L 37 SF 124/23 EK AS

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
37
1. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 37 SF 124/23 EK AS
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

§§ 198 ff. GVG i.d.F. des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren (GRüGV) 

Soweit es im Rahmen des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG auf die Bedeutung des zum Gegenstand einer Entschädigungsklage gemachten Verfahrens und damit das Interesse eines Entschädigungsklägers an diesem ankommt, ist in Verfahren, die Kostenfragen betreffende oder vorbereitende Nebenentscheidungen zum Gegenstand haben, klar zwischen den Interessen der Beteiligten und denen ihrer Rechtsanwälte zu unterscheiden (Anschluss an BSG, Urteil vom 12.12.2019 - B 10 ÜG 3/19 R - Rn. 41, 43).

Kostenfragen betreffenden Verfahren kommt im Regelfall nur eine untergeordnete Bedeutung zu (Anschluss an BSG, Urteil vom 11.06.2024 - B 10 ÜG 4/23 R - Rn. 21).

Wurde im Ausgangsverfahren um die Kosten eines Widerspruchsverfahrens gestritten, das von einem Rechtsanwalt im Namen einer nicht über ausreichende finanzielle Mittel zur Wahrnehmung ihrer rechtlichen Interessen verfügende und durch einen Berufsbetreuer vertretene Person geführt wurde, ohne dass Beratungshilfe nach dem Beratungshilfegesetz auch nur beantragt worden war, kann die Bedeutung des Klageverfahrens für den Kläger nicht damit begründet werden, dass er eine Honorarforderung seines Rechtsanwalts in Höhe von mehreren Hundert Euro befürchten musste. Der Kläger muss sich vielmehr das Versäumnis seines Betreuers und/oder Bevollmächtigten, nicht um Beratungshilfe nachzusuchen, zurechnen lassen, sodass sein Interesse nicht schützenswert ist.

Fallen für die vorprozessuale Geltendmachung eines Entschädigungsanspruchs beim späteren Beklagten für einen Kläger Rechtsanwaltskosten an, sind diese mangels Notwendigkeit regelmäßig nicht als Vermögensschaden im Sinne des § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG zu entschädigen (Fortführung von LSG Berlin-Brandenburg, Urteile vom 17.02.2021 - L 37 SF 55/20 EK AS - Rn. 40 f., vom 09.06.2021 - L 37 SF 271/19 EK AS - Rn. 62f. und vom 24.08.2023 - L 37 SF 196/20 EK AS - Rn. 53; Abgrenzung zu LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 07.08.2024 - L 38 SF 282/23 EK SB -). Das allein aus kostenrechtlichen Interessen eines Klägers geführte vorprozessuale Verfahren ist nicht einem sozial- oder verwaltungsrechtlichen Widerspruchsverfahren vergleichbar, sondern der erstmaligen Antragstellung bei einer Behörde oder der erstmaligen Anzeige eines Schadens bei einer Versicherung, wofür es regelmäßig nicht der Hinzuziehung eines Rechtsanwalts bedarf. Insbesondere besteht keine Notwendigkeit für die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts im Falle der Vertretung einer um eine Entschädigung nachsuchenden Person durch einen Berufsbetreuer.

Die Klage wird abgewiesen.

 

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

 

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

 

Der Kläger begehrt die Zahlung einer Entschädigung wegen überlanger Dauer des vor dem Sozialgericht Berlin zuletzt unter dem Aktenzeichen S 39 AS 11911/19 geführten Verfahrens. Dem abgeschlossenen Ausgangsverfahren lag folgender Sachverhalt zugrunde:

 

Mit Beschluss vom 14. Mai 2019 bestellte das Amtsgericht Wedding dem 1988 geborenen Kläger seinen aktuellen gesetzlichen Vertreter zum Betreuer. Der Aufgabenkreis des Berufsbetreuers umfasst u.a. die Vermögenssorge sowie die Vertretung vor Behörden und Gerichten. Im selben Monat wurde beim Jobcenter Berlin Reinickendorf (im Folgenden: Jobcenter) für den Kläger die Gewährung von Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Sozialgesetzbuch (SGB II) und Ende August 2019 die Übernahme rückständiger Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung für den Zeitraum vom 01. April 2017 bis zum 31. Mai 2019 beantragt. Mit Bescheiden vom 11. September 2019 bewilligte das Jobcenter zum einen Leistungen zur Grundsicherung für die Monate Juni bis November 2019. Zum anderen lehnte es die Gewährung von Sonderleistungen für Beiträge ab. Mit gegen den Bewilligungsbescheid gerichtetem Widerspruch vom 26. September 2019 (W-03099/19) forderte der Kläger unter Berufung auf die im Mai 2019 erfolgte Antragstellung die Leistungsbewilligung bereits ab diesem Monat, mit weiterem Widerspruch vom 02. Oktober 2019 die Übernahme der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung für Mai 2019 (W-03173/19). Mit an den Betreuer gerichtetem Bescheid vom 05. November 2019 hob das Jobcenter "den" Bescheid vom 11. September 2019 auf und erklärte sich - angesichts der vollständigen Entsprechung des Widerspruchs - bereit, die im Widerspruchsverfahren entstandenen Kosten auf Antrag zu erstatten, soweit sie notwendig waren. Bzgl. der Einzelheiten verwies es auf einen gesondert zugehenden Bescheid. In einem an den Bevollmächtigten gerichteten Bescheid vom 06. November 2019 führte das Jobcenter sodann aus, mit Bescheid vom Vortag dem Kläger Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Sozialgesetzbuch für Mai 2019 einschließlich Beiträgen zur Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung gewährt zu haben. Dem Widerspruch vom 02. Oktober 2019 sei damit im vollen Umfang abgeholfen. Notwendige Aufwendungen für hiesiges Verfahren (W-03099/19) könnten nicht erstattet werden, weil dem Begehren bereits im Rahmen des Widerspruchs vom 26. September 2019 (W-03172/19) entsprochen worden sei. Den hiergegen gerichteten Widerspruch wies das Jobcenter mit Widerspruchsbescheid vom 29. November 2019 zurück und führte zur Begründung aus, dass ein Rechtsanwalt die Gebühren in einer Angelegenheit nur einmal erhalten könne. Bei den beiden Widersprüchen habe es sich um dieselbe Angelegenheit gehandelt. Dem Prozessbevollmächtigten sei ferner bekannt gewesen, dass im Rahmen einer Bewilligungsentscheidung auch eine Anmeldung bei der Krankenkasse erfolge. Die Zielsetzung habe auf einem einheitlichen Lebenssachverhalt beruht. Aus der getrennten Bescheidung folge nichts anderes.

 

Daraufhin erhob der Kläger - vertreten durch seinen jetzigen Bevollmächtigten - am 24. Dezember 2019 Klage vor dem Sozialgericht Berlin gegen das Jobcenter. Er begehrte dort die Aufhebung des Bescheides vom 06. November 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. November 2019 und die Verurteilung des Jobcenters zur Erstattung der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung im Widerspruchsverfahren W-95506-03099/19 notwendigen Aufwendungen. Zugleich beantragte er die Bewilligung von Prozesskostenhilfe. In dem zunächst unter dem Aktenzeichen S 215 AS 11911/19 registrierten Verfahren bestätigte das Sozialgericht am 13. Januar 2020 den Eingang, forderte eine Erklärung zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen an und gab dem Jobcenter auf, binnen eines Monats auf die Klage zu erwidern. Am 16. Januar 2020 ging eine Erklärung zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen, am 27. Januar 2020 die Klageerwiderung ein. Tags darauf wurde diese an den Bevollmächtigten zur Kenntnisnahme weitergeleitet und der Vorgang um drei Monate verfristet.

 

Unter dem 15. Oktober 2020 richtete das Sozialgericht eine Anfrage an den Bevollmächtigten bzgl. der Höhe der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen im Widerspruchsverfahren W-95506-03099/19. Anfang Dezember 2020 bezifferte er diese daraufhin unter Vorlage eines Kostenfestsetzungsantrages vom 02. Dezember 2020 auf 320,00 €. Mitte Dezember 2020 leitete das Sozialgericht diesen Schriftsatz an das Jobcenter zur Kenntnisnahme weiter und verfristete die Sache um drei Monate.

