S 18 KA 127/22

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Marburg (HES)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
S 18 KA 127/22
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze


§ 24 Abs. 3 Ärzte-ZV vermittelt Vertragsärzten grundsätzlich keinen Drittschutz für die Anfechtung einer Zweigpraxisgenehmigung eines MVZs. Die insoweit verbleibende Anfechtungsberechtigung aufgrund einer willkürlichen Behördenentscheidung muss auf solche Fälle begrenzt bleiben, in denen die behördliche Entscheidung jeden sachlichen Grundes entbehrt.


1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu tragen.

3. Die Sprungrevision wird nicht zugelassen.


Tatbestand

Die Beteiligten streiten um einen Drittwiderspruch des Klägers gegen die Genehmigung einer Zweigpraxis für die Beigeladene durch die Beklagte.

Der Kläger ist Facharzt für Orthopädie und vertragsärztlich tätig. Er betreibt eine orthopädische Praxis in A-Stadt. Hierfür genehmigte ihm der Zulassungsausschuss Hessen (ZA) mit Beschluss vom 11.08.2020 die Anstellung des Facharztes für Orthopädie und Chirurgie E. H. mit Wirkung zum 12.08.2020. Mit weiteren Beschlüssen vom 16.02.2021 gab der ZA dem Antrag des Klägers und des E. H. auf Durchführung einer überörtlichen Berufsausübungsgemeinschaft (üBAG) statt und wandelte zugleich die Anstellung des Arztes H. in eine volle Zulassung (Faktor 1,0) mit dem Dienstort der Zweigpraxis in D-Stadt um.

Das beigeladene MVZ F-Stadt gGmbH, MVZ OCP E-Stadt stellte mit Schreiben vom 09.07.2021 bei der Beklagten einen Antrag für die Errichtung einer Zweigpraxis in A-Stadt. Den Antrag begründete sie damit, dass das Asklepios Krankenhaus A-Stadt bereits seit gut 1 ½ Jahren keinen Unfallchirurgen, respektive Durchgangsarzt vor Ort habe, sodass keine regelrechte Unfallversorgung der Bevölkerung mehr zeitnah und lokal erfolgen könne. Zuvor hätte der Unfallchirurg am A-Stadter Krankenhaus eine sehr frequentierte Ermächtigungssprechstunde gehabt, die in der Fallzahl nicht begrenzt gewesen sei. Auch der Orthopäde vor Ort, Herr Kollege A., sei vor allem orthopädisch ausgerichtet und hätte keine D-Arzt-Zulassung, operiere auch noch an 1-2 Tagen pro Woche extern an Kooperationskrankenhäusern und habe so nur begrenzte Praxisöffnungszeiten. So sei diese orthopädische Praxis wegen externer OP-Tätigkeit z.B. am Mittwoch und Donnerstag vormittags in der Regel immer geschlossen.

Da ihr MVZ in E-Stadt in vielfältiger Weise Kontakte nach A-Stadt habe und eine Vielzahl von A-Stadter Bürgerinnen und Bürgern Patienten bei ihr seien, würde eine Zweigpraxis zur Versorgung vor Ort in A-Stadt, auch im Hinblick auf die Unfallversorgung und die Versorgung von älteren Patienten sowie auch von postoperativen Kontrollen, eine eminente Verbesserung sowohl in qualitativer aber auch quantitativer Versorgung der vor allem unfallchirurgischen aber auch orthopädischen Patienten in A-Stadt darstellen. Zudem könnten hierdurch die Wartezeiten für die orthopädischen und unfallchirurgischen Patienten beträchtlich reduziert werden. Da sie über fünf Vertragsarztzulassungen am Standort E-Stadt verfügen würden, könne die Versorgungslage in E-Stadt gut aufrechterhalten werden, zumal sie jetzt auch regelmäßig in Rotation Weiterbildungsassistenten im fünften oder letzten Weiterbildungsjahr hätten, die unter Aufsicht in ihrer Praxis tätig seien. Aus diesen Gründen bitte sie um die Genehmigung einer orthopädisch-unfallchirurgischen Zweigpraxis mit einem Volumen von einer 0,5-Vertragsarztstelle.

