Es kann im Einzelfall gegen Treu und Glauben verstoßen, wenn Leistungsberechtigte einen Anspruch auf höhere Leistungen für Kosten der Unterkunft und Heizung darauf stützen, dass das Jobcenter ein Betriebskostenguthaben dem falschen Monat zugeordnet habe, wenn sie in einem anderen Monat desselben Bewilligungszeitraums entsprechend zu hohe Leistungen erhalten haben. Ein Rechtsmissbrauch kann insbesondere dann vorliegen, wenn die Leistungsberechtigten gezielt das sog Monatsprinzip ausnutzen wollen, um insgesamt höhere Leistungen zu erhalten, als ihnen tatsächlich zustehen, obwohl ihr tatsächlicher Bedarf in jedem Monat des Bewilligungszeitraums vollständig gedeckt war, und sie aufgrund der erfolgten Direktzahlungen des Jobcenters an ihren Vermieter keinen offenen Forderungen des Vermieters für den Bewilligungszeitraum ausgesetzt waren.
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Kläger begehren höhere Leistungen für Kosten der Unterkunft und Heizung (KdUH) für den Monat Februar 2019. Zwischen den Beteiligten ist streitig, in welchem Monat ein Betriebskostenguthaben leistungsmindernd zu berücksichtigen ist.
Die 1982 geborene und 2023 verstorbene M. M., die bis zu ihrem Tod als Klägerin bzw. Berufungsklägerin am vorliegenden Verfahren beteiligt war, lebte zusammen mit ihrem Partner, dem Kläger zu 1., und ihren Töchtern, der 2007 geborenen Klägerin zu 2. und der 2011 geborenen Klägerin zu 3., zur Miete in einer Wohnung in der B.siedlung 3 in F. Frau M. und der Kläger zu 1. hatten die 70,65 qm große Wohnung zum 1. November 2012 angemietet. Die monatliche Grundmiete betrug 317,93 €, die Nebenkostenvorauszahlung 62,42 €, die Heizkostenvorauszahlung 158,65 €. Warmwasser wurde dezentral erzeugt.
Auf einen im Oktober 2018 gestellten Leistungsantrag bewilligte der Beklagte Frau M. und den verbliebenen Klägern mit Bescheid vom 22. Oktober 2018 Leistungen für die Zeit von November 2018 bis April 2019 i.H.v. insgesamt 1.515,30 € pro Monat. Als Bedarfe berücksichtigte er neben den gesetzlichen Regelbedarfen und einem Mehrbedarf wegen der Warmwasserbereitung die tatsächlichen KdUH, wie die Kläger sie in ihrem Antrag angegeben hatten. Als Einkommen rechnete er das für die Klägerinnen zu 2. und 3. geleistete Kindergeld i.H.v. je 194 € pro Monat an. Die Leistungen für KdUH i.H.v. 539,00 € zahlte er, dem Leistungsantrag entsprechend, direkt an die Vermieterin, die D. GbR.
Unter dem 23. November 2018 rechnete die Vermieterin die Betriebskosten für die Wohnung der Frau M. und der Kläger für das Jahr 2017 ab. Es ergab sich eine „Gutschrift“ i.H.v. 344,52 €. In der Abrechnung wurde darauf hingewiesen, dass ein Einspruch innerhalb von vier Wochen nach Zugang möglich sei. Weiter wurde ausgeführt: „Das Guthaben werden wir Ihnen auf Ihr Konto überweisen.“
Am 15. Januar 2019 nahm eine Mitarbeiterin des Beklagten telefonisch Kontakt zur Vermieterin auf. Sie hielt dazu in einem Vermerk fest: „nach telef. RS mit D. GbR am 15.01.19 wurde bekannt, dass GH noch nicht ausgezahlt wurde – er [!] erfolgt somit Verrechnung des GH in 02/2019“. Die Vermieterin teilte dem Prozessbevollmächtigten der Kläger mit Schreiben vom 22. April 2021 mit, man habe am 15. Januar 2019 mit einer Mitarbeiterin des Beklagten gesprochen. Diese habe angefragt, ob das Guthaben aus der Betriebskostenabrechnung schon ausgezahlt worden sei. Nachdem dies verneint worden sei, habe die Mitarbeiterin des Beklagten festgelegt, dass die Miete für Februar mit einem Teil des Guthabens aus der Betriebskostenabrechnung verrechnet werde. Auf dieser Grundlage sei es zu einer Verrechnung i.H.v. 271,22 € gekommen. Die verbliebenen 73,30 € seien am 15. Februar 2019 an Frau M. überwiesen worden. In einer tabellarischen Anlage zu dem Schreiben ist zu der Verrechnung des Betriebskostenguthabens vermerkt: „telefonisch vereinbart 15.01.19“.