 

Mit am selben Tage eingehendem Schriftsatz vom 16. Dezember 2020 verwies das Jobcenter auf den im selben Zusammenhang mit dem Bevollmächtigten geführten außergerichtlichen Schriftverkehr. Sechs Tage später leitete das Sozialgericht den Schriftsatz – ohne Anlagen - zur Kenntnisnahme an den Bevollmächtigten weiter. Auf dessen Anforderung vom 22. Dezember 2020 übersandte es ihm am 07. Januar 2021 den erwähnten Schriftverkehr (die Anlagen). Mit am 22. Januar 2021 eingehendem Schriftsatz widersprach der Bevollmächtigte dem Vortrag des Jobcenters teilweise. Das daraufhin am 27. Januar 2021 zur Stellungnahme aufgeforderte Jobcenter äußerte sich noch am selben Tag und machte geltend, dass am 06. No­vember 2019 ein Abhilfebescheid ergangen sei, mit dem die Kosten für das Widerspruchsverfahren W-03099/19 abgelehnt worden seien. Die Kostengrundentscheidung sei nicht durch Widerspruch angefochten worden und daher in Rechtskraft erwachsen. Mit am 29. Januar 2021 eingehendem Schreiben bat der Bevollmächtigte zum einen um Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag und trat zum anderen der Rechtsauffassung des Jobcenters entgegen.

 

Zum 01. Februar 2021 ging das Verfahren in die 117. Kammer über und wurde nunmehr unter dem Aktenzeichen S 117 AS 11911/19 geführt, wovon die Beteiligten unterrichtet wurden. Am 12. und 18. Februar 2021 forderte das Sozialgericht (noch fehlende) Unterlagen im Hinblick auf den Prozesskostenhilfeantrag an. Nach deren Eingang bewilligte es mit Beschluss vom 26. Februar 2021 Prozesskostenhilfe unter Beiordnung des Prozessbevollmächtigten. Der am 01. März 2021 abgesandte Beschluss wurde dem Bevollmächtigten und dem Jobcenter am selben Tag zugestellt.

 

Unter dem 16. April 2021 (abgesandt vier Tage später) erteilte das Gericht einen ausführlichen rechtlichen Hinweis und riet, eine Klagerücknahme zu prüfen. Hierzu setzte es dem Bevollmächtigten eine Frist von einem Monat. Am 01. Juni 2021 erinnerte es diesen unter Fristsetzung von drei Wochen. Zugleich übersandte es die Akten antragsgemäß an die 215. Kammer zum Verfahren S 215 AS 2608/20, von wo sie Anfang Juli 2021 zurückgelangten. Am 13. Juli 2021 erinnerte das Sozialgericht den Bevollmächtigten nochmals unter erneuter Fristsetzung von drei Wochen. Nachdem dieser weiterhin nicht reagiert hatte, fragte das Sozialgericht am 11. Oktober 2021 bei den damaligen Beteiligten an, ob Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung besteht. Tags darauf ging eine inhaltliche Stellungnahme des Bevollmächtigten ein, der Bezug auf einen Beschluss der 138. Kammer nahm. Zugleich erklärte er sein Einverständnis mit einer Entscheidung nach § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Am 18. Oktober 2021 ging das entsprechende Einverständnis des Jobcenters ein. Einen Tag später bat das Gericht den Bevollmächtigten um Übersendung des benannten Beschlusses und leitete dessen Schriftsatz vom 12. Oktober 2021 dem Jobcenter zur Stellungnahme binnen eines Monats zu. Am 21. Oktober 2021 gingen bei Gericht Stellungnahmen des Jobcenters sowie des Bevollmächtigten samt des angeforderten Beschlusses ein. Vier Tage später leitete das Sozialgericht die jeweiligen Schriftsätze weiter und verfügte den Vorgang in das "SE-Fach" (Schriftliche Entscheidung).

 

Am 01. November 2021 ging eine weitere (kurze) Stellungnahme des Jobcenters zum letzten Schriftsatz des Bevollmächtigten ein, die das Gericht am 08. November 2021 an diesen weiterleitete. Weiter verfügte es den Vorgang erneut in das "SE-Fach (25/01)".

 

Am 16. Februar 2022 erteilte das Gericht dem Jobcenter einen rechtlichen Hinweis und regte den Erlass einer positiven Kostengrundentscheidung an. Die Erwiderung hierauf ging am 07. März 2022 ein. Drei Tage später erteilte das Gericht den damaligen Beteiligten einen rechtlichen Hinweis bzgl. des Klagegegenstandes und fragte an, ob weiterhin Einverständnis mit einer Entscheidung nach § 124 Abs. 2 SGG bestehe. Mit am 11. bzw. 24. März 2022 eingehenden Schriftsätzen bestätigten die damaligen Beteiligten ihr jeweiliges Einverständnis. Den letztgenannten Schriftsatz leitete das Gericht am 07. April 2022 an den Bevollmächtigten zur Kenntnisnahme weiter.

 

Zum 01. Oktober 2022 ging das Verfahren in den Zuständigkeitsbereich der 39. Kammer über und wurde nunmehr unter dem Aktenzeichen S 39 AS 11911/19 geführt, wovon die damaligen Beteiligten informiert wurden.

 

Am 11. Oktober 2022 erhob der Klägerbevollmächtigte Verzögerungsrüge.

 

Mit Urteil vom 22. Februar 2023 wies das Sozialgericht die Klage ab. Die schriftlichen Urteilsgründe wurden den damaligen Beteiligten jeweils am 27. März 2023 zugestellt.

 

Mit Schreiben vom 02. April 2023 stellte der Prozessbevollmächtigte im Namen des Klägers vorprozessual einen Entschädigungsantrag, forderte wegen der Verzögerung des Verfahrens mindestens 1.000,00 € Entschädigung zzgl. 134,40 € Rechtsanwaltskosten für die außergerichtliche Rechtsverfolgung und machte zur Begründung geltend, dass der Kläger einen Anspruch auf Entschädigung in Höhe von mindestens 3.600,00 € (sic!) habe. Ihm stehe Rechtsschutz in angemessener Zeit zu. Das Sozialgericht sei monatelang untätig geblieben. Abzüglich Vorbereitungs- und Bedenkzeit für das Verfahren von zwölf Monaten verblieben mindestens zehn Monate entschädigungsrelevanter Verzögerung.

 

Unter dem 02. August 2023 lehnte der Beklagte die Zahlung einer Entschädigung ab. Zur Begründung führte er aus, dass es im gegenständlichen Verfahren tatsächlich zu Bearbeitungslücken gekommen sei, dies jedoch nicht in dem angenommenen Umfang. Gleichwohl werde im Hinblick auf die Verzögerungszeit das Bedauern zum Ausdruck gebracht. Ein materieller Entschädigungsanspruch bestehe indes nicht. Die Vermutung des § 198 Abs. 2 Satz 1 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) sei widerlegt. Mit dem im Ausgangsverfahren verfolgten Kostenfestsetzungsanspruch im Nachgang zu einem Widerspruchsverfahren sei ein Anspruch untergeordneter Bedeutung verfolgt worden, der zudem bereits im Rahmen eines anderen Widerspruchsverfahrens erfüllt worden sei. Erschwerend komme hinzu, dass die wirtschaftlichen Verhältnisse des unter Betreuung stehenden Klägers ein Beratungshilfemandat für die Rechtsverfolgung im Widerspruchsverfahren erfordert hätten. Der Betreuer bzw. der Bevollmächtigte hätten eine entsprechende Antragstellung beim Amtsgericht unterlassen. Vor diesem Hintergrund sei der Eintritt eines Nachteils bei dem Kläger abzulehnen, weil er entweder dem Bevollmächtigten Schlechterfüllung des Beratungsvertrages durch Unterlassen der Inanspruchnahme der Beratungshilfe oder dem Betreuer einen Verstoß gegen die Betreuungsobliegenheiten entgegenhalten könne, die zu einer Freistellung von den Rechtsanwaltskosten berechtigten.

