Beitragsbemessung nach § 240 Abs. 4a SGB V - freiwillig versicherter hauptberuflich Selbständiger - Einführung von § 240 Abs. 4a SGB V zum 01.01.2018 ohne Übergangsregelung ist nicht verfassungswidirg, da keine überleitungsfähigen individuellen Ansprüche auf ein Beitragsguthaben besteanden. Im Ergebnis Anschluss an Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 17. Oktober 2024 L 9 KR 141/22-, Juris
I. Die Klage gegen die Bescheide der Beklagten vom 29.01.2022 und vom 15.02.2022 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19.05.2022 wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
T a t b e s t a n d :
Die Beteiligten streiten über die Höhe der Beiträge des Klägers zur Kranken- und sozialen Pflegeversicherung für das Kalenderjahr 2018.
Der am 1964 geborene Kläger ist von Beruf Rechtsanwalt und bei der Beklagten langjährig, seit dem 01.10.2009 als hauptberuflich Selbstständiger freiwillig kranken- und bei der Beigeladenen pflegeversichert.
Die Beiträge des Klägers wurden ab dem 01.03.2015 auf Grundlage des Einkommensteuerbescheides für 2013 vom 06.02.2015 anhand der Beitragsbemessungsgrenze festgesetzt.
Mit Bescheid vom 22.12.2017 teilte die Beklagte dem Kläger - auch im Namen der Beigeladenen - die neuen Beiträge für die Kranken- und Pflegeversicherung ab Januar 2018 wegen der Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze zum 01.01.2018 in Höhe von 772,17 Euro monatlich mit. Dabei wies sie auf die anstehende Gesetzesänderung bei der Beitragsfestsetzung hin, wonach ab dem 01.01.2018 die Beiträge bei Einkünften aus selbstständiger Tätigkeit und aus Vermietung und Verpachtung vorläufig anhand des letzten aktuellen Einkommensteuerbescheides bis zur Vorlage des Steuerbescheides für das entsprechende Kalenderjahr berechnet würden.
Mit Schreiben vom 05.01.2018 beantragte der Kläger unter Vorlage des Einkommenssteuerbescheides 2016 vom 03.01.2018 eine entsprechende Beitragsreduzierung. Die Beklagte setzte mit Bescheid vom 22.01.2018 die Beiträge ab dem 01.02.2018 unter Berücksichtigung der Einkünfte aus dem Einkommenssteuerbescheid 2016 anhand der gesetzlichen Mindesteinnahme für hauptberuflich Selbstständige vorläufig unter dem Vorbehalt der Korrektur nach Einreichung des Einkommenssteuerbescheides für das jeweilige Kalenderjahr in Höhe von 398,52 Euro monatlich fest. Der Kläger wurde gebeten, den maßgeblichen Einkommensteuerbescheid für das Kalenderjahr 2018 nach dessen Erhalt vorzulegen.
Mit Schreiben vom 11.11.2021 und vom 13.12.2021 forderte die Beklagte den Kläger auf, zur endgültigen Berechnung der Beiträge für das Kalenderjahr 2018 den Einkommensteuerbescheid für das Veranlagungsjahr 2018 einzureichen. Das Schreiben vom 13.12.2021 enthielt zusätzlich den Hinweis, dass die Beiträge anhand der geltenden Beitragsbemessungsgrenze 2018 endgültig festgesetzt würden, sofern der Einkommensteuerbescheid nicht bis zum Jahresende vorgelegt würde.
Da keine entsprechende Vorlage des Einkommensteuerbescheids für das Kalenderjahr 2018 erfolgte, sondern vielmehr mit Schreiben vom 14.12.2021 die Berechnung der Beiträge auf Basis des (ebenfalls geringeren) Einkommens für 2017 beantragt wurde, setzte die Beklagte mit Bescheid vom 29.01.2022 die Beiträge des Klägers auf der Grundlage beitragspflichtiger Einnahmen in Höhe der Beitragsbemessungsgrenze unter Berufung auf § 240 Abs. 4a Satz 4 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V), § 57 Abs. 4 Satz 1 Sozialgesetzbuch Elftes Buch (SGB XI) und § 6a Abs. 2 Satz 6 Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler (BVSzGs) endgültig in Höhe von 772,17 Euro monatlich fest und errechnete hieraus eine Nachzahlung in Höhe von insgesamt 4.110,15 Euro.
