefochtenen Bescheide entgegen, denn mit der Klagebegründung vom 17. Juni 2021 hatte die durch einen rechtskundigen Bevollmächtigten vertretene Klägerin ausdrücklich nur Krankengeld in Höhe von 60,53 EUR kalendertäglich beantragt und die Klage daher wirksam auf diesen Betrag beschränkt. Dem steht nicht entgegen, dass die Klägerin an anderer Stelle der Klagebegründung davon ausgeht, der kalendertägliche Krankengeldanspruch betrage „mindestens 60,53 EUR brutto“. Denn diesen Betrag leitet sie aus den – aus ihrer Sicht maßgeblichen – Einkommenssteuerbescheiden für das Jahr 2019 und ihren darin festgestellten Einkünften aus Gewerbebetrieb in Höhe von 31.129,00 EUR ab. Dass sie ggf. einen noch höheren kalendertäglichen Krankengeldanspruch geltend machen wolle, falls der Einkommenssteuerbescheid für das Jahr 2020 noch höhere Einkünfte aus Gewerbebetrieb ausweise, ist ihrem damaligen Vorbringen nicht zu entnehmen. Soweit die Beklagte mit den angegriffenen Bescheiden auch die Bewilligung von höherem Krankengeld als 60,53 EUR kalendertäglich ablehnte, sind die Bescheide somit zu diesem Zeitpunkt bestandskräftig (§ 77 SGG) geworden.
Im Übrigen ist die Klage zulässig und auch begründet. Die angegriffenen Bescheide sind insoweit rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten, als die Beklagte das Krankengeld nicht auf Grundlage der sich aus dem Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2019 ergebenden Einkünfte aus Gewerbebetrieb berechnete. Die Klägerin hat im streitbefangenen Zeitraum vom 27. April 2020 bis 14. März 2021 einen Anspruch auf Krankengeld in Höhe von kalendertäglich 60,53 EUR brutto.
Zutreffend ist die Beklagte davon ausgegangen, dass ihrem Schreiben vom 29. April 2020 die Qualität eines Verwaltungsaktes im Sinne von § 31 SGB X zukommt, weil sie darin eine verbindliche Regelung über die Höhe des der Klägerin ab dem 27. April 2020 zustehenden Krankengelds traf.
Nicht zu beanstanden ist, dass die Beklagte mit der Entscheidung über die Höhe nur über ein Element des Krankengeldanspruchs entschied (ablehnend zur Feststellung einzelner Elemente bzw. Tatbestandsmerkmale eines Anspruchs: Landessozialgericht - LSG - Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 19. Mai 2020 – L 16 U 210/16 –, juris Rn. 30; Bayerisches LSG, Urteil vom 26. November 2020 – L 20 VU 2/16 –, juris Rn. 94). Mit der Wendung „wenn alle Voraussetzungen vorliegen“ machte die Beklagte die Auszahlung von Krankengeld in der festgesetzten Höhe in zulässiger Weise vom Fortbestand oder der jeweils erneuten Verwirklichung der für einen Anspruch auf Krankengeld dem Grunde nach erforderlichen Voraussetzungen abhängig und berücksichtigte damit, dass Krankengeld regelmäßig nur abschnittsweise für die jeweilige Dauer der bescheinigten Arbeitsunfähigkeit bewilligt wird (BSG, Urteil vom 7. April 2022 – B 3 KR 16/20 R –, juris Rn. 11). In der o.g. Wendung liegt eine auflösende oder aufschiebende Bedingung im Sinne von § 32 Abs. 2 Nr. 3 SGB X, mit der die Beklagte – gestützt auf § 32 Abs. 1 SGB X – die Festsetzung der Anspruchshöhe versehen durfte, weil hierdurch sichergestellt wird, dass alle gesetzlichen Voraussetzungen des Krankengeldanspruchs erfüllt werden. Die Art der Bedingung kann vorliegend dahinstehen, denn die Klägerin erfüllte die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Krankengeld dem Grunde nach im gesamten streitigen Zeitraum.
Rechtsgrundlagen des geltend gemachten Anspruchs auf Krankengeld sind § 44 Abs. 1 SGB V und § 46 Satz 1 SGB V. Nach § 44 Abs. 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankengeld, wenn die Krankheit sie arbeitsunfähig macht oder sie auf Kosten der Krankenkasse stationär in einem Krankenhaus, einer Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtung (§ 23 Abs. 4, §§ 24, 40 Abs. 2 und § 41) behandelt werden. Ob und in welchem Umfang Versicherte Krankengeld beanspruchen können, bestimmt sich nach dem Versicherungsverhältnis, das im Zeitpunkt des jeweils in Betracht kommenden Entstehungstatbestands für das Krankengeld vorliegt (vgl. BSG, Urteil vom 26. März 2020 – B 3 KR 9/19 R – juris Rn. 14 m.w.N.).
