Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Köln vom 13.01.2022 wird zurückgewiesen.
Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Versorgung der Klägerin mit stationären Liposuktionen der Arme und Beine.
Die 0000 geborene Klägerin beantragte mit Schreiben vom 13.04.2020 unter Vorlage ärztlicher Stellungnahmen des Gefäßzentrums K. vom 06.03.2020 sowie der Fachärztin für Plastische und Ästhetische Chirurgie S. vom 23.03.2020 die Vornahme von Liposuktionen der Arme und Beine in der B.. Trotz gesunder und kalorienbewusster Ernährung und ausreichendem Sport würden die Lipödeme immer schlimmer. Die hierdurch verursachten Schmerzen schränkten sie zunehmend ein. Kompressionsstrümpfe trügen auch nicht mehr zur Linderung bei. S. bescheinigte schmerzhafte Lipödeme Stadium II im Bereich der Beine beidseits sowie im Stadium I im Bereich der Arme beidseits. Die Krankheitsbeschwerden der Klägerin hätten durch eine konservative physikalische Entstauungstherapie (KPE) nicht hinreichend gelindert werden können. Erforderlich sei ein mehrzeitiges Verfahren, weil pro Sitzung maximal ca. 6-8 l Fett abgesaugt werden könnten. Insgesamt seien 3-4 Liposuktionen erforderlich. Es werde um Übernahme der Kosten für die medizinisch notwendigen Liposuktionen in einem Vertragskrankenhaus mit Abstand von jeweils drei Monaten gebeten.
Mit Bescheid vom 08.05.2020 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Die Liposuktion für Lipödeme im Stadium I-II erfülle derzeit nicht die Anforderung des Qualitätsgebots gemäß § 2 Abs. 1 S. 3 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V), da der Nutzen der Behandlungsalternative noch nicht hinreichend belegt sei. Es stünden konservative Behandlungsmöglichkeiten zur Linderung der Krankheitsbeschwerden zur Verfügung. Ein Leistungsanspruch zur Liposuktion des Lipödems im Stadium I-II existiere derzeit nur im Rahmen der Erprobungsstudie, deren Frist für die Interessenbekundung jedoch bereits abgelaufen sei. Es bestehe zudem keine medizinische Notwendigkeit für die stationäre Durchführung. Bei der Liposuktion handelt es sich um eine ambulante Maßnahme.
Zur Begründung des hiergegen mit Schreiben vom 15.05.2020 eingelegten Widerspruchs trug die Klägerin vor, dass die konservative Therapie durch manuelle Lymphdrainage (MLD) und das Tragen von Kompressionsstrümpfen den Schmerz lediglich temporär und nicht dauerhaft oder nachhaltig wirke. S. habe Liposuktionen klar empfohlen. Sie sei in ihrem Alltag durch die Lipödeme mittlerweile sehr eingeschränkt. Durch die extreme physische Belastung seien auch gewisse psychische Dinge wieder stark in den Vordergrund gerückt, die sie ohne die Hilfe von Therapeuten nicht bewältigen könne. Sie leide seit Jahren an Bulimie. Durch das extreme Voranschreiten der Lipödeme habe sich die Bulimie zu einem unüberwindbaren Gegner entwickelt. Die einzige medizinische Versorgung, die in ihrer speziellen Situation nachhaltig und dauerhaft helfe, sei eine Liposuktion.
Mit Widerspruchsbescheid vom 11.03.2021 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück.
Mit am 24.03.2021 bei der Beklagten eingegangenem Schreiben hat die Klägerin „Widerspruch“ gegen diesen Bescheid eingelegt. Die Beklagte hat das Schreiben unter Verweis auf § 91 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) an das Sozialgericht Köln (SG) weitergeleitet. Auf entsprechende Nachfrage des SG vom 01.04.2021 hat die Klägerin mit Schreiben vom 13.05.2021 bekräftigt, dass sie ein Klageverfahren führen wolle und die Kostenübernahme für stationäre Liposuktionen zur Behandlung der Lipödeme im Bereich der Arme beidseits und der Beine beidseits begehre.