Hiergegen legte der Kläger Widerspruch mit Schreiben vom 05.02.2022 ein. Zur Begründung trug er vor, dass er im Jahr 2016 erheblich zu hohe Beiträge für die freiwillige Versicherung gezahlt habe. Aufgrund des umgehend vorgelegten Einkommensteuerbescheids für 2016 seien seine Beiträge mit Wirkung ab Februar 2018 reduziert worden. Diese Reduktion der Beiträge könne nicht nachträglich aufgehoben werden, nur weil sich zwischenzeitlich der formale Abrechnungsmodus geändert habe.
Die Beklagte verwies mit Schreiben vom 15.02.2022 auf die Gesetzesänderung mit Wirkung zum 01.01.2018 und teilte mit, dass sich die Gesamthöhe der Nachforderung aufgrund der endgültigen Berechnung der Beiträge für 2020 auf 2.705,07 Euro reduziere. Mit Bescheid vom 17.02.2022, ergänzt durch Bescheid vom 01.03.2022, setzte die Beklagte die Beiträge für 2020 aufgrund eingereichten Einkommensteuerbescheids für 2020 vom 17.01.2022 mit 714,94 Euro monatlich endgültig fest. Das sich aus der mit Bescheid vom 03.01.2020 erfolgten vorläufigen Festsetzung aus der Beitragsbemessungsgrenze in Höhe von 832,03 Euro monatlich errechnete Guthaben in Höhe von (117,09 Euro x 12 =) 1.405,08 Euro rechnete die Beklagte mit der Beitragsforderung für die Monate Januar 2018 bis Mai 2018 gemäß § 51 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) auf.
Mit Widerspruchsbescheid vom 19.05.2022 wies die Beklagte den Widerspruch gegen die Bescheide vom 29.01.2022 und vom 15.02.2022 zurück. Sie sei als Körperschaft des öffentlichen Rechts - wie alle anderen Krankenkassen auch - verpflichtet, die Vorgaben des Gesetzgebers umzusetzen. Eine Verwerfungskompetenz stehe ihr nicht zu. Insoweit sei die Beitragsbemessung ab dem Jahr 2018 nach der neu gefassten Regelung in § 240 Abs. 4a SGB V anzuwenden, auch wenn sie im Falle des Klägers im Vergleich zur geltenden Rechtslage bis zum 31. Dezember 2017 nachteilig sei.
Der gegen die Aufrechnung eingelegte Widerspruch vom 06.03.2022 wurde mit Widerspruchsbescheid vom 08.09.2022 zurückgewiesen.
Gegen diese Entscheidungen legte der Kläger mit Schriftsätzen vom 02.06.2022 und vom 07.10.2022 jeweils Klage beim Sozialgericht München ein.
Strittig seien die massiv überhöhten Beitragszahlungen des Klägers in Höhe von mindestens 4.110,15 Euro im Jahr 2016, welche dem Kläger durch die Beklagte entsprechend dem (begünstigendem) Bescheid vom 22.02.2018 im Einklang mit Recht und Gesetz zunächst ordnungsgemäß durch Herabsetzung der zukünftigen Beiträge "erstattet" worden seien. Dies sei unstreitig, ebenso die vorhergehende, massive Überzahlung von Mitgliedsbeiträgen im Jahre 2016, die nach geltender Rechtslage durch eine Art "Verrechnung sui generis" qua Reduzierung zukünftiger Beitragszahlungen - ein Barausgleich seitens der Krankenkasse sei bis heute niemals geleistet worden - zu erstatten gewesen seien und erstattet worden wären durch die Herabsetzung von Höchst- auf Mindestbeiträge.