Nach § 44 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB V haben hauptberuflich selbstständig Erwerbstätige keinen Anspruch auf Krankengeld, es sei denn, das Mitglied erklärt gegenüber der Krankenkasse, dass die Mitgliedschaft einen Anspruch auf Krankengeld umfassen soll (Wahlerklärung). Nach § 46 Satz 1 SGB V entsteht der Anspruch auf Krankengeld bei Krankenhausbehandlung oder Behandlung in einer Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtung von ihrem Beginn an, im Übrigen von dem Tag an, der auf den Tag der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit folgt. Für Versicherte, die eine Wahlerklärung nach § 44 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB V abgegeben haben, beginnt der Krankengeldanspruch gemäß § 46 Satz 4 SGB V von der siebten Woche der Arbeitsunfähigkeit an.
Die Klägerin war im streitigen Zeitraum als hauptberuflich selbstständig Erwerbstätige freiwillig versichert und hatte aufgrund der von ihr abgegebenen Wahlerklärung einen Anspruch auf Krankengeld von der siebten Woche der Arbeitsunfähigkeit an, mithin, ausgehend von dem Unfall am 16. März 2020, ab dem 27. April 2020. Sie hat für den gesamten streitigen Zeitraum ihre Arbeitsunfähigkeit durch ärztliche Bescheinigungen rechtzeitig nachgewiesen.
Für den Zeitraum vom 29. Oktober 2020 bis zum 25. November 2020 ergibt sich ihre Arbeitsunfähigkeit aus dem Reha-Entlassungsbericht vom 16. Dezember 2020. Der Nachweis der Arbeitsunfähigkeit war auch für diesen Zeitraum erforderlich, da nach § 44 Abs. 1 SGB V Krankengeld nur im Fall von stationären Maßnahmen auf Kosten der Krankenversicherung unabhängig vom Vorliegen der Arbeitsunfähigkeit gezahlt wird. Die Klägerin befand sich jedoch in einer ambulanten Rehabilitationsmaßnahme, welche durch den Rentenversicherungsträger finanziert wurde. Dass der Reha-Entlassungsbericht durch die Klägerin erst im Berufungsverfahren eingereicht wurde, führt vorliegend unter Einbeziehung des sozialrechtlichen Herstellungsgedankens nicht zu einem Ruhen des Krankengeldanspruchs, da die verspätete Einreichung darauf zurückzuführen war, dass die Beklagte die Klägerin durch unzutreffende Beratung von einer rechtzeitigen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit und der rechtzeitigen Einreichung der Bescheinigung beim Beklagten abgehalten hatte. Zwar ruht der Krankengeldanspruch nach § 49 Abs. 1 Nr. 5 SGB V grundsätzlich, solange die Arbeitsunfähigkeit der Krankenkasse nicht gemeldet wird. Vorliegend wurde der Klägerin durch eine Mitarbeiterin der Beklagten auf ihre diesbezügliche Nachfrage jedoch die Auskunft erteilt, dass Krankengeld während der Rehabilitationsmaßnahme weitergezahlt würde. Ein Hinweis, dass der Anspruch auch während der o.g. Rehabilitationsmaßnahme von einer bescheinigten Arbeitsunfähigkeit abhängt, erfolgte nicht. Dass die Beklagte von einem Anspruch der Klägerin unabhängig von der nachgewiesenen Arbeitsunfähigkeit ausgegangen ist, zeigt sich auch daran, dass Krankengeld weitergezahlt wurde, obwohl die Klägerin eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für diesen Zeitraum nicht eingereicht hatte. Der Senat hat keine Zweifel daran, dass die Klägerin eine entsprechende ärztliche Bescheinigung rechtzeitig eingereicht hätte, wäre sie von der Beklagten auf deren Erforderlichkeit hingewiesen worden. Sofern eine unzutreffende Beratung der Krankenkasse vereitelt, dass der Versicherte seinen Obliegenheiten zur rechtzeitigen ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit und rechtzeitigen Einreichung der entsprechenden Bescheinigung nachkommt, ist er so zu stellen, als habe er innerhalb der abgelaufenen Frist seine Arbeitsunfähigkeit ärztlich feststellen lassen und die Bescheinigung rechtzeitig eingereicht (vgl. BSG, Urteil vom 16. Dezember 2014 – B 1 KR 37/14 R –, juris Rn. 25).
Für die Zeit der stufenweisen Wiedereingliederung stellt der vom behandelnden Arzt erstellte Plan zur stufenweisen Wiedereingliederung des Versicherten in das Erwerbsleben eine nach außen durch ein Schriftstück dokumentierte ärztliche Feststellung der Arbeitsunfähigkeit des Versicherten im Sinne von § 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V dar (LSG für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 1. Februar 2018 – L 1 KR 764/16 –, juris Rn. 50). Solange ein Versicherter seine bisherige Tätigkeit aus gesundheitlichen Gründen nicht in vollem Umfang wieder ausüben kann, zum Beispiel weil ihn seine Erkrankung noch an zuvor geleisteter vollschichtiger Arbeit hindert und ihm stattdessen nur eine Teilzeitarbeit zur Wiedereingliederung erlaubt, ist er weiterhin arbeitsunfähig, weil es im rechtlichen Sinne keine Teil-Arbeitsunfähigkeit gibt (vgl. BSG, Urteil vom 21. März 2007 – B 11a AL 31/06 R –, juris Rn. 26). Dies gilt auch für hauptberuflich selbstständig Erwerbstätige. Auch bei ihnen kommt vor diesem Hintergrund eine Kürzung des Krankengelds aufgrund einer stufenweisen Wiedereingliederung nur in Betracht, soweit der Anspruch auf Krankengeld nach § 49 Abs. 1 Nr. 1 SGB V aufgrund von Einkommenserzielung ruht (Knorr, Krasney in: Entgeltfortzahlung - Krankengeld - Mutterschaftsgeld; Kommentar, 2. Ergänzungslieferung, § 44 SGB V Rn. 99).
