Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 27.11.2023 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
Der Kläger wendet sich im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens gegen die Anrechnung seiner Rente aus einer berufsständischen Versorgungseinrichtung auf seine Witwerrente ab dem 01.03.2017 und die Nichtgewährung eines Beitragszuschusses zur Krankenversicherung ab dem 16.01.2017.
Der 1941 geborene Kläger war seit dem 06.12.2006 (Bl. 35 VA) bis zu ihrem Tod 2016 (Bl. 76 VA) in zweiter Ehe mit der am 01.12.1946 geborenen S1 (geschiedene S2, geborene S3; im Folgenden: die Versicherte) verheiratet. Die Versicherte bezog seit dem 01.12.2006 bis zu ihrem Tod eine Altersrente für Schwerbehinderte (s. Bl. 30 ff. VA). Der Kläger bezieht seit dem 01.12.2006 eine Rente aus einer berufsständischen Versorgungseinrichtung (Ärzteversorgung N1), die seit dem 01.01.2017 monatlich 3.310,70 € beträgt (Bl. 105 VA).
Am 16.01.2017 beantragte der Kläger eine Witwerrente bei der Beklagten (Bl. 95 ff. VA).
Mit Bescheid vom 13.02.2017 (Bl. 121 ff. VA) bewilligte die Beklagte dem Kläger ab dem 01.12.2016 eine große Witwerrente in Höhe von monatlich 1.124,65 €, bis zum 15.01.2017 zusätzlich einen Zuschuss zur freiwilligen Krankenversicherung bei der Krankenkasse AOK B1 in Höhe von monatlich 82,10 €, bezifferte die Nachzahlung vom 01.12.2016 bis zum 28.02.2017 auf insgesamt 2.309,93 € (sogenanntes Sterbevierteljahr) und verfügte aufgrund seines zu berücksichtigenden Einkommens gleichzeitig, dass die Rente ab dem 01.03.2017 nicht zu zahlen sei. Mit Bescheid vom 14.02.2017 (Bl. II5 VA) lehnte die Beklagte die Zahlung eines Zuschusses zu den Aufwendungen für die Krankenversicherung für die Zeit vom 15.01.2017 bis laufend ab, da der Kläger aufgrund der Hinterbliebenenrente versicherungspflichtig in der Krankenversicherung der Rentner (KVdR, § 5 Abs. 1 Nr. 11, 11a, 12 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch - SGB V -) und eine Befreiung von der Versicherungspflicht von der Krankenkasse nicht ausgesprochen worden sei (§ 8 SGB V). Hiergegen erhob der Bevollmächtigte des Klägers - jedoch ohne damals eine entsprechende Vollmacht vorzulegen - die Widersprüche vom 21.02.2017 (Bl. 139 VA) und vom 16.03.2017 (Bl. 145 VA) und begründete diese u.a. damit (Bl. 152 ff. VA), dass auch die Versicherte den Lebensstandard der Eheleute mitgeprägt habe und es daher nicht gerechtfertigt sei, ihm die Witwerrente aufgrund seines Erwerbsersatzeinkommens nicht auszuzahlen. Dieses sei ohnehin schon deswegen gemindert, als seine erste Ehe geschieden und ein Versorgungsausgleich durchgeführt worden sei, weshalb er eine erhebliche Minderung seines Erwerbsersatzeinkommens habe hinnehmen müssen. Auch im Sozialrecht müsse der familienrechtliche Selbstbehalt, der bei einem alleinstehenden Rentner bei mindestens 1.300,- € liege, und ein krankheitsbedingter Sonderbedarf berücksichtigt werden. Bei Unterhaltsansprüchen, deren Ersatz die Rente sei, müsse dem Halbteilungsgrundsatz entsprochen werden und einem Witwer müsse im Todesfall mindestens die Hälfte der Rente verbleiben. Die Nichtauszahlung der Witwerrente verstoße daher gegen den Schutz der Ehe (Art. 6 Grundgesetz - GG -) und gegen Art. 14 GG. Da auch trotz ausdrücklicher Aufforderung seitens der Beklagten sowohl an den Kläger persönlich als auch an den (vermeintlichen) Bevollmächtigten, eine Vollmacht nicht vorgelegt wurde (Bl. 142, 157 VA), wies die Beklagte die Widersprüche mit Widerspruchsbescheid vom 08.08.2019 (Bl. 162 VA) als unzulässig zurück.