Mit Bescheid vom 29.01.2022, also mehr als vier Jahre später, habe die Beklagte plötzlich die Rückerstattung dieser rechtmäßigen Erstattung aus dem Jahr 2018 für das Beitragsjahr 2016 rückgängig gemacht, indem sie eine "Nachzahlung" in Höhe von 4.110,15 Euro für das Beitragsjahr 2018 mit der überraschenden Begründung begehrt habe, dass im Jahre 2018 entsprechend den zwischenzeitlich festgestellten Einkommensverhältnissen des Klägers im Jahr 2018 zu geringe Beiträge für das Jahr 2018 gezahlt worden seien. Auf den unstreitigen Umstand, dass die Beklagte doch selbst im Einklang mit Recht und Gesetz sowie damaliger Praxis die Beiträge unter Berücksichtigung des unbestrittenen und zu keinem Zeitpunkt streitigen Erstattungsanspruchs des Klägers für überzahlte Beträge in 2016 per Bescheid vom 22.01.2018 festgesetzt habe, sei die Beklagte mit keinem Wort eingegangen. Stattdessen habe die Beklagte auf einer Rückerstattung der rechtmäßigen (Hin-)Erstattung und damit der (erneuten) Wiederherstellung der zwischen den Parteien unstreitigen, erheblichen - tatsächlich maximalen - Überbelastung des Klägers im Jahre 2016 insistiert. In diesem Jahr habe er Höchstbeiträge von knapp 850 Euro monatlich gezahlt, bei einem tatsächlichen Nettoeinkommen von unter 1.200 Euro monatlich als wesentlicher Alleinernährer einer vierköpfigen Familie mit zwei Kleinstkindern. Die Beklagte wolle ein Unrecht, das sie selbst im Einklang mit Recht und Gesetz mit begünstigendem Bescheid vom 22.01.2018 ausgeräumt habe, nach mehr als vier Jahren mit "Zins und Zinseszins" wieder ins unbestrittene "Unrecht" zurücksetzen mit der Begründung, der Gesetzgeber habe dies durch zwischenzeitliche Gesetzesänderung so angeordnet und ließe ihr keine andere Wahl. Diese willkürliche Rechtsauffassung der Beklagten sei evident unhaltbar, rechts- oder gar verfassungswidrig, sollte die verquere Annahme der Beklagte zu dem angeblichen gesetzgeberischen "Auftrag", erstattungsberechtigten Beitragszahlern ein "Sonderopfer" aufzuerlegen, tatsächlich zutreffen, wie mangels Eingriffsgrundlage des Gesetzgebers schon nicht vorstellbar sei. Der vermeintliche Vorwurf der Beklagten, der Versicherte habe für das Jahr 2018 keinen Einkommenssteuerbescheid vorgelegt, gehe offensichtlich völlig fehl und ins Leere. Denn die Beitragsherabsetzung mit Bescheid vom 22.01.2018 sei mit ausdrücklichem Bezug als Ausgleich für die frühere massive Überzahlung im Jahre 2016 erfolgt, und sei völlig unabhängig von einem erst Jahre später feststellbaren Einkommen im Jahr 2018 gewesen. Eine andere Ausgleichsmöglichkeit der nachgewiesenen Überzahlung von Beiträgen, wie es seit ehedem gehandhabt worden sei, gebe es nicht. Auch nach neuem Recht werde niemals ein Barausgleich gezahlt. Bei einer fehlenden Übergangsregelung bewirke der Gesetzgeber mit vorliegendem Vorgehen, entgegen seinem Bemühen um größere Beitrags- und Leistungsgerechtigkeit das Gegenteil, wenn über die Ausgleichsansprüche, die im Übergangsjahr bestünden und ausdrücklich anerkannt seien, einfach hinweg gewalzt würde. Die Verletzung von (Grund-)Rechten des Klägers sei durch eine bloße Verfahrensänderung für Beitragsfestsetzungen ab dem 1.1.2018 entstanden, die bestehende Ausgleichsansprüche des Versicherten aus Vorjahren ohne jede Anrechnungs- oder Übergangsregelung faktisch "ausgelöscht" habe - der Gesetzgeber hat seinerzeit die Problematik nicht einmal erwähnt -, und den Kläger damit zum zweiten Mal für dasselbe Beitragsjahr, in dem er sozialversicherungsrechtlich einkommenslos war, mit Höchstsätzen herangezogen. Schlimmer noch habe die Beklagte ihm Anfang 2018 mit Vorlage seines Steuerbescheides eine Rückerstattung tatsächlich gewährt, die sie dann vier Jahre(!) später mit dem angefochtenen Beitragsbescheid vom 28.01.2022 und der Begründung zurückgenommen habe, dass die Erstattung zu viel gezahlter Beiträge des Jahres 2016 mit Bescheid vom 22.01.2018 rechtlich nicht mehr möglich gewesen und zu Unrecht erfolgt sei. Dieses untragbare Ergebnis könne verfassungsrechtlich unter keinem Gesichtspunkt Bestand haben. Soweit das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg (Beschluss vom 17. Oktober 2024, L 9 KR 141/22 -, juris, Rdnr. 25 ff.) in einem ähnlichen Fall apodiktisch gemeint habe annehmen zu müssen, dass eine "Übergangsregelung nicht geboten sei, da das seit 1.1.2018 geltende Beitragsbemessungsrecht offensichtlich sachgerecht, willkürfrei und transparent sei", unterliege diese Feststellung eines nachgeordneten Fachgerichts einem schwerwiegenden Rechtsirrtum. Alles spreche dafür, dass die geänderte Verfahrensregelung im vorliegenden Fall einen enteignenden und gleichheitswidrigen Grundrechtseingriff begründe, und damit alles andere als "sachgerecht", "willkürfrei" und "transparent" sei. Das Klageverfahren sei auszusetzen und die streitentscheidende Verfahrensänderung mit Gesetz zum 01.01.2018 im Rahmen eines konkreten Normenkontrollverfahrens nach Art. 100 Abs. 1 Grundgesetz (GG) dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vorzulegen.
