Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 14.03.2022 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Feststellung eines Grades der Behinderung (GdB) von mindestens 50 streitig.
Die 1964 geborene Klägerin beantragte am 28.04.2020 erstmals die Feststellung von Behinderungen nach SGB IX und verwies zur Begründung auf eine Angststörung, eine Depression, einen Bandscheibenvorfall in der Halswirbelsäule (HWS) mit Z.n. Operation, ein Kolonadenom mit Z.n. Kolonperforation sowie ein chronisches Schmerzsyndrom. Der Beklagte holte verschiedene ärztliche Befundberichte ein, unter anderem einen Rehaentlassungsbericht vom 07.01.2020 der Fachklinik S1 über eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme vom 10.12.2019 bis zum 31.12.2019 (Diagnosen: Darmperforation nach Koloskopie mit Nachresektion des Adenombettes am 11.11.2019, Z.n. Excision der Perforationsstelle und Übernähung im Kolon am 13.11.2019, Z.n. Koloskopie mit Polypektomie eines tubulovillösen Adenoms am 18.07.2019 sowie einen Z.n. Bandscheibenersatz, teils Metall bei Bandscheibenvorfall).
W1 kam in einer versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 20.07.2020 zum Ergebnis, dass die Funktionsbehinderung der Wirbelsäule und der operierte Bandscheibenschaden mit einem Teil-GdB von 20 und die seelische Störung sowie das chronische Schmerzsyndrom ebenfalls mit einem Teil-GdB von 20 zu bewerten seien. Das (benigne) Kolonadenom mit Z.n Kolonperforation und Divertikulose, die Gonarthrose sowie die Tendinitis des linken Handgelenks bedingten jeweils keinen Teil-GdB von mindestens 20. Der GdB betrage insgesamt 30.
Mit Bescheid vom 27.07.2020 stellte der Beklagte der versorgungsärztlichen Stellungnahme von W1 folgend einen GdB von 30 seit 28.04.2020 fest.
Die Prozessbevollmächtigte der Klägerin legte hiergegen am 19.08.2020 Widerspruch ein und trug zur Begründung vor, dass die Klägerin unter einer Antriebsstörung, diffusen Ängsten, einer Grübelneigung und einer Schlafstörung leide. Der Einzel-GdB sei mit mindestens 30 bis 40 angemessen. Hinsichtlich der Wirbelsäule seien die wesentlichen Einschränkungen im Alltag außer Acht gelassen worden. Bereits das Tragen und Heben von leichten Gegenständen sei nicht möglich. Die Gonarthrose und Degeneration der Halswirbelsäule seien nicht bewertet worden. Unter den Folgen der Darmperforation leide die Klägerin bis heute.
Der Beklagte befragte daraufhin den B1, die P1 sowie den W2 zum Gesundheitszustand. Nach Auswertung der neu eingeholten Arztberichte gelangte S2 in einer versorgungsärztlichen Stellungnahme zu folgender Beurteilung:
- Teil-GdB 20: Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, operierter Bandscheibenschaden,
- Teil-GdB 30: Seelische Störung, chronisches Schmerzsyndrom,
- Teil-GdB 20: Funktionsbehinderung des rechten Hüftgelenks, Knorpelschäden am
rechten Kniegelenk.
Der GdB betrage insgesamt 40.
Mit Teil-Abhilfebescheid vom 10.12.2020 stellte der Beklagte einen GdB von 40 seit 28.04.2020 mit den oben genannten Funktionseinschränkungen fest.
Nachdem sich die Prozessbevollmächtigte der Klägerin hiermit mit Schreiben vom 14.01.2021 nicht einverstanden erklärte, nahm S2 erneut versorgungsärztlich zum Gesamt-GdB Stellung. Danach sei von einer Überschneidung des chronischen Schmerzsyndroms mit den Behinderungen im Bereich des Bewegungsapparates auszugehen. Ein GdB von 40 sei insgesamt angemessen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 09.02.2021 wies der Beklagte den Widerspruch zurück.
Am 11.03.2021 hat die Prozessbevollmächtigte der Klägerin Klage zum Sozialgericht Mannheim (SG) erhoben. Sie hat vorgetragen, dass die Klägerin an einer spezifischen Phobie in Verbindung mit einem Reizdarmsyndrom sowie einer Somatisierungsstörung leide. Es bestehe eine komplexe Angststörung mit rezidivierenden ängstlichen und depressiven Krisen. Infolgedessen sei der emotionale und soziale Bereich durch starkes Angsterleben bis hin zu absoluter Vermeidung angstbesetzter Situationen anderer Menschen geprägt. Das soziale Leben sei erheblich verarmt und sie habe sich von den meisten Freizeitaktivitäten zurückgezogen. Nicht berücksichtigt seien die Beschwerden am rechten Fuß.
Zur Aufklärung des medizinischen Sachverhalts hat das SG die behandelnden Ärzte der Klägerin schriftlich als sachverständige Zeugen befragt.
W2 hat am 31.05.2021 mitgeteilt, aus gastroenterologischer Sicht bestehe nur eine geringfügige Minderung des Gesundheitszustandes. Er gehe von einer „Minderung der Erwerbsfähigkeit“ von 0 bis 20 aus.
B2 hat unter dem 17.06.2021 ausgeführt, im Bereich der HWS und der Fußwurzel bestünden mittelgradige Veränderungen. Durch die Plantarfasziitis und die Fußwurzelarthrosen seien die Gehstrecke und die allgemeine Mobilität reduziert. Eine Behandlung des Hüftgelenkes und Knies sei bei ihr nicht erfolgt. Die Funktionsbehinderung der Wirbelsäule mit operiertem Bandscheibenschaden bedinge einen GdB von 20, das chronische Schmerzsyndrom mit seelischer Störung einen GdB von 30. Ein Gesamt-GdB von 40 sei weiterhin gerechtfertigt.
P1 hat in ihrer Stellungnahme vom 01.07.2021 folgende Diagnosen genannt: chronischer Schmerzpatient, rezidivierende depressive Episode, Angsterkrankung, Bauchwandbruch, Restless Legs, Fersensporn, Kopfschmerzen, OP Bandscheibenschaden. Die Depression und Angsterkrankung seien jeweils schwer.
B1 hat am 22.07.2021 mitgeteilt, aufgrund des Reizdarmsyndroms würden gefährdete Situationen, wann immer möglich, von der Klägerin vermieden, was zu einem sozialen Rückzug und weitreichenden Einschränkungen der Mobilität führe. Hinzu komme eine spezifische Phobie, der Schweregrad auf seinem Fachgebiet sei sehr schwer.
Vom 16.09.2021 bis 22.10.2021 hat sich die Klägerin in teilstationärer Behandlung im Psychiatrischen Zentrum N1 (PZN) befunden. Nach dem vorläufigen Entlassungsbericht vom 17.11.2021 wurden die Diagnosen Agoraphobie, ohne Angabe einer Panikstörung sowie rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig schwere Episode ohne psychotische Symptome gestellt. Die Entlassung ist in ausreichend stabilem Zustand erfolgt.
Das SG hat ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten bei N2 eingeholt, der die Klägerin am 07.12.2021 untersucht hat. In seinem Gutachten vom 08.12.2021 hat er eine Angst und depressive Störung gemischt sowie ein degeneratives Cervicalsyndrom bei Zustand nach HWS-Operation ohne Wurzelreiz- oder Ausfallsyndrome diagnostiziert. Die aus der Angst und depressiven Störung, gemischt, resultierende psychische Beeinträchtigung sei einem mittelschweren Grad zuzuordnen; die Beeinträchtigung als Folge des cervicalen Bandscheibenschadens einem leichten bis mäßiggradigen Schweregrad. Den GdB für die seelische Störung unter Einschluss des Schmerzsyndroms hat er mit 30 eingeschätzt, das Cervicalsyndrom mit 20.