 

Seitens des Klägers wurde dem mit der Begründung entgegengetreten, dass ihm unstreitig keine Beratungshilfe bewilligt worden sei. Er könne diese in Anspruch nehmen, müsse dies aber nicht. Schon gar nicht könne ein Rechtsanwalt ihm eine Antragstellung auferlegen. § 9 Beratungshilfegesetz (BerHG) wolle eine Begünstigung des Gegners durch die Mittellosigkeit des Rechtsuchenden verhindern. Der       - hier nicht ausgelöste - Anspruchsübergang nach § 9 Satz 2 BerHG diene jedoch ganz offensichtlich nicht dazu, den Beklagten von Entschädigungsansprüchen wegen unangemessener Dauer von Gerichtsverfahren freizustellen.

 

Nachdem der Senat dem Kläger auf dessen isolierten Prozesskostenhilfeantrag vom 16. August 2023 mit am 05. März 2024 zugestelltem Beschluss vom 28. Februar 2024 in der Annahme, dass es in den Monaten Februar bis September 2020, September und Dezember 2021, Januar 2022 sowie April 2022 bis Januar 2023 (21 Kalendermonate) zu dem Beklagten zuzurechnenden Verzögerungen und damit zu neun entschädigungspflichtigen Monaten gekommen sein könnte, unter Ansatz einer immerhin denkbaren Entschädigung in Höhe von 50,00 € je Monat Prozesskostenhilfe bewilligt hatte, soweit es um eine Entschädigung in Höhe von 450,00 € geht, hat der Kläger am 18. März 2024 Klage erhoben. Mit dieser hat er neben einem immateriellen Nachteil in Höhe von 450,00 € die im Rahmen der außergerichtlichen Rechtsverfolgung angefallenen Kosten in Höhe von 134,40 € geltend gemacht. Er meint, dass weder eine Wiedergutmachung auf sonstige Weise, etwa durch das vom Beklagten bereits zum Ausdruck gebrachte Bedauern, ausreiche noch eine Halbierung des Pauschbetrages angezeigt sei. Es liege kein atypischer Sonderfall vor. Der Kostenerstattung im Widerspruchsverfahren sei für den völlig vermögenslosen Kläger keinesfalls eine nur unterdurchschnittliche Bedeutung zuzuschreiben. Selbstverständlich habe dieser ein Interesse daran, dass sein Rechtsanwalt zeitnah vergütet werde. Zum einen sehe der auf einen Rechtsbeistand angewiesene Kläger sich einer Honorarforderung seines Rechtsanwalts ausgesetzt, der den Ausgleich seiner nach erfolgreichem Abschluss des Widerspruchsverfahrens fällig gewordenen Honorarforderung selbstverständlich nicht auf unbestimmte Zeit aufschiebe oder gar niederschlage. Zum anderen wolle der Kläger auch in Zukunft Zugang zu Rechtsanwälten haben, die bei ausbleibendem Ausgleich ihrer obendrein nicht gerade üppig bemessenen Honorarforderung aber die Annahme weiterer Mandate ablehnten. Der Kläger könne es sich nicht leisten, gegenüber seinem Rechtsanwalt in Vorleistung zu gehen. Im Übrigen habe der Kläger aus § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG einen Anspruch auf Übernahme der Rechtsanwaltskosten in Höhe von 134,40 €. Er sei so wenig wie sein gesetzlicher Vertreter auch nur ansatzweise in der Lage, den in Rede stehenden Entschädigungsanspruch ohne Hinzuziehung eines Rechtsanwalts zu beziffern. Allein gestellt, bleibe ihnen völlig verborgen, wann das Gericht inaktiv geblieben sei. Auf eine außergerichtlich von dem Beklagten nach seinem freien Belieben zu treffende Entscheidung, ob und wenn ja in welcher Höhe dem Kläger eine Entschädigung zustehe, könne und müsse sich dieser bzw. sein ggfs. haftender gesetzlicher Vertreter nicht verweisen lassen. Der gesetzliche Vertreter sei vom Betreuungsgericht nicht dazu bestellt worden, komplexe Entschädigungsansprüche seines Betreuten außergerichtlich durchzusetzen, schon gar nicht unter Wahrung der in § 198 Abs. 5 Satz 2 GVG genannten Frist.

 

Der Kläger beantragt,

 

den Beklagten zu verurteilen, ihm wegen überlanger Dauer des vor dem Sozialgericht Berlin zuletzt unter dem Aktenzeichen S 39 AS 11911/19 geführten Verfahrens eine Entschädigung in Höhe von mindestens 450,00 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen und ihn von den im Rahmen der außergerichtlichen Rechtsverfolgung angefallenen Kosten in Höhe von 134,40 € freizustellen.

 

Der Beklagte, dem die Klage am 03. April 2024 zugestellt worden ist, beantragt,

 

die Klage abzuweisen.

 

Er wiederholt neben seinem Bedauern nochmals die Auffassung, dass die Vermutung des Eintritts eines Nachteils vorliegend widerlegt sei. Angesichts des Streitgegenstandes und vor dem Hintergrund der Erfüllung des Anspruchs im Rahmen eines anderen Widerspruchsverfahrens erscheine es ausgeschlossen, dass ein Nachteil in Gestalt einer seelischen Beeinträchtigung entstanden sein könne. Abgesehen davon seien ihm die von März bis Mai 2020 aufgetretenen Verzögerungen aufgrund der Corona-Pandemie nicht zurechenbar. Schließlich bestehe auch kein Anspruch auf die Rechtsanwaltskosten für die vorgerichtliche Geltendmachung des Entschädigungsanspruchs.

 

Mit Beschluss vom 11. September 2024 hat der Senat dem Kläger weitere Prozesskostenhilfe im Umfang von 83,70 € im Hinblick auf die verfolgten Rechtsanwaltskosten für die vorprozessuale Geltendmachung gewährt.

 

Mit Schriftsätzen vom 23. September und 01. Oktober 2024 haben die Beteiligten sich jeweils mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung nach § 124 Abs. 2 SGG einverstanden erklärt.

 

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte und auf die Akten des Ausgangsverfahrens verwiesen, die dem Senat vorgelegen haben und Gegenstand der Entscheidung gewesen sind.

 

 

Entscheidungsgründe

 

Der nach § 201 Abs. 1 GVG sowie § 202 Satz 2 SGG für die Entscheidung über die Entschädigungsklage zuständige Senat konnte über diese nach § 201 Abs. 2 Satz 1 GVG i.V.m. §§ 202 Satz 2, 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheiden, nachdem die Beteiligten hierzu unter dem 23. September und 01. Oktober 2024 ihr Einverständnis erteilt hatten.  

 

Die Klage ist zulässig, nicht jedoch begründet.

 

A.      Die als allgemeine Leistungsklage statthafte Entschädigungsklage ist zulässig. Insbesondere bestehen keine Zweifel an der Wahrung der gemäß § 90 SGG für die Klage vorgeschriebenen Schriftform.

