L 15 BL 12/23

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 11 BL 4/22
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 15 BL 12/23
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

1. Die Notwendigkeit, eine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit im Sinne des Vollbeweises zu erreichen, gilt auch für den Nachweis von Blindheit und hochgradiger Sehbehinderung im Sinne von Art. 1 Abs. 2, 3 BayBlindG.
2. Auch für den besonders komplexen Bereich der rechtssicheren Beurteilung von Sehstörungen muss ausscheiden, Beweiserleichterungen anzuwenden, indem die materiellen Anforderungen an den Blindheitsnachweis gesenkt werden; dies würde eine Umgehung der höchstrichterlichen Rechtsprechung darstellen.
3. Soweit es bei der Blindheitsbegutachtung zu Beweisschwierigkeiten der Betroffenen kommt, ist es nicht Aufgabe der rechtsprechenden, sondern gegebenenfalls der gesetzgebenden Gewalt, Abhilfe zu schaffen.

 

I. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 17. Juli 2023 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.


T a t b e s t a n d :

Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung von Blindengeld nach dem Bayerischen Blindengeldgesetz (BayBlindG) an den Kläger streitig.

Der 1971 geborene Kläger nahm einen ersten Antrag beim Beklagten auf Blindengeld vom 08.01.2020 im März des selben Jahres zurück. Mit Formblattantrag vom 10.09.2020 stellte der Kläger dann erneut einen Antrag. Im Verwaltungsverfahren zog der Beklagte ein augenärztliches Gutachten von R bei, das dieser am 31.07.2020 im Rahmen des Schwerbehindertenverfahrens nach dem SGB IX angefertigt hatte. R stellte fest, dass der Kläger an einer Optikusatrophie (molekulargenetisch gesichert, Lebersche Hereditäre Optikusneuropathie - LHON) leide. Die Perimetrie mit dem Goldmann-Perimeter (III/4e) habe stark wechselnde Angaben bei klinisch noch relativ vitalem Aspekt ergeben. Es könne zweifelsfrei von einer beidseitigen Visusminderung ausgegangen werden; die Lokalisation sei in der primären Leitungsbahn zu sehen. In manchen Situationen habe die Orientierung sicherer gewirkt, als dies bei den subjektiv angegebenen Befunden zu Visus und Perimetrie zu erwarten gewesen wäre, so R.

Sodann beauftragte der Beklagte den Augenarzt P (Augenklinik der L Universität A) mit der Erstellung eines Gutachtens. In seinem Gutachten vom 07.12.2020 stellte der Sachverständige fest, dass der Kläger angegeben habe, seit Juli 2019 beginnend links eine zunehmende Verschlechterung der Sehfunktion bemerkt zu haben. Seit Januar 2020 sei die Funktion dann auch am rechten Auge immer schlechter geworden. Es erfolge, so die Feststellung des Sachverständigen, ein Ergreifen von Gegenständen vorsichtig, aber zielgerichtet. Durchgangsbereiche und Hindernisse würden relativ sicher erkannt und umgangen. Auch kleinere Gegenstände könnten sicher und zügig aufgefunden, abgelesen und bedient werden. Als Sehschärfewerte für die Ferne mit Korrektur (Landoltringe) hat der Sachverständige in einem Abstand von 0,1 m rechts 0,002, links 0,005 und beidäugig 0,005 erhoben. Bei einem Abstand für die Ferne mit Korrektur sei in einem Abstand von 0,5 m links 0,01 und beidäugig 0,01 erhoben worden (rechts keine Angabe). Mit der Nystagmustrommel hätten sich auf beiden Augen sowohl ein horizontaler wie auch ein vertikaler OKN auslösen lassen.
Bei der Gesichtsfeldprüfung (Projektionshalbkugel-Perimeter nach Goldmann, Testmarke III/4) hätten sich rechts keine und links folgende Angaben ergeben: konzentrisch eingeschränktes Gesichtsfeld auf superior zwischen 8° und 10°, temporal zwischen 10° und 12°, inferior zwischen 11° und 13°, nasal zwischen 10° und 12°. Die Fixation sei gut gewesen, die Angaben unsicher.
Beim Muster-VEP hätten sich rechts und links Potenziale mit reduzierter Latenz und reduzierter Amplitude (rechts) bzw. erhöhter Latenz und reduzierter Amplitude (links) ableiten lassen.
P hat die Diagnosen Glaukom und LOHN gestellt. An beiden Augen lägen, so der Sachverständige, eine Optikusatrophie mit einer Atrophie der Netzhaut vor. Aufgrund der subjektiven Visusangaben liege eine Blindheit i.S.d. BayBlindG vor. Jedoch hätten sich Diskrepanzen ergeben zwischen den subjektiven Angaben und den objektiven Befunden, so dass keine Blindheit und auch keine hochgradige Sehbehinderung zweifelsfrei nachgewiesen werden könnten. Der Antragsteller habe am rechten Auge eine korrigierte Sehschärfe von 0,002 und links von 0,02 angegeben. Rechts seien in der Goldmann-Perimetrie keine Angaben gemacht worden, links sei ein konzentrisch eingeengtes Sichtfeld angegeben worden. Am Bjerrumschirm seien keine Angaben in 2 m, aber in 0,5 m gemacht worden. Fingerperimetrisch seien die Außengrenzen an beiden Augen bis 70° in allen Quadranten intakt. Strukturell zeige sich in den OCT sowie der OPTOS-Bildgebung die Optikus- sowie Netzhautatrophie rechts deutlich ausgeprägter als am linken Auge, also entgegengesetzt zur subjektiven Funktion. Es liege kein Hinweis auf eine zerebrale Funktionsbeeinträchtigung vor.

Daraufhin lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 21.01.2021 den Blindengeldantrag ab. Dabei stütze sich der Beklagte auf die Untersuchung durch P. Blindheit i.S.d. Gesetzes habe beim Kläger nicht mit der erforderlichen Sicherheit nachgewiesen werden können, weil sich deutliche Inkongruenzen zwischen den subjektiven Angaben und den objektiven Befunden ergeben hätten. Dabei ging der Beklagte auf die fingerperimetrisch erhobenen Außengrenzen und die Widersprüche bzgl. der bildgebenden Verfahren (OCT, OPTOS) ein.

Am 03.02.2021 legte der Kläger über seine Bevollmächtigten Widerspruch gegen den Ablehnungsbescheid ein. Zur Begründung wurde u.a. darauf hingewiesen, dass das Merkzeichen BL zuerkannt worden sei und dass die Ergebnisse des genannten Gutachtens von P in Frage zu stellen seien. In der beigefügten medizinischen Stellungnahme von K, Neurologische Klinik und Poliklinik, B Institut, L Universität A, vom 16.02.2021 ist ausgeführt, dass die LHON eine seltene erbliche Erkrankung der retinalen Ganglienzellen sei und innerhalb von Wochen oder Monaten zu einer meist anhaltenden hochgradigen beidseitigen Visusminderung führe. Beim Kläger liege eine solche Sehstörung mit starker Verminderung der Sehschärfe auf beiden Augen sowie Lichtempfindlichkeit und Farberkennungsschwierigkeiten vor. Zusätzlich bestehe beim Kläger auch ein Glaukom, was das Sehen ebenfalls beeinträchtige. Es bestehe eine rapide Verschlechterung der Sehschärfe und Vergrößerung der zentralen Gesichtsfeldausfälle in den letzten Monaten auf beiden Augen. Bei der Vorstellung in der Ambulanz der Neurologischen Klinik und Poliklinik, B Institut, hätten, so K, die Visuswerte auf beiden Augen Fingerzählen ergeben. Es hätten außerdem große zentrale Gesichtsfeldausfälle bestanden. Der Kläger sei wegen seiner Erkrankung im Alltag sehr beeinträchtigt. Vor diesem Hintergrund werde dringend gebeten, die Entscheidung rasch zu korrigieren und Blindengeld für den Kläger zuzusagen wegen der signifikanten Beeinträchtigung im Alltag durch seine schwere beidseitige Visusminderung mit großem Zentralskotom beidseits.

In einer versorgungsmedizinischen Stellungnahme nach Aktenlage vom 19.03.2021 hat P1 darauf hingewiesen, dass das Sehvermögen des Klägers sicherlich erheblich beeinträchtigt sei. Angesichts der aufgezeigten Widersprüchlichkeiten bestünden jedoch gut begründete Zweifel an den Angaben zu Sehschärfe und Gesichtsfeld, weshalb das Ausmaß der Sehminderung nicht verlässlich bestimmt werden könne. Auch die medizinische Stellungnahme des B Instituts brächten, so P1, zu dieser Problematik keine neuen Gesichtspunkte.

Zuvor war der Augenarzt R1 vom Beklagten mit der Erstellung eines Gutachtens nach Aktenlage beauftragt worden. In seinem Gutachten vom 01.03.2021 stellte R1 fest, dass es beim Kläger (bei einer genetisch gesicherten LHON) zu einer Sehnervenschädigung mit schwerwiegender Sehschärfenminderung gekommen sei.
Die Auslösung eines OKN hänge selbstverständlich vom Untersuchungs- sowie dem Reizgitterabstand ab. Weiter hat der Sachverständige darauf hingewiesen, dass die Ableitung eines reproduzierbaren Muster-VEP auch mit deutlich verlängerter Latenz am linken Auge (am 24.11.2020) trotz der wohl eher reduzierten Amplitude doch im Gegensatz zu einer Sehschärfe von 0,01 stehe. Die Auslösbarkeit eines OKN sei ein weiteres Indiz gegen die subjektiven Angaben zur Sehschärfe des linken Auges. Schließlich passten die Angaben zum Gesichtsfeld mit einer hochgradigen Einengung bzw. nicht nachvollziehbaren Angaben bei R, der ebenfalls eine schwerwiegende konzentrische Einengung am 24.11.2020, die noch dazu exzentrisch gelegen sei, festgestellt habe, nicht zu dem hier vorliegenden Krankheitsbild. Bei einer LHON komme es klassischerweise zu einem ausgedehnten zentralen Gesichtsfeldausfall, passend zu der erheblichen Visusminderung. Das periphere Gesichtsfeld sei typischerweise nicht betroffen; dabei könne es allerdings auch in Abhängigkeit von der Erfahrung des Untersuchers manchmal recht schwierig sein, einen nachvollziehbaren Gesichtsfeldbefund zu erheben. Dennoch deute, so R1, das mittels Fingerperimetrie erhobene quasi freie Gesichtsfeld eindeutig auf eher normale Außengrenzen hin, die sich auch in der kinetischen Perimetrie finden lassen sollten. Der in der Augenklinik der L Universität angegebene Gesichtsfeldbefund links sei angesichts des Muster-VEP überhaupt nicht erklärt. Bei einem Ausfall des zentralen Gesichtsfelds bis jenseits 5° und gleichzeitig nur noch minimalem Restgesichtsfeld könne keine wie dort aber gefundene Reizantwort abgeleitet werden, so der Sachverständige.
Zusammenfassend hat R1 darauf hingewiesen, dass damit eindeutige Widersprüche zwischen den subjektiven Angaben zum Sehvermögen und den objektiven Befunden bestünden. Deshalb halte auch er Blindheit bisher für nicht ausreichend nachgewiesen. Gleichzeitig sei daher natürlich auch eine sichere Aussage zum vorhandenen Sehvermögen nicht möglich. So halte er, R1, rechts auch angesichts des Befundes im Muster-VEP eine Sehschärfenminderung im Bereich der Blindheit für ausreichend belegt. Auch wenn am linken Auge nicht auszuschließen sei, dass ebenfalls eine derartige Funktionsminderung bestehe, ließen doch der auslösbare OKN sowie das unverändert reproduzierbar ableitbare Muster-VEP unverändert Zweifel bestehen.
Das Krankheitsbild LHON gehe typischerweise mit einer zunächst schwerwiegenden Funktionsminderung an einem Auge, meist nach Monaten gefolgt vom zweiten Auge einher, wie es auch beim Kläger der Fall gewesen sei. Danach stabilisiere sich das Sehvermögen jedoch in der Regel und nicht selten komme es sogar zu einer geringen Verbesserung. Die beim Antragsteller beobachtete weitere Verschlechterung - noch dazu an beiden Augen - sei somit ebenfalls nicht typisch. Selbst wenn es nach der Untersuchung bei R zu einem Funktionsanstieg gekommen sein sollte, so R1, läge eben keine dauerhafte Sehminderung vor.