Zur Höhe des Krankengeldes bestimmt § 47 Abs. 1 Satz 1 SGB V (in der bis zum 31. Dezember 2022 gültigen Fassung vom 28. November 2018), dass das Krankengeld 70 vom Hundert des erzielten regelmäßigen Arbeitsentgelts und Arbeitseinkommens beträgt, soweit es der Beitragsberechnung unterliegt (Regelentgelt). Für Versicherte, die nicht Arbeitnehmer sind, gilt nach § 47 Abs. 4 Satz 2 SGB V als Regelentgelt der kalendertägliche Betrag, der zuletzt vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit für die Beitragsbemessung aus Arbeitseinkommen maßgebend war. Nach § 15 Abs. 1 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) ist Arbeitseinkommen der nach den allgemeinen Gewinnermittlungsvorschriften des Einkommensteuerrechts ermittelte Gewinn aus einer selbständigen Tätigkeit. Der sozialversicherungsrechtliche Begriff der selbständigen Tätigkeit ist weiter als der steuerrechtliche Begriff der selbständigen Arbeit, sodass § 15 SGB IV dem Wortlaut und der Systematik nach Gewinneinkünfte im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1 EStG und damit insbesondere auch Einkünfte aus Gewerbebetrieb (Nr. 2) und aus selbstständiger Arbeit (Nr. 3) erfasst (BSG, Urteil vom 7. Mai 2020 – B 3 KS 3/18 R –, juris Rn. 28; s.a. Fischer in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB IV, 4. Aufl., § 15 SGB IV (Stand: 08.04.2024), Rn. 33 m.w.N.).
Abzustellen ist nach § 47 Abs. 4 Satz 2 SGB V grundsätzlich auf das Arbeitseinkommen, welches der vorläufigen Beitragsbemessung vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit zugrunde lag. Dies gilt jedoch nur im Sinne einer widerlegbaren Vermutung, von der dann abgewichen und die Vermutung widerlegt werden kann, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass dieser Betrag erkennbar nicht der tatsächlichen wirtschaftlichen Situation des Versicherten vor der Arbeitsunfähigkeit entspricht (BSG Urteil vom 12. März 2013 – B 1 KR 4/12 R –, juris Rn. 24, m.w.N.). Vorliegend ergibt sich aus dem von der Klägerin im Widerspruchsverfahren eingereichten Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2019, dass der der vorläufigen Beitragsbemessung vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit zugrunde liegende Betrag nicht der wirtschaftlichen Situation der Klägerin vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit entsprach, so dass zur Berechnung des Krankengeldes auf die im Jahr 2019 erzielten Einkünfte aus Gewerbebetrieb abzustellen war.
Ob nach § 47 Abs. 4 Satz 2 SGB V als Regelentgelt auf das der vorläufigen Beitragsfestsetzung oder auf das der späteren endgültigen Beitragsfestsetzung zugrunde liegende Arbeitseinkommen abzustellen ist, ergibt sich nicht eindeutig aus dem Wortlaut des § 47 Abs. 4 SGB V. Insofern ist zu berücksichtigen, dass § 240 Abs. 4a SGB V, wonach die nach dem Arbeitseinkommen zu bemessenden Beiträge zunächst auf der Grundlage des zuletzt erlassenen Einkommensteuerbescheides vorläufig (Satz 1) und auf Grundlage der tatsächlich erzielten beitragspflichtigen Einnahmen für das jeweilige Kalenderjahr nach Vorlage des jeweiligen Einkommensteuerbescheides endgültig festgesetzt werden (Satz 3), erst zum 01. Januar 2018 durch das Gesetz zur Stärkung der Heil- und Hilfsmittelversorgung (Heil- und Hilfsmittelversorgungsgesetz vom 04. April 2017, BGBl I Nr. 19, Seite 778-790) eingeführt wurde. Zuvor wurden die Beiträge der freiwillig versicherten hauptberuflich Selbstständigen bei einem Nachweis geänderter Einnahmen nach § 240 Abs. 4 Satz 2 und 3 SGB V a.F. zukunftsbezogen und die tatsächlich erzielten Einnahmen in der Regel nur zeitversetzt berücksichtigt (BSG, Urteil vom 6. November 2008 – B 1 KR 8/08 R –, juris Rn. 18). Vor diesem Hintergrund hatte es der Gesetzgeber bei Erlass des § 47 Abs. 4 Satz 2 SGB V im Jahre 1988 nicht mit einer Rechtslage zu tun, in welcher regelhaft mit einer rückwirkenden Änderung der Beitragsberechnung zu rechnen war.