Zur Begründung hat sie ihr Vorbringen aus dem Verwaltungsverfahren wiederholt und vertieft. Ergänzend hat sie vorgetragen, sie leide unter Depressionen und einer Essstörung, deren Ausprägung durch die fortschreitende Krankheit negativ beeinflusst würden. Sie befinde sich deshalb in fachärztlicher Behandlung und erhalte eine medikamentöse Therapie in Form von Antidepressiva. Ein Anspruch auf Behandlung mit den beantragten Liposuktionen zu Lasten der Beklagten ergebe sich aus § 137c Abs. 3 SGB V. Der volle Nutzennachweis müsse bei Potenzialleistungen nicht feststehen. Dass die begehrten Liposuktionen mindestens das Potenzial einer erforderlichen Behandlungsalternative hätten, ergebe sich schon aus dem Umstand, dass eine Liposuktion bei einem Lipödem Stadium III zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung erbracht werden könne. Die Behandlung müsse entgegen der Ansicht der Beklagten auch stationär erfolgen. Es sei bei ihr geplant, pro Eingriff 6-8 l Fett abzusaugen, wobei 2-3 Eingriffe notwendig seien. Gemäß den Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) zur Qualitätssicherung bei Verfahren der Liposuktionen bei Lipödemen Stadium II dürfe mehr als 3000 ml reines Fettgewebe pro Eingriff nur abgesaugt werden, wenn eine Nachbeobachtung über mindestens 12 Stunden sichergestellt sei, was nur unter stationären Bedingungen gewährleistet sei.
Die Beklagte hat ein sozialmedizinisches Gutachten des Medizinischen Dienstes Nordrhein (MD) vom 06.10.2021 vorgelegt. Danach lasse sich die Notwendigkeit eines stationären Settings anhand der vorliegenden Informationen nicht zwingend bestätigen. Diese werde lediglich aus dem geplanten Absaugungvolumen abgeleitet, welches sich aber willkürlich ändern lasse. Eine schwerwiegende Erkrankung liege beim Lipödem Stadium I bzw. II trotz subjektiv empfundener Einschränkungen nicht vor. Psychische Erkrankungen seien durch psychiatrische/psychologische Behandlung und nicht durch eine Operation zu behandeln. Zudem seien konservative Behandlungsalternativen vorhanden und ambulant durchführbar. Neben dem Tragen von Kompressionsstrümpfen seien manuelle Lymphdrainagen in einer an das Bedürfnis der Versicherten angepassten Dauer und Frequenz zu empfehlen. Die beantragte Kostenübernahme könne nicht empfohlen werden.
Nach entsprechender Anhörung der Beteiligten hat das SG die Klage durch Gerichtsbescheid vom 13.01.2022 abgewiesen. Vorliegend komme es nicht entscheidend darauf an, ob die Liposuktionsbehandlung unter stationären Bedingungen – wie dies die Klägerin beabsichtige – durchgeführt werde oder unter ambulanten Bedingungen. Durch Beschluss des GBA vom 19.09.2019 sei die Liposuktion als ambulante Kassenleistung lediglich bei Lipödemen Stadium III befristet bis zum 31.12.2024 aufgenommen worden. Zudem habe der GBA parallel hierzu eine Qualitätssicherungsrichtlinie (QS-RL Liposuktion) nach § 136 SGB V verabschiedet, welche sowohl für den stationären als auch den ambulanten Bereich Geltung entfalte (vgl. § 1 Abs. 2 S. 1 QS-RL Liposuktion und § 136 Abs. 1 SGB V). Diese sei gemäß § 91 Abs. 6 SGB V für die Träger nach § 91 Abs. 1 S. 1 SGB V, deren Mitglieder und Mitgliedskassen sowie für die Versicherten und die Leistungserbringer verbindlich. In der zum 07.12.2019 in Kraft getretenen QS-RL Liposuktion werde unter § 4 Abs. 1 S. 1 ausgeführt, dass die Methode nur zur Behandlung des Lipödems zu Lasten der Krankenkasse eingesetzt werden dürfe, wenn das Vorliegen eines Lipödems Stadium III diagnostiziert und die Indikation für eine Liposuktion gestellt worden sei. Daran fehle es aber vorliegend. Nach Überzeugung der Kammer ändere § 137c Abs. 3 SGB V nichts daran, dass bindende Qualitätsvorgaben nach § 136 SGB V zu beachten seien. § 137c Abs. 3 SGB V enthalte gerade keinen Hinweis darauf, dass § 136 SGB V in seinem Anwendungsbereich keine Anwendung finde. Für einen Ausnahmefall sei nichts ersichtlich. Insbesondere bestünden keine Anhaltspunkte für eine gebotene grundrechtsorientierte Auslegung nach § 2 Abs. 1a SGB V. Für das Vorliegen einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung oder mit einer zumindest wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung im Sinne des § 2 Abs. 1a S. 1 SGB V fehle jeglicher Anhaltspunkt.
