S 4 BA 21/22

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Gießen (HES)
Sachgebiet
Betriebsprüfungen
1. Instanz
SG Gießen (HES)
Aktenzeichen
S 4 BA 21/22
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 1 BA 64/23
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil


1.    Der Bescheid vom 28.09.2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13.07.2022 wird aufgehoben und die Beklagte verurteilt, den Betrag von 12.832,42 EUR nebst Zinsen in Höhe von 4% aus einer Summe von 12.832,00 EUR ab dem 02.12.2020 an die Klägerin zurückzuzahlen.

2.    Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

3.    Der Streitwert wird auf 12.832,42 EUR festgesetzt.


Tatbestand

Die Beteiligten streiten im Rahmen von Nachforderungen von Sozialversicherungsabgaben in Höhe von 12.832,42 Euro um die Sozialversicherungspflicht der bei der Klägerin tätigen Beigeladenen 1) bis 3) sowie der verstorbenen Frau G. 

Die Klägerin ist ein eingetragener gemeinnütziger Verein und betreibt ein Museum in A-Stadt. Die Beigeladenen 1) – 3) sowie die verstorbenen Frau G. waren dort in der Museumsaufsicht und an der Kasse tätig. Die Tätigkeit erfolgte im Rahmen eines Ehrenamtes im Zuge der Vereinsmitgliedschaft der Betroffenen. 

Die Beklagte führte bei der Klägerin eine Betriebsprüfung nach § 28p Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) über den Zeitraum vom 01.01.2015 bis 31.12.2018 durch. Diesbezüglich forderte sie diverse Unterlagen bei der Klägerin an, so beispielsweise die Kontoblätter über die Zahlungen für die Aufsicht aus den Jahren 2015 bis 2018 sowie die handschriftlichen Abrechnungen der betroffenen Personen. Weiterhin wurden von der Klägerin und Frau G. – stellvertretend für alle Beigeladenen – der „Fragebogen zur Feststellung des sozialversicherungsrechtlichen Status“ übersandt. Hierin gaben die Klägerin und Frau G. übereinstimmend unter anderem an, es seien nur mündliche Absprachen getroffen und keine feste Arbeitszeit vereinbart, die Tätigkeit sei in den Räumen der Klägerin durchzuführen, der Ort könne nicht frei gewählt werden. Weisungen seien nicht erteilt worden, die Auftragnehmer seien nicht in den betrieblichen Arbeitsablauf eingegliedert. Der Auftragnehmer sei grundsätzlich verpflichtet, die Tätigkeit selbst auszuführen; im Krankheitsfalle springe einer der beiden anderen Aufsichtskräfte ein. Es seien Computer und Papier kostenlos zur Verfügung gestellt worden, eigenes Kapital werde nicht eingesetzt. Weiter findet sich in den Akten eine Telefonnotiz vom 24.07.2019, dass die Aufsichtspersonen ehrenamtlich tätig seien, 5,00 Euro pro Stunde bzw. 30,00 Euro am Tag erhielten und laut der Klägerin nicht weisungsgebunden seien. Drei Ehrenamtliche würden sich pro Jahr die Kassentätigkeiten teilen. Aus den Unterlagen ergibt sich, dass der Beigeladenen zu 1) im Prüfungszeitraum nur bis einschließlich September 2015 tätig war, die Beigeladene zu 2) sodann ab Dezember 2015. 