Das SG hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 14.03.2022 abgewiesen. Im Hinblick auf die in der gutachterlichen Untersuchung erhobenen Befunde sei der Teil-GdB von 30 sachgerecht und angemessen. In der Langzeitbetrachtung der psychischen Erkrankung ergebe sich kein Anhalt für eine schwere Störung mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten, die einen GdB
von 50 rechtfertigen würde. Zwar habe zwischenzeitlich eine erhebliche Verschlechterung stattgefunden, die einen teilstationären Aufenthalt im PZN notwendig gemacht habe, weswegen dort auch von einer gegenwärtig schweren depressiven Episode ausgegangen worden sei. Ein Zustand, der länger als sechs Monate und immer noch anhalte, lasse sich daraus jedoch nicht ableiten. Angesichts des weitgehend unauffälligen psychopathologischen Befundes halte es die Kammer für zutreffend, den Bewertungsrahmen zwischen 30 bis 40 nicht auszuschöpfen. Die Erkrankung verlaufe phasenweise, zum Zeitpunkt der Begutachtung habe die Klägerin wieder am Erwerbs- und sozialen Leben teilgenommen, während in den Monaten zuvor ein sozialer Rückzug von ihr beschrieben worden sei. Angesichts des schwankenden Krankheitsverlaufes sei im Durchschnitt ein Teil-GdB von 30 anzunehmen.
Für den Funktionsbereich Darm und Reizdarmsyndrom sei ein Teil-GdB von 10 festzustellen. In seiner sachverständigen Zeugenaussage vom 31.05.2021 habe W2 eine Gewichtszunahme von 10 kg mitgeteilt, was für eine problemlose Aufnahme der Nahrung spreche. Neben einer gering ausgeprägten Sigmadivertikulose sei keine entzündliche Darmerkrankung nachweisbar gewesen. Wesentliche Darmbeschwerden hätten nicht bestanden. Dementsprechend habe er die Funktionsbeeinträchtigung als geringfügig bezeichnet. Die Bauch- und Verdauungsprobleme entstünden in der Regel in die Klägerin stressenden Situationen, wenn sie das Haus beispielsweise verlassen müsse, und seien somit auch mit der psychischen Erkrankung verbunden. Die Angst der Klägerin, nicht rechtzeitig eine Toilette aufsuchen zu können, sei im Rahmen der psychischen Erkrankung berücksichtigt.
Für die Wirbelsäule sei ein Teil-GdB von 20 anzunehmen. Es lägen mittelgradige Bewegungseinschränkungen in der HWS vor. Die Lumboischialgie sei von B2 gegenüber dem Gericht nicht mehr genannt worden. Da allerdings auch keine Bewegungseinschränkungen an der LWS erhoben worden seien, sei allenfalls von einer leichten Einschränkung der LWS auszugehen. Mittelgradige funktionelle Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt, worunter auch die Gebrauchseinschränkung des Armes falle, ergäben nach den VG Ziff. 18.9 einen Teil-GdB von 20. Schwere funktionelle Auswirkungen an der HWS oder in mehreren Wirbelsäulenabschnitten lägen nicht vor. Für die Knie und Hüfte sei ein Teil-GdB mit 10 anzunehmen. Zu den Knien habe P1 im Verwaltungsverfahren am 22.10.2020 ausgeführt, es bestünden Knieschmerzen rechts, dadurch Schonhaltung mit hinzukommenden Hüftschmerzen rechts, regelmäßige Knieschwellung nach täglicher Überlastung im Beruf/Alltag, tägliche Schmerzmedikation. Bei der Orthopädin sei die Klägerin diesbezüglich nicht in Behandlung. Bewegungseinschränkungen nach den VG Ziff. 18.14 sowohl der Hüfte als auch der Kniegelenke, die einen Teil-GdB von mindestens 20 ergeben würden, seien weder belegt noch vorgetragen. Für die Funktionsbeeinträchtigung an beiden Füßen komme ein Teil-GdB von maximal 20 zur Anwendung. Eine Bewegungseinschränkung der Sprunggelenke mittleren Grades (Heben/Senken bis 0/0/30°), wofür ein Teil-GdB von 20 angenommen werden könne, sei nicht dokumentiert. Ein Spreizfuß ohne wesentliche statische Auswirkungen sei nach den VG Ziff. 18.14 mit keinem GdB, bei einer statischen Auswirkung geringen Grades mit einem Teil-GdB von 10 und stärkeren Grades mit 20 zu bewerten. Aufgrund der mitgeteilten Befunde könne allenfalls ein Teil-GdB von 20 für die beiden Füße erhoben werden. Die Fußwurzelarthrose habe Auswirkungen auf die Gehstrecke, sodass von statischen Einschränkungen ausgegangen werden könne.
Der höchste Einzel-GdB liege bei 30. Hinzu komme ein Teil-GdB von 20 für die Wirbelsäule und ein Teil-GdB von maximal 20 für die Fußwurzelarthrose. Gehe man von dem Teil-GdB von 30 für die psychische Beeinträchtigung aus, die die Haupteinschränkung darstelle, entspreche der GdB von 40 den rechtlichen Vorgaben der VG. Der Teil-GdB von 20 für die beiden Füße sei hoch angesetzt und allein mit den von den VG hierfür geforderten Bewegungsmaßen nicht zu erreichen. Nach Überzeugung der Kammer führe dieser Teil-GdB nicht zur Erhöhung des Gesamt-GdB auf 50. Denn es handele sich hierbei um eine objektiv leichte Gesundheitsstörung, die die Klägerin gleichwohl subjektiv belaste, weswegen nicht automatisch auf eine wesentliche Zunahme der Gesamtbehinderung zu schließen sei. Der Beklagte habe den Gesamt-GdB zutreffend bewertet.
Die Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat gegen den ihr am 15.03.2022 zugestellten Gerichtsbescheid am 08.04.2022 Berufung beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt. Der Klägerin sei ein GdB von 50 zuzusprechen. Der Krankheitsverlauf der Klägerin sei unter Berücksichtigung der Krankheitsverarbeitung, der Intensität und Ernsthaftigkeit der bisherigen Behandlungsmaßnahmen und der Ergebnisse als schwer einzustufen. Die Diagnosestellung des Gutachters erscheine als nicht angemessen in Bezug auf die Erkrankung der Klägerin. Sowohl die Schmerz- als auch die Beschwerdeanamnese seien als erheblich einzustufen. Die Aktivitäten des täglichen Lebens fänden sehr eingeschränkt statt, eine Partizipation in verschiedenen Lebensbereichen fehle im Prinzip vollständig. Zwar sei der psychopathologische Befund zufriedenstellend, der Gutachter habe jedoch die Konsistenzprüfung, also den Abgleich der anamnestischen Angaben mit dem Akteninhalt, zulasten der Klägerin vorgenommen. Die Konklusion, dass bei der Klägerin lediglich eine leichte Form der Angst- und Depressionsstörung vorliege, könne nicht geteilt werden. Dies würden auch die bisherigen Diagnosen und der Verlauf des Leidens nicht hergeben. Das Gutachten beziehe den Leidensdruck und den Leidensweg der Klägerin zu wenig in die Diagnose ein, der Schwerpunkt werde zu sehr auf die Begutachtungssituation gelegt, die aber erfahrungsgemäß als besondere Situation eingestuft werden müsse, in welcher der Proband durchaus agiler und aktiver erscheinen könne. Ausweislich der Erhebung der Lebensumstände habe sich die Klägerin trotz erheblicher psychischer Einschränkungen seit 2006 redlich bemüht, das Arbeitsleben fortzuführen und sei aufgrund der körperlichen Erkrankungen aus dem Rhythmus geworfen worden. Hier müsse die körperliche Erkrankung in Zusammenhang mit der psychischen Erkrankung gesehen werden, die sich offensichtlich beide verstärkten. Sowohl die orthopädischen als auch die Erkrankungen des Magen-Darm-Bereiches seien als erheblich insofern einzustufen, als dass sie die Teilhabe am Leben erheblich einschränkten. Dies wiederum verstärke die psychische Angst- und Depressionserkrankung. Eine umfassende Sicht auf die multiplen vorliegenden Funktionseinschränkungen und Belastungen der Klägerin sei durch das SG nicht erfolgt. Es sei lediglich dargelegt worden, dass die Berechnung des Beklagten richtig erfolgt sei. Das SG habe sich auf formelhafte Formulierungen bezogen, die mit dem Einzelfall der Klägerin in keinem Zusammenhang stünden.