Gegen das am 25.01.2022 zugestellte hat die Klägerin am 25.02.2022 Berufung eingelegt. Das SG habe die geänderte höchstrichterliche Rechtsprechung und die Beweisanträge der Klägerin nicht berücksichtigt. Der 1. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) habe unter Aufgabe seiner bisherigen ständigen Rechtsprechung entschieden, dass § 137c Abs. 3 SGB V das allgemeine Qualitätsgebotes § 2 Abs. 1 S. 3 SGB V partiell einschränke. Versicherte könnten vor Erlass einer Richtlinie zur Erprobung i.S.d. § 137e SGB V in Fällen schwerwiegender Erkrankungen nach Ausschöpfung der Standardtherapien einen Anspruch auf Krankenhausbehandlung haben, wenn die eingesetzten Untersuchungs- und Behandlungsmethoden zwar nicht dem allgemeinen Qualitätsgebot des § 2 Abs. 1 S. 3 SGB V entsprächen, sie jedoch das Potenzial einer erforderlichen Behandlungsalternative böten (BSG, Urteil vom 25.03.2021 – B 1 KR 25/20 R). Soweit das Gericht in seiner Entscheidung insbesondere darauf abstelle, dass bereits eine Erprobungsrichtlinie existiere, nach deren Regelungen die Liposuktion zur Behandlung des Lipödems zu Lasten der Krankenkassen eingesetzt werden dürfe, wenn das Vorliegen eines Lipödems Stadium III diagnostiziert und die Indikation für eine Liposuktion gestellt wurde, greife dies zu kurz und berücksichtige diese Rechtsprechung nicht. Entgegen der Ansicht des SG komme es nicht darauf an, dass eine Erprobungsrichtlinie erlassen worden ist. Krankenhäuser dürften die Potenzialleistungen auch dann erbringen, wenn die Versicherten nicht an einer Erprobung im Rahmen einer entsprechenden Richtlinie teilnehmen, ja sogar dann, wenn eine solche noch nicht existiere oder noch nicht einmal ein Bewertungsverfahren nach § 137c Abs. 1 S. 1 SGB V eingeleitet worden sei. Die Klägerin könne nicht an der Erprobungsstudie teilnehmen, da die Teilnahmefrist bereits lange verstrichen sei. Andererseits können sie die begehrte Behandlung nicht auf die QS-RL Liposuktion des GBA stützen, nachdem bei ihr bisher nur Lipödeme Stadium I-II diagnostiziert worden seien. Aus dem Umstand, dass eine Liposuktion bei einem Lipödem Stadium III zu Lasten der Krankenkassen erbracht werden könne, ergebe sich, dass die begehrten Liposuktionen mindestens das Potenzial einer erforderlichen Behandlungsalternative hätten. Die Indikationsstellung für eine stationäre Aufnahme im konkreten Einzelfall obliege den aufnehmenden Krankenhausärzten. Die Klägerin habe insofern eine Stellungnahme von S. vom 23.03.2020 vorgelegt, die aus ärztlicher Sicht zu dem Schluss gekommen sei, dass eine stationäre Behandlung der Lipödeme in mehreren Sitzungen notwendig sei. Darüber hinaus liege auch eine schwerwiegende Erkrankung vor, da eine nachhaltige Beeinträchtigung der Lebensqualität der Klägerin offensichtlich gegeben sei. Dass SG habe es versäumt, insofern zur Aufklärung des Sachverhalts ein medizinisches Gutachten einzuholen.