Von einer Änderung des § 47 Abs. 4 SGB V aufgrund der Neuregelung des § 240 Abs. 4a SGB V hat der Gesetzgeber jedoch bewusst abgesehen und insofern in der Gesetzesbegründung zu § 240 Abs. 4a SGB V ausgeführt (Bundestags-Drucksache 18/11205 Seite 72):
„Im Hinblick auf das im Zusammenhang mit einer nach § 44 Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 abgegebenen Wahlerklärung bei Arbeitsunfähigkeit zu berechnende Krankengeld ergeben sich durch die Neuregelungen keine Änderungen. Für die Berechnung des Krankengeldes für Versicherte, die nicht Arbeitnehmer sind, gilt nach § 47 Absatz 4 Satz 2 als Regelentgelt der kalendertägliche Betrag, der zuletzt vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit für die Beitragsbemessung aus Arbeitseinkommen maßgebend war. Damit ist das Regelentgelt, das zuletzt vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit für die Krankengeldberechnung maßgeblich war, unabhängig von Beitragsnachberechnungen nach dem neuen § 240 Absatz 4a Satz 3 endgültig festzustellen. Dabei wird berücksichtigt, dass der Versicherte typischerweise zur Sicherung seines Lebensunterhalts auf das Krankengeld angewiesen ist und die Bewilligung zeitnah zum Ausfall des zu ersetzenden Einkommens erfolgen muss. Dem wird Rechnung getragen, wenn als Regelentgelt im Sinne einer widerlegbaren Vermutung auf die zuletzt vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit maßgeblich gewesene Beitragsbemessungsgrundlage und damit auf diejenigen Verhältnisse im aktuellen Versicherungsverhältnis abgestellt wird, die anhand einfach festzustellender Tatsachen rasch und verwaltungspraktikabel ermittelt werden können. Dies trägt der Funktion des Krankengeldes Rechnung, den Entgeltersatz bei vorübergehendem Verlust der Arbeitsfähigkeit sicherzustellen.“
Dem lässt sich entnehmen, dass nach der Vorstellung des Gesetzgebers für die Ermittlung der Höhe des Krankengeldes nach § 47 Abs. 4 Satz 2 SGB V gerade nicht auf die nachträgliche endgültige Beitragsfestsetzung nach § 240 Abs. 4a Satz 3 SGB V abzustellen ist, sondern auf die zum Zeitpunkt des Beginns der Arbeitsunfähigkeit maßgebliche, in der Regel nur vorläufige, Beitragsbemessung (so auch: SG Frankfurt, Urteil vom 21. Juli 2023 – S 34 KR 727/21 –, juris Rn. 27). Vor dem Hintergrund, dass das Krankengeld eine existenzsichernde Funktion hat und daher schnell und damit auch verwaltungspraktikabel umsetzbar gewährt werden soll (BSG, Urteil vom 6. November 2008 – B 1 KR 28/07 R –, juris Rn. 19), ist es grundsätzlich nicht zu beanstanden, dass der Gesetzgeber davon abgesehen hat, § 47 Abs. 4 SGB V entsprechend der Regelung des § 240 Abs. 4a SGB V zu ändern, sondern sich dafür entschieden hat, dass die Höhe des Krankengeldes weiterhin zeitnah anhand einfach festzustellender Tatsachen endgültig ermittelt werden soll. Da die vorläufige Beitragsbemessung in der Regel auf der Grundlage des Arbeitseinkommens erfolgt, welches sich aus dem jüngsten der Krankenkasse vorliegenden Einkommenssteuerbescheid ergibt, führt das Abstellen auf ein Regelentgelt in Höhe dieser Beitragsbemessungsgrundlage in aller Regel auch dazu, dass das Krankengeld der tatsächlichen wirtschaftlichen Situation des Versicherten vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit entspricht und damit seine Funktion als Ersatz für entfallendes Arbeitseinkommen erfüllen kann (vgl. BSG, Urteil vom 14. Dezember 2006 – B 1 KR 11/06 R–, juris Rn. 12). Dies wäre bei einem Abstellen auf die endgültige Beitragsfestsetzung nicht ohne weiteres gewährleistet, denn gerade im Falle einer längere Zeit dauernden Arbeitsunfähigkeit stehen bei der maßgeblichen steuerrechtlichen Gewinnermittlung den nur aus dem Zeitraum der Arbeitsfähigkeit stammenden Einnahmen oft laufende Ausgaben für das ganze Kalenderjahr gegenüber. Auch wenn man entsprechend der Regelung des § 5 Abs. 2 Satz 2 der vom Spitzenverband Bund der Krankenkassen gemäß § 240 Abs. 1 Satz 1 SGB V erlassenen Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler (BeitrVerfGrsSz) das Arbeitseinkommen anteilig nur den Beitragsmonaten des Kalenderjahres zuordnet, in denen es erzielt wurde und Zeiten der Beitragsfreiheit unberücksichtigt lässt, führt dies dazu, dass die Arbeitsunfähigkeit die Höhe des der endgültigen Beitragsbemessung vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit zugrunde liegenden Arbeitseinkommens oft mitprägt. Im Übrigen lässt sich der Gesetzesbegründung auch entnehmen, dass die Zugrundelegung eines Regelentgelts, das dem Betrag entspricht, aus dem zuletzt vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit (vorläufige) Beiträge entrichtet wurden, nur im Sinne einer widerlegbaren Vermutung erfolgen soll. Der Gesetzgeber bekennt sich damit ausdrücklich zu der Rechtsprechung des BSG, nach welcher, wenn ausnahmsweise Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass dieser Betrag erkennbar nicht der tatsächlichen wirtschaftlichen Situation des Versicherten vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit entspricht, eine konkrete Ermittlung des vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit erzielten Arbeitseinkommens vorzunehmen ist (BSG, Urteil vom 14. Dezember 2006 – B 1 KR 11/06 R –, juris Rn. 11 ff.).