Nach Anhörung vom 07.04.2020 forderte die Beklagte mit Bescheid vom 28.09.2020 Sozialversicherungsabgaben in Höhe von insgesamt 12.832,42 Euro nach. Es läge bei den ausgeübten Kassentätigkeiten abhängige Beschäftigungsverhältnisse vor. So seien Weisungen erteilt worden. Dies sei zwar in den Fragebögen verneint worden, aus dem Telefonat gehe jedoch hervor, dass die Auftragnehmer während der Öffnungszeiten Eintritt zu nehmen und bei Bedarf Führungen zu organisieren hätten. Über die Einnahmen durch Eintritt und Verkäufe im Museumsshop seien detaillierte Aufzeichnungen geführt worden. Es seien keine Gestaltungsmöglichkeiten hinsichtlich des Arbeitsortes eingeräumt. Hinsichtlich der Einsatzzeit sei dahingehend Gestaltungsmöglichkeit vorhanden, als dass die Planung den Auftragnehmern oblag; die Einsatzzeiten seien jedoch dann einzuhalten gewesen. Die Auftragnehmer hätten die Leistungen ausschließlich im Namen der Klägerin erbracht und seien in die übergeordnete Planung dieser eingebunden gewesen. Sie seien verpflichtet gewesen, die vorgeschriebene Dienstleistung und diese persönlich zu erbringen und hätten allein ihre Arbeitskraft eingesetzt. Sie seien in einer für Arbeitnehmer typischen Regelmäßigkeit tätig gewesen. Die Vergütung erfolgte monatlich; der Stundenlohn von 5,00 Euro sei als Aufwandsentschädigung deklariert. Es handele sich um die Vergütung für nebenberufliche Tätigkeiten im Dienst oder im Auftrag einer unter § 5 Abs. 1 Nr. 9 Körperschaftsteuergesetz fallenden Einrichtung zur Förderung gemeinnütziger Zwecke, die bis zur Höhe von insgesamt 720,00 Euro im Kalenderjahr steuerfrei nach § 3 Nr. 26a EStG seien. Die diese Ehrenamtspauschale übersteigende Vergütung sei jedoch nicht steuer- und beitragsfrei. Die vertraglichen Grundlagen seien weiterhin nur mündlich getroffen worden. Das LSG Baden-Württemberg habe ausgeführt, dass dies eher für ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis spreche (Beschluss vom 21.06.2018 – L 13 R 127/17). Auch seien keine Merkmale typischen unternehmerischen Handels erkennbar. Die Tätigkeiten seien daher als abhängige Beschäftigungsverhältnisse zu werten. Die die steuerfreie Aufwandsentschädigung in Höhe von 720,00 Euro übersteigenden Beiträge würden daher nachgefordert; dabei würden die verbuchten Rechnungen als Bruttolohn angesetzt. Weiter folgten Ausführungen zur Geringfügigkeit der Beschäftigung und der Versicherungspflicht in den einzelnen Zweigen der Sozialversicherung. Angesetzt würde ab Übersteigen der Ehrenamtspauschale der im jeweiligen Jahr geltende Mindestlohn. Die Gemeinnützigkeit des Vereins sei in der Anhörung nachgewiesen worden, so dass die ersten 720,00 Euro jährlich als steuer- und beitragsfrei bewertet worden seien und auch der Mindestlohn diesbezüglich nicht angesetzt werde, da das Vorliegen eines Ehrenamtes bei den benannten Personen grundsätzlich anerkannt würde. Ab Überschreiten dieser Grenze könne jedoch eine ehrenamtliche Tätigkeit nicht mehr geltend gemacht werden, da es sich hierbei um beitragspflichtiges Arbeitsentgelt handele. 