Zur weiteren Begründung der Berufung hat die Klägerin einen ärztlichen Bericht des Gefäßzentrums K. vom 22.08.2022 vorgelegt.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Köln vom 13.01.2022 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 08.05.2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.03.2021 zu verurteilen, die Kosten der stationären Liposuktion für Behandlung der Lipodeme der Klägerin im Bereich der Arme und Beine beidseits zu übernehmen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Auch im Rahmen der neueren Rechtsprechung für Liposuktionen bei einem Lipödem Stadium III müsse zwingend eine Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit vorliegen. Das durch § 135 SGB V statuierte Verbot mit Genehmigungsvorbehalt im Bereich der ambulanten Versorgung dürfe nicht durch die „Flucht“ in die Krankenhausbehandlung umgangen werden. Maßgeblich sei, ob aus der Schwere der Grunderkrankung und nicht etwa aus der Operation selbst eine Krankenhausbehandlung mit ärztlicher dauerhafter Überwachung zwingend medizinisch erforderlich ist. Die Beklagte gehe davon aus, dass eine stationäre Behandlung nicht erforderlich sei. Vielmehr könne die ambulante Liposuktion in mehreren Schritten erfolgen. Es müsse zudem eine schwerwiegende Erkrankung vorliegen. Nicht jedes Leiden beeinträchtige die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig. Insofern kämen nur solche Erkrankungen in Betracht, die sich durch ihre Schwere oder Seltenheit vom Durchschnitt der Erkrankungen abheben. Für das Lipödem habe das BSG festgestellt, dass keine Erkrankung im Sinne des § 2 Abs. 1a SGB V vorliege. Bei einem Lipödem Stadium II sei das Vorliegen einer schwerwiegenden Erkrankung fernliegend. Auch dürften Standardtherapien nicht zur Verfügung stehen bzw. müssten sich diese als unwirksam erwiesen haben. Die Klägerin habe laut Auszug der Abrechnungsstelle der Beklagten seit dem 01.04.2018 lediglich 18 Einheiten an Lymphdrainagen erhalten. Insofern stelle sich die Frage, ob nicht Behandlungsalternativen bestehen, die bislang nicht ausreichend beansprucht worden seien.
Der Senat hat Befundberichte des Allgemeinmediziners I. vom 24.06.2022, des Gefäßzentrums K. vom 30.06.2022, 26.01.2023 sowie 28.03.2023 und der Fachärztin für Plastische und Ästhetische Chirurgie S. vom 29.06.2022 eingeholt, auf deren aktenkundigen Inhalt Bezug genommen wird.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichts- sowie der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist unbegründet.
Streitig ist nach dem eindeutigen Antrag der Klägerin gegenüber der Beklagten und vor dem SG allein die Versorgung mit stationären Liposuktionen der Arme und Beine beidseits, sodass die Frage, ob ambulante Liposuktionen zu gewähren wären, nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist. Entsprechend verhält sich auch der angefochtene Bescheid vom 08.05.2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11.03.2021 nur zur Gewährung stationär durchgeführter Liposuktionen.
Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 08.05.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.03.2021 ist rechtmäßig. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf zu Lasten ihrer Krankenkasse zu erbringende, stationär durchgeführte Liposuktionen.