Mit Änderungsbescheid vom 15. Januar 2019 hob der Beklagte den Bescheid vom 22. Oktober 2018 „mit Wirkung vom 01.11.2018“ auf und bewilligte die Leistungen neu. Die Leistungshöhe für November und Dezember 2018 blieb unverändert. Ab Januar 2019 berücksichtigte er die Erhöhung der gesetzlichen Regelsätze; im Februar 2019 berücksichtigte er KdUH i.H.v. 267,78 €, nachdem er ein Nebenkostenguthaben i.H.v. 271,22 € abgezogen hatte. Dazu führte er aus, von dem Guthaben von 344,52 € seien 73,30 € als „Kürzung der Monate 11/17 und 12/17“ abzuziehen. In diesen beiden Monaten hatte der Beklagte bei der Leistungsberechnung nicht die tatsächlichen KdUH-Bedarfe i.H.v. 539 € pro Monat, sondern nur die als angemessen erachteten i.H.v. 502,35 € berücksichtigt. Der Leistungsbetrag für Februar 2019 belief sich infolgedessen auf 1.272,60 €, wovon 267,78 € laut Bescheid an die Vermieterin gezahlt wurden.
Gegen den Bescheid legten Frau M. und die Kläger, anwaltlich vertreten, Widerspruch ein und rügten die Anrechnung des Betriebskostenguthabens. Diesen Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 16. Oktober 2019 als unbegründet zurück. Wegen der Anrechnung des Betriebskostenguthabens verwies er auf § 22 Abs. 3 Sozialgesetzbuch Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II; jetzt: Bürgergeld, Grundsicherung für Arbeitsuchende). Danach minderten Guthaben die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung. Ein Guthaben aus der Betriebskostenabrechnung vom 23. November 2018 sei ausgezahlt bzw. gutgeschrieben worden. „Nach Rücksprache mit dem Vermieter“ sei das Guthaben nicht ausgezahlt, sondern im Februar 2019 mit der Miete verrechnet worden.
Am 18. November 2019 haben Frau M. und die verbliebenen Kläger beim Sozialgericht (SG) Halle Klage erhoben. Sie haben die Auffassung vertreten, das Betriebskostenguthaben sei fehlerhaft im Februar 2019 bei der Leistungsermittlung angerechnet worden. Es sei damit zu rechnen gewesen, dass das Guthaben aus der Betriebskostenabrechnung vom 23. November 2018 spätestens im Folgemonat, also im Dezember 2019 hätte ausgezahlt werden sollen. Dann hätte der Betrag im darauffolgenden Monat, also im Januar 2019 angerechnet werden müssen. Der Umstand, dass es nicht zur Auszahlung gekommen sei, ändere daran nichts. Eine Anrechnung hätte entweder (bei sofortiger Auszahlung noch im November) im Dezember 2018 oder aber im Januar 2019 erfolgen müssen. Auch die von der Beklagten eigenmächtig vorgenommene Verrechnung ändere nichts, zumal sie allenfalls im März 2019 zu einer Anrechnung auf den Leistungsanspruch hätte führen können.
Auf Nachfrage des SG hat Frau M. mitgeteilt, sie habe sich seinerzeit nicht darum bemüht, dass das Betriebskostenguthaben zeitnah auf ihr Konto überwiesen werde.