Die Beklagte gab im Hinblick auf die am 16.12.2023 in Kraft getretene Gesetzesänderung des § 240 Abs. 4a SGB V und Einführung des § 423 SGB V ein Anerkenntnis dahingehend ab, wonach die Beiträge des Klägers zur freiwilligen Krankenversicherung und sozialen Pflegeversicherung für den Zeitraum vom 01.02.2018 bis zum 31.12.2018 unter Zugrundelegung des Einkommensteuerbescheids für das Jahr 2018 festgesetzt würden. Dieses Anerkenntnis lehnte der Kläger ab, da für das Kalenderjahr 2018 auf das Einkommen im Kalenderjahr 2016 abzustellen sei.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung wurde die Sach- und Rechtslage eingehend erörtert. Der Kläger wendet sich zuletzt nur noch gegen die Beitragsfestsetzung für 2018.
Der Kläger beantragt,
die Beitragsfestsetzungsbescheide der Beklagten vom 29.01.2022 und vom 15.02.2022 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19.05.2022 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, die Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge für das Beitragsjahr 2018 unter Zugrundelegung des beitragspflichtigen Einkommens aus dem Einkommensteuerbescheid 2016 vom 03.01.2018 neu festzusetzen, und eine sich daraus ergebende Überzahlung auszuzahlen.
Die Beklagte und die Beigeladene beantragen,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte verweist darauf, dass die (zwangsweise) Festsetzung der Beiträge aus der Beitragsbemessungsgrenze für den streitgegenständlichen Zeitraum der ab Januar 2018 gültigen Rechtslage entspreche. Eine gesetzliche Übergangsregelung bestehe nicht, die eine Berücksichtigung des Einkommenseinbruchs aus 2016 ermögliche.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird zur Ergänzung des Tatbestands auf die Gerichtsakte sowie die beigezogenen Verwaltungsakten Bezug genommen.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
Im vorliegenden Rechtsstreit wurden zunächst mehrere Klagebegehren geltend gemacht, die wegen des sachlichen Zusammenhangs und des identischen Klagegegners gemäß § 56 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässigerweise in objektiver Klagehäufung gebündelt werden konnten. Die Klage hinsichtlich der Aufrechnung mit Bescheiden vom 17.02.2022 und vom 01.03.2022 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 08.09.2022 wurde im Termin zur mündlichen Verhandlung konkludent durch Beschränkung des Antrags auf die strittige Beitragsfestsetzung zurückgenommen (vgl. Schmidt in: Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, Sozialgerichtsgesetz, SGG, 14. Auflage 2023, § 102 Rdnr. 7b).
Zu entscheiden war daher nur noch über die angefochtene Beitragsfestsetzung für den Zeitraum vom 01.02.2018 bis 31.12.2018.
Die Klage ist zulässig, jedoch unbegründet.
I.
Die beim gemäß §§ 51 Abs. 1 Nr. 2, 57 Abs. 1 Satz 1 SGG sachlich und örtlich zuständigen Sozialgericht München eingelegte Klage gegen die Beitragsfestsetzungsbescheide der Beklagten vom 29.01.2022 und vom 15.02.2022 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19.05.2022 wurde nach erfolgloser Durchführung des Widerspruchsverfahrens (§§ 77, 78 Abs. 1 SGG) frist- und formgerecht gemäß §§ 87, 90 ff. SGG eingelegt. Sie ist als kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage und hinsichtlich der geltend gemachten Erstattung als Leistungsklage gemäß § 54 Abs. 1 und Abs. 5 SGG statthaft und zulässig.
II.
Die angefochtenen Bescheide erweisen sich jedoch als rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten. Die Beklagte hat die Beiträge des Klägers für den Zeitraum vom 01.02.2018 bis 31.12.2018 zu Recht endgültig aus der Beitragsbemessungsgrenze festgesetzt. Eine Heranziehung des im Einkommensteuerbescheid für das Kalenderjahr 2016 ausgewiesenen Einkommens ist nicht möglich.
