L 10 KR 702/24 B ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Münster (NRW)
Aktenzeichen
S 22 KR 436/24 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 10 KR 702/24 B ER
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Münster vom 04.10.2024 wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin trägt die Kosten auch des Beschwerdeverfahrens.

 

Gründe:

I.

Die Antragstellerin begehrt die Aufnahme von Verhandlungen analog § 127 Abs. 1 SGB V über einen Vertrag zur Versorgung mit Verbandmitteln.

 

Die Antragstellerin ist ein als GmbH verfasstes Unternehmen, das u.a. Verbandmittel und sonstige Medizinprodukte zur Wundbehandlung vertreibt. Versicherte der antragsgegnerischen Krankenkasse belieferte sie ebenfalls mit Verbandmitteln, die Abrechnung mit der Antragsgegnerin erfolgte insoweit aufgrund der Ergänzungsvereinbarung Verbandstoffe in NRW (Anl. 5b zum Arzneilieferungsvertrag Primärkassen <ALV NRW>).

 

Am 00.00.0000 veröffentlichte die Antragsgegnerin im sog. XXXX-XXXXVerfahren einen Vertrag über die Versorgung mit Verbandmitteln i.S.d. § 31 Abs. 1a SGB V. Mit jedem Unternehmen, das die Teilnahmevoraussetzungen erfülle, werde ein solcher Vertrag abgeschlossen; eine Exklusivität sei nicht gegeben. Der Beitritt bzw. der Vertragsabschluss könne jederzeit und zu den gleichen Bedingungen erfolgen. Individuelle Vertragsverhandlungen würden nicht durchgeführt. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Angaben im Deutschen Vergabeportal Bezug genommen (Ausschreibungs-ID XXXXXXXXXXXX).

 

Die Antragstellerin trat diesem Vertrag bei (unter dem 00.00.0000), dies jedoch ausdrücklich unter dem Vorbehalt, dass sie im Falle der Feststellung der Rechtswidrigkeit des Vertrages weitergehende Rechte gelten machen werde. Zugleich machte sie geltend, die Versorgung mit Verbandmitteln müsse aufgrund eines Vertrages entsprechend § 127 SGB V erfolgen, und forderte die Antragsgegnerin zu entsprechenden Verhandlungen auf (Schreiben vom 00.00.0000). Die Antragsgegnerin sah dagegen keinen Raum und keinerlei Verpflichtung zu individuellen Verhandlungen (E-Mail vom 00.00.0000).

 

Die Antragstellerin hat daraufhin am 04.09.2014 den Erlass einer einstweiligen Anordnung bei dem Sozialgericht Münster beantragt.

 

Sie hat vorgetragen, der Gesetzgeber habe für die Versorgung GKV-Versicherter mit Verbandmitteln keine eigenständige Vertragsart vorgesehen. Es sei der Leistungsanspruch der Versicherten geregelt, aber leistungserbringungsrechtlich fehle es an Regelungen. Insoweit sei die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur Versorgung mit Harn- und Blutteststreifen (BSG, Urteil vom 30.11.2023 – B 3 KR 2/23 R –), wonach diese außerhalb von Apotheken durch nichtärztliche Leistungserbringer nur aufgrund eines Vertrags zur Hilfsmittelversorgung zu Lasten der GKV abgegeben werden dürften, auf die Versorgung mit Verbandmitteln zu übertragen. Zwar habe die Antragsgegnerin vorliegend einen Vertrag über die Versorgung mit Verbandmitteln veröffentlicht, dieser sei aber rechtswidrig, weil das gewählte XXXX-XXXXVerfahren keine Vertragsart i.S.d. Vierten Kapitels des SGB V sei. Es bestehe auch ein Anordnungsgrund. Werde ihr nicht aktuell ein Verhandlungsanspruch zugesprochen wird, bedeute dies, dass im Fall der erfolgreichen Beschreitung des Instanzenwegs frühestens in fünf bis sieben Jahren mit Verhandlungen begonnen werden könne; hierdurch würde sie in nicht hinzunehmender Art und Weise in ihren rechtlich geschützten Positionen aus Art. 12 und 14 GG beeinträchtigt. Das Vertragsverhalten der Antragsgegnerin sei grob rechtswidrig, da es willkürlich, diskriminierend, intransparent und das Gleichbehandlungsgebot verletzend sei; der Verhandlungsanspruch ergebe sich zwingend aus § 127 SGB V. Es komme nicht darauf an, ob und in welchem Umfang konkrete Umsatzeinbußen drohten oder nicht; es reiche aus, dass sie ohne sachlichen und rechtlichen Grund benachteiligt werde und unter einer drohenden Wettbewerbsverzerrung gegenüber den Apotheken leide, die im Wege von Verhandlungen für die gleiche Leistung eine um bis zu 30 % höhere Vergütung erzielt hätten.

