Zur Frage der doppelten Rechtshängigkeit bei Klageeinreichung bei einem anderen Gericht als dem zuständigen Gericht der Sozialgerichtsbarkeit
I. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 13.08.2024 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
T a t b e s t a n d :
Streitig ist, ob die Beklagte die Infektion des Klägers mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 als Arbeitsunfall im Sinne des § 8 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (SGB VII) anzuerkennen hat.
Der Kläger ist im Jahr 1981 geboren. Er war ab 2018 als Bereichsleiter Verwaltung im K e.V. beschäftigt.
Am 13.03.2020 wurde beim Kläger eine Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 festgestellt; der Kläger nimmt an, dass er sich bei einer dienstlichen Besprechung am 12.03.2020 angesteckt hat. Er ist seither arbeitsunfähig krank. Diese Erkrankung ist von der Beklagten mit Bescheid vom 26.10.2022 als Berufskrankheit nach Nr. 3101 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung anerkannt worden.
Mit Bescheid vom 07.10.2021 stellte die Beklagte die Zahlung von Verletztengeld zum Ablauf des 13.10.2021 gemäß § 46 Abs. 3 SGB VII ein. Der dagegen vom Kläger erhobene Widerspruch wurde mit per Einschreiben übermitteltem Widerspruchsbescheid vom 15.12.2021 zurückgewiesen.
Mit Schreiben vom 10.04.2024 hat der Kläger zum Amtsgericht (AG) Bad Aibling, einer Zweigstelle des AG Rosenheim, eine "Feststellungsklage" "gegen Widerspruchsbescheid der BGW Berufsgenossenschaft für Pflege und Wohlfahrt - Bezirksverwaltung München vom 18.12.2021" "betreffend AZ: neu Klage zur Feststellung eines Arbeitsunfalls des Klägers nach allgemeiner und gesetzliche Definition des Arbeitsunfalls gemäß SGB" erhoben.
Mit Schreiben vom 08.05.2024, eingegangen bei Gericht am 13.05.2024, erhob der Kläger zum Sozialgericht (SG) München eine identische Feststellungsklage wie im Schreiben vom 10.04.2024. Dieses Verfahren wurde unter dem Aktenzeichen S 24 U 187/24 geführt (Ausgang: klageabweisender Gerichtsbescheid vom 13.08.2024, S 24 U 187/24; die dagegen erhobene Berufung zum Bayer. Landessozialgericht - LSG -, L 2 U 250/24, nahm der Kläger in der Folge zurück.).
Mit Beschluss vom 14.05.2024 hat das AG Rosenheim nach Anhörung des Klägers und der Beklagten den Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten hinsichtlich der vom Kläger erhobenen Feststellungsklage vom 10.04.2024 für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das SG München verwiesen. Eingegangen ist dieser Beschluss beim SG München am 16.05.2024.
Mit Gerichtsbescheid vom 13.08.2024 hat das SG die Klage abgewiesen und dies damit begründet, dass mit der unter dem Aktenzeichen S 24 U 187/24 erfassten und zuvor eingegangenen Klage eine doppelte Rechtshängigkeit bestehe, sodass die zweite, die streitgegenständliche, Klage unzulässig sei.
Mit Schreiben vom 02.09.2024, eingegangen am selben Tag, hat der Kläger Berufung zum Bayer. LSG eingelegt. Zur Begründung hat er vorgetragen, dass "der Kern der simplen Feststellungsklage nicht erkannt und nicht berücksichtigt" werde. Zum Gesichtspunkt der doppelten Rechtshängigkeit hat er darauf hingewiesen, dass sich diese lediglich aus der Unkenntnis der Zuständigkeit ergebe. Der Kläger hat seinen Unmut über das Verhalten des AG Rosenheim zum Ausdruck gebracht, "da dort auch ohne Kenntnis und Berücksichtigung der laufenden Verfahren am Sozialgericht München die Akte und simple Feststellung hätte ohne Aufwand erfolgen können. Wie Sie sicherlich wissen, kann auch jeder Beamte etwa der Bürgermeister oder Angestellte der Gemeinden etwa B die Feststellung ebenso gültig durchführen. Dies wird nun baldigst geschehen. Das Gericht kann doch auch einfach nur beide Aktenzeichen für war erklären und der Feststellung zustimmen." Abschließend hat er als leichteste Möglichkeit, das Verfahren zum Abschluss zu bringen, angeboten, das Verfahren durch den von ihm vorgeschlagenen Prozessvergleich (, wonach die Beklagte ihm u.a. eine monatliche Rente von 24.495,- € steuerfrei und netto ab dem 01.06.2023 zu zahlen habe,) zu beenden. Er selbst habe "in keinster Weise die Absicht ... nachzugeben."