Die Einschränkungen der Klägerin seien im Zusammenhang zu sehen. Die Bewegungseinschränkungen in der Halswirbelsäule, der Hüfte, dem Knie und den Füßen sowie die Reizdarmproblematik und die gesichert vorliegende Depression verstärkten sich gegenseitig. Keinesfalls seien die einzelnen Einschränkungen durch andere konsumiert worden. Vielmehr sei es so, dass sich die Teilhabeeinschränkungen der Klägerin potenzierten und zu einer Einschränkung im Bereich von einem GdB von 50 führten. Die Bewegungseinschränkungen verstärkten die psychische Erkrankung ebenso wie die Reizdarmproblematik. Die psychische Erkrankung sowie das chronische Schmerzsyndrom verstärkten wiederum die orthopädischen Einschränkungen der Klägerin. Es werde darauf hingewiesen, dass das SG allein auf eingeholte Befundberichte keine gerichtliche Entscheidung stützen könne. Es seien medizinische Sachverständigengutachten einzuholen. Das Gutachten des N3 im vorliegenden Fall sei nicht ausreichend gewesen. Insbesondere habe es unter fehlerhaften Schlussfolgerungen des Gutachters gelitten, die auch gerügt worden seien. Es sei nicht ersichtlich, dass das Gericht dem Gutachter die Einwendungen vorgelegt habe.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 14.03.2022 sowie den Bescheid des Beklagten vom 27.07.2020 in der Gestalt des Teil-Abhilfebescheides vom 10.12.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.02.2021 aufzuheben und einen GdB von 50 festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Beklagte hat zur Berufungserwiderung auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Gerichtsbescheides verwiesen, der sich detailliert mit den beigezogenen Befundunterlagen und dem eingeholten Gutachten von N2 auseinandergesetzt habe. Der Beklagte halte diese Beurteilung für zutreffend.
Die Berichterstatterin hat das Verfahren am 01.08.2022 mit den Beteiligten nicht öffentlich erörtert.
Der Senat hat Beweis erhoben durch schriftliche Vernehmung der die Klägerin behandelnden Ärzte als sachverständige Zeugen.
E1 hat mit Schreiben vom 16.08.2022 mitgeteilt, dass er die Klägerin am 20.03.2018, 26.06.2018, 19.05.2020, 21.07.2020, 11.08.2021 sowie letztmalig am 31.01.2022 behandelt und eine generalisierte Angststörung und eine somatoforme autonome Funktionsstörung diagnostiziert habe. Zuletzt habe die Klägerin über stabile psychische Verhältnisse berichtet, so dass von einer geringer behindernden Störung ohne erkennbare erhebliche Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit auszugehen sei.
B2 hat mit Schreiben vom 30.08.2022 ausgeführt, dass sie die Klägerin im Jahr 2022 bereits sieben Mal, zuletzt am 27.07.2022 behandelt habe. Es lägen als Diagnosen eine Gonarthrose rechts, eine Rhizarthrose beiderseits, DIP-Arthrosen der Finger beiderseits, eine Anschlussdegeneration der Halswirbelsäule bei Z. n. Cage-Implantation C5/6, eine Spreizfußdeformität links, eine Großzehengrundgelenksarthrose links, eine Fußwurzelarthrose beiderseits, eine ACG-Arthrose und beginnende Omarthrose links mit Impingement der linken Schulter sowie mäßige Spondylarthrosen der Lendenwirbelsäule vor. Die Gonalgie rechts sowie die Bewegungseinschränkung und das Impingement des linken Schultergelenks hätten sich im Vergleich zu Juni 2021 verschlechtert. Der GdB betrage 30 für die Befunde an der HWS. Für die Gelenke (Kniegelenk rechts, Schultergelenk links und Hände beiderseits) könne von einer MdE von jeweils 10 ausgegangen werden. Der Gesamt-GdB könne in der Höhe von 40 - 50 festgelegt werden.
B1 hat mit Schreiben vom 28.09.2022 angegeben, dass er die Klägerin am 21.01.2022, 09.02.2022, 09.03.2022, 18.05.2022, 01.06.2022, 06.07.2022 und zuletzt am 03.08.2022 behandelt habe. Die Klägerin leide unter depressiven Verstimmungen, Überforderungsgefühlen im privaten Umfeld, multiplen Ängsten, spezifischen Phobien, Zukunftsängsten, chronischen Schmerzzuständen und einer Überforderung am Arbeitsplatz. Er habe eine rezidivierende depressive Störung, eine generalisierte Angststörung, eine spezifische Phobie sowie eine Somatisierungsstörung diagnostiziert. Es liege eine stärker behindernde Störung mit sozialen Anpassungsschwierigkeiten und wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit sowie eine schwergradige soziale Anpassungsschwierigkeit mit weitgehendem Rückzug aus Freizeitaktivitäten und grenzkompensierter Arbeitsfähigkeit vor. Auf orthopädischem Fachgebiet hätten sich die Schmerzintensität und in der Folge der Schmerzmittelgebrauch erhöht.
Die Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat mit Schreiben vom 17.10.2022 einen radiologischen Befundbericht vom 22.09.2022 über ein MRT der HWS eingereicht. Darin werden geringe osteodiskogene Bandscheibenveränderungen C3/4 und C4/5, unauffällige Verhältnisse C5/6 bei Z.n. Cage-Implantation, eine Bandscheibenhöhenminderung mit mäßig entzündlich aktivierter Osteochondrose C6/7, osteodiskogene Bandscheibenveränderungen mit Unkovertebralarthrosen und mäßig neuroforaminalen Engen bds., keine wesentliche spinale Enge, kein Prolaps, geringe Spondylarthrosen und eine Streckfehlhaltung der HWS diagnostiziert.
Der Beklagte hat mit Schreiben vom 10.02.2023 eine versorgungsärztliche Stellungnahme vom 03.02.2023 von B3 eingereicht, wonach sich ein GdB von 50 derzeit bei der Klägerin nicht begründen lasse.