 

Ebenso wenig ist die Klage verfristet. Nach § 198 Abs. 5 Satz 2 GVG ist die Entschädigungsklage innerhalb von sechs Monaten nach Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung, die das Verfahren beendet, oder einer anderen Erledigung des Verfahrens zu erheben. Im streitgegenständlichen Ausgangsverfahren wurden die Entscheidungsgründe den dortigen Beteiligten am 27. März 2023 zugestellt, woraufhin einen Monat später Rechtskraft eintrat. Seine Entschädigungsklage hat der Kläger zwar erst am 18. März 2024 und damit offensichtlich außerhalb der Frist von sechs Monaten erhoben. Dies ist hier jedoch unschädlich. Denn der Kläger hatte zuvor am 16. August 2023, und damit innerhalb der Klagefrist, einen isolierten Prozesskostenhilfeantrag gestellt. Dieser Antrag hat den Ablauf der Klagefrist zwar nicht gehemmt. Allerdings ist der Ablauf der Klagefrist nach Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) i.V.m. den Grund­sätzen von Treu und Glauben unbeachtlich, wenn nach der Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag unverzüglich Klage erhoben wird (BSG, Urteil vom 07.09.2017 - B 10 ÜG 1/17 R - Rn. 23 f., juris), wovon bei Klageerhebung innerhalb von zwei Wochen regelmäßig auszugehen ist (BSG, Beschluss vom 02.08.2018        - B 10 ÜG 2/18 B - Rn. 7, juris). Diese Frist, von der abzuweichen es vorliegend keinen Anlass gibt, hat der Kläger gewahrt, da der ihm Prozesskostenhilfe in Vorbereitung einer Entschädigungsklage gewährende Beschluss des Senats vom 28. Februar 2024 ihm am 05. März 2024 zugestellt wurde. Dass die Klage dem Beklagten erst am 03. April 20224 zugestellt wurde, ist hingegen unerheblich. Denn für die Wahrung der Klagefrist kommt es allein auf den Eingang der Klage beim Entschädigungsgericht an (BSG, Urteile vom 17.12.2000 - B 10 ÜG 1/19 R - Rn. 16 m.w.N. und vom 26.10.2023 - B 10 ÜG 1/22 R - Rn. 15, zitiert jeweils nach juris).

 

B.      Allerdings ist die sich unter Berücksichtigung des § 200 Satz 1 GVG zu Recht gegen das hier passivlegitimierte Land Berlin richtende Entschädigungsklage unbegründet.

 

Streitgegenständlich ist ein Anspruch des Klägers auf Entschädigung wegen überlanger Dauer des vor dem Sozialgericht Berlin zuletzt unter dem Aktenzeichen S 39 AS 11911/19 geführten Verfahrens. Der Kläger erstrebt insoweit den Ausgleich sowohl eines immateriellen Nachteils als auch eines Vermögensschadens in Form der ihm für die vorprozessuale Geltendmachung des Entschädigungsanspruchs entstandenen Kosten. Indes steht dem Kläger die erstrebte Entschädigung zur Überzeugung des Senats nicht zu.

 

Nach § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG wird angemessen entschädigt, wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet. Gemäß § 198 Abs. 2 Satz 1 und 2 GVG wird ein Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren unangemessen lange gedauert hat. Hierfür kann Entschädigung allerdings nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalls Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß § 198 Abs. 4 GVG ausreichend ist. Eine Entschädigung erhält ein Verfahrensbeteiligter schließlich nur dann, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer des Verfahrens gerügt hat (§ 198 Abs. 3 Satz 1 GVG).

 

Zwar weist das Verfahren eine unangemessene Dauer auf (hierzu zu I.). Auch liegt die erforderliche Verzögerungsrüge vor (hierzu zu II.). Indes geht der Senat davon aus, dass zum Ausgleich des immateriellen Nachteils eine Wiedergutmachung auf sonstige Weise ausreichend gewesen wäre, der dahingehende Anspruch indes bereits erfüllt ist (hierzu zu III.), und ein Vermögensnachteil mangels Erforderlichkeit der Einschaltung eines Rechtsanwalts im vorprozessualen Verfahren nicht auszugleichen ist (hierzu zu IV.).

 

I.        Das sich ab Klageerhebung am 24. Dezember 2019 bis zur Zustellung der Gründe des das Verfahren beendenden Urteils des Sozialgerichts am 27. März 2023 über drei Jahre und vier Monate hinziehende Verfahren weist eine unangemessene Dauer auf.

 

Gemäß § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG kommt es für die Beurteilung der Verfahrensdauer auf die Umstände des Einzelfalls, insbesondere das Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter sowie die Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens an.

 

1.    Das streitgegenständliche Verfahren war für den Kläger zur Überzeugung des Senats von unterdurchschnittlicher Bedeutung. Denn die Bedeutung des Verfahrens ergibt sich zum einen aus der allgemeinen Tragweite der Entscheidung für die materiellen und ideellen Interessen der Beteiligten. Zum anderen trägt zur Bedeutung der Sache im Sinne des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG im Kontext des Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz maßgeblich das Interesse des Betroffenen gerade an einer raschen Entscheidung bei. Entscheidend ist deshalb auch, ob und wie sich der Zeitablauf nachteilig auf die Verfahrensposition des Klägers bzw. der Klägerin und das geltend gemachte materielle Recht sowie möglicherweise auf seine/ihre weiteren geschützten Interessen auswirkt (BSG, Urteile z.B. vom 03.09.2014 - B 10 ÜG 2/13 - Rn. 29 und vom 07.09.2017 – B 10 ÜG 1/16 R - Rn. 34, jeweils zitiert nach juris). Maßstab ist dabei allein eine objektivierte Betrachtung (BSG, Urteil vom 07.09.2017 – B 10 ÜG 1/16 R – juris, Rn. 35).

 

Gemessen daran kann dem hier gegenständlichen Verfahren, in dem um die Erstattung der Kosten für eines von zwei Widerspruchsverfahren gestritten wurde, mit denen der Kläger nach der Bewilligung von Leistungen zur Grundsicherung nach dem SGB II für die Monate Juni bis November 2019 zum einen die Gewährung von Grundsicherungsleistungen auch für Mai 2019 und zum anderen die Übernahme von Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung für eben diesen Monat gefordert hatte, zur Überzeugung des Senats lediglich eine unterdurchschnittliche Bedeutung zugesprochen werden. Dies folgt schon daraus, dass Verfahren, die lediglich Neben­entscheidungen in Kostenfragen betreffen, im Regelfall nur untergeordnete Bedeutung haben (für die Kosten eines Widerspruchsverfahrens: BSG, Urteil vom 11.06.2024 - B 10 ÜG 4/23 R - Rn. 21 m.w.N.). Anderes hat auch vorliegend nicht zu gelten. Die seitens des Klägers zur Untermauerung einer weitergehenden Bedeutung vorgetragenen Gründe rechtfertigen keine andere Einschätzung.

 

Soweit auf das Interesse an einer zeitnahen Vergütung seines Bevollmächtigten verwiesen und die allgemein nicht üppige Honorierung beklagt wird, werden letztlich Interessen des Bevollmächtigten in den Vordergrund gerückt. Diese mögen verständlich sein, sind hier jedoch unerheblich. Denn insbesondere in Verfahren, die Neben­entscheidungen in Kostenfragen betreffen, ist klar zwischen den Interessen der Beteiligten und denen ihrer Rechtsanwälte zu unterscheiden (BSG, Urteil vom 12.12.2019 - B 10 ÜG 3/19 R - Rn. 41, 43, juris).

 

Soweit hingegen auf die Sorge des Klägers abgestellt wird, demnächst mit der - vom Bevollmächtigten im Laufe des gegenständlichen Klageverfahrens auf 320,00 € bezifferten - Honorarforderung für das Widerspruchsverfahren konfrontiert und bei nicht zeitnaher Honorierung möglicherweise nicht weiter rechtlich vertreten zu werden, handelt es sich zur Überzeugung des Senats nicht um schützenswerte Interessen.

 

Der Senat hat durchaus Zweifel, ob der Kläger tatsächlich damit rechnen musste, jemals einem Vergütungsbegehren seines Rechtsanwaltes ausgesetzt zu werden, und das Klageverfahren damit für ihn überhaupt von irgendeiner Bedeutung war. Letztlich ist dies jedoch nicht entscheidend. Insbesondere hatte der Senat keinen Anlass, der Frage nachzugehen, ob dem Kläger die (ernsthafte) Geltendmachung eines Vergütungsanspruchs seines Rechtsanwalts drohte. Denn selbst wenn der Kläger bzw. hier sein Betreuer davon ausgehen musste, dass der bevollmächtigte Rechtsanwalt Kosten für das Widerspruchsverfahren in Rechnung stellen könnte, rechtfertigt dies nicht die Annahme, dass das auf Erstattung eben dieser Kosten gerichtete Klageverfahren bedeutsam war. Denn die bestehende Sorge wäre ggfs. nicht schützenswert.