Hiergegen legte die Klägerin mit Schreiben vom 02.11.2020, eingegangen per Fax am selbigen Tag, fristgerecht Widerspruch über ihre Prozessbevollmächtigte ein, welcher mit Schreiben vom 29.04.2021 begründet wurde; weiter stellte die Klägerin mit letzterem Schreiben auch den Antrag, den schon geleisteten Betrag in Höhe von 12.832,42 Euro nebst Zinsen in Höhe von 4 % zurückzuzahlen. Sie führte unter anderen aus, es handele sich nicht um sozialversicherungspflichte Beschäftigungsverhältnisse, sondern um ehrenamtliche Tätigkeiten. Daran ändere auch das Überschreiten der Ehrenamtspauschale nichts. Alle Personen verfolgten mit der Tätigkeit altruistische Motive, keine Erwerbsabsichten. Diese seien freiwillig und weisungsfrei erbracht. Es würden lediglich Aufwandsentschädigungen gezahlt, deren Höhe für etwaige Auslagen (Fahrt- und Verpflegungskosten) angemessen sei. Dieser Beurteilung sei die Beklagte auch grundsätzlich ausweislich der Begründung im Bescheid gefolgt, habe aber aufgrund des Überschreitens der Ehrenamtspauschale doch eine Sozialversicherungspflicht angenommen. Allein hieraus werde gefolgert, dass es sich bei dem übersteigenden Teil nicht mehr um eine Aufwandsentschädigung, sondern um beitragspflichtiges Arbeitsentgelt handele. Dies bedeutet, dass die Bewertung derselben Tätigkeit unterschiedlich ausfalle, was rechtlich nicht haltbar sei. Es sei eine einheitliche Bewertung vorzunehmen. Die Einhaltung der steuerfreien Aufwandspauschale könne dabei nur ein Indiz sein. Das aktuelle Urteil des BSG vom 27.04.2021 bestätige, dass entscheidend sei, ob bei der ausgeübten Tätigkeit keine maßgebliche Erwerbsabsicht im Vordergrund stehe; finanzielle Zuwendungen würden daher die Unentgeltlichkeit des ehrenamtlichen Engagements keineswegs ausschließen (BSG, Urteil vom 27.04.2021 – B 12 KR 25/19 R und B 12 KR 8/20). Die im vorliegenden Fall gezahlten Beträge würden keineswegs evident über den tatsächlichen Aufwand für das Ehrenamt hinausgehen. Eine verdeckte Entlohnung liege nicht vor; irrelevant sei, ob der Aufwendungsersatz konkrete oder pauschal berechnete Aufwände abdecke. Mit Widerspruchsbescheid vom 13.07.2022 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Sie wiederholte hierbei die Ausführungen bezüglich Weisungsrecht und die Eingliederung in den Betriebsablauf und wies ergänzend darauf hin, dass sich an dem Ergebnis nichts ändere, weil die Personen ihre Tätigkeiten ehrenamtlich verrichteten. Zwar mögen diese ideelle Zwecke verfolgt haben, es läge aber nicht die nach der Rechtsprechung des BSG geforderte Unentgeltlichkeit vor. Bei den Zuwendungen an die Betroffenen in Höhe von 5,00 Euro pro Stunde handele es sich um eine verdeckte Entlohnung. Dieser knüpfe nicht an die konkrete Höhe bestimmter tatsächlich entstandener Sachaufwendungen an; es lasse sich vielmehr kein Unterschied zu einer Gegenleistung für erbrachte Arbeit erkennen. Auch übersteige die Zuwendung die Ehrenamtspauschale deutlich. 

Hiergegen hat die Klägerin am 15.08.2022 Klage erhoben. Sie bezieht sich auf ihre Ausführungen im Anhörungs- und Widerspruchsverfahren. Weiter weist sie nochmals darauf hin, dass die Beigeladenen und Frau G. ihre Tätigkeit freiwillig und weisungsfrei erbrachten. Sie hätten selbst bestimmt, wann sie tätig sein und dies selbst organisiert. Die Beklagte habe die besonderen Umstände im Einzelfall nicht berücksichtigt; die von ihr angeführten Aspekte zur Beurteilung einer abhängigen Beschäftigung seien der Tätigkeit immanent. Mit der Aufwandspauschale sollten nur die Selbstkosten abgedeckt werden; sie stelle eine Geste der Wertschätzung dar. Die Beigeladenen hätten ihr Tätigkeit jederzeit beenden können; es sei essentiell gewesen, dass sie ihrer Lebensgestalt nach Renteneintritt nicht eingeschränkt würden. Es habe keine Erwerbsabsicht bestanden. Die Tätigkeit der engagierten Rentner sei durch ideellen Zweck geprägt; ohne ehrenamtliche Tätigkeit könne die Klägerin den Museumsbetrieb in bisheriger Form nicht aufrechterhalten. In Reaktion auf den Widerspruchsbescheid seien die Öffnungszeiten drastisch beschränkt worden.  

Der Kläger beantragt,
den Bescheid vom 28.09.2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13.07.2022 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, den geleisteten Betrag von 12.832,42 EUR zuzüglich Zinsen in Höhe von 4% an die Klägerin zurückzuzahlen.

Die Beklagte beantragt, 

die Klage abzuweisen. 
Sie hält ihren Bescheid für rechtmäßig und bezieht sich auf ihr Vorbringen im Widerspruchsverfahren. 

Das Gericht hat den beteiligten Sozialversicherungsträgern mit Verfügung vom 13.03.2023 Gelegenheit gegeben, ihre Beiladung zu beantragten. Sodann hat das Gericht mit Beschluss vom 17.04.2023 die vier betroffenen Auftragnehmer sowie die Knappschaft Bahn-See Minijob Zentrale zum Rechtsstreit beigeladen. Mit weiterem Beschluss vom 31.05.2023 wurde der Beschluss vom 17.04.2023 dahingehend geändert, dass die Beiladung von Frau G. aufgrund deren Versterbens aufgehoben wurde. In der mündlichen Verhandlung hat das Gericht die Beigeladenen persönlich angehört.  

