Das Verfahrensrecht verpflichtet grundsätzlich nicht dazu, ausschließlich Sachverständigengutachten von Fachärzten einzuholen. Vielmehr hat die Rechtsprechung das dem Tatsachengericht nach § 118 Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 404 Abs. 1 der Zivilprozessordnung eingeräumte Ermessen bei der Auswahl der Sachverständigen lediglich dann ausnahmsweise eingeschränkt, wenn es sich um besonders schwierige Fragen handelt oder aber den vorhandenen Gutachten grobe Mängel anhaften (vgl. Bundessozialgericht, Beschluss vom 11. Juli 2023 - B 9 SB 4/23 B - juris).
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 11. April 2024 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte hat dem Kläger dessen außergerichtliche Kosten für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Kostenentscheidung des Sozialgerichts in dem angefochtenen Urteil bleibt hiervon unberührt.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen die Herabsetzung seines Grades der Behinderung (GdB) auf unter 50.
Bei dem 1977 geborenen Kläger war im Dezember 2016 eine Leukämie (B-Vorläufer-Leukämie <Common-ALL> mit Translokation t<9;22>; BCR-ABL1 pos) diagnostiziert worden, die unter anderem im März 2017 mittels Stammzelltransplantation und Chemotherapie therapiert worden war. Der Beklagte bewertete mit Bescheid vom 6. Juni 2018 deswegen den GdB mit 100. Wie in dem Bescheid angekündigt worden war, leitete der Beklagte eine Nachprüfung von Amts wegen ein. Nach medizinischen Ermittlungen und Anhörungen stellte der Beklagte mit Bescheid vom 7. September 2020 mit Wirkung ab Bekanntgabe des Bescheides den GdB unter entsprechender Aufhebung des Bescheides vom 6. Juni 2018 nur noch mit 30 wegen Restbeschwerden nach ausgeheilter Leukämie fest. Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 18. März 2021 zurück.
Hiergegen hat der Kläger am 12. April 2021 Klage erhoben, die er unter anderem unter Vorlage eines nervenärztlichen Befundberichts der Fachärztin für psychotherapeutische Medizin und Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. Sc vom 3. Mai 2021 begründet hat. In dem Befundbericht waren eine mittelschwere depressive Störung, eine Anpassungsstörung und eine Polyneuropathie im Stadium I mitgeteilt worden. Der Beklagte hat mit Schriftsatz vom 15. September 2021 nach Auswertung des Befundberichtes ein Teilanerkenntnis abgegeben, wonach der GdB ab dem 27. Januar 2021 40 betrage. Dem Schriftsatz ist eine ärztliche Stellungnahme beigefügt gewesen, wonach eine psychische Störung mit erst kurzer Behandlungsdauer mit einem Einzel-GdB von 20 zu bewerten sei. Der Kläger hat das Teilanerkenntnis mit Schriftsatz vom 14. Oktober 2021 angenommen, den Rechtsstreit darüber hinaus aber fortgesetzt.
Das Sozialgericht hat, nachdem mehrere als Sachverständige benannte Ärzte den Gutachtenauftrag zurückgegeben haben, bei dem Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. A ein allgemeinmedizinisches Gutachten vom 12. Oktober 2022 eingeholt, das dieser nach ambulanter Untersuchung des Klägers am 15. September 2022 erstellt hat und indem er zu der Einschätzung gelangt ist, die bei dem Kläger vorliegende Graft-versus-Host-Disease nach Stammzelltransplantation im März 2017 mit anhaltenden Beschwerden im Bereich der Augen, des Mund-Rachenraums, der (Schleim)Häute und des Urogenitalsystems und subjektiver Erschöpfbarkeit sei mit einem GdB von 30 zu bewerten. Die akute lymphatische Leukämie sei nach Stammzelltransplantation im März 2017 als ausgeheilt zu bewerten. Nach Ablauf der dreijährigen Heilungsbewährung sei der GdB daher von 100 auf 30 abzuändern. Als verbliebene Auswirkungen der Stammzelltransplantation seien die Graft-versus-Host-Disease und die damit verbundenen anhaltenden Beschwerden bereits in weitem Rahmen in dem vom Gesetzgeber vorgesehenen Einzel-GdB von nicht niedriger als 30 mitberücksichtigt. Dies gelte umso mehr, wenn man im persönlichen Kontakt mit dem Kläger im Rahmen der heutigen Begutachtung kaum über die Altersnorm hinausgehende klinisch-funktionelle Einschränkungen objektivieren könne. Ein dauerhaftes seelisches Leiden liege entgegen der Einschätzung des Beklagten nicht vor. Dies würde auch dann gelten, wenn man davon ausginge, dass im Zeitraum von Ende Januar bis Ende April 2021 bei insgesamt nur fünf Konsultationen ein leichtes seelisches Leiden bestanden haben könnte.