Mit Bescheid vom 03.08.2021 erteilte die Beklagte der Beigeladenen die Genehmigung zum Betrieb der Zweigpraxis in A-Stadt. Zur Begründung führte sie die Versorgungssituation im Umkreis der geplanten Zweigpraxis an. Danach seien in A-Stadt und Umgebung derzeit 24 Chirurgen und Orthopäden mit 14 Versorgungsaufträgen vertragsärztlich tätig. Neun der 24 Chirurgen und Orthopäden würden der Arztgruppe der Orthopädie zugeordnet, sieben der Arztgruppe der Orthopädie und acht würden über die Facharztweiterbildung zur Orthopädie und Unfallchirurgie verfügen. In A-Stadt sei derzeit ein Facharzt für Orthopädie vertragsärztlich tätig. Aufgrund einer Individualisierung der Daten sei eine genaue Angabe des Abrechnungsvolumens nicht möglich. Es könne aber von keinen freien Kapazitäten ausgegangen werden. Die weiteren Chirurgen und Orthopäden in der Umgebung von A-Stadt würden im Vergleich zum hessischen Fachgruppendurchschnitt in den Quartalen II/2020 – I/2021 überdurchschnittlich abrechnen. Konkret liege das Abrechnungsvolumen im o.g. Zeitraum bei 119,98 %. Vor dem Hintergrund des erhöhten Abrechnungsvolumens der niedergelassenen Chirurgen und Orthopäden in A-Stadt und Umgebung werde ein zusätzlicher Bedarf an chirurgisch-orthopädischer Versorgung in der Region gesehen. Ebenfalls sichergestellt sei die Versorgung der Patienten am Vertragsarztsitz. Da die Voraussetzungen des § 24 Abs. 3 Ärzte-ZV vorliegen würden, sei die Genehmigung zu erteilen.

Nach Mitteilung der konkreten Zweigpraxisanschrift erging am 22.09.2021 ein ergänzender Bescheid, wonach die Beigeladene ab dem 15.08.2021 die Genehmigung zum Betrieb einer fachbezogenen und standortbezogenen Zweigpraxis in A-Stadt, C-Straße erhielt.

Bereits mit Schreiben vom 19.09.2021, bei der Beklagten am 20.09.2021 eingegangen, legte der Kläger Widerspruch gegen die Zulassung der Zweigpraxis ein. Seinen Widerspruch begründete er damit, dass er nach einem persönlichen Gespräch mit der Geschäftsführung der Orthopädischen-Klinik F-Stadt am 13.09.2021 über den Vorgang informiert worden sei, dass die Klinik mit angeschlossenem MVZ (G-Stadt, H-Stadt, J-Stadt) nun die Übernahme des Krankenhauses in A-Stadt plane, verbunden mit der Einrichtung einer Zweigpraxis durch das MVZ. Gegen die (möglicherweise schon erteilte) Zulassung einer Zweigpraxis am Krankenhaus in A-Stadt durch das MVZ-F-Stadt im Schwalm-Eder-Kreis möchte er Widerspruch einlegen. Er sei seit 2006 mit einer Einzelpraxis in A-Stadt niedergelassen, seit 2013 mit Gründung einer üBAG mit dem Kollegen in D-Stadt verbunden und die Versorgungslage auf diesem Fachgebiet sei mit Tätigkeiten von beiden Orthopäden / Unfallchirurgen an diesem Ort voll und ganz gewährleistet. Neben den geplanten Sprechstunden würden „Notfallsprechstunden“ stattfinden und kein Patient aus dieser Region warte, neben dieser Notfallversorgung, länger als 14 Tage auf einen geplanten Termin.