Im Folgenden erstellte P am 06.12.2021 ein weiteres augenfachärztliches Gutachten. Der Sachverständige hat im Rahmen der Verhaltensbeobachtung darauf hingewiesen, dass das Ergreifen von Gegenständen zielgerichtet erfolgt sei, Durchgangsbereiche und Hindernisse seien weitestgehend sicher erkannt worden. Auch kleinere Gegenstände seien sicher und zügig aufgefunden worden. Als Visuswerte seien für die Ferne (ohne Korrektur) mit einem Abstand von 1 m vom Kläger Handbewegungen angegeben worden. Bei einem Abstand von 5 m seien keine Angaben gemacht worden.
Bei der Gesichtsfeldprüfung nach Goldmann (Testmarke III/4) sei rechts keine Testmarke erkannt worden, am linken Auge ein konzentrisch stark eingeschränktes Gesichtsfeld mit Außengrenzen oben bei 0 bis 2 Grad, temporal 2 bis 4 Grad, unten 0 bis 5 Grad und nasal 0 bis 1 Grad. Bei der Gesichtsfelduntersuchung am Bjerrumschirm sei rechts die Testmarke nicht erkannt worden, links in 0,5 m Abstand seien die Gesichtsfeldangaben innerhalb des Zentrums bis an Ring 1 erhalten gewesen, in 2 m Abstand sei die Testmarke nicht erkannt worden. Es habe keine adäquate Aufweitung festgestellt werden können.
Der OKN sei an beiden Augen sowohl horizontal als auch vertikal auslösbar gewesen. Bei Durchführung der Muster-VEP seien rechts und links jeweils reproduzierbare Potentiale mit deutlich verzögerten Latenzen und Amplituden unter der Norm festzustellen gewesen.
Zusammenfassend hat P in seinem Gutachten festgestellt, dass sich die Angaben bei den Gesichtsfelduntersuchungen nicht mit der Orientierung des Klägers im Raum in Einklang bringen hätten lassen. Rechts werde in der Gesichtsfelduntersuchung nach Goldmann ein minimales zentrales Restgesichtsfeld angegeben; bei der Bjerrum-Gesichtsfelduntersuchung fehle eine adäquate Aufweitung bei Prüfung in verschiedenen Abständen. Links seien bei den Gesichtsfelduntersuchungen die Testmarken nicht erkannt worden. Mit dem angegebenen Gesichtsfeld wäre die relativ selbstständige Mobilität, wie sie beim Kläger in ihm er Umgebung vorliege, so nicht möglich. Auch würden die angegebenen Gesichtsfelddefekte nicht zu der Morphologie und zu den für eine LHON eigentlich typischen Gesichtsfelddefekten passen. Zudem habe sich in der indirekten Ophthalmoskopie an beiden Augen eine sichere Folgebewegung nach oben gezeigt. Schließlich passten die Visusangaben nicht zu den ableitbaren VEP, auch wenn die Latenzen verlängert und die Amplituden reduziert seien.
Der Sachverständige hat festgestellt, dass aufgrund der angezeigten Diskrepanzen weder eine Blindheit noch eine hochgradige Sehbehinderung zweifelsfrei nachgewiesen werden könne.

Mit Widerspruchsbescheid vom 17.01.2022 wies der Beklagte den Widerspruch gegen den Ablehnungsbescheid als unbegründet zurück. Der erforderliche objektive Nachweis einer Blindheit oder hochgradigen Sehbehinderung im Sinne des BayBlindG sei beim Kläger nicht erbracht. Die vom Kläger am 31.07.2020 bei R und am 24.11.2020 und am 30.11.2020 in der Augenklinik der L Universität bei P gemachten Angaben im Rahmen der Prüfung der Sehschärfe und des Gesichtsfelds stünden im Widerspruch zu den objektiven Untersuchungsbefunden und dem beobachteten Verhalten bei der Untersuchung. In allen drei Begutachtungsuntersuchungen sei der OKN reproduzierbar auslösbar gewesen. In den letzten beiden genannten Untersuchungen seien zudem Muster-VEP abgeleitet worden. Auch R1 habe befunden, dass die Ableitung eines reproduzierbaren Muster-VEP im Gegensatz zu der angegebenen Sehschärfe stehe und die Auslösbarkeit eines OKN ein weiteres Indiz gegen die subjektiven Angaben zur Sehschärfe sei. Zudem passten nach R1 auch die subjektiven Gesichtsfeldangaben nicht zum vorliegenden Krankheitsbild. Schließlich hat der Beklagte im Widerspruchsbescheid auch auf die aktuellen Ergebnisse der Begutachtung durch P verwiesen. Trotz Einsatzes diverser diagnostischer Möglichkeiten sei es bei nunmehr drei augenfachärztlichen Untersuchungen unter gutachtlichen Gesichtspunkten nicht gelungen, das genaue Ausmaß der offensichtlich vorliegenden Sehstörung festzustellen. Schließlich verwies der Beklagte auf den Grundsatz der objektiven Beweis- und Feststellungslast.

Hiergegen hat der Kläger am 10.02.2022 Klage zum Sozialgericht (SG) München erhoben.

Das SG hat Beweis erhoben durch ein augenfachärztliches Sachverständigengutachten von D. In seinem Gutachten vom 17.10.2022 hat der Augenarzt für den Kläger für beide Augen die Diagnosen Presbyopathie und ausgeprägte, aber immer noch partielle Opticusatrophie (hier LHON wohl in Kombination mit einer glaukomatösen Opticopathie) sowie geringer Astigmatismus angegeben. Zudem hat er für das rechte Auge geringe Hyperopie und für das linke Auge geringe Myopie festgestellt.

Als Visuswerte hat D Folgendes festgehalten (ohne Korrektion, 4 und 1 und 0,5 m Abstand (Landoltringe):
- Rechtes Auge: kein Erkennen von Sehzeichen im Abstand von 4 und 1 m, kein Fingerzählen von 0,5 m. Teilweise nur vertikale Wahrnehmung von Handbewegungen bei 0,5 m, Lichtwahrnehmung mit defekter Lichtlokalisation (nur geradeaus vorne).
- Linkes Auge: kein Erkennen von Sehzeichen (4 und 1 m), kein Fingerzählen (0,5 m). Zunächst kein Wahrnehmen von Handbewegungen bei 0,5 m, dann doch horizontal und vertikal; Lichtwahrnehmung mit defekter Lichtlokalisation (nur geradeaus vorne).
- Beide Augen: kein Erkennen von Sehzeichen 4 und 1 m, kein Fingerzählen (0,5 m; Wahrnehmen von Handbewegungen bei 0,5 m.
Bei der Sehschärfeprüfung falle auf, so D, dass die Handbewegungen immer mit dem Auge bzw. den Augen verfolgt worden seien, auch am rechten Auge horizontal und am linken Auge initial. Der Kläger gebe nun aufgrund des angedeuteten Seitenunterschiedes anders als noch in der Anamnese an, nun doch mit dem rechten Auge besser sehen zu können.

Hinsichtlich der Gesichtsfeldmessung mit dem Goldmann-Perimeter (Reizmarke III/4e - blau) sind folgende Werte erhoben worden:
- Rechtes Auge: Die Außengrenzen seien unregelmäßig, teils angedeutet sternförmig, eingeschränkt angegeben worden. Sie reichten nach oben bis 18 Grad, nach temporal bis ca. 20 bis 38 Grad, nach unten bis ca. 20 Grad und nach nasal bis ca. 19 Grad. Die Mittelpunktfunktion sei auch ohne Delegieren relativ gut eingehalten worden, obwohl der Kläger nach eigenem Bekunden den Mittelpunkt nicht gesehen habe. Die Reproduzierbarkeit sei nicht gut, was an den Wiederholungsstichproben erkennbar sei, die Angaben also unsicher. Blickziel- oder Augenfolgebewegungen seien nicht beobachtbar gewesen.
Bei zentrifugaler Perimetrierichtung (vom Zentrum nach peripher) sei hinsichtlich der Reizmarke III/4e ein zentraler Gesichtsfallausfall mit Grenzen, die zumeist über die vorgenannten Außengrenzen hinaus und dann mehrfach bis zum Gesichtsfeldrand reichen würden, angegeben worden, so dass dieses Areal nicht sicher und glaubwürdig abgrenzbar sei. Damit reiche dieses Zentralskotom teilweise über die zuvor noch angegebenen Außengrenzen hinaus, so der Sachverständige, was einen deutlichen Widerspruch auslöse. Mit der größeren und damit auch leichter zu erkennenden Reizmarke (V/IVe - rot) würden nur im unteren, nicht aber im oberen Gesichtsfeldbereich weitere Außengrenzen angegeben als mit der kleineren Reizmarke, was ebenfalls widersprüchlich sei.
- Linkes Auge: Die Außengrenzen würden noch mehr pseudokonzentrisch eingeschränkt vorwiegend im oberen Halbfeld angegeben. Sie reichten nach oben bis 15 bis 23 Grad, nach temporal bis 21 Grad, nach unten bis ca. 3 bis 4 Grad und nach nasal bis 8 bis 13 Grad. Die Mittelpunktfunktion habe selbstständig eingehalten werden können, weil der Kläger nach eigenem Bekunden den Mittelpunkt ganz leicht sehen habe können. Dennoch sei die Reproduzierbarkeit der Angaben sehr schlecht, zumal immer engere Grenzen angegangen würden bei den Wiederholungsstichproben. Die Angaben seien also unsicher mit zunehmenden Einschränkungen der Außengrenzen.
Hinsichtlich der zentrifugalen Perimetrierichtung hat der Sachverständige für das linke Auge die identischen Feststellungen wie für das rechte getroffen. Nach den Angaben des Klägers reiche das Zentralskotom teilweise deutlich über die zuvor noch angegebenen Außengrenzen.

D hat hervorgehoben, dass für das massiv reduzierte Sehvermögen (Visusminderung und Gesichtsfeldeinschränkung) zweifellos die fortgeschrittene Degeneration beider Sehnerven Hauptursache sei. Zudem stehe eine Glaukomerkrankung im Raum, die neben einer Sehnervenentzündung vor der Diagnosestellung der LHON als Diagnose vorherrschend gewesen sei.