Mit Gerichtsbescheid vom 15. Dezember 2021 hat das SG die Klage abgewiesen. Es hat hervorgehoben, dass die Nebenkostenabrechnung für das Jahr 2017 am 23. November 2018 erstellt worden sei. Es sei davon auszugehen, dass sie Frau M. und den Klägern spätestens Anfang Dezember 2018 zugegangen sei. Näheres sei nicht bekannt. Die am 15. Januar 2019 zwischen dem Beklagten und der Vermieterin vereinbarte Verrechnung sei nicht zu beanstanden. Dabei seien im wesentlichen drei Faktoren zu berücksichtigen: In Absprache mit Frau M. bzw. den Klägern habe der Beklagte die Mietzahlung an die Vermieterin durchgeführt; bezüglich der Abwicklung des Guthabens seien sowohl die Vermieterin als auch die Kläger passiv geblieben; angerechnet auf Leistungen nach dem SGB II würden nur Zuflüsse, die den Leistungsberechtigten tatsächlich zur Deckung ihrer Bedarfe zur Verfügung stehen. Soweit die Kläger darauf abstellten, dass das Betriebskostenguthaben ihnen entweder im November oder im Dezember 2018 zur Verfügung gestanden habe, mithin also die Anrechnung im Dezember 2018 oder im Januar 2019 hätte erfolgen müssen, übersähen sie, dass eine Überweisung vor Ablauf der in der Betriebskostenabrechnung erwähnten Prüf- und Einspruchsfrist von vier Wochen kaum vorstellbar sei. Hätte dennoch eine Überweisung Ende Dezember 2018 oder im Januar 2019 stattgefunden, so hätte sich der Zufluss des Guthabens anhand des Eingangs auf dem Konto der Kläger taggenau bestimmen lassen. Solche Aktivitäten seien aber nicht unternommen worden. Eine fiktive Anrechnung durch den Beklagten, also entweder zu Ende November oder im Dezember oder auch im Januar, auf die der Beklagte dann eine Rückforderung im jeweiligen Folgemonat gestützt hätte, wäre durch die Klägerseite sicher nicht akzeptiert worden. Das wäre auch nachvollziehbar gewesen, da der Beklagte, der sich allein um die Mietzahlung gekümmert habe, dann faktisch Leistungen aus dem Regelbedarf zurückgefordert hätte. Damit wäre aber die in § 22 Abs. 3 SGB II normierte Zuordnung von Guthaben zu den Bedarfen für Unterkunft und Heizung verletzt worden. Eine fiktive Anrechnung allein durch die Gutschrift auf dem Mieterkonto sei deshalb faktisch in den Fällen nicht möglich, in denen die Jobcenter die Miete direkt an die Vermieter überwiesen. Bei pragmatischer Betrachtung werde dem Gebot, ausschließlich bereite Mittel als Einnahmen zu berücksichtigen, dadurch Rechnung getragen, dass der Abschluss der Verrechnungsvereinbarung als Zuflusszeitpunkt bestimmt werde. In diesem Moment werde aus dem für die Leistungsberechtigten nicht greifbaren Guthaben auf dem Vermieterkonto ein Wert, dessen Realisierung in Kürze feststehe. Problematisch könne deshalb allein sein, dass es keine Abstimmung zwischen dem Beklagten und den Klägern gegeben habe. Dadurch sei den Klägern aber kein Rechtsnachteil entstanden. Das SG hat die Berufung zugelassen. Der Gerichtsbescheid ist dem Prozessbevollmächtigten der Kläger am 17. Dezember 2021 zugestellt worden.
Mit ihrer am 12. Januar 2022 eingelegten Berufung verfolgen die Kläger ihr Begehren weiter. Sie haben klargestellt, dass es ihnen ausschließlich um höhere Leistungen für Februar 2019 ohne Berücksichtigung eines Betriebskostenguthabens gehe. Sie meinen, das Guthaben hätte bereits im Januar 2019 angerechnet werden müssen, weil sie selbst bereits im Dezember 2018 die Auszahlung hätten verlangen können. Dass sie dies nicht getan hätten, ändere nichts. Es könne nicht sein, dass ein Leistungsempfänger es in der Hand habe, den Anrechnungszeitpunkt zu verschieben, indem er sich den Betrag nicht auszahlen lasse. Im Übrigen hätte andernfalls die Anrechnung im März 2019 erfolgen müssen. Es liege in der Hand des Beklagten, für Januar oder März 2019 eine entsprechende Erstattung von ihnen zu fordern.
Die Kläger beantragen,
den Gerichtsbescheid des SG Halle vom 15. Dezember 2021 und den Bescheid des Beklagten vom 15. Januar 2019 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 16. Oktober 2019 zu korrigieren und den Beklagten zu verpflichten, ihnen Leistungen nach dem SGB II für den Monat Februar 2019 in Höhe von weiteren 271,22 € zu gewähren.
Der Beklagte hat im Berufungsverfahren keinen ausdrücklichen Antrag formuliert. Er hält die Anrechnung des Guthabenbetrags im Februar 2019 nach wie vor für zutreffend.