Bei freiwilligen Mitgliedern in der gesetzlichen Krankenversicherung, wie vorliegend dem Kläger, werden nach § 240 Abs. 4a Satz 1 1. Halbsatz SGB V (in der ab 1. Januar 2018 geltenden Fassung des Art. 1 Nr. 16b Buchst. b Gesetz zur Stärkung der Heil- und Hilfsmittelversorgung [Heil- und Hilfsmittelversorgungsgesetz - HHVG] vom 4. April 2017, BGBl. I, S. 778) die nach dem Arbeitseinkommen zu bemessenden Beiträge auf der Grundlage des zuletzt erlassenen Einkommensteuerbescheides vorläufig festgesetzt. Die vorläufig festgesetzten Beiträge werden sodann nach Satz 3 auf Grundlage der tatsächlich erzielten beitragspflichtigen Einnahmen für das jeweilige Kalenderjahr nach Vorlage des jeweiligen Einkommensteuerbescheides endgültig festgesetzt.
Vorliegend hatte die Beklagte - wie bei allen im vorliegenden Rechtsstreit ergangenen Bescheiden jeweils auch im Namen der beigeladenen Pflegekasse - mit Bescheid vom 22.01.2018 die Beiträge des Klägers entsprechend dieser ab 1. Januar 2018 gültigen Rechtslage zunächst und ausdrücklich vorläufig festgesetzt. Hierbei hat sie zur Berechnung der vorläufigen Beiträge korrekt gemäß § 240 Abs. 4a 1 Satz 1 1. Halbsatz SGB V auf den damals vorliegenden aktuellsten Einkommensnachweis des Klägers, nämlich den am 03.01.2018 ausgestellten und umgehend vom Kläger eingereichten Einkommensteuerbescheid für das Kalenderjahr 2016, zurückgegriffen, und rechnerisch richtig die vorläufigen Beiträge des Klägers aus der Mindestbemessungsgrenze in Höhe von 398,52 Euro monatlich festgesetzt. Für die Beiträge zur sozialen Pflegeversicherung gilt dies gemäß § 57 Abs. 4 Satz 1 SGB XI i. V. m. § 1 Abs. 2 BVSzGs entsprechend. Gemäß § 240 Abs. 4a 1 Satz 1 2. Halbsatz SGB V erfolgte die vorläufige Festsetzung der Beiträge in dieser Höhe ab Beginn des auf die Ausfertigung folgenden Monats, nämlich ab Februar 2018.
Diese vorläufige Festsetzung der Beiträge mit Bescheid vom 22.01.2018 hat die Beklagte durch die mit den Bescheiden vom 29.01.2022 und vom 15.02.2022 erfolgte endgültige Festsetzung gemäß § 240 Abs. 4a Satz 3 SGB V (für die Beiträge zur sozialen Pflegeversicherung i. V. m. § 57 Abs. 4 Satz 1 SGB XI i. V. m. § 1 Abs. 2 BVSzGs) ersetzt. Eine Aufhebung oder Rücknahme der vorangegangenen vorläufigen Beitragsfestsetzung war nicht notwendig. Vorläufige Festsetzungen entfalten keinerlei Bindungswirkung und begründen auch keinen Vertrauensschutz für die endgültige Beitragsfestsetzung, sondern erledigen sich vielmehr kraft Gesetzes gemäß § 39 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) "auf andere Weise" durch den Erlass des endgültigen Verwaltungsakts (vgl. BSG, Urteil vom 22. März 2006- B 12 KR 14/05 R-, BSGE 96, 119-126, SozR 4-2500 § 240 Nr. 5, juris, Rdnr. 20; BSG, Urteil vom 30. März 2011 - B 12 KR 18/09 R - juris, Rdnr. 18; BSG, Urteil vom 18.01.2018 - B 12 KR 22/16, Rdnr. 25; Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 25. September 2023 - L 4 KR 1768/20 - juris, Rdnr. 27 m. w. N.; Landessozialgericht Baden-Württemberg, Beschluss vom 19. Juni 2024- L 4 KR 82/24-, Rdnr. 22, juris).