Mit Schreiben vom 27.11.2024 hat der Kläger, dessen persönliches Erscheinen zur mündlichen Verhandlung am 28.11.2024 nicht angeordnet worden war, seine "Absage zur Teilnahme am Verhandlungstermin" mitgeteilt und dies wie folgt erläutert: "Dazu muss ich ihnen leider mitteile, dass ich an den Besagten Verhandlungsterminen (28.11.2024) nicht persönlich erscheinen kann. Aus Gesundheitlichen Gründen und weiteren Behandlungsterminen die mit ihrer Einladung kollidieren. Eine Verhanldung pack ich eh nicht. Danke für lhr Verständis, ich wünsche Ihnen vorab gutes Gelingen."
Der Kläger beantragt
die Feststellung, dass die am 12.03.2020 erfolgte Infektion des Klägers mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 ein Arbeitsunfall im Sinne des § 8 Abs. 1 SGB VII ist.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Beigezogen worden sind die Akte des SG sowie die Verwaltungsakte der Beklagten. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt dieser Akten und der Berufungsakte, die allesamt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen. Vorgelegen haben auch die Akten der weiteren drei Berufungsverfahren des Klägers (L 2 U 78/24, L 2 U 79/24 und L 2 U 250/24) samt den zugehörigen Akten des SG.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
Der Senat hat in Abwesenheit des Klägers verhandeln und entscheiden können, da dieser mit Schreiben des Gerichts vom 08.11.2024, dem Kläger am 13.11.2024 mittels Postzustellungsurkunde zugestellt, über den Termin zur mündlichen Verhandlung informiert und dabei auch auf die Folgen eines Ausbleibens hingewiesen worden ist (§ 110 Abs. 1 Satz 2, § 153 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG -). Der Kläger hat zudem per Fax am Vortag der mündlichen Verhandlung mitgeteilt, dass er beim angesetzten Termin der mündlichen Verhandlung nicht erscheinen werde; eine Terminsverlegung hat er nicht beantragt, sondern dem Gericht ein "gutes Gelingen" bei der mündlichen Verhandlung gewünscht, also eine Terminsverlegung gerade nicht gewünscht.
Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet.
Das SG hat die Feststellungsklage zu Recht wegen Unzulässigkeit abgewiesen. Mit der unter dem Aktenzeichen S 24 U 187/24 am 13.05.2024 zum SG München erhobenen Klage, die mit Klageeingang beim SG am 13.05.2024 rechtshängig geworden war, war zum Eintritt der Rechtshängigkeit der streitgegenständlichen Klage zum selben Streitgegenstand bereits ein Klageverfahren anhängig, sodass die streitgegenständliche Klage als zeitlich später erhobene Klage wegen doppelter Rechtshängigkeit unzulässig ist.
Im sozialgerichtlichen Verfahren tritt Rechtshängigkeit nach § 94 Satz 1 SGG durch Erhebung der Klage ein. Nach § 90 SGG ist die Klage bei dem zuständigen Gericht der Sozialgerichtsbarkeit schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle zu erheben. Voraussetzung der Klageerhebung ist zudem, dass diese willentlich mit dem Ziel der Überprüfung einer Verwaltungsentscheidung oder eines Verwaltungshandelns durch das Gericht erfolgt.
Wird eine Klage nicht "bei dem zuständigen Gericht der Sozialgerichtsbarkeit" (§ 90 SGG), d.h. nicht bei dem örtlich und sachlich zuständigen Gericht, abgegeben, ist zu differenzieren:
* Soll die Klage bei dem für die Klage zuständigen Gericht erhoben sein oder ist sie an ein anderes Gericht als das, bei dem sie abgegeben wird, adressiert, liegt ein Fall des § 91 Abs. 1 SGG vor, wobei auch Gerichte unter den Behördenbegriff des § 91 Abs. 1 SGG fallen können (vgl. Föllmer in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 2. Aufl., Stand: 23.12.2022, § 91 SGG, Rdnr. 18). Solche Fälle sind dann gegeben, wenn ersichtlich ist, dass der Kläger das Gericht, bei dem er die Klage abgibt, lediglich zu der nach § 91 Abs. 1 SGG vorgesehenen Fristwahrung nutzen will und eine Weitergabe an das zuständige Gericht der Sozialgerichtsbarkeit erwartet (§ 91 Abs. 2 SGG).
In einem derartigen Fall hat das angegangene Gericht die Klage formlos im Sinne des § 91 Abs. 2 SGG an das zuständige Gericht der Sozialgerichtsbarkeit abzugeben.
Rechtshängigkeit tritt in einem solchen Fall erst mit Eingang der Klageschrift bei dem zuständigen Gericht ein. Die Wirkung des § 91 Abs. 1 SGG erstreckt sich lediglich auf die Fristwahrung, nicht aber auf die Rechtshängigkeit. Die Rechtshängigkeit tritt erst mit Eingang beim zuständigen Gericht ein (vgl. Föllmer, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 2. Aufl., Stand: 06.11.2024, § 90 SGG, Rdnr. 48).