 

Die Antragstellerin hat beantragt,

 

die Antragsgegnerin zu verpflichten, mit der Antragstellerin Vertragsverhandlungen entsprechend § 127 Abs. 1 SGB V über die Versorgung ihrer Versicherten mit Verbandmitteln im Sinne des § 31 Abs. 1, Abs. 1a SGB V aufzunehmen.

 

Die Antragsgegnerin hat beantragt,

 

den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zurückzuweisen.

 

Sie hat vorgetragen, es mangle bereits an Eilbedürftigkeit. Etwaig unmittelbar bevorstehende, konkret bezifferte massive wirtschaftliche Konsequenzen einer – derzeit rein hypothetischen – Retaxation habe die Antragstellerin nicht einmal im Ansatz dargelegt. Nach ihrem Verständnis habe die Antragstellerin im Kalenderjahr insgesamt 6.072.652,01 € abgerechnet. Das Rabattniveau der monierten Verträge unterstellt, reduziere sich das Abrechnungsvolumen auf 5.193.320,05 €. Eine Mehrvergütung könne die Antragstellerin in zumutbarer Weise in einem Hauptsacheverfahren erstreiten. Überdies sei die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zu Harn- und Blutteststreifen (a.a.O.) nicht übertragbar. Anders als im vom Bundessozialgericht entschiedenen Fall bestehe für die Antragstellerin vorliegend die Möglichkeit, einen wirksamen Vertrag abzuschließen. Dafür, dass § 127 SGB V auch auf Verbandmittel anzuwenden sei, gebe es keinerlei Anhaltspunkte. Die Zulässigkeit, Verträge im sog. XXXX-XXXXVerfahren abzuschließen, ergebe sich aus § 53 Abs. 1 S. 1 SGB X; dies sei auch vergaberechtlich zulässig.

 

Das Sozialgericht hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung „zurückgewiesen“ (Beschluss vom 04.10.2024). Es bestünden bereits erhebliche Zweifel am Vorliegen eines Rechtschutzbedürfnisses. Die Antragstellerin begehre die Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Aufnahme von Vertragsverhandlungen. Allein durch die Aufnahme von Vertragsverhandlungen könnten die von der Antragstellerin geltend gemachten Nachteile – einer etwaigen Benachteiligung und geringeren Vergütung gegenüber anderen Marktteilnehmern, insbesondere Apotheken – allerdings gar nicht beseitigt werden; zu welchen Konditionen die Antragsgegnerin einen etwaigen Vertrag abschließen würde, sei völlig offen. Jedenfalls aber sei der Antrag nicht begründet. Zunächst bestünden erhebliche Zweifel auch am Vorliegen eines Anordnungsanspruchs. § 127 SGB V, auf den sich die Antragstellerin stütze, regle zunächst, zu welchen Bedingungen Leistungserbringer Hilfsmittel zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen an Versicherte abgeben könnten. Die Antragstellerin sei jedoch kein Leistungserbringer für Hilfsmittel, sondern für Verbandmittel. Eine entsprechende Anwendung des § 127 SGB V auch auf Verbandmittel erscheine auch unter Heranziehung der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (a.a.O.) fragwürdig. Jedenfalls habe die Antragstellerin einen Anordnungsgrund nicht glaubhaft gemacht. Eine eigene wirtschaftliche Existenzgefährdung habe die Antragstellerin gar nicht geltend macht. Soweit sie eine von der Antragsgegnerin geschätzte Reduzierung des Abrechnungsvolumens i.H.v. knapp 880.000 € Euro aufgegriffen habe, habe sie diese Zahlen weder konkret bestätigt noch durch etwaige Belege glaubhaft gemacht. Vielmehr habe sie die Begründetheit ihres Antrages auf eine erhebliche Reduzierung ihrer Vergütung gegenüber Apothekern und damit einhergehend Umsatzeinbußen gestützt. Unklar bleibe insofern, inwieweit etwaige Nachteile nicht nachträglich korrigiert werden könnten, beispielsweise mittels Schadensersatzansprüchen.