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vortrags der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen. Deren Inhalt war Gegenstand der Entscheidungsfindung.


Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig und begründet. Der Bescheid vom 28.09.2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13.07.2022 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Zu Unrecht hat die Beklagte festgestellt, dass die im Bescheid benannten Personen sozialversicherungspflichtig seien und die die steuerfreie Aufwandsentschädigung in Höhe von 720,00 Euro jährlich übersteigenden Beiträge nachgefordert. 

Die form- und fristgemäß erhobene Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage nach § 54 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft. Die Klage ist damit zulässig.

Sie ist auch begründet. Die ehrenamtliche Tätigkeit der Betroffenen begründet keine Sozialversicherungspflicht, da diese nicht abhängig – geringfügig - beschäftigt waren und kein Arbeitsentgelt erhielten. 

Personen, die gegen Arbeitsentgelt beschäftigt sind, unterliegen grundsätzlich in der Kranken- (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V), Pflege- (§ 20 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB XI), Renten- (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI) und Arbeitslosenversicherung (§ 25 Abs. 1 SGB III) der Versicherungs- und Beitragspflicht. Im Rahmen einer geringfügigen Beschäftigung nach § 8 SGB Abs. 1 Nr. 1 IV besteht allerdings nur Versicherungspflicht in der Rentenversicherung, § 7 Abs. 1 S. 1 SGB V, § 20 Abs. 1 S. 1 SGB XI, § 27 Abs. 2 S. 1 SGB III.  Nach § 8 Abs. 1 Nr. 1 SGB IV liegt eine geringfügige Beschäftigung vor, wenn das Arbeitsentgelt aus dieser Beschäftigung regelmäßig die Geringfügigkeitsgrenze nicht übersteigt. 

Zunächst lag kein Beschäftigungsverhältnis vor. Beurteilungsmaßstab für das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung ist § 7 Abs. 1 SGB IV. Hiernach ist Beschäftigung die nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis (S. 1). Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers (S. 2). Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG setzt eine abhängige Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Diese von der Rechtsprechung formulierten Kriterien orientieren sich am Typus des Arbeitnehmers, der in § 7 Abs. 1 S. 1 SGB IV als normativer Regelfall abhängiger Beschäftigung genannt wird. Kennzeichnend für die persönliche Abhängigkeit Beschäftigter ist ebenfalls, dass Beschäftigte ihre Arbeitsleistung auf der Grundlage eines gegenseitigen Vertrages oder Rechtsverhältnisses (insbesondere eines Arbeitsverhältnisses) erbringen, um als Gegenleistung dafür eine Entlohnung zu erhalten, sodass die Arbeitsleistung bei objektiver Betrachtung zu Erwerbszwecken erbracht wird (vgl. BSG, Urteil vom 16.08.2017 – B 12 KR 14/16 R). Demgegenüber ist eine selbstständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet.

Bei der Statusbeurteilung ist regelmäßig vom Inhalt der zwischen den Beteiligten getroffenen Vereinbarungen auszugehen. Liegen schriftliche Vereinbarungen vor, so ist neben deren Vereinbarkeit mit zwingendem Recht auch zu prüfen, ob mündliche oder konkludente Änderungen erfolgt sind. Diese sind ebenfalls nur maßgebend, soweit sie rechtlich zulässig sind. Schließlich ist auch die Ernsthaftigkeit der dokumentierten Vereinbarungen zu prüfen und auszuschließen, dass es sich hierbei um einen bloßen „Etikettenschwindel“ handelt, der unter Umständen als Scheingeschäft im Sinne des § 117 BGB zur Nichtigkeit dieser Vereinbarungen und der Notwendigkeit führen kann, gegebenenfalls den Inhalt eines hierdurch verdeckten Rechtsgeschäfts festzustellen. Erst auf der Grundlage der so getroffenen Feststellungen über den (wahren) Inhalt der Vereinbarungen ist eine wertende Zuordnung des Rechtsverhältnisses zum Typus der Beschäftigung oder selbstständigen Tätigkeit vorzunehmen und in einem weiteren Schritt zu prüfen, ob besondere Umstände vorliegen, die eine hiervon abweichende Beurteilung notwendig machen (vgl. zum Ganzen bspw. BSG, Urteil vom 14.03.2018 - B 12 KR 3/17 R m. w. N.).