* Wird hingegen die Klage bei dem vermeintlich zuständigen Gericht, also dem Gericht, das der Kläger subjektiv für zuständig hält, erhoben, muss das erstangegangene Gericht nach § 98 SGG i.V.m. §§ 17 ff. Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) vorgehen.
In einem solchen Fall ist die Klage nach (der jeweiligen Regelung der einschlägigen Prozessordnung i.V.m.) § 17a Abs. 2 Satz 1 GVG an das zuständige Sozialgericht mit gerichtlichem Beschluss zu verweisen.
Nach § 17b Abs. 1 Satz 1 GVG wird nach Eintritt der Rechtskraft des Verweisungsbeschlusses der Rechtsstreit mit Eingang der Akten bei dem im Beschluss bezeichneten Gericht anhängig, wobei Anhängigkeit die formelle prozessuale Zuordnung des Rechtsstreits bedeutet und von der Rechtshängigkeit zu unterscheiden ist. Die Wirkungen der Rechtshängigkeit bleiben gemäß § 17b Abs. 1 Satz 2 GVG bestehen. Dies bedeutet, dass eine Rechtshängigkeit bereits beim erstangegangenen Gericht eingetreten sein kann, wenn die dafür erforderlichen Voraussetzungen nach den für das erstangegangene Gericht geltenden Vorschriften erfüllt sind (missverständlich Föllmer, a.a.O., Rdnr. 37, der pauschal von einer Rechtshängigkeit beim erstangegangenen Gericht ausgeht, "da durch die bewusste Inanspruchnahme Rechtshängigkeit eingetreten ist". Föllmer übersieht dabei, dass die Voraussetzungen für den Eintritt der Rechtshängigkeit nach den gerichtlichen Verfahrensordnungen nicht identisch sind und daher nicht immer - wie in § 94 SGG - der Klageeingang allein bereits die Rechtshängigkeit begründet). Ist hingegen beim erstangegangenen Gericht noch keine Rechtshängigkeit eingetreten, beurteilt sich die Rechtshängigkeit nach § 94 SGG.
Vorliegend hat der Kläger zwei inhaltlich identische Feststellungsklagen erhoben. Sowohl die mit Schreiben vom 08.05.2024 zum SG München erhobene Feststellungsklage als auch die mit Schreiben vom 10.04.2024 beim AG Rosenheim (Zweigstelle Bad Aibling) eingereichte Feststellungsklage betreffen exakt den gleichen Streitgegenstand, nämlich die gegen die Beklagte erhobene "Klage zur Feststellung eines Arbeitsunfalls des Klägers nach allgemeiner und gesetzliche Definition des Arbeitsunfalls gemäß SGB".
Die Klage zum SG München (Az. S 24 U 187/24) ist vor der zum AG Rosenheim erhobenen Klage, die Gegenstand des Verfahrens ist, rechtshängig geworden:
* Rechtshängigkeit der mit Schreiben vom 08.05.2024 zum SG München erhobenen Feststellungsklage ist nach § 94 Satz 1 SGG mit Eingang dieses Schreibens bei m SG am 13.05.2024 eingetreten.
* Rechtshängigkeit der mit Schreiben vom 10.04.2024 zum AG Rosenheim erhobenen Klage, der streitgegenständlichen Klage, ist erst am 16.05.2024 mit Eingang des Verweisungsbeschlusses des AG Rosenheim beim SG München eingetreten; zuvor war diese Feststellungsklage nicht rechtshängig.
Die Feststellungsklage im Schreiben vom 10.04.2024 hat der Kläger an das AG Rosenheim gerichtet, weil er der Meinung war, dass dieses Gericht für die Feststellungsklage sachlich und örtlich zuständig sei. Dies ergibt eine Auslegung dieses Schreibens. Ganz abgesehen davon, dass im Regelfall davon auszugehen ist, dass die Klage an das vermeintlich zuständige Gericht adressiert wird, also bei dem Gericht erhoben wird, das der Kläger für zuständig hält (vgl. Schmidt, in: Meyer-Ladewig/Keller/
ders., SGG, 14. Aufl. 2023, § 91, Rdnr. 6), gibt es im vorliegenden Verfahren auch nichts, was darauf hindeuten würde, dass der Kläger seine an das "Amtsgericht Bad Aibling" gerichtete Klage dorthin geschickt hätte, um die gesetzliche Regelung zur Fristwahrung des § 91 Abs. 1 SGG in Anspruch zu nehmen. Auch die Äußerung des Klägers vom 22.04.2024 im Rahmen der Anhörung zur Verweisung durch das AG Rosenheim ("Google hat mich ... an Sie verwiesen.") belegt zweifelsfrei, dass der Kläger zunächst von einer Zuständigkeit des AG Rosenheim ausgegangen ist und aus diesem Grund seine Klage dort erhoben hat.
Die Rechtshängigkeit