Die angefochtenen Beitragsbescheide vom 29.01.2022 und vom 15.02.2022 sind rechtlich nicht zu beanstanden. Die Beklagte ist gemäß § 240a Abs. 3 SGB V zur endgültigen Festsetzung auf Grundlage der tatsächlich erzielten beitragspflichtigen Einnahmen für das jeweilige Kalenderjahr nach Vorlage des jeweiligen Einkommensteuerbescheides verpflichtet. Da der Kläger seine tatsächlichen Einnahmen trotz entsprechender Aufforderung durch die Beklagte mit Schreiben vom 11.11.2021 und vom 13.12.2021 nicht innerhalb von drei Jahren nach Ablauf des Kalenderjahrs 2018, mithin bis zum 31.12.2021 nachgewiesen hat, hat die Beklagte berechtigterweise die vorläufig festgesetzten Beiträge unter Zugrundelegung beitragspflichtiger Einnahmen in Höhe der Beitragsbemessungsgrenze endgültig festgesetzt. Hieraus errechnete sich die geltend gemachte Nachzahlung aus der Differenz der endgültigen Monatsbeiträge in Höhe von 772,17 Euro monatlich und der vorläufigen Beiträge in Höhe von 398,52 Euro monatlich (= 373,65 Euro monatlich), somit in Höhe von insgesamt (11 x 373,65 Euro =) 4.110,15 Euro.
Von der durch die erfolgte Gesetzesänderung des § 240 Abs. 4a i. V. m. § 423 SGB V mit Wirkung ab 16.12.2023 bis 16.12.2024 (bzw. falls ein Einkommensteuerbescheid für ein Kalenderjahr bis zum Ablauf des 16. Dezember 2023 noch nicht erlassen wurde, innerhalb von zwölf Monaten nach Bekanntgabe des jeweiligen Einkommensteuerbescheides) eingeräumten Möglichkeit einer Neuberechnung der Beiträge unter Berücksichtigung des für das Kalenderjahr 2018 mit Einkommensteuerbescheid für 2018 ausgewiesenen Einnahmen (vgl. auch Anerkenntnis der Beklagten vom 10.01.2024) wollte der Kläger keinen Gebrauch machen, da er auf Grundlage der beitragspflichtigen Einnahmen für 2018 ohnehin Höchstbeiträge zu leisten gehabt hätte.
Für eine Berechnung der Beiträge ab 1. Januar 2018 unter Heranziehung des Einkommensteuerbescheids für 2016 bietet die neue Rechtslage keine Grundlage. Die gesetzliche Regelung in § 240 Abs. 4a SGB V ist vom Wortlaut her so eindeutig und klar, dass das vom Kläger gewünschte Ergebnis nicht durch eine entsprechende Auslegung (sei es etwa durch teleologische Reduktion oder analoge Anwendung usw.) erreicht werden kann. Das Gericht darf sich auch nicht durch die Kreierung eines vom Gesetzgeber nicht geschaffenen Anspruchs oder - wie hier - einer fehlenden Übergangsregelung aus der Rolle des Normanwenders in die einer normsetzenden Instanz zu begeben (vgl. BVerfG vom 07.11.2005 - 1 BvR 1178/05 = BVerfGK 6, 323 = juris Rdnr. 11). Die Fachgerichte sind vielmehr, wenn sie von der Verfassungswidrigkeit einer Norm überzeugt sind, zur Vorlage an das Bundesverfassungsgericht gemäß Art. 100 Abs.1 Satz 1 Grundgesetz (GG) verpflichtet.
Vorliegend sieht sich die Kammer indes nicht zu einer Vorlage an das Bundesverfassungsgericht veranlasst. Sie ist nicht im Sinne von Art. 100 Abs. 1 GG davon überzeugt, dass die einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen des Beitragsrechts gemäß § 240 Abs. 4a SGBV verfassungswidrig sind. Sie teilt insoweit die Auffassung des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg (Beschluss vom 17. Oktober 2024 - L 9 KR 141/22 -, juris, Rdnr. 28), dass die neue Beitragsbemessungsmethode ab 1. Januar 2018 "offensichtlich sachgerecht, willkürfrei und transparent" ist. Mit der nunmehr erfolgenden jahresgenauen Beitragsbemessung auf Grundlage des jeweiligen Einkommensteuerbescheides nach zunächst vorläufiger Beitragsfestsetzung wird die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Versicherten den jeweiligen Einkommensverhältnissen entsprechend abgebildet und nicht durch Zufälligkeiten verzerrt, wie sie bisher etwa durch eine (gleich aus welchem Grund) verzögerte Einreichung der Einkommensteuererklärung durch die Versicherten oder die Bearbeitungszeiten der Finanzverwaltung entstehen konnte (vgl. BT-Drs. 18/11205, S. 71).
Auch das Fehlen einer Übergangsregelung führt zur Überzeugung der Kammer nicht zur Verfassungswidrigkeit.