Eine Widerlegung der Vermutung ist danach jedenfalls dann möglich, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass das tatsächliche Arbeitseinkommen wesentlich geringer war, als das der Beitragsbemessung zugrunde liegende Einkommen (BSG, Urteil vom 14. Dezember 2006 – B 1 KR 11/06 R –, juris Rn. 9). Ob eine Widerlegung der Vermutung auch zugunsten des Versicherten möglich ist, ist demgegenüber umstritten (für eine Anwendung nur zu Lasten des Versicherten: LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 15. April 2008 – L 11 KR 3606/07 – juris Rn. 25, Nichtzulassungsbeschwerde hiergegen verworfen: BSG, Beschluss vom 28. Juli 2008 – B 1 KR 44/08 B –, juris Rn. 8; LSG für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 7. Dezember 2023 – L 5 KR 578/22 –, juris Rn. 30 ff.; Bohlken in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 4. Aufl., § 47 SGB V (Stand: 05.01.2022) Rn. 96; Werner Gerlach in: Hauck/Noftz SGB V, 10. Ergänzungslieferung 2024, § 47 SGB V Rn. 158; für eine Möglichkeit der Widerlegung der Vermutung auch zugunsten des Versicherten: LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 24. Oktober 2023 – L 11 KR 431/23 –, juris Rn. 26; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 21. Oktober 2024 – L 4 KR 2292/22 –, juris Rn. 24; SG Frankfurt, Urteil vom 21. Juli 2023 – S 34 KR 1684/22 –, juris Rn. 24; Knorr, Krasney in: Entgeltfortzahlung - Krankengeld - Mutterschaftsgeld; Kommentar, 2. Ergänzungslieferung, § 47 SGB V Rn. 154a). Das BSG hat eine Widerlegung zugunsten des Versicherten zumindest dann für möglich gehalten, wenn die Festsetzung der Beiträge nicht anhand des Arbeitseinkommens, sondern nach dem fiktiven Mindesteinkommen erfolgt (BSG, Urteil vom 6. November 2008 – B 1 KR 28/07 R –, juris Rn. 22; BSG, Beschluss vom 22. Februar 2017 – B 3 KR 47/16 B – juris, Rn. 13), allerdings wohl nur dann, wenn der Krankenkasse schon zum Zeitpunkt der ihrer ersten Entscheidung über die Krankengeldbewilligung entsprechende konkrete Anhaltspunkte vorlagen (vgl. BSG, Beschluss vom 22. Februar 2017 – B 3 KR 47/16 B –, juris Rn. 11; SG Koblenz, Urteil vom 18. September 2019 – S 11 KR 607/18 –, juris Rn. 26).
Jedoch hat sich die Interessenlage durch die Einführung des § 240 Abs. 4a SGB V geändert, so dass die Rechtsprechung zur alten Rechtslage nicht uneingeschränkt auf die Zeit nach Inkrafttreten des § 240 Abs. 4a SGB V übertragen werden kann. Vielmehr ist unabhängig von der Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen vor der Einführung des § 240 Abs. 4a SGB V eine Widerlegung der Vermutung auch zugunsten des Versicherten möglich war, dies in Fällen, in denen die Beitragsbemessung vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit nach § 240 Abs. 4a SGB V nur vorläufig erfolgte, möglich, und zwar auch dann, wenn der Krankenkasse konkrete Anhaltspunkte dafür, dass der der vorläufigen Beitragsbemessung zugrunde liegende Betrag erkennbar nicht der tatsächlichen wirtschaftlichen Situation des Versicherten vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit entspricht, erst im Laufe des Widerspruchsverfahrens vorliegen.