 

Gegen den ihren Prozessbevollmächtigten am 04.10.2024 zugestellten Beschluss wendet sich die Antragstellerin mit ihrer am 04.11.2024 eingelegten Beschwerde.

 

Zur Begründung wiederholt und vertieft sie ihr Vorbringen aus dem Verfahren vor dem Sozialgericht. Ergänzend trägt sie vor, sie mache keine pauschale Gleichbehandlung mit Apotheken geltend, sondern gehe davon aus, dass sich der Umfang des Anspruchs der Versicherten auf Versorgung mit Verbandmitteln nicht danach unterscheide, ob sie diese von Apotheken oder sonstigen Leistungserbringern erhielten. Es handle sich um einen einheitlichen Sachleistungsanspruch der Versicherten, zu deren Sicherstellung die Antragsgegnerin Verträge mit den Leistungserbringern abzuschließen habe. Im Rahmen der Folgenabwägung sei zudem zu berücksichtigen, dass sie vorliegend keinen Vergütungsanspruch geltend mache, sondern lediglich einen Anspruch auf Vertragsverhandlungen. Dieser Verhandlungsanspruch führe nicht zwingend zu einer höheren Vergütung als im XXXX-XXXXVertrag. Jedenfalls sei davon auszugehen, dass er nicht zu einem höheren Vergütungsanspruch als aktuell bei den Apotheken führen werde. Die Nachteile aufseiten der Antragsgegnerin seien daher im Verhältnis zur der bei ihr erheblichen Grundrechtsrelevanz nur als gering zu bewerten.

 

Die Antragstellerin beantragt schriftsätzlich,

 

unter Aufhebung des Beschlusses des Sozialgerichts Münster vom 04.10.2024 im Wege der einstweiligen Anordnung, wegen der Dringlichkeit ohne mündliche Verhandlung, die Antragsgegnerin zu verpflichten, mit der Antragstellerin Vertragsverhandlungen entsprechend § 127 Abs. 1 SGB V über die Versorgung ihrer Versicherten mit Verbandmitteln im Sinne des § 31 Abs. 1, Abs. 1a SGB V aufzunehmen.

 

Die Antragsgegnerin beantragt schriftsätzlich,

 

die Beschwerde zu verwerfen.

 

Sie trägt ergänzend vor, insbesondere könne die Antragstellerin keine Gleichbehandlung mit Apotheken verlangen, da es sich tatsächlich um vollkommen unterschiedliche Leistungserbringer handle. Zudem verkenne die Antragstellerin insoweit, dass die vereinbarten Abrechnungspreise für Verbandmittel mit Apotheken als Paketlösung zusammen mit anderen Regelungen des ALV NRW zustande kämen. Darüber hinaus sei der verfahrensgegenständliche Antrag ungeeignet, das Ziel der Antragstellerin zu erreichen. Denn sofern eine Vertragspartei keinerlei Interesse oder Obliegenheit erkenne, Vertragsverhandlungen zu führen, könne Sie im Ergebnis hierzu auch nicht verpflichtet werden, jedenfalls nicht mit Erfolg für die andere Vertragspartei.

 

Am 28.11.2024 hat die Antragstellerin in dieser Angelegenheit zudem Klage zum Sozialgericht Münster erhoben (Az. S 16 KR 642/24), über die bislang nicht entschieden ist.

 

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakten verwiesen. Dieser ist Gegenstand der Beratung des Senats gewesen.