Der Senat hat S3 mit der Erstellung eines orthopädischen Gutachtens beauftragt. In seinem am 09.02.2024 erstellten Gutachten hat S3 folgende Diagnosen gestellt:
- degeneratives HWS-Syndrom mit Zustand nach Fusion des Bewegungssegmentes C6 mit konzentrischer Bewegungseinschränkung der gesamten HWS und intermittierenden Nervenwurzelreizerscheinungen sowie zunehmender Anschlussdegeneration des Bewegungssegmentes C6/7,
- degeneratives LWS-Syndrom mit Spondylarthrose der unteren LWS und belastungsabhängigen Schmerzen sowie röntgenologischer Bandscheibendegeneration vorwiegend des thorako-lumbalen Übergangs,
- rezidivierende Schulterschmerzen links mit Nachweis einer Rotatorenmanschettenläsion links sowie einem subacromialen Impingement mit Bewegungseinschränkung für die Vorwärts- und Seitwärtshebung,
- rezidivierende Schmerzen des rechten Kniegelenkes mit Schwellung und endgradiger Bewegungseinschränkung für die maximale Beugung und Einschränkung beim Bücken und Treppensteigen sowie Knien,
- rezidivierende Hüftschmerzen rechts mit leichter Einschränkung der Beweglichkeit für die maximale Innenrotation,
- wiederholte Schwellungen und Schmerzen in beiden Händen, vorwiegend die Fingermittel- und -endgelenke der Langfinger betreffend mit hochgradigen belastungsabhängigen Schmerzen im Beschwerdeintervall sowie funktionellen Einschränkungen beim Greifen kleiner Gegenstände.
Den Schweregrad für das degenerative Wirbelsäulensyndrom in zwei Abschnitten mit intermittierenden Nervenwurzelreizerscheinungen der HWS schätze er auf mittel bis schwer, den Schwere-
grad für die Veränderungen im Bereich der linken Schulter mit Funktionsbeeinträchtigung auf leicht bis mittel, die Funktionsbeeinträchtigungen beider Hände auf mittel, die Funktionsbeeinträchtigungen im Bereich der rechten Hüfte auf leicht bis mittel und die des rechten Knies auf mittel. Den Teil-GdB für das degenerative Wirbelsäulensyndrom in zwei Abschnitten mit Versteifungsoperation der HWS mit Anschlussdekompensation schätze er auf 30, den Teil-GdB für die oberen Extremitäten, das heißt das subacromiale Impingement, schmerzhafte Bewegungseinschränkung der linken Schulter, auf 10, die Funktionsbeeinträchtigungen beider Hände durch die Arthrosen respektive Arthritiden der Fingermittel- und -endgelenke auf 20, den Teil-GdB für die Hüftproblematik auf 10 und die des rechten Kniegelenkes auf ebenfalls 10. Der Gesamt-GdB betrage unter Einbeziehung des Teilbehinderungsgrades auf nervenfachärztlichem Gebiet insbesondere psychischem Gebiet 50.
Der Beklagte hat mit Schreiben vom 28.05.2024 unter Bezugnahme auf eine versorgungsärztliche Stellungnahme von B3 an der bisherigen Bewertung des GdB festgehalten. B3 hat in ihrer Stellungnahme vom 27.05.2024 ausgeführt, dass dem von S3 befürworteten Teil-GdB von 30 für das Wirbelsäulenleiden nicht gefolgt werden könne. Die Befunde im Bereich der HWS seien lediglich leichtgradig bewegungseingeschränkt, ebenso wie bei der Untersuchung bei B2 am 18.5.2022. Eine radikuläre Symptomatik sei nicht zweifelsfrei nachgewiesen. Derzeit seien die Beschwerden nach Angaben der Klägerin stabil. Allein nur dadurch, dass nun ein Lendenwirbelsäulenleiden hinzugetreten sei, lägen noch keine mittelgradigen bis schweren funktionellen Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten vor. Der GdB von 20 für das Wirbelsäulenleiden erscheine nunmehr voll ausgefüllt, ein Teil-GdB von 30 werde noch nicht erreicht. Auch seien höhergradige Schmerzsymptome im Bereich der Wirbelsäule nicht belegt – eine Medikation mit Ibuprofen bei Bedarf sei bislang ausreichend. Auch sei bei freier Beweglichkeit kein höherer GdB für das Knie- und das Hüftleiden als bisher gewährt gerechtfertigt. Auch das Schulterleiden bewirke keinen Teil-GdB. Die Beschwerden aufgrund der Fingergelenksarthrose seien bei guter Funktion allenfalls mit einem Teil-GdB von 10 anzusetzen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf die von dem Beklagten beigezogene Verwaltungsakte sowie die Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die nach § 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist gemäß § 143 SGG statthaft und zulässig.
Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Feststellung eines GdB von 50. Die als kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1, § 56 SGG) zulässige Klage ist daher nicht begründet. Der angefochtene Gerichtsbescheid ist nicht zu beanstanden.
Maßgebender Zeitpunkt zur Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist hier der Zeitpunkt der Entscheidung des Senats am 14.06.2024 (ständige Rechtsprechung, vgl. BSG, Urteil vom 08.12.1988 – 2 RU 83/87 – juris, Rn. 17; BSG, Beschluss vom 09.12.2018 – B 9 SB 48/19 B – juris, Rn. 8).
Der Anspruch auf Feststellung des GdB gründet für den Zeitraum vom 28.04.2020 bis 31.12.2023 in § 152 und § 2 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) in der vom 01.01.2018 bis 31.12.2023 geltenden Normfassung des Bundesteilhabegesetzes (BTHG) vom 23.12.2016 (BGBl. I S. 3234 <3238, 3280>) und für die Zeit seit dem 01.01.2024 in § 152 SGB IX in der seit dem 01.01.2024 geltenden Normfassung des Gesetzes zur Förderung eines inklusiven Arbeitsmarkts vom 06.06.2023 (BGBl. I, Nr. 146, S. 2) i.V.m. § 2 SGB IX (s.o.). Nach den Grundsätzen des intertemporalen Rechts ist die Entstehung und der Fortbestand sozialrechtlicher Ansprüche oder Rechtsverhältnisse grundsätzlich – soweit wie hier Übergangsregelungen fehlen – nach dem Recht zu beurteilen, das zur Zeit der anspruchsbegründenden Ereignisse oder Umstände gegolten hat (vgl. BSG, Beschluss vom 12.08.2021 – B 9 SB 20/21 B – juris, Rn. 6).
Auf Antrag des behinderten Menschen stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (bis 31.12.2023) bzw. des Vierzehnten Buches Sozialgesetzbuch (seit 01.01.2024) zuständigen Behörden das Vorliegen einer Behinderung und den GdB zum Zeitpunkt der Antrag-stellung fest (§ 152 Abs. 1 Satz 1 SGB IX). Auf Antrag kann festgestellt werden, dass ein GdB oder gesundheitliche Merkmale bereits zu einem früheren Zeitpunkt vorgelegen haben, wenn dafür ein besonderes Interesse glaubhaft gemacht wird (§ 152 Abs. 1 Satz 2 SGB IX). Menschen mit Behinderungen sind gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können. Eine Beeinträchtigung nach § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB XI liegt vor, wenn der Körper- und Gesundheitszustand von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht (§ 2 Abs. 1 Satz 2 SGB IX). Menschen sind im Sinne des Teils 3 des SGB IX schwerbehindert, wenn bei ihnen ein Grad der Behinderung von wenigstens 50 vorliegt und sie ihren Wohnsitz, ihren gewöhnlichen Aufenthalt oder ihre Beschäftigung auf einem Arbeitsplatz im Sinne des § 156 SGB IX rechtmäßig im Geltungsbereich dieses Gesetzbuches haben (§ 2 Abs. 2 SGB IX). Die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als Grad der Behinderung nach Zehnergraden abgestuft festgestellt (§ 152 Abs. 1 Satz 5 [bis 31.12.2023] bzw. Satz 4 [seit 01.01.2024] SGB IX). Eine Feststellung ist nur zu treffen, wenn ein GdB von wenigstens 20 vorliegt (§ 152 Abs. 1 Satz 6 [bis 31.12.2023] bzw. Satz 5 [seit 01.01.2024] SGB IX). Liegen mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vor, so wird der Grad der Behinderung nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt (§ 152 Abs. 3 Satz 1 SGB IX).
Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates die Grundsätze aufzustellen, die für die Bewertung des GdB, die Kriterien für die Bewertung der Hilflosigkeit und die Voraussetzungen für die Vergabe von Merkzeichen maßgebend sind, die nach Bundesrecht im Schwerbehindertenausweis einzutragen sind (§ 153 Abs. 2 SGB IX). Da noch keine Verordnung nach § 153 Abs. 2 SGB IX erlassen ist, gelten die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) und der auf Grund des § 30 Abs. 16 BVG erlassenen Rechtsverordnungen entsprechend (§ 241 Abs. 5 SGB IX in der seit 01.01.2018 geltenden Normfassung). Hierbei handelt es sich um die Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) in der vom 20.12.2019 bis 31.12.2023 geltenden Normfassung des Gesetzes zur Regelung des Sozialgen Entschädigungsrechts vom 12.12.2019 (BGBl. I S. 2652, 2702) und der seit 01.01.2024 geltenden Normfassung des Gesetzes zur Förderung eines inklusiven Arbeitsmarkts vom 06.06.2023 (BGBl. I, Nr. 146, S. 6). Die Grundsätze zur Feststellung des GdB sind in der Anlage zu § 2 VersMedV als Bestandteil dieser Verordnung festgelegt (vgl. § 2 VersMedV). Die Versorgungsmedizinischen Grundsätze (VG) werden teilhabeorientiert auf der Grundlage des aktuellen Stands der medizinischen Wissenschaft und der Medizintechnik unter Berücksichtigung versorgungsmedizinischer Erfordernisse fortentwickelt (§ 153a Abs. 1 Satz 2 und 3 SGB IX in der seit 14.06.2023 geltenden Normfassung des Gesetzes zur Förderung eines inklusiven Arbeitsmarkts vom 06.06.2023 <BGBl. I, Nr. 146, S. 2>).
Allgemein gilt, dass der GdB auf alle Gesundheitsstörungen unabhängig von ihrer Ursache, also final bezogen ist (Teil A Nr. 2 lit. a VG). Der GdB ist ein Maß für die körperlichen, geistigen, seelischen und sozialen Auswirkungen einer Funktionsbeeinträchtigung aufgrund eines Gesundheitsschadens (Teil A Nr. 2 lit. a VG). Der GdB ist unabhängig vom ausgeübten oder angestrebten Beruf zu beurteilen (Teil A Nr. 2 lit. b VG). Ein GdB setzt stets eine Regelwidrigkeit gegenüber dem für das Lebensalter typischen Zustand voraus (Teil A Nr. 2 lit. c VG). Dies ist insbesondere bei Kindern und älteren Menschen zu beachten. Physiologische Veränderungen im Alter sind bei der Beurteilung des GdB nicht zu berücksichtigen. Als solche Veränderungen sind die körperlichen und psychischen Leistungseinschränkungen anzusehen, die sich im Alter regelhaft entwickeln, also für das Alter nach ihrer Art und ihrem Umfang typisch sind. Demgegenüber sind pathologische Veränderungen, also Gesundheitsstörungen, die nicht regelmäßig und nicht nur im Alter beobachtet werden können, bei der Beurteilung des GdB auch dann zu berücksichtigen, wenn sie erstmalig im höheren Alter auftreten oder als „Alterskrankheiten“ (etwa „Altersdiabetes“) bezeichnet werden (Teil A Nr. 2 lit. c VG).
Bei der nach Zehnergraden abgestuften Feststellung des GdB (vgl. § 152 Abs. 1 Satz 4 SGB IX) sollen im Allgemeinen die folgenden Funktionssysteme zusammenfassend beurteilt werden: Gehirn einschließlich Psyche, Augen, Ohren, Atmung, Herz und Kreislauf, Verdauung, Harnorgane, Geschlechtsapparat, Haut, Blut einschließlich blutbildendes Gewebe und Immunsystem, innere Sekretion und Stoffwechsel, Arme, Beine, Rumpf (Teil A Nr. 2 lit. e VG). Die in der GdB-Tabelle niedergelegten Sätze berücksichtigen bereits die üblichen seelischen Begleiterscheinungen (Teil A Nr. 2 lit. i VG). Sind die seelischen Begleiterscheinungen erheblich höher als aufgrund der organischen Veränderungen zu erwarten wäre, so ist ein höherer GdB gerechtfertigt. Vergleichsmaßstab ist dabei nicht der behinderte Mensch, der überhaupt nicht oder kaum unter seinem Körperschaden leidet, sondern die allgemeine ärztliche Erfahrung hinsichtlich der regelhaften Auswirkungen. Außergewöhnliche seelische Begleiterscheinungen sind anzunehmen, wenn anhaltende psychoreaktive Störungen in einer solchen Ausprägung vorliegen, dass eine spezielle ärztliche Behandlung dieser Störungen – z.B. eine Psychotherapie – erforderlich ist (Teil A Nr. 2 lit. i VG). Die in der GdB-Tabelle angegebenen Werte schließen die üblicherweise vorhandenen Schmerzen mit ein und berücksichtigen auch erfahrungsgemäß besonders schmerzhafte Zustände (Teil A Nr. 2 lit. j VG). Ist nach Ort und Ausmaß der pathologischen Veränderungen eine über das übliche Maß hinausgehende Schmerzhaftigkeit nachgewiesen, die eine ärztliche Behandlung erfordert, können höhere Werte angesetzt werden (Teil A Nr. 2 lit. j VG). Liegen mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vor, so sind zwar Einzel-GdB anzugeben; bei der Ermittlung des Gesamt-GdB durch alle Funktionsbeeinträchtigungen dürfen jedoch die einzelnen Werte nicht addiert werden (Teil A Nr. 3 lit. a VG). Bei der Beurteilung des Gesamt-GdB ist in der Regel von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB bedingt, und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden (Teil A Nr. 3 lit. c VG). Die Beziehungen der Funktionsbeeinträchtigungen zueinander können unterschiedlich sein (Teil A Nr. 3 lit. d VG): Die Auswirkungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen können voneinander unabhängig sein und damit ganz verschiedene Bereiche im Ablauf des täglichen Lebens betreffen. Eine Funktionsbeeinträchtigung kann sich auf eine andere besonders nachteilig auswirken. Die Auswirkungen von Funktionsbeeinträchtigungen können sich überschneiden. Die Auswirkungen einer Funktionsbeeinträchtigung werden durch eine hinzutretende Gesundheitsstörung nicht verstärkt. Von Ausnahmefällen abgesehen, führen leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, auch nicht, wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen (Teil A Nr. 3 lit. d sublit. ee Satz 1 VG). Auch bei leichten Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen (Teil A Nr. 3 lit. d sublit. ee Satz 2 VG).