Die orthopädische Klinik F-Stadt kaufe im gesamten nordhessischen Umkreis und E-Stadt viele Einzelpraxen auf, um das „Mutterhaus“ mit Zuweisungen zu versorgen. Für die niedergelassenen Orthopäden werde es zunehmend schwieriger, neben diesem „dominanten Monopolisten“ zu bestehe und die gute und wichtige Arbeit bei der Patientenversorgung in der eigenen Praxis aufrecht zu erhalten. Er gehe davon aus, dass es der Klinik vordergründig um die Akquise von OP-Patienten und Verdrängung von Mitbewerbern gehe. Die konservative Behandlung und Patientenversorgung werde durch Niedergelassene aufrechterhalten. Die Klinik habe seines Erachtens an dieser, finanziell wenig vergüteten aber wichtigen Versorgung kein Interesse. Es könne nicht im Interesse der KV liegen, dass das System von niedergelassenen Fachärzten mit der Versorgung der Patienten in der Region durch diese „Verdrängungspolitik“ der Fachklinik geschädigt werde. Auch weise er darauf hin, dass die Zulassung für eine Zweigpraxis für ein MVZ in räumlicher Versorgungsnähe zum MVZ-/Hauptsitz einzurichten sei. Wenn in jeder Kleinstadt ohne Begrenzung Zweigpraxen durch große Kliniken bewilligt würden, sei die Fortsetzung der niedergelassenen Tätigkeit unmöglich. Der Erwerb des Krankenhauses in A-Stadt durch F-Stadt, vom Asklepios-Verbund, werde von offizieller Seite zur Aufrechterhaltung der Notfallversorgung im Krankenhaus begründet. Der Zuschlag für diese Übertragung sei seines Erachtens für die rein unfallchirurgische Notfallversorgung der Patienten in A-Stadt wichtig und sinnvoll. Davon unabhängig sei aber die Bewilligung einer Zweigpraxis durch Orthopäden / Unfallchirurgen der Klinik mit Abrechnung, Behandlung von orthopädischen Leistungen und Zuweisungsmöglichkeiten in das Mutter (Monopol-Ausbau und Verdrängung von Mitbewerbern). Aus existentiellen Gründen für seine weitere Tätigkeit und Patientenversorgung bitte er die Einrichtung einer Zweigpraxis durch das MVZ-F-Stadt zu unterbinden bzw. die Zulassung zu widerrufen, sollte diese schon ausgesprochen worden sein.

Mit Schreiben vom 09.10.2021 zeigte der Kläger die anwaltliche Vertretung an und teilte in dem Schreiben mit, dass ihm erst nachträglich zur Kenntnis gelangt sei, dass die Errichtung der Zweigpraxis nicht (nur) in den Räumen des Krankenhauses geplant sei, sondern (auch) in externen Räumlichkeiten in der C-Straße in A-Stadt. Er bitte zunächst um Mitteilung des Stands des Genehmigungsverfahrens.

Die Beklagte informierte die Beigeladene mit Schreiben vom 19.10.2021 über den eingelegten Widerspruch.

Es folgten weitere klägerische Stellungnahmen vom 22.10.2021, 14.11.2021 und 01.03.2022.

Die Beklagte entschied über den Drittwiderspruch mit Widerspruchsbescheid vom 16.03.2022 und wies diesen als unzulässig zurück. Zur Begründung führte sie aus, der (Dritt-)Widerspruch sei unzulässig, weil die Widerspruchsbefugnis fehle. Durch den angefochtenen Verwaltungsakt würden offensichtlich und eindeutig keine subjektiven Rechte des Klägers verletzt. § 24 Abs. 3 Ärzte-ZV sei keine drittschützende Norm. Von einer möglichen Verletzung sei regelmäßig bei einem Verwaltungsakt auszugehen, der an den Anfechtenden ergehe. Dies sei aber hier nicht der Fall, da der Kläger nicht Adressat der von ihm angefochtenen Zweigpraxisgenehmigung sei. Auch werde sein rechtlicher Status weder umgestaltet noch sonst unmittelbar rechtlich betroffen. Vielmehr begehre er die Aufhebung des Verwaltungsaktes, der einem anderen MVZ erlaube, eine Zweigpraxis in A-Stadt auszuüben. Er könne durch diese Zweigpraxisgenehmigung nur mittelbar bzw. nur durch wirtschaftliche Auswirkungen betroffen sein. Dies reiche in der Regel für eine rechtliche Betroffenheit und damit für die Annahme einer Widerspruchsbefugnis nicht aus, denn die Rechtsordnung gewähre bei der Ausübung beruflicher Tätigkeiten grundsätzlich keinen Schutz vor Konkurrenz. Demnach hätten Marktteilnehmer regelmäßig keinen Anspruch darauf, dass die Wettbewerbsbedingungen für sie gleichbleiben würden, insbesondere nicht darauf, dass Konkurrenten vom Markt fernbleiben würden. Die vom BSG aufgestellten Voraussetzungen würden nicht vorliegen. Durch die Erteilung der Zweigpraxisgenehmigung sei dem MVZ nicht die Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung eröffnet worden, weil das MVZ bereits vor der Erteilung der Zweigpraxisgenehmigung einen Versorgungsauftrag erhalten hätte. Es liege auch nicht die Einräumung eines Zugangs zu einem Teilmarkt vor. Es würden vielmehr nur die Leistungsorte erweitert und ein besserer Zugang zu den andernorts wohnenden (potentiellen) Patienten geschaffen. Auch ein Vorrang-Nachrang-Verhältnis liege nicht vor. Eine Verletzung der subjektiven Rechte des Klägers durch die dem MVZ erteilte Zweigpraxisgenehmigung sei – unter Zugrundelegung der Vorgaben der höchstrichterlichen Rechtsprechung – somit offensichtlich und eindeutig ausgeschlossen. Weitere Bedenken bezüglich der Zulässigkeit des Widerspruch des Klägers bestünde auch, da der Widerspruch nur vom Kläger, nicht aber von der üBAG erhoben worden sei. Nach der Rechtsprechung komme aber nur der BAG das Recht zu, die Erteilung weiterer Versorgungsaufträge an Konkurrenten gerichtlich überprüfen zu lassen, nicht aber dem einzelnen der BAG angehörenden Arzt.