Der Kläger hat mit Schriftsatz vom 12. Januar 2023 Einwände gegen das Gutachten des Sachverständigen formuliert. Er hat außerdem einen Arztbrief des Augenklinik C - vom 13. Januar 2023 zu den Gerichtsakten gereicht. Der Sachverständige hat in einer ergänzenden gutachtlichen Stellungnahme vom 8. Februar 2023 hierzu erklärt, es ergäben sich daraus keine neuen Erkenntnisse, er halte an den Einschätzungen in seinem Gutachten fest. Nach weiterem Vortrag des Klägers hat das Sozialgericht Befundberichte bei dem Augenklinik C - und bei dem H Klinikum - Zentrum für Pathologie, Onkologie und Palliativmedizin - Klinik für Pathologie und Stammzelltransplantation - eingeholt. Der Beklagte hat zu den neu eingeholten Befundberichten Stellung genommen und erklärt, hieraus ergäben sich keine Anhaltspunkte für eine Klageabhilfe. Das Sozialgericht hat bei dem Sachverständigen Dr. A weitere gutachtliche Stellungnahmen hierzu und zu einem von dem Kläger eingereichten Arztbrief des Augenklinik C - vom 20. Oktober 2023 und einem von dem Kläger ebenfalls eingereichten MRT-Befund des rechten Hüftgelenkes vom 9. Oktober 2023 eingeholt. In diesen vom 8. und vom 15. Januar 2024 hat der Sachverständige im Wesentlichen erklärt, er bleibe bei seiner Einschätzung.
Das Sozialgericht hat die auf den Erhalt eines GdB von 50 gerichtete Klage durch Urteil vom 11. April 2024 abgewiesen bei einer Kostenquote von einem Drittel. Die zulässige Anfechtungsklage sei nicht begründet. Entscheidungserheblicher Zeitpunkt sei für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage der des Erlasses des angegriffenen Widerspruchsbescheides im März 2021. Nach Teil B Nr. 16.8 der Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) sei nach allogener Knochenmarktransplantation für die Dauer von drei Jahren (Heilungsbewährung) ein GdB von 100 vorgesehen. Danach sei der GdB nach den verbliebenen Auswirkungen und dem eventuellen Organschaden, jedoch nicht niedriger als 30, zu bewerten. Danach sei nach der Stammzelltransplantation im März 2017 die dreijährige Heilungsbewährung abzuwarten gewesen. In der Folge sei es zu keinem Rezidiv gekommen, sodass die Heilungsbewährung im März 2020 abgelaufen sei. Nach Ablauf der Heilungsbewährung betrage der GdB hier nur noch 30. Dieser Mindestwert sei hier auch nicht aufgrund der bei dem Kläger vorliegenden Einschränkungen anzuheben. Dies ergebe sich aus dem schlüssigen Sachverständigengutachten von Dr. A. Danach habe im Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides eine Graft-versus-Host-Disease nach Stammzelltransplantation im März 2017 mit anhaltenden Beschwerden im Bereich der Augen, des Mund-Rachenraums, der (Schleim)Häute und des Urogenitalsystems und subjektiver Erschöpfbarkeit bestanden. Eine aggressive Therapie habe zu dieser Zeit bei dem Kläger nicht stattgefunden. Bis Ende 2021 habe eine Medikation mit Rapamune und dem Virostatikum Aciclovir stattgefunden, wobei es sich insoweit nach den Feststellungen in dem Gutachten um keine aggressive Therapieform handele. Daneben hätten lokale Therapien insbesondere im Bereich der Augen stattgefunden, die allein jedoch keine Behinderung darstellten. Für den Bereich der Augen seien im relevanten Zeitpunkt Kalkablagerungen in der Hornhaut dokumentiert worden. Der Kläger habe gegenüber dem Sachverständigen als störend beschriebene Reizzustände angegeben. Dokumentiert seien insoweit eine ausgeprägte Entzündungsreaktion der Augen und eine zeitweise Lichtempfindlichkeit. Der beidseitige Visus von 0,7 habe nach Teil B Nr. 4 der Anlage zu § 2 VersMedV keine GdB-Relevanz. Am 22. Februar 2021 sei eine Stabilisierung der Entzündungsaktivität der Augen angegeben worden und im April 2021 ein guter Zustand. Insoweit ergebe sich aus den Beeinträchtigungen im Bereich der Augen kein Grund, den GdB von 30 zu erhöhen. Gleiches gelte für die Graft-versus-Host-Disease der Schleimhäute und der Leber. Insoweit sei für die Leber am 22. Februar 2021 ein rückläufiger Befund bei nur noch minimaler Erhöhung der