Vorliegend existieren keine schriftlichen Vereinbarungen, so dass von den mündlichen Vereinbarungen und den tatsächlich gelebten Verhältnissen auszugehen ist. Diese ergeben sich aus dem Vortrag der Klägerin, den Angaben im Fragebogen der Beklagten aus dem Verwaltungsverfahren und der Befragung der Beigeladenen 1) bis 3) in der mündlichen Verhandlung. 

Nach Ansicht der Kammer lag eine persönliche Abhängigkeit der vier Personen wie bei Arbeitnehmern nicht vor. Die Betroffenen teilten sich die Arbeitszeit selbstständig ein; die Klägerin selbst erstellte keinen Dienstplan und kontrollierte den von den Auftragnehmern aufgestellten Plan auch nicht. So hat die Beigeladene zu 2) ausgeführt, am Eingang habe ein Kalender gestanden, dort hätten sie sich eingetragen. Die Schatzmeisterin der Klägerin hätte nur sporadisch geschaut, ob die Tage alle abgedeckt gewesen seien. Weiter waren die vier Personen auch nicht verpflichtet, ihre eingetragen „Dienste“ auch zu erbringen. Zwar hat die Beigeladene zu 2) auch ausgeführt, die Klägerin habe sich auf sie verlassen und wenn einer hätte absagen müssen, seien die anderen eingesprungen. Wenn aber bei kurzfristigen Absagen kein anderer hätte einspringen können, hätte das Museum geschlossen bleiben müssen. Dies hat auch der Vertreter der Klägerin bestätigt. Er führte aus, es könne jederzeit sein, dass man auch während der eigentliche Öffnungszeit vor verschlossenen Türen stände. Zur Überzeugung der Kammer waren die Auftragnehmer daher nicht im Sinne von Arbeitnehmern verpflichtet, ihre Dienste zu erbringen und alle Öffnungszeiten abzudecken. Sicher lag eine moralische Verpflichtung vor, die aber nach dem Willen der Beteiligten nicht rechtlich durchzusetzen gewesen wäre. Dies bestätigt auch die Aussage der Beigeladenen zu 2), sie habe immer große Reisen unternommen und sei dann auch länger weg gewesen. Weiter hatten sowohl die Klägerin wie auch die betroffenen Auftragnehmer angegeben, hinsichtlich der Art und Weise der Tätigkeit nur grobe Vorgaben bekommen, so die Höhe der abzukassierenden Eintrittsgelder und Aufzeichnung über die Einnahmen aus dem Museumsshop. Weitere Weisungen über die Art und Weise wurden allerdings zur Überzeugung der Kammer nach Anhörung der Beigeladenen 1) bis 3) nicht erteilt. 

Zuzugestehen ist der Beklagten, dass die Auftragnehmer dergestalt in den Betrieb der Klägerin eingebunden waren, als dass die Tätigkeit nur dort und nur zu den grundsätzlichen Öffnungszeiten des Museums zu erbringen war. Dies aber ist der Tätigkeit an der Kasse immanent; hieraus folgt nicht zwingend eine Arbeitnehmereigenschaft. Weiter ist der Beklagten zuzugestehen, dass die Tätigkeit der betroffenen Personen keine weiteren Merkmale einer selbstständigen Tätigkeit erfüllen. Die Auftragnehmer trugen weder ein Unternehmerrisiko, hielten eine Betriebsstätte oder setzten eigene Arbeitnehmer ein. Dies ist aber vorliegend irrelevant, da eine Selbstständigkeit der Tätigkeit im konkreten Fall gar nicht zur Diskussion steht. Streitig ist allein, ob die ehrenamtliche Tätigkeit der Betroffenen vier Personen eine Verpflichtung zur Beitragszahlung auslöst oder nicht.  