Hinsichtlich des morphologischen Befundes hat D klargestellt, dass jetzt im Bereich des Sehnervenkopfes deutliche Strukturveränderungen bestünden, die das massive Ausmaß der subjektiv angegebenen Sehminderung erklären, nicht aber für sich allein schon beweisen könnten; ein strukturelles Korrelat sei also vorhanden. Umso mehr seien die subjektiven und objektiven Funktionsbefunde im Vergleich, der Sehschärfeverlauf und auch das visuelle Verhalten zu berücksichtigen und bedeutend:
Die Pupillenreaktionen würden vorliegend nicht zur Beweisführung von Blindheit nach dem Gesetz beitragen; sie würden aber auch nicht Blindheit ausschließen. Die weiteren objektiven Funktionsparameter seien deutlicher ausgeprägt.
Bei den Blitz-VEP seien bei seiner Untersuchung bei Stimulation des rechten Auges des Klägers gut reproduzierbare und identifizierbare Reizantworten abgeleitet worden, bei Stimulation des linken Auges im Vergleich etwas unsichere Reizantworten mit verminderten Amplituden feststellbar gewesen. Die Ableitung der Blitz-VEP passe nicht zu den Aussagen in der Anamnese. Die Muster-VEP würden zu dem vom Kläger in der Gesichtsfelduntersuchung angegebenen zentralen Restgesichtsfeld nicht gut passen, sie müssten also besser sein, weil gerade die Muster-VEP deutlich mehr als die Blitz-VEP zentral dominiert seien.
Der OKN habe im freien Raum bei seiner, D´s, Untersuchung mit sehr großen Streifenmustern (20 mm) aus ca. 30 cm Entfernung ebenfalls gut und prompt ausgelöst werden können. Nur bei den kleinsten Mustern habe kein OKN ausgelöst werden können; dieses Ergebnis sei erfahrungsgemäß eher mit einer Sehzeichenschärfe von 0,05 oder darüber vereinbar als darunter, am wenigsten aber mit der angegebenen Sehschärfe von gerade einmal Wahrnehmen von Handbewegungen und könne deshalb eine Sehzeichenschärfe von 0,02 oder 0,05 erst recht nicht beweisen.
Das vom Sachverständigen beschriebene visuelle Verhalten (s. Ziffer 4.13 des Gutachtens) stehe wie auch die objektiven Funktionsergebnisse nicht im eklatanten, jedoch etwas im Widerspruch zu den subjektiven Angaben, insbesondere auch zum Gesichtsfeld, weil damit aller klinischen Erfahrung nach aufgrund des angegebenen eben nicht sehr kleinen zentralen Restgesichtsfelds noch eine bessere Raumorientierung zu erwarten wäre.
Jedoch stehe auch die angegebene Sehschärfe (von gerade einmal Handbewegungen - also Bewegungssehen, die zudem auch erst im Fortgang der Untersuchung sicher als wahrgenommen angegeben worden seien) noch in einem gewissen Widerspruch zu den Ergebnissen der OKN-Prüfung, aber auch zu manchen Verhaltensweisen wie z.B. zum gezielten Ergreifen eines kleinen Tupfers.
Weil die objektiven Funktionsuntersuchungen, so D, nicht so trennscharf seien, vorliegend eine Sehschärfe von 0,05 oder etwas mehr oder weniger zu beweisen oder zu widerlegen und weil sich die Sehschärfe mit Wahrscheinlichkeit in diesem Grenzbereich bewege, sei die Nachweisführung außerordentlich erschwert. Insbesondere die Ergebnisse bei der OKN-Prüfung mit dem Nystagmovisuskop nach Kotowski mit einem Gittersehschärfeäquivalent von 0,03 (mittlere Muster) bei exzentrischer Fixation stünden "etwas im Widerspruch zu einer angegebenen Sehzeichenschärfe von Wahrnehmung von Handbewegungen und defekter Lichtlokalisation".

Bei der Beantwortung der Beweisfragen des Gerichts hat D zunächst darauf hingewiesen, dass in der Gesamtschau der Befunde nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden könne, dass die Sehschärfe nicht über 0,05 hinausreiche. Wesentliche Hauptursache für eine Einschränkung von Sehschärfe und Gesichtsfeld (konzentrische Einschränkung) sei die Degeneration beider Sehnerven, wobei nicht ganz klar sei, zu welchem Anteil neben der molekulargenetisch gesicherten und hauptverantwortlichen LHON zusätzlich auch das Glaukom und die kardiovaskulären Risikofaktoren beitragen würden. Das sichtbare strukturelle Korrelat für die Sehminderung sei in erster Linie der ausgehöhlte und abgeplatzte Sehnervenkopf zusammen mit der massiven, vor allem temporalen und weiter zunehmenden Ausdünnung der den Sehnerv bildenden peripapillären Nervenfaserschicht in der OCT auf beiden Seiten. Die strukturellen Veränderungen würden somit inzwischen auf eine fortgeschrittene, aber immer noch partielle Opticusatrophie hinweisen, weil noch ein Restgesichtsfeld verblieben sei. Die Ergebnisse der objektiven Funktionsuntersuchungen eröffneten die Möglichkeit einer etwas besseren Sehschärfe als 0,05, könnten eine Sehschärfe von weniger als 0,05 aber nicht ausschließen.

Hinsichtlich des Gesichtsfelds hat D drauf hingewiesen, dass der Kläger für die vorliegende Haupterkrankung eher untypisch konzentrisch eingeschränkte Gesichtsfeldaußengrenzen angegeben habe. Angesichts des massiven vor allem temporalen Nervenfaseruntergangs wäre eher, so der Sachverständige, ein großes Zentralskotom zu erwarten. Heute hätten sich weder die Außengrenzen des Gesichtsfeldes noch die Grenzen des Zentralskotoms zuverlässig bestimmen lassen, so dass die zweifellos zu unterstellende Gesichtsfeldeinschränkung nicht ausreichend quantifizierbar sei und damit auch nicht ausreichend berücksichtigt werden könne. Nur zuverlässige - also reproduzierbare und plausible - Angaben könnten zu einem verwertbaren Gesichtsfeldschaden führen, wobei unsichere Angaben gerade bei der Gesichtsfelderhebung "nicht unbedingt schuldhaft dem Patienten angelastet werden" müssten. Eine aus der Kombination von Sehschärfenminderung und Gesichtsfeldeinschränkung resultierende hochgradige Sehbehinderung und auch Blindheit könnten vorliegen, sie seien aber derzeit nicht mit ausreichender Sicherheit nachweisbar. Entsprechendes gelte auch für eine Sehschärfe von 1/20 (0,05).

Hinsichtlich der Festlegung des GdB hat D hervorgehoben, dass die Einschätzung der Sehschärfe sehr schwierig bleibe, wenn die angegebene Sehschärfe nicht ganz plausibel bzw. auch nicht objektiv nachweisbar sei, wie im Fall des Klägers dargelegt. Vorliegend sei rechts wie links auch eine höhere Sehschärfe von 0,02 anzunehmen und von 0,05 oder etwas mehr nicht ausgeschlossen. Das Gleiche gelte auch für das nicht plausibel angegebene im Verlauf zu schwankende Gesichtsfeld. Dieses könne wegen der schwankenden und nicht plausiblen Einschränkungen nicht in die Wertung einbezogen werden. Die Einschätzung der Sehschärfe gelinge nur über eine Annäherung, wenn zu Ungunsten des Klägers eine entsprechend höhere Sehschärfe angesetzt werde, diese dann aber mit ausreichender Sicherheit vertreten werden könne. Eine Sehschärfe von knapp über 0,05 sei rechts und links noch möglich, wenn auch nicht wahrscheinlich und eine Sehschärfe von nicht mehr als 0,08 an beiden Augen mit ausreichender Sicherheit dann auch anzusetzen. Nach den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen (VG, Anlage zu § 2 Versorgungsmedizin-Verordnung) (Teil B Nr. 4.3) betrage dann der sehschärfebedingte Einzel-GdB mindestens 80. Glaube man den Angaben des Klägers zum Gesichtsfeld, dann würde die pseudokonzentrische beidäugige Gesichtsfeldeinschränkung auf 20 bis 25 Grad ohne relevantes Zentralskotom interpoliert zu einem gesichtsfeldbedingten Einzel-GdB von allein schon 40 bis 50 führen. Wie bereits ausgeführt, so D, seien die Angaben zum Gesichtsfeld aber "alles Andere als sicher" und hielten einer sicheren Beweisführung nicht stand. Es gelinge seines, D´s, Erachtens auch nicht, mit einer entsprechenden Sicherheit von derartigen Außengrenzen auszugehen, die einen gesichtsfeldbedingten Einzel-GdB von 40 begründen könnten, so dass wenigstens eine hochgradige Sehbehinderung über einen GdB von 100 nachweisbar wäre. Diese sei nicht unwahrscheinlich vielleicht schon erreicht, aber eben nicht mit der ausreichenden Sicherheit nachgewiesen. Zu sehr seien, so D, die Angaben zum Restgesichtsfeld unsicher. Dennoch müsse zugegeben werden, dass "aller Wahrscheinlichkeit nach" bereits mindestens hochgradige Sehbehinderung eingetreten sei. Diese könne aber derzeit nicht mit ausreichender Sicherheit nachgewiesen werden. Hier seien konsistente, reproduzierbare und nachvollziehbare und strukturell noch besser erklärende Angaben auch zum Gesichtsfeld von essentieller Bedeutung.

Blindheit nach dem Gesetz sei derzeit also nicht nachweisbar. Eine hochgradige Sehbehinderung könne bereits vorliegen, sei aber ebenfalls nicht zu beweisen. Es bestünden derzeit und zu jedem früheren Zeitpunkt - also auch seit September 2020 - weder eine nachweisbare Blindheit noch eine nachweisbare hochgradige Sehbehinderung.

Weitere fachärztliche Untersuchungen seien, so D, nicht erforderlich.

Zu dem Gutachten hat der Kläger über seinen Bevollmächtigten mit Schriftsatz vom 06.12.2022 sehr umfangreich Stellung genommen. Darin wird im Wesentlichen aufgezeigt, dass die medizinische Stellungnahme der L Universität A im Ergebnis dringend die Erhöhung des GdB auf 100 und damit die Anerkennung einer hochgradigen Sehbehinderung empfehle. Bemerkenswert sei, dass D dieses Ergebnis offensichtlich in Frage stelle, obwohl K diese Aussage treffe.
Die von D herangezogene zentrifugale Gesichtsfelduntersuchung könne zur Beurteilung über vorliegende Gesichtsfeldeinschränkungen im Fall des Klägers nicht herangezogen werden, da diese zu abweichenden und nicht verwertbaren Ergebnissen im Vergleich zu einer zentripetalen Gesichtsfelduntersuchung führe; Letztere sei heranzuziehen.
Weiter ist die Auffassung vertreten worden, dass in Ergänzung zur manuell-kinetischen Perimetrie eine kinetisch-automatisierte Perimetrie hätte durchgeführt werden müssen, um etwaige Zentralskotome zu perimetrieren, was unter Bezugnahme auf ein Standardwerk der medizinischen Literatur (Lachenmayr, Begutachtung zur Augenheilkunde, 3. Auflage 2019, S. 31) dargelegt worden ist.
Unter Bezugnahme auf das Urteil des Senats vom 16.11.2017 (L 15 BL 12/17) ist vom Bevollmächtigten weiter vorgetragen worden, dass die Prüfung der Sehschärfe zu einem quantitativen Ergebnis führe, das eine Genauigkeit vorgebe, die in der Wirklichkeit nicht existiere, was für die Zweifel an der hochgradigen Sehbehinderung bzw. Blindheit wegen Schwankungen in den Visuswerten relevant sei. Die Visuswerte hätten sich allesamt im Bereich der anzuerkennenden Blindheit befunden. Damit lägen keine derartigen Schwankungen vor, die die Annahme einer Aggravation begründen würden.