Laborwerte mitgeteilt worden. Funktionelle Auswirkungen aufgrund einer Gesundheitsstörung der Leber seien bei dem Kläger nicht dokumentiert. Der Allgemeinzustand des Klägers sei für Ende 2020/Anfang 2021 als gut angegeben worden. Eine GdB-Relevanz der leicht erhöhten Werte und der sonografischen Hinweise für eine leichte Fettleber ergäben sich nicht. Der Zustand der Schleimhäute des Klägers im Mund-Rachenraum sei unter lokaler Therapie als gut kontrolliert eingestuft worden. Pathologische Befunde insoweit seien für 2020 nicht mitgeteilt worden. Im Februar 2021 sei eine Aphte der Lippe angegeben worden, im Übrigen sei die Graft-versus-Host-Disease der Mundschleimhaut gut kontrolliert gewesen. Im April und Juni 2021 seien jeweils keine pathologischen Befunde der Schleimhäute angegeben worden. Auch insoweit ergäben sich daher keine Anhaltspunkte dafür, den GdB von 30 zu erhöhen. Gleiches gelte für einen Testosteronmangel, denn eine Unfruchtbarkeit sei in den Befundberichten nicht dokumentiert worden, auch keine Untersuchung der Spermien. Gleiches gelte für Lymphödeme, die bei dem Kläger ebenfalls in nicht GdB-relevanter Form nachgewiesen seien. Aus einer Polyneuropathie der Füße würden sich bei dem Kläger ausweislich des Sachverständigengutachtens ebenfalls keine funktionellen Einschränkungen ergeben. Dauerhafte funktionelle Auswirkungen am Bewegungsapparat wie auch eine relevante Nierenfunktionsstörung seien bei dem Kläger ebenfalls nicht nachgewiesen. Auch eine Einschränkung der Lungenfunktion rechtfertige hier keinen GdB und auch keine Erhöhung des GdB von 30. Teil B Nr. 8.3 der Anlage zu § 2 VersMedV verlange insoweit eine dauernde Einschränkung der Lungenfunktion, die bei dem Kläger nicht vorliege. Insoweit sei im April 2020 einmalig ein leicht reduzierter FEV1-Wert von 76 % neben sonst normalen statischen und dynamischen Lungenfunktionswerten dokumentiert worden. Im November 2020 seien normale statische und biometrische Werte und eine normale Blutgasanalyse erhoben worden. Auch bei der Untersuchung durch den Sachverständigen hätten sich alle statischen und dynamischen Lungenfunktionswerte deutlich im Normalbereich bewegt. Auch psychische Beschwerden rechtfertigten hier keinen höheren GdB. Nach Einschätzung des Sachverständigen lägen bei dem Kläger keine über die krankheitsimmanenten seelischen Begleiterscheinungen hinausgehenden Beschwerden vor. Insoweit sei die Stimmung des Klägers als gut beschrieben worden, eine Depressivität, eine relevante Ängstlichkeit oder anderweitige pathologische Auslenkungen seien nicht festgestellt worden. Insoweit hätten bei dem Kläger lediglich fünf psychotherapeutische Vorgespräche von Januar bis April 2021 stattgefunden. Eine medikamentöse Behandlung habe es nicht gegeben. Alles in allem würden die üblichen seelischen Begleiterscheinungen bei dem hier vorliegenden GdB von 30 bereits berücksichtigt. Erheblich höhere seelische Begleiterscheinungen seien bei dem Kläger nicht nachgewiesen. Ein höherer GdB folge auch nicht aus einem Vergleich zu den Bewertungsvorgaben von Teil B Nr. 16.11 der Anlage zu § 2 VersMedV. Darin werde bei Immundefekten bei trotz Therapie erhöhter Infektanfälligkeit ein GdB von 20 bis 40 vorgesehen, sodass daraus, selbst wenn man mit dem Kläger von einer erhöhten Infektanfälligkeit ausgehe, kein höherer GdB als 30 folge. Es bestehe auch keine Tendenz zu einer schweren Beeinträchtigung aufgrund Infektanfälligkeit, die einen GdB von 40 rechtfertigen könnte. Ein GdB von 50 sei vorgesehen bei trotz Therapie neben erhöhter Infektanfälligkeit auch außergewöhnlichen Infektionen (ein bis zweimal pro Jahr). Derartige außergewöhnliche Infektionen seien bei dem Kläger nicht dokumentiert. Die Annahme des Klägers, dass bereits ein bis zwei Infekte pro Jahr einen GdB von 50 rechtfertigten, ergebe sich nicht aus den Vorgaben der GdB-Tabelle. Ausweislich des Sachverständigengutachtens liege zudem bei dem Kläger bei maximal quartalsweise angegebenen Infekten keine erhöhte Infektanfälligkeit vor.
