1. Eine als Zweit- bzw. Wechselversorgung begehrte myoelektrische Unterarmprothese ist ein Körperersatzstück gemäß § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V. Sie dient dem unmittelbaren Ersatz des amputierten rechten Unterarms und dessen ausgefallener Funktion. Sie ist auf den Ausgleich der Behinderung selbst gerichtet und dient der medizinischen Rehabilitation, ohne dass zusätzlich die Erfüllung eines allgemeinen Grundbedürfnisses des täglichen Lebens zu prüfen wäre, wie es bei Hilfsmitteln erforderlich wäre, die nur die indirekten Folgen einer Behinderung ausgleichen sollen. Bei einer Unterarmprothese geht es um das Grundbedürfnis des Greifens, Halten- und Bewegen(-könnens) von Gegenständen sowie der Aufrechterhaltung der Körperbalance, wie es bei nicht behinderten Menschen durch die Funktion des/r Arms/e gewährleistet ist. Hier ist die Erhaltung bzw. Wiederherstellung einer Körperfunktion als solche ein Grundbedürfnis; sie muss in möglichst weitgehender Weise ausgeglichen werden.
2. § 33 Abs. 1 Satz 5 SGB V begründet zwar keinen selbständig einklagbaren Anspruch auf Durchführung einer bestimmten Reparaturmaßnahme im Fall eines Hilfsmitteldefekts. Einen notfalls auch gerichtlich durchsetzbaren Anspruch haben Versicherte aber darauf, auf der Rechtsgrundlage von § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V überhaupt mit einem funktionsfähigen Hilfsmittel versorgt zu sein. Wie die Krankenkassen dies im Einzelnen sicherstellen, ist ihrer pflichtgemäßen Entscheidung im Rahmen ihrer Sachleistungsverantwortung nach § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB V überlassen. Im Außenverhältnis zum Versicherten ist es deshalb rechtlich ohne Bedeutung, ob die Krankenkasse auf den Defekt eines Hilfsmittels durch Instandsetzung oder durch Ersatzbeschaffung reagiert, wenn sie denn den Gebrauch des im Einzelnen notwendigen Hilfsmittels nur überhaupt ermöglicht und ihrer Verpflichtung nachkommt, (unvorhersehbare) Defekte am zur Verfügung gestellten Hilfsmittel binnen angemessener Frist zu beheben.
3. Die Pflicht zur zeitnahen Instandsetzungs- oder Ersatzbeschaffung ist nicht für alle Hilfsmittel und alle Versorgungsfälle einheitlich zu beurteilen. Die Fristenregelung in § 14 Abs. 2 Sätze 1 und 2 SGB IX spricht dafür, dass Versicherte zwar defekt-bedingte Ausfallzeiten in geringem Maße zusammenhängend etwa bis zur Obergrenze von 10 Tagen und abhängig von den Gegebenheiten des Einzelfalles hinzunehmen haben, wenn ihrem Versorgungsbedürfnis ansatzweise auf andere Weise Rechnung getragen ist. Unversorgte Zeiten über dieses Maß hinaus, an das bei mehreren Ausfallzeiten pro Jahr noch strengere Maßstäbe anzulegen sein dürften, sind hingegen mit den aus § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V abzuleitenden Anforderungen in aller Regel nicht vereinbar.
4. Allerdings verbietet sich eine schematische Betrachtungsweise; auch die Obergrenze von 10 Tagen ist abhängig von den Gegebenheiten des Einzelfalls. Neben der Häufigkeit der Notwendigkeit des Verzichts auf das Ersthilfsmittel ist auch relevant, ob weitere Hilfsmittel zur Verfügung stehen, die den Behinderungsausgleich wenigstens mit Hilfe Dritter gewährleisten können und wie intensiv die Beeinträchtigung der Befriedigung der Grundbedürfnisse des täglichen Lebens ist. 10 Tage bilden insofern eine äußere Grenze, die im Einzelfall auch erheblich kürzer sein kann. Der erkennende Senat neigt dazu, bei der hier streitigen (Zweit- bzw. Wechsel-)Versorgung mit einer Unterarmprothese mit künstlicher Hand ebenfalls von einem erheblich kürzeren Zeitraum der (noch) zumutbaren Nichtversorgung auszugehen; sie dürfte - auch unter Berücksichtigung der im Dreiecksverhältnis erfolgenden Beschaffung - bei wenigen, d.h. bei 2-3 Tagen liegen.
5. Die beklagte Krankenkasse bleibt Ansprechpartner und verantwortlicher Anspruchsgegner des Naturalleistungsanspruchs auf Sach- und Dienstleistungen des Versicherten auch dann, wenn ein Leistungserbringer im Wege eines öffentlich-rechtlichen Vertrages im Sinne der §§ 69 ff. SGB V mit der Krankenkasse in die Leistungserbringung im Dreiecksverhältnis eingebunden ist.
I. Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München von 22.09.2020 wird aufgehoben.
II. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheids vom 21.03.2016 in der Gestalt des Widerspruchbescheids vom 30.03.2017 verurteilt, den Kläger mit einer myoelektrischen Unterarmprothese "Vario plus Speed" entsprechend dem Kostenvoranschlag vom 03.03.2016 zu aktuellen Preisen zu versorgen.
III. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Rechtszügen.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
T a t b e s t a n d :
Die Beteiligten des Ausgangs- und Berufungsverfahrens streiten um die Zweit- bzw. Wechselversorgung mit einer Unterarmprothese rechts nach § 33 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V).
Der 1975 geborene Kläger ist bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. Er ist als Projektingenieur im Anlagenbau tätig.
1995 erfolgte beim Kläger nach einem Gasunfall die Amputation des rechten Unterarms. Im März 2014 versorgte die Beklagte den Kläger mit einer Unterarmprothese mit Michelangelo-Hand als Erstausstattung. Notwendig ist eine jährliche Wartung der Prothese. Für die Zeit der Wartung wurde dem Kläger bisher regelmäßig eine Ersatzprothese zur Verfügung gestellt bzw. griff er auf eine in der Vergangenheit bewilligte Zweitversorgung zurück.
1.