Das SG ist zu Recht von der Zulässigkeit der als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage statthaften Klage ausgegangen. Insbesondere hat die Klägerin mit ihrem am 24.03.2021 bei der Beklagten eingegangenen Schreiben frist- und formgerecht Klage gegen den Widerspruchsbescheid vom 11.03.2021 erhoben. Ob Klage erhoben werden soll, ist durch Auslegung zu ermitteln. Unwesentlich ist, wie das Anliegen bezeichnet wird, etwa als Beschwerde, Widerspruch oder Berufung. Wesentlich ist, dass das Ziel der Überprüfung durch ein Gericht verständlich gemacht ist; erforderlich ist jedenfalls, dass die Unzufriedenheit mit einem Verwaltungsakt deutlich wird und eine Leistung oder Feststellung sowie eine (gerichtliche) Entscheidung darüber begehrt wird (vgl. B. Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Leiherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl. 2020, § 90 Rn.4a m.w.N.). Diese Voraussetzungen erfüllt das bei der Beklagten am 24.03.2021 eingegangene Schreiben der Klägerin, die darin verdeutlicht hat, dass sie den Widerspruchsbescheid vom 11.03.2021 nicht akzeptiert, weiterhin die beantragten Liposuktionen und eine (weitere) Entscheidung begehrt. Die Bitte um Überprüfung des Verwaltungsaktes ist als Klage zu verstehen, sofern ein Widerspruch – wie vorliegend – nicht in Betracht kommt (vgl. B. Schmidt, a.a.O., m.w.N.). Mit Eingang des Schreibens bei der Beklagten ist auch die Klagefrist gemäß § 87 Abs. 1 S. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) gewahrt. Gemäß § 91 Abs. 1 SGG gilt die Frist für die Erhebung der Klage auch dann als gewahrt, wenn die Klageschrift – wie im vorliegenden Fall – innerhalb der
Frist statt bei dem zuständigen Sozialgericht bei u.a. bei einem Versicherungsträger eingegangen ist.
Die Klägerin hat – wie vom Sozialgericht im Ergebnis ebenfalls zutreffend erkannt – jedoch keinen Anspruch auf die beantragten stationären Liposuktionen.
Versicherte haben Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern (§ 27 Abs. 1 S. 1 SGB V). Nach § 27 Abs. 1 S 2 Nr. 5 SGB V umfasst die Krankenbehandlung auch die Krankenhausbehandlung. Versicherte haben Anspruch auf vollstationäre Behandlung in einem zugelassenen Krankenhaus (§ 108 SGB V), wenn die Aufnahme nach Prüfung durch das Krankenhaus erforderlich ist, weil das Behandlungsziel nicht durch teilstationäre, vor- und nachstationäre oder ambulante Behandlung einschließlich häuslicher Krankenpflege erreicht werden kann (§ 39 Abs. 1 S 2 SGB V). Die Krankenhausbehandlung umfasst im Rahmen des Versorgungsauftrags des Krankenhauses alle Leistungen, die im Einzelfall nach Art und Schwere der Krankheit für die medizinische Versorgung der Versicherten im Krankenhaus notwendig sind (§ 39 Abs. 1 S. 3 SGB V).
Ein Naturalleistungsanspruch der Klägerin auf Versorgung mit einer Liposuktion ist zwar einerseits nicht durch einen Beschluss des GBA von vornherein aus dem GKV-Leistungskatalog ausgeschlossen (dazu 1.), andererseits kann der Anspruch auch nicht unmittelbar auf Richtlinien (RL) des GBA gestützt werden (dazu 2.). Die Liposuktionen erfüllen auch nicht die allgemeinen Qualitätsanforderungen des § 2 Abs. 1 S. 3 SGB V (dazu 3.). Zwar hat § 137c Abs. 3 SGB V das allgemeine Qualitätsgebot partiell eingeschränkt. Der Anspruch auf die begehrten Liposuktionen man kann gleichwohl nicht auf § 137c Abs. 3 SGB V gestützt werden (dazu 4.).
1. Die Liposuktion als Behandlungsmethode ist nicht durch einen Beschluss des GBA vom GKV-Leistungskatalog ausgenommen (§ 137c Abs. 1 S. 2 SGB V). Vielmehr hat der GBA das entsprechende Methodenbewertungsverfahren nur ausgesetzt und ein Erprobungsverfahren auf der Grundlage der Erprobungs-Richtlinie (Erp-RL) Liposuktion veranlasst. Beginn der insofern vom Zentrum für klinische Studien der Universität zu Köln gemeinsam mit der Hautklinik des Klinikums Darmstadt betreuten Studie war der 15.12.2020. Interessentinnen konnten bis 31.12.2019 ihren Teilnahmewunsch anmelden. Die Studie ist noch nicht abgeschlossen. Das Datum für den primären Abschluss soll der 01.09.2024 und das Datum für die Fertigstellung der 01.09.2025 sein (vgl. BSG, Urteile vom 26.04.2022 und 18.08.2022 – B 1 KR 20/21 R und B 1 KR 29/21 R – amtl. Rn.8 bzw. 11 jeweils m.w.N.).
