1. Drohende Obdachlosigkeit nach Haftentlassung gehört im Grundsatz zu den "besonderen Lebensumständen mit sozialen Schwierigkeiten" iS des § 67 SGB XII (vgl BSG vom 12.12.2013 - B 8 SO 24/12 R = SozR 4-3500 § 67 Nr 1 RdNr 16 ff).
2. Eine einstweilige Anordnung nach § 86 Abs 2 SGG kann auch über Leistungen ergehen, die eine Ermessensentscheidung der Behörde (hier nach § 23 Abs 1 S 3 SGB XII - Sozialhilfe für Ausländer) voraussetzen (Fortsetzung von LSG Niedersachsen-Bremen v. 02.07.2020 - L 8 AY 37/20 B ER - juris Rdnr 9).
Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller Hilfe nach dem Achten Kapitel des SGB XII in gesetzlicher Höhe durch Übernahme der durch den stationären Aufenthalt in der Einrichtung der Beigeladenen bedingten Kosten ab dem 20. August 2024 bis zur Entscheidung über den Widerspruch gegen den Ablehnungsbescheid des Altmarkkreises Salzwedel vom 10. Juni 2024, längstens jedoch bis zum 28. Februar 2025, zu gewähren.
Der Antragsgegner hat die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers für das Eilverfahren zu erstatten.
Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe zur Durchführung des Beschwerdeverfahrens wird abgelehnt.
Gründe
I.
Der nach eigenen Angaben 2003 geborene Antragsteller, somalischer Staatsangehörigkeit, reiste Ende 2016 als unbegleiteter Minderjähriger über Italien nach Deutschland ein und erhielt subsidiären Schutz (Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge - BAMF - vom 27.9.2017). Er wurde im Rahmen einer jugendhilferechtlichen Inobhutnahme dem im Land Sachsen-Anhalt (Antragsgegner) gelegenen und im erstinstanzlichen Eilverfahren noch beteiligten Altmarkkreis Salzwedel (im Folgenden Kreis) zugewiesen (Bescheid des Landesverwaltungsamtes Sachsen-Anhalt vom 28.12.2016) und lebte bis Januar 2020 - bis zu seinem Haftantritt in der Jugendanstalt G. - in Jugendhilfeeinrichtungen in Salzwedel und Wolfsburg. Hintergrund für seine drei Jahre und neun Monate währende Haftstrafe (Gesamtstrafe) waren Verurteilungen wegen versuchten Mordes und sexueller Belästigung, verübt als Jugendlicher in 2019 (Strafurteile des Landgerichts Braunschweig vom 18.6.2020 - 2 KLs 554 Js 2031/20 (2/20) - und des Amtsgerichts Wolfsburg vom 23.9.2020 - 6 Ls 250 Js 56148/19 (856/20)). Aufgrund der Verurteilungen nahm das BAMF den zuerkannten Schutzstatus zurück und lehnte die Anerkennung subsidiären Schutzes insgesamt ab (Bescheid vom 9.3.2022). Die hiergegen beim Verwaltungsgericht (VG) Braunschweig erhobene und an das VG Hannover verwiesene Klage (4 A 1520/22) ist noch anhängig. Seit Ablauf der Geltungsdauer seiner Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 AufenthG wird dem Antragsteller wegen der Fortgeltung seines Titels eine Fiktionsbescheinigung ausgestellt, zuletzt durch den Landkreis Nienburg verlängert bis zum 11.1.2025.