Seit 2016 verfügte der Kläger nicht mehr über eine Zweitversorgung für die Unterarmprothese. Mit Verordnung vom 13.02.2016 verordnete M (Facharzt für Allgemeinmedizin) eine Unterarmprothese als Zweitversorgung. Die P GmbH (im Folgenden: Beigeladene) wies mit Kostenvoranschlag vom 03.03.2016 für die Versorgung mit dem Modell "MyoHand Variplus speed rechts" einen Gesamtbetrag von 18.491,01 Euro aus. Dabei sollten für die Erneuerung noch vorhandene Teile verwendet werden.
Mit streitgegenständlichem Bescheid vom 21.03.2016 lehnte die Beklagte die beantragte Versorgung ab. Zur Begründung führte sie aus, dass sie sich bereits im März 2014 an der Versorgung mit einer Unterarmprothese mit Michelangelo-Hand beteiligt habe. Die Kostenübernahme für eine weitere myoelektrische Unterarmprothese sei nicht möglich, da es sich hierbei um ein Hilfsmittel mit einer vergleichbaren Funktion handele.
Mit Schreiben vom 18.04.2016 erhob der Kläger Widerspruch. Zur Begründung führte er aus, dass es sich um den Ersatz bzw. Reparatur einer im Jahr 2005 genehmigten Zweitversorgung handele. Hintergrund der damaligen Genehmigung sei die besondere Situation des Klägers als Projektingenieur im Anlagenbau mit teils längeren Aufenthalten an wechselnden Orten gewesen. Da die Unterarmprothese rund um die Uhr im Einsatz sei, bedeute jeder Ausfall für ihn enorme Einschränkungen bis hin zur Arbeitsunfähigkeit.
Mit Widerspruchsbescheid vom 30.03.2017 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung führte sie aus, dass medizinische, hygienische oder sicherheitstechnische Gründe für eine Mehrfachausstattung nicht ersichtlich seien. Das BSG habe entschieden, dass die Krankenkassen nicht bei jeglichem Ausfall eines Hilfsmittels sofort einen Ersatz zu stellen hätten. Vielmehr hätten die Versicherten defektbedingte Ausfallzeiten in geringem Maße hinzunehmen, wenn ihrem Versorgungsbedürfnis ansatzweise auf andere Weise Rechnung getragen werde. Die Kosten für eine Ersatzprothese während der Dauer der Reparatur der Erstprothese seien in der Vergangenheit getragen worden.
2.
Mit Schriftsatz vom 26.04.2017 hat der Kläger zum Sozialgericht München (SG) Klage erhoben und die Versorgung mit einer myoelektrischen Unterarmprothese als Zweitversorgung begehrt. Nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 12.09.2012 - B 3 KR 20/11 R) müsse zwar nicht jeder reparaturbedingte Ausfall sofort versorgt werden, die notwendigen Entscheidungsprozesse und die tatsächlichen Instandsetzungs- und Ersatzbeschaffungsmaßnahmen müssten jedoch so organisiert sein, dass der Versicherte bei einem Hilfsmitteldefekt in zumutbarer Weise in einer den Anforderungen des § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V genügenden Weise versorgt werde. Tatsächlich würden die Ausfallzeiten bis zum Erhalt der Übergangsprothese im Regelfall bei mindestens 14 Tagen bis drei Wochen liegen (Klagebegründung vom 12.06.2017).
Mit Beschluss vom 27.06.2017 hat das SG die Deutsche Rentenversicherung (DRV) Bund zum Verfahren nach § 75 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beigeladen.
Mit Schriftsatz vom 25.07.2017 hat der Kläger seinen Vortrag vertieft. Die Michelangelo-Hand und die jetzt beantragte Zweitprothese seien unterschiedlich ausgelegt. Die Michelangelo-Hand sei deutlich filigraner und damit weniger belastbar, soweit Kräfte auf die Finger einwirkten. Es könne weniger Gewicht mit der Hand getragen werden. Die beantragte weitere Versorgung sei dagegen zwar nicht so filigran, aber belastbarer. Solange es technisch nicht möglich sei, eine Hand zu bauen, die sowohl die filigranen Fertigkeiten der Michelangelo-Hand als auch die robusten Tragfähigkeiten der Myohand in einer Prothese vereine, bestehe der Anspruch auch auf die Versorgung mit zwei Händen.
Mit Schriftsatz vom 08.08.2017 hat die Beklagte Stellung genommen. Auf die Einzelheiten wird Bezug genommen.
Die DRV hat mit Schriftsatz vom 28.08.2027 dahingehend Stellung genommen, dass die sachliche Zuständigkeit der Rentenversicherung nicht gegeben sei. Der Versorgungsbedarf mit einer Zweitprothese bestehe im Falle des Klägers für den Bereich des täglichen Lebens sowie für jedwede Form der Berufsausübung und nicht ausschließlich zum Ausgleich eines Funktionsdefizits in seiner beruflichen Tätigkeit als Projektingenieur im Anlagenbau. Die Gewährung für Hilfsmittel, die den Ausgleich einer körperlichen Behinderung selbst bezwecken, also unmittelbar gegen die Behinderung gerichtet seien, gehöre zu den gesetzlichen medizinischen Aufgaben der Krankenversicherung.
Mit Schriftsatz vom 26.09.2017 hat der Kläger nochmals darauf hingewiesen, dass er seit Jahren mit zwei Prothesen versorgt sei. Er lege ausdrücklich weiterhin Wert darauf, beide Versorgungen zu behalten, um reparaturbedingte oder andere Ausfallzeiten einer Prothese zu vermeiden. Ihn mit einem Menschen zu vergleichen, der seinen Arm nur für kurze Zeit nicht nutzen könne, sei geradezu zynisch. Es sei eine vollkommen andere Situation, ob ein vorübergehender kurzfristiger krankheitsbedingter Ausfall eines Armes vorliege oder ein Fehlen des Unterarms. Die Beklagte lasse vollkommen außer Acht, dass das Nichtvorhandensein des Unterarms und damit auch die optische Veränderung etwas vollkommen anderes sei als ein eingegipster Arm, insbesondere bezogen auf die psychischen Belastungen.