In dem hiergegen vor dem Sozialgericht Stuttgart (SG) eingeleiteten Klageverfahren (S 22 R 3927/19) einigten sich die Beteiligten nach Vorlage der Vollmachten vom 13.03.2017 und vom 13.09.2019 (Bl. 26 f. SG-Akte S 22 R 3927/19) vergleichsweise darauf (Bl. 58 f. SG-Akte S 22 R 3927/19), die beiden Widerspruchsverfahren des Klägers auf Gewährung einer großen Witwerrente für die Zeit ab dem 01.03.2017 und auf Gewährung eines Zuschusses zur Krankenversicherung für die Zeit ab dem 16.01.2017 als Überprüfungsverfahren gemäß § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) fortzuführen.
Mit Bescheid vom 28.01.2021 lehnte die Beklagte sodann die Rücknahme des Bescheides vom 13.02.2017 nach § 44 SGB X ab (Bl. 214 f. VA). Das Einkommen des Klägers sei gemäß § 97 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) auf die Witwerrente anzurechnen, so dass kein zahlbarer Rentenanspruch bestehe. Der Einwand des Schutzes von Eigentum verfange nicht, weil der Kläger keine Beiträge zum Erhalt der Sozialleistung entrichtet habe. Es bestehe auch kein Anspruch auf Beitragszuschuss, da er laut seiner Krankenkasse im Anspruchszeitraum der Witwerrente in der Krankenversicherung pflichtversichert gewesen sei. Hiergegen erhob der Kläger am 17.02.2017 Widerspruch (Bl. 216 VA). Mit (separatem) Bescheid vom 08.04.2021 lehnte die Beklagte auch die Rücknahme des Bescheides vom 14.02.2017 gemäß § 44 SGB X ausdrücklich ab (Bl. 224 f. VA). Mit Schreiben vom 01.07.2021 (Bl. 237 VA) teilte sie dem Kläger mit, dass der Bescheid vom 08.04.2021 gemäß § 86 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zum Gegenstand des anhängigen Widerspruchsverfahrens geworden sei. Mit Widerspruchsbescheid vom 07.10.2021 wies die Beklagte den Widerspruch gegen den Bescheid vom 28.01.2021 in Verbindung mit dem Bescheid vom 08.04.2021 zurück (Bl. 240 f. VA).
Hiergegen hat der Kläger am 14.10.2021 wiederum Klage beim SG erhoben, zur Begründung seine bisherigen Argumente wiederholt und vertieft und u.a. unter Bezugnahme auf Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG 26.05.2020, 1 BvL 5/18, zitiert - wie sämtliche Rechtsprechung - nach juris) ausgeführt, dass die Verweigerung der großen Witwerrente und des Krankengeldzuschusses bei einem in erster Ehe geschiedenen Bürger verfassungswidrig sei, da er bereits „Opfer“ eines verfassungsrechtlich zu beanstandenden Versorgungsausgleichs geworden sei. Zwar seien nach dem BVerfG gewisse Typisierungen in Normen zulässig, die jedoch „realitätsgerecht“ sein müssten. Für diese Typisierungen dürfe jedoch kein atypischer Fall als Leitbild gewählt werden. Da in Deutschland immer noch mindestens 1/3 aller Ehen geschieden würden, sei schon deshalb eine generelle Typisierungsmöglichkeit bei der großen Witwenrente zu verneinen, insbesondere dann, wenn bei einem Empfänger bereits in einem Versorgungsausgleichsverfahren eine Zwangsteilung von Anwartschaften nach deutschem Familienrecht stattgefunden habe, die ihrerseits der Vermeidung von Altersarmut diene. Es werde bestritten, dass ein Ehepartner oder eine Ehepartnerin, der/die in erster Ehe bereits einen gesetzlich vorgesehenen zwangsweisen Versorgungsausgleich im Rahmen eines innerdeutschen Scheidungsverfahrens durchgeführt habe, mit einem verwitweten Ehepartner in erster Ehe gleichzustellen sei, da kein im Sinne von Art. 3 GG rechtfertigender Grund ersichtlich sei. Insgesamt liege ein Verstoß gegen Art. 3 GG, Art. 14 GG und Art. 6 GG vor.