Die auf diese Weise vorzunehmende Bemessung des GdB ist grundsätzlich tatrichterliche Aufgabe, die in freier Beweiswürdigung nach Maßgabe der VG vorzunehmen ist (ständige Rechtsprechung, vgl. BSG, Urteil vom 27.10.2022 – B 9 SB 4/21 R – juris Rn. 21 m.w.N.; BSG, Urteil vom 16.12.2021 – B 9 SB 6/19 R – juris, Rn. 38 m.w.N.). Bei der rechtlichen Bewertung der Auswirkungen einer Behinderung auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft sind die Gerichte an die Vorschläge der von ihnen gehörten Sachverständigen nicht gebunden (vgl. BSG, Beschluss vom 04.05.2020 – B 9 SB 84/19 B – juris, Rn. 6 m.w.N.).
Eine rechtsverbindliche Entscheidung nach § 152 Abs. 1 Satz 1 SGB IX umfasst nur die Feststellung einer unbenannten Behinderung und des Gesamt-GdB. Die dieser Feststellung im Einzelfall zugrundeliegenden Gesundheitsstörungen, die daraus folgenden Funktionsbeeinträchtigungen und ihre Auswirkungen dienen lediglich der Begründung des Verwaltungsakts (vgl. BSG, Urteil vom 24.06.1998 – B 9 SB 17/97 R – juris, Rn. 23). Der Einzel- bzw. Teil-GdB ist keiner eigenen Feststellung zugänglich. Er erscheint nicht im Verfügungssatz des Verwaltungsakts, ist nicht isoliert anfechtbar und erwächst auch nicht in Bindung (ständige Rechtsprechung, vgl. BSG, Urteil vom 05.05.1993 – 9/9a RVs 2/92 – juris, Rn. 20; BSG, Beschluss vom 20.02.2019 – B 9 SB 67/18 B – juris, Rn. 9).
In Anwendung dieser Maßstäbe ist der GdB mit 40 angemessen bewertet. Ein Anspruch der Klägerin auf Feststellung eines GdB von 50 besteht nicht.
Bei der Klägerin besteht im Funktionssystem Rumpf ein degeneratives HWS-Syndrom mit Zustand nach Fusion des Bewegungssegmentes C6 mit konzentrischer Bewegungseinschränkung der gesamten HWS und intermittierenden Nervenwurzelreizerscheinungen sowie zunehmender Anschlussdegeneration des Bewegungssegmentes C6/7 sowie ein degeneratives LWS-Syndrom mit Spondylarthrose der unteren LWS und belastungsabhängigen Schmerzen sowie röntgenologischer Bandscheibendegeneration vorwiegend des thorako-lumbalen Übergangs. Hiervon ist der Senat aufgrund des orthopädischen Gutachtens von S3 vom 09.02.2024 überzeugt.
Nach Teil B Nr. 18.9 VG ergibt sich der GdB bei Wirbelsäulenschäden primär aus dem Ausmaß der Bewegungseinschränkung, der Wirbelsäulenverformung und -instabilität sowie aus der Anzahl der betroffenen Wirbelsäulenabschnitte. Wirbelsäulenschäden ohne Bewegungseinschränkung oder Instabilität rechtfertigen keinen GdB. Wirbelsäulenschäden mit geringen funktionellen Auswirkungen (Verformung, rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität geringen Grades, seltene und kurz dauernd auftretende leichte Wirbelsäulensyndrome) sind mit einem GdB von 10 zu berücksichtigen. Wirbelsäulenschäden mit mittelgradigen funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität mittleren Grades, häufig rezidivierende und über Tage andauernde Wirbelsäulensyndrome) sind mit einem GdB von 20 zu bewerten. Ein GdB von 30 setzt entweder Wirbelsäulenschäden mit schweren funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungs-einschränkung oder Instabilität schweren Grades, häufig rezidivierende und Wochen andauernde ausgeprägte Wirbelsäulensyndrome) oder mittelgradige bis schwere funktionelle Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten voraus.
In Anwendung dieser Maßstäbe sind die degenerativen Veränderungen in der HWS und LWS mit einem GdB von 30 zu bewerten. Nach den von S3 erhobenen Befunden hat sich das Wirbelsäulensyndrom mit Versteifungsoperation der HWS zwischenzeitlich in das Rumpfsegment ausgebreitet mit kernspintomographisch wie röntgenologisch nachvollziehbarer Anschlussosteochondrose C6/7 der Halswirbelsäule sowie erosiver Osteochondrose der Lendenwirbelsäule sowie Spondylarthrose der unteren LWS. Hieraus folgen als Funktionsbeeinträchtigungen in der HWS eine Bewegungseinschränkung für die Reklination, die kombinierte Seitneigung und die Rotation sowie im Bereich der BWS eine Bewegungseinschränkung in der Vorbeugung mit einem Ott`schen Zeichen von 30/30 cm und eine Entfaltbarkeit der BWS und LWS nur bis zu einem Finger-Boden-Abstand von 60 cm. Im Bereich der unteren LWS zeigte sich die Reklination ab 10 Grad schmerzhaft im Bereich der unteren LWS und des lumbo-sacralen Übergangs mit einer um ein Drittel eingeschränkten Beweglichkeit in der Rotation und Seitneigung. Entgegen der Auffassung von B3 in ihrer versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 27.05.2024 sind diese Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB von 20 nicht angemessen bewertet. Maßgeblich sind insoweit die objektiven Funktionsbeeinträchtigungen und nicht das Ausmaß der Schmerzhaftigkeit und die entsprechenden Behandlungsmaßnahmen. Das Bewegungsmaß der HWS in der Reklination/Anteversion von 20-0-60 Grad belegt im Vergleich zum Normalwert von 40/50-0-50/70 Grad eine Einschränkung in der Reklination. Die Rotation war nur bis zu 50 Grad möglich bei einem Normalwert von 60-80 Grad. Die Seitneigung war auf 20-0-20 Grad eingeschränkt bei einem Normalwert von 30/40-0-30/40. Auch zeigten sich Druck- und Federungsschmerzen und eine gesteigerte Stauchungsempfindlichkeit der HWS. Somit liegen in der HWS messbare und im Hinblick auf die rezidivierenden Nervenwurzelreizerscheinungen als auch mittelgradig zu bezeichnende Funktionsbeeinträchtigungen vor, auch wenn eine radikuläre Symptomatik bei kernspintomographisch nachgewiesener Einengung des cervicalen Spinalkanals in Höhe C6/7 bei der Begutachtung nicht nachgewiesen werden konnte. Die behandelnde B2 hat in ihren sachverständigen Zeugenaussagen gegenüber dem SG am 17.06.2021 sowie gegenüber dem Senat am 30.08.2022 bestätigt, dass eine fortlaufende Behandlung stattfindet und die degenerativen Veränderungen der HWS als mittelgradig eingeschätzt. Sofern sie einen GdB von 30 allein für die Funktionsbeeinträchtigungen der HWS befürwortet, entspricht dies jedoch nicht dem Ausprägungsgrad der von ihr geschilderten und von S3 erhobenen Befunden in der HWS. Die LWS, welche bislang nicht betroffen war, zeigte sich bei der Begutachtung durch S3 im Bereich der Dornfortsatzreihe der unteren LWS druck- und klopfschmerzhaft sowie vor allem im Übergang von der BWS zur LWS bewegungseingeschränkt mit einem Finger-Boden-Abstand von 60 cm und einem Ott`schen Zeichen von 30/30 cm. Die Aussage der Klägerin bei der Begutachtung durch S3, dass der Zustand zur Zeit ganz gut und stabil sei, widerspricht nicht der Annahme einer rezidivierenden Beschwerdeproblematik. Die Klägerin hat daneben ausgeführt, dass sie seit mehr als sechs Monaten an zunehmenden Schmerzen der LWS mit akuten Blockierungserscheinungen leide, welche mit Spritzen, regelmäßiger Krankengymnastik und Eigenübungen behandelt würden. Insofern liegt ein fortlaufend behandlungsbedürftiges Wirbelsäulensyndrom vor. Dass die Klägerin lediglich bedarfsweise Ibuprofen einnimmt, spricht nicht gegen eine höhergradige Symptomatik, da neben der analgetischen Therapie auch fortlaufende physikalische oder manuelle Behandlungen möglich sind. Die Funktionsbeeinträchtigungen des Rumpfes, das heißt der BWS und LWS sind unter Berücksichtigung der eingeschränkten Entfaltbarkeit der BWS im Übergang zur LWS sowie des endgradig positiven Pseudolasègue als Zeichen für eine Reizung oder Blockierung der Iliosakralgelenke nicht mehr leichtgradig, sondern als mittelgradig einstufen. Hinzu kommt, dass die Seitneigung der BWS/LWS auf 0-20 Grad bei einem Normalwert von 0-30/40 Grad eingeschränkt war. Intermittierend kommt es vor allem in der HWS auch zu Nervenwurzelreizerscheinungen, so dass im Ergebnis ein GdB von 30 angemessen ist. Somit ist ab Juli 2023 eine Verschlechterung durch die Zunahme der Beschwerden an der BWS und LWS eingetreten, welche sich auch in einer deutlich messbaren Bewegungseinschränkung im Vergleich zur Begutachtung durch N2 am 07.12.2021 mit einem Finger-Boden-Abstand von 0 cm ohne paravertebralen Hartspann und ohne lokale Druck- oder Klopfschmerzhaftigkeit im Bereich der Wirbelsäule manifestiert. Die ab Juli 2023 eingetretene Verschlechterung durch den Befall des Rumpfes, dies bedeutet der BWS und LWS, ist daher mit einem GdB von 30 zu bewerten.