 

 

II.

 

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Münster vom 04.10.2024 ist zulässig, aber unbegründet.

 

Das Sozialgericht hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung des Inhalts, die Antragsgegnerin zur Aufnahme von Verhandlungen über den Abschluss eines Vertrages nach § 127 SGB V zu verpflichten, zu Recht abgelehnt.

 

Gemäß § 86b Abs. 2 S. 2 SGG sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (sog. Regelungsanordnung). Die Antragsteller haben dabei sowohl das behauptete Rechtsverhältnis (Anordnungsanspruch) als auch die Notwendigkeit einer vorläufigen Regelung (Anordnungsgrund) glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 S. 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO). Dabei gewährleistet Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG nicht nur das formelle Recht, die Gerichte anzurufen, sondern auch die Effektivität des Rechtsschutzes. Wirksamer Rechtsschutz bedeutet auch Rechtsschutz innerhalb angemessener Zeit. Daraus folgt, dass gerichtlicher Rechtsschutz namentlich im Eilverfahren so weit wie möglich der Schaffung solcher vollendeter Tatsachen zuvorzukommen hat, die dann, wenn sich eine Maßnahme bei (endgültiger) richterlicher Prüfung als rechtswidrig erweist, nicht mehr rückgängig gemacht werden können. Danach sind die Fachgerichte gehalten, vorläufigen Rechtsschutz zu gewähren, wenn sonst dem Antragsteller eine erhebliche, über Randbereiche hinausgehende Verletzung in seinen Rechten droht, die durch die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden kann, es sei denn, dass ausnahmsweise überwiegende, besonders gewichtige Gründe entgegenstehen (vgl. statt vieler: BVerfG, Beschluss vom 12.09.2016 – 1 BvR 1630/16 –, Rn. 9 m.w.N.).

 

a) Dabei kann auch der Senat dahinstehen lassen, inwieweit vorliegend ein Anordnungsanspruch besteht, die Antragstellerin also von der Antragsgegnerin verlangen kann, mit ihr in Verhandlungen über einen Vertrag entsprechend § 127 SGB V zu treten.

 

Zwar erscheint es jedenfalls nicht von vorneherein ausgeschlossen, auch auf die Versorgung mit Verbandmitteln (vgl. die Legaldefinition in § 31 Abs. 1a S. 1 SGB V, eingefügt durch das Heil- und Hilfsmittelversorgungsgesetz vom 04.04.2017, BGBl. I 778) § 127 SGB V anzuwenden. Denn auch insoweit dürfte der allgemeine Grundsatz gelten, wonach die Krankenkassen über die Erbringung der Sach- und Dienstleistungen nach den Vorschriften des Vierten Kapitels des SGB V Verträge mit den Leistungserbringern schließen (§ 2 Abs. 2 S. 3 SGB V; zu Harn- und Blutteststreifen vgl. BSG, Urteil vom 30.11.2023 – B 3 KR 2/23 R –, Rn. 14 f.). Dass neben Apotheken auch „weitere Anbieter“ Leistungen nach § 31 SGB V, die keine Arzneimittel sind, erbringen dürfen, setzt das Gesetz ohne weiteres voraus (vgl. § 300 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 S. 1 SGB V). Weiter erscheint es jedenfalls nicht abwegig, auch Verbandmittel bloß leistungsrechtlich dem § 31 SGB V zuzuordnen, sie leistungserbringerrechtlich aber wie Hilfsmittel zu behandeln (zu Harn- und Blutteststreifen vgl. nochmals BSG, a.a.O. Rn. 12, 16 f.); insbesondere handelt es sich bei Verbandmitteln um Medizinprodukte i.S.d. Verordnung (EU) 2017/745 (vgl. § 53 Abs. 1 der Arzneimittel-Richtlinie des G-BA <AM-RL>; ähnlich auch bereits BT-Drs. 18/10186, 26) und damit nicht um Arzneimittel (§ 2 Abs. 3 Nr. 7 AMG; dazu auch BSG, a.a.O. Rn. 12). Es liegt nahe, dass die der Arzneimittelversorgung nach § 31 SGB V zugeordneten Ansprüche auf Leistungen, die krankenversicherungsrechtlich keine Arzneimittel sind, leistungserbringungsrechtlich der Hilfsmittelversorgung zugerechnet sind (vgl. BSG, a.a.O. Rn. 17).