Nach der bis zur Gesetzesänderung 2018 gültigen Rechtslage wurden bei hauptberuflich selbstständig Erwerbstätigen die zu verbeitragenden Einnahme auf Basis des jeweils zuletzt vorliegenden Einkommensteuerbescheids berücksichtigt. Veränderungen der Beitragsbemessung auf Grund eines vom Versicherten geführten Nachweises nach § 240 Abs. 4 Satz 2 SGB V a. F. (d. h. eines neuen Einkommensteuerbescheids) wurden gemäß § § 240 Abs. 4 Satz 6 SGB V a. F. nur für die Zukunft wirksam, nämlich zum ersten Tag des auf die Vorlage des Nachweises folgenden Monats.
Das BSG (Urteil vom 22. März 2006- B 12 KR 14/05 R-, BSGE 96, 119-126, SozR 4-2500 § 240 Nr. 5, juris, Rdnr. 16) hat hierzu ausgeführt:
"Offensichtlich ist auch, dass die tatsächlich erzielten Einnahmen bei den hauptberuflich Selbstständigen in der Regel nur zeitversetzt berücksichtigt werden können. Zur Beitragsbemessung ist das Arbeitseinkommen i. S. von § 15 Abs. 1 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung - (SGB IV) und damit der Gewinn aus der selbstständigen Tätigkeit, ermittelt nach den allgemeinen Gewinnermittlungsvorschriften des Einkommenssteuerrechts, heranzuziehen (vgl. hierzu Urteil des Senats vom 26. September 1996 - 12 RK 46/95 - BSGE 79, 133, 138 ff = SozR 3-2500 § 240 Nr. 27 S 102 ff), der nicht vor Schluss des Kalenderjahres feststeht. Es können deshalb nur die Einnahmen eines bereits vergangenen Zeitraums i. S. von § 240 Abs. 4 Satz 2 SGB V nachgewiesen werden, die dann als laufende Einnahmen solange bei der Beitragsfestsetzung berücksichtigt werden, bis ein neuer Einkommensnachweis vorliegt. Diese Folge der Regelung ist im Gesetzgebungsverfahren auch erkannt worden. Nach dem Bericht des Bundestagsausschusses für Gesundheit sollte die Beitragsbemessung nach niedrigeren Einnahmen als in Höhe der Beitragsbemessungsgrenze nur bei deren Nachweis, z. B. durch die Vorlage des Einkommensteuerbescheides, erfolgen (vgl. BT-Drucks 12/3937 S 17), was voraussetzt, dass ein vergangenheitsbezogener Einkommensnachweis wie der Steuerbescheid Grundlage für eine zukunftsbezogene Beitragsfestsetzung ist."
Die damit lediglich zeitversetzt erfolgende Berücksichtigung der tatsächlichen Einnahmen der hauptberuflich selbstständig Erwerbstätigen wurde vor dem Hintergrund als gerechtfertigt angesehen, dass auf einen längeren Zeitraum betrachtet der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zutreffend Rechnung getragen würde, da ein Ausgleich der wechselnden Einnahmen erfolge, weil nicht nur eine nachgewiesene Erhöhung der Einnahmen, sondern auch eine nachgewiesene Verringerung für die zukünftige Beitragsfestsetzung jeweils bis zum Nachweis der nächsten Änderung berücksichtigt werde (vgl. nochmals BSG, Urteil vom 22. März 2006 , a. a. O., juris, Rdnr. 19; Hessisches Landessozialgericht, Urteil vom 27. April 2017 - L 1 KR 294/15 -, juris, Rdnr. 45,).
Wie der Kläger selbst bereits in seiner Klagebegründung vom 26.07.2022 zutreffend ausgeführt hat, wurden "überzahlte Beiträge" jedoch nie ausgezahlt - und auch nie Beiträge nachgefordert (anders als aufgrund der neuen Rechtslage). Denn es entstanden tatsächlich nie Beitragsguthaben oder Beitragsnachforderungen, da die Vorlage des Einkommensnachweises immer nur zukunftsgerichtet ab dem Folgemonat wirksam wurde. Dieses Prozedere der Beitragsbemessung diente vor allen Dingen der Verwaltungspraktikabilität, um eine sinnvolle und gleichzeitig nicht zu aufwändige Ermittlung der Gewinneinkünfte von Selbstständigen zu ermöglichen. Der Gedanke, dass im Laufe einer langjährigen Mitgliedschaft eines freiwillig Versicherten bei zeitversetzter Berücksichtigung der Einnahmenseite (regelmäßig) quasi ein Ausgleich erfolgen würde, steht als Rechtfertigung hinter der allgemein-pauschalisierenden gesetzlichen Regelung, konstituiert jedoch keine Individualansprüche für eine Einzelfallgerechtigkeit. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber die Zahlung des Höchstbeitrags als Regelfall angesehen hat. Die vorbeschriebene Vorgehensweise der Beitragsberechnung nach alter Rechtslage begründete keinerlei individuellen (einklagbaren) Ansprüche auf ein "Guthaben" (oder eine Berechtigung der Krankenkasse zur Nachforderung von Beiträgen).