Die Klägerin leidet im Funktionssystem Gehirn einschließlich Psyche an einer Angst- und depressiven Störung gemischt. Der Senat nimmt diesbezüglich auf das Gutachten von N2 vom 08.12.2021 Bezug.
Nach Teil B Nr. 3.7 VG sind leichtere psychovegetative oder psychische Störungen mit einem GdB von 0 bis 20 zu bewerten. Stärker behindernde Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit (z.B. ausgeprägtere depressive, hypochondrische, asthenische oder phobische Störungen, Entwicklungen mit Krankheitswert, somatoforme Störungen) rechtfertigen einen GdB von 30 bis 40.
Gemessen an diesen Vorgaben sind die durch die Angst- und depressive Störung gemischt verursachten Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB von 20 angemessen bewertet. N2 konnte bei seiner Begutachtung am 07.12.2021 keine Einschränkung der Kognition, der Gedächtnisleistung oder der Aufmerksamkeit feststellen. Die affektive Schwingungsfähigeit sowie der Antrieb waren unauffällig. Die leichte Grübelneigung, das leichte Vermeidungsverhalten sowie die zum depressiven Pol verschobene Stimmung belegen lediglich eine leichtgradige Symptomatik, welche vom Gutachter folgerichtig mit der Diagnose Angst und depressive Störung gemischt bezeichnet wird. Eine höhergradige Einschränkung des Antriebs oder ein ausgeprägter krankheitsbedingter sozialer Rückzug lagen nicht vor. N2 kommt zwar unter Berücksichtigung des Schmerzsyndroms zu einer stärker behindernden Störung entsprechend einem GdB von 30. Dies ist angesichts der nur leichtgradigen Befunde jedoch nicht nachvollziehbar. Besondere Behandlungsmaßnahmen infolge einer spezifischen Schmerzsymptomatik werden nicht durchgeführt. Die durch die orthopädischen Erkrankungen einhergehenden Schmerzen sind regelmäßig in den entsprechenden GdB-Werten berücksichtigt. Auch spricht der bei N2 wiedergegebene Tagesablauf mit der Betreuung des Enkelkindes und der geplanten Wiederaufnahme der Berufstätigkeit gegen eine höhergradige schmerzbedingte Einschränkung des Tagesablaufs sowie der Teilhabefähigkeit. Ibuprofen nimmt die Klägerin nach ihren Angaben nur nach Bedarf ein. Die wesentlichen Einschränkungen werden nach den anamnestischen Angaben durch die Angstsymptomatik verursacht, welche jedoch von N2 nach seiner Diagnose nur leichtgradig bewertet wurden. Eine Erhöhung des GdB auf 30 infolge eines gesonderten Schmerzsyndroms, welches von N2 nicht als solches diagnostiziert wurde, kommt daher nicht in Betracht. Soweit er die Funktionsbeeinträchtigungen und die Schmerzen durch das HWS-Syndrom bei der GdB-Bewertung mitberücksichtigt, ist dieses eigenständig im Funktionssystem Rumpf zu bewerten.
Der Senat kann auch keine wesentliche Verschlechterung seit der Begutachtung durch N2 feststellen. Die Klägerin befindet sich nach den vom Senat eingeholten sachverständigen Zeugenaussagen von E1 sowie des B1 zwar weiter in Behandlung. E1 berichtet jedoch in seiner sachverständigen Zeugenaussage vom 16.08.2022 von einem stabilen und weitgehend remittierten Zustand und bezeichnet die Symptomatik als gering behindernde Störung ohne erhebliche Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit. Die letzte Behandlung erfolgte nach seinen Angaben am 31.01.2022, was gegen eine höhergradige Behandlungsbedürftigkeit spricht. B1 hat zwar in seiner sachverständigen Zeugenaussage vom 28.09.2022 die Ausprägung weiterhin als stärker behindernd und schwergradig eingeschätzt. Er teilt jedoch keine neuen Befunde mit, sondern verweist insoweit auf einen Bericht vom 22.07.2021. Zudem behandelt er die Klägerin lediglich einmal monatlich, was ebenfalls gegen eine Verstärkung der Symptomatik spricht. Seine Angabe, dass sich die eheliche Beziehung sowie die Mobilität mit dem Kfz verbessert und die Schmerzintensität auf orthopädischem Fachgebiet mit Schmerzmittelgebrauch verschlimmert hätten, reicht zur Begründung einer Verschlechterung des psychischen Zustands ohne weitere konkrete psychopathologische Befunde nicht aus. Auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass der Verlauf von psychischen Erkrankungen oft schwankend ist, kann der Senat nach dem Ergebnis der Ermittlungen keine stärker behindernde Störung mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit feststellen. Die Funktionsbeeinträchtigungen auf psychiatrischem Fachgebiet sind daher mit einem GdB von 20 angemessen bewertet.