Der Berichterstatter hat die Kläger um Mitteilung gebeten, ob sie mit ihrer Klage eine Auszahlung der geltend gemachten Leistung an sich oder an die Vermieterin begehren. Weiter wurden sie um Auskunft gebeten, ob sie gegen die Vermieterin einen Anspruch auf Auszahlung des Betriebskostenguthabens geltend gemacht hätten, und was sie unternommen hätten, nachdem sie von der „Anrechnung“ des Betriebskostenguthabens erfahren hätten. Diese Fragen sind trotz Erinnerung nicht beantwortet worden.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Der Senat hat die Gerichtsakte des SG und die Verwaltungsakten des Beklagten beigezogen.
Entscheidungsgründe:
1. Der Senat entscheidet gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung durch Urteil, weil die Beteiligten sich damit einverstanden erklärt haben und keine Umstände vorliegen, die gegen ein solches Vorgehen sprechen.
2. Die Berufung der Kläger ist aufgrund der Zulassung durch das SG statthaft (§§ 143, 144 Abs. 3 SGG) und auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt worden (§ 151 SGG).
3. Sie ist jedoch unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die zulässige kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage der Kläger ist unbegründet.
a) Streitgegenstand ist allein die teilweise Aufhebung der Bewilligung von Leistungen für KdUH für den Monat Februar 2019. Die anwaltlich vertretenen Kläger haben ihren Klageantrag bewusst und ausdrücklich auf Leistungen für diesen Monat beschränkt und haben eindeutig zum Ausdruck gebracht, dass es ihnen in der Sache ausschließlich um die Nichtberücksichtigung des Betriebskostenguthabens bei den Leistungen für KdUH gehe. Diese stellen einen abtrennbaren Streitgegenstand dar (vgl. Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 19. Februar 2009 – B 4 AS 48/08 R – juris Rn. 11).
b) Etwaige Ansprüche der während des Berufungsverfahrens verstorbenen Frau M. stehen den Klägerinnen zu 2. und 3. gemäß § 56 Abs. 1 Satz 2 Sozialgesetzbuch Erstes Buch – Allgemeiner Teil (SGB I) zu gleichen Teilen zu. Sie sind gemäß § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB I Sonderrechtsnachfolgerinnen der Verstorbenen, da diese nicht verheiratet war, sie mit ihr zur Zeit ihres Todes in einem Haushalt lebten und von ihr wesentlich unterhalten wurden.
c) Die Kläger können jedoch nicht mit Erfolg die Rechtswidrigkeit der Aufhebungsentscheidung bzw. einen Anspruch auf höhere KdUH-Leistungen für Februar 2019 geltend machen. Insoweit kann dahinstehen, ob der Beklagte die Leistungsbewilligung für diesen Monat aus dem Bescheid vom 22. Oktober 2018 zu Recht teilweise aufgehoben hat. Denn selbst wenn dies nicht der Fall wäre, hätte er sie im selben Umfang für einen anderen Monat des Bewilligungsabschnitts aufheben müssen, und aufgrund der besonderen Umstände des vorliegenden Falles könnten die Kläger sich nicht auf die fehlerhafte zeitliche Zuordnung der Minderung ihrer Aufwendungen berufen.
aa) Als Ermächtigungsgrundlage für die mit Bescheid vom 15. Januar 2019 erfolgte teilweise Aufhebung der Leistungsbewilligung für Februar 2019 ist auf § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II in Verbindung mit § 48 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) abzustellen. Danach ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Die nach Erlass des ursprünglichen Bewilligungsbescheids erfolgte Gutschrift eines Betriebskostenguthabens stellt eine solche wesentliche Änderung dar, soweit sie gemäß § 22 Abs. 3 SGB II die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung mindert und damit den Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts reduziert.
bb) Frau M. und die Kläger hatten dem Grunde nach einen Anspruch auf Arbeitslosengeld II bzw. Sozialgeld. Sie erfüllten die Voraussetzungen der §§ 7 ff., 19 ff. SGB II.
cc) Der Beklagte hat die tatsächlichen Unterkunfts- und Heizkosten der Frau M. und der Kläger grundsätzlich zutreffend in voller Höhe gemäß § 22 Abs. 1 SGB II als KdUH berücksichtigt. Abgesehen von der streitigen teilweisen Anrechnung des Betriebskostenguthabens sind sämtliche KdUH-Bedarfe auch für den Monat Februar 2019 gedeckt. Der Senat kann aber offen lassen, ob sich bei richtiger Anwendung von § 22 Abs. 3 Satz 1 SGB II für diesen Monat ein Anspruch auf weitere 271,22 € ergibt.
