1. Die Bekanntgabe einer gerichtlichen Verfügung ist erfolgt, wenn das Schriftstück in den Machtbereich des Empfängers gelangt, sodass bei gewöhnlichem Verlauf und normaler Gestaltung der Verhältnisse mit der Kenntnisnahme durch den Empfänger zu rechnen ist.
2. Für den Zeitpunkt des tatsächlichen Zugangs im elektronischen Rechtsverkehr kommt es darauf an, welches elektronische Kommunikationsmittel auswählt wurde.
3. Bei den EGVP-basierten elektronischen Übermittlungswegen, namentlich dem besonderen elektronischen Anwaltspostfach (beA), ist der Zugang mit dem vollständigen Upload auf dem Intermediär bewirkt.
4. Für die Terminsmitteilung gem. § 110 SGG schreibt das Gesetz keine Zustellung vor, weshalb es nicht auf das Datum eines zurückgesandten elektronischen Empfangsbekenntnisses (eEB) ankommt, sondern auf den Zeitpunkt des tatsächlichen Zugangs.
Das Gesuch auf Ablehnung von Richterin am Sozialgericht C. in dem Verfahren S 17 SO 206/19 wegen Besorgnis der Befangenheit wird zurückgewiesen.
Gründe
I.
In dem am 17. Oktober 2019 bei dem Sozialgericht Darmstadt erhobenen Verfahren S 17 SO 206/19 streiten die Beteiligten um Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch – Sozialhilfe (SGB XII).
Am Donnerstag, 19. Dezember 2024, verfügte die Kammervorsitzende, Richterin am Sozialgericht C., die Terminsmitteilung zur mündlichen Verhandlung am 14. Januar 2025. Die Terminsmitteilung wurde noch am selben Tag in das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) der Prozessbevollmächtigten der Klägerin gegen elektronisches Empfangsbekenntnis (eEB) übermittelt.
Das eEB sandte die Prozessbevollmächtigte am 6. Januar 2025 mit Datum vom 3. Januar 2025 zurück.
Am Freitag 9. Januar 2025 beantragte die Prozessbevollmächtigte der Klägerin die Terminsverlegung. Die Ladungsfrist sei nicht eingehalten. Einer Verkürzung der Ladungsfrist werde nicht zugestimmt.
Am Montag 13. Januar 2025 lehnte die Kammervorsitzende den Terminsverlegungsantrag der Prozessbevollmächtigten ab. Nach § 110 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) seien Ort und Zeit der mündlichen Verhandlung in der Regel zwei Wochen vorher den Beteiligten mitzuteilen. Gemäß § 63 Abs. 1 Satz 2 SGG seien Terminbestimmungen und Ladungen bekannt zu geben. Die Bekanntgabe sei am 19. Dezember 2024 und damit mehr als zwei Wochen vor dem Termin erfolgt. An diesem Tag sei die Ladung elektronisch übermittelt worden. Dieses Schreiben übermittelte die Geschäftsstelle am 13. Januar 2025 in das beA der Prozessbevollmächtigten.
Am 14. Januar 2025, 9.13 Uhr, rief die Prozessbevollmächtigte in der Geschäftsstelle der 17. Kammer an und fragte nach, ob der Termin stattfinde. Ihr wurde mitgeteilt, dass der Terminsverlegungsantrag mit Schreiben vom 13. Januar 2025 abgelehnt worden sei und der Termin stattfinde.
Am 14. Januar 2025, 9.44 Uhr, ging der Antrag auf Ablehnung der Vorsitzenden der 17. Kammer, Richterin am Sozialgericht C., bei dem Sozialgericht Darmstadt ein.
Die Kammervorsitzende führte darauf die für 10.40 Uhr terminierte Verhandlung nicht durch.