Anschließend hat der Kläger anwaltlich vertreten Klage am Sozialgericht Marburg erhoben. Er trägt vor, er habe im Namen der üBAG Widerspruch erhoben, weshalb der Hinweis der Beklagten auf die BSG-Rechtsprechung neben der Sache liege. Die diesbezügliche Vollmacht werde er nachreichen. Mit der defensiven Konkurrentenklage könne er als zugelassener Vertragsarzt in A-Stadt die Begünstigungen dritter Personen oder Institutionen – hier der Beigeladenen – abwehren, von denen sie eine Beeinträchtigung ihrer rechtlichen und / oder wirtschaftlichen Interessen befürchte. Das BSG habe die Zulässigkeit einer Drittanfechtung sogar dann bejaht, wenn die angegriffene Statusentscheidung zwar auf der Grundlage einer Norm erteilt werde, die keine Bedarfsprüfung erfordere, jedoch der hieraus – in rechtswidriger Verkennung des Regelungsgehalts der Norm – abgeleitete Umfang des eingeräumten Status dem einer Statusentscheidung entspreche, die nur nach vorangegangener Bedarfsprüfung erteilt werden könne. Aus der Rechtsprechung des BVerfG ergebe sich, dass in dem staatlich reguliertem System der Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung zwar kein Rechtsanspruch auf die Sicherung einer wirtschaftlich ungefährdeten Tätigkeit bestehe. Werde aber ohne Notwendigkeit der Sicherstellung des Versorgungsauftrags in das Gefüge existenzgefährdend für den einzelnen Vertragsarzt eingegriffen, müsse er wegen des in Art 12 Abs. 1 GG garantierten Berufsschutzes die Möglichkeit haben, sich hiergegen zur Wehr zu setzen. Er sei mithin drittwiderspruchsbefugt. Die Entscheidung der Beklagten, der (Dritt-)Widerspruch sei unzulässig, liege neben der Sache, da der Verwaltungsakt, mit dem der Beklagte die Zweigpraxisgenehmigung zugunsten des MVZ OCP E-Stadt erteilt hätte, nicht offensichtlich und eindeutig nach jeder Betrachtungsweise ausschließe, dass Rechte des Klägers verletzt sein könnten.

Die Beigeladene schaffe mit dem „Trick“ der Zweigpraxisgenehmigung die Voraussetzungen, bei gleichbleibendem „Anrechnungsfaktor“ von 1,0 (Vollzulassung) weitere Patienten der zugleich übernommenen Klinik in A-Stadt und der Orthopädischen Klinik F-Stadt gGmbH zuzuführen. Damit führe die Zweigpraxisgenehmigung faktisch zu einer rechtlichen Erweiterung des Kreises der Patienten. Es bleibe deshalb jedenfalls zu prüfen, ob die Zweigpraxisgenehmigung eine Wettbewerbsveränderung mit erheblichen Konkurrenznachteilen zur Folge habe und diese im Zusammenhang mit staatlicher Planung und Verteilung der Mittel stehe. Die Fachärzte der von ihm vertretenen üBAG würden mit ihrem Behandlungsangebot die komplette Bandbreite der konservativen und operativen Therapiemöglichkeiten abdecken, während die Zweigpraxis eigener Äußerung zufolge tatsächlich keine differenzierte Spezialisierung beinhalte. Insbes. würde keine D-Arzt-Zulassung, keine entsprechende Behandlung, keine Röntgendiagnostik oder Ultraschalldiagnostik angeboten. Gemäß Presse- und Internetauftritt sei die öffentlich erklärte Intention des Beigeladenen die Zuweisung der Patienten für weitere Diagnostik und operative Therapie an das MVZ-E-Stadt und die dortige Orthopädische Klinik. Die Zweigpraxis erfülle nicht einmal Grundanforderungen an eine orthopädische Praxis, weil sie nicht über Röntgendiagnostik verfüge, sondern diesbezüglich Patienten entweder zum Kläger überweise oder nach E-Stadt bzw. F-Stadt anreisen lassen müsse. Nicht erkennbar sei, was die Zweigpraxis für die konservative Patientenbehandlung zur Verbesserung der Versorgung anbiete, da sie nur Interesse an operativen Patienten hätte. Das gesamte operative Spektrum werde jedoch bereits durch ihn abgebildet und angeboten. Die operative „Konkurrenz“ sei für ihn schlicht existenzbedrohend.