Der Kläger hat gegen das ihm am 25. April 2024 zugestellte Urteil am 14. Mai 2024 Berufung eingelegt. Zur Begründung hat er auf die Schwierigkeiten des Sozialgerichts hingewiesen, einen geeigneten Sachverständigen zu finden. Er meint, das Gutachten sei letztlich fachfremd erstellt worden. Insoweit hätte ein Facharzt für Innere Medizin mit den Zusatzqualifikationen auf dem Gebiet der Hämatologie und Onkologie oder speziellen Kenntnissen auf dem Gebiet der Bluttransfusionsmedizin herangezogen werden müssen. Die zahlreichen Einzelbeschwerden rechtfertigten in seinem Fall die Anhebung des Mindest-GdB von 30. Seine bis Ende 2021 eingenommenen Medikamente verursachten erheblichen Nebenwirkungen. Soweit das Sozialgericht auf eine mangelnde Dokumentation einer Unfruchtbarkeit und eine mangelnde Untersuchung der Spermien hinweise, sei der Sachverhalt nicht hinreichend ermittelt. Denn der Kläger habe bereits mit seinem Widerspruch den Befund des Facharztes für Urologie Dr. S an den Beklagten übermittelt. Hierin seien atrophe Hoden und Hypogonadismus diagnostiziert worden.
Der Senat hat bei dem Urologen Dr. S einen Befundbericht eingeholt.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 11. April 2024 aufzuheben und den Bescheid des Beklagten vom 7. September 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. März 2021 in der Fassung des Teilanerkenntnisses vom 15. September 2021 insoweit aufzuheben, als ein GdB von weniger als 50 festgestellt worden ist.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Zu dem von dem Senat eingeholten Befundbericht hat der Beklagte eine ärztliche Stellungnahme zu den Gerichtsakten gereicht, wonach nach Teil B Nr. 13.2 der Anlage zu § 2 VersMedV bei einer diagnostizierten Impotentia coeundi bei nachgewiesener erfolgloser Behandlung ein GdB von 20 zu berücksichtigen sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie die den Kläger betreffenden Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Der Senat kann ohne mündliche Verhandlung durch den Berichterstatter entscheiden, weil die Beteiligten zu dieser Entscheidungsform ihr Einverständnis erklärt haben, § 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) i. V. m. § 155 Abs. 4 und Abs. 3 SGG.
Die zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet, das Urteil des Sozialgerichts zutreffend. Die der Berufung zugrunde liegende Klage ist als reine Anfechtungsklage im Sinne des § 54 Abs. 1 Satz 1 SGG zulässig. Der angegriffene Bescheid erschöpft sich in der teilweisen Aufhebung eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung (hier des Bescheides vom 6. Juni 2018). Die Klage ist aber unbegründet. Der Bescheid vom 7. September 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. März 2021 in der Fassung des Teilanerkenntnisses vom 15. September 2021 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.
Rechtsgrundlage für den angefochtenen Bescheid, gegen den formelle Bedenken nicht bestehen, ist hier § 48 Abs. 1 Satz 1 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X). Danach ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung im Wege einer gebundenen Entscheidung mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X liegen hier insoweit vor, als im maßgeblichen Prüfungszeitraum nur noch ein GdB von allenfalls 40 (ab den 27. Januar 2021) vorlag. Maßgeblich für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides ist dabei der Zeitraum zwischen Bekanntgabe des Bescheides und des Widerspruchsbescheides (vgl. dazu eingehend Urteil des Senats vom 6. November 2014 - L 11 SB 178/10; auch BSG, Beschluss vom 27. Mai 2020 - B 9 SB 67/19 B - juris), hier nach § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X zwischen dem 10. September 2020 und dem 21. März 2021.