Aufgrund der gesetzlichen Änderung ab 1. Januar 2018 wird dem Kläger somit keine Rechtsposition "weggenommen". Es gibt in rechtlicher Hinsicht, anders als in rein wirtschaftlicher Betrachtungsweise, keine Zahlung überhöhter Beiträge seitens des Klägers im Kalenderjahr 2016, da der Kläger die Beiträge für dieses Jahr entsprechend der damals gültigen Rechtslage aus der Beitragsbemessungsgrenze bezahlt hat. Auch im vergleichbaren Fall einer Beendigung der freiwilligen Krankenversicherung (etwa wegen eines Wechsels in ein Angestelltenverhältnis) wäre keine nachgelagerte Beitragsreduzierung erfolgt und ein "Guthaben" ausgezahlt worden oder umgekehrt eben auch keine nachgelagerte Beitragserhöhung und entsprechende Nachforderung durch die Krankenkasse. Einer Übergangsregelung, die bereits erworbene Ansprüche in neues Recht überleitet, bedarf es daher nicht. Es liegt damit kein enteignender Eingriff i. S. d. Art. 14 Abs. 1 GG und auch keine sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung i. S. d. Art. 3 GG gegenüber freiwillig Versicherten vor, die nach den tatsächlichen Einkommensverhältnissen höhere Beiträge hätten zahlen müssen, als sie auf Grundlage des jeweils vorliegenden Einkommensteuerbescheids bezahlt haben.
Im Übrigen waren und sind Versicherte mit Einkommenseinbrüchen auch nicht vollkommen handlungsunfähig. Gemäß § 6 Abs. 3a BVSzGs bestand und besteht die Möglichkeit, durch Vorlage eines Vorauszahlungsbescheids oder, falls Vorauszahlungen nicht zu entrichten sind, eines geeigneten Nachweises der Finanzverwaltung, eine unverhältnismäßige Belastung durch die Beitragsbemessung anhand des vorliegenden Einkommensteuerbescheids geltend zu machen und eine (zunächst vorläufige) Beitragsberechnung auf Grundlage der voraussichtlichen niedrigeren Einnahmen zu beantragen.
Eine Rücknahme des Bescheids, mit dem die Beiträge für 2016 festgesetzt wurden, nach § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) ist nicht möglich, da die Beitragsfestsetzung aus der Beitragsbemessungsgrenze aufgrund des damals vorliegenden Einkommensteuerbescheids der zu diesem Zeitpunkt gültigen Rechtslage entsprach.
Eine rückwirkende Anwendung des § 240 Abs. 4 Satz 1 SGB V, wonach die Krankenkasse für Zeiträume, für die ihr hinreichende Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die beitragspflichtigen Einnahmen des Mitglieds die jeweils anzuwendende Mindestbeitragsbemessungsgrundlage nicht überschreiten, die Beiträge des Mitglieds neu festzusetzen hat, kommt nicht in Betracht. Das neue Recht gilt vollumfänglich erst ab 2018. Denn wenn es - wie hier - an einer ausdrücklichen Übergangsregelung fehlt, ist eine Neuregelung nach dem intertemporalen Sozialrecht nur auf solche Sachverhalte anwendbar, die sich vollständig nach Inkrafttreten des neuen Rechts verwirklicht haben (BSG Urteil vom 22.6.2010 - B 1 KR 29/09 R - SozR 4-2500 § 275 Nr. 4 Rdnr. 13 f.; BSG, Beschluss vom 13. November 2018 - B 12 KR 31/18 B -, Rdnr. 7, juris; vgl. auch Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 17. Oktober 2024 - L 9 KR 141/22 -, juris, Rdnr. 28).
Die Klage konnte keinen Erfolg haben und war daher abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 Abs. 1 Satz 1 SGG und trägt dem Ausgang des Verfahrens Rechnung.