Dass das BSG in Fällen, in denen es konkrete Anhaltspunkte dafür gibt, dass das tatsächliche Arbeitseinkommen wesentlich geringer ist als das Arbeitseinkommen, aus welchem zuletzt vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit Beiträge entrichtet wurden, von der Notwendigkeit ausgegangen ist, das vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit erzielte Arbeitseinkommen konkret zu ermitteln (BSG, Urteil vom 14. Dezember 2006 – B 1 KR 11/06 R –, juris Rn. 11), ging insbesondere auf die Entgeltersatzfunktion des Krankengeldes (BSG, Urteil vom 30. März 2004 – B 1 KR 32/02 R –, juris Rn. 13) und den verfassungsrechtlich gebotenen Grundsatz zurück, dass der Versicherte durch die Berechnung von Lohnersatzleistungen nicht besser gestellt werden darf, als er ohne Eintritt des Versicherungsfalls stünde (BSG, Urteil vom 30. März 2004 – B 1 KR 32/02 R –, juris Rn. 23). Daher wurde insofern eine Ausnahme von dem Grundsatz für erforderlich gehalten, dass gleich hohe Beiträge keine unterschiedlich hohen Ansprüche auf Krankengeld begründen dürfen (BSG, Urteil vom 30. März 2004 – B 1 KR 32/02 R –, juris Rn. 23 unter Bezugnahme auf BVerfGE 92, 53 = SozR 3-2200 § 385 Nr. 6). Nach alter Rechtslage unterschied sich insofern die Interessenlage in Fällen, in denen das vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit erzielte Arbeitseinkommen das der Beitragsbemessung zugrundeliegende Einkommen überstieg, von der Interessenlage bei wesentlich geringerem tatsächlichen Einkommen. In beiden Fällen hätte eine Krankengeldgewährung entsprechend der zuletzt vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit entrichteten Beiträge dem Grundsatz entsprochen, dass gleich hohe Beiträge zu einem gleich hohen Krankengeldanspruch führen sollen; nur im zweiten Fall drohte der Versicherte aber durch eine Gewährung von Krankengeld entsprechend der gezahlten Beiträge besser gestellt zu werden, als er durch den Eintritt des Versicherungsfalls stünde. Unter diesem Blickwinkel war in Fällen geringeren tatsächlichen Einkommens eine die Entgeltersatzfunktion der Regelung in den Vordergrund stellende einschränkende Auslegung von § 47 Abs. 4 Satz 2 SGB V nicht nur verfassungsrechtlich erlaubt, sondern sogar geboten (BSG, Urteil vom 30. März 2004 – B 1 KR 32/02 R –, juris Rn. 23). Eine einschränkende Auslegung war demgegenüber in Fällen, in denen vor Arbeitsunfähigkeit tatsächlich höheres Einkommen erzielt wurde, verfassungsrechtlich nicht geboten. Zwar führte auch hier eine Anwendung des § 47 Abs. 4 Satz 2 SGB V entsprechend des Wortlauts dazu, dass das Krankengeld nicht in jedem Fall mit der Einkommenssituation des Versicherten vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit korrespondierte, die Höhe des Krankengeldes entsprach aber den entrichteten Beiträgen. Dass vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit keine Beiträge entsprechend des tatsächlichen Einkommens erbracht wurden, lag darüber hinaus oft in der Sphäre der Versicherten, die das Vorhandensein höheren Einkommens noch nicht mitgeteilt hatten und hiervon bei der Beitragshöhe, die in der Regel erst mit der Mitteilung der Einkommensänderung für die Zukunft angepasst wurde, auch profitierten (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 15. April 2008 – L 11 KR 3606/07 –, juris Rn. 27).
Dies hat sich mit Einführung des § 240 Abs. 4a SGB V geändert. Durch die rückwirkende endgültige Festsetzung der Beiträge auf Grundlage des tatsächlichen Einkommens müssen Versicherte mit gleich hohem Einkommen zwar rückwirkend für den Zeitraum vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit gleich hohe Versicherungsbeiträge entrichten, eine Ermittlung des Krankengeldes allein auf Grundlage der vorläufigen Beitragsbemessung vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit führte jedoch dazu, dass sich die Krankengeldhöhe gleichwohl unterscheiden könnte. Auch wenn gewisse Unterschiede im Interesse einer zeitnahen und verwaltungspraktikablen Entscheidung über das Krankengeld hinzunehmen sind, gebietet die Entgeltersatzfunktion des Krankengeldes in Fällen, in denen konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass das tatsächliche Arbeitseinkommen sich wesentlich von dem der vorläufigen Beitragsfestsetzung zugrunde liegenden Arbeitseinkommen unterscheidet, eine abweichende Festsetzung. Insofern ist auch zu beachten, dass, auch wenn die vorläufige Beitragsbemessung in der Regel auf dem Arbeitseinkommen eines zurückliegenden Zeitraums beruht und unter Gleichheitsgesichtspunkten auch eine zeitversetzte Berücksichtigung der tatsächlichen Einnahmen bei der Bemessung des Krankengeldes nicht zu beanstanden ist (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 24. Oktober 2023 – L 11 KR 431/23 –, juris Rn. 28; BSG, Urteil vom 6. November 2008 – B 1 KR 28/07 R –, juris Rn. 17), auch eine zeitversetzte Berücksichtigung der tatsächlichen Einnahmen schon deshalb nicht uneingeschränkt gewährleistet ist, weil diese durch die Möglichkeit der Widerlegung der Vermutung bei wesentlich geringerem tatsächlichen Arbeitseinkommen durchbrochen wird. Vor dem Hintergrund, dass aufgrund der Einführung des § 240 Abs. 4a SGB V nachträglich endgültige Beiträge entsprechend dem tatsächlichen Einkommen zu entrichtet sind, ist eine unterschiedliche Behandlung der beiden o.g. Konstellationen einer wesentlichen Abweichung des tatsächlichen von dem der Beitragsbemessung zugrunde liegenden Arbeitseinkommens nicht mehr sachgerecht. Eine Widerlegung der Vermutung ist daher auch zugunsten des Versicherten zuzulassen (im Ergebnis so auch: LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 24. Oktober 2023 – L 11 KR 431/23 –, juris Rn. 26; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 21. Oktober 2024 – L 4 KR 2292/22 –, juris Rn. 24; SG Frankfurt, Urteil vom 21. Juli 2023 – S 34 KR 727/21 –, juris Rn. 26; SG Aachen, Urteil vom 13. Oktober 2020 – S 14 KR 115/20 –, juris; a.A. LSG für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 7. Dezember 2023 – L 5 KR 578/22 –, juris Rn. 30 ff.)