Nach alledem sei sein Drittwiderspruch zulässig und begründet, da die Zweigniederlassung des Beigeladenen nicht genehmigungsfähig gewesen sei. Der Rechtsweg gegen willkürliche Entscheidungen des Beklagten sei aus rechtsstaatlichen Gründen eröffnet.

Das Gericht hat das MVZ OCP E-Stadt A-Stadt zum Verfahren mit Beschluss vom 15.08.2024 beigeladen.

Der Kläger beantragt,
die Bescheide der Beklagten vom 03.08.2021 und 22.09.2021 über die Genehmigung einer Zweigpraxis für das MVZ OCP E-Stadt in A-Stadt, C-Straße, in der Gestalt des Widerspruchsbescheids 16.03.2022 betreffend die Verwerfung des Drittwiderspruchs des Klägers aufzuheben.
Hilfsweise, im Unterliegensfall die Sprungrevision zuzulassen.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Die Beigeladene beantragt,
die Klage abzuweisen und die Sprungrevision nicht zuzulassen.

Die Beklagte ist der Auffassung, eine Beschwer für den Kläger könne nur dann gegeben sein, wenn die Genehmigung zum einen rechtswidrig sei und zum anderen subjektive Rechte des Klägers verletzt würden, was beides vorliegend nicht der Fall sei. Soweit der Kläger der Ansicht sei, die Klagebefugnis – und damit eine „normale“ Prüfung der Verletzung subjektiver Rechte des Klägers – dürfe erst im Rahmen der Begründetheit der Klage geprüft werden könne dem nicht gefolgt werden, da durch die mittlerweile gefestigte Rechtsprechung es offensichtlich sei, dass § 24 Abs. 3 Ärzte-ZV keinen Drittrechtsschutz biete. Dies zeige sich auch daran, dass die Zweigpraxisgenehmigung ohne Bedarfsprüfung erfolge. 

Die Beigeladene ist der Auffassung, dem Kläger stehe es nicht zu, ein – hier ohnehin nicht vorliegendes – Drittanfechtungsrecht der BAG alleine gerichtlich geltend zu machen, da er über keine Aktivlegitimation verfüge und es darüber hinaus auch an einer Klagebefugnis fehle. Ferner sei die Genehmigung der Zweigpraxis im Einklang mit § 24 Abs. 3 Ärzte-ZV erfolgt.

Der Kläger hat im Vorfeld des Termins zur mündlichen Verhandlung eine Vollmacht des Herrn H. vorgelegt und darauf verwiesen, dass er diese bereits am 30.04.2022 eingereicht hätte. In der Gerichtakte befindet sich jedoch unter diesem Datum keine entsprechendes Schreiben des Klägers.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, der Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen ist.


Entscheidungsgründe

Die Kammer hat in der Besetzung mit zwei ehrenamtlichen Richtern aus den Kreisen der Vertragsärzte und Vertragspsychotherapeuten verhandelt und entschieden, weil es sich um eine Angelegenheit des Vertragsarztrechts handelt (§ 12 Abs. 3 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG).

Es kann dahingestellt bleiben, ob die Klage bereits wegen einer fehlenden Aktivlegitimation des Klägers abzuweisen ist, denn selbst für den Fall, dass der Kläger die Klage im Namen der üBAG erhoben hätte bzw. die nachgereichte Vollmacht rechtzeitig und ausreichend gewesen wäre, um die dafür notwendige gewillkürte Prozessstandschaft zu belegen, wäre die Klage trotzdem im Ergebnis als unbegründet abzuweisen. Denn dem Kläger fehlt es zur Überzeugung der Kammer an einer Anfechtungsberechtigung, sodass die Klage im Ergebnis jedenfalls unbegründet ist.