 

Der Senat sieht es als selbstverständlich an, dass im Falle der Rechtsuche durch eine nicht über die hierfür erforderlichen Mittel verfügende Person sowohl durch diese selbst bzw. ihren Betreuer als auch den um Hilfe angegangenen Rechtsanwalt, der tatsächlich beabsichtigt, für seine Beratung - im Falle des Unterliegens vom Rechtsuchenden - ein Honorar zu fordern, abgewogen wird, wie die nötigen Mittel zu beschaffen sind. Um einkommens- und vermögenslosen Personen die Wahrnehmung ihrer Rechte außerhalb eines gerichtlichen Verfahrens zu ermöglichen, sieht der Gesetzgeber die Gewährung von Beratungshilfe vor. Wenn diese - im Falle des Vorliegens der Voraussetzungen nach § 1 BerHG - von einem bzw. in Fällen der Betreuung für einen einkommens- und vermögenslosen Kläger nicht in Anspruch genommen wird, dann kann nicht im Nachhinein geltend gemacht werden, dass ein Verfahren, in dem es letztlich allein um die Erstattung der Kosten für die Vertretung durch einen Rechtsanwalt in einem außergerichtlichen Verfahren ging, für ihn von Bedeutung war. Denn diese Sorge ist letztlich auf eigenes Unterlassen zurückzuführen, wobei der Kläger sich ggfs. das seines Betreuers und/oder Anwalts zurechnen lassen muss.

 

Soweit der Bevollmächtigte im Laufe des Verfahrens auf den nicht erfolgten Anspruchsübergang nach § 9 Satz 2 BerHG verwiesen hat, rechtfertigt dies keine andere Beurteilung. Im hiesigen Kontext, in dem allein die Interessen des Klägers von Bedeutung sind, ist vielmehr maßgeblich, dass ersichtlich zu keinem Zeitpunkt (vgl. hierzu auch § 6 Abs. 2 BerHG) ein Antrag auf Bewilligung von Beratungshilfe gestellt wurde. Die Bewilligung von Beratungshilfe hätte indes nach § 8 Abs. 2 BerHG bewirkt, dass der Bevollmächtigte gegen den Kläger keinen Anspruch auf Vergütung mit Ausnahme der - sich auf 15,00 € belaufenden - Beratungshilfegebühr (§ 44 Satz 2 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz - RVG - i.V.m. Nummer 2500 Vergütungsverzeichnis) hätte geltend machen können, was nach § 8 Abs. 2 Satz 2 BerHG im Falle der nachträglichen Antragstellung (§ 6 Abs. 2 BerHG) bereits bis zur Entscheidung durch das Gericht gegolten hätte. Die drohende Kostenlast hätte sich damit auf nicht einmal 5 % der hier bezifferten Forderung belaufen.

 

Nichts anderes hat im Ergebnis zu gelten, wenn die Voraussetzungen bei einem        - wie hier - offensichtlich nicht selbst über die erforderlichen Mittel verfügenden Rechtsuchenden für die Gewährung von Beratungshilfe nicht vorliegen. Denn dies kann nur dann der Fall sein, wenn die Inanspruchnahme von Beratungshilfe entweder mutwillig erscheint (§ 1 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3 BerHG) oder eine andere Möglichkeit für Hilfe zur Verfügung steht, deren Inanspruchnahme dem Rechtsuchenden zuzumuten ist (§ 1 Abs. 1 Nr. 2 BerHG). Ob von Letzterem für das hier durchgeführte Widerspruchsverfahren bei der Bestellung eines Berufsbetreuers, von dem durchaus Kenntnisse zum SGB II zu erwarten sind (vgl. insoweit aktuell: § 3 Abs. 2 Nr. 1a) Betreuerregistrierungsverordnung - BtRegV - sowie Anlage zu § 3 Abs. 4, insbesondere Modul 8), auszugehen wäre, kann dahinstehen. Denn ggfs. müsste sich der Kläger auch dann das Verhalten seines Betreuers zurechnen lassen und wäre nicht schützenswert.

 

Schließlich kann eine Bedeutung des streitgegenständlichen Verfahrens für den Kläger auch nicht mit Blick auf die für das streitgegenständliche Verfahren drohende Forderung seines Bevollmächtigten angenommen werden. Das Sozialgericht hat dem Kläger mit Beschluss vom 26. Februar 2021 - und damit zu einem Zeitpunkt, zu dem (noch) keine unangemessene Verfahrensdauer vorlag - Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seines Bevollmächtigten gewährt. Nach § 122 Abs. 1 Nr. 3 Zivilprozessordnung (ZPO) konnten damit durch den Bevollmächtigten keine Kosten mehr gegen den Kläger geltend gemacht werden.

 

Dass sich der Zeitablauf ansonsten in irgendeiner Weise nachteilig auf die Verfahrensposition, insbesondere auf das materielle Recht oder auf sonstige geschützte Interessen des Klägers ausgewirkt hat oder auch nur auszuwirken drohte, wird nicht geltend gemacht und ist auch sonst nicht ersichtlich. Für die Allgemeinheit hatte das Ausgangsverfahren schließlich ersichtlich keinerlei Bedeutung.

 

Die Schwierigkeit des Verfahrens sowie seine Komplexität sind jeweils als allenfalls durchschnittlich einzustufen.

 

2.         Bei der - für die Feststellung einer etwaigen unangemessenen Verfahrensdauer erforderlichen - Ermittlung sachlich nicht gerechtfertigter Zeiten des Verfahrens, insbesondere aufgrund von Untätigkeit des Gerichts, hat das Entschädigungsgericht nicht zu prüfen, ob jeder einzelne Schritt im Ausgangsverfahren von substanzieller Bedeutung oder sachgerecht war. Es hat im Gegenteil das Handeln des Ausgangsgerichts gerade keiner rechtlichen Vollkontrolle zu unterziehen, sondern die materiell-rechtlichen Annahmen, die das Ausgangsgericht seiner Verfahrensleitung und –gestaltung zugrunde legt, nicht infrage zu stellen, soweit sie nicht geradezu willkürlich erscheinen. Zudem räumt die Prozessordnung dem Ausgangsgericht ein weites Ermessen bei seiner Entscheidung darüber ein, wie es das Verfahren gestaltet und leitet. Die richtige Ausübung dieses Ermessens ist vom Entschädigungsgericht allein unter dem Gesichtspunkt zu prüfen, ob das Ausgangsgericht bei seiner Prozessleitung Bedeutung und Tragweite des Menschenrechts aus Art. 6 Abs. 1 Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) bzw. des Grundrechts aus Art. 19 Abs. 4 GG in der konkreten prozessualen Situation hinreichend beachtet und fehlerfrei gegen das Ziel einer möglichst richtigen Entscheidung abgewogen hat (BSG, Urteile vom 03.09.2014 - B 10 ÜG 2/13 R -, Rn. 36, - B 10 ÜG 9/13 R - Rn. 39, - B 10 ÜG 12/13 R -, Rn. 43 und – B 10 ÜG 2/14 R –Rn. 42, jeweils zitiert nach juris).

 

Bedeutsam ist zudem, dass dann keine inaktive Zeit der Verfahrensführung vorliegt, wenn z.B. ein Kläger während Phasen (vermeintlicher) Inaktivität des Gerichts selbst durch das Einreichen von Schriftsätzen eine Bearbeitung des Vorgangs durch das Gericht bewirkt. Denn zum einen markiert ein Posteingang auf der Poststelle den Beginn der gerichtlichen Bearbeitung durch das Gericht, da zum (Ausgangs-)Gericht auch dessen Poststelle gehört. Ein Posteingang bedeutet wegen des Monatsprinzips damit, dass der gesamte Monat mit einer gerichtlichen Aktivität belegt ist (vgl. BSG, Urteil vom 24.03.2022 - B 10 ÜG 2/20 R - Rn. 29 m.w.N.). Zum anderen bewirken eingereichte Schriftsätze, die einen gewissen Umfang haben und sich inhaltlich mit Fragen des Verfahrens befassen, generell eine Überlegungs- und Bearbeitungszeit beim Gericht, die mit einem Monat zu Buche schlägt (BSG, Urteil vom 03.09.2014     - B 10 ÜG 12/13 R - juris, Rn. 57).