Dabei können auch während des Widerspruchsverfahrens eingereichte Nachweise noch zu einer Widerlegung der Vermutung führen (so auch: LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 21. Oktober 2024 – L 4 KR 2292/22 –, juris Rn. 24; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 24. Oktober 2023 – L 11 KR 431/23 – juris Rn. 26; SG Frankfurt, Urteil vom 21. Juli 2023 – S 34 KR 1684/22 – juris Rn. 25). Dies entspricht dem Grundsatz, dass der Ausgangsbehörde und bei Nichtabhilfe der Widerspruchsbehörde im Rahmen eines Widerspruchsverfahrens die Kompetenz zusteht, zu Gunsten des Widerspruchsführers einen rechtswidrigen Bescheid zu ändern, wenn nunmehr aufgrund neuer Tatsachen der Ausgangsbescheid nicht mehr rechtmäßig ergehen könnte (vgl. BSG, Urteil vom 11. März 2009 – B 12 KR 30/07 R –, juris Rn. 16; Urteil vom 30. März 2011 – B 12 KR 18/09 R –, juris Rn. 21). Versicherten während des Widerspruchsverfahrens die Möglichkeit einzuräumen, Unterlagen zum Nachweis eines höheren Einkommens einzureichen, läuft auch nicht dem Zweck des Krankengeldes zuwider, zeitnah einen Ausgleich des zu ersetzenden Einkommens zu gewährleisten, denn während des Widerspruchsverfahrens erhält der Versicherte zumindest Krankengeld entsprechend der zuletzt gezahlten Beiträge. Auch die Verwaltungspraktikabilität ist jedenfalls dann gewährleistet, wenn der Nachweis höheren Einkommens wie vorliegend durch Einreichung eines aktuellen Einkommensteuerbescheids erbracht wird. Denn für die Ermittlung der Höhe des Krankengeldanspruchs selbständiger Versicherter anhand der sich aus ihrem jeweiligen Einkommensteuerbescheid ergebenden Einkünfte aus Gewerbebetrieb bzw. aus selbständiger Arbeit (§ 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und 3 EStG) sind stets dieselben wenigen Rechenoperationen durchzuführen. Vor dem Hintergrund, dass zum Zeitpunkt der Krankengeldbewilligung der Krankenkasse zwar Anhaltspunkte für ein wesentlich geringeres Einkommen vorliegen können (z.B. aus Anträgen auf Beitragsreduzierung wegen unverhältnismäßiger Belastung nach § 6 Abs. 3a BeitrVerfGrsSz), aufgrund der Neuregelung des § 240 Abs. 4a SGB V für Versicherte vor Erlass eines neuen Steuerbescheides aber ohne eine entsprechende Nachfrage der Krankenkasse keine Veranlassung besteht, sie von einer Erhöhung des Einkommens zu unterrichten, ist es nicht mehr interessengerecht, allein auf den Zeitpunkt der Krankengeldbewilligung abzustellen (a.A. wohl Knorr, Krasney in: Entgeltfortzahlung - Krankengeld - Mutterschaftsgeld; Kommentar, 2. Ergänzungslieferung, § 47 SGB V Rn. 154a).
Die Klägerin hat im Rahmen des Widerspruchsverfahrens die Höhe ihrer Einkünfte aus Gewerbebetrieb im letzten vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit abgeschlossenen Kalenderjahr durch Vorlage des Einkommensteuerbescheides für das Jahr 2019 konkret nachgewiesen. Da diese Einkünfte mit 31.129,00 EUR wesentlich höher waren als die der vorläufigen Beitragsbemessung zugrunde liegenden Einkünfte aus Gewerbebetrieb aus dem Jahr 2018 in Höhe von 18.544,00 EUR, hat die Klägerin durch die Vorlage des Steuerbescheides 2019 die Vermutung, dass die Beitragsbemessung vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit ihr Arbeitseinkommen zutreffend widerspiegelt, widerlegt.
Rechtsfolge ist vorliegend, dass die Einkünfte der Klägerin aus Gewerbebetrieb, welche sich aus dem Einkommensteuerbescheid 2019 ergeben, der Krankengeldbewilligung zugrunde zu legen sind, woraus sich ein Krankengeldanspruch in Höhe von kalendertäglich 60,53 EUR brutto (= 31.129,00 EUR : 12 Monate : 30 Tage * 0,7) ergibt.