Weiter ist auf eine wissenschaftliche Arbeit der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg verwiesen worden. Hierdurch sei bewiesen, dass im Low-Vision-Bereich unter 0,1 die Ableitungen von VECP zur wissenschaftlichen Bewertung in Bezug auf die Fragestellung der Korrelation des objektiven Visus mit dem subjektiven Visus geeignet sei. Der VEP-Visus entspreche nicht dem Optotypen-Visus. Weil vorliegend nur unstrukturierte Lichtreize verwendet worden seien, sei eine Korrelation zur Sehschärfe nicht gut möglich. D habe bestätigt, dass selbst bei einem Visus von Lichtscheinwahrnehmung die Blitz-VEP reproduzierbare Ergebnisse liefern würden.
Die Annahme von D, dass durch die ableitbaren Blitz-VEP die Option auf eine höhere Sehschärfe als 0,02 bestehe, sei reine Spekulation, die von D nicht einmal nachvollziehbar erklärt werde, "sondern lediglich als Ergebnisfeststellung aufgeführt wird, um auch hier das Vorliegen von einer hochgradigen Sehbehinderung und Blindheit ablehnen zu können".

Im Auftrag des SG hat D in einer ergänzenden Stellungnahme vom 05.02.2022 im Einzelnen zu dem Vortrag in dem genannten Schreiben des Bevollmächtigten ausgeführt. Es wiederhole sich in allen Gutachten der eklatante Widerspruch eines massiv konzentrisch eingeschränkt angegebenen Gesichtsfelds mit dem zugrundeliegenden Krankheitsbild, wobei er, D, herauszuarbeiten versucht habe, weshalb das Glaukom daher eher keine wesentliche Rolle mehr spielen könne.

Der Bevollmächtigte verkenne, dass zur Bestimmung der Gesichtsfeldaußengrenzen wie üblich nur die zentripetale Vorgehensweise gewählt worden sei. Zur Erfassung eines eventuellen Zentralskotoms, das bei einer Makuladegeneration durchaus zu erwarten sei, müsse allerdings von der vermeintlichen zur vermutenden Skotommitte nach außen, somit zentrifugal, geprüft werden. Genau dies sei geschehen. U.a. hat D in diesem Zusammenhang auf Folgendes hingewiesen: Wenn zur Ermittlung eines vermuteten Zentralskotoms zentrifugal perimitriert werde (werden müsse) und dabei die zuvor noch zentripetal ermittelten konzentrisch eingeschränkt angegebenen Außengrenzen fernab jeglicher Reaktionszeit weit überschritten bzw. teilweise nun überhaupt keine Grenzen mehr angegeben würden, wenn also das Zentralskotom nun um ein Vielfaches größer sein solle als das zuvor noch angegebene gesamte Gesichtsfeld, dann konterkariere das die Glaubwürdigkeit der Angaben. Die Angaben zum Gesichtsfeld könnten hier schwierig zur Wahrheitsfindung beitragen. Wenn nun auch noch eine deutlich leichter zu erkennende viel größere Reizmarke in teils noch engeren Grenzen als erkannt angegeben werde, sei keine Plausibilität gegeben.
In der augenärztlichen Routinekontrolle - nicht in der Begutachtungssituation - sei es gängige Praxis, auch die statische Perimetrie einzusetzen. Vom Bevollmächtigten sei jedoch aus dem o.g. Werk (Lachenmayr, a.a.O.) unvollständig zitiert worden. Denn dort heiße es auch, das gutachterlich entscheidend letztlich stets die Prüfung des Gesichtsfelds am kinetischen Perimeter nach Goldmann oder einem dazu äquivalenten Gerät unter manueller Prüfmarkensteuerung sei.
Umso hellhöriger müsse man prinzipiell werden, je höher die Schwankungen der Visuswerte im Verlauf seien. Im Gutachten werde im Wesentlichen aber nicht mit den Verlaufsschwankungen der Sehschärfe über die Zeit argumentiert; die Sehschärfe habe innerhalb der Gutachten zwischen 0,02 und dem Wahrnehmen von Handbewegungen geschwankt; einmal sei auch Fingerzählen möglich gewesen. Die Zweifel generierten sich vielmehr aus den Schwankungen hinsichtlich der Gesichtsfeldangaben über die Zeit (heute trotz degenerativer Grunderkrankung trotz subjektiver fehlender Besserung in der Anamnese deutlich besser als bei den Vorbegutachtungsuntersuchungen) und den widersprüchlichen Angaben gerade auch innerhalb der letzten Begutachtung und im Gegensatz zu den objektiven Funktionsergebnissen.

Seit Jahren weise er, D, darauf hin, dass eine genaue Korrelation zwischen einer Gittersehschärfe und dem Optotypen-Visus nicht möglich sei. Auch die immer wieder ins Feld geführte Aussage des Beklagten sei nicht haltbar, wonach die Ableitbarkeit der Muster-VEP per se eine Sehzeichenschärfe von 0,1 oder mehr bedeuten solle. Er, der Sachverständige, widerspreche aber der Aussage, dass überhaupt keine Zuordnung möglich sein solle. In weiten Bereichen gelinge seines Erachtens sehr wohl eine grobe Korrelation zwischen Sehzeichen- und Gittersehschärfe. Sie müsse aber die Art der zugrundeliegenden Erkrankung (Makulapathie, Optikopathie, Medientrübung, Fehlrefraktion, Amblyopie) und den Strukturbefund mitberücksichtigen. Alleine die Tatsache, dass es seines, D´s, Wissens keinen Patienten mit einem normalen Muster-VEP gebe, der zugleich (nach dem Sehschärfekriterium!) blind sei (unter Umständen mit der Ausnahme der visuellen Agnosie), unterstelle eine Korrelation und dies erst Recht dann, wenn umso kleinere Muster als Stimuli verwendet würden. Die Kardinalfrage bleibe, wie genau/ungenau eine Zuordnung gelinge. Dies gelte in gewissen Grenzen sogar auch für das Blitz-VEP und das Gesichtsfeld.

Hinsichtlich der Aussagen des Bevollmächtigten zu den ableitbaren Blitz-VEP zeige, dass die Klägerseite von einer falschen Schlussfolgerung ausgehe, die unterstelle, dass insbesondere das Blitz-VEP-Ergebnis auf die Möglichkeit einer besseren subjektiven Sehschärfe verweise. Im Gutachten mache er, der Sachverständige, genau das Gegenteil klar, nämlich, dass das Ergebnis der Blitz-VEP-Ableitung eben nicht für die Einschätzung der Sehschärfe diene.

Es sei auch nicht das Ergebnis seines Gutachtens, dass der Kläger jedenfalls nicht hochgradig sehbehindert sei. Vielmehr sei eine hochgradige Sehbehinderung als wahrscheinlich anzunehmen, wie im Gutachten mehrfach betont. Es gelinge ihm lediglich der geforderte Nachweis nicht. Dieser wäre leichter zu führen, wenn es dem Kläger gelänge, nachvollziehbare, d.h. reproduzierbare, valide Angaben zum Gesichtsfeld zu machen.

Auch zu der ergänzenden Stellungnahme hat sich die Klägerseite umfassend geäußert. Mit Schriftsatz vom 20.03.2023 hat der Bevollmächtigte auf den Hinweis des Gutachters, der mit der Gesichtsfelduntersuchung "den Beweis für eine offensichtliche Aggravation erbracht haben wolle", aufmerksam gemacht, dass auf beiden Augen die Angaben bei beiden Prüfmethoden unsicher gewesen seien und die Reproduzierbarkeit schlecht sei. Außerdem habe er selbst geschrieben, dass Blickziel- oder Augenfolgebewegungen nicht zu beobachten gewesen seien. Fraglich sei darüber hinaus, ob es zulässig sei, durch eine zentrifugale Gesichtsfeldprüfung Zentralskotome zu perimetrieren.
Schließlich ist auf die gute Vereinbarkeit der vorliegenden Zentralskotome mit dem Papillenbefund hingewiesen worden.

Im Schriftsatz vom 20.04.2023 hat der Beklagte mitgeteilt, dass aus seiner Sicht das klägerische Vorbringen nicht geeignet sei, die Bewertung des Gerichtsgutachtens zu erschüttern. Er halte die Angelegenheit für ausermittelt.

Am 20.04.2023 und 26.06.2023 haben die Beteiligten ihr Einverständnis mit einer Entscheidung des Klageverfahrens per Gerichtsbescheid mitgeteilt.

Mit Gerichtsbescheid vom 17.07.2023 hat das SG die Klage abgewiesen. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme stehe zur Überzeugung des SG fest, dass beim Kläger derzeit keine Blindheit vorliege. Der Visus des Klägers betrage nicht 0,02 oder weniger. Die subjektiven Visusangaben stimmten mit den objektiven Befunden nicht überein. Das SG hat sich dabei auf die Gutachten des Verwaltungsverfahrens und des Sachverständigen D berufen. Auch eine Gesichtsfeldeinschränkung, die einer Herabsetzung der Sehschärfe auf 0,02 oder weniger gleichzusetzen wäre, liege nicht im erforderlichen Maße nachweisbar vor. Auch diese Feststellung hat das SG unter detaillierter Bezugnahme auf die Sachverständigengutachten von P, R1 und D eingehend dargestellt. Schließlich sei auch eine hochgradige Sehbehinderung nicht im erforderlichen Maße nachgewiesen. So habe der Sachverständige P die Diskrepanzen dargestellt, dass die Visusangaben beispielsweise nicht zu den ableitbaren VEP passen würden. Auch der Sachverständige D komme aufgrund der unterschiedlichen Angaben des Klägers einer- und der objektiven Befunde andererseits zum Ergebnis, dass eine hochgradige Sehbehinderung wahrscheinlich schon vorliege, diese sich aber noch nicht beweisen lasse.
Abschließend hat das SG auf den Grundsatz der objektiven Beweislast verwiesen. Im Übrigen wäre auch ein bescheidsmäßig festgestellter GdB von 100 für das vorliegende Blindengeldverfahren unerheblich, da es mit Blick auf die Rechtsprechung des Senats (20.12.2018 - L 15 BL 6/17) keine Bindungswirkung gebe. Das Gericht hat sich den Feststellungen des Sachverständigen D angeschlossen, der den Kläger untersucht und sich mit allen vorgelegten Unterlagen und auch den Einwänden der Klägerseite detailliert auseinandergesetzt habe.