2. Ein Anspruch aus der Erp-RL Liposuktion scheidet bereits deshalb aus, weil die Klägerin ihren Teilnahmewunsch nicht angemeldet hat. Darüber hinaus ergibt sich aus der Erp-RL Liposuktion im Rahmen des Auswahlverfahrens zunächst lediglich ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über die Teilnahme am Erprobungsverfahren (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 26.04.2022, a.a.O., Rn 9 f. m.w.N.). Hinsichtlich der Liposuktionen an beiden Armen war ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über die Einbeziehung in die Studie überdies deshalb ausgeschlossen, weil die Erp-RL Liposuktion nur die Liposuktion des Lipödems der Beine zum Gegenstand hat (§ 3 Abs. 1 Erp-RL).
Die Klägerin kann ihren Anspruch auch nicht auf die RL Methoden Krankenhausbehandlung des GBA stützen. Der Beschluss des GBA vom 19.09.2019 änderte Anl. I der RL Methoden Krankenhausbehandlung. Deren Nr. 14 sieht nunmehr – befristet – vor, dass die Liposuktion bei Lipödem Stadium III zu den Methoden gehört, die für die Versorgung mit Krankenhausbehandlung erforderlich sind (RL Methoden Krankenhausbehandlung, BAnz AT 06.12.2019 B2, i.V.m. der QS-RL Liposuktion, BAnz AT 06.12.2019 B4). Lipödeme im Stadium III liegen bei der Klägerin indes nicht vor, sodass die Voraussetzungen eines entsprechenden Anspruchs bereits deshalb nicht gegeben sind.
3. Die begehrten Liposuktionen entsprechen auch nicht dem allgemeinen Qualitätsgebot nach § 2 Abs. 1 S. 3 SGB V. Hiernach haben Qualität und Wirksamkeit der Leistungen dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zu entsprechen und den medizinischen Fortschritt zu berücksichtigen. Dies erfordert für die Untersuchung- und Behandlungsmethoden den vollen Nutzennachweis im Sinne eines evidenzgestützten Konsenses der großen Mehrheit der einschlägigen Fachleute (BSG, Urteil vom 26.04.2022, a.a.O., amtl.Rn.13 m.w.N.). Die begehrten Liposuktionsbehandlungen entsprechen diesem Maßstab nicht, wie gerade die Erp-Rl Liposuktion belegt, die dazu dient, eine abschließende Beurteilung darüber herbeizuführen, ob und unter welchen Voraussetzungen die Liposuktion bei Lipödem dem allgemeinen Qualitätsgebot entspricht (BSG, a.a.O., m.w.N.).
4. Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf die Liposuktionen nach Maßgabe des
Nach § 137c Abs. 3 SGB V dürfen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden, zu denen der GBA bisher keine Entscheidung nach § 137c Abs. 1 SGB V getroffen hat, im Rahmen einer Krankenhausbehandlung angewandt werden, wenn sie das Potenzial einer erforderlichen Behandlungsalternative bieten und ihrer Anwendung nach den Regeln der ärztlichen Kunst erfolgt, die Behandlungsalternative also insbesondere medizinisch indiziert und notwendig ist. Dies gilt sowohl für Methoden, für die noch kein Antrag nach Abs. 1 S. 1 gestellt worden ist, als auch für Methoden, deren Bewertung nach Abs. 1 – wie vorliegend – noch nicht abgeschlossen ist. Im Anwendungsbereich des § 137c SGB V ist das allgemeine Qualitätsgebot des § 2 Abs. 1 S. 3 SGB V durch § 137c Abs. 3 SGB V partiell eingeschränkt und erweitert den Anspruch Versicherter auf Krankenhausbehandlung. Anstelle des allgemeinen Qualitätsgebots tritt der Potenzialmaßstab (BSG, Urteil vom 25.03.2021 – B 1 KR 25/20 R – amtl. Rn. 22 ff; s. a. BSG, Urteil vom 18.08.2022 – B 1 KR 29/21 R – amtl. Rn. 18).