 

Dies ändert jedoch nichts daran, dass es sich bei der Frage nach der entsprechenden Anwendung des § 127 SGB V auf Verträge über die Versorgung mit Verbandmitteln mit anderen Leistungserbringern als Apotheken um schwierige und bislang ungeklärte Rechtsfragen handelt. Hinzu kommt, dass, wenn man § 127 SGB V auch auf die Versorgung mit Verbandmitteln für anwendbar hielte, das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs dann mit Blick auf § 127 Abs. 1a SGB V (i.d.F. des Medizinprodukte-EU-Anpassungsgesetz vom 28.04.2020, BGBl. I 960) und das darin vorgesehene Schiedsverfahren bezweifelt werden muss. Zwar haben die Krankenkassen nach § 127 Abs. 1 S. 3 SGB V jedem Leistungserbringer „Vertragsverhandlungen zu ermöglichen.“ Gerade weil dem in der Vergangenheit nicht flächendeckend nachgekommen wurde, hat der Gesetzgeber den potentiellen Vertragsparteien indes die Möglichkeit geschaffen, die Schiedsstelle anzurufen (vgl. BT-Drs. 19/17589, 196 <dort zu Art. 4 Nr. 4 Buchst. b>; Lungstras in Becker/Kingreen, SGB V, 9. Aufl. 2024, § 127 Rn. 6a). Hiernach spricht Manches dafür, dass Vertragsparteien sich unter den Voraussetzungen des § 127 Abs. 1a S. 1 SGB V auf das Schiedsverfahren verweisen lassen müssen, anstatt einen vermeintlichen Anspruch auf Durchführung von Vertragsverhandlungen isoliert gerichtlich durchzusetzen. Dass eine Nichteinigung i.S.d. § 127 Abs. 1a S. 1 SGB V dabei nur vorläge, wenn die Vertragsparteien zuvor tatsächlich verhandelt haben, ergibt sich aus der Legaldefinition des § 127 Abs. 1a S. 2 SGB V jedenfalls nicht ausdrücklich (vgl. dazu auch Uyanik, KrV 2023, 9 <12>).

 

b) In jedem Fall aber hat die Antragstellerin keinen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Es ist nicht ersichtlich, dass der Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig wäre.

 

Ein wesentlicher Nachteil i.S.d. § 86b Abs. 2 S. 2 SGG liegt insbesondere vor, wenn der Antragsteller konkret in seiner wirtschaftlichen Existenz bedroht ist (Burkiczak in jurisPK-SGG, 2. Aufl. 2022, § 86b Rn. 412; ebenso Hessisches LSG, Beschluss vom 04.07.2022 – L 8 KR 125/22 B ER, juris Rn. 20; ähnlich auch Sächsisches LSG, Beschluss vom 26.02.2019 – L 9 KR 691/17 B ER, juris Rn. 47; LSG Hamburg, Beschluss vom 30.08.2019 – L 2 AL 36/19 B ER, juris Rn. 3). Um eine wirtschaftliche Existenzgefährdung darzutun, müssen Antragsteller eine entsprechende wirtschaftliche Situation glaubhaft machen (§ 86b Abs. 2 S. 4 SGG i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO) und nachvollziehbar darlegen, dass diese – kausal – auf die angegriffene Maßnahme zurückzuführen ist, d.h. die Gründe für die behauptete Existenzgefährdung müssen geklärt sein (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 01.04.2019 – L 11 KA 11/18 B ER, juris Rn. 46 m.w.N.).