Nach Haftentlassung am 2.10.2023 wurde der Antragsteller am gleichen Tag in der Einrichtung der Wohnungslosen- und Eingliederungshilfe „H.“ des Beigeladenen (Senatsbeschluss vom 27.9.2024) in Nienburg/Weser aufgenommen. Nachdem der Kreis Hilfe für junge Volljährige nach § 41 SGB VIII mit der Begründung abgelehnt hatte, die Möglichkeiten der Jugendhilfeangebote seien ausgeschöpft, weil eher ein psychologisch-therapeutischer Bedarf erkannt werde (bestandskräftiger Bescheid vom 22.9.2023), leiteten die Stadt Wolfsburg und der Landkreis Nienburg die bei ihnen gestellten Anträge auf Kostenübernahme nach § 67 SGB XII (Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten) an den Kreis weiter, der schließlich Anfang Januar 2024 gegenüber dem Landkreis Nienburg seine Zuständigkeit und die Fallübernahme anerkannte (Schreiben vom 8.1.2024). Im Weiteren lehnte er die Erstattung der Aufwendungen des Landkreises Nienburg wegen einer vorläufigen Kostenübernahme bis zum 11.3.2024 (Bescheid des Landkreises Nienburg vom 27.11.2023) jedoch ab (zuletzt durch Schreiben des Kreises vom 6.5.2024). Auch gegenüber dem Antragsteller lehnte er eine Gewährung von Hilfen nach §§ 67 ff. SGB XII ab und führte zur Begründung u.a. aus, die Voraussetzungen für Leistungen zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten würden zwar grundsätzlich vorliegen, die Gewährung dieser Sozialhilfe für Ausländer komme aber nach Ausübung des Ermessens (§ 23 Abs. 1 Satz 3 SGB XII) nicht in Betracht, weil eine weitere Hilfegewährung nicht alternativlos sei. Der Antragsteller beziehe laufende Leistungen nach dem SGB III sowie ergänzend zur Sicherung des notwendigen Lebensunterhaltes nach dem SGB II und könne zur Bewältigung besonderer Problemlagen, die die Ausübung einer Erwerbstätigkeit be- oder verhindern, Eingliederungsleistungen nach §§ 16 ff. SGB II in Anspruch nehmen. Zur Verhinderung von Wohnungslosigkeit sei er auch auf die Obdachlosenhilfe der jeweiligen Wohnortgemeinde zu verweisen. Darüber hinaus sei der Antragsteller wegen der Rücknahme des Schutzstatus verpflichtet, Deutschland zu verlassen. Es könne nicht hingenommen werden, dass die individuelle Entscheidung, das Ausreisegebot durch zulässige rechtliche Möglichkeiten vorerst nicht zu befolgen, dazu führt, die Allgemeinheit der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler mit Kosten der Hilfegewährung weiter zu belasten (Bescheid des Kreises vom 10.6.2024). Gegen diese Entscheidung erhob der Antragsteller am 12.6. (durch den Beigeladenen) bzw. am 2.7.2024 (persönlich) Widerspruch, über den - soweit ersichtlich - noch nicht entschieden ist.
Am 20.8.2024 hat der Antragsteller beim Sozialgericht (SG) Hannover um einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht, um den weiteren Verbleib in der Einrichtung des Beigeladenen durch eine vorläufige Kostenübernahme sicherzustellen. Das SG hat den Eilantrag u.a. mit der Begründung abgelehnt, der Antragsteller befinde sich bereits nicht in besonderen Lebensverhältnissen, welche mit sozialen Schwierigkeiten verbunden sind, weil er aktuell über eine gesicherte Unterkunft verfüge und eine drohende Obdachlosigkeit nicht ersichtlich sei. Er verfüge über gute deutsche Sprachkenntnisse und könne eine Wohnraumakquise selbstständig betreiben. Bereits dieser Umstand spreche für eine gute sprachliche und auch persönliche Integration. Zudem sei der Antragsteller weder behindert noch in seiner Gesundheit eingeschränkt und in der Lage, mithilfe seiner eigenen persönlichen Ressourcen eine Arbeitsstelle (in Aussicht gestellt bei einer Zeitarbeitsfirma) zu bekommen (Beschluss vom 29.8.2024).
Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Antragstellers vom 20.9.2024. Unter Bezugnahme auf sein Vorbringen im erstinstanzlichen Verfahren macht er weiterhin geltend, eine vorläufige Kostenübernahme sei zur Vermeidung von Obdachlosigkeit dringend geboten. Wegen der Erforderlichkeit der Leistung verweist er insbesondere auf eine Stellungnahme der Beigeladenen vom 10.9.2024, nach der sich der individuelle Hilfebedarf gegenwärtig nahezu auf alle Lebensbereiche erstrecke und es einer engmaschigen Begleitung des Antragstellers bedürfe. Die Gründe hierfür seien u.a. die noch immer bestehende Barriere hinsichtlich des Verständnisses der deutschen Sprache, gerade in Bezug auf Behördenangelegenheiten, die Angst vor drohender Abschiebung oder Obdachlosigkeit und der Umstand, dass der Antragsteller ohne ein soziales Netzwerk dastehe, das ihn unterstützen oder auffangen könne.