Ein Abstellen auf das sich aus dem Einkommensteuerbescheid 2020 ergebende Einkommen kam demgegenüber, unabhängig von der Zulässigkeit des diesbezüglichen Klageantrags, nicht in Betracht. Maßgebliches Referenzjahr für die Bemessung des Krankengeldes ist das letzte vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit abgeschlossene Kalenderjahr (BSG, Urteil vom 6. November 2008 – B 1 KR 8/08 R –, juris Rn. 17; BSG, Urteil vom 14. Dezember 2006 – B 1 KR 11/06 R –, juris Rn. 15; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 24. Oktober 2023 – L 11 KR 431/23 –, juris Rn. 26 ff.).
Der Krankengeldanspruch in Höhe von kalendertäglich 60,53 EUR brutto steht der Klägerin für den gesamten Zeitraum vom 27. April 2020 bis zum 14. März 2021 zu. Ruhenstatbestände nach § 49 SGB V liegen nicht vor.
Da der Klägerin im Zeitraum vom 13. Februar 2021 bis zum 14. März 2021 kein Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit zufloss, kam ein (teilweises) Ruhen des Krankengeldanspruchs auch für die Zeit der stufenweisen Wiedereingliederung nicht in Betracht. Für eine unabhängig von der Höhe des tatsächlich erzielten Einkommens vorzunehmende Kürzung des Krankengeldanspruchs fehlt es an einer entsprechenden Rechtsgrundlage, vielmehr ist das während der Arbeitsunfähigkeit aufgrund einer trotz Arbeitsunfähigkeit in geringerem Umfang ausgeübten Tätigkeit erzielte Einkommen konkret zu ermitteln (vgl. BSG, Urteil vom 14. Dezember 2006 – B 1 KR 11/06 R – juris Rn. 18). Eine Ermittlung des erzielten Arbeitseinkommens anhand des im Steuerbescheid 2021 ausgewiesenen Gewinns, etwa durch eine Aufteilung des Gewinns auf die Kalendertage des Jahres entsprechend der durchschnittlichen täglichen Arbeitszeit im jeweiligen Zeitraum, würde zwar mit dem Grundsatz im Einklang stehen, dass das SGB V das Einkommen Selbstständiger nach den Grundsätzen des Einkommensteuerrechts ermittelt. Zum einen müsste die Beklagte aber die tatsächliche Arbeitszeit ermitteln, zum anderen könnte über die endgültige Krankengeldhöhe dann oft erst Jahre später beim Vorliegen des entsprechenden Steuerbescheids entschieden werden, was eine zeitnahe Entscheidung über den Krankengeldanspruch unmöglich machen würde. Vor dem Hintergrund, dass bei einer selbstständigen Tätigkeit die unregelmäßige Bezahlung von erbrachten Leistungen die Regel ist, so dass Ermittlungen dahingehend, für welche erbrachten Leistungen Betriebseinnahmen erfolgt sind, unmöglich oder mit unverhältnismäßigen Schwierigkeiten verbunden wären, kann es im Rahmen der vorzunehmenden Prüfung auch nicht darauf ankommen, zu welchen Einnahmen die in der Zeit der Arbeitsunfähigkeit erbrachten Leistungen konkret geführt haben. Bei der Ermittlung von anzurechnendem Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit im Rahmen des § 49 Abs. 1 Nr. 1 SGB V ist daher vielmehr von einem strengen Zuflussprinzip auszugehen, mit der Folge, dass Arbeitseinkommen aus selbstständiger Tätigkeit nur insoweit zum Ruhen des Krankengeldanspruchs führt, als ein entsprechendes Einkommen während des Zeitraums der Arbeitsunfähigkeit auch tatsächlich zufließt (so zu der § 49 Abs. 1 Nr. 1 SGB V weitgehend entsprechenden Regelung in § 52 Abs. 1 Nr. 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII): LSG für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 27. Oktober 2022 – L 15 U 439/19 –, juris Rn. 68, Revision hiergegen beim BSG anhängig unter B 2 U 2/23 R; Römer in: Hauck/Noftz SGB VII, 6. Ergänzungslieferung 2024, § 52 SGB VII Rn. 10a). Dem Senat ist bewusst, dass die hier vertretene Ansicht dazu führen kann, dass trotz der auf das Kalenderjahr bezogenen einkommensteuerrechtrechtlichen Gewinnermittlung (§ 2 Abs. 7 Satz 2 EStG) im Rahmen von § 49 Abs. 1 Satz 1 SGB V eine Aufteilung und Ermittlung des Gewinns nach einzelnen Zeitabschnitten vorzunehmen ist, was mit erheblichem Verwaltungsaufwand verbunden seien kann (vgl. LSG für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 27. Oktober 2022, L 15 U 439/19 –, juris Rn. 76 ff.). Wie der in einem bestimmten Zeitabschnitt erzielte Gewinn, auch in Hinblick auf die zu berücksichtigenden Betriebsausgaben, konkret zu ermitteln wäre, kann vorliegend aber dahinstehen, denn der Klägerin flossen im Zeitraum der stufenweisen Wiedereingliederung keine Einnahmen zu.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 193, 183 SGG und entspricht dem Ergebnis des Rechtsstreits. Der Senat hat insofern berücksichtigt, dass die Klägerin im Widerspruchsverfahren nur Krankengeld in der zugesprochenen Höhe begehrt hat.
Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG) zuzulassen.