 

Weiter ist zu beachten, dass die Übersendung eines Schriftsatzes, z.B. eines Gutachtens, einer gutachtlichen Stellungnahme oder auch der Berufungserwiderung an die Beteiligten zur Kenntnis stets die Möglichkeit zur Stellungnahme beinhaltet und die Entscheidung des Gerichts, im Hinblick auf eine mögliche Stellungnahme zunächst nicht weitere Maßnahmen zur Verfahrensförderung zu ergreifen, grundsätzlich noch seiner Entscheidungsprärogative unterliegt und - mit Ausnahme unvertretbarer oder schlechthin unverständlicher Wartezeiten - durch das Entschädigungsgericht nicht als Verfahrensverzögerung zu bewerten ist (BSG, Urteil vom 07.09.2017 - B 10 ÜG 1/16 R - juris, Rn. 43).

 

Unter Berücksichtigung dieser Grundlagen gilt hier Folgendes:

 

Nach Eingang der Klage im Dezember 2019 und der - noch im selben Monat an den Bevollmächtigten weitergeleiteten - Erwiderung Ende Januar 2020 war es gerechtfertigt, im Februar 2020 abzuwarten, ob seinerseits noch eine Erwiderung und/oder Erweiterung der Klagebegründung eingeht. Soweit es sodann ab März 2020 zu einer ersten Phase der gerichtlichen Inaktivität gekommen ist, ist dies dem Beklagten lediglich mit Blick auf die Monate Juni bis September 2020 (4 Kalendermonate) zuzurechnen. Denn etwaige zwischen März und Mai 2020 - und damit während des ersten Corona-Lockdowns - aufgetretene Verzögerungen, sei es im Sitzungsbetrieb, sei es im allgemeinen Geschäftsablauf, sind dem Land nach gefestigter Rechtsprechung des Senats (vgl. z.B. Senatsurteil vom 20.01.2023 – L 37 SF 71/22 EK SO – juris, Rn. 33 ff. m.w.N.), die das Bundessozialgericht mit Urteilen vom 11. Juni 2024 bestätigt hat (vgl. B 10 ÜG 3/23 R, Rn. 23 ff. und B 10 ÜG 4/23 R, Rn. 23, jeweils zitiert nach juris), nicht anzulasten. Dass vorliegend anderes zu gelten hätte, vermag der Senat weder unter Berücksichtigung des Streitgegenstandes im Ausgangsverfahren noch des klägerischen Vortrages zu erkennen.

 

Ab Oktober 2020 wurde das Verfahren sodann wieder betrieben, indem das Gericht eine Anfrage an den Bevollmächtigten richtete und Schriftsätze der damaligen Beteiligten ausgetauscht wurden. Mit am 01. März 2021 abgesandtem und zugestelltem Beschluss vom 26. Februar 2021 bewilligte das Gericht schließlich Prozesskostenhilfe. Im Hinblick auf die insoweit erforderliche Zustellung des Beschlusses, die eine Überwachung des Rücklaufs der Zustellnachweise durch das Gericht erforderte, und unter Berücksichtigung des Monatsprinzips ist damit auch der März 2021 als Aktivitätsmonat zu bewerten. Im April 2021 erteilte das Gericht sodann dem Bevollmächtigten einen rechtlichen Hinweis und regte die Prüfung einer Klagerücknahme an. Da dieser trotz Fristsetzung von einem Monat nicht reagierte, ist es nicht zu beanstanden, dass das Gericht ihn im Juni und nochmals Juli 2021 erinnerte und im August 2021 den Eingang einer Reaktion abwartete. Im Gegenteil ist es hier letztlich zu einer mindestens viermonatigen Verzögerung gekommen, die der Kläger sich zurechnen lassen muss. Indes ist dem Beklagten dann wieder die gerichtliche Inaktivität im September 2021 (1 Kalendermonat) anzulasten.

 

Nachdem das Gericht sodann im Oktober 2021 um das Einverständnis zu einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung ersucht hatte, kam es infolge einer nunmehr eingehenden inhaltlichen Stellungnahme des Bevollmächtigten zum weiteren Austausch von Schriftsätzen, der sich bis in den November 2021 hinzog. Hingegen wurde das Verfahren zwischen Dezember 2021 und Januar 2022 (2 Kalendermonate) wieder nicht betrieben.

 

Ab Februar 2022 förderte das Gericht das Verfahren dann erneut, indem es zunächst dem Jobcenter und sodann im März 2022 dem Bevollmächtigten rechtliche Hinweise erteilte. Im Laufe des Monats März 2022 bekräftigten schließlich beide damalige Beteiligte ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung. Da das Gericht den am 24. März 2022 eingegangenen entsprechenden Schriftsatz Anfang April 2022 an den Bevollmächtigten zur Kenntnisnahme weiterleitete, ist auch noch dieser Monat als Aktivitätsmonat zu bewerten. Denn der Monat, in dem das Gericht einem anderen Verfahrensbeteiligten die Einverständniserklärung der Gegenseite zur Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil übermittelt, stellt sich als Aktivitätsmonat dar. Hierin ist durchaus ein relevanter Verfahrensförderungsschritt zu sehen, der über die bloße - nicht als aktive Verfahrensgestaltung anzusehende - Beantwortung einer Sachstandsanfrage hinausgeht. Die Beteiligten haben ein erhebliches Interesse daran zu erfahren, ob die jeweilige andere Seite eine Einverständniserklärung nach § 124 Abs. 2 SGG erteilt hat und somit die Voraussetzungen für eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gegeben sind (LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 20.01.2023 - L 37 SF 83/22 EK R - Rn. 53, juris). Indes ist es sodann von Mai 2022 bis einschließlich Januar 2023 (Monat vor der Entscheidung) nochmals zu gerichtlicher Inaktivität gekommen (9 Kalendermonate)

 

Insgesamt ist es mithin in 16 Kalendermonaten zu gerichtlicher Inaktivität gekommen. Dies heißt jedoch nicht, dass von einer Unangemessenheit der Verfahrensdauer in entsprechendem Umfang auszugehen ist. Denn erst die wertende Gesamtbetrachtung und Abwägung aller Einzelfallumstände ergibt, ob die Verfahrensdauer die äußerste Grenze des Angemessenen deutlich überschritten und deshalb das Recht auf Rechtsschutz in angemessener Zeit verletzt hat (BSG, Urteil vom 07.09.2017      – B 10 ÜG 1/16 R - juris, Rn. 33). Dabei ist zu beachten, dass den Gerichten – über die Phasen der aktiven Verfahrensförderung hinaus - Vorbereitungs- und Bedenkzeiten von in der Regel zwölf Monaten je Instanz als angemessen zuzugestehen sind, falls sich nicht aus dem Vortrag des Klägers oder aus den Akten besondere Umstände ergeben, die vor allem mit Blick auf die Kriterien des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG im Einzelfall zu einer anderen Bewertung führen (BSG, Urteile vom 03.09.2014 – B 10 ÜG 2/13 R – Rn. 48, – B 10 ÜG 2/14 R – Rn. 49 und  - B 10 ÜG 12/13 R - Rn. 56, nochmals ausdrücklich an dieser Rechtsprechung festhaltend: Urteil vom 24.03.2022 – B 10 ÜG 2/20 R – Rn. 33 ff., jeweils zitiert nach juris). Gründe, die es rechtfertigen würden, von dieser Zeit abzuweichen, sind unter Berücksichtigung der Bedeutung des Ausgangsverfahrens sowie dessen Schwierigkeit und Komplexität nicht ersichtlich und werden von den Beteiligten auch nicht geltend gemacht. Es ist damit von einer entschädigungspflichtigen Verzögerung im Umfang von vier Kalendermonaten auszugehen.

 

II.       Zweifel an der ordnungsgemäßen Erhebung einer Verzögerungsrüge bestehen nicht. Diese wurde am 11. Oktober 2022 an das Gericht herangetragen und damit zu einem Zeitpunkt, zu dem das Verfahren nach vorstehenden Ausführungen bereits eine unangemessene Dauer aufwies.