Gemäß § 22 Abs. 3 SGB II mindern Rückzahlungen und Guthaben, die dem Bedarf für Unterkunft und Heizung zuzuordnen sind, die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung nach dem Monat der Rückzahlung oder der Gutschrift; Rückzahlungen, die sich auf die Kosten für Haushaltsenergie oder nicht anerkannte Aufwendungen für Unterkunft und Heizung beziehen, bleiben außer Betracht.
(1) Das Guthaben aus der Betriebskostenabrechnung vom 23. November 2018 wird von der Vorschrift erfasst. Dem steht die auf Betreiben des Beklagten von der Vermieterin vorgenommene Verrechnung nicht entgegen. Die Berücksichtigung eines Betriebskostenguthabens oder einer Betriebskostenrückzahlung gemäß § 22 Abs. 3 SGB II setzt zwar voraus, dass es sich um Einkommen i.S.v. § 11 SGB II handelt (vgl. BSG, Urteil vom 22. März 2012 – B 4 AS 139/11 R – juris Rn. 14), dass also ein tatsächlicher wertmäßiger Zuwachs erfolgt ist und es sich um „bereite Mittel“ handelt (vgl. allg. Schmidt/Lange in: Luik/Harich, SGB II, 6. Auflage 2024, § 11 Rn. 21 ff.). Diese Voraussetzungen sind hier aber erfüllt. Ein Betriebskostenguthaben, das dem Leistungsberechtigten nicht ausgezahlt wird, sondern mit aufgelaufenen oder künftigen Mietforderungen des Vermieters von diesem verrechnet wird, bewirkt beim Leistungsberechtigten einen wertmäßigen Zuwachs, weil es wegen der damit ggf. verbundenen Schuldbefreiung oder Verringerung anderweitiger Verbindlichkeiten aus der Vergangenheit oder Zukunft einen bestimmten, in Geld ausdrückbaren wirtschaftlichen Wert besitzt (vgl. BSG, Urteil vom 16. Mai 2012 – B 4 AS 132/11 R – juris Rn. 21).
Es kann dahinstehen, wie die Situation zu beurteilen ist, wenn der Vermieter ein Betriebskostenguthaben einseitig gegen aufgelaufene Verbindlichkeiten aufrechnet (vgl. dazu BSG, a.a.O., Rn. 21 ff.; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 8. November 2018 – L 19 AS 240/18 – juris Rn. 29 ff.; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 9. Oktober 2019 – L 2 AS 2481/18 –, juris Rn. 37; Berlit, info also 2014, 60, 62 f.; Šušnjar in: Hohm, SGB II, § 22 Rn. 257 [Stand: 1. September 2021]; Luik in: Luik/Harich, a.a.O., § 22 Rn. 223; zur Unwirksamkeit der Aufrechnung vgl. auch BSG, Urteil vom 16. Oktober 2012 – B 14 AS 188/11 R – juris Rn. 19 f.; Bundesgerichtshof [BGH]; Urteil vom 20. Juni 2013 – IX ZR 310/12 – juris). Vorliegend erfolgte die Verrechnung zum einen nicht mit aufgelaufenen Schulden, sondern mit künftigen Mietforderungen, so dass tatsächlich ein im entsprechenden Umfang faktisch geringerer KdUH-Bedarf entstanden ist (vgl. zu diesem Aspekt LSG Hamburg, Urteil vom 16. Juli 2009 – L 5 AS 81/08 – juris Rn. 26). Zum anderen hatte die Vermieterin das Guthaben ursprünglich ausweislich der Betriebskostenabrechnung ausdrücklich zur Auszahlung vorgesehen. Dazu ist es lediglich aufgrund der zwischen dem Beklagten und der Vermieterin erfolgten Verrechnungsvereinbarung nicht gekommen. Zwar war der Beklagte zu einer solchen Regelung ohne Zustimmung der Mieter nicht befugt. Daran ändert auch die mit Einverständnis der Leistungsberechtigten vorgenommene Direktzahlung der Leistungen an die Vermieterin (§ 22 Abs. 7 SGB II) nichts. Aber Frau M. und der Kläger zu 1. haben die Verrechnungsabrede durch ihr weiteres Verhalten konkludent und gemäß § 184 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) rückwirkend genehmigt. Sie hatten aufgrund der Betriebskostenabrechnung Kenntnis von dem Guthaben und der Bereitschaft der Vermieterin, dieses an sie auszuzahlen. Spätestens aufgrund der Akteneinsicht ihres Prozessbevollmächtigten im Widerspruchsverfahren wussten sie auch von der Verrechnungsabrede. Dennoch haben sie nicht von der Vermieterin die Auszahlung des Guthabens verlangt, sondern – anwaltlich vertreten – auf der Grundlage der erfolgten Verrechnung weitere Leistungsansprüche gegen den Beklagte geltend gemacht. Das war auch für die Vermieterin erkennbar, spätestens, seit der Prozessbevollmächtigte der Kläger sich von ihr die Umstände der Verrechnung schriftlich hat bestätigen lassen, um diese Erklärung im vorliegenden Rechtsstreit zu nutzen.
