- Die Annahme ist frei von Rechtsfehlern, dass auch unter Geltung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs nach den §§ 14, 15 SGB XI erst ab einem Pflegegrad 3 überhaupt nur schwere Beeinträchtigungen der Selbstständigkeit oder der Fähigkeit vorliegen und erst ab Pflegegrad 4 die Beeinträchtigungen derart sind, dass eine Hilfebedürftigkeit generell zu bejahen ist (vgl. BSG, Beschluss vom 27. September 2018 - B 9 SB 5/18 BH – juris).
- Die Hilfe außerhalb der Wohnung muss erforderlich sein, um ein Weiterleben in der eigenen Wohnung zu ermöglichen; darunter fällt das Verlassen der Wohnung, um Ärzte, Krankengymnasten, Sprachtherapeuten, Apotheken und Behörden aufzusuchen; hingegen soll die Hilfe bei Spaziergängen oder Besuchen von kulturellen Veranstaltungen, obgleich wünschenswert, nicht zum berücksichtigungsfähigen Hilfebedarf gerechnet werden (vgl. BSG, Urteil vom 24. Juni 1998 - B 3 P 4/97 R – juris Rn. 13).
- Für das Merkzeichen „H“ genügt es keinesfalls, dass ein geistig behinderter Mensch einem schulpflichtigen Kind gleich allgemeiner Aufsicht bedarf. Es genügt auch nicht, dass ein derart behinderter Mensch verwahrlosen würde, wenn er ohne Aufsicht bliebe (vgl. Urteil des Senats vom 30. April 2014 - L 11 SB 67/11 – juris Rn. 48).
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 31. März 2022 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die Feststellungen eines Grades der Behinderung (GdB) von mehr als 80 und des Vorliegens der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen „H“ (Hilflosigkeit).
Zugunsten der 1994 geborenen Klägerin hatte der Beklagte bereits mit Bescheid vom 24. Mai 2006 einen GdB von 80 und das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen unter anderem für das Merkzeichen „H“ festgestellt. Mit bestandskräftigem Bescheid vom 7. Juni 2012 hatte er bei Bestätigung des GdB von 80 das Merkzeichen „H“ aufgehoben. Der GdB von 80 wurde aufgrund einer geistigen Behinderung festgestellt.
Am 8. Juni 2017 beantragte die Klägerin bei dem Beklagten einen höheren GdB und das eingangs genannte Merkzeichen. Der Beklagte lehnte dies nach medizinischen Ermittlungen mit Bescheid vom 5. Dezember 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. August 2018 ab.
Hiergegen hat die Klägerin am 7. September 2018 Klage erhoben. Sie hat zur Begründung vorgetragen, komplett auf fremde Hilfe angewiesen zu sein. Sie habe Probleme beim Gehen und Stehen und sei bereits mehrfach hingefallen. Zudem seien bei ihr eine Schielstellung der Augen, Störungen der Feinmotorik, ein Seiltänzergang und eine undeutliche Sprache festgestellt worden. Die Klägerin hat ein Gutachten der Ärztin für Allgemeinmedizin Dr. B vom 8. Januar 2011 zu den Gerichtsakten gereicht, das diese nach ambulanter Untersuchung der Klägerin am 6. Januar 2011 in dem Gerichtsverfahren vor dem Sozialgericht Berlin S P erstattet hatte und in dem sie bei Diagnose einer psychomotorischen Retardierung mit Lernbehinderung von einem Grundpflegebedarf von täglich 47 Minuten und der Pflegestufe I ausgegangen war.
Das Sozialgericht hat Befundberichte bei dem Facharzt für Allgemeinmedizin M und bei der Fachärztin für Neurologie Dr. M eingeholt.
Nachdem die Klägerin einen Bescheid der Pflegekasse (Pflegekasse) vom 10. Dezember 2016 zu den Gerichtsakten gereicht hat, in dem der Klägerin ab dem 1. Januar 2017 Pflegegeld nach dem Pflegegrad 3 bewilligt worden war, hat das Sozialgericht bei der Pflegekasse medizinische Unterlagen angefordert. Die Pflegekasse hat indessen nur das Gutachten von Dr. B zu den Gerichtsakten gereicht, weitere aktuellere Gutachten lägen nicht vor. Die Klägerin hat ein Attest ihrer Neurologin Dr. M vom 21 Mai 2019 zu den Gerichtsakten gereicht, die die Zuerkennung des Merkzeichens „H“ ausdrücklich befürwortet hat.
Das Sozialgericht hat bei der Ärztin für Allgemeinmedizin Dr. B ein Gutachten vom 6. Juni 2019 eingeholt, das diese nach ambulanter Untersuchung der Klägerin am selben Tag erstellt hat. Die Sachverständige hat das psychische Leiden der Klägerin mit einem GdB von 80 bewertet. Es liege eine psychomotorische Retardierung mit Lernbehinderung seit der Geburt vor. Die Klägerin habe keinen Schulabschluss erreichen können, es seien ihr lediglich Arbeiten in einer Behindertenwerkstatt möglich. Bei vielen Tätigkeiten auch des täglichen Lebens benötige die Klägerin umfangreiche Impulsgabe und Anleitung. Dieses Leiden sei mit einem GdB von 80 zu bewerten. Die Augen stünden in Schielstellung, eine wesentliche Visuseinschränkung sei nicht vorhanden, allerdings werde eine Einschränkung des räumlichen Sehens angegeben. Wegen Fehlens augenärztlicher Befunde sei eine Bewertung dieses Leidens derzeit nicht möglich. Eine wesentliche Beeinträchtigung durch die weiter vorliegende Rosacea bestehe nicht, dieses Leiden sei auch mit keinem GdB zu bewerten. Die Sachverständige hat sich zum Hilfebedarf der Klägerin wie folgt geäußert: Hinsichtlich des Ankleidens und des Auskleidens werde die Kleidung am Abend für den Folgetag bereitgelegt. Die Klägerin könne behindertenfreundliche Kleidung weitgehend selbstständig an- und ausziehen. Verschlüsse könne sie nicht schließen. Am Begutachtungstag habe sie ein Kleid getragen, welches erst nach Öffnen des Verschlusses durch die Mutter habe ausgezogen werden können. Das Anziehen habe wegen des weiten Rocks Schwierigkeiten bereitet, so dass auch dieses nur mit Hilfe möglich gewesen sei. Hinsichtlich der Nahrungszubereitung erfolge das Kochen überwiegend durch die Eltern, die Klägerin könne höchstens in geringem Umfang unter Anleitung mithelfen. Sie könne weiche Butter auf Brote schmieren und weiche Speisen mit einem Messer zerteilen. Ein Brötchen könne die Klägerin wegen Einschränkungen der Feinmotorik nicht aufschneiden, auch beim Schneiden härteren Fleisches bestehe oft ein Hilfsbedarf. Getränke könnten meist selbstständig eingegossen werden. Hinsichtlich der Nahrungsaufnahme könne die Klägerin selbstständig essen und trinken. Auch hinsichtlich Tischmanieren seien keine wesentlichen Probleme angegeben worden. Ess- und Trinkmenge seien als angemessen angegeben worden. Hinsichtlich der Körperpflege sei auszuführen, dass die Klägerin zwar rein motorisch in der Lage sein sollte, die Körperpflege durchzuführen, sie habe aber keine Einsicht in diese Tätigkeit. Beim Duschen am Abend sei die Mutter die gesamte Zeit anwesend und leite die Klägerin immer wieder zum gründlichen Waschen an. Auch beim Zähneputzen oder Kämmen seien diverse Impulsgaben erforderlich. Hinsichtlich des Verrichtens der Notdurft suche die Klägerin die Toilette selbstständig auf, sie sei kontinent. Unzureichendes Säubern werde angegeben. Auch habe die Klägerin oft Schwierigkeiten, Hosen richtig hochzuziehen, Hemden in die Hose zu stecken oder Verschlüsse zu schließen, sodass immer wieder Hilfe geleistet werde. Wegen der geistigen Retardierung benötige die Klägerin umfangreiche Aufsicht und Anleitung in diversen Bereichen des täglichen Lebens. Sie könne den Schriftverkehr nicht erledigen, nicht mit Geld umgehen. Hauswirtschaftliche Verrichtungen müssten übernommen werden, sie sei nicht wegefähig.
Das Bezirksamt hat dem Sozialgericht auf dessen Anforderung die ihm vorliegenden Informations- und Entwicklungsberichte übermittelt. Ebenfalls auf Anforderung des Sozialgerichts hat die F gGmbH die ihr über die Klägerin vorliegenden Berichte zu den Gerichtsakten gereicht.
Das Sozialgericht hat bei der Sachverständigen Dr. B zu den nachträglich eingeholten Unterlagen eine ergänzende Stellungnahme eingeholt. In dieser vom 30. Mai 2020 hat die Sachverständige unter anderem erklärt, der Zeitbedarf für die Grundpflege habe sich gegenüber ihrer Vorbegutachtung im Jahr 2011 in zeitlicher Hinsicht nicht erheblich geändert.
Das Sozialgericht hat die Klage durch Urteil vom 31. März 2022 abgewiesen. Der GdB sei mit 80 zu bewerten. Insoweit sei gemäß Teil B Nr. 3.4.2 der Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) ein Intelligenzmangel mit stark eingeengter Bildungsfähigkeit, erheblichen Mängeln im Spracherwerb, Intelligenzrückstand entsprechend einem Intelligenz-Alter von unter zehn Jahren bei Erwachsenen (IQ unter 60) bei relativ günstiger Persönlichkeitsentwicklung und sozialer Anpassungsmöglichkeit (Teilerfolg in der Sonderschule, selbstständige Lebensführung in einigen Teilbereichen und Einordnung im allgemeinen Erwerbsleben mit einfachen motorischen Fähigkeiten noch möglich) mit einem GdB von 80 bis 90 zu bewerten. Nach den Feststellungen der Sachverständigen Dr. B bestehe bei der Klägerin von Geburt an eine psychomotorische Retardierung mit Intelligenzminderung und deutlicher Lernbehinderung. Ein im Jahr 2010 durchgeführter IQ-Test habe einen IQ von 56 ergeben. Die Klägerin habe eine Behindertenschule besucht, spreche in gut verständlichen Sätzen mit wenigen grammatikalischen Fehlern, sie sei in der Lage, einfache Texte zu lesen sowie einfache Rechenaufgaben mit Abzählen an den Fingern zu lösen, sie habe es jedoch nicht vermocht, einen Abschluss zu erreichen. Aktuell arbeite sie in einer Behindertenwerkstatt im Bereich der Pferdepflege, wobei sie den Entwicklungsberichten zufolge eine gute motorische Leistungsfähigkeit zeige, komplexere Tätigkeiten oder Aufgabenketten jedoch zumeist nicht selbstständig umsetzen könne und daher engmaschige Betreuung in Form von Anleitung und Motivationshilfen benötige. Während der gutachterlichen Untersuchung sei die Klägerin kontaktbereit, freundlich und zugewandt gewesen. Fragen seien bereitwillig und spontan beantwortet worden. Eine Neigung zu Fehlhandlungen, Aggression oder Unruhe bestehe nicht. Die Klägerin erledige kleinere Aufgaben in ihrem Wohnumfeld gelegentlich selbstständig, sei jedoch bei weiteren Wegen bei der Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel auf Begleitung angewiesen. Aufgrund einer Innenrotation des linken Fußes komme es bei längerem Gehen zu vermehrtem Stolpern und gelegentlichen Stürzen. Die Klägerin toleriere es, für einige Zeit allein zu sein, längere Abwesenheitszeiten der Betreuungspersonen seien dagegen nicht möglich. Bei den Verrichtungen des täglichen Lebens seien Hilfen vor allem in Form der Anleitung und Impulsgabe erforderlich. Umfassender Unterstützungsbedarf bestehe beim Schriftverkehr, im hauswirtschaftlichen Bereich und beim Umgang mit Geld. Die Klägerin beziehe seit dem 1. Januar 2017 Leistungen nach den Pflegegrad 3, ihre motorischen Defizite beschränkten sich auf den Bereich der Feinmotorik. In grobmotorischen Bereich bestünden keine signifikanten Einschränkungen. Insoweit sei der GdB mit 80 hinreichend bewertet. Die Sehbehinderung sei bei einer Sehschärfe links von 1,0 und rechts von 0,8 nach Teil B Nr. 4.3 der Anlage zu § 2 VersMedV mit keinem Einzel-GdB zu bewerten, gleiches gelte für die Hauterkrankung. Auch die Voraussetzungen für das Merkzeichen „H“ lägen nicht vor. Soweit das begehrte Merkzeichen nach Teil A Nr. 4 f) aa) der Anlage zu § 2 VersMedV in der Regel bei Hirnschäden, Anfallsleiden, geistiger Behinderung und Psychosen zu vergeben sei, wenn diese Behinderungen allein einen GdB von 100 bedingten, liege ein solcher GdB hier nicht vor. Zudem sei typisierend Hilflosigkeit grundsätzlich erst dann anzunehmen, wenn der tägliche Zeitaufwand für erforderliche Betreuungsleistungen mindestens zwei Stunden erreiche. Wenn der wirtschaftliche Wert der erforderlichen Pflege (wegen der Zahl der Verrichtungen oder ungünstiger zeitlicher Verteilung der Hilfeleistungen) besonders hoch sei, sei Hilflosigkeit bei einem täglichen Zeitaufwand zwischen ein und zwei Stunden anzunehmen. Vorliegend betrage der Zeitaufwand nach den Feststellungen der Sachverständigen aber nur 47 Minuten täglich.
Gegen das ihr am 20. April 2022 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 20. Mai 2022 Berufung eingelegt. Sie lebe bei ihren Eltern und sei nach dem persönlichen Eindruck insbesondere der Mutter zu keinerlei Tätigkeiten insbesondere im grundpflegerischen Bereich ohne Hilfestellung, Aufsicht und Anleitung in der Lage. Nach dem Eindruck der Eltern habe sich der Pflegeaufwand seit dem Gutachten von Dr. B vom 6. Juni 2019 eher stark erhöht.
Der Senat hat einen Befundbericht bei der Fachärztin für Nervenheilkunde R eingeholt. Die ebenfalls benannten Neurologin Dr. M hat auf Anfrage des Senats erklärt, die Klägerin befindet sich seit 2020 nicht mehr dort in Behandlung.
Auf Anfrage des Senats hat die Klägerin erklärt, keinen höheren als den zuerkannten Pflegekraft 3 beantragt zu haben.
Auf Antrag der Klägerin nach § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) hat der Senat bei dem Facharzt für Neurologie und Psychiatrie S ein psychiatrisch-neurologisches Gutachten vom 28. Oktober 2024 eingeholt, das dieser nach ambulanten Untersuchungen der Klägerin am 28. Mai und am 28. Oktober 2024 erstellt hat und in dem er zu der Einschätzung gelangt ist, der GdB sei bei der hier vorliegenden leichten Intelligenzminderung mit 80 zu bewerten. Seit dem 8. Juni 2017 lägen die Voraussetzungen für das Merkzeichen „H“ vor. Die Klägerin benötige für das An- und Auskleiden eine Unterstützung, ob die Kleidungsstücke entsprechend der Witterung und den sozialen Umständen entsprechend ausgewählt seien. Bei der Nahrungsaufnahme benötige sie keine Hilfestellung, falls Nahrung und Flüssigkeit vorbereitet seien. Nach den Beschreibungen der Mutter und der Klägerin gingen sie gemeinsam Lebensmittel einkaufen, wobei die Klägerin nicht in der Lage sei, ohne Anleitung, Hilfestellung und Überwachung - etwa allein mit Geld und einem Einkaufszettel - einkaufen gehen zu können. Bei der Körperpflege und beim Verrichten der Notdurft sei sie darauf angewiesen, während längerer Zeiträume der Aktivitäten daran erinnert zu werden, die Toilette aufzusuchen. Bei der Körperpflege benötige sie zum Beispiel die Überwachung, inwieweit die Intimpflege und das Haarewaschen zutreffend erfolgten. Sie benötige regelmäßig wiederkehrende Verrichtungen zur Sicherung der persönlichen Existenz im Ablauf eines jeden Tages, eine für sie organisierte Organisation des Tagesablaufes und eine jeweilige Begleitung und Überwachung bei der Ausführung und im Umgang mit diesem organisierten Alltag. Für die notwendige körperliche Bewegung, die geistige Anregung und die Möglichkeit der Kommunikation benötige sie ebenfalls eine Anleitung und andauernd einer fremden Hilfe. Dies gelte etwa bei der Körperpflege. Nach den überzeugenden Beschreibungen der Mutter und der Klägerin benötige sie zum Beispiel beim Duschen ebenfalls eine Hilfestellung, da sie allein und ohne Anleitung und Überwachung bei der Ausführung unter der Dusche stehe und ansonsten nicht zielorientiert handeln würde. Eine Hilfestellung sei in der Anleitung und Überwachung bei der Ausführung bezogen auf die Zahnpflege, das Kämmen, die ausreichende Aufnahme der Nahrung und bezogen auf die Mobilität, zu einem vorgegebenen Zeitpunkt aufzustehen, zu Bett zu gehen, sich an- und auszukleiden, und beim Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung erforderlich. Es sei eine ständige Bereitschaft zur Hilfeleistung erforderlich. Die Klägerin bedürfe mindestens zwei Stunden am Tag fremder Hilfe. Auch sei der wirtschaftliche Wert der fremden Pflege als besonders hoch einzuschätzen, da die Klägerin während des Aufenthaltes zu Hause oder in der Behinderteneinrichtung im Umgang mit den Aktivitäten des täglichen Lebens ständige Anleitung, Hilfestellung und Überwachung bei der Ausführung benötige.
Der Beklagte hat gegen das Gutachten des Sachverständigen S eingewendet, es sei nicht nachvollziehbar, weshalb er von der Einschätzung der Sachverständigen Dr. B abweiche. Gegen das Gutachten des Sachverständigen S spreche auch der der Klägerin zuerkannte Pflegegrad 3.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 31. März 2022 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung seines Bescheides vom 5. Dezember 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. August 2018 zu verurteilen, zu ihren Gunsten mit Wirkung ab dem 8. Juni 2017 einen höheren Grad der Behinderung als 80 und das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen „H“ festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend und das Gutachten des Sachverständigen S für nicht überzeugend.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie die die Klägerin betreffenden Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung der Klägerin ist unbegründet, das Urteil des Sozialgerichts zutreffend. Die der Berufung zugrunde liegende Klage ist zulässig, aber unbegründet. Der Bescheid vom 5. Dezember 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. August 2018 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Voraussetzungen nach § 48 Abs. 1 Satz 1 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch liegen nicht vor, wonach der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben ist, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Im Verhältnis zum Bescheid vom 7. Juni 2012 ist keine wesentliche Änderung eingetreten. Der GdB war und ist mit 80 zu bewerten. Auch die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen „H“ liegen nicht vor.
Nach § 152 Abs. 1 Satz 1 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IX) (davor § 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX) in seiner seit dem 1. Januar 2018 geltenden Fassung stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) – seit dem 1. Januar 2024 des Vierzehnten Buches - zuständigen Behörden das Vorliegen einer Behinderung und den Grad der Behinderung zum Zeitpunkt der Antragstellung fest. Bei der Prüfung, ob diese Voraussetzungen vorliegen, sind seit dem 1. Januar 2009 die in der Anlage zu § 2 VersMedV vom 10. Dezember 2008 (BGBl. I Seite 2412) festgelegten „versorgungsmedizinischen Grundsätze“ zu beachten, die durch die Verordnungen vom 1. März 2010 (BGBl. I Seite 249), 14. Juli 2010 (BGBl. I Seite 928), vom 17. Dezember 2010 (BGBl. I Seite 2124), vom 28. Oktober 2011 (BGBl. I Seite 2153) und vom 11. Oktober 2012 (BGBl. I Seite 2122) sowie durch Gesetze vom 23. Dezember 2016 (BGBl. I Seite 3234), vom 17. Juli 2017 (BGBl. I Seite 2541), vom 12. Dezember 2019 (BGBl. I Seite 2652), vom 6. Juni 2023 (Nr. 146) und vom 19. Juni 2023 (Nr. 158) Änderungen erfahren haben.
Einzel-GdB sind entsprechend den genannten Grundsätzen als Grad der Behinderung in Zehnergraden zu bestimmen. Für die Bildung des Gesamt-GdB bei Vorliegen mehrerer Funktionsbeeinträchtigungen sind nach § 152 Abs. 3 SGB IX die Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander zu ermitteln, wobei sich nach Teil A Nr. 3 a) der Anlage zu § 2 VersMedV die Anwendung jeglicher Rechenmethode verbietet. Vielmehr ist zu prüfen, ob und inwieweit die Auswirkungen der einzelnen Behinderungen voneinander unabhängig sind und ganz verschiedene Bereiche im Ablauf des täglichen Lebens betreffen oder ob und inwieweit sich die Auswirkungen der Behinderungen überschneiden oder gegenseitig verstärken. Dabei ist in der Regel von einer Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB bedingt und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten Grad 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden, wobei die einzelnen Werte jedoch nicht addiert werden dürfen. Leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB-Grad von 10 bedingen, führen grundsätzlich nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung; auch bei leichten Funktionsstörungen mit einem GdB-Grad von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen (Teil A Nr. 3 d) aa) – ee) der Anlage zu § 2 VersMedV).
Der GdB ist mit 80 zu bewerten. Dies folgt aus einer Gesamtschau der vorliegenden medizinischen Unterlagen, insbesondere aus dem Gutachten der Sachverständigen Dr. B, das auf einer ambulanten Untersuchung der Klägerin sowie einer kritischen Würdigung der sonstigen medizinischen Unterlagen beruht und sowohl auf der Grundlage der herrschenden medizinischen Lehre als auch im Einklang mit den versorgungsmedizinischen Grundsätzen erstattet worden ist. Hier ist die Bewertungsziffer Teil B Nr. 3.4.2 der Anlage zu § 2 VersMedV (Einschränkung der geistigen Leistungsfähigkeit im Schul- und Jugendalter) und dort der Intelligenzmangel mit stark eingeengter Bildungsfähigkeit, erheblichen Mängeln im Spracherwerb, Intelligenzrückstand entsprechend einem I.A. unter 10 Jahren bei Erwachsenen (IQ unter 60) bei relativ günstiger Persönlichkeitsentwicklung und sozialer Anpassungsmöglichkeit (Teilerfolg in einer Sonderschule, selbständige Lebensführung in einigen Teilbereichen und Einordnung im allgemeinen Erwerbsleben mit einfachen motorischen Fertigkeiten noch möglich) einschlägig. Der so eröffnete Bewertungsrahmen von 80 bis 90 ist nicht auszuschöpfen, was neben der Sachverständigen Dr. B auch der Sachverständige S annimmt. Wegen der Begründung insoweit nimmt der Senat auf die zutreffenden und überzeugenden Gründe der angefochtenen Entscheidung Bezug, vgl. § 153 Abs. 2 SGG. Neben dem Einzel-GdB von 80 liegen hier keine weiteren Einzel-GdB vor.
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Gewährung des Merkzeichens „H“. Nach § 152 Abs. 4 SGB IX hat der Beklagte über das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen zu entscheiden. Im Schwerbehindertenausweis ist das Merkzeichen „H“ einzutragen, wenn der schwerbehinderte Mensch hilflos im Sinne des § 33b EStG oder entsprechender Vorschriften ist (§ 3 Abs. 1 Nr. 2 der Schwerbehindertenausweisverordnung).
Gemäß § 33b Abs. 3 Satz 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) (und dem im Wesentlichen wortgleichen Teil A Nr. 4 b) der Anlage zu § 2 VersMedV) ist eine Person hilflos, wenn sie für eine Reihe von häufig und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen zur Sicherung ihrer persönlichen Existenz im Ablauf eines jeden Tages fremder Hilfe dauernd bedarf. Diese Voraussetzungen sind nach § 33b Abs. 3 Satz 5 EStG auch erfüllt, wenn die Hilfe in Form einer Überwachung oder einer Anleitung zu den in Satz 4 dieser Vorschrift genannten Verrichtungen erforderlich ist oder wenn die Hilfe zwar nicht dauernd geleistet werden muss, jedoch eine ständige Bereitschaft zur Hilfeleistung erforderlich ist. Die so umschriebene Hilflosigkeit geht auf die Kriterien zurück, die von der Rechtsprechung im Schwerbehindertenrecht bezüglich der steuerlichen Vergünstigung und im Versorgungsrecht hinsichtlich der gleichlautenden Voraussetzungen für die Pflegezulage nach § 35 des BVG entwickelt worden sind. Dabei hat sich der Gesetzgeber bewusst nicht an den Begriff der Pflegebedürftigkeit im Sinne der §§ 14, 15 Elftes Buch Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Pflegeversicherung (SGB XI) angelehnt, sodass kein vollständiger Gleichklang mit dem Recht der sozialen Pflegeversicherung besteht (siehe zum Ganzen: Bundessozialgericht <BSG>, Urteil vom 24. November 2005 – B 9a SB 1/05 R – juris Rn. 13, m. w. N.).
Bei den nach § 33b EStG zu berücksichtigenden Verrichtungen handelt es sich um solche, die im Ablauf eines jeden Tages unmittelbar zur Wartung, Pflege und Befriedigung wesentlicher Bedürfnisse des Betroffenen gehören sowie häufig und regelmäßig wiederkehren (BSG, Urteil vom 24. November 2005, a. a. O., juris Rn. 14). Dazu zählen zunächst die – auch von der Pflegeversicherung nach § 14 Abs. 4 SGB XI (in der bis zum 31. Dezember 2016 geltenden Fassung) erfassten – Bereiche der Grundpflege, also der Körperpflege (Waschen, Duschen, Baden, Zahnpflege, Kämmen, Rasieren, Darm- und Blasenentleerung), der Ernährung (mundgerechtes Zubereiten und Aufnahme der Nahrung) und der Mobilität (Aufstehen, Zu-Bett-Gehen, An- und Auskleiden, Gehen, Stehen, Treppensteigen, Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung). Hinzu kommen Verrichtungen in den Bereichen der psychischen Erholung, geistigen Anregungen und der Kommunikation (hier insbesondere Sehen, Hören, Sprechen und Fähigkeit zu Interaktionen), während Verrichtungen im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung nicht eingeschlossen sind (ständige Rechtsprechung des BSG, u.a. Urteil vom 24. November 2005, a. a. O., juris Rn. 15, m. w. N.; neugefasste Bereiche des Pflegebegriffs im Sinne von § 14 Abs. 2 SGB IX in der ab dem 1. Januar 2017 geltenden Fassung: Mobilität, kognitive und kommunikative Fähigkeiten, Verhaltensweisen und psychische Problemlagen, Selbstversorgung, Bewältigung von und selbständiger Umgang mit krankheits- oder therapiebedingten Anforderungen und Belastungen, Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte; vgl. auch Teil A Nr. 4 c) und d) der Anlage zu § 2 VersMedV).
Die in § 33b EStG vorausgesetzte Reihe von Verrichtungen kann regelmäßig erst dann angenommen werden, wenn es sich um mindestens drei Verrichtungen handelt, die einen Hilfebedarf in erheblichem Umfang erfordern (BSG, Urteil vom 24. November 2005, a. a. O., juris Rn. 16; bestätigt durch BSG, Beschluss vom 27. Dezember 2018 – B 9 SB 5/18 BH – juris). Die Beurteilung der Erheblichkeit orientiert sich an dem Verhältnis der dem Beschädigten nur noch mit fremder Hilfe möglichen Verrichtungen zu denen, die er auch ohne fremde Hilfe bewältigen kann. In der Regel wird dabei auf die Zahl der Verrichtungen, den wirtschaftlichen Wert der Hilfe und den zeitlichen Aufwand abzustellen sein (BSG, Urteil vom 24. November 2005, a. a. O., juris Rn. 16). Da die Begriffe der Pflegebedürftigkeit und der Hilflosigkeit nicht völlig übereinstimmen, können die zeitlichen Grenzwerte der sozialen Pflegeversicherung zwar nicht unmittelbar übernommen werden, sie lassen sich jedoch als gewisse Orientierungspunkte nutzen. Nach diesem Maßstab ist nicht hilflos, wer nur in relativ geringem Umfang, täglich etwa eine Stunde, auf fremde Hilfe angewiesen ist. Daraus folgt aber nicht im Umkehrschluss, dass bei einem Überschreiten dieser Mindestgrenze in jedem Fall Hilflosigkeit zu bejahen ist. Aufgrund des soeben dargestellten erweiterten Maßstabs bei der Prüfung von Hilflosigkeit gegenüber dem Bereich der Grundpflege bei der Pflegeversicherung wird leichter ein größerer Zeitaufwand für fremde Betreuungsleistungen erreicht, sodass von einer Zwei-Stunden-Grenze auszugehen ist (BSG, Urteil vom 24. November 2005, a. a. O., juris Rn. 17; BSG, Beschluss vom 27. Dezember 2018, a. a. O., juris Rn. 5). Schließlich spricht für eine Grenzziehung bei einem Hilfeaufwand von zwei Stunden die Vorschrift des § 33 b EStG selbst, denn die Höhe des steuerlichen Pauschbetrages hebt sich außerordentlich von dem Pauschbetrag ab, der behinderten Menschen mit einem Grad der Behinderung von 100 zusteht. Dieser Begünstigungssprung ist nur bei zeitaufwändigen und deshalb entsprechend teuren Hilfeleistungen erklärbar und gerechtfertigt. Um allerdings auch den individuellen Verhältnissen Rechnung tragen zu können, ist nicht allein auf den zeitlichen Betreuungsaufwand abzustellen; vielmehr kommt auch den weiteren Umständen der Hilfeleistung Bedeutung zu. Im Rahmen des § 33b EStG sind zudem die Anleitung, Überwachung und Bereitschaft zu berücksichtigen. Bei der Anrechnung von Bereitschaftszeiten können dabei grundsätzlich nur solche Zeiten erfasst werden, die zeitlich und örtlich denselben Einsatz erfordern wie die körperliche Hilfe. Dies setzt voraus, dass eine entsprechende einsatzbereite Anwesenheit und Aufmerksamkeit aus gesundheitlichen Gründen notwendig ist (BSG, Urteil vom 12. Februar 2003 – B 9 SB 1/02 R – juris Rn. 20).
Nach Maßgabe der vorigen Ausführungen ist die Klägerin im Rechtssinne nicht hilflos. Dabei liegen nicht die Voraussetzungen von Teil A Nr. 4 f) aa) der Anlage zu § 2 VersMedV vor, wonach von Hilflosigkeit in der Regel auszugehen ist ua bei geistiger Behinderung, wenn diese allein einen GdB von 100 bedingt, denn der GdB bei der Klägerin für ihre geistige Behinderung beträgt nur 80. Aber auch darüber hinaus liegt bei der Klägerin kein erheblicher Hilfebedarf vor, wovon auch die Sachverständige Dr. B ausgeht. Die Hilfe besteht hier im Wesentlichen in Form von Anregungen und Impulsgaben und erreicht nicht zwei Stunden täglich, was sich außer aus dem Gutachten von Dr. B aus dem Jahr 2011 – 47 Minuten Grundpflege täglich – auch aus dem Umstand ergibt, dass bei der Klägerin nur ein Pflegegrad 3 anerkannt ist. Denn die Annahme ist frei von Rechtsfehlern, dass auch unter Geltung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs nach den §§ 14, 15 SGB XI erst ab einem Pflegegrad 3 überhaupt nur schwere Beeinträchtigungen der Selbstständigkeit oder der Fähigkeit vorliegen und erst ab Pflegegrad 4 die Beeinträchtigungen derart sind, dass eine Hilfebedürftigkeit generell zu bejahen ist (vgl. BSG, Beschluss vom 27. September 2018 - B 9 SB 5/18 BH – juris).
Dem Gutachten des Sachverständigen S folgt der Senat nicht. Zu kritisieren ist, dass dieser sich mit den Gutachten der Sachverständigen Dr. B nicht hinreichend auseinandergesetzt hat. Daher fehlt es auch an jeglichen substantiierten Ausführungen zum zeitlichen Umfang der Grundpflege und dazu, weshalb die von der Sachverständigen Dr. B auf der Grundlage der damals noch gültigen Begutachtungsrichtlinien ermittelten 47 Minuten täglich nicht ausreichen. Dass die Sachverständige Dr. B dabei in ihrem Gutachten vom 6. Juni 2019 keine Zeitangaben gemacht hat, ist unschädlich, weil sie in ihrer ergänzenden Stellungnahme vom 30. Mai 2020 erklärt hat, der Zeitbedarf für die Grundpflege habe sich gegenüber ihrer Vorbegutachtung im Jahr 2011 in zeitlicher Hinsicht nicht erheblich geändert. Dass sich der Grundpflegebedarf bei der nunmehr 30-jährigen Klägerin gegenüber der Begutachtung 2011 – als die Klägerin 16 Jahre alt war – wesentlich gesteigert hat, ergibt sich auch aus dem Gutachten des Sachverständigen S nicht. Soweit die Mutter der Klägerin den aus ihrer Sicht erhöhten Pflegebedarf auf die vermehrten Aktivitäten der Klägerin zurückführt, rechtfertigt dies keine andere Betrachtungsweise, zumal das Hin- und wieder Zurückbringen zu Freunden – wie übrigens auch zur Arbeit – bei der Bemessung des Aufwandes für die Grundpflege außer Betracht zu bleiben hat. Denn die Hilfe außerhalb der Wohnung muss erforderlich sein, um ein Weiterleben in der eigenen Wohnung zu ermöglichen; darunter fällt das Verlassen der Wohnung, um Ärzte, Krankengymnasten, Sprachtherapeuten, Apotheken und Behörden aufzusuchen; hingegen soll die Hilfe bei Spaziergängen oder Besuchen von kulturellen Veranstaltungen, obgleich wünschenswert, nicht zum berücksichtigungsfähigen Hilfebedarf gerechnet werden (vgl. BSG, Urteil vom 24. Juni 1998 - B 3 P 4/97 R – juris Rn. 13). Gemessen daran könnte sich der Hilfebedarf mittlerweile sogar um 10 Minuten täglich reduziert haben, weil die Fahrten zu Krankengymnastik und Logotherapie, die noch im Gutachten von 2011 berücksichtigt worden waren, nunmehr offenbar entfallen sind. Bei der Beurteilung des zeitlichen Aufwandes kann auch die für die Impulsgabe und Erledigungskontrolle erforderliche Bereitschaftszeit nicht berücksichtigt werden. Denn die Notwendigkeit einer dauernden Bereitschaft zur Hilfeleistung steht einer aktiven Hilfe nur gleich, wenn die Hilfe häufig und plötzlich wegen akuter Lebensgefahr notwendig ist (vgl. BSG, Urteil vom 8. März 1995 - 9 RVs 5/94 – juris). Nach der Rechtsprechung des BSG zu § 35 Abs. 1 BVG, dessen Voraussetzungen nach denselben Kriterien festgestellt werden wie die Voraussetzungen für das Merkzeichen „H“ (BSG, Urteil vom 12. Februar 2003 - B 9 SB 1/02 R – juris), ist Hilflosigkeit auch dann gegeben, wenn der Beschädigte wegen der besonderen Art seines Leidens in ständiger Lebensgefahr schwebt, die nur dadurch gebannt werden kann, dass fremde Hilfe jederzeit bereitsteht, um gegebenenfalls eingreifen zu können (BSG, Urteil vom 24. April 1963 - 11 RV 800/62 - juris). Ein derartiges Schweben in ständiger Lebensgefahr liegt bei der Klägerin aber ersichtlich nicht vor. Keinesfalls genügt es, dass ein geistig behinderter Mensch einem schulpflichtigen Kind gleich allgemeiner Aufsicht bedarf. Es genügt auch nicht, dass ein derart behinderter Mensch verwahrlosen würde, wenn er ohne Aufsicht bliebe (vgl. Urteil des Senats vom 30. April 2014 - L 11 SB 67/11 – juris Rn. 48).
Unterstellt, der tägliche Hilfebedarf läge zwischen ein und zwei Stunden, ergäben sich daraus nicht die Voraussetzungen für das Merkzeichen „H“. Bei einem täglichen Zeitaufwand für fremde Hilfe zwischen einer und zwei Stunden ist Hilflosigkeit dann anzunehmen, wenn der wirtschaftliche Wert der erforderlichen Pflege besonders hoch ist (vgl. BSG, Urteil vom 10. Dezember 2002 – B 9 V 3/01 R – juris). Dieser Wert wird wesentlich durch die Zahl und die zeitliche Verteilung der Verrichtungen mitbestimmt, bei denen fremde Hilfe erforderlich ist. Denn eine Hilfsperson kann regelmäßig nur für zusammenhängende Zeitabschnitte, nicht jedoch für einzelne Handreichungen herangezogen oder beschäftigt werden (vgl. BSG, Urteil vom 10. Dezember 2002 – B 9 V 3/01 R – juris Rn. 26). Hier bleibt die Anzahl der erforderlichen Hilfen im Vergleich zu den Verrichtungen, bei denen keine Hilfe erforderlich ist, deutlich zurück. Ferner ergibt sich keine ungünstige Verteilung, da die Unterstützungsbedarfe in der Grundpflege im Wesentlichen auf die Morgen- und Abendstunden verteilt sind. Zudem erfordert der Hilfebedarf keine spezielle medizinische Ausbildung, sondern vielmehr pädagogische Erfahrung und ist die Hinzuziehung medizinischen Gerätes nicht erforderlich. Daher ist in der Gesamtschau der Wert der Pflege nicht gemäß den Anforderungen „als besonders hoch“ einzuschätzen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil ein Grund hierfür gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG nicht vorliegt.