Die Klägerin leidet im Funktionssystem der Arme an rezidivierenden Schulterschmerzen links mit Nachweis einer Rotatorenmanschettenläsion links sowie einem subacromialen Impingement mit Bewegungseinschränkung für die Vorwärts- und Seitwärtshebung. Der Senat nimmt diesbezüglich auf das Gutachten von S3 vom 09.02.2024 Bezug. Die von S3 erhobenen Bewegungsmaße mit einer Reklination/Anteversion beidseits von 50-0-150 Grad rechtfertigen jedoch entgegen den Ausführungen des Gutachters nicht die Bewertung mit einem GdB von 10. Nach den VG Teil B Nr. 18.13 ist erst bei einer Einschränkung des Schultergelenkes in der Armhebung nur bis 120 Grad mit entsprechender Einschränkung der Dreh- und Spreizfähigkeit ein GdB von 10 festzustellen. Eine solche Bewegungseinschränkung liegt jedoch bei der Klägerin nicht vor. Auch lagen keine Hinweise für eine Instabilität vor. Die wiederholten Schwellungen und Schmerzen in beiden Händen, vorwiegend die Fingermittel- und -endgelenke der Langfinger betreffend mit hochgradigen belastungsabhängigen Schmerzen im Beschwerdeintervall sowie funktionellen Einschränkungen beim Greifen kleiner Gegenstände rechtfertigen ebenfalls nicht die Feststellung eines GdB von mindestens 10, da nach den von S3 erhobenen Befunden keine Bewegungseinschränkung der Hand- oder Fingergelenke mit noch erhaltener Kraft und vollständiger Hand- und Fingerfunktion vorlag. Eine Bewegungseinschränkung des Handgelenkes in der Streckung/Beugung von 30-0-40 Grad, welche nach den VG Teil B 18.13 mit einem GdB von 0 bis 10 zu bewerten ist, ist nicht gegeben. Funktionseinbußen, Versteifungen oder ein Verlust eines Finger- und/oder Fingergelenkes lagen ebenfalls nicht vor.
Auch die rezidivierenden Hüftschmerzen rechts mit leichter Einschränkung der Beweglichkeit für die maximale Innenrotation begründen nach den VG Teil B Nr. 18.14 bei einer Beweglichkeit für die Streckung/Beugung beidseits von 0-0-130 Grad noch keinen messbaren GdB. Dies wäre erst ab einer Bewegungseinschränkung in der Streckung/Beugung bis zu 0-10-90 Grad gerechtfertigt. Der von S3 festgestellte GdB von 10 ist somit nicht nachvollziehbar.
Des Weiteren leidet die Klägerin an rezidivierenden Schmerzen des rechten Kniegelenkes mit Schwellung und endgradiger Bewegungseinschränkung für die maximale Beugung und Einschränkung beim Bücken und Treppensteigen sowie Knien. Die von S3 erhobene Beweglichkeit der Kniegelenke für die Streckung/Beugung rechts von 5-0-140 sowie links 5-0-150 Grad erreicht jedoch nach den VG Teil B 18.14 noch nicht die GdB-relevante Einschränkung der Streckung/Beugung von 0-0-90 Grad. Ebenfalls lagen noch keine ausgeprägten Knorpelschäden mit anhaltenden Reizerscheinungen vor. Entgegen den Ausführungen von S3 ist somit die Bewertung mit einem GdB von 10 nicht gerechtfertigt.
S3 konnte auch keine Einschränkung der Beweglichkeit der oberen Sprunggelenke mittleren Grades in der Hebung/Senkung von 0-0-30 Grad feststellen, welche nach den VG Teil B 18.14 einen GdB von 10 rechtfertigt. Die Beweglichkeit der oberen Sprunggelenke betrug für die Dorsalflexion/Plantarflexion beidseits 10-0-50 Grad. Die Beweglichkeit im unteren Sprunggelenk war für die Pro- und Supination seitengleich altersentsprechend normal. Allein die von S3 befundete minimale Hallux-valgus-Stellung, links mehr als rechts rechtfertigt noch nicht die Annahme einer Fußdeformität mit zumindest geringgradiger statischer Auswirkung (vgl. VG Teil B Nr. 18.14). Die Fußbeschwielung war seitengleich ausgeprägt, das Fußlängsgewölbe gut erhalten und das Fußquergewölbe durchgetreten. Im Bereich der Zehen liegen bis auf die minimale Hallux-valgus-Stellung, links mehr als rechts, keine weiteren Auffälligkeiten vor. Auch eine Einschränkung der Gehstrecke und der allgemeinen Mobilität waren nicht ersichtlich. Das Gangbild der Klägerin wurde bei den Begutachtungen durch N2 sowie S3 ohne pathologischen Befund beschrieben. Eine Gehstreckenlimitierung wurde von S3 verneint. Entgegen der Annahme des SG im Gerichtsbescheid vom 14.03.2022 ist daher die Bewertung der Fußdeformität mit einem GdB von 20 nicht gerechtfertigt.
Zudem leidet die Klägerin im Funktionssystem der Verdauungsorgange an einem Z.n. Darmperforation bei Abtragung eines gutartigen Dickdarmpolyps im August 2019 sowie einer geringgradigen Sigmadivertikulose. Nach der sachverständigen Zeugenaussage von W2 vom 31.05.2021 liegt nur eine geringfügige Beeinträchtigung in Form von gelegentlichen Unterbauchbeschwerden vor. Diese sind nach den VG Teil B Nr. 10.2.2. als leichtgradige Darmstörung ohne stärkere und häufig rezidivierende oder anhaltende Symptome (z.B. Durchfälle oder Spasmen) mit einem GdB von 10 zu bewerten. Hinweise auf eine Verschlimmerung der Symptomatik sind weder ersichtlich noch vorgetragen worden.
Die Auswirkungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit sind bei der Klägerin für den Zeitraum ab dem 28.04.2020 mit einem GdB von 40 bewerten. Bei der Bildung des Gesamt-GdB ist von dem GdB von 30 im Funktionssystem Rumpf als wesentlichem GdB-Wert auszugehen. Der GdB von 20 für die Funktionsbeeinträchtigungen im Funktionssystem Gehirn einschließlich Psyche führt zu einer Erhöhung des GdB auf 40, da die Angstsymptomatik wesentlich auch durch die Darmbeschwerden verursacht wird und daher eine gesonderte Ursache besteht. Insofern liegt keine Überschneidung zwischen den Funktionssystemen Rumpf sowie Gehirn einschließlich Psyche vor. Eine weitere Erhöhung durch den GdB von 10 im Funktionsbereich der Verdauungsorgane kommt dagegen nicht in Betracht. Der GdB ist somit ab dem 28.04.2020 mit 40 zu bewerten.
Der Sachverhalt ist vollständig aufgeklärt. Der Senat hält daher weitere Ermittlungen von Amts wegen nicht für erforderlich. Die vorliegenden beigezogenen ärztlichen Unterlagen haben dem Senat zusammen mit den sachverständigen Zeugenaussagen und den im erstinstanzlichen Verfahren sowie im Berufungsverfahren eingeholten Gutachten die für die richterliche Überzeugungsbildung notwendigen sachlichen Grundlagen vermittelt (§ 128 Abs. 1 SGG). Denn der medizinische festgestellte Sachverhalt bietet die Basis für die alleine vom Senat vorzunehmende rechtliche Bewertung des GdB unter Einschluss der Bewertung der sich zwischen den einzelnen Erkrankungen und Funktionsbehinderungen ergebenden Überschneidungen und Wechselwirkungen. Insoweit ist für die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft nach den allgemeinen Beschreibungen in den einleitenden Teilen der VG als Maßstab der Vergleich zu den Teilhabebeeinträchtigungen anderer Behinderungen anzustellen, für die im Tabellenteil ein Wert von 30, 40 oder 50 fest vorgegeben ist (BSG, Urteil vom 16.12.2014 – B 9 SB 2/13 R –, juris). Vorliegend erreicht das Ausmaß der Behinderungen und hieraus folgenden Teilhabebeeinträchtigungen kein Ausmaß, welches die Feststellung eines GdB von 50 rechtfertigt.
Die Berufung der Klägerin war daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, da Gründe hierfür (vgl. § 160 Abs. 2 SGG) nicht vorliegen.