Der Antragsgegner hält den Beschluss des SG für zutreffend.
II.
Die form- und fristgerecht (§ 173 SGG) eingelegte und auch im Übrigen zulässige, insbesondere statthafte (§ 172 Abs. 1 und 3 Nr. 1, §§ 143, 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG) Beschwerde ist begründet. Das SG hat den Eilantrag zu Unrecht abgelehnt.
Einstweilige Anordnungen sind nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Anordnung ist, dass ein geltend gemachtes Recht gegenüber dem Antragsgegner besteht (Anordnungsanspruch) und der Antragsteller ohne den Erlass der begehrten Anordnung wesentliche Nachteile erleiden würde (Anordnungsgrund). Sowohl die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines in der Sache gegebenen materiellen Leistungsanspruchs als auch die Eilbedürftigkeit der Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO).
Ein Anordnungsanspruch ist dann gegeben, wenn der zu sichernde Hauptsacheanspruch dem Antragsteller mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zusteht, wenn also eine Vorausbeurteilung der Hauptsacheklage nach summarischer Prüfung ergibt, dass das Obsiegen des Antragstellers in der Hauptsache überwiegend wahrscheinlich ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Beschluss vom 12.5.2005 - 1 BvR 569/05 - juris) dürfen Entscheidungen im einstweiligen Rechtsschutzverfahren für Anfechtungs- und (wie hier) Vornahmesachen grundsätzlich sowohl auf eine Folgenabwägung wie auch auf eine summarische Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache gestützt werden. Art. 19 Abs. 4 GG stellt jedoch besondere Anforderungen an die Ausgestaltung des Eilverfahrens, wenn wie hier ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen können, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären. In einem solchen Fall müssen die Gerichte nach der vorgenannten Entscheidung des BVerfG, wenn sie sich an den Erfolgsaussichten der Hauptsache orientieren wollen, die Sach- und Rechtslage nicht nur summarisch, sondern abschließend prüfen. Entschließen sich die Gerichte zu einer Entscheidung auf dieser Grundlage, so dürfen sie die Anforderungen an die Glaubhaftmachung durch den Antragsteller des Eilverfahrens nicht überspannen; Fragen des Grundrechtsschutzes sind einzubeziehen. Ist dem Gericht hingegen eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, so ist anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden. Auch in diesem Fall sind die grundrechtlichen Belange des Antragstellers umfassend in die Abwägung einzustellen. Dies gilt ganz besonders, wenn es um die Wahrung der Würde des Menschen geht. Eine Verletzung dieser grundrechtlichen Gewährleistung, auch wenn sie nur möglich erscheint oder nur zeitweilig andauert, haben die Gerichte zu verhindern (BVerfG, ebenda).
Nach diesen Maßgaben entscheidet der Senat auf Grundlage einer Folgenabwägung zu Gunsten des Antragstellers. Für eine abschließende Beurteilung der Sach- und Rechtslage sind noch Ermittlungen erforderlich zu der Notwendigkeit der stationären Maßnahme i.S. der §§ 67 f. SGB XII und auch zu ermessensrelevanten Gesichtspunkten, um über Sozialhilfe für Ausländer nach § 23 Abs. 1 SGB XII entscheiden zu können. Diese Ermittlungen bleiben wegen der Eilbedürftigkeit der Sache und einer bislang unzureichenden Befassung des Antragsgegners bzw. des Kreises mit der Sache (dazu auch später) dem Verwaltungs- bzw. Vorverfahren vorbehalten.