Mit Schriftsatz vom 23.04.2019 hat der Kläger seinen Vortrag abermals ergänzt und nochmals vorgetragen, dass er früher eine Zweitversorgung gehabt habe. Diese sei auch deshalb notwendig, damit der Druckpunkt am Stumpf nicht immer derselbe sei. Aus der (anliegenden) Fotodokumentation vom Februar 2019 ergebe sich, dass es immer wieder am Druckpunkt am Stumpf zu Entzündungen komme. Diese könnten beim Tragen der Prothesen nicht abheilen. Eine Zweitprothese habe grundsätzlich einen anderen Druckpunkt, so dass es bei einem Wechsel der Prothese gar nicht erst zu einer Dauerbelastung an einem bestimmten Druckpunkt kommen könne. Die Versorgung mit einer Zweitprothese sei daher medizinisch notwendig, damit Folgeverletzungen nicht entstehen. Bei einem Defekt der Prothese im Oktober 2018 habe es insgesamt 30 Tage gedauert, bis ein Austausch der Hand vorgenommen werden konnte. Von der Einreichung des Rezepts bis zur Versorgung sei der Kläger letztendlich nicht ordnungsgemäß versorgt gewesen. Das Wechselspiel zwischen Krankenkasse und Leistungserbringer sowie dem Hersteller B führe gerade nicht dazu, dass innerhalb einer Obergrenze von 10 Tagen erneut eine Ersatzhand gestellt werde. Tatsächlich sei der Kläger bis 30 Tage unversorgt gewesen. Dies sei für ihn unzumutbar.
In der mündlichen Verhandlung am 30.04.2019 vor dem SG hat der Kläger erklärt, er sei dringend auf die Versorgung mit einer zweiten Prothese angewiesen. Zweimal im Jahr werde der Wechselbezug ausgetauscht, dabei dauere es circa 2 bis 3 Wochen bis er im Besitz eines Ersatzbezuges sei. Aus seiner Erinnerung heraus sei die Prothese in den ersten Jahren mehr als zweimal im Jahr defekt gewesen. In der Regel sei eine Reparatur danach mindestens 1- bis 2-mal im Jahr nötig. Wenn die Prothese defekt gewesen sei, habe es circa 3 bis 4 Wochen gedauert, bis er mit einer Ersatzprothese versorgt worden sei. Die planbaren Wartungen würden demgegenüber kein Problem bei der Versorgung darstellen. Weiter hat die Vorsitzende darauf hingewiesen, dass nach der Rechtsprechung des BSG eine Zweitversorgung für den Reparaturfall nur in Ausnahmefällen in Betracht komme. Hierbei komme es insbesondere auf die Zeiten des Ausfalls der Erstprothese an. Da die Kammer in der Lage sein müsse, beurteilen zu können, wie lange der Kläger unversorgt geblieben sei, werde gebeten entsprechende Nachweise des Leistungserbringers vorzulegen. Maßgeblich sei dabei der Zeitraum ab dem Jahr 2014 bis zum heutigen Tage. Des Weiteren werde gebeten, medizinische Unterlagen einzureichen, die belegen, dass eine Zweitversorgung aufgrund der unterschiedlichen Druckpunkte erforderlich sei.
Mit Schriftsatz vom 18.06.2019 hat der Kläger u.a. eine Zusammenstellung der Beigeladenen über Reparaturen und Serviceleistungen seit 2014 überreicht. Zumindest bezogen auf Schafterneuerungen und Reparaturen sei danach der Kläger mindestens drei Wochen unversorgt gewesen. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Schriftsatz vom 18.06.2019 Bezug genommen.
Mit Schriftsatz vom 09.07.2019 hat die Beklagte zu der Aufstellung des Klägers im Einzelnen Stellung genommen. In der Gesamtschau lasse sich feststellen, dass es keiner Zweitversorgung bedürfe. Die Beklagte habe für eine Bewilligung der Ersatzversorgung nie unzumutbar lange gebraucht. Die Abläufe beim Leistungserbringer würden aber verbesserungsbedürftig erscheinen. Diese seien der Beklagten jedoch nicht zuzurechnen.
Hierauf wiederum hat der Kläger mit Schriftsatz vom 18.09.2019 erwidert und ausgeführt, dass es grundsätzlich auf die Frage nicht ankommen dürfte, wer woran schuld sei, sondern entscheidend, dass der Kläger über einen längeren Zeitraum unterversorgt gewesen sei. Die immer wieder auftretenden Phasen des Nicht-versorgt-seins würden auch daher rühren, dass die Versorgung des Klägers hochkomplex sei. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Schriftsatz vom 18.09.2019 Bezug genommen.
Mit Schriftsatz vom 30.09.2019 hat die Beklagte nochmals zu den grundsätzlichen Abläufen bei der Beantragung einer Ersatzversorgung hingewiesen. Die Beklagte behalte ihren Standpunkt bei, dass bei planbaren Arbeiten an einer Prothese grundsätzlich nicht mehr als 24 oder 48 Stunden vergehen würden, bis die Ersatzprothese beim Leistungserbringer sei. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Schriftsatz vom 30.09.2019 Bezug genommen.
Auf den weiteren Schriftsatz des Klägers vom 15.10.2019 wird verwiesen.
Am 25.10.2019 ist die Angelegenheit erneut vom SG mündlich verhandelt worden. Es wurde festgehalten, dass unterschiedliche Reparaturvorgänge (unplanbare Reparaturen und planbare jährliche Wartungen) zu unterscheiden seien. Hinsichtlich des medizinischen Aspekts hat das SG angekündigt, ein Sachverständigengutachten einzuholen. Zudem ist die Beiladung der DRV Bund aufgehoben worden.
Mit Beschluss vom 14.11.2019 hat das SG die P GmbH zum Verfahren nach § 75 Abs. 2 SGG beigeladen.
Mit Schreiben vom 27.12.2019 hat die Beigeladene die folgende Aufstellung der Ausfallzeiten bezüglich der Unterarmprothese übermittelt:
* November 2014: Anlässlich einer Schafterneuerung sei der Kläger drei Wochen unversorgt gewesen. Ursache sei eine Volumenänderung des Stumpfes gewesen.
* Juli 2015: Anlässlich einer Schafterneuerung sei der Kläger drei Wochen unversorgt gewesen. Ursache sei ein Defekt des Schafts gewesen.
* Jahreswechsel 2015/2016: Anlässlich einer Schafterneuerung sei der Kläger drei Wochen unversorgt gewesen. Ursache sei eine erneute Volumenänderung des Stumpfes gewesen.
* März 2016: Anlässlich einer Schaftreparatur (24-Monatsservice) sei der Kläger drei Wochen unversorgt gewesen.
* Juni 2016: Der Kläger habe zwei Wochen nur über eine defekte Prothese verfügt. Ursache sei eine defekte Hand gewesen.