 

Den Umfang etwaiger wirtschaftlicher Folgen hat die Antragstellerin aber auch im Beschwerdeverfahren nicht substantiiert dargetan. Vielmehr hat sie ausdrücklich mitgeteilt, in welcher Höhe eine Reduzierung der Vergütung durch den XXXX-XXXXVertrag erfolgen werde, lasse sich nicht abschließend feststellen. Vor dem Sozialgericht hat die Antragstellerin sogar noch ausdrücklich vorgetragen, darauf, ob und in welchem Umfang konkrete Umsatzeinbußen drohten oder nicht, komme es nicht an. Im Übrigen hat sie im Beschwerdeverfahren lediglich vorgetragen, im Jahr 0000 habe ihr Abrechnungsvolumen 5,9 Mio. € betragen, im Jahr 0000 dürfe es ähnlich sein; im Ergebnis bedeute der XXXX-XXXXVertrag eine „erhebliche Reduzierung des bisherigen Vergütungsanspruchs um 30 bzw. 21 Prozentpunkte.“ Dass mit einem entsprechenden Umsatzrückgang eine Gefährdung ihrer wirtschaftlichen Existenz oder irgendwelche anderen irreversiblen Nachteile einhergingen, behauptet aber auch die Antragstellerin nicht.

 

Die Antragstellerin hat lediglich vorgetragen, dass sie bei Beschreitung des Rechtswegs in der Hauptsache frühestens in fünf bis sieben Jahren in Verhandlungen mit der Antragsgegnerin treten könne. Dies greift jedoch zu kurz. Allein der Zeitablauf begründet grundsätzlich keinen wesentlichen Nachteil i.S.d. § 86b Abs. 2 S. 2 SGG, jedenfalls dann nicht, wenn der Zeitablauf nicht mit dem Eintritt vollendeter Tatsachen einhergeht, die auch bei einem Obsiegen in der Hauptsache nicht rückabgewickelt werden könnten. Ebendies hat die Antragstellerin aber nicht dargetan. Vielmehr hat sie im Beschwerdeverfahren sogar ausdrücklich darauf hingewiesen, dass sie vorliegend keine höheren Vergütungsansprüche geltend mache, sondern lediglich einen Anspruch auf Verhandlungen vergleichbar den Apotheken einfordere. Insoweit weist die Antragstellerin sogar selbst ausdrücklich darauf hin, dass ein derartiger Anspruch auf Verhandlungen nicht zwingend zu einer höheren Vergütung führe, als sie der XXXX-XXXX Vertrag der Antragsgegnerin vorsehe.

 

Etwas anderes ergibt sich auch nicht, soweit die Antragstellerin einwendet, die Weigerung der Antragsgegnerin, mit ihr in Verhandlungen entsprechend § 127 SGB V einzutreten, verletze sie in ihren Grundrechten aus Art. 12 Abs. 1 und 14 Abs. 1 GG und bedeute zudem eine Ungleichbehandlung i.S.d. Art. 3 Abs. 1 GG gegenüber Apotheken. Auch hier muss sich die Antragstellerin entgegenhalten lassen, dass sie die wesentlichen Nachteile nicht dargetan hat, die ihr aus den vermeintlichen Grundrechtseingriffen erwachsen sollen. Allein die vermeintliche Betroffenheit von Grundrechten genügt wiederum jedenfalls dann nicht, wenn hierdurch keine vollendeten Tatsachen geschaffen werden.

 

Auf das Vorliegen eines Anordnungsgrundes kann auch nicht verzichtet werden, weil der Anordnungsanspruch offensichtlich bestünde (zum insoweit „beweglichen System“ vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, 14. Aufl. 2023, § 86b Rn. 27 m.w.N.). Denn unabhängig davon, dass das Bestehen eines Anordnungsgrundes vorliegend zwar nicht von vorneherein ausgeschlossen ist, die damit verbundenen – schwierigen – Rechtsfragen in der Sache aber keineswegs geklärt, sondern offen sind (dazu bereits oben a), kann auch bei offensichtlichen Erfolgsaussichten in der Hauptsache auf einen Anordnungsgrund jedenfalls nicht gänzlich verzichtet werden (Burkiczak, a.a.O. Rn. 475, 476; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 13.08.2024 – L 11 KR 359/24 B ER, juris Rn. 42).

 

Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs. 1 S. 1 SGG i.V.m. § 155 Abs. 2 VwGO.

 

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).

Rechtskraft
Aus
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