„Vorsorglich“ hat der Kläger eine Richtervorlage gemäß Art. 100 GG an das BVerfG beantragt.
Mit Gerichtsbescheid vom 27.11.2023 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die angefochtenen Bescheide vom 28.01.2021 und 08.04.2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 07.10.2021 rechtmäßig seien, da der Kläger keinen Anspruch auf Abänderung der Bescheide vom 13.02.2017 und vom 14.02.2017, jeweils in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 08.08.2019 habe. Die Beklagte habe die Rente des Klägers aus der berufsständischen Versorgung (Ärzteversorgung) zu Recht auf die gesetzliche Hinterbliebenenrente angerechnet und dem Kläger stehe auch über den 15.01.2017 hinaus kein Anspruch auf Beitragszuschuss zu. Zwar lägen grundsätzlich die Voraussetzungen für die Gewährung einer Witwerrente gemäß § 46 Abs. 2 SGB VI vor; allerdings habe der Kläger nach dem am 28.02.2017 endenden sogenannten Sterbevierteljahr (§ 67 Nr. 6 SGB VI) keinen Anspruch mehr auf diese Rente, da die von ihm seitens der Ärzteversorgung N1 bezogene Rente anzurechnendes Einkommen darstelle und die maßgebliche Hinzuverdienstgrenze des § 97 SGB VI überschreite. Es bestehe auch über den 15.01.2017 hinaus kein Anspruch auf Zuschuss zur Krankenversicherung, da der Kläger vom 16.01.2017 bis 28.02.2017 aufgrund der bezogenen Hinterbliebenenrente pflichtversichert in der KVdR gewesen sei (§ 106 Abs. 1 Satz 2 SGB VI i.V.m. § 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V) und ab 01.03.2017 kein Anspruch auf Hinterbliebenenrente (mehr) bestanden habe. Der Zuschuss zur Krankenversicherung setze jedoch eine Rentenzahlung voraus. Zudem bestünden auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Anrechnung von Erwerbsersatzeinkommen auf die gesetzliche Hinterbliebenenrente. Das BVerfG habe bereits entschieden (Beschluss vom 18.02.1998, 1 BvR 1318/86), dass die Anrechnung von Erwerbs- und Erwerbsersatzeinkommen auf die gesetzliche Hinterbliebenenrente nicht die verfassungsrechtliche Eigentumsgarantie des Art. 14 GG berühre, da die Hinterbliebenenversorgung dem Versicherten schon nicht als „seine Rechtsposition“ zugeordnet werden könne. Überdies stelle sie eine vorwiegend fürsorgerisch motivierte Leistung dar, zumal sie ohne eigene Beitragsleistung des Rentenempfängers und ohne erhöhte Beitragsleistung des Versicherten gewährt werde (Landessozialgericht - LSG - Baden-Württemberg 16.03.2022, L 2 R 3787/21; LSG Mecklenburg-Vorpommern 13.06.2019, L 4 R 21/17). Da die Hinterbliebenenrente nicht auf einer speziell dafür erhobenen eigenen Beitragsleistung des Versicherten oder des Berechtigten beruhe, sondern gerade verheiratete Versicherte begünstigt würden, könne ihr auch nicht in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 GG eine eigentumsgeschützte Rechtsposition zuerkannt werden (LSG Nordrhein-Westfalen 29.11.2022, L 4 RA 45/02). Insgesamt habe die Hinterbliebenenrente eine Unterhaltsersatzfunktion, weshalb die Berücksichtigung des eigenen Einkommens der Hinterbliebenen nach der Rechtsprechung des BVerfG (a.a.O.) sachgerecht und unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten nicht zu beanstanden sei und auch keine Systemwidrigkeit begründe (LSG Baden-Württemberg 24.06.2014, L 11 R 3853/13). Dass diese Berücksichtigung in pauschalierender Weise erfolge, sei angesichts der Vielfalt der zu regelnden Fälle sachlich vertretbar (Bundessozialgericht - BSG - 06.09.2001, B 5 RJ 28/00 R). Soweit der Kläger vorbringe, der damalige Versorgungsausgleich sei verfassungswidrig durchgeführt worden, habe dies keine Auswirkungen auf das vorliegende Verfahren. Der Einwand verfassungsrechtlicher Bedenken gegen familien- bzw. versorgungsrechtliche Regelungen hätte im Scheidungsverfahren vorgebracht werden müssen.