* April 2017: Anlässlich einer Handreparatur (36-Monatsservice) habe der Kläger drei Wochen nur über eine defekte Prothese verfügt.
* Oktober 2018: Der Kläger habe 4 Wochen nur über eine defekte Prothese verfügt. Ursache sei eine defekte Hand gewesen.
Mit Beweisanordnung vom 14.11.2019 hat das SG W (Facharzt für Orthopädie und Allgemeinmedizin) mit der Erstellung eines Sachverständigengutachtens auf orthopädischem Fachgebiet beauftragt. Nach ambulanter Untersuchung des Klägers am 03.02.2020 ist der Sachverständige in seinem Gutachten vom 12.02.2020 zu dem Ergebnis gelangt, dass eine medizinische Indikation für die Versorgung mit einer Zweitprothese nicht bestehe. Eine Druckpunktentlastung sei durch Arbeiten an der vorhandenen Prothese (z.B. durch einen Entlastungsring) möglich. Auf die Ausführungen des Sachverständigen im Einzelnen wird Bezug genommen.
Mit Schriftsatz vom 26.05.2020 hat der Kläger zum Gutachten Stellung genommen und darauf hingewiesen, dass es Entlastungsringe, die man temporär ein- und aussetzen könne, nicht gebe. Der Prothesenschaft sollte so beschaffen sein, dass keine zusätzlichen Reizungspunkte am Stumpf - verursacht durch unterschiedliche Materialien oder unterschiedliche Formen - entstünden. Den Zeitraum von maximal 10 Tagen halte die Beklagte regelmäßig nicht ein.
Mit Gerichtsbescheid vom 22.09.2020 hat das SG - nach Anhörung der Beteiligten zu dieser Entscheidungsform - die Klage abgewiesen. Es bestehe kein Anspruch auf die Versorgung mit einer myoelektrischen Unterarmprothese als Zweitversorgung, da die begehrte Hilfsmittelversorgung nicht erforderlich und wirtschaftlich sei:
* Zur Überzeugung des Gerichts bestünden keine medizinischen Gründe für eine Zweitversorgung. Der Sachverständige habe dies nach ambulanter Untersuchung des Klägers am 03.02.2020 in seinem Gutachten vom 12.02.2020 zutreffend begründet. Zur Entlastung von Druckstellen seien nach seinen Feststellungen Arbeiten am Schaft bzw. eine Erneuerung des Schafts notwendig. Da die Entstehung von Druckstellen sich durch Anpassungen oder eine Erneuerung des Schafts grundsätzlich vermeiden lasse, widerspreche es dem Wirtschaftlichkeitsgebot gemäß § 12 Abs. 1 Satz 1 SGB V zu diesem Zweck eine Zweitversorgung vorzuhalten. Ferner sei zu bedenken, dass die Problematik von Druckstellen in gleicher Weise auch bei einem zweiten Schaft auftreten könne, da ein zusätzlicher Schaft in gleicher Weise entsprechend den aktuellen Maßen des Stumpfes angefertigt werden würde. Dem Gericht erschließe sich somit nicht das klägerische Argument, dass eine zweite Prothese wegen Volumenänderungen des Schafts bei Belastungen erforderlich sei. Denn es erscheine nicht plausibel, dass der Stumpf sein Volumen in einer Weise verändere, dass im Wechsel zwei unterschiedliche Volumina bestehen, für die zwei ganz unterschiedliche Schäfte erforderlich wären.
* Auch ein geeigneter Behinderungsausgleich erfordere nicht die Versorgung mit einer zweiten myoelektrischen Prothese. Nach Überzeugung des Gerichts sei der klägerische Anspruch auf den unmittelbaren Behinderungsausgleich mit einer einzigen Unterarmprothese zu decken. Das Gericht folge nicht der klägerischen Ansicht, dass ein vollständiger Behinderungsausgleich nur durch die Versorgung mit einer zweiten myoelektrischen Prothese, die höhere Belastungen als die Michelangelo-Hand bewältige, gewährleistet sei. Unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebots des § 12 Abs. 1 SGB V sei es vielmehr ausreichend, dass eine geeignete Versorgung unter Beachtung des Wahlrechts des Versicherten gemäß § 33 SGB I geleistet werde. Eine optimale Versorgung, die alle Wünsche des Versicherten entspreche, wäre weder wirtschaftlich noch angemessen. Schließlich sei sowohl die Beschaffung, als auch die Erhaltung einer zweiten myoelektrischen Unterarmprothese mit sehr hohen Kosten verbunden.
* Schließlich rechtfertige die Notwendigkeit der Anpassung, Wartung und Reparatur der vorhandenen Unterarmprothese mit Michelangelo-Hand keinen Anspruch auf eine Zweitversorgung. Unter Zugrundelegung insbesondere der mit dem Urteil des BSG vom 21.03.2013 (B 3 KR 3/12 R) entwickelten Grundsätze seien zur Überzeugung des Gerichts zukünftig nicht so umfangreiche Ausfallzeiten zu erwarten, dass unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebots eine dauerhafte Zweitversorgung gerechtfertigt sei. Unaufschiebbare Reparaturen seien zur Überzeugung der Kammer nicht so häufig zu erwarten, dass diese die Versorgung mit einer Zweitversorgung rechtfertigen würden. Denn auch in diesen Fällen bestehe grundsätzlich die Möglichkeit, den Kläger kurzfristig mit einer Ersatzprothese zu versorgen. Ferner bestehe die Möglichkeit, entsprechende Zeiträume durch eine raschere Ersatzversorgung künftig zu verringern. Zur Recht habe die Beklagte darauf hingewiesen, dass Ausfallzeiten durch die rechtzeitige Beantragung und Überlassung einer Ersatzprothese im Wesentlichen vermieden werden könnten. Dies gelte sowohl für die jährliche Wartung als auch für Reparaturarbeiten, die nicht sofort durchgeführt werden müssten. Insofern sei neben der Beklagten auch die Beigeladene als Leistungserbringer gefordert, schnellstmöglich eine Ersatzversorgung sicherzustellen. Entgegen ihrer Verpflichtung habe die Beigeladene bei der Reparatur im Oktober 2018 die Verzögerung zu verantworten, da sie nicht zeitnah einen Kostenvoranschlag übermittelt habe. Da dem Gericht eine diesbezügliche Verbesserung der Abläufe möglich erscheine, seien künftig nicht so erhebliche Ausfallzeiten zu erwarten, die einen Anspruch des Klägers auf eine Zweitversorgung rechtfertigten.