Die Prozessbevollmächtigte der Klägerin meint, der Termin sei wegen Nichteinhaltung der Ladungsfrist „qua Gesetz“ zu verlegen gewesen. Dass die Richterin dies nicht getan habe, ergebe objektive Zweifel an ihrer Unvoreingenommenheit. Es seien „Feiertage wegen Weihnachten und Neujahr“ gewesen. Die Kanzlei sei in der Woche vom 23. Dezember 2024 bis 27. Dezember 2024 geschlossen gewesen. Im Übrigen meint sie:
„Entgegen der willkürlichen Behauptung der Richterin Frau C. ist die Ladungsfrist
so oder so nicht eingehalten, da sie in drei Verfahren, die alt sind terminiert in die sich neu
eingearbeitete werden muss und entsprechend fair ausreichend Zeit gewährt werden muss
auch angesichts der bekannten Feiertage, Urlaube die genommen werden, so dass aus objektiver Sicht der Klägerin Zweifel an der Unvoreingenommen der Richterin ihr und ihrer Sache gegenüber, so dass sie als Richterin Frau C. als Richterin abgelehnt wird. Die abgelehnte Richterin verletzt auch den Anspruch auf einen fairen Prozess und macht den Mensch zum Objekt staatlichen Handelns (s.o.).“
Am 14. Januar 2025 hat die Richterin eine dienstliche Stellungnahme abgegeben. Es lägen aus ihrer Sicht keine objektiven Gründe vor, die Zweifel an ihrer Unparteilichkeit rechtfertigen würden. Wegen des Inhalts der dienstlichen Stellungnahmen und der weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte des Hauptsacheverfahrens.
II.
Das zulässige Befangenheitsgesuch der Klägerin ist nicht begründet.
Gemäß § 60 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. § 42 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO) findet die Ablehnung gegen einen Richter wegen der Besorgnis der Befangenheit statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen. Dabei kommen nur objektive Gründe infrage, die vom Standpunkt des Ablehnenden aus bei vernünftiger Betrachtungsweise die Befürchtung erwecken können, der Richter stehe der Sache nicht unvoreingenommen und damit nicht unparteiisch gegenüber. Entscheidend ist, ob ein am Verfahren Beteiligter bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass hat, an der Unvoreingenommenheit des Richters zu zweifeln (BVerfG, Beschluss vom 16. Februar 1995, 2 BvR 1852/94). Die Ablehnung kann jedoch nicht auf die Verfahrensweise oder die bloße Rechtsauffassung eines Richters gestützt werden, denn in dem Ablehnungsverfahren geht es allein um die Parteilichkeit des Richters und nicht um die Richtigkeit seiner Handlungen und Entscheidungen, deren Überprüfung allein den Rechtsmittelgerichten vorbehalten ist. Die Prüfung von Rechts- bzw. Verfahrensverstößen kann allenfalls dann die Besorgnis der Befangenheit rechtfertigen, wenn Gründe dargetan werden, die dafür sprechen, dass das mögliche Fehlverhalten auf einer unsachlichen Einstellung des Richters gegenüber dem ablehnenden Beteiligten oder auf Willkür beruht. Die Fehlerhaftigkeit muss ohne weiteres feststellbar und gravierend sein sowie auf unsachliche Erwägungen schließen lassen. Dies ist nur dann anzunehmen, wenn der abgelehnte Richter die in seiner richterlichen Tätigkeit gesetzten Schranken missachtet und Grundrechte verletzt hat oder wenn in einer Weise gegen Verfahrensregeln verstoßen wurde, dass sich bei dem Beteiligten der Eindruck der Voreingenommenheit aufdrängen konnte (LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 25. Juli 2011, L 11 SF 157/11 AB m.w.N.).
Vorliegend sind keine Gründe erkennbar, die bei vernünftiger Betrachtungsweise einzeln oder in ihrer Gesamtheit befürchten lassen könnten, die Vorsitzende der 17. Kammer, Richterin am Sozialgericht C., stehe der Streitsache nicht unvoreingenommen gegenüber.