(2) Der Beklagte hat das Guthaben auch in zutreffender Höhe angerechnet. Insbesondere hat er berücksichtigt, dass gemäß § 22 Abs. 3 Halbsatz 2 SGB II Rückzahlungen, die sich auf nicht anerkannte Aufwendungen für Unterkunft und Heizung beziehen, außer Betracht bleiben.
(3) Es kann dahinstehen, ob das Guthaben auch zu Recht auf die Leistungen für den Monat Februar 2019 angerechnet worden ist oder ob die Anrechnung für einen anderen Monat des Bewilligungszeitraums hätte erfolgen müssen.
(a) Die vom Beklagten vorgenommene zeitliche Zuordnung wäre dann zutreffend, wenn man annähme, dass § 22 Abs. 3 SGB II in Fällen zu modifizieren ist, in denen das Jobcenter die Leistungen für KdUH gemäß § 22 Abs. 7 SGB II direkt an den Vermieter zahlt. Allerdings lassen sich weder dem Wortlaut noch der Systematik des § 22 SGB II Anhaltspunkte für eine solche Modifikation entnehmen (vgl. Landessozialgericht [LSG] B.-Brandenburg, Urteil vom 15. März 2018 – L 34 AS 1468/16 – juris Rn. 27). Zutreffend wäre die vom Beklagten vorgenommene zeitliche Zuordnung auch dann, wenn man – wie das SG meint – die am 15. Januar 2019 zwischen dem Beklagten und der Vermieterin getroffene Abrede als zeitlichen Anknüpfungspunkt für die Anrechnung im Folgemonat nehmen würde. Unabhängig davon, dass diese Verabredung wohl erst im Februar 2019 zu einem wertmäßigen Zuwachs bei den Mietern geführt hat, erscheint dieser Ansatz vorliegend aber auch deshalb problematisch, weil der Beklagte zum Abschluss einer solchen Vereinbarung nicht berechtigt war; die nachträgliche konkludente Genehmigung durch die Mieter wirkt zwar rechtlich zurück, ist tatsächlich aber erst nach Januar 2019 erteilt worden.
Zum Teil stellt die Rechtsprechung als maßgeblichen zeitlichen Anknüpfungspunkt für die Anwendung von § 22 Abs. 3 SGB II bereits auf die Erteilung der Betriebskostenabrechnung und die damit eintretende Fälligkeit des Guthabenbetrags ab (vgl. LSG B.-Brandenburg, Urteil vom 2. Juni 2020 – L 28 AS 1466/14 – juris Rn. 41), teils auf die schriftliche Fixierung einer entsprechenden Haben-Buchung im Mieterkonto (vgl. LSG B.-Brandenburg, Urteil vom 27. Januar 2020 – L 31 AS 1871/19 – juris Rn. 24) oder auf den Zeitpunkt, zu dem der Mieter die Auszahlung bei gewöhnlichem Lauf der Dinge – mutmaßlich – hätte erreichen können (vgl. LSG B.-Brandenburg, Urteil vom 15. März 2018 – L 34 AS 1469/16 – juris Rn. 22 f.). Das würde hier zu einer Minderung des Leistungsanspruchs für Dezember 2018 oder Januar 2019 führen. Gegen diese Ansätze wird allerdings eingewandt, dass es in diesen Stadien noch an einem wertmäßigen Zuwachs bzw. einem „bereiten Mittel“ fehle (vgl. Šušnjar in: Hohm, a.a.O., § 22 Rn. 250.1; SG Berlin, Urteil vom 17. Januar 2024 – S 174 AS 4184/23 – juris Rn. 22; allg. zu § 11 SGB II: Schmidt/Lange in: Luik/Harich, a.a.O., § 11 Rn. 16 m.w.N.). Die wohl h.M. stellt deshalb bei einer Verrechnung des Betriebskostenguthabens mit laufenden Mietzinsforderungen auf den Monat ab, in dem die laufende Mietzinszahlung, mit der verrechnet wird, fällig war (vgl. BSG, Urteil vom 22. März 2012 – B 4 AS 139/11 R – juris Rn. 13; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 9. Oktober 2019 – L 2 AS 2481/18 – juris Rn. 39; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 12. Juli 2021 – L 2 AS 1655/20 – juris Rn. 24; Sächsisches LSG, Urteil vom 17. September 2020 – L 3 AS 709/18 – juris Rn. 30; krit. Hahn, NZS 2015, 531, 537 f.). Das war vorliegend der Februar 2019, so dass die gesetzliche Minderung der Aufwendungen im März 2019 eingetreten wäre.