* Ein Anspruch gegen die Beklagte als erstangegangener Rehabilitationsträger nach
§ 14 SGB IX scheide schließlich aus, weil auch eine über § 33 SGB V hinausgehende Leistungsverpflichtung anderer Sozialleistungsträger nicht gegeben sei.
3.
Gegen den am 24.09.2020 zugestellten Gerichtsbescheid vom 22.09.2020 hat der Kläger mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 26.10.2020 (fristgemäß) Berufung zum Bayerischen Landessozialgericht (LSG) eingelegt und sein Begehren weiterverfolgt.
Mit Berufungsbegründung vom 30.08.2022 hat der Bevollmächtigte den erstinstanzlichen Vortrag im Wesentlichen wiederholt und ergänzend vorgetragen: Das SG habe die Ausführungen des Klägers nicht nur zu den Volumenschwankungen, sondern auch zu den Druckstellen vollkommen außer Acht gelassen. Aufgrund der Hebelwirkung der Prothese komme es zu verstärktem Druck auf den Armstumpf. Jede Prothese habe andere Druckpunkte am Arm. Ein Wechseln der Prothese verringere deutlich die Gefahr von Abszessbildungen am Stumpf. Der Kläger könne nicht einfach auf die Prothese verzichten, wenn er merke, dass es an bestimmten Druckpunkten zu Entzündungen komme. Der Kläger könnte aber mit einer Zweitprothese durchaus einen Wechsel vornehmen, was dazu führen würde, dass die bereits gereizten Druckpunkte entlastet würden.
Im Erörterungstermin am 21.11.2022 hat der vormalige Berichterstatter auf das Urteil des BVerfG vom 30.01.2020 (2 BvR 1005/18) und das Urteil des BSG vom 07.05.2020 (B 3 KR 7/19 R) zum Paradigmenwechsel beim Behinderungsbegriff hingewiesen. Die Klägerseite wurde aufgefordert, folgende Angaben zu machen / Unterlagen einzureichen:
* Angabe, ob und inwieweit auch die berufliche Situation betroffen sei und in welcher Art konkret.
* Einwendungen gegen das erstinstanzliche Gutachten nebst Angabe von behandelnden Ärzten.
* Soweit erforderliche Arztbesuche vorliegen, Unterzeichnung und Rückgabe der Schweigepflichtentbindungserklärung.
Die Beklagte wurde aufgefordert, den Fall im Lichte des vom BVerfG und BSG beschriebenen Paradigmenwechsels nochmals zu prüfen und ggf. eine Mittelung zu machen, ob eine gütliche Einigung in Betracht bezogen werden könnte. Abschließend hat der Kläger erklärt, dass er aufgrund einer aktuellen defektbedingten Reparatur der Michelangelo-Hand 11 Tage auf eine Ersatzprothese warten haben müssen. Es sei zwar in den Verträgen ein Ersatz nach 48 Stunden beschrieben, dies sei jedoch nicht leistbar.
In ihrer Stellungnahme vom 16.12.2022 hat die Beklagte vor einer Äußerung zum Anliegen des Klägers um Prüfung folgender Punkte gebeten: Wenn an Hilfsmitteln Wartungen oder Reparaturen anfallen würden, bekomme die Beklagte zwar die Kostenvoranschläge und Rechnungen übermittelt, jedoch keine genauen Angaben über die Zeiten, die das Hilfsmittel beim Leistungserbringer zur Wartung oder Reparatur sei. Die Beklagte erachte es als wichtig, dass der Leistungserbringer, hier die Beigeladene, schriftlich darüber Auskunft erteile, zu welchen Zeiten, also für welchen jeweiligen Zeitraum die vorhandene Versorgung bei ihr gewesen und was genau gemacht worden sei, insbesondere, ob es um Arbeiten am Schaft oder an der Hand oder an beiden Hilfsmitteln gegangen sei. Nach dem Kenntnisstand der Beklagten sei zuletzt die Hand und nicht der Schaft von Reparaturen betroffen gewesen. An der Beigeladenen sei der Hersteller der Michelangelo Hand, die Firma B, beteiligt. Aufgrund dieser Nähe des Leistungserbringers zum Hersteller verwundere es die Beklagte, dass hier kein schneller Ersatz beschafft werden könne. Der Kläger habe in diesem Zusammenhang geäußert, dass eine Ersatzbeschaffung innerhalb von 48 Stunden nicht möglich sei. Auch hierzu möge sich die Beigeladene äußern. Die Beklagte bitte darum, dass das Gericht diese Auskünfte direkt beim Leistungserbringer einhole.
In seiner Stellungnahme vom 19.01.2023 hat der Kläger hinsichtlich des erbetenen Vortrags zu den Einwendungen gegen das erstinstanzliche Sachverständigengutachten auf seinen Schriftsatz vom 26.05.2020 verwiesen. Die zuletzt gemachten Ausführungen des Klägers in der mündlichen Verhandlung würden der im Gutachten getätigte Aussage, dass Unterversorgungen vermeidbar gewesen wären, widersprechen.
Schließlich hat das LSG Befundberichte der den Kläger behandelnden Ärzte eingeholt. M hat mit Befundbericht vom 23.02.2023 als Beschwerden rezidivierende Druckstellen mit Wundheilungsstörungen des Amputationsstumpfes als Folgekomplikation einer Amputation der oberen rechten Extremität und eine unveränderte Befundsituation mit Anpassungsproblemen der Prothesen bzw. Reparaturprothesen attestiert. M1 (Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie) hat mit Befundbericht vom 31.03.2023 (ebenfalls) rezidivierende Druckbeschwerden am Unterarmstumpf attestiert.
Auf Nachfrage des Berichterstatters hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 05.11.2024 die am 01.04.2014 erfolgte Bewilligung der Armprothese mit Michelangelo-Hand vorgelegt.