Weiter erbrachten die beteiligten Personen ihr ehrenamtliches Engagement nicht zu Erwerbszwecken oder in Erwartung einer finanziellen Gegenleistung. Die Kammer ist der Auffassung, dass die betroffenen Personen kein Arbeitsentgelt bezogen, sondern lediglich eine Aufwandsentschädigung für die ehrenamtliche Tätigkeit. Zwar schließt das Vorliegen eines Ehrenamtes nicht zwingend das Vorliegen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses aus. Ehrenamtliche Tätigkeit ist aber nicht auf Repräsentationsaufgaben beschränkt, sondern erhält sein Gepräge durch die Verfolgung ideeller Zwecke und Unentgeltlichkeit. Entgeltlichkeit ist zwar kein absolut zwingendes Kriterium abhängiger Beschäftigung, jedoch ist sie Typus bildend für die abhängige Beschäftigung, denn regelhaft liegt der Ausübung einer Beschäftigung ein Erwerbszweck zugrunde. Sofern finanzielle Zuwendungen erfolgen, schließen diese die Unentgeltlichkeit des ehrenamtlichen Engagements nicht prinzipiell aus. Sie sind unschädlich, wenn sie in Form von Aufwendungsersatz konkrete oder pauschal berechnete Aufwände abdecken. Im Rahmen einer Aufwandsentschädigung kann auch ein pauschaler Ausgleich für die übernommene Verpflichtung gewährt werden. Die Beurteilung der Erwerbsmäßigkeit erfolgt dabei nicht aus der subjektiven Sicht des Einzelnen; das ehrenamtliche Engagement ist objektiv abzugrenzen. Dazu ist zu klären, was vom ehrenamtlich Tätigen im konkreten Fall normativ oder mangels rechtlicher Regelung nach allgemeiner Verkehrsanschauung – von Aufwandsentschädigung und Aufwendungsersatz abgesehen – ohne Entlohnung seiner Arbeitskraft erwartet werden kann (vgl. BSG, Urteil vom 27.04.2021 – B 12 R 8/20 R; Urteil vom 16.08.2017 – B 12 KR 14/16 R). Unschädlich ist daher, dass die verstorbene Frau G. nicht mehr zur Erwerbsabsicht befragt werden konnte. 

Vorliegend sind die betroffenen Personen überwiegend Rentner, so dass sie die Tätigkeit in ihrem Ruhestand und neben dem Bezug einer Rente ausübten. Der Beigeladenen zu 1) war im Beurteilungszeitraum zwar kein Rentner, sondern hauptberuflich als freier Übersetzer tätig; in diesem Rahmen allerdings verfügte er auch über eine freie Zeiteinteilung und einen gesicherten Lebensunterhalt. Objektiv betrachtet kann im konkreten Fall nach allgemeiner Verkehrsanschauung von einem Rentner mit gesichertem Lebensunterhalt erwartet werden, dass er zur Zeitausfüllung und Interessensgestaltung sowie zur Teilhabe am öffentlichen Leben fünf Stunden am Tag und dies an mehreren Tagen im Monat eine Tätigkeit ohne Entlohnung seiner Arbeitskraft ausübt. Denn es ist objektiv davon auszugehen, dass der Lebensunterhalt gedeckt ist und die anderweitige Tätigkeit rein „zum Zeitvertreib“ erfolgt. 

Aus § 2 der Satzung des Vereins ergeben sich die Aufgaben des Vereins. Diese sind 1. Qualifizierte und allgemeinverständliche Darstellung von Liebigs Lebenswerk, insbesondere seiner Bedeutung für die Entwicklung der modernen Chemie und der menschlichen Gesellschaft; 2. Erhaltung und Pflege des originalen Liebig-Laboratoriums – des heutigen Liebig-Museums – mit seiner historischen Einrichtung und Sammlung; 3. Förderung der chemisch-historischen Forschung durch wissenschaftliche Bearbeitung von Liebigs Schriften und seiner Korrespondenz, 4. Museumsführungen, Vortragsveranstaltungen und Ausstellungen. Zur Überzeugung der Kammer wollten die Beigeladenen den Zweck des Vereins fördern und keine wirtschaftliche Tätigkeit zur Einkommenserzielung ausführen. Die Tätigkeiten an der Kasse und in der Museumsaufsicht gehen auch nicht über die sich aus der Satzung ergebenen mitgliedschaftlichen Pflichten hinaus, da sie allein der Durchführung von Ausstellungen, Führungen und allgemein dem Erhalt des Museums dienten. Hier ist darauf hinzuweisen, dass Justus Liebig in der Stadt A-Stadt eine herausragende Rolle spielt, was sich unter anderen daran zeigt, dass auch die Universität der Stadt nach ihm benannt ist. Damit ist gerade für Liebhaber der Chemie und Einwohner der Stadt A-Stadt das Museum von Bedeutung. Dass die benannten Personen sehr häufig im Einsatz waren, da sie nur zu dritt diese Tätigkeit ausübten, zeigt nach Auffassung der Kammer allein den Einsatz für das Ehrenamt, da ihnen der Erhalt des Museums am Herzen lag und andere Ehrenamtliche nicht gefunden werden konnten. 