Sachlich zuständig für die hier gegenständlichen stationären Leistungen zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten nach § 23 Abs. 1 SGB XII i.V.m. §§ 67 f. SGB XII ist der im Beschwerdeverfahren als Beteiligter einbezogene Antragsgegner, das Land Sachsen-Anhalt, als überörtlicher Träger der Sozialhilfe (§ 97 Abs.1 und 2 Satz 1, § 3 Abs. 1 und 3 SGB XII i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 2, § 2 Abs. 1 des sachsen-anhaltinischen Gesetzes zur Ausführung des SGB XII - LSA AG SGB XII - vom 11.1.2005, GVBl. LSA 2005, 8, zuletzt geändert durch Gesetz vom 23.4.2023, GVBl. LSA S. 215), dessen Aufgaben von der Sozialagentur Sachsen-Anhalt wahrgenommen werden, die ihrerseits die örtlichen Träger der Sozialhilfe, hier den Kreis (vgl. § 1 Satz 1 LSA AG SGB XII) zur Ausführung der ihr obliegenden Aufgaben heranzieht (§ 4 Abs. 1 Satz 1 und 2 LSA AG SGB XII). Dass diese Leistungen als Sozialhilfe für Ausländer nach § 23 Abs. 1 SGB XII im Streit stehen (dazu gleich), lässt die sachliche Zuständigkeit des Landes unberührt. Die örtliche Zuständigkeit des Antragsgegners ergibt sich nach der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gebotenen Prüfung aus § 98 Abs. 2 Satz 1 und 2, Abs. 4 SGB XII, weil insoweit wegen des Vorliegens einer sog. Einrichtungskette auf den gewöhnlichen Aufenthalt des Antragstellers im Gebiet des zugewiesenen Kreises vor Aufnahme in der ersten Jugendhilfeeinrichtung abzustellen ist. Der Antragsteller hat sich nämlich vor der Aufnahme in der Einrichtung des Beigeladenen durchgehend in stationären Einrichtungen aufgehalten (bis 9.1.2020) bzw. in der Jugendanstalt G. zur Verbüßung seiner Haftstrafe (vom 10.1.2020 bis zum 2.10.2023).
Nach § 23 Abs. 1 SGB XII ist Ausländern, die sich im Inland tatsächlich aufhalten, Hilfe zum Lebensunterhalt, Hilfe bei Krankheit, Hilfe bei Schwangerschaft und Mutterschaft sowie Hilfe zur Pflege nach diesem Buch zu leisten (Satz 1). Die Vorschriften des Vierten Kapitels bleiben unberührt (Satz 2). Im Übrigen kann Sozialhilfe geleistet werden, soweit dies im Einzelfall gerechtfertigt ist (Satz 3). Die Einschränkungen nach Satz 1 gelten nicht für Ausländer, die im Besitz einer Niederlassungserlaubnis oder eines befristeten Aufenthaltstitels sind und sich voraussichtlich dauerhaft im Bundesgebiet aufhalten (Satz 4).
Nach diesen Vorgaben stehen hier die begehrten und nicht in § 23 Abs. 1 Satz 1 oder 2 SGB XII genannten stationären Hilfen nach §§ 67 f. SGB XII gemäß § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB XII (auch dem Grunde nach) im Ermessen des Leistungsträgers (dazu später). Da der bisherige Aufenthaltstitel, die Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 AufenthG, gemäß § 81 Abs. 4 Satz 1 AufenthG vom Zeitpunkt seines Ablaufs bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde über den Verlängerungsantrag als fortbestehend gilt, ist der Antragsteller weder als Leistungsberechtigter nach dem AsylbLG gemäß § 23 Abs. 2 SGB XII (vgl. § 1 Abs. 1 Nr. 3 AsylbLG) noch nach § 23 Abs. 3 SGB XII von Sozialhilfe für Ausländer ausgeschlossen. Er verfügt über ein Aufenthaltsrecht (vgl. § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB XII) und hält sich damit während des beim VG Hannover anhängigen Klageverfahrens betreffend die Rücknahme seines Schutzstatus erlaubt in Deutschland auf. Demgegenüber erwächst aus § 23 Abs. 1 Satz 4 SGB XII kein Rechtsanspruch auf die Leistung, weil der Antragsteller derzeit nicht im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis ist; nach Lage der Dinge kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass er sich i.S. des § 23 Abs. 1 Satz 4 SGB XII dauerhaft im Bundesgebiet aufhält, auch wenn eine Rückkehr in sein Heimatland in absehbarer Zeit angesichts fehlender Heimreisepapiere und der von ihm im Asylverfahren geschilderten familiären Entwurzelung (vgl. die Niederschrift über die Anhörung beim BAMF vom 26.9.2017), unwahrscheinlich ist. Dies kann allerdings Einfluss auf die Ermessensentscheidung nach § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB XII haben (dazu später). Die Ausnahmevorschrift des § 146 Abs. 1 Satz 1 SGB XII, die eine andere Bewertung für Inhaber einer Fiktionsbescheinigung zulässt, die im Zusammenhang mit dem russischen Angriffskrieg aus der Ukraine nach Deutschland geflohen sind (Begünstigte der Massenzustrom-Richtlinie), ist hier bereits tatbestandlich nicht einschlägig.