Das BSG hat darauf abgestellt, dass der Anwendungsbereich von Potenzialleistungen zur Gewährleistung eines ausreichenden Patientenschutzes für den Fall einer noch nicht existierenden Erp-RL wegen des transitorischen, auf eine abschließende Klärung ausgerichteten Methodenbewertungsverfahrens eng auszulegen ist. Der Potenzialmaßstab des §§ 137c Abs. 3 SGB V geht unter den nachfolgend dargestellten Einschränkungen als lex spezialis dem allgemeinen Qualitätsgebot vor. Versicherte haben außerhalb eines auf einer Erp-RL beruhenden Erprobungsverfahrens vor dessen inhaltlicher Konkretisierung Anspruch auf neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden nur im Rahmen eines individuellen Heilversuchs, wenn es 1. um eine schwerwiegende, die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigende Erkrankung geht, wenn 2. keine andere Standardbehandlung verfügbar ist und wenn 3. die Leistung das Potenzial einer erforderlichen Behandlungsalternative bietet (vgl. BSG, Urteil vom 25.03.2021, a.a.O., amtl. Rn 30 ff.).
Diese Voraussetzungen für einen Anspruch auf Potenzialleistungen außerhalb eines Erprobungsverfahrens gelten auch für die Zeit nach Erlass einer Erp-Rl weiter. Die Gründe für diese Voraussetzungen sind auch nach dem Erlass einer Erp-RL unverändert zutreffend, solange und soweit der GBA keine Regelungen nach § 137e Abs. 2 S. 3 SGB V getroffen hat. Auch nach Inkrafttreten einer Erp-RL ist weiterhin die Evidenz dafür, dass die Methode nicht nur Potenzial hat, sondern tatsächlich dem Qualitätsgebot entspricht, noch nicht belegt (vgl. BSG, Urteil vom 26.04.2022 und 18.08.2022, jeweils a.a.O., amtl. Rn. 17 f. bzw .20 f.).
Zwar dürfte im Hinblick auf die Erp-RL Liposuktion davon auszugehen sein, dass Liposuktionsbehandlungen das Potenzial einer erforderlichen Behandlungsalternative bieten.
Es kann im vorliegenden Fall aber dahinstehen, ob es sich bei den Lipödemen der Klägerin um eine schwerwiegende, die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigende Erkrankungen handelt (vgl. hierzu BSG, Urteile vom 24.04.2018 und 27.08.2019 – B 1 KR 10/17 R und B 1 KR 14/19 R – sowie Urteil vom 26.09.2006 – B 1 KR 1/06 R – amtl. Rn. 18) und ob keine andere Standardbehandlung verfügbar sind. Insbesondere für die Lipödeme an den Armen bestehen insoweit unter Berücksichtigung der aktenkundigen Befunde erhebliche Zweifel. Jedenfalls liegen die weiteren Voraussetzungen des Anspruchs auf Krankenhausbehandlung liegen jedenfalls nicht vor.
Selbst wenn der Potenzialmaßstab zur Anwendung kommen könnte, gelten die übrigen Voraussetzungen des Anspruchs auf Krankenhausbehandlung uneingeschränkt. Insbesondere ist auch weiterhin ein Anspruch auf vollstationäre Krankenhausbehandlung nach § 39 Abs. 1 S. 2 SGB V nur dann gegeben, wenn die Aufnahme durch das Krankenhaus erforderlich ist, weil das Behandlungsziel nicht durch teilstationäre, vor- und nach stationäre oder ambulante Behandlung einschließlich häuslicher Krankenpflege erreicht werden kann. Ist eine ambulante Behandlung aus medizinischen Gründen nicht ausgeschlossen, besteht kein Anspruch auf eine vollstationäre Behandlung. Dies gilt auch dann, wenn zur Erreichung des Behandlungsziels mehr Behandlungsschritte in einem längeren Zeitraum erforderlich sind als bei vollstationärer Behandlung. Insbesondere darf das durch § 135 SGB V statuierte Verbot mit Genehmigungsvorbehalt im Bereich der ambulanten Versorgung nicht durch die „Flucht“ in die Krankenhausbehandlung umgangen werden (BSG, Urteil vom 25.03.2021, a.a.O., Rn. 43; vgl. auch bestätigend unter Bezugnahme auf das vorgenannte Urteil: Urteile vom 26.04.2022 und 18.08.2022, jeweils a.a.O., Rn. 24 bzw. 27).