Die Gewährung der Aufwandspauschale stellt keine Vergütung der Tätigkeit dar. Die Aufwandsentschädigung wurde pauschal pro Stunde gezahlt, weitere Kosten wie Fahrt- oder Verpflegungskosten wurden nicht übernommen. Eine verdeckte Vergütung ist nicht ersichtlich. Zwar knüpfte die Aufwandsentschädigung nicht an die konkrete Höhe bestimmter tatsächlich entstandener Sachaufwendungen, wohl aber an den mit der Tätigkeit zu erwartenden Aufwand, nämlich die im Museum verbrachte Zeit an. Auch die Höhe der gewährten Aufwandsentschädigung gibt keinen Anlass, eine verdeckte Vergütung anzunehmen. Es wurden 5,00 Euro pro Stunde gezahlt, womit sich keine Anhaltspunkte für einen Erwerbszweck ergeben. 

Dass sich die Höhe der Aufwandsentschädigung nicht an der Höhe der Ehrenamtspauschale im Sinne des § 3 Nr. 26a EStG a.F. anlehnte, sondern diese überstieg, ist nach Ansicht der Kammer unschädlich und macht die Aufwandspauschale vorliegend nicht zu Arbeitsentgelt. Nach § 3 Nr. 26a EStG a.F.  sind Aufwandsentschädigungen aus einer ehrenamtlichen Tätigkeit bis zur Höhe von 720,00 Euro steuer- und beitragsfrei. Soweit kein entlohntes abhängiges Beschäftigungsverhältnis im Sinne des § 7 Abs. 1 SGB IV im Zusammenhang mit der Tätigkeit aus dem Ehrenamt vorliegt, bleibt der übersteigende Teil auch beitragsfrei in der Sozialversicherung. 

Es lag damit kein Beschäftigungsverhältnis vor. Eine Einstufung der finanziellen Zuwendungen als Arbeitsentgelt nach § 14 SGB IV scheidet daher aus. 

Die Klage ist damit begründet, der angegriffene Bescheid aufzuheben. In der Folge ist die von der Klägerin schon geleistete Beitragsnachforderung von der Beklagten zurückzuzahlen, § 26 Abs. 2 SGB IV. Der Zinsanspruch ergibt sich aus § 27 Abs. 1 S. 1 SGB IV. Hiernach ist der Erstattungsanspruch nach Ablauf eines Kalendermonats nach Eingang des vollständigen Erstattungsantrags, beim Fehlen eines Antrags nach der Bekanntgabe der Entscheidung über die Erstattung bis zum Ablauf des Kalendermonats vor der Zahlung mit vier vom Hundert zu verzinsen. In einem zulässigen und begründeten Widerspruch gegen einen Beitragsbescheid oder in einer unter Vorbehalt erfolgten rechtswidrigen Beitragszahlung ist ein vollständiger Antrag auf Erstattung der Beiträge in der Regel enthalten (vgl. BeckOGK/Zieglmeier, Stand: 15.2.2023, SGB IV, § 27, Rn. 13). Gründe, vorliegend hiervon abzuweichen, sind nicht ersichtlich. Die Verzinsung ist daher einen Monat nach Eingang des Widerspruchsschreibens am 02.11.2020 und somit ab dem 02.12.2020 zu leisten. Nach § 27 Abs. 1 S. 2 SGB IV werden allerdings nur volle Euro-Beträge, weshalb auf eine Summe von 12.832,00 EUR abzustellen ist. 

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 52 Abs. 1 und 3 Gerichtskostengesetz (GKG).
 

Rechtskraft
Aus
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