In der mündlichen Verhandlung am 12.11.2024 hat der Bevollmächtigte der Beigeladenen eine Ergänzung der mit Schreiben vom 27.12.2019 übermittelten Aufstellung der Ausfallzeiten bezüglich der Unterarmprothese vorgelegt, die allen Beteiligten ausgehändigt worden ist. Der Kläger und der Vertreter der Beigeladene sind unvorhergesehene Reparaturen betreffend übereinstimmend davon ausgegangen, dass im günstigsten Fall beim Einhalten des Beschaffungsweges ein Leihsystem dem Kläger nicht vor 14 Tagen zur Verfügung gestellt werden kann.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid vom 22.09.2020 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger unter Aufhebung der Bescheide vom 21.03.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.03.2017 mit einer myoelektrischen Unterarmprothese "Vario plus Speed" entsprechend dem Kostenvoranschlag vom 03.03.2016 zu aktuellen Preisen zu versorgen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Im Übrigen wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 12.11.2024 sowie die Prozessakten des LSG (L 5 KR 457/20) und des SG (S 7 KR 628/17) und die Verwaltungsakten der Beklagten, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
Die form- und fristgerecht (§§ 143, 151 SGG) eingelegte Berufung ist zulässig und begründet. Zu Unrecht hat das SG die auf Zweitversorgung mit einer Unterarmprothese gerichtete Klage mit Gerichtsbescheid vom 22.09.2020 abgewiesen. Die ablehnenden Verwaltungsentscheidungen der Beklagten (Bescheid vom 21.03.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.03.2017) sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten. Der Kläger hat Anspruch auf Zweit- bzw. Wechselversorgung mit einer myoelektrischen Unterarmprothese.
Rechtsgrundlage des geltend gemachten Leistungsanspruchs ist zunächst § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V in der seither unveränderten Fassung des GKV-Wettbewerbsstärkungs-gesetzes - GKV-WSG - vom 26.03.2007 (BGBl I, Nr. 11, S. 378 ff). Hiernach haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern (Variante 1), einer drohenden Behinderung vorzubeugen (Variante 2) oder eine Behinderung auszugleichen (Variante 3), soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs. 4 SGB V ausgeschlossen sind.
Rechtsgrundlage ist zudem § 33 Abs. 1 Satz 5 SGB V. Nach dieser Vorschrift in der ab 11.04.2017 geltenden Fassung durch das Gesetz zur Stärkung der Heil- und Hilfsmittelversorgung - HHVG - vom 04.04.2017 (BGBl I, Nr. 19, S. 778 ff.) umfasst der Anspruch auch zusätzlich zur Bereitstellung des Hilfsmittels (nach Satz 1) zu erbringende, notwendige Leistungen wie die notwendige Änderung, Instandsetzung und Ersatzbeschaffung von Hilfsmitteln, die Ausbildung in ihrem Gebrauch und, soweit zum Schutz der Versicherten vor unvertretbaren gesundheitlichen Risiken erforderlich, die nach dem Stand der Technik zur Erhaltung der Funktionsfähigkeit und der technischen Sicherheit notwendigen Wartungen und technischen Kontrollen.
Im vorliegenden Fall sind die Voraussetzungen für die vom Kläger gewünschte Versorgung gegeben; die begehrte myoelektrische Unterarmprothese ist zum Behinderungsausgleich erforderlich. Dieser in § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V als 3. Variante genannte - hier allein in Betracht kommende - Zweck eines von der GKV zu leistenden Hilfsmittels hat nach dem BSG, das in ständiger Rechtsprechung zwischen dem unmittelbaren und dem mittelbaren Ausgleich (nach wie vor) unterscheidet, zweierlei Bedeutung: Danach dient ein Hilfsmittel im Bereich des unmittelbaren Behinderungsausgleichs unmittelbar dem Ausgleich der ausgefallenen oder beeinträchtigten Körperfunktion selbst (z. B. Beinprothese), während es im Bereich des mittelbaren Behinderungsausgleichs zum Ausgleich der direkten und indirekten Behinderungsfolgen eingesetzt wird (z. B. Rollstuhl). Diese Differenzierung ist notwendig, weil unter Einbeziehung einer historischen Betrachtung unzweifelhaft ist, dass der Ausfall oder die Beeinträchtigung einer Körperfunktion den Krankheitsbegriff in der GKV erfüllt, und es daher zu ihrem Aufgabenbereich gehört, ausgefallene oder beeinträchtigte Körperfunktionen soweit wie möglich wiederherzustellen oder zu verbessern. Beim mittelbaren Behinderungsausgleich geht es demgegenüber darum, einem behinderten Menschen, dessen Beeinträchtigung durch medizinische Leistungen einschließlich des Einsatzes von Hilfsmitteln nicht weiter behoben werden kann, das Leben mit den Folgen dieser Beeinträchtigung zu erleichtern (zuletzt BSG, Urteil vom 14.06.2023 - B 3 KR 8/21 R, BSGE 136, 122, Rn. 16, m.w.N.).
Im Vordergrund einer Hilfsmittelversorgung steht zumeist der Ausgleich der ausgefallenen oder beeinträchtigten Körperfunktion selbst. Bei diesem unmittelbaren Behinderungsausgleich gilt das Gebot eines möglichst weitgehenden Ausgleichs des Funktionsdefizits, und zwar unter Berücksichtigung des aktuellen Stands des medizinischen und technischen Fortschritts. Die gesonderte Prüfung, ob ein allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens betroffen ist, entfällt, weil sich die unmittelbar auszugleichende Funktionsbeeinträchtigung selbst immer schon auf ein Grundbedürfnis bezieht; die Erhaltung bzw. Wiederherstellung einer Körperfunktion ist als solche ein Grundbedürfnis. Dabei kann die Versorgung mit einem fortschrittlichen, technisch weiterentwickelten Hilfsmittel nicht mit der Begründung abgelehnt werden, der bisher erreichte Versorgungsstandard sei ausreichend, solange ein Ausgleich der Behinderung nicht vollständig im Sinne des Gleichziehens mit einem nicht behinderten Menschen erreicht ist. Die Wirtschaftlichkeit eines dem unmittelbaren Behinderungsausgleich dienenden Hilfsmittels ist grundsätzlich zu unterstellen und erst zu prüfen, wenn zwei tatsächlich gleichwertige, aber unterschiedlich teure Hilfsmittel zur Wahl stehen (BSG, Urteil vom 21.03.2013 - B 3 KR 3/12 R, BeckRS 2013, 69358, Rn. 12).