Gegen den Gerichtsbescheid hat der Kläger am 21.08.2023 Berufung beim Bayerischen Landessozialgericht (BayLSG) eingelegt und diese umfangreich begründet.
Im Wesentlichen ist Folgendes vorgetragen worden: Im Hinblick auf den Verweis des SG auf die Auslösbarkeit des OKN (auf beiden Augen) und auf die Feststellung, dass durch den positiven Funktionsbefund das Erkennen von strukturierten Reizen bei der OKN-Prüfung auf eine Mindestsehschärfe und ein Mindestgesichtsfeld hingewiesen werde, sei festzuhalten, dass dies unzutreffend sei. Denn eine genaue Zuordnung zu einer Visusstufe sei nicht möglich. So sei bei einem Visus von 1/50 normal, dass der OKN auslösbar sei, weil beim Erkennen von Optotypen entsprechend des Visus von 1/50 natürlich optische Strukturen erkannt würden.
Das Auflösungsvermögen der Netzhaut gegenüber Details sei an der Makula am größten, weil dort die Sinneszellen am dichtesten nebeneinanderstehen würden; es nehme zur Peripherie hin immer mehr ab. Dies gelte auch für die Auslösung des OKN. Je feiner die Stimuli seien, desto weniger würden die peripheren Netzhautanteile zur Generierung des OKN beitragen, weil sie das feine Muster nicht mehr auflösen könnten. Insofern dürfe eine gewisse Korrelierbarkeit zwischen OKN-Auslösung und visueller Sehschärfe gefordert werden, wenn die Stimuli nur genügend klein gewählt würden.
Entsprechend dieser Ausführungen habe das Vorhalten eines sich bewegenden Streifenbandes in 30 cm Entfernung mit überschwellig großen Mustern (20 mm Streifenbreite) zur Auslösbarkeit eines OKN geführt, wobei hier mit einzubeziehen sei, dass die Auslösbarkeit des OKN gerade in der Peripherie erfolgt sei, da das Sachverständigengutachten von D vom Vorliegen eines Zentralskotoms ausgehe.
Es sei reine Spekulation, wenn D davon ausgehe, dass die gute Auslösbarkeit des OKN im Kotowski-Test durch Muster mit einem Gittersehschärfeäquivalent von sicher 0,1 und 0,3 auch bei Projektion auf die zentrale Netzhaut mit Wahrscheinlichkeit jedenfalls auf eine bessere Sehschärfe als Wahrnehmen von Handbewegungen sowohl rechts als auch links hinweise, auch wenn sie eine Sehschärfe von mehr als 0,02 nicht beweise. Festzuhalten bleibe, dass jeweils nur die großen Stimuli und Muster zur Auslösbarkeit eines OKN beim Kläger geführt hätten. Der Kläger habe auch rechts und links Schachbrettmuster nur bei den mittelgroßen und größten Mustern im Kotowski-Test wahrgenommen, bei noch feineren Mustern (0,7) aber nur noch Licht.
Wenn das SG davon ausgehe, dass die Auslösbarkeit einer Muster-VECP auf eine gewisse Sehschärfe schließen lasse, werde auf die o.g. wissenschaftliche Arbeit verwiesen. Im Falle des Klägers hätten sich bei der Ableitung pathologische Muster-VECP in der L Universität gezeigt; bei der Untersuchung durch D seien die Muster-VECP bei guter Mitarbeit nur noch angedeutet ableitbar gewesen, was durchaus einer hochgradigen Sehbehinderung entsprechen könne; dies sei sogar sehr wahrscheinlich bei der erkennbar vorliegenden fortgeschrittenen Augenerkrankung.
Dies stelle auch das SG fest und führe aus, dass dies allenfalls eine bessere Sehzeichenschärfe als zumindest 0,02 nahelege. Mit dieser Aussage halte sogar das SG das Vorliegen einer hochgradigen Sehbehinderung für bewiesen.
Der Kläger verfüge über einen Visus von Handbewegungen auf beiden Augen.
Es sei reine Spekulation, wenn das SG in der Schlussfolgerung zu dem Ergebnis komme, dass durch die ableitbaren Blitz-VEP die Option auf eine höhere Sehschärfe als 0,02 und 0,05 bestehe. Diese Spekulation werde nicht einmal nachvollziehbar erklärt, sondern lediglich als Ergebnisfeststellung aufgeführt, um auch hier das Vorliegen von einer hochgradigen Sehbehinderung und Blindheit ablehnen zu können.
Weiter hat sich die Bevollmächtigte mit den Beweisanforderungen der Rechtsprechung und den tatsächlichen Gegebenheiten auseinandergesetzt. U.a. sei zu beachten, dass sich die Gerichte mit demjenigen Gewissheitsgrad zu begnügen hätten, den die medizinische Wissenschaft im Einzelfall leisten könne. Es müssten nicht nur völlig unbedeutende Restzweifel außen vor bleiben. Wenn sich das SG nicht damit auseinandersetze, ob die Gesamtheit der vorliegenden Untersuchungsergebnisse für das Vorliegen einer hochgradigen Sehminderung sprechen könne, so sei eine sachgerechte Beurteilung der Seheinschränkung nicht erfolgt, so dass unter Berücksichtigung des Untersuchungsgrundsatzes aus § 20 SGB X eigentlich die Verpflichtung bestanden habe, weiter zu ermitteln. Es könne nicht sein, dass dem Kläger gerade bei der Begutachtung für hochgradige Sehbehinderung oder Blindheit besonders hohe Anforderungen an die Beweiserbringung treffen würden. Er habe nach seinen Möglichkeiten alles Erforderliche dazu beigetragen, was für die Beweisführung nötig gewesen sei, denn er habe bei der Untersuchung der Muster-VECP-Ableitung gut mitgearbeitet. Wenn D und das SG im Ergebnis dieser Untersuchung feststellen würden, dass die Nicht-Ableitbarkeit allenfalls für eine Sehschärfe über 0,02 sprechen würde und interpretatorisch hier noch Restzweifel an einer Sehschärfe unter 0,05 mit einbezogen würden, so würden dem Kläger übertriebene Anforderungen an den Vollbeweis auferlegt, die dieser unter keinen Umständen erfüllen könne. Es möge zwar sein, dass für die Gerichte der Grundsatz der freien Beweiswürdigung gelte und auch ein Gutachter in seiner Wertung und Auslegung frei sei. Dies könne aber nicht dazu führen, dass unter Anwendung reiner Willkür eine Beweisführung für einen Antragsteller unmöglich gemacht werde. Vielmehr sei dieser freien Beweiswürdigung dort eine Grenze zu setzen, wo der übertriebene Vollbeweis des Betroffenen nötig wäre, um die hundertprozentige Sicherheit zu erlangen. Denn gerade auch bei der Blindenbegutachtung würden eine Reihe von Aggravationstests ermöglichen, die Angaben zu widerlegen.
Für die Begutachtungen in der L Universität sei im Fall des Klägers ernsthaft in Betracht zu ziehen, dass die Leuchtmarke zu schnell bewegt worden sei, sodass es hierdurch zu den sehr kleinen Gesichtsfeldern im Diagrammschema gekommen sei.
Auch der von D offensichtlich durchgeführte Aggravationstest, bei dem für beide Augen angegeben werde, dass bei der Gesichtsfeldprüfung auf beiden Augen weder Blickzielbewegungen noch Augenfolgebewegungen zu beobachten gewesen seien, spreche hierfür.
Sofern die Gesichtsfeldeinschränkungen mit der Argumentation in Zweifel gezogen würden, dass die Grenzen des Zentralskotoms oft weiter angegeben würden als die Grenzen des Gesichtsfelds, so sei darauf hinzuweisen, dass die Zentralskotome durch eine zentrifugale Gesichtsfeldprüfung perimetriert würden. Dabei stelle sich das Problem dar, dass der Kläger angeben habe müssen, wann bei Fixation eines bestimmten in der Nulllage befindlichen Punktes die Lichtmarke (zentrifugal geführt) verschwinde.
Diese Art der Gesichtsfelduntersuchung könne zu abweichenden und nicht verwertbaren Ergebnissen im Vergleich zu einer zentripetalen Gesichtsfelduntersuchung führen.
Grund hierfür sei, dass der Betroffene bei einer derartigen Untersuchung die reflexartige Folgebewegung des Auges nicht steuern könne. Wenn der zu erkennende Leuchtpunkt vom Zentrum des Gesichtsfelds nach außen geführt werde, sei die natürliche Augenreaktion, diesen Punkt zu verfolgen. So komme es zu vermeintlich größeren Gesichtsfeldern als bei einer zentripetalen Gesichtsfelduntersuchung.

Zu diesen umfangreichen, vor allem medizinischen Ausführungen der Bevollmächtigten des Klägers hat sich sodann der Sachverständige D am 24.03.2024 im Auftrag des Senats in einer ebenfalls ausführlichen ergänzenden Stellungnahme geäußert.
Wenn die Bevollmächtigte darauf hinweise, dass es beispielsweise bei einem Visus von 1/50 normal sei, dass der OKN auslösbar sei, weil beim Erkennen von Optotypen entsprechend des Visus von 1/50 natürliche optische Strukturen erkannt würden, so sei dies, so der Sachverständige, zu vereinfacht wiedergegeben und so nicht haltbar. Wesentlicher Knackpunkt bleibe die Zuordnung zu einer bestimmten quantifizierbaren Sehschärfe und zu einem bestimmt großen quantifizierbaren Restgesichtsfeld. Es sei nicht richtig, prinzipiell eine Sehzeichenschärfe von 1/50 anzunehmen, nur weil ein OKN auslösbar sei, ohne aber die Größe der Musterstimuli zu kennen.
Mit Blick auf die Ausführungen der Bevollmächtigten zu dem Vorhalten eines sich bewegenden Streifenbandes in 30 cm Entfernung und mit überschwellig großen Mustern hat der Sachverständige festgestellt, dass sie falsch seien. Große Muster könnten nicht nur von der Peripherie, sondern auch vom Zentrum detektiert werden. Wenn also mit großen Mustern ein OKN ausgelöst werden könne, sei damit noch nicht gesagt, dass ein Zentralskotom vorliegen und der OKN nur über die Peripherie vermittelt sein müsse. Dieses Zentralskotom wäre allerdings, wie er im vorliegenden Gutachten habe anklingen lassen, wegen des Krankheitsbildes zu erwarten, so D, werde aber subjektiv in der Gesichtsfelduntersuchung nicht angegeben.
Dem Vortrag der Bevollmächtigten, dass jeweils nur die großen stimulierenden Muster zur Auslösbarkeit des OKN beim Kläger geführt hätten und dass die Annahmen von D einer Sehschärfe von mehr als 0,02 aufgrund des auslösbaren OKN reine Spekulation seien, hat der Sachverständige widersprochen. Es hätten im Kotowski-Test eben nicht nur die großen Muster (mit einem Visusäquivalent von 0,1) zu einem OKN geführt, sondern auch mittelgroße Muster (mit einem Visusäquivalent von immerhin 0,3). Nur die kleinsten Muster (Visusäquivalent 0,7) hätten keinen OKN mehr ausgelöst. Damit steige aller klinischen Erfahrung nach deutlich die Wahrscheinlichkeit auch für eine Sehzeichenschärfe von mehr als 0,02 und sogar von über 0,05, was nun einmal hinsichtlich der Natur von Wahrscheinlichkeiten dann aber eine derartige Sehschärfe noch nicht sicher beweise, aber eben auch keine reine Spekulation darstelle. Klar sei auch, dass damit eine derartig bessere Sehzeichenschärfe von über 0,05 auch nicht bewiesen habe werden können. Dies sei jedoch auch nicht die Fragestellung des Gutachtens. Das Ergebnis dieser Untersuchung stehe aber der Beweisführung einer Sehschärfe von 0,02 und sogar von 0,05 deutlich mehr entgegen, als dass sie umgekehrt für einen Nachweis sprechen könne.
D hat hervorgehoben, dass in der Regel bei der VEP-Ableitung zwei Mustergrößen verwendet würden; im Gutachten habe er sicherheitshalber zusätzlich mit weiteren Mustergrößen unter binokular stimuliert. Es bewege sich die Optotypensehschärfe vorwiegend zwischen 0,05 und 0,1 gerade im Grenzbereich der beginnenden Ableitbarkeit von Muster-VEP bei Stimulation mit großen Mustern, sodass auch hier eine Sehschärfe von über 0,05 eben nicht ausgeschlossen werden könne. Im Gegensatz zum OKN würden hier alle Mustergrößen über die zentrale Netzhaut vermittelt.
Wegen der nicht einfachen Korrelierbarkeit (bzgl. Muster-VEP) sei eine Optotypensehschärfe von sogar nur 0,02 zwar nicht ganz ausgeschlossen, erst recht nicht von 0,02 bis 0,05, jedoch zusammen mit dem OKN-Ergebnis liege hier eine Sehschärfe von mehr als 0,02 nahe (sie sei wahrscheinlich). Eine Sehschärfe von über 0,05 sei noch möglich, womit diese auch nicht widerlegt werden könne. Zusammen mit der Gesichtsfeldeinschränkung allerdings liege hier mit Wahrscheinlichkeit dann doch eine hochgradige Sehbehinderung nahe, könne aber insbesondere wegen der schlechten Reproduzierbarkeit der Gesichtsfeldgrenzen nicht ausreichend sicher nachgewiesen werden.
Die Aussage der Bevollmächtigten, dass sogar das SG das Vorliegen einer hochgradigen Sehbehinderung für bewiesen halte, hat der Sachverständige als nicht nachvollziehbar bezeichnet. Das SG habe doch nur die Meinung des Gutachters wiedergegeben, der eine bessere Sehschärfe von 0,02 nahegelegt habe.
Der Aussage der Bevollmächtigten, dass der Kläger über einen Visus von Handbewegungen auf beiden Augen verfüge (und damit nicht vollständig erblindet sei), hat D widersprochen.
Festzuhalten bleibe, dass weder das Gutachten von ihm noch das SG zum Ergebnis kommen würden, dass aus den Ergebnissen der Blitz-VEP-Ableitung auf die Sehschärfe geschlossen werden. Die Ergebnisse der Blitz-VEP würden aber zur Beurteilung der Plausibilität des Restgesichtsfelds und zur Beurteilung der Signalübertragung vom Auge bis zur primären Sehrinde in der oben ausgeführten Weise herangezogen, so der Sachverständige. Eine grobe Korrelation der Blitz-VEP zum Gesamtsehvermögen würde aber eben dann in gewissen Grenzen wieder möglich, je größer die Diskrepanz beider Größen werde.
Zusammenfassend hat der Sachverständige darauf hingewiesen, dass die Ergebnisse der Muster-VEP Ableitung eine Optotypensehschärfe von mehr als 0,02 bis 0,05 nahelegen würden, eine Sehschärfe von 0,02 oder schlechter daher unwahrscheinlicher bleiben würde. Eine solche sei auch nicht beweisbar, ebenso wie eine Sehschärfe von 0,05 oder darüber. Er, D, beziehe aber auch die Ergebnisse der OKN-Untersuchung mit ein, die von der Klägerseite jetzt nicht mehr erwähnt würden. Hier spreche trotz aller Korrelationsschwierigkeiten, insbesondere das Ergebnis der Untersuchung mit dem Nystagmovisoskop nach Kotowski noch eher für eine Sehzeichenschärfe von mehr als 0,05 als für eine Sehzeichenschärfe von 0,05 oder darunter. D hat weiter die Frage gestellt, wie man z.B. den Wahrheitsgehalt der Aussage in der Anamnese einordnen solle, dass der Kläger ihn (auch nicht mit seinem weißen Arztkittel) in 70 bis 100 cm Entfernung simultan mit beiden Augen nicht wahrnehmen habe können, dann aber bei der Prüfung des OKN nach eigenen Befunden mittelgroße Schachbrettmuster erkennen und in der Goldmann-Perimetrie die Lichtmarke III/4e erkennen und lokalisieren habe können, während wiederum bei der Sehschärfeprüfung auf die Augen gerichtetes viel helleres Bonnoskoplicht nicht richtungslokalisiert habe werden können. Gerade wenn die objektive Funktionsüberprüfung nur grenzwertige und damit unsichere Ergebnisse liefere, sei man auf die subjektiven Ergebnisse umso mehr angewiesen. Dann aber sollten diese Angaben auch konsistent, zuverlässig und umso plausibler sein, wenn sie in der Beweisführung entsprechend gewürdigt werden sollten. Im Gutachten habe er unter zusätzlicher Berücksichtigung auch der Gesichtsfeldeinschränkung (nicht nur Sehschärfe) einen GdB von 100 und damit auch eine hochgradige Sehbehinderung für wahrscheinlich gehalten; es gelinge ihm aber aus den im Gutachten genannten Gründe und insbesondere wegen der nicht sicher erfassbaren Gesichtsfeldgrenzen nicht, diesen Nachweis auch nur einigermaßen sicher anzutreten. Es stehe nun dem Gericht anheim zu beurteilen, ob diese Unsicherheiten relevante Zweifel begründen könnten oder nicht, so D.

Zu dem Hinweis der Bevollmächtigten auf die Möglichkeit, dass die Leuchtmarke (bei der Gesichtsfeldmessung) zu schnell bewegt worden sei, hat D darauf hingewiesen, dass die erhöhte bzw. unterschiedliche Reizmarkengeschwindigkeit durchaus eine Erklärung dafür sein möge, dass die Gesichtsfeldprüfung trotz sonst standardisierter Parameter am Goldmann-Perimeter bei unterschiedlichen Untersuchungen zu unterschiedlichen Ergebnissen führe, die dann dem Patienten und seiner Glaubwürdigkeit nicht schuldhaft angelastet werden dürften. Vor allem aber seien die Ergebnisse nun jedoch so divergent, dass es schon unwahrscheinlich erscheine, dass die standardisierte Reizmarke III/4e so schnell oder langsam bewegt worden sei, dass sie z.B. rechts an der Augenklinik der L Universität überhaupt nicht (kein einziges Mal!) erkannt worden sei, während bei seiner, D´s, Begutachtungsuntersuchung noch ein passables zentrales Restgesichtsfeld zu perimetrieren gewesen sei. So schnell wäre wohl kaum eine Reizmarke zu bewegen, so der Sachverständige, so dass diese nun aufgestellte Hypothese der Klägerseite sehr unwahrscheinlich erscheine. Es hätten auch die Angaben schon bei seiner Untersuchung alleine ausgereicht, um deutliche Widersprüche zu generieren, die letztendlich auch die wesentliche Argumentation dafür seien, weshalb eine seriöse Festlegung der Außengrenze nicht gelinge.
Wenn die Klägerseite vermute, dass von D ein Aggravationstest durchgeführt worden sei, sei dies unzutreffend. Jede normale Gesichtsfelduntersuchung bringe es automatisch mit sich, dass die Mittelpunktfixation überprüft werden müsse. Dabei würden auch Abweichungen davon, also z.B. Blickzielsakkaden bzw. Augenfolgebewegungen - die wegen der strikten Mittelpunktfixation eigentlich zu unterlassen wären - registriert werden. Falls diese trotzdem durchgeführt würden, könnten sie dann auch Auskunft über die Gesichtsfeldaußengrenzen geben. Vorliegend sei der Kläger (wie bei jeder Gesichtsfelduntersuchung) angehalten worden, nur zum Mittelpunkt zu sehen, woran er sich auch gehalten habe.
Im Hinblick auf die von der Klägerseite genannte Sakkadenprüfung hat D erläutert, dass hier der Patient eben nicht dazu angehalten werde, beständig den Mittelpunkt zu fixieren.
Auf die Feststellung der Klägerseite, dass sich bei der zentrifugalen Gesichtsfelduntersuchung das Problem darstelle, dass der Proband angeben müsse, wann bei Fixation eines bestimmten in der Nulllage befindlichen Punktes die Lichtmarke - zentrifugal geführt - verschwinde, hat der Sachverständige festgestellt, dass dies unzutreffend sei. Nicht das Verschwinden der Reizmarke sei zu quittieren, sondern immer das Wahrnehmen, womit sich Skotomgrenzen festlegen ließen. Sie müssten immer enger bzw. höchstens genauso eng sein als die Außengrenzen des zentripetal geprüften Gesichtsfelds liegen, wenn Außengrenzen angegeben würden. Die beim Kläger feststellbaren eklatanten Widersprüche seien mit der unterschiedlichen Perimetrierichtung nicht mehr zu erklären.
Im Fall des Klägers seien Außengrenzen in 30 Grad (rechts) - bzw. in 0 bis 20 Grad (links) - Bereich und Skotomgrenzen am Schemarand (also im 70- bis 90-Grad-Bereich) angegeben worden, was so weit auseinander liege, dass diese Diskrepanz nicht mehr mit der Reizmarkengeschwindigkeit begründet werden könne.
Falsch sei auch die Begründung der Bevollmächtigten, dass der Betroffene bei einer Untersuchung die reflexartigen Folgebewegungen des Auges nicht steuern könne, wenn der zu erkennende Leuchtpunkt vom Zentrum des Gesichtsfelds nach außen geführt werde. Denn der Patient solle doch diese Reflexe unterdrücken und der Kläger habe sie auch gut unterdrückt und eben - wie vorgeschrieben - keine Blickzielreflexe oder Augenfolgebewegungen (zur Reizmarke oder mit der Reizmarke) durchgeführt. Wenn er die von zentral nach peripher laufende Reizmarke verfolgen würde, sähe er sie ja, müsste sie quittieren und hätte dann folglich überhaupt kein Zentralskotom. Die Ergebnisse seien dann auch sehr wohl vergleichbar.

Zusammenfassend hat D festgestellt, dass sich unter Berücksichtigung "der zum guten Teil bereits erstinstanzlich vorgetragenen" und in der ersten ergänzenden Stellungnahme erwiderten Argumente in der Berufungsbegründung keine Änderung seines Gutachtens ergebe.

Mit Schriftsatz vom 11.06.2024 hat die Bevollmächtigte erneut Stellung genommen. Sie hat erneut auf die o.g. Veröffentlichung der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg verwiesen. Zudem hat sie hervorgehoben, vom Autor dieser wissenschaftlichen Arbeit sei festgestellt worden, dass der Versuch der Herstellung einer Korrelation zwischen dem Optotypenvisus und dem VECP-Wert für Gutachtensfragen im Moment nicht geeignet sei. Vorliegend habe der Sachverständige D dargelegt, dass nur mit einem großen Stimulus ein OKN reproduzierbar ausgelöst habe werden können, was, so die Bevollmächtigte, zumindest für eine hochgradige Sehbehinderung spreche. Lediglich die zentrale Netzhaut habe nach der Darlegung von D auf Reize reagiert, die Auslösbarkeit sei nicht mit kleinen Mustern geschehen. Selbst wenn man vorliegend davon ausgehe, dass die Gesichtsfelduntersuchung teilweise widersprüchliche Ergebnisse erbracht habe, sei von D festgestellt worden, dass der Kläger mitgearbeitet habe; man könne ihm nicht vorwerfen, dass er aufgrund von Gutachtenserfahrenheit selektiert habe, bei welcher Untersuchung er wie mitarbeite. Insbesondere hat die Bevollmächtigte auf die gute Mitarbeit beim Blitz-VECP verwiesen.

Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des SG München vom 17.07.2023 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 21.01.2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17.01.2022 zu verurteilen, dem Kläger ab Antragstellung Blindengeld nach dem BayBlindG zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Der Senat hat die Akten des Beklagten und des SG des vorliegenden Klageverfahrens beigezogen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt dieser Akten und der Berufungsakte, die allesamt Gegenstand der Entscheidung gewesen sind, Bezug genommen.


E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

Die zulässige (Art. 7 Abs. 3 BayBlindG i.V.m. §§ 143, 151 SGG) Berufung ist nicht begründet.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Gewährung von Blindengeld durch den Beklagten, weil er weder nachgewiesen blind noch hochgradig sehbehindert im Sinne von Art. 1 Abs. 2, 3 BayBlindG ist. Der Gerichtsbescheid des SG München vom 17.07.2023 ist nicht zu beanstanden. Die angegriffenen Verwaltungsentscheidungen des Beklagten sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten.

Gemäß Art. 1 Abs. 1 BayBlindG erhalten blinde und hochgradig sehbehinderte Menschen, soweit sie ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Freistaat Bayern haben oder soweit die Verordnung (EG) Nr. 883/2004 dies vorsieht, zum Ausgleich der durch diese Behinderungen bedingten Mehraufwendungen auf Antrag ein monatliches Blindengeld.

Blind ist, wem das Augenlicht vollständig fehlt (Art. 1 Abs. 2 Satz 1 BayBlindG). Als blind gelten gemäß Art. 1 Abs. 2 Satz 2 BayBlindG auch Personen,
1. deren Sehschärfe auf dem besseren Auge nicht mehr als 0,02 (1/50) beträgt,
2. bei denen durch Nr. 1 nicht erfasste Störungen des Sehvermögens von einem solchen Schweregrad bestehen, dass sie der Beeinträchtigung der Sehschärfe nach Nr. 1 gleichzuachten sind.

Hochgradig sehbehindert ist gemäß Art. 1 Abs. 3 BayBlindG, wer nicht blind in diesem Sinne (Art. 1 Abs. 2 BayBlindG) ist und
1. wessen Sehschärfe auf keinem Auge und auch beidäugig nicht mehr als 0,05 (1/20) beträgt oder
2. wer so schwere Störungen des Sehvermögens hat, dass sie einen Grad der Behinderung (GdB) von 100 nach dem Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) bedingen.

Vorübergehende Sehstörungen sind nicht zu berücksichtigen. Als vorübergehend gilt ein Zeitraum bis zu sechs Monaten.

Eine der Herabsetzung der Sehschärfe auf 0,02 oder weniger gleichzusetzende Sehstörung im Sinn des Art. 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 BayBlindG liegt, den Richtlinien der DOG folgend, bei folgenden Fallgruppen vor (siehe VG, Teil A Nr. 6):
aa) bei einer Einengung des Gesichtsfeldes, wenn bei einer Sehschärfe von 0,033 (1/30) oder weniger die Grenze des Restgesichtsfelds in keiner Richtung mehr als 30° vom Zentrum entfernt ist, wobei Gesichtsfeldreste jenseits von 50° unberücksichtigt bleiben,
bb) bei einer Einengung des Gesichtsfeldes, wenn bei einer Sehschärfe von 0,05 (1/20) oder weniger die Grenze des Restgesichtsfeldes in keiner Richtung mehr als 15° vom Zentrum entfernt ist, wobei Gesichtsfeldreste jenseits von 50° unberücksichtigt bleiben,
cc) bei einer Einengung des Gesichtsfeldes, wenn bei einer Sehschärfe von 0,1 (1/10) oder weniger die Grenze des Restgesichtsfelds in keiner Richtung mehr als 7,5° vom Zentrum entfernt ist, wobei Gesichtsfeldreste jenseits von 50° unberücksichtigt bleiben,
dd) bei einer Einengung des Gesichtsfelds, auch bei normaler Sehschärfe, wenn die Grenze der Gesichtsfeldinsel in keiner Richtung mehr als 5° vom Zentrum entfernt ist, wobei Gesichtsfeldreste jenseits von 50° unberücksichtigt bleiben,
ee) bei großen Skotomen im zentralen Gesichtsfeldbereich, wenn die Sehschärfe nicht mehr als 0,1 (1/10) beträgt und im 50°-Gesichtsfeld unterhalb des horizontalen Meridians mehr als die Hälfte ausgefallen ist,
ff) bei homonymen Hemianopsien, wenn die Sehschärfe nicht mehr als 0,1 (1/10) beträgt und das erhaltene Gesichtsfeld in der Horizontalen nicht mehr als 30° Durchmesser besitzt,
gg) bei bitemporalen oder binasalen Hemianopsien, wenn die Sehschärfe nicht mehr als 0,1 (1/10) beträgt und kein Binokularsehen besteht.

Dass dem Kläger das Augenlicht vollständig fehlen oder dass bei ihm faktische Blindheit im Sinne von Art. 1 Abs. 2 Satz 2 BayBlindG oder eine hochgradige Sehbehinderung im Sinne von Art. 1 Abs. 3 BayBlindG vorliegen würde, steht nicht zur Gewissheit des Senats fest. Der Senat hat hieran erhebliche Zweifel.

Wie der Senat wiederholt (vgl. z.B. die Urteile vom 26.09.2017 - L 15 BL 8/14, 07.03.2023 - L 15 BL 20/21, 11.12.2023 - L 15 BL 5/22 - und 29.01.2024 - L 15 BL 15/20) unterstrichen hat, sind nach den Grundsätzen im sozialgerichtlichen Verfahren die einen Anspruch begründenden Tatsachen grundsätzlich im Vollbeweis, d.h. mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nachzuweisen (vgl. BSG, Urteil vom 15.12.1999 - B 9 VS 2/98 R). Für diesen Beweisgrad ist es zwar nicht notwendig, dass die erforderlichen Tatsachen mit absoluter Gewissheit feststehen. Ausreichend, aber auch erforderlich ist indessen ein so hoher Grad der Wahrscheinlichkeit, dass bei Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens kein vernünftiger, den Sachverhalt überschauender Mensch mehr am Vorliegen der Tatsachen zweifelt (vgl. BSG, Urteil vom 28.06.2000 - B 9 VG 3/99 R), d.h. dass die Wahrscheinlichkeit an Sicherheit grenzt (vgl. BSG, Urteil vom 05.05.1993 - 9/9a RV 1/92, Beschluss vom 29.01.2018 - B 9 V 39/17 B, Urteil vom 17.04.2013 - B 9 V 3/12 R). Auch dem Vollbeweis können gewisse Zweifel innewohnen; verbleibende Restzweifel sind bei der Überzeugungsbildung unschädlich, solange sie sich nicht zu gewichtigen Zweifeln verdichten (z.B. BSG, Urteil vom 17.04.2013 - B 9 V 3/12 R, m.w.N.). Dies alles gilt ausdrücklich auch für die Verfahren bezüglich des BayBlindG, was das BSG in den Urteilen vom 11.08.2015 (B 9 BL 1/14 R) und 14.06.2018 (B 9 BL 1/17 R) klargestellt hat.

Dass der Kläger keinen Anspruch auf Blindengeld hat, weil ihm das Augenlicht vollständig fehlen würde (Art. 1 Abs. 2 Satz 1 BayBlindG), ist offensichtlich und bedarf keiner weiteren Darlegungen.

Vorliegend ist jedoch auch weder Blindheit nach Art. 1 Abs. 2 Satz 2 BayBlindG nachgewiesen noch liegt zur Überzeugung des Senats hochgradige Sehbehinderung im Sinne von Art. 1 Abs. 3 BayBlindG beim Kläger vor. Dies ergibt sich aus der Beweisaufnahme.

An dieser Stelle kann in vollem Umfang auf die sehr ausführlichen Darlegungen in den oben genannten Gutachten von P, R1 und insbesondere in dem Gutachten von D des vorliegenden erstinstanzlichen Verfahrens und in seinen detaillierten ergänzenden Stellungnahmen verwiesen werden. Die Sachverständigen haben die beim Kläger vorliegenden Sehbeeinträchtigungen vollständig erfasst und unter Beachtung der maßgeblichen Vorgaben zutreffend gewürdigt. Der Senat macht sich die Feststellungen der genannten Sachverständigen, die auch in Übereinstimmung mit der vorliegenden Befunddokumentation stehen, nach eigener Prüfung zu eigen. Es besteht aus Sicht des Senats keinerlei Veranlassung, an der Plausibilität der sachverständigen Feststellungen der Gutachter zu zweifeln. Gleiches gilt im Übrigen auch - angesichts einiger Formulierungen der Stellungnahmen der Klägerseite sieht sich der Senat zu dieser vorsorglichen Feststellung veranlasst - für die Unvoreingenommenheit des Sachverständigen D.

Auch wenn D in seinem überaus fundierten und auch plausiblen Sachverständigengutachten - einschließlich der ebenso detaillierten und überzeugenden ergänzenden Stellungnahmen - ausdrücklich darauf hinweist, dass mit Wahrscheinlichkeit eine hochgradige Sehbehinderung beim Kläger (bereits) vorliegt, ist der erforderliche Nachweis nicht erbracht. Denn nach den oben genannten Vorgaben der höchstrichterlichen Rechtsprechung zum Beweismaßstab des Vollbeweises reicht diese Aussage nicht aus. Vor allem ist für den Senat in keiner Weise erkennbar, dass sich die von D angenommene Wahrscheinlichkeit unter Zugrundelegung der juristischen Definitionen von Nachweis (siehe oben), Wahrscheinlichkeit, Glaubhaftmachung o.ä. vorliegend doch als Nachweis im Sinne des Vollbeweises zu verstehen sein sollte. Insbesondere hat der erfahrene und das vorliegende Gutachten besonders detailliert begründende Sachverständige im Einzelnen - im Gutachten, gerade aber auch in den ergänzenden Stellungnahmen - dargelegt, weshalb er Zweifel auch an einer hochgradigen Sehbehinderung hat, die einer Überzeugungsbildung vom Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen des Art. 1 Abs. 3 BayBlindG mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, d.h. also ohne beachtliche Restzweifel, entgegenstehen.

Eine Absenkung des Beweismaßstabes bzw. Beweiserleichterungen kommen vorliegend nicht in Betracht. Dies hat das BSG in den jüngsten beiden Urteilen vom 11.08.2015 (B 9 BL 1/14 R) und 14.06.2018 (B 9 BL 1/17 R) klar abgelehnt.

Etwas Anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass hinsichtlich des Blindheitsnachweises nichts Unmögliches verlangt werden darf, insbesondere im Hinblick darauf, dass sich die Beteiligten mit dem Grad der Gewissheit begnügen müssen, den die medizinische Wissenschaft ermöglicht, wie der Senat bereits in früheren Entscheidungen thematisiert hat. Es ist zutreffend, dass bei der Begutachtung keine im Sinne des Beweisrechts unüberwindlichen Hürden aufgebaut werden dürfen (vgl. bereits das Urteil des Senats vom 11.07.2023 - L 15 BL 23/21).
Diese Gefahr dürfte jedoch aufgrund der für die Blindheitsbegutachtung bestehenden Vorgaben (unter anderem der VG, DIN, Richtlinien der DOG) und der Standardisierung hinsichtlich der Erstellung ophthalmologischer Gutachten in aller Regel nicht bestehen. Vor allem gebietet auch die Objektivitätsmaxime, dass die Gutachterinnen und Gutachter alle sachgerechten, nach aktuellem wissenschaftlichen Stand zur Verfügung stehenden und ferner ethisch unbedenklichen Untersuchungen durchführen, um ein objektives Bild von der Sehfähigkeit der Probanden zu erhalten (vgl. zu Untersuchungsmethoden etc. auch das Urteil des Senats vom 31.01.2013 - L 15 BL 6/07). Dies haben vorliegend die Gutachter und gerade auch D ohne jeden Zweifel getan. Davon, "dass unter Anwendung reiner Willkür eine Beweisführung für einen Antragsteller unmöglich gemacht" worden wäre, kann vorliegend nicht einmal im Ansatz gesprochen werden. Das Gleiche gilt für eine Überschreitung der - von der Klägerseite dann doch grundsätzlich zugestandenen - freien Beweiswürdigung eines Sachverständigen. Ein "übertriebener" Vollbeweis des Betroffenen ist vorliegend nicht gefordert worden. Denn die Sachverständigen haben nichts anderes getan, als entsprechend den gesetzlichen Anforderungen bzw. Vorgaben der erkennenden Gerichte die einschlägigen Beweisregeln zu beachten und medizinisch-wissenschaftliche Erfahrungssätze anzuwenden.
Es ist vorliegend nicht ersichtlich, dass die Anforderungen an den Blindheitsbeweis hier nicht erfüllt werden könnten. Es erscheint ohne Weiteres möglich, dass die Sachverständigen hier grundsätzlich zu einem für den Kläger positiven Ergebnis hätten kommen können. Voraussetzung wäre dafür aber gewesen, dass insbesondere die von den Sachverständigen im Einzelnen aufgezeigten Diskrepanzen nicht aufgetreten wären.

Auch im Übrigen überzeugen die Darlegungen der Bevollmächtigten hinsichtlich der Beweisanforderungen etc. nicht. Unzutreffend ist die Annahme, es könne nicht sein, dass den Kläger gerade bei der Begutachtung für hochgradige Sehbehinderung oder Blindheit besonders hohe Anforderungen an die Beweiserbringung treffen würden. Denn die Notwendigkeit, eine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit (Vollbeweis) zu erreichen, gilt auch für den besonders komplexen Bereich der Sehstörungen bzw. der Blindheitsbegutachtung; dies ist vom BSG (siehe oben) ausdrücklich klargestellt worden. Hier gewissermaßen durch die Hintertür Beweiserleichterungen vorzunehmen, indem die materiellen Anforderungen gesenkt würden, kommt nicht in Frage, weil dies lediglich eine Umgehung der höchstrichterlichen Rechtsprechung darstellen würde. Der Senat verkennt nicht, dass es im Bereich der Blindheitsbegutachtung etc. oftmals zu Beweisschwierigkeiten der Betroffenen kommt (vgl. zur Gesamtsituation allgemein z.B. Braun/Zihl, MedSach 2015, 81). Hier Abhilfe zu schaffen ist jedoch nicht Aufgabe des Berufungsgerichts, sondern der gesetzgebenden Gewalt (des Freistaates Bayern). Diese ist jedoch für den Bereich des BayBlindG trotz der zahlreichen einschlägigen Urteile des BayLSG und des BSG gerade nicht tätig geworden.

Ein Nachweis ist vorliegend nicht erbracht. Es kann nicht die Rede davon sein, dass kein verständiger, den Sachverhalt überschauender Betrachter am Vorliegen von Blindheit oder hochgradiger Sehbehinderung des Klägers (im oben genannten Sinn) zweifeln würde. Vielmehr hat keiner der beauftragten o.g. Sachverständigen Blindheit oder hochgradige Sehbehinderung feststellen können.

Gegen Blindheit, aber auch hochgradige Sehbehinderung sprechende bzw. zu erheblichen Zweifeln anlassgebende Aspekte sind von den Sachverständigen, insbesondere von D sehr detailliert dargelegt worden. Vor allem hat dieser Sachverständige plausibel darauf hingewiesen, dass die Angaben des Klägers zum Gesichtsfeld unsicher sind und einer sicheren Beweisführung nicht standhalten. Im Wesentlichen hat er auf die unerklärlichen Schwankungen der Gesichtsfeldangaben über die Zeit, aber auch auf widersprüchliche Angaben innerhalb einzelner Untersuchungen und auf Angaben, die im Gegensatz zu den objektiven Funktionsergebnissen stehen, verwiesen (vgl. z.B. die ergänzende Stellungnahme vom 05.02.2022). In allen Gutachten wiederholt sich nach der nachvollziehbaren Darlegung von D der eklatante Widerspruch eines massiv konzentrisch eingeschränkt angegebenen Gesichtsfelds zu dem zugrundeliegenden Krankheitsbild. Die unterschiedlichen Gesichtsfeldangaben lassen sich entsprechend der fundierten sachverständigen Feststellung auch für den Senat nicht nachvollziehen. So hat der Gutachter in der ergänzenden Stellungnahme vom 05.02.2022 darauf hingewiesen, dass trotz degenerativer Grunderkrankung und subjektiv fehlender Besserung (in der Anamnese) der Kläger ein deutlich besseres Gesichtsfeld bei der Begutachtungsuntersuchung als zuvor angegeben hat. Hinzu kommen im gesamten Verfahren zahlreiche weitere Unvereinbarkeiten und Zweifel, die im Detail dargelegt worden sind (vgl. z.B. bereits die Feststellungen vom Gutachter P in seinem ersten Gutachten (07.12.2020) hinsichtlich der dem morphologischen Befund entgegengesetzten Ergebnisse; vgl. weiter auch die Widersprüche bzgl. der subjektiven Angaben einer- und des visuellen Verhaltens andererseits).

Letztlich lässt sich als Ergebnis der Beweisaufnahme feststellen, dass das genaue Ausmaß der Visumsminderung und der Gesichtsfeldeinschränkung des Klägers nicht ermittelt werden kann, keinesfalls in der Weise, dass dies eine rechtssichere Feststellung des Sehvermögens zulassen würde.

Zwar hat der Kläger über seine Bevollmächtigten sehr umfangreich Einwendungen gegen die gutachterlichen Feststellungen erhoben. Diese überzeugen den Senat jedoch nicht. Davon abgesehen, dass zweifelhaft erscheint, ob es sich insoweit um fachkundige Stellungnahmen im rechtstechnischen Sinn (vgl. z.B. Kater, Das ärztliche Gutachten im sozialgerichtlichen Verfahren, 2. Aufl., S. 24) handelt, weil - soweit für das Gericht ersichtlich - diese nicht von Ophthalmologen bzw. sonstigen Fachärzten erstellt worden sind, wurden diese Einwendungen allesamt vom gerichtlich bestellten Sachverständigen, dem Ophthalmologen D, im Einzelnen widerlegt. Dabei ist auch ersichtlich geworden, dass eine Reihe von Annahmen der Klägerseite unzutreffend bzw. medizinisch nicht haltbar gewesen sind (siehe oben). Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die obige sehr detaillierte Darstellung im Tatbestand dieses Urteils verwiesen.

Im Übrigen können auch die Ausführungen von dem Neurologen K zum Sehvermögen des Klägers nicht überzeugen, da dieser insoweit fachfremd argumentiert. Zudem hat sich dieser nicht im Rahmen einer objektiven gutachterlichen Stellungnahme (mit der Distanz einer Gerichtsperson) geäußert.

Andererseits ist nicht völlig auszuschließen, dass das Sehvermögen des Klägers doch unter die maßgeblichen Grenzen des Art. 1 Abs. 3, ferner Art. 1 Abs. 2 Satz 2 BayBlindG herabgesunken sein könnte. Dafür fehlt es aber jedenfalls am notwendigen Beweis. Kann das Gericht bestimmte Tatsachen trotz Ausschöpfung aller Ermittlungsmöglichkeiten nicht feststellen (non liquet), so gilt der Grundsatz, dass jeder die Beweislast für die Tatsachen trägt, die den von ihm geltend gemachten Anspruch begründen (vgl. z.B. Schmidt, in: Meyer-Ladewig/ Keller/ders., SGG, 14. Aufl. 2023, § 103, Rn. 19a mit Nachweisen der höchstrichterlichen Rspr.). Der Kläger muss daher nach dem Grundsatz der objektiven Beweislast die Folgen daraus tragen, dass eine erhebliche Ungewissheit bezüglich der für ihn günstigen Tatsachen verblieben ist. Denn für das Vorliegen der Voraussetzungen der Blindheit gemäß Art. 1 Abs. 2 BayBlindG und der hochgradigen Sehbehinderung gemäß Art. 1 Abs. 3 BayBlindG trägt der in seinem Sehvermögen beeinträchtigte Mensch die objektive Beweislast. Das BSG hat wie oben bereits dargelegt in seinen Urteilen vom 11.08.2015 (B 9 BL 1/14) und 14.06.2018 (B 9 BL 1/17 R) eine Beweiserleichterung - selbst für die besonders schwierigen Fälle der Blindheit bei zerebralen Schäden - klar abgelehnt.

Weitere Ermittlungen kommen nicht in Betracht. Für solche ergibt sich kein Anhaltspunkt. Fehl geht der Vortrag der Klägerseite, dass sich das SG nicht damit auseinandergesetzt habe, ob die Gesamtheit der vorliegenden Untersuchungsergebnisse für das Vorliegen einer hochgradigen Sehminderung sprechen könnten und dass das SG deshalb weiter hätte ermitteln müssen. Denn dieses ist ohne Weiteres dem fundierten und vor allem auch detaillierten Sachverständigengutachten von D gefolgt, der im Einzelnen herausgearbeitet hat, weshalb von einem die maßgeblichen Werte unterschreitenden Sehvermögen nicht mit Sicherheit ausgegangen werden kann. Im Übrigen kommt aus naheliegenden Gründen nicht in Betracht, dass die Gerichte solange ermitteln, bis ein für den Betroffenen positives Ergebnis entsteht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Ein Grund für die Zulassung der Revision besteht nicht, § 160 Abs. 2 SGG.

 

Rechtskraft
Aus
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