Gegen den - seinen Prozessbevollmächtigten am 01.12.2023 zugestellten - Gerichtsbescheid hat der Kläger am 11.12.2023 Berufung beim LSG Baden-Württemberg eingelegt. Zur Begründung hat er einerseits seinen bisherigen Vortrag (abermals) wiederholt und vertieft, ausgeführt, dass die Gerichte gemäß § 31 Abs. 1 Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG) an die Rechtsprechung des BVerfG und somit auch an das Urteil vom 26.05.2020 (1 BvL 5/18) gebunden seien sowie zudem vorgebracht, der erstinstanzliche Gerichtsbescheid beruhe auf einem wesentlichen Verfahrensfehler, da das SG dem „beiderseitigen Antrag der Beteiligten auf Richtervorlage wegen Grundrechtsverletzungen“ ermessensfehlerhaft nicht nachgekommen sei.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 27.11.2023 und den Bescheid der Beklagten vom 28.01.2021 in der Fassung des Bescheides vom 08.04.2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.10.2021 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung der Bescheide der Beklagten vom 13.02.2017 und 14.02.2017 jeweils in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.08.2019 zu verurteilen, ihm auch ab dem 01.03.2017 eine große Witwerrente und ab dem 16.01.2017 einen Beitragszuschuss zur Krankenversicherung zu gewähren,
hilfsweise das Berufungsverfahren auszusetzen und zur Klärung der Frage, ob § 97 SGB VI, der keine Ausnahmeregelung von der Einkommensanrechnung für Wiederverheiratete enthält, verfassungsgemäß ist, dem Bundesverfassungsgericht vorzulegen,
höchsthilfsweise die Revision zuzulassen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie beruft sich auf ihren bisherigen Vortrag und die Ausführungen im erstinstanzlichen Gerichtsbescheid.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten sowie die erstinstanzlichen Prozessakten der Verfahren S 22 R 3414/23 und S 18 R 3845/21 sowie die Senatsakte verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die gemäß § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte und gemäß den §§ 143, 144 SGG statthafte Berufung des Klägers, ist zulässig, jedoch unbegründet.
Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen, denn der Bescheid der Beklagten vom 28.01.2021 in der Fassung des Bescheides vom 08.04.2021 - dieser ersetzt und ergänzt den Bescheid vom 28.01.2021 in Bezug auf die dort getroffene Regelung zur Gewährung eines Beitragszuschusses zur Krankenversicherung gemäß § 86 SGG insoweit, als er nunmehr ausdrücklich verfügt, dass auch der Bescheid vom 14.02.2017 nicht gemäß § 44 SGB X zurückgenommen wird - in der Gestalt (§ 95 SGG) des Widerspruchsbescheides vom 07.10.2021 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Abänderung des Bescheides vom 13.02.2017 und Aufhebung des Bescheides vom 14.02.2017, jeweils in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.08.2019, sowie Gewährung einer großen Witwerrente über den 28.02.2017 und eines Beitragszuschusses zur Krankenversicherung über den 15.01.2017 hinaus.
Das SG hat die rechtlichen Grundlagen des im Wege des Überprüfungsverfahrens nach § 44 Abs. 1 SGB X geltend gemachten Anspruchs auf Witwerrente gemäß § 46 Abs. 2 SGB VI und auf Beitragszuschuss zur Krankenversicherung gemäß § 106 Abs. 1 SGB VI sowie die gesetzlichen Regelungen zur Anrechnung von Einkommen gemäß §§ 97 Abs. 1, 67 Nr. 6 SGB VI i.V.m. § 18a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) zutreffend dargelegt und ebenso zutreffend unter Bezugnahme u.a. auf die Rechtsprechung des BVerfG ausgeführt, dass der Kläger weder ab dem 01.03.2017 einen Anspruch auf Auszahlung der großen Witwerrente, noch ab dem 16.01.2017 einen solchen auf Beitragszuschuss zur Krankenversicherung hat, eine Verfassungswidrigkeit der in § 97 SGB VI getroffenen Anrechnungsregelung nicht ersichtlich ist und die Rechtmäßigkeit des zu Lasten des Klägers anlässlich seiner Ehescheidung erfolgten Versorgungsausgleichs nicht zur Prüfung im Verfahren auf Gewährung einer Witwerrente steht. Der Senat sieht deshalb gemäß § 153 Abs. 2 SGG insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab und weist die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung zurück.
Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass sich das vom Kläger zitierte Urteil des BVerfG vom 26.05.2020 (1 BvL 5/18), auf das er seine Berufung u.a. maßgeblich stützt, ausschließlich mit der Verfassungsmäßigkeit des Versorgungsausgleichs gemäß § 17 Versorgungsausgleichsgesetz (VersAusglG) und gerade nicht mit der in § 97 SGB VI getroffenen Anrechnungsregelung befasst und somit schon keine Relevanz für deren Verfassungsmäßigkeit hat, weshalb auch der Hinweis des Klägers, die Gerichte seien gemäß § 31 BVerfGG an die Rechtsprechung des BVerfG gebunden, insoweit ins Leere geht.
Im Übrigen vermag der Senat mitnichten das Argument des Klägers nachzuvollziehen, § 97 SGB VI verstoße schon deshalb gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 GG, weil ein in erster Ehe geschiedener und in zweiter Ehe verwitweter Ehegatte schon wegen des - anlässlich der Scheidung - „zwangsweise“ durchgeführten Versorgungsausgleichs nicht einem in erster Ehe verwitweten Ehegatten gleichzustellen sei. Art. 3 Abs. 1 GG gebietet dem Gesetzgeber, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln. Dabei gilt ein stufenloser, am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierter verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab, dessen Inhalt und Grenzen sich nicht abstrakt, sondern nur nach den jeweils betroffenen unterschiedlichen Sach- und Regelungsbereichen bestimmen lassen. Hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Anforderungen an den die Ungleichbehandlung tragenden Sachgrund ergeben sich aus dem allgemeinen Gleichheitssatz je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber, die von gelockerten, auf das Willkürverbot beschränkten Bindungen bis hin zu strengen Verhältnismäßigkeitserfordernissen reichen können (st. Rspr.; z.B. BVerfG 17.06.2020, 1 BvR 1134/15, Rn. 9). Umgekehrt erweitern sich mit abnehmender Prüfungsstrenge die Gestaltungs- und Bewertungsspielräume des Gesetzgebers bei steigender „Typisierungstoleranz“. Im Bereich der leistenden Massenverwaltung sind die Gestaltungsspielräume des Gesetzgebers besonders groß (vgl. BVerfG 27.07.2016, 1 BvR 371/11, Rn. 69 m.w.N.). In Anwendung des allgemeinen Gleichheitssatzes ist dort nur zu überprüfen, ob der Gesetzgeber die verfassungsrechtlichen Grenzen seiner Gestaltungsfreiheit überschritten hat und nicht, ob er unter verschiedenen Lösungen die gerechteste und zweckmäßigste gewählt hat (st. Rspr.; z.B. BVerfG 08.06.2004, 2 BvL 5/00, Rn. 73 m.w.N.). Der Gesetzgeber ist in diesem Zusammenhang insbesondere frei darüber zu befinden, was als im Wesentlichen gleich und was als so verschieden anzusehen ist, dass die Verschiedenheit eine Ungleichbehandlung rechtfertigt (st.Rspr.; z.B. BVerfG 30.09.1987, 2 BvR 933/82, Rn. 139). Gemessen am Normzweck des § 97 SGB VI, durch die Anrechnung eigenen Einkommens auf die Hinterbliebenenversorgung eine Über- oder Doppelversorgung zu vermeiden und daneben im Wege des sozialen Ausgleichs sozial Schwächeren eine relativ höhere Sicherung zukommen zu lassen und dabei insgesamt die Funktionsfähigkeit des Systems der gesetzlichen Rentenversicherung zu erhalten (BSG 17.04.2012, B 13 R 15/11 R), liegt schon die vom Kläger postulierte wesentliche Ungleichheit überhaupt nicht vor. Schließlich stellt § 97 SGB VI ausschließlich auf dasjenige Einkommen des verwitweten Ehegatten ab, das mit der Witwen- bzw. Witwerrente zusammentrifft, also auf das bereits um den anlässlich der Ehescheidung durchgeführten Versorgungsausgleich geminderte tatsächliche Einkommen. Verfügt der Hinterbliebene aber - wie hier - über ausreichendes eigenes Einkommen, ist eine Versorgungslücke, die durch eine Hinterbliebenenrente geschlossen werden müsste, nicht gegeben. Insoweit ist völlig irrelevant, ob zu einem früheren Zeitpunkt ein Versorgungsausgleich durchgeführt wurde oder nicht.