 

III.   Gleichwohl steht dem Kläger die begehrte Entschädigung für den erlittenen immateriellen Nachteil nicht zu.

 

Soweit der Beklagte meint, dass bereits von einer Widerlegung der gesetzlichen Vermutung des Eintritts eines immateriellen Nachteils nach § 198 Abs. 2 Satz 1 GVG i.V.m. § 202 Satz 1 SGG, § 292 Satz 1 ZPO auszugehen sei, erscheint dies durchaus erwägenswert. Denn diese ist anzunehmen, wenn das Entschädigungsgericht     - unter Berücksichtigung der von einer Klägerin bzw. einem Kläger gegebenenfalls geltend gemachten Beeinträchtigungen - nach einer Gesamtbewertung der Folgen, die die Verfahrensdauer für sie/ihn mit sich gebracht hat, die Überzeugung gewinnt, dass die (unangemessene) Verfahrensdauer nicht zu einem Nachteil bei der Klägerin/dem Kläger geführt hat. Dies kann u.a. dann der Fall sein, wenn eine Gesamtbewertung den Schluss rechtfertigt, dass es an einem Kausalzusammenhang zwischen Verfahrensdauer und Nachteil fehlt (BSG, Urteil vom 17.12.2020 – B 10 ÜG 1/19 R – Rn. 54 m.w.N., so auch LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 09.06.2021 – L 37 SF 271/19 EK AS – Rn. 55, jeweils zitiert nach juris) oder unter Berücksichtigung namentlich des Gegenstands des streitgegenständlichen Ausgangsverfahrens sowie des Vorgehens der Beteiligten in diesem Verfahren nicht zu erkennen ist, dass die spätere Entschädigungsklägerin bzw. der spätere Entschädigungskläger in irgendeiner Form einer seelischen Unbill ausgesetzt gewesen sein könnte (LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 30.07.2020 – L 37 SF 133/20 EK AS WA – Rn. 20, juris). Gleiches hat zur Überzeugung des Senats in Fällen zu gelten, in denen zwar im Namen eines Klägers ein Verfahren geführt wird, in diesem aber letztlich nicht dessen Interessen, sondern letztlich die seines Bevollmächtigten verfolgt werden.

 

Ob dies der Fall ist, kann jedoch letztlich dahinstehen. Denn jedenfalls ist zur Überzeugung des Senats eine Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß § 198 Abs. 2 Satz 2, Abs. 4 GVG als ausreichend und der diesbezügliche Anspruch - so er denn seitens des Klägers überhaupt noch verfolgt wird - als erfüllt anzusehen.

 

Eine Wiedergutmachung auf sonstige Weise kommt unter Würdigung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 6 und Art. 41 EMRK zwar nur ausnahmsweise in Betracht, nämlich dann, wenn das zu beurteilende Verfahren sich durch eine oder mehrere entschädigungsrelevante Besonderheiten in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht von vergleichbaren Fällen abhebt (BSG Urteil vom 12.02.2015 – B 10 ÜG 11/13 R – Rn. 36, juris). Dies aber ist hier der Fall. Denn hiervon kann unter anderem dann auszugehen sein, wenn das Verfahren für den Entschädigungskläger aus der Sicht eines verständigen Dritten in der Lage des Klägers keine besondere Bedeutung hatte (vgl. z.B. BSG Urteil vom 21.02.2013       – B 10 ÜG 1/12 KL - Rn. 45 sowie vom 12.12.2019 – B 10 ÜG 3/19 R – Rn. 40 und Beschluss vom 11.11.2019 – B 10 ÜG 1/19 B – Rn. 8 f. m.w.N., alle zitiert nach juris).

 

Der Senat hat keine Zweifel, dass der Bevollmächtigte des Klägers ein Interesse an der zügigen Entscheidung über die Pflicht des Jobcenters zur Erstattung von Kosten für ein zuvor geführtes Widerspruchsverfahren hatte. Dies ist indes irrelevant. Soweit es vielmehr allein auf das Interesse des Klägers selbst ankommt, ist zu beachten, dass das gegenständliche Klageverfahren - wie bereits oben zur Bedeutung des Verfahrens für den Kläger ausführlich dargelegt - aus der Sicht eines verständigen Dritten in der Lage des Klägers jedenfalls keine schützenswerte Bedeutung hatte. Denn abgesehen davon, dass Kostensachen bereits regelmäßig eine nur untergeordnete Bedeutung zukommt, ist hier ferner zu berücksichtigen, dass die angeblich drohende Belastung mit der Honorarforderung seines Rechtsanwalts bei sachgerechtem Vorgehen des Betreuers und/oder Bevollmächtigten des Klägers, deren Handeln dieser sich zurechnen lassen muss, ohne weiteres zu vermeiden gewesen wäre. Im Übrigen ist nicht ansatzweise ersichtlich, dass der Kläger weitergehende immaterielle Schäden erlitten haben könnte, die über die Überlänge hinausgehen (vgl. hierzu BSG, Beschluss vom 11.11.2019 – B 10 ÜG 1/19 B – Rn. 8 m.w.N., Urteil vom 12.12.2019 – B 10 ÜG 3/19 R – Rn. 40 jeweils zitiert nach juris). Der Senat geht daher davon aus, dass das zu beurteilende, im Übrigen in nur geringfügigem Umfang verzögerte Verfahren entschädigungsrelevante Besonderheiten aufweist, die es rechtfertigen, eine Wiedergutmachung auf sonstige Weise ausreichen zu lassen.

 

Wäre damit grundsätzlich als Wiedergutmachung auf andere Weise die Feststellung der Unangemessenheit der Verfahrensdauer ausreichend, bedarf es vorliegend nicht einmal mehr dieser. Der erkennende Senat geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass für eine gerichtliche Feststellung nach § 198 Abs. 4 GVG kein Raum (mehr) ist, wenn das beklagte Land - so wie hier wiederholt geschehen - die Verfahrensüberlänge in irgendeiner Form bereits anerkannt und Bedauern hierüber zum Ausdruck gebracht hat (vgl. Senatsurteile vom 17.02.2021 – L 37 SF 156/20 EK SF – Rn. 41 und vom 27.04.2023 – L 37 SF 127/20 EK AS – Rn. 51, jeweils zitiert nach juris). Es kann daher dahinstehen, ob seitens des Klägers überhaupt (noch) eine entsprechende Feststellung begehrt wird.

 

IV.  Schließlich kann der Kläger mit seiner Klage auch keinen Erfolg haben, soweit er eine Freistellung von den ihm für die vorprozessuale Geltendmachung des Entschädigungsanspruchs entstandenen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 134,40 € fordert.

 