Gegenstand des Verfahrens ist die der Beigeladenen erteilte Zweigpraxisgenehmigung vom 03.08.2021 bzw. 22.09.2021, die der Kläger mit Widerspruch und – nach Erlass des ablehnenden Widerspruchsbescheides vom 16.03.2022 – mit Klage angegriffen hat. Bei der Klage handelt es sich um eine Drittanfechtung in der Konstellation einer sog. defensiven Konkurrentenklage.

Die Prüfung einer solchen Drittanfechtungsklage erfolgt nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zweistufig (vgl. nur BSG, Urteil vom 03.04.2019, B 6 KA 64/17 R, Rn. 29 Juris m. w. N.). Zunächst ist zu klären, ob der Kläger berechtigt ist, die dem Konkurrenten erteilte Begünstigung anzufechten. Nur wenn das zu bejahen ist, muss in einem zweiten Schritt geprüft werden, ob die Verwaltungsentscheidung in der Sache rechtmäßig ist. Die Berechtigung eines Vertragsarztes gegen eine zugunsten anderer Ärzte oder Einrichtungen ergangene Entscheidung gerichtlich vorzugehen besteht nur dann, wenn (1.) der Kläger und der Konkurrent im selben räumlichen Bereich die gleichen Leistungen anbieten und (2.) dem Konkurrenten die Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung eröffnet oder erweitert wird und nicht nur ein weiterer Leistungsbereich genehmigt wird sowie (3.) der dem Konkurrenten eingeräumte Status gegenüber demjenigen des Anfechtenden nachrangig ist. Letzteres ist der Fall, wenn die Einräumung des Status an den Konkurrenten vom Vorliegen eines Versorgungsbedarfs abhängt, der von den bereits zugelassenen Ärzten oder Einrichtungen nicht abgedeckt wird (vgl. BSG, B 6 KA 64/17 R, Rn. 29 Juris; BSG, Urteil vom 28.10.2009, B 6 KA 42/08 R, Rn. 19 Juris).

Dem Kläger fehlt hier die notwendige Berechtigung zur Anfechtung der der Beigeladenen erteilten Begünstigung, da er nicht alle zuvor genannten Voraussetzungen erfüllt. Zwar bietet er und die Beigeladene im selben räumlichen Bereich die gleichen Leistungen an, jedoch handelt es sich bei der Zweigpraxisgenehmigung weder um die Eröffnung noch die Erweiterung der Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung, zudem ist der Status der Beigeladenen nicht nachrangig im Vergleich zum klägerischen Status.

Durch die orthopädische Tätigkeit der beiden Praxen in derselben Stadt liegt ein faktisches Konkurrenzverhältnis vor (vgl. hierzu BSG, B 6 KA 42/08 R, Rn. 21-23 Juris). Dies allein reicht aber zur Annahme der Anfechtungsberechtigung nicht aus. Nicht erfüllt wird nämlich die weitere Voraussetzung, dass durch die Zweigpraxisgenehmigung dem Konkurrenten die Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung eröffnet (oder zumindest erweitert) wird. Im Falle einer Zweigpraxisgenehmigung besteht die Besonderheit, dass der Konkurrent bereits über einen – durch die Zulassung an seinem Vertragsarztsitz vermittelten – Status verfügt, wodurch ihm der Zugang zur vertragsärztlichen Versorgung also bereits grundsätzlich eröffnet ist (BSG, B 6 KA 42/08 R, Rn. 25 Juris). Ebenso führt die Zweigpraxisgenehmigung nicht zu einer rechtlichen Erweiterung des Kreises der für eine Behandlung in Frage kommenden Versicherten, sondern allein zu einer faktischen Verbesserung des Marktzugangs (BSG, B 6 KA 42/08 R, Rn. 25, 27 Juris). Dieser Verbesserung kommt keine besondere Grundrechtsrelevanz zu, da die Statusgewährung alleine durch die Zulassung vermittelt wird. Die Zweigpraxisgenehmigung ist akzessorisch und untrennbar mit dem Zulassungsstatus verbunden und entfällt mit dem Ende der Zulassung (BSG, B 6 KA 42/08 R, Rn. 29 Juris).