Ebenso liegt kein Verstoß gegen Art. 14 Abs. 1 GG vor. Die Hinterbliebenenrente ist eine vorwiegend fürsorgerisch motivierte Leistung, weil sie ohne eigene Leistung des Rentenempfängers und ohne erhöhte Beitragsleistung des Versicherten gewährt wird. Sie ersetzt in der Person des Berechtigten nicht früheres eigenes Einkommen, sondern den Unterhalt, den der verstorbene Versicherte vordem aus seinem Einkommen geleistet hat und genießt damit nicht den Schutz des Eigentums nach Art. 14 GG (BVerfG 18.02.1998, 1 BvR 1318/86 und 1 BvR 1484/86). Mitnichten erwirbt der (überlebende) Ehegatte bereits mit der Eheschließung eine durch Art. 14 GG geschützte Anwartschaft auf Hinterbliebenenversorgung, wie der Bevollmächtigte des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat gemeint hat.
Entgegen des Vorbringens des Klägers beruht der erstinstanzliche Gerichtsbescheid auch nicht deshalb auf einem Verfahrensfehler, weil das SG das Verfahren nicht ausgesetzt und nicht zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des § 97 SGB VI gemäß Art. 100 GG dem BVerfG vorgelegt hat. Nach Art. 100 Abs. 1 GG kommt eine Aussetzung des Verfahrens und Vorlage an das BVerfG nur dann in Betracht, wenn das erkennende Gericht ein Gesetz, auf dessen Gültigkeit es bei der Entscheidung ankommt, für verfassungswidrig hält. Es kommt folglich ausschließlich auf die Überzeugung des erkennenden Gerichts an. Ob die Beteiligten eine entsprechende Regelung wünschen bzw. beantragen, ist irrelevant.
Letztlich hat das Vorbringen des Prozessbevollmächtigten der Klägerin aber ohnehin auch wegen prozessualer Überholung keinerlei weitere Relevanz, nachdem der Senat über den Streitfall aufgrund eigener Prüfung und Würdigung als Tatsachengericht entschieden hat (§ 157 SGG). Auch der Senat hat keine Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der Anrechnungsregelung des § 97 SGB VI, denn die Grundsätze der Anrechnung von Erwerbs- und Erwerbsersatzeinkommen auf Hinterbliebenenrenten sind in der verfassungsrechtlichen Rechtsprechung bereits geklärt (vgl. BVerfG 18.02.1998, 1 BvR 1318/86 und 1 BvR 1484/86). Der Umstand, dass diese Entscheidungen schon mehr als 25 Jahre alt sind - wie vom Kläger moniert -, ändert hieran nichts, denn an der Systematik der Hinterbliebenenrenten hat sich seither nichts verändert. Der Senat sieht daher keine Veranlassung ein Normenkontrollverfahren gemäß Art. 100 Abs. 1 GG einzuleiten. Dem Hilfsantrag des Klägers ist daher nicht nachzukommen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht gegeben sind. Weder hat die vorliegende Rechtssache grundsätzliche Bedeutung (Nr. 1), noch weicht das Urteil des Senats von einer Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des BVerfG ab und beruht folglich auch nicht darauf (Nr. 2). Daher ist der Senat auch nicht gehalten gewesen, diesem Hilfsantrag des Klägers nachzukommen.
Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
10.
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 18 R 3845/21
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 R 3414/23
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Rechtskraft
Aus
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