Der Senat geht regelmäßig davon aus, dass die für die vorprozessuale Verfolgung des Entschädigungsanspruchs angefallenen Anwaltskosten grundsätzlich eine Vermögenseinbuße und damit einen materiellen Nachteil im Sinne des § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG darstellen können, dies allerdings nur, soweit sie notwendig waren (LSG Berlin-Brandenburg, Urteile vom 17.02.2021 – L 37 SF 55/20 EK AS – Rn. 40 und – L 37 SF 123/20 EK AS – Rn. 39, vom 09.06.2021 – L 37 SF 271/19 EK AS – Rn. 62, jeweils m.w.N., Urteil vom 24.08.2023 – L 37 SF 196/20 EK AS – juris, Rn. 53, alle zitiert nach juris), was regelmäßig nicht der Fall ist. Denn maßgeblich für die Feststellung der Notwendigkeit ist die ex ante-Sicht einer vernünftigen, wirtschaftlich denkenden Person (vgl. BGH, Urteil vom 17.09.2015 – IX ZR 280/14 – Rn. 8, juris; BGH, Beschluss vom 31.01.2012 - VIII ZR 277/11 -, NZM 2012, 607 Rn. 4). Einer solchen ist es grundsätzlich zuzumuten, etwa eine erste Leistungsaufforderung gegenüber einer Versicherung in einem einfach gelagerten Schadensfall ohne Einschaltung eines Anwalts geltend zu machen (BGH, Urteil vom 11.07.2017 – VI ZR 90/17 – Rn. 12). Anderes kann zur Überzeugung des Senats auch für den Fall der ersten außergerichtlichen Geltendmachung eines Entschädigungsanspruchs für ein objektiv langes und tatsächlich auch überlanges Gerichtsverfahren bei einem überschaubaren Sachverhalt und weitgehend geklärter obergerichtlicher Rechtsprechung zu den Voraussetzungen eines Entschädigungsanspruchs nicht gelten. Vielmehr ist einem vernünftigen Laien zuzumuten, sich ohne anwaltliche Hilfe direkt an das beklagte Land, ggf. über das Ausgangsgericht, zu wenden. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass die vorgerichtliche Geltendmachung zwar zur Reduktion des Kostenrisikos in einem eventuell nachfolgenden Prozess sinnvoll sein mag (BVerwG, Urteil vom 17.08.2017 – 5 A 2/17 D – Rn. 43, juris), das Durchlaufen eines derartigen vorprozessualen Verfahrens im Gegensatz zu dem im SGG oder in der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) vorgeschriebenen Widerspruchsverfahren jedoch gerade keine Bedingung für die Zulässigkeit einer Entschädigungsklage ist. Zur Minimierung des Kostenrisikos ist es dabei ausreichend, den Anspruch unter Hinweis auf die aus Sicht des Anspruchstellers vorhandene Überlänge zu benennen; weitergehender juristischer Ausführungen bedarf es hierfür nicht. Entscheidend für die Reduzierung des Kostenrisikos in einem späteren Klageverfahren ist nämlich allein, dass das (später beklagte) Land sich zu dem geltend gemachten Entschädigungsanspruch äußert (LSG Berlin-Brandenburg, Urteile vom 17.02.2021 – L 37 SF 55/20 EK AS – Rn. 40 f. und – L 37 SF 123/20 EK AS – Rn. 39 f. sowie vom 09.06.2021 – L 37 SF 271/19 EK AS – Rn. 63, jeweils zitiert nach juris).

 

Da es sich nicht um ein förmliches Verfahren handelt, ist auch nicht die Kenntnis notwendig, welches die richtige Stelle zur Bearbeitung des Antrags ist. Das Begehren kann mit der Bitte um Weiterleitung an die zuständige Stelle formlos an das Ausgangsgericht gerichtet werden. Dass die Klage fristgebunden ist, erfordert nicht die Inanspruchnahme eines Rechtsanwalts für die "Anmeldung" der Ansprüche. Allenfalls kann dies eine allgemeine Beratung durch einen Rechtsanwalt erforderlich machen (LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 09.06.2021 – L 37 SF 271/19 EK AS – Rn. 63, juris).

 

Hieran hält der Senat auch vor dem Hintergrund der Entscheidung des 38. Senats des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 07. August 2024 (L 38 SF 282/23 EK SB) fest. Er vermag die von diesem herangezogene Vergleichbarkeit zwischen der außergerichtlichen Geltendmachung eines Entschädigungsanspruchs beim potentiellen Beklagten auf der einen und dem für ein sozialgerichtliches Verfahren gesetzlich vorgeschriebenen Widerspruchsverfahren auf der anderen Seite nicht zu erkennen, sodass er ein Abstellen auf die zu § 63 Abs. 2 Zehntes Sozialgesetzbuch von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze nicht für sachgerecht hält. Bei der        - einem späteren Kläger freistehenden - vorprozessualen Geltendmachung eines Entschädigungsanspruchs geht es letztlich (noch) nicht entscheidend um die Durchsetzung eigener Ansprüche gegen die (übermächtige) Verwaltung. Vielmehr steht     - und dies allein im eigenen Interesse der Vermeidung der aus der Kostenregelung in § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG und § 156 VwGO  folgenden Kostenlast im Falle der Abgabe eines Anerkenntnisses - die Konfrontation des späteren Beklagten damit im Vordergrund, dass von einem entschädigungspflichtigen Tatbestand ausgegangen wird. Wie dargelegt sind hierzu keinerlei rechtliche Ausführungen erforderlich. Geschweige denn bedarf es irgendwelcher Angaben dazu, in welchem Umfang von gerichtlicher Inaktivität ausgegangen wird. Nicht einmal die Bezifferung eines Anspruchs ist nötig, während es umgekehrt völlig unschädlich ist, wenn überhöhte Forderungen gestellt werden. Werden solche umgekehrt von einem Anwalt geltend gemacht, dann wird der auf den unberechtigterweise geltend gemachten Entschädigungsanspruch entfallende Anteil seiner Kosten, so man diese überhaupt für erforderlich hält, sicher nicht kausal auf der unangemessenen Verfahrensdauer beruhen und damit nicht als Vermögensschaden ersetzbar, sondern im Zweifelsfalle dem Kläger in Rechnung zu stellen sein. Mit der - auch völlig unbestimmten - Berufung auf einen Entschädigungsanspruch wegen unangemessener Dauer eines konkreten Verfahrens wird dem Land überhaupt erst einmal Gelegenheit gegeben, seinerseits den Sachverhalt zu prüfen. Wenn diese Prüfung nicht zum gewünschten Ergebnis führt, steht es einem Kläger - und dann ggfs. unter Einschaltung eines Rechtsanwalts oder einer Rechtsanwältin - noch immer frei, sich dann - und dies ggfs. unter Auseinandersetzung mit den seitens des Landes dargetanen Gründen - an das Gericht zu wenden. Im vorprozessualen Verfahren bedarf es daher auch keiner Wahrung des Grundsatzes der Waffengleichheit bzw. Rechtswahrnehmungsgleichheit. Der Senat hält daher daran fest, dass die vorprozessuale Geltendmachung eines Entschädigungsanspruchs der (ersten) Anzeige eines auch in der Laiensphäre ohne Weiteres erkennbaren Schadens gegenüber einer privaten Versicherung oder der Beantragung einer Sozialleistung bei einer Behörde sehr viel näher steht als einem sozialgerichtlichen Widerspruchsverfahren und daher die Einschaltung eines Rechtsanwalts/einer Rechtsanwältin regelmäßig nicht nötig ist.

 

Selbst wenn man dies jedoch in der Regel anders sehen wollte, wäre jedenfalls in den Fällen der - wie hier - Bestellung eines Berufsbetreuers die Erforderlichkeit zu verneinen. Der gesetzliche Vertreter des Klägers ist diesem mit Beschluss des Amtsgerichts Wedding vom 14. Mai 2019 zum Betreuer bestellt worden. Der Aufgabenkreis umfasst u.a. die Vermögenssorge sowie die Vertretung gegenüber Behörden und Gerichten. Der Senat vermag nicht zu erkennen, warum es einem Berufsbetreuer, der durchaus über eine gewisse rechtliche Sachkunde verfügen muss, nicht möglich sein sollte, eine - wie ausgeführt - an äußerst geringe Anforderungen geknüpfte Anzeige eines (aus seiner Sicht) bestehenden Entschädigungsanspruchs an das Land zu richten. Dies hat erst recht dann zu gelten, wenn, so wie hier, bereits seit Jahren für Betreute ein und desselben Betreuers Entschädigungsansprüche wegen überlanger Verfahrensdauer verfolgt werden.

 

Schließlich wäre ggfs. nicht nachzuvollziehen, warum ein Ersatz von Anwaltskosten in der geltend gemachten Höhe erforderlich sein sollte. Denn abgesehen davon, dass diese sich an einem zu hohen Streitwert orientieren dürften, wären die Kosten durch die Inanspruchnahme von Beratungshilfe für den Kläger auf einen Bruchteil zu reduzieren gewesen. Es wird insoweit auf die obigen Ausführungen verwiesen.

 

C.      Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 VwGO.

 

D.      Die Revision war nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 202 Satz 2 SGG und § 201 Abs. 2 Satz 3 GVG wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen.

 

 

 

 

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