Ebenfalls nicht erfüllt wird die dritte Voraussetzung, wonach der dem Konkurrenten eingeräumte Status gegenüber dem Status des Anfechtenden nachrangig sein muss. Zu der hier vorliegenden Konstellation einer Drittanfechtung einer Zweigpraxisgenehmigung hat das BSG einen solchen Nachrang eindeutig verneint und betont, dass sich ein etwaiges Vorrang-Nachrang-Verhältnis wegen des damit verbundenen Eingriffs in die grundsätzlich bestehende Wettbewerbsfreiheit aus dem Gesetz selbst ergeben muss (vgl. BSG, B 6 KA 42/08 R, Rn. 31 bis 33 Juris). Ferner hat das BSG zu § 24 Abs. 3 der Zulassungsverordnung für Vertragsärzte (Ärzte-ZV), der die Zweigpraxisgenehmigung regelt, ausgeführt, dass der Norm unter keinem Gesichtspunkt eine drittschützende Wirkung in dem Sinne zukommt, dass von der Zweigpraxisgenehmigung betroffene Konkurrenten befugt sind, diese Entscheidung gerichtlich anzufechten (vgl. BSG, B 6 KA 42/08 R, Rn. 40 Juris). Die Kammer schließt sich der Auffassung des BSG an. 

Die Tätigkeit der Zweigpraxis wird auch nicht dadurch nachrangig, dass sie – was der Kläger vorträgt – der Patientengewinnung für die orthopädische Klinik dient. Entscheidend ist alleine, dass die Beigeladene ebenso wie der Kläger an der vertragsärztlichen Versorgung teilnimmt und die Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung nicht erst im Rahmen der Zweigpraxisgenehmigung eröffnet wurde. Der eingeräumte Status ändert sich nicht durch die Zuweisung von Patienten an eine Klinik.  

Eine Anfechtungsberechtigung ergibt sich zuletzt ebenso wenig unter Willkürgesichtspunkten, da die Kammer kein willkürliches Verhalten der Beklagten erkennen kann.

Willkürlich ist eine Entscheidung, wenn sie unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass sie auf sachfremden Erwägungen beruht. Das ist anhand objektiver Kriterien festzustellen, wobei eine fehlerhafte Rechtsanwendung alleine eine Entscheidung nicht willkürlich macht, sondern erst dann, wenn gravierende Rechtsverstöße vorliegen und diese den Kläger schwer beeinträchtigen (vgl. BSG, B 6 KA 42/08 R, Rn. 45 Juris). Solange die Behörde sich mit der Rechtslage auseinandersetzt und ihre Auffassung nicht jeden sachlichen Grundes entbehrt, kann nicht von einem krassen Missverhältnis gesprochen werden (vgl. BSG, B 6 KA 42/08 R, Rn. 46 Juris). Bezogen auf die Zweigpraxisgenehmigung bedeutet dies, dass erforderlich, aber auch ausreichend ist, dass das bestehende Leistungsangebot zum Vorteil für die Versicherten in qualitativer – unter bestimmten Umständen auch quantitativer – Hinsicht erweitert wird (das BSG spricht hier von einer sog. „qualifizierten Versorgungsverbesserung“, vgl. BSG, B 6 KA 42/08 R, Rn. 51 Juris).

Eine solche Versorgungsverbesserung hat die Beklagte vorliegend angenommen und dies im Genehmigungsbescheid damit begründet, dass in A-Stadt ein Facharzt für Orthopädie vertragsärztlich tätig sei und nicht von freien Kapazitäten ausgegangen werden könne. Die weiteren Chirurgen und Orthopäden in der Umgebung von A-Stadt würden im Vergleich zum hessischen Fachgruppendurchschnitt in den Quartalen II/2020 bis I/2021 überdurchschnittlich abrechnen. Konkret liege das Abrechnungsvolumen im o.g. Zeitraum bei 119,98 %. Vor dem Hintergrund des erhöhten Abrechnungsvolumens der niedergelassenen Chirurgen und Orthopäden in A-Stadt und Umgebung werde ein zusätzlicher Bedarf an chirurgisch-orthopädischer Versorgung in der Region gesehen. Ebenfalls sichergestellt sei die Versorgung der Patienten am Vertragsarztsitz, da die Beigeladene mit 50 Stunden weiterhin am Vertragsarztsitz vertragsärztlich tätig sei.

Die Beklagte ist also anhand des festgestellten erhöhten Abrechnungsvolumens zu dem Schluss gekommen, dass durch die Genehmigung einer Zweigpraxis eine Versorgungsverbesserung in A-Stadt erreicht werde. Dabei hat sie das Tätigkeitsspektrum der beantragten Zweigpraxis und die angebotenen Sprechzeiten berücksichtigt. Die Einschätzung der Beklagten entbehrt insoweit nicht jedes sachlichen Grundes, sondern die Kammer geht davon aus, dass die Beklagte sich bei ihrer Entscheidung im Rahmen des ihr zustehenden Gestaltungsspielraums bewegt hat. Zwar lässt die Entscheidung eine detaillierte Auseinandersetzung mit der Situation in A-Stadt und dabei insbesondere mit der Tätigkeit des Klägers vermissen – so spricht jedenfalls das von ihm bzw. von seiner überörtlichen BAG abgedeckte Spektrum und die von ihm angegebenen Terminwartezeiten von zwei bis drei Wochen nicht zwingend für eine Notwendigkeit der Zweigpraxisgenehmigung in A-Stadt. Da aber im Rahmen von § 24 Abs. 3 Ärzte-ZV keine Bedarfsprüfung vorzunehmen ist und die höhere Gewichtung der Belastungssituation in A-Stadt und Umgebung durch die Beklagte keine sachfremde Erwägung ist, ist die Entscheidung der Beklagten zu akzeptieren. Im Hinblick auf die zum Genehmigungszeitpunkt bestehende unklare Versorgungssituation aufgrund des geschlossenen bzw. damals in Schließung befindlichen Klinikums ist die Annahme einer Versorgungsverbesserung durch einen weiteren Leistungserbringer in A-Stadt auch nicht komplett fernliegend.

Die Kammer folgt weiter nicht der Einschätzung des Klägers, dass die Beklagte die tatsächliche Lage in A-Stadt verkannt habe und deshalb ihre Genehmigungsentscheidung willkürlich sei. Der Kläger entnimmt der Formulierung im Bescheid, wonach in A-Stadt nur ein Facharzt für Orthopädie vertragsärztlich tätig sei, dass die Beklagte seine überörtliche BAG zusammen mit Herrn H. unberücksichtigt gelassen habe. Diese Ansicht lässt sich nicht belegen. Denn jedenfalls im Rahmen der Berechnung des Abrechnungsvolumens der weiteren Chirurgen und Orthopäden in der Umgebung von A-Stadt hat die Beklagte die klägerische Praxis in ihrer Gesamtheit – und damit auch den Praxispartner – miteinbezogen. Zudem ist Herr H. im Wesentlichen nicht A-Stadt, sondern in D-Stadt tätig, sodass die Aussage der Beklagten im Bescheid zwar ungenau, aber nicht zwingend falsch ist. Die Beklagte verweist in diesem Zusammenhang auch darauf, dass eine Individualisierung aufgrund von datenschutzrechtlichen Einschränkungen im Bescheid unterblieben sei. In der Gesamtschau lässt sich hieraus für die Kammer keine willkürliche Entscheidung der Beklagten ableiten.

Die Klage war daher abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i. V. m. § 154 Abs. 1 VwGO. Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. Hierzu gehören auch die Kosten der Beigeladenen, die durch ihre Antragstellung ein Kostenrisiko eingegangen ist.

Die Sprungrevision war nicht gemäß § 161 Abs. 1, 2 SGG zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 2 SGG nicht gegeben sind.

Nach § 160 Abs. 2 SGG ist die Revision nur zuzulassen, wenn
Nr. 1: die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
Nr. 2: das Urteil von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht.

Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch weicht sie von einer Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts ab. Vielmehr ist die Frage der Drittanfechtung von Zweigpraxisgenehmigungen durch einen Konkurrenten vom BSG bereits entschieden worden und die Kammer folgt dieser Entscheidung, sodass keine Abweichung vorliegt. Der hier entschiedene Fall stellt auch keine Besonderheit mit grundsätzlicher Bedeutung dar im Vergleich zu den bereits vom BSG entschiedenen Fällen. Für die Kammer ist hier schon nicht erkennbar, inwieweit die rechtliche Bedeutung des Verfahrens über den konkreten Einzelfall hinausgeht.
 

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Aus
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