Nach § 152 Abs. 1 Satz 1 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IX) stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes zuständigen Behörden das Vorliegen einer Behinderung und den Grad der Behinderung zum Zeitpunkt der Antragstellung fest. Bei der Prüfung, ob diese Voraussetzungen vorliegen, sind seit dem 1. Januar 2009 die in der Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) vom 10. Dezember 2008 (BGBl. I Seite 2412) festgelegten „versorgungsmedizinischen Grundsätze“ zu beachten, die durch die Verordnungen vom 1. März 2010 (BGBl. I Seite 249), 14. Juli 2010 (BGBl. I Seite 928), vom 17. Dezember 2010 (BGBl. I Seite 2124), vom 28. Oktober 2011 (BGBl. I Seite 2153) und vom 11. Oktober 2012 (BGBl. I Seite 2122) sowie durch Gesetze vom 23. Dezember 2016 (BGBl. I Seite 3234), vom 17. Juli 2017 (BGBl. I Seite 2541) und vom 12. Dezember 2019 (BGBl. I Seite 2652) Änderungen erfahren haben.
Einzel-GdB sind entsprechend den genannten Grundsätzen als Grad der Behinderung in Zehnergraden zu bestimmen. Für die Bildung des Gesamt-GdB bei Vorliegen mehrerer Funktionsbeeinträchtigungen sind nach § 152 Abs. 3 SGB IX die Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander zu ermitteln, wobei sich nach Teil A Nr. 3 a) der Anlage zu § 2 VersMedV die Anwendung jeglicher Rechenmethode verbietet. Vielmehr ist zu prüfen, ob und inwieweit die Auswirkungen der einzelnen Behinderungen voneinander unabhängig sind und ganz verschiedene Bereiche im Ablauf des täglichen Lebens betreffen oder ob und inwieweit sich die Auswirkungen der Behinderungen überschneiden oder gegenseitig verstärken. Dabei ist in der Regel von einer Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB bedingt und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten Grad 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden, wobei die einzelnen Werte jedoch nicht addiert werden dürfen. Leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB-Grad von 10 bedingen, führen grundsätzlich nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung; auch bei leichten Funktionsstörungen mit einem GdB-Grad von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen (Teil A Nr. 3 d) aa) – ee) der Anlage zu § 2 VersMedV).
Der GdB bei dem Kläger war wegen der Leukämie mit Stammzelltransplantation nach Maßgabe von Teil B Nr. 16.8 der Anlage zu § 2 VersMedV mit einem GdB von 100 zu bewerten.
Eine Neubewertung des GdB war vorliegend aufgrund des Ablaufs der Heilungsbewährung grundsätzlich zulässig (vgl. Teil A Nr. 7b der Anlage zu § 2 VersMedV). Nach Teil B Nr. Nr. 16.8 der Anlage zu § 2 VersMedV ist nach allogener Knochenmarktransplantation eine Heilungsbewährung von drei Jahren abzuwarten. Bei der hier am 28. März 2017 erfolgten Blutstammzelltransplantation war die Heilungsbewährung demnach bei Bescheiderlass am 7. September 2020 abgelaufen. Danach ist nach der genannten Bewertungsziffer der GdB nach den verbliebenen Auswirkungen und dem eventuellen Organschaden, jedoch nicht niedriger als 30, zu bewerten.