Im Gegensatz zur Rechtsauffassung der Prozessbevollmächtigten der Klägerin war die Zwei-Wochen-Frist gem. § 110 SGG gewahrt. Gem. § 110 Abs. 1 SGG teilt der Vorsitzende den Beteiligten den Termin „in der Regel zwei Wochen vorher mit“. Das Gesetz schreibt keine Zustellung vor (§ 63 Abs. 1 S. 2 SGG: „bekannt zu geben“; BeckOGK/Müller, SGG § 110 Rn. 11; Pfeffer, in: Horn/Pfeffer/Müller, Das Sozialgerichtsverfahren, 2024, S. 184), weshalb es nicht auf das mit Datum vom 3. Januar 2025 zurückgesandte elektronische Empfangsbekenntnis (eEB) ankam. Der Begriff der Bekanntgabe ist als Oberbegriff weit zu verstehen, sodass sowohl die förmliche Zustellung als auch die formlose Eröffnung hierunter zu fassen sind. Für die Eröffnung genügt die willentliche Bekanntgabe der Entscheidung. Der Zugang bemisst sich dann nach den allgemeinen Regeln der §§ 130 ff. BGB und ist erfolgt, wenn das Schriftstück in den Machtbereich des Empfängers gelangt, sodass bei gewöhnlichem Verlauf und normaler Gestaltung der Verhältnisse mit der Kenntnisnahme durch den Empfänger zu rechnen ist (jurisPK-ERV/Müller § 87 SGG Rn. 24; BeckOGK/Jung § 64 SGG Rn. 7). Grundsätzlich kommt es für die Bekanntgabe also auf den tatsächlichen Zeitpunkt des Zugangs an. Für den Zeitpunkt des tatsächlichen Zugangs im elektronischen Rechtsverkehr kommt es zunächst darauf an, welches elektronische Kommunikationsmittel auswählt wurde. Im elektronischen Rechtsverkehr gilt, dass der tatsächliche Zugang bewirkt ist, wenn das zuzustellende elektronische Dokument in die seinen Machtbereich darstellende Empfangseinrichtung des Adressaten gelangt ist. Hierbei handelt es sich letztlich um das für seinen faktischen Zugriff bereitstehende, nicht unbedingt von ihm technisch kontrollierte oder in seinem physischen Zugriffsbereich liegende elektronische Postfach des Empfängers. Bei den EGVP-basierten elektronischen Übermittlungswegen, namentlich dem besonderen elektronischen Anwaltspostfach (beA), ist der Zugang mit dem vollständigen Upload auf dem Intermediär bewirkt (jurisPK-ERV/Müller § 87 SGG Rn. 32; BGH v. 11.5.2021 – VIII ZB 9/20; BFH v. 25.5.2022 – X B 158/21).
Vorliegend wurde die Terminsmitteilung der Prozessbevollmächtigten am 19. Dezember 2024 in ihr besonderes elektronisches Anwaltspostfach (beA) übermittelt. Am selben Tag wurde die Nachricht auf dem Intermediär abgelegt; die Bekanntgabe ist deshalb noch an diesem Tag erfolgt (jurisPK-ERV/Müller§ 65a SGG Rn. 341). Der Zeitpunkt ist durch die automatisierte Eingangsbestätigung nachgewiesen (jurisPK-ERV/Müller § 87 SGG Rn. 36).
Die Zwei-Wochen-Frist war entsprechend am 14. Januar 2025 eingehalten.
Aus den gesamten Akten ergeben sich auch ansonsten keine Anhaltspunkte für eine Parteilichkeit der Richterin am Sozialgericht C. Weitere Gründe werden auch nicht vorgetragen. Ein Misstrauen gegen die Unparteilichkeit der Richterin ist damit objektiv nicht gerechtfertigt.
Gegen diese Entscheidung ist die Beschwerde nicht statthaft (§ 172 Abs. 2 SGG).