(b) Unterstellt man auf dieser Grundlage, dass der Beklagte das Betriebskostenguthaben zu Unrecht im Februar 2019 angerechnet hat und Frau M. und die Kläger deshalb in diesem Monat einen höheren Leistungsanspruch hatten, könnten sie diesen gleichwohl nicht mit Erfolg geltend machen. Ihr Vorgehen wäre rechtsmissbräuchlich und verstieße gegen Treu und Glauben.
Der Grundsatz von Treu und Glauben, der in § 242 BGB als Maßstab für bürgerlich-rechtliche Leistungen ausdrücklich gesetzlich geregelt ist, beherrscht die ganze Rechtsordnung und auch das öffentliche Recht einschließlich des Sozialrechts (vgl. BSG, Urteil vom 25. Januar 1972 – 9 RV 238/71 – juris Rn. 17; Urteil vom 25. Juni 2009 – B 10 EG 3/08 R – juris Rn. 25 ff.). Er erlaubt es, die Berufung auf eine grundsätzlich bestehende Rechtsposition unter besonderen Umständen im Einzelfall zu untersagen. Für die Entscheidung, ob die Berufung auf eine Rechtsposition missbräuchlich ist, bedarf es einer Bewertung der gesamten Umstände des Falles, wobei die Interessen aller an dem Rechtsverhältnis Beteiligter zu berücksichtigen sind (vgl. BGH, Beschluss vom 31. Januar 2022 – IX ZR 113/21 u.a. – juris Rn. 48 f. m.w.N.). Dabei sind auch Sinn und Zweck der Norm, auf die der rechtsmissbräuchlich Handelnde sich berufen will, und ggf. die Interessen der Öffentlichkeit in den Blick zu nehmen (vgl. Looschelders/Olzen in: Staudinger, BGB, §§ 241-243, Neubearbeitung 2024, § 242 Rn. 220 ff.).
Die anwaltlich vertretenen Kläger berufen sich hier bewusst auf eine formale Rechtsposition, ohne dass dem ein schutzwürdiges Eigeninteresse gegenüberstünde. Das Arbeitslosengeld II bzw. Sozialgeld ist eine Leistung der Grundsicherung für Arbeitsuchende, die es den Leistungsberechtigten ermöglichen soll, ein Leben zu führen, das der Würde des Menschen entspricht (§ 1 Abs. 1 SGB II). Der Leistungsanspruch richtet sich grds. nach den tatsächlichen Bedarfen. Maßgeblicher Betrachtungszeitraum ist dabei nach dem vom BSG anhand zahlreicher Einzelvorschiften des SGB II entwickelten Monatsprinzip grds. der Kalendermonat (vgl. BSG, Urteil vom 9. April 2014 – B 14 AS 23/13 R – juris Rn. 27; Urteil vom 30. März 2017 – B 14 AS 18/16 R – juris Rn. 18, jew. m.w.N.). Eine wesentliche Ausprägung dieses Prinzips ist es, dass die Leistungen monatsweise zu berechnen sind und zwar ausgehend von den Bedarfen und dem zufließenden Einkommen im jeweiligen Monat (vgl. BSG, Urteil vom 7. Dezember 2017 – B 14 AS 8/17 R – juris Rn. 20). Eine Konsequenz dieser strikt monatsweisen Betrachtung ist, dass – abgesehen von gesetzlich vorgesehenen Sonderfällen (vgl. § 41a Abs. 6 SGB II) – keine monatsübergreifende Saldierung von Leistungsansprüchen stattfindet. Eine Überzahlung von Leistungen in einem Monat führte grds. nicht zu einer Minderung des Anspruchs für einen anderen Monat.