Nach § 67 Satz 1 SGB XII haben Personen, bei denen besondere Lebensverhältnisse mit sozialen Schwierigkeiten verbunden sind, einen Anspruch auf Leistungen zur Überwindung dieser Schwierigkeiten, wenn sie aus eigener Kraft hierzu nicht fähig sind. Nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 12.12.2013 - B 8 SO 24/12 R - juris), der sich der Senat angeschlossen hat (vgl. Senatsurteil vom 24.6.2021 - L 8 SO 50/18 - juris Rn. 19), bezieht sich das Tatbestandsmerkmal der "besonderen Lebensverhältnisse" auf die soziale Lage des Betroffenen, die durch eine besondere Mangelsituation - etwa an Wohnraum - gekennzeichnet sein muss; diese wird in § 1 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung zur Durchführung der Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten (VO nach § 69 SGB XII) durch eine abstrakte Beschreibung verschiedener typischer Situationen konkretisiert, in denen aus Sicht des Verordnungsgebers von solchen besonderen Lebensverhältnissen ausgegangen werden kann. Demgegenüber geht es bei den "sozialen Schwierigkeiten" nicht in erster Linie um wirtschaftliche Schwierigkeiten, sondern um die Beeinträchtigung der Interaktion mit dem sozialen Umfeld und damit um die Einschränkung der Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft. Es muss sich insoweit um soziale Schwierigkeiten handeln, die typischerweise mit besonderen Lebensverhältnissen einhergehen und die über solche sozialen Schwierigkeiten hinausgehen, die bereits für die Inanspruchnahme anderer Sozialhilfeleistungen nach dem SGB XII vorausgesetzt werden (zum Vorstehenden BSG, a.a.O., Rn. 16).
Die tatbestandlichen Voraussetzungen für diese Leistungen liegen hier vor. Zu den besonderen Lebensumständen, die eine Maßnahme der Wohnungslosenhilfe erfordern, können nämlich typischerweise die Verhältnisse nach einer Haftentlassung gehören (BSG, a.a.O., Rn. 16-19). Hinzu kommen hier die besonderen, in der Person des Antragstellers liegenden sozialen Schwierigkeiten, wie sie sich beispielsweise aus den Erziehungs- und Förderplänen der Jugendanstalt G. aus den Jahren 2020 bis 2023, die in den beigezogenen Ausländerakten des Landkreises Nienburg enthalten sind, und aus den Gesamtplänen bzw. sozialpädagogischen Stellungnahmen des Beigeladenen vom 31.1. und 28.5.2024 sowie jüngst vom 10.9.2024 (vgl. die Beschwerdeschrift vom 20.9.2024) und aus Oktober 2024 ergeben (vgl. den Schriftsatz der Beigeladenen vom 11.10.2024). Danach konnte der Antragsteller, der bislang wegen seines Lebensalters, der Jugendhilfemaßnahmen und des Haftaufenthaltes nie für sich alleine Sorge tragen musste, bislang nur wenige lebenspraktische Fähigkeiten entwickeln. Er hat kaum Kenntnisse im Umgang mit Ämtern und Behördenangelegenheiten und benötigt in vielerlei Hinsicht dringend intensive Unterstützung bei seiner zukünftigen Lebensgestaltung. Dabei wird der Antragsteller als ein freundlicher und pflichtbewusster junger Mensch beschrieben, der trotz seiner Haftstrafe resozialisiert und zielstrebig an der Veränderung seiner Situation mitarbeitet. Nach fachlicher Einschätzung benötigt er in vielerlei Hinsicht dringend intensive Unterstützung bei seiner zukünftigen Lebensgestaltung. Die gegenwärtige Maßnahme zielt darauf ab, den Antragsteller auf eine mögliche Verselbstständigung in eigenem Wohnraum vorzubereiten und ihn bei der Geltendmachung von (Sozial-)Leistungsansprüchen und der Wohnungssuche - in Nienburg (bis auf einen Freund soll er dort niemanden näher kennen) oder Delmenhorst (wegen eines dort wohnenden Bekannten und einer möglichen Arbeitsaufnahme in einem Warenzentrum der Firma Amazon) - zu beraten und zu unterstützen. Wegen der bislang vergeblichen Wohnraumsuche sei eine kurzzeitige Verlängerung der Hilfe unausweichlich. Zusammenfassend sei eine Beendigung der Hilfen als sehr kritisch zu betrachten, weil dem Antragsteller die Möglichkeit genommen werde, seine Resozialisierung weiter voranzubringen und sich in die Gesellschaft einzugliedern (vgl. sie sozialpädagogische Stellungnahme der Beigeladenen aus Oktober 2024). Entgegen den Ausführungen des SG ist damit in erheblicher Weise von eingeschränkten Selbsthilfekräften auszugehen. Die Beurteilung, dass die Voraussetzungen nach § 67 Satz 1 SGB XII jedenfalls tatbestandlich vorliegen, stimmt mit dem Prüfungsergebnis des Landkreises Nienburg (vgl. den Vermerk vom 17.11.2023) und des Antragsgegners überein (vgl. die Begründung des Bescheides vom 10.6.2024). Nach den Umständen des Einzelfalles liegen auch die Voraussetzungen für eine längerfristige stationäre Maßnahme ausnahmsweise vor. Nach § 2 Abs. 5 Satz 1 VO nach § 69 SGB XII soll eine stationäre Hilfe nur befristet und nur dann gewährt werden soll, wenn eine verfügbare ambulante oder teilstationäre Hilfe nicht geeignet und die stationäre Hilfe Teil eines Gesamtplans ist, an dessen Erstellung der für die Hilfe zuständige Träger der Sozialhilfe beteiligt gewesen ist. Die Hilfe ist zudem spätestens nach sechs Monaten zu überprüfen (§ 2 Abs. 5 Satz 3 VO nach § 69 SGB XII). Alternative Hilfeangebote i. S. der §§ 67 f. SGB XII sind nach dem gegenwärtigen Sach- und Streitstand nicht ersichtlich. Hilfe für junge Volljährige nach § 41 SGB VIII ist vom Kreis bestandskräftig abgelehnt worden (Bescheid vom 22.9.203). Eine Mitwirkung bzw. Beteiligung des Antragsgegners bzw. des Kreises als „ortsferner“ Leistungsträger an der Erstellung des Gesamtplans hat zwar nach Aktenlage bislang nur in einer unzureichenden Weise stattgefunden; dies liegt aber maßgeblich in der Sphäre des Antragsgegners bzw. des Kreises, weil sich die Prüfung im Verwaltungsverfahren - nach der Zuständigkeitsklärung im Januar 2024 und anerkannter Fallübernahme - im Wesentlichen auf die (ermessensfehlerhafte) Ablehnung der Leistungen nach § 23 Abs. 1 SGB X beschränkt hat (dazu auch gleich).
Da der Inhalt des Anspruchs in der Rechtsfolge des § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB XII auf eine Ermessensleistung beschränkt ist und die dem Leistungsträger eingeräumte Ermessensentscheidung durch das Gericht - auch im gerichtlichen Eilverfahren - nur eingeschränkt überprüft werden darf, kommt eine Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 SGG zur vorläufigen Leistungsgewährung nur ausnahmsweise in Betracht, insbesondere bei einer sog. Ermessensreduzierung auf Null (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, 14. Aufl. 2023, § 86b Rn. 30a) oder ggf. wenn eine ermessensfehlerfreie Neubescheidung seitens der Behörde mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu der vom Antragsteller begehrten Maßnahme führt (vgl. die Nachweise bei Burkiczak in jurisPK-SGG, 2. Aufl. 2022, § 86b Rn. 391). Im Übrigen kommt nach den Umständen des Einzelfalls auch die Verpflichtung zur Neubescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts in Betracht (vgl. Senatsbeschluss vom 2.7.2020 - L 8 AY 37/20 B ER - juris Rn. 9 m.w.N.).
Nach diesen Maßgaben sieht es der Senat unter Berücksichtigung der oben dargestellten Umstände des Einzelfalles ausnahmsweise als erforderlich an, den Antragsgegner aufgrund einer Folgenabwägung, die die grundrechtlichen Belange des Antragstellers in besonderer Weise in den Blick nimmt, im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 86b Abs. 2 SGG zu verpflichten, die Kosten der stationären Maßnahme einstweilen bis zu der Entscheidung über den Widerspruch des Antragstellers gegen den Ablehnungsbescheid des Kreises vom 10.6.2024 zu übernehmen. Die angefochtene Verwaltungsentscheidung leidet unter schwerwiegenden Ermessensfehlern und ist nach gegenwärtigem Stand offensichtlich fehlerhaft. In der Entscheidung ist maßgeblich zu Ungunsten des Antragstellers berücksichtigt worden, dass er gegen die Rücknahme des Schutzstatus verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch genommen hat und deswegen seiner Ausreisepflicht nicht nachkommen würde. Die für ein zweifelhaftes Verständnis rechtsstaatlicher Grundsätze sprechenden Ausführungen können eine ermessensgerechte Entscheidung per se nicht stützen. Insoweit beruht die Ermessensentscheidung auch auf einer unvollständigen Sachverhaltsermittlung (vgl. zu diesem Erfordernis BSG, Urteil vom 23.2.2023 - B 8 SO 9/21 R - juris Rn. 24), weil sie weitgehend ohne Kenntnis des asyl- und aufenthaltsrechtlichen Sachverhaltes, wie er sich im Besonderen etwa auf Grundlage der im Beschwerdeverfahren beigezogenen Ausländerakten des Landkreises Nienburg ergibt, getroffen worden ist. Zudem bedarf es zur Ermittlung aller ermessensrelevanten Gesichtspunkte u.a. noch der Anhörung des Antragstellers (vgl. dazu etwa BSG, Urteil vom 23.2.2023 - B 8 SO 9/21 R - juris Rn. 26). Im Übrigen erscheint es nach summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage sehr fragwürdig, ob der Antragsteller seine Notlage aus eigener Kraft ohne besondere Unterstützung, also allein mithilfe der Leistungen nach dem SGB III und dem SGB II und ggf. durch polizeirechtliche Maßnahmen bei drohender Obdachlosigkeit, bewältigen kann. Ohne nennenswerte soziale Kontakte ist er vor Ort wohl im Wesentlichen auf sich allein gestellt. Schließlich sind auch mögliche Rückschritte bei der Resozialisierung und die Gefahr krimineller Rückfälligkeit zu berücksichtigen, insbesondere in Anbetracht des Alters des Antragstellers. Aus Sicht des Senats wiegen die Gefahr einer Beendigung der Maßnahme mangels (vorläufiger) Finanzierung und die sich daraus wahrscheinlich ergebenden Folgen schwer.
Der Senat hat es im Rahmen des ihm zustehenden freien Ermessens (§ 86b Abs. 2 SGG i.V.m. § 838 Abs. 1 ZPO) als sachgerecht angesehen, die Verpflichtung zur vorläufigen Kostenübernahme dem Grunde nach auszusprechen (§ 130 SGG analog) und die einstweilige Anordnung in zeitlicher Hinsicht zusätzlich bis zum 28.2.2025 zu befristen, um den sich möglicherweise wandelnden Verhältnissen und dem vorübergehenden Charakter von stationären Maßnahmen i.S. der §§ 67 f. SGB XII Rechnung zu tragen sowie den Antragsgegner nicht über Gebühr zu binden. Im Übrigen entspricht die Befristung dem erstinstanzlichen Antrag, der auf eine Fortsetzung der Maßnahme von zunächst drei Monaten gerichtet gewesen ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar, § 177 SGG.
Der Antrag auf Prozesskostenhilfe (PKH) ist abzulehnen. Wegen der unanfechtbaren Verpflichtung des Antragsgegners, die außergerichtlichen Kosten für das Verfahren erster und zweiter Instanz zu erstatten, besteht für den PKH-Antrag kein Rechtsschutzbedürfnis mehr (ähnlich BVerfG, Beschluss vom 1.8.2017 - 1 BvR 1910/12 - juris Rn. 20).
D. E. F.