In dem genannten Prüfungszeitraum zwischen dem 10. September 2020 und dem 21. März 2021 ist der GdB nicht mit mehr als 40 ab dem 27. Januar 2021, davor 30 zu bewerten. Dies folgt aus einer Gesamtschau der vorliegenden medizinischen Unterlagen, insbesondere aus dem Gutachten des Sachverständigen Dr. A, das auf einer ambulanten Untersuchung des Klägers sowie einer kritischen Würdigung der sonstigen medizinischen Unterlagen beruht und sowohl auf der Grundlage der herrschenden medizinischen Lehre als auch im Einklang mit den versorgungsmedizinischen Grundsätzen erstattet worden ist. Dass Dr. A Facharzt für Allgemeinmedizin ist, begründet keinen Mangel. Entgegen der Ansicht des Klägers war das Sozialgericht nicht verpflichtet, einen Facharzt für Innere Medizin mit den Zusatzqualifikationen auf dem Gebiet der Hämatologie und Onkologie oder speziellen Kenntnissen auf dem Gebiet der Bluttransfusionsmedizin zu beauftragen. Denn das Verfahrensrecht verpflichtet grundsätzlich nicht dazu, ausschließlich Sachverständigengutachten von Fachärzten einzuholen. Vielmehr hat die Rechtsprechung das dem Tatsachengericht nach § 118 Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 404 Abs. 1 der Zivilprozessordnung eingeräumte Ermessen bei der Auswahl der Sachverständigen lediglich dann ausnahmsweise eingeschränkt, wenn es sich um besonders schwierige Fragen handelt oder aber den vorhandenen Gutachten grobe Mängel anhaften (vgl. Bundessozialgericht, Beschluss vom 11. Juli 2023 - B 9 SB 4/23 B - juris). Dem Gutachten haften keine Mängel – schon gar keine groben – an. Es geht hier auch nicht um besonders schwierige Fragen. Denn zwar steht hier eine schwere Erkrankung in Rede, Diagnose, Therapie und Rezidivfreiheit stehen aber völlig außer Frage. Es geht um die Erhebung der verbliebenen Auswirkungen und die Feststellung eventueller Organschäden, zu denen ein Facharzt für Allgemeinmedizin ohne weiteres in der Lage ist. Das Gutachten ist auch nicht deshalb mangelhaft, weil der Sachverständige auch jenseits des hier maßgeblichen Prüfungszeitraums eine Einschätzung abgegeben hat. Denn abgesehen davon, dass das Sozialgericht auch danach gefragt hat, ist dem Gutachten deutlich zu entnehmen, von welchen Funktionsbeeinträchtigungen zu welchem Zeitpunkt der Sachverständige jeweils ausgeht.
Die hier vorliegenden verbliebenen Auswirkungen sind mit einem GdB von 40 ab dem 27. Januar 2021 (davor 30) reichlich bewertet. Insoweit verweist der Senat auf die überzeugenden Gründe der angefochtenen Entscheidung, denen er nach eigener Prüfung folgt, § 153 Abs. 2 SGG. Danach liegt bei dem Kläger eine Graft-versus-Host-Disease nach Stammzelltransplantation im März 2017 mit anhaltenden Beschwerden im Bereich der Augen, des Mund-Rachenraums, der (Schleim)Häute und des Urogenitalsystems und subjektiver Erschöpfbarkeit vor. Diese Beschwerden sind in dem relativ hohen Mindest-GdB von 30 abgebildet, was das Sozialgericht eingehend und überzeugend begründet hat. Ausgehend von den Ausführungen des Sozialgerichts liegt der von dem Beklagten anerkannte GdB von 40 nicht vor. Denn die von dem Beklagten angenommene psychische Erkrankung mit einem Einzel-GdB von 20 lag bei sehr kurzer Therapie (genau genommen handelte es sich nur um Vorgespräche, die eigentliche Therapie wurde nie aufgenommen), dürftiger Befundlage und von dem Sachverständigen erhobenem unauffälligem psychischen Befund nicht vor. Der Senat geht auch nicht davon aus, dass das von dem behandelnden Urologen festgestellte therapiebedingte Testosteronmangel-Syndrom den GdB von 40 rechtfertigt. Denn die von dem Beklagten entsprechend Teil B Nr. 13.2 der Anlage zu § 2 VersMedV angenommene impotentia coeundi bei nachgewiesener erfolgloser Behandlung ergibt sich aus dem vom Senat eingeholten urologischen Befundbericht so nicht, darin ist nach Testosteronsubstitution von einem deutlich gebesserten Befund die Rede, der Kläger selbst hat gegenüber dem Sachverständigen eine unter Medikation gute Erektion mitgeteilt. Folgerichtig hat der Sachverständige die Voraussetzungen von Teil B Nr. 13.2 der Anlage zu § 2 VersMedV verneint (Seite 37 des Gutachtens). In der Gesamtschau ist der Kläger damit durch den ab dem 27. Januar 2021 anerkannten GdB von 40 nicht beschwert.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil ein Grund hierfür gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG nicht vorliegt.