Diese gesetzliche Konzeption wollen die anwaltlich vertretenen Kläger gezielt ausnutzen, um zum Nachteil der Allgemeinheit insgesamt höhere Leistungen zu erhalten, als ihnen zustehen und ihrem Bedarf entsprechen. Ihnen ist bewusst, dass sie – eine fehlerhafte zeitliche Zuordnung des Betriebsguthabens unterstellt – in einem anderen Monat des Bewilligungszeitraums in genau dem Umfang überzahlt worden sind, in dem sie für Februar 2019 noch Leistungen beanspruchen. Ihr Prozessbevollmächtigter verweist selbst darauf, dass es in der Hand des Beklagten liege, dafür eine entsprechende Erstattung zu fordern. Umgekehrt ist der Beklagte gerade in einer Situation, in der die korrekte zeitliche Zuordnung eines Bedarfs oder einer Bedarfsminderung tatsächlich schwierig oder – wie hier – in der Rechtsprechung umstritten ist, einem besonderen Risiko ausgesetzt, dass sich seine Bewilligungsentscheidung insoweit nachträglich als rechtswidrig herausstellt.
Die vorliegende Konstellation zeichnet sich zudem durch die Besonderheit aus, dass die Kläger auch bei isoliert monatsweiser Betrachtung zu keinem Zeitpunkt einen realen ungedeckten Bedarf hatten. Dank der vom Beklagten gezahlten Leistungen waren sie weder im Februar 2019 noch in einem anderen Monat des Bewilligungszeitraums Zahlungsansprüchen ihrer Vermieterin ausgesetzt. Deren Mietzinsansprüche sind im Februar 2019 und auch in allen anderen Monaten des Bewilligungszeitraums vollständig befriedigt worden. Deshalb liegt auch die Frage nahe, an wen der Beklagte eigentlich im Falle seiner Verurteilung hätte zahlen sollen. Im ursprünglichen Leistungsantrag war schließlich eine Direktzahlung der KdUH-Leistungen an die Vermieterin beantragt worden; diese hat aber im vorliegenden Fall – jedenfalls für den Streitzeitraum – keine offenen Forderungen. Gleichwohl haben die Kläger diese Frage des Senats trotz Erinnerung unbeantwortet gelassen. Auch hier wird deutlich, dass es ihnen lediglich darum geht, von einer rechtlichen Zuordnungsregel, die eigentlich dazu dient, Überzahlungen zu vermeiden (vgl. Apel in: Winkler, SGB II, 3. Auflage 2024, § 22 Rn. 118), derart zu profitieren, dass sie zulasten der Allgemeinheit über ihren tatsächlichen KdUH-Bedarf hinaus weitere Leistungen erhalten.
Die Kläger können auch nicht geltend machen, dass sie sich bei einer aus ihrer Sicht zutreffenden zeitlichen Zuordnung des Betriebskostenguthabens durch den Beklagten in einer besseren verfahrensrechtlichen Position befunden hätten. Ginge man davon aus, dass nicht der Leistungsanspruch für Februar, sondern der für März 2019 betroffen war, wäre die teilweise Aufhebung der Bewilligung in gleicher Weise auf Grundlage von § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II in Verbindung mit § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X möglich gewesen. Stellte man stattdessen auf den Leistungsanspruch für Dezember 2018 oder Januar 2019 ab, würde sich im Ergebnis nichts ändern. Ermächtigungsgrundlage für eine teilweise Aufhebung der Bewilligung wäre § 40 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 3 SGB II in Verbindung mit § 330 Abs. 3 Sozialgesetzbuch Drittes Buch – Arbeitsförderung (SGB III) und § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X gewesen. Am Prüfungsmaßstab hätte sich dadurch nichts geändert, insbesondere hätte es auch in diesem Fall keiner Vertrauensschutzprüfung bedurft.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.
5. Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG), liegen nicht vor.