Der Senat geht auf Grundlage der eingeholten Befundberichte sowie des urkundsbeweislich verwertbaren Gutachtens des MD vom 06.10.2021 davon aus, dass die Liposuktionsbehandlungen im Falle der Klägerin auch ambulant durchgeführt werden könnten, sodass nach o. G. kein Anspruch auf eine entsprechende vollstationäre Behandlung besteht. Bereits der MD hat in seinem Gutachten darauf hingewiesen, dass sich die Notwendigkeit eines stationären Settings anhand der vorliegenden Informationen nicht bestätigen lasse, weil sie lediglich aus dem geplanten Absaugvolumen abgeleitet werde. Der MD hat in diesem Zusammenhang jedoch nachvollziehbarerweise darauf hingewiesen, dass sich Letzteres willkürlich ändern lasse. Auch das Gefäßzentrum K. hat in dem Befundbericht vom 30.06.2022 bestätigt, dass die Liposuktionen bei fehlenden Risikofaktoren auch ambulant stattfinden könnten. Entsprechende Risikofaktoren sind dort nicht bekannt. S. hat in ihrem Befundbericht vom 29.06.2022 zwar ausgeführt, dass aufgrund der möglichen Absaugung von ca. 6-8 l Fett pro Sitzung Kreislaufprobleme und Blutverlust auftreten könnten und hierin eine Indikation für eine stationäre Krankenhausbehandlung liegen könnte. Die ausdrückliche Frage des Senats, ob die Liposuktionen auch in Form mehrzeitiger Eingriffe mit geringeren Absaugmengen durchführbar wären, hat sie aber bejaht. Soweit sie ausgeführt hat, mehrzeitige Eingriffe würden zu höheren Ausfallzeiten für die Klägerin und erhöhten Kosten führen, handelt es sich nicht um Gründe, die eine ambulante Behandlung aus medizinischen Gründen ausschließen.
Damit liegt – sowohl nach Einschätzung des MD als auch nach Beurteilung der behandelnden Ärzte – keine medizinische Indikation für die Durchführung der begehrten Liposuktionen im Rahmen einer stationären Behandlung vor. Vielmehr ist eine ambulante Behandlung aus medizinischen Gründen nicht ausgeschlossen, sodass kein Anspruch auf eine vollstationäre Behandlung besteht.
Der Anspruch ergibt sich schließlich auch nicht aus § 13 Abs. 3a SGB V. Zwar datiert das Antragsschreiben der Klägerin vom 13.04.2020. Von diesem Datum ausgehend wäre die 3-Wochenfrist gemäß § 13 Abs. 3a S. 1 SGB V im Falle des Eingangs des Antrags an diesem Tage bei Bescheidung am 08.05.2020 abgelaufen gewesen. Nach Aktenlage ist der Antrag bei der Beklagten jedoch frühestens am 03.05.2020 eingegangen. Ausgehend von diesem Datum wäre der Bescheid rechtzeitig ergangen. Die Frage des Zeitpunkts des Eingangs des Antrags kann aber letztlich dahinstehen, da auch eine fingierte Leistungsgenehmigung keinen eigenständigen Naturalleistungsanspruch begründet, sondern den Versicherten lediglich eine Rechtsposition verschafft, die es ihnen erlaubt, sich die Leistung selbst zu beschaffen und Kostenerstattung gemäß § 13 Abs. 3a S. 7 SGB V zu verlangen (BSG, Urteil vom 26.05.2020 – B 1 KR 9/18 R). Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist aber mangels zwischenzeitlicher Durchführung der Liposuktionen (weiterhin) allein der Sachleistungsanspruch und gerade kein Kostenerstattungsanspruch.
Die Kostenentscheidung §§ 183, 193 Abs. 1 GG.
Gründe, gemäß § 160 Abs. 2 SGG die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.