Daneben können Hilfsmittel den Zweck haben, die direkten und indirekten Folgen der Behinderung auszugleichen (sog. mittelbarer Behinderungsausgleich). In diesem Rahmen ist die GKV allerdings nur für den Basisausgleich der Folgen der Behinderung eintrittspflichtig. Es geht hier nicht um einen Ausgleich im Sinne des vollständigen Gleichziehens mit den letztlich unbegrenzten Möglichkeiten eines gesunden Menschen. Denn Aufgabe der GKV ist in allen Fällen allein die medizinische Rehabilitation, also die möglichst weitgehende Wiederherstellung der Gesundheit und der Organfunktionen einschließlich der Sicherung des Behandlungserfolges, um ein selbstständiges Leben führen und die Anforderungen des Alltags meistern zu können. Eine darüber hinausgehende berufliche oder soziale Rehabilitation ist hingegen Aufgabe anderer Sozialleistungssysteme. Ein Hilfsmittel zum mittelbaren Behinderungsausgleich ist von der GKV daher nur zu gewähren, wenn es die Auswirkungen der Behinderung im gesamten täglichen Leben beseitigt oder mildert und damit ein allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens betrifft. Nach ständiger Rechtsprechung des BSG gehören zu den allgemeinen Grundbedürfnissen des täglichen Lebens das Gehen, Stehen, Sitzen, Liegen, Greifen, Sehen, Hören, die Nahrungsaufnahme, das Ausscheiden, die elementare Körperpflege, das selbstständige Wohnen sowie das Erschließen eines gewissen körperlichen und geistigen Freiraums (BSG, Urteil vom 21.03.2013, a.a.O., Rn. 13, m.w.N.).
Dem Gegenstand nach besteht für den unmittelbaren ebenso wie für den mittelbaren Behinderungsausgleich ein Anspruch auf die im Einzelfall ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Hilfsmittelversorgung, nicht jedoch ein Anspruch auf Optimalversorgung. Deshalb besteht kein Anspruch auf ein teureres Hilfsmittel, soweit die kostengünstigere Versorgung für den angestrebten Nachteilsausgleich funktionell in gleicher Weise geeignet ist; andernfalls sind die Mehrkosten gemäß § 33 Abs. 1 Satz 9 SGB V vom Versicherten selbst zu tragen. Die Krankenkassen haben auch nicht für solche "Innovationen" aufzukommen, die keine wesentlichen Gebrauchsvorteile für den Versicherten bewirken, sondern sich auf einen bloß besseren Komfort im Gebrauch oder eine bessere Optik beschränken (BSG, Urteil vom 21.03.2013, a.a.O., Rn. 14, m.w.N.).
In Anwendung dieser Grundsätze ist die vom Kläger als Zweit- bzw. Wechselversorgung begehrte myoelektrische Unterarmprothese ein Körperersatzstück gemäß § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V. Sie dient dem unmittelbaren Ersatz des amputierten rechten Unterarms und dessen ausgefallener Funktion. Sie ist auf den Ausgleich der Behinderung selbst gerichtet und dient der medizinischen Rehabilitation, ohne dass zusätzlich die Erfüllung eines allgemeinen Grundbedürfnisses des täglichen Lebens zu prüfen wäre, wie es bei Hilfsmitteln erforderlich wäre, die nur die indirekten Folgen einer Behinderung ausgleichen sollen. Bei einer Unterarmprothese geht es um das Grundbedürfnis des Greifens, Halten- und Bewegen(-könnens) von Gegenständen sowie der Aufrechterhaltung der Körperbalance, wie es bei nicht behinderten Menschen durch die Funktion des/r Arms/e gewährleistet ist. Hier ist die Erhaltung bzw. Wiederherstellung einer Körperfunktion als solche ein Grundbedürfnis; sie muss in möglichst weitgehender Weise ausgeglichen werden (vgl. BSG, Urteile vom 14.06.2023, a.a.O., Rn. 17; vom 21.03.2013, a.a.O., Rn. 15; LSG Saarland - L 2 KR 31/18, BeckRS 2019, 54215, Rn. 41; jeweils m.w.N.).
Der Anspruch des Klägers auf die begehrte Zweit- bzw. Wechselversorgung mit einer myoelektrischen Unterarmprothese besteht zudem nach § 33 Abs. 1 Satz 5 SGB V. Diese Vorschrift begründet zwar keinen selbständig einklagbaren - und hier auch nicht geltend gemachten - Anspruch auf Durchführung einer bestimmten Reparaturmaßnahme im Fall eines Hilfsmitteldefekts. Einen notfalls auch gerichtlich durchsetzbaren Anspruch haben Versicherte aber darauf, auf der Rechtsgrundlage von § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V überhaupt mit einem funktionsfähigen Hilfsmittel versorgt zu sein. Wie die Krankenkassen dies im Einzelnen sicherstellen, ist ihrer pflichtgemäßen Entscheidung im Rahmen ihrer Sachleistungsverantwortung nach § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB V überlassen. Im Außenverhältnis zum Versicherten ist es deshalb rechtlich ohne Bedeutung, ob die Krankenkasse auf den Defekt eines Hilfsmittels durch Instandsetzung oder durch Ersatzbeschaffung reagiert, wenn sie denn den Gebrauch des im Einzelnen notwendigen Hilfsmittels nur überhaupt ermöglicht (BSG, Urteil vom 12.09.2012 - B 3 KR 20/11 R, juris, Rn. 10) und ihrer Verpflichtung nachkommt, (unvorhersehbare) Defekte am zur Verfügung gestellten Hilfsmittel binnen angemessener Frist zu beheben (BSG, a.a.O., Rn. 11).
Dabei ist die Pflicht zur zeitnahen Instandsetzungs- oder Ersatzbeschaffung nicht für alle Hilfsmittel und alle Versorgungsfälle einheitlich zu beurteilen. Einen Anhaltspunkt für die insoweit einerseits von den Versicherten hinzunehmende und andererseits von den Rehabilitationsträgern zu beachtende Zeitspanne bieten aber die § 14 Abs. 2 Sätze 1 und 2 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen (SGB IX) i.d.F. durch das Bundesteilhabegesetz (BTHG) vom 23.12.2016 (BGBl I, Nr. 66, S. 3234 ff.) enthaltenen Fristenregelungen. So sieht § 14 Abs. 2 Satz 1 SGB IX vor, dass der Rehabilitationsträger den Rehabilitationsbedarf unverzüglich und umfassend festzustellen hat und er - sofern kein Gutachten einzuholen ist - spätestens innerhalb von drei Wochen nach Antragseingang über den Rehabilitationsbedarf entscheidet (§ 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IX). Nach der Rechtsprechung des BSG spricht dies dafür, dass Versicherte zwar defektbedingte Ausfallzeiten in geringem Maße - zusammenhängend etwa bis zur Obergrenze von 10 Tagen und abhängig von den Gegebenheiten des Einzelfalles - hinzunehmen haben, wenn ihrem Versorgungsbedürfnis ansatzweise auf andere Weise Rechnung getragen ist. Unversorgte Zeiten über dieses Maß hinaus, an das bei mehreren Ausfallzeiten pro Jahr noch strengere Maßstäbe anzulegen sein dürften, sind hingegen mit den aus § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V abzuleitenden Anforderungen in aller Regel nicht vereinbar (vgl. BSG, Urteil vom 12.09.2013, a.a.O., Rn. 17, für die Versorgung mit einem Ersatzrollstuhl während des Ausfalls eines Elektrorollstuhls).
Wie das BSG in der vorzitierten Entscheidung selbst betont, verbietet sich eine schematische Betrachtungsweise; auch die genannte Obergrenze von 10 Tagen ist abhängig von den Gegebenheiten des Einzelfalls. Im Schrifttum wird demgemäß davon ausgegangen, dass neben der Häufigkeit der Notwendigkeit des Verzichts auf das Ersthilfsmittel auch relevant ist, ob - was hier nicht der Fall ist - weitere Hilfsmittel zur Verfügung stehen, die den Behinderungsausgleich wenigstens mit Hilfe Dritter gewährleisten können (wie im Fall des BSG die Versorgung mit einem Ersatzrollstuhl während des Ausfalls eines Elektrorollstuhls), und wie intensiv die Beeinträchtigung der Befriedigung der Grundbedürfnisse des täglichen Lebens ist. 10 Tage bilden insofern eine äußere Grenze, die im Einzelfall auch erheblich kürzer sein kann (vgl. Padé, jurisPR-SozR 15/2013 Anm. 4 zu BSG, Urteil vom 12.09.2013, a.a.O., unter Hinweis darauf, dass ein Hilfsmittel zur Nahrungsaufnahme wohl kaum zehn Tage ohne jeglichen Ersatz verzichtbar sein dürfte). Der erkennende Senat neigt dazu, bei der hier streitigen (Zweit- bzw. Wechsel-)Versorgung mit einer Unterarmprothese mit künstlicher Hand ebenfalls von einem erheblich kürzeren Zeitraum der (noch) zumutbaren Nichtversorgung auszugehen; sie dürfte - auch unter Berücksichtigung der im Dreiecksverhältnis erfolgenden Beschaffung - bei wenigen, d.h. bei 2-3 Tagen liegen.
Letztlich braucht dieser Zeitraum nicht abschließend festgelegt zu werden, weil die Ausfallzeiten, denen sich der Kläger in der Vergangenheit bei unvorhergesehenen Reparaturen (anders als bei planbarem/r Service/Wartung) ausgesetzt sah, in jedem Falle nicht den vorgenannten Anforderungen genügten. Dies entnimmt der Senat bereits der mit Schriftsatz vom 27.12.2019 übermittelten Aufstellung der Beigeladenen über die Zeiten des Unversorgtseins bzw. Versorgtseins mit einer defekten Hand im Zeitraum November 2014 bis Oktober 2018 und der in der mündlichen Verhandlung am 12.11.2024 vom Vertreter der Beigeladenen übergebenen Ergänzung dieser Aufstellung (ab Februar 2019), wonach der Kläger jedenfalls auch im Zuge der unvorhergesehenen Reparatur der Prothese im Oktober 2022 (vom 08.10.2022 bis zur Versorgung mit einer Ersatzhand am 18.10.2022) insgesamt 11 Tage unversorgt gewesen ist. Überdies haben der Kläger und der Vertreter der Beigeladenen auf Nachfrage übereinstimmend angegeben, dass im günstigsten Fall beim Einhalten des Beschaffungsweges (Defekt-Meldung durch den Kläger bei der Beigeladenen - Techniker der Beigeladenen leitet Reparatur in die Wege - Kläger besorgt ärztliche Verordnung - Beigeladene holt Kostenzusage bei der Beklagten ein - je nach konkreter Verfügbarkeit beim Hersteller geht Ersatzhand bei der Beigeladenen ein - Beigeladene versorgt den Kläger mit der Ersatzhand bzw. baut diese in die Unterarmprothese ein) dem Kläger eine Ersatzhand nicht vor 14 Tagen zur Verfügung gestellt werden kann bzw. konnte.
Vor diesem Hintergrund, kann dem mehrfach erfolgten Vortrag der Beklagten, dass es in der Gesamtschau der Ausfallzeiten keiner Zweitversorgung des Klägers bedürfe, schon tatsächlich nicht gefolgt werden. Zudem geht der (ebenfalls mehrfache) Hinweis der Beklagten, ihr seien etwaige Verzögerungen im Zuge des Beschaffungsweges nicht zuzurechnen, bereits rechtlich fehl. Die Beklagte bleibt Ansprechpartner und verantwortlicher Anspruchsgegner des Naturalleistungsanspruchs auf Sach- und Dienstleistungen des Versicherten auch dann, wenn ein Leistungserbringer, wie hier die Beigeladene, im Wege eines öffentlich-rechtlichen Vertrages im Sinne der §§ 69 ff. SGB V mit der Krankenkasse in die Leistungserbringung im Dreiecksverhältnis eingebunden ist (vgl. Plagemann, in: jurisPK-SGB V, 4. Aufl. (Stand Juni 2020), § 2 Rn. 61; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 24.03.2022 - L 16 KR 814/19; Thüringer LSG, Urteil vom 27.05.2013 - L 6 KR 811/11; jeweils juris).
Die Einwendung der Beklagten hinsichtlich der (angeblich) mangelnden Wirtschaftlichkeit der Zweit- bzw. Wechselversorgung (§ 12 Abs. 1 SGB V) betreffend, weist der Senat abschließend darauf hin, ohne dass es im Falle des unmittelbaren Behinderungsausgleichs hierauf noch entscheidungserheblich ankäme (s.o.), dass nach dem Kostenvoranschlag der Beigeladenen vom 03.03.2016 für die begehrte Versorgung noch vorhandene Teile verwendet werden sollen.
Nach alledem konnte der Gerichtsbescheid des SG vom 22.09.2020 keinen Bestand haben und war auf die Berufung des Klägers aufzuheben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt der Hauptsacheentscheidung.
Gründe zur Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG).