Es wird festgestellt, dass das Verfahren L 9 SO 50/20 durch den gerichtlichen Vergleich vom 10.03.2022 beendet worden ist.
Weitere außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Fortsetzung des Berufungserfahrens L 9 SO 50/20, das durch einen Vergleich beendet wurde.
Der Kläger führte die Berufung in dem Verfahren L 9 SO 50/20, in dem in der öffentlichen Sitzung am 10.03.2022 ein Vergleich geschlossen wurde. Nach der Ziffer 3 des Vergleichs war der Kläger mit der getroffenen Regelung einverstanden und sah den Rechtsstreits L 9 SO 50/20 in vollem Umfang als erledigt an. Die Erklärung wurde vorläufig aufgezeichnet, abgespielt und vom Kläger genehmigt. Die Beklagte setzte den Vergleich im Mai 2022 durch Auszahlung des vereinbarten Betrages um.
Am 24.03.2023 hat der Kläger den Vergleich angefochten und die Fortsetzung des Verfahrens begehrt. Er ist der Meinung, er habe höhere Leistungen zu beanspruchen.
Der Senat hat den Kläger mit Verfügung vom 04.12.2023, zugestellt am 07.12.2023, dazu angehört, dass beabsichtigt sei, gem. § 153 Abs. 4 SGG durch Beschluss festzustellen, dass das Verfahren durch den gerichtlichen Vergleich beendet worden ist.
Entscheidungsgründe
Der Senat entscheidet über den Antrag des Klägers entsprechend § 153 Abs. 4 SGG durch Beschluss. Die Vorschrift ist entsprechend anwendbar, wenn zwischen den Beteiligten streitig ist, ob ein Berufungsverfahren wirksam beendet worden ist (BSG Beschluss vom 08.12.2020 – B 4 AS 280/20 B; LSG Sachsen-Anhalt Beschluss vom 31.08.2021 – L 2 AS 201/21 WA). Der Kläger ist dazu angehört worden.
Der Senat ist einstimmig der Auffassung, dass das Verfahren durch Abschluss des gerichtlichen Vergleichs vom 10.03.2022 beendet worden ist, eine mündliche Verhandlung hält er nicht für erforderlich.
Um den geltend gemachten Anspruch vollständig oder zum Teil zu erledigen, können die Beteiligten eines sozialgerichtlichen Verfahrens zu Protokoll des Gerichts, des Vorsitzenden oder des beauftragten oder ersuchten Richters einen Vergleich schließen, soweit sie über den Gegenstand der Klage verfügen können (§ 101 Abs. 1 Satz 1 SGG). Ein solcher Vergleichsschluss ist sowohl eine Prozesshandlung als auch ein Rechtsgeschäft im materiell-rechtlichen Sinne. Aufgrund dieser Doppelnatur muss der Vergleichsschluss den Anforderungen sowohl des Prozessrechts als auch des öffentlichen Vertragsrechts genügen (vgl. LSG Sachsen-Anhalt Beschluss vom 31.08.2021 – L 2 AS 201/21 WA; B. Schmidt, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 14. Aufl. 2023 § 101 Rn. 6 ff.). Dies ist vorliegend der Fall.
Die Beteiligten haben den Vergleich in einem anhängigen Gerichtsverfahren im Rahmen der öffentlichen Sitzung geschlossen. An der Wirksamkeit ihrer Prozesshandlungen besteht kein Zweifel. Die gesetzlichen Formerfordernisse, die sich aus § 101 Abs. 1 Satz 1 SGG und § 122 SGG iVm §§ 159 ff. ZPO ergeben, sind gewahrt worden. Der Vergleich ist gemäß § 160 Abs. 3 Nr. 1 ZPO in das Sitzungsprotokoll aufgenommen worden. Die Protokollierung ist den Beteiligten, wie von § 162 Abs. 1 Satz 2 ZPO gefordert, vorgespielt worden. Sie haben die Protokollierung genehmigt, und die Genehmigung ist ebenfalls protokolliert worden (§ 162 Abs. 1 Satz 3 ZPO).
Materiell-rechtlich haben die Beteiligten einen wirksamen Vergleichsvertrag i.S.v. § 54 SGB X, § 779 BGB geschlossen. Es liegen wirksame und übereinstimmende Willenserklärungen beider Beteiligter vor. Beide Seiten haben durch den Vergleichsschluss im Wege gegenseitigen Nachgebens eine Situation tatsächlicher und rechtlicher Ungewissheit aufgelöst.
Die von dem Kläger erklärte Anfechtung des Vergleichs führt nicht gemäß § 142 Abs. 1 BGB zu dessen Nichtigkeit. Es liegt weder eine wirksame Anfechtung wegen eines Irrtums (§ 119 BGB) noch eine solche wegen einer Täuschung (§ 123 BGB) vor. Soweit der Kläger offenbar meint, er hätte in Wirklichkeit einen Anspruch auf höhere Leistungen, als im Vergleich vereinbart worden sind, lässt sich das wohl als Anfechtung wegen eines Irrtums verstehen (§ 119 BGB). Unabhängig davon, ob die so verstandene Anfechtung unverzüglich im Sinne des § 121 Abs. 1 BGB und damit rechtzeitig erklärt worden ist, fehlt es jedenfalls an einem Anfechtungsgrund. Nach § 119 Abs. 1 BGB kann eine Willenserklärung anfechten, wer bei ihrer Abgabe über deren Inhalt im Irrtum war oder eine Erklärung dieses Inhalts überhaupt nicht abgeben wollte, wenn anzunehmen ist, dass er sie bei Kenntnis der Sachlage und bei verständiger Würdigung des Falles nicht abgegeben haben würde. Als Irrtum über den Inhalt der Erklärung gilt auch der Irrtum über solche Eigenschaften der Person oder der Sache, die im Verkehr als wesentlich angesehen werden (§ 119 Abs. 2 BGB). Einen Irrtum in diesem Sinne macht der Kläger aber selbst nicht geltend. Er hat bei Abschluss des Vergleichs erklärt, was er erklären wollte, nämlich die Annahme des gerichtlichen Vergleichsvorschlags mit seinem konkreten Inhalt. Diese Erklärung reut ihn lediglich im Nachhinein, weil er nach dem Vergleichsschluss zu der Auffassung gelangt ist, der vereinbarte Vergleichsinhalt werde der Sach- und Rechtslage nicht gerecht und er hätte in Wirklichkeit einen höheren Anspruch. Dabei handelt es sich aber allenfalls um einen sog. Motivirrtum, also eine Fehlvorstellung im Hinblick auf den Beweggrund zum Abschluss des Vergleichs. Ein solcher Motivirrtum begründet kein Anfechtungsrecht (vgl. LSG Sachsen-Anhalt Beschluss vom 31.08.2021 – L 2 AS 201/21 WA; Armbrüster, in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Aufl. 2018, § 119 Rn. 105).
Der Kläger kann den Vergleich auch nicht erfolgreich wegen arglistiger Täuschung anfechten. Nach § 123 Abs. 1 Alt. 1 BGB kann derjenige eine Willenserklärung anfechten, der zu ihrer Abgabe durch arglistige Täuschung bestimmt worden ist. Das ist vorliegend nicht geschehen.
Die Entscheidung über die Erstattung außergerichtlicher Kosten beruht auf entsprechender Anwendung von § 193 Abs. 1 SGG. Angesichts der Kostenregelung im Vergleich vom 10.03.2022 ist nur noch über die weiteren Kosten zu entscheiden (vgl. LSG Sachsen-Anhalt Beschluss vom 31.08.2021 – L 2 AS 201/21 WA; Hunke, in: Baumbach/Lauterbach/Hartmann/Anders/Gehle, ZPO, 79. Auflage 2021, Anh. § 307 Rn. 39).
Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nr. 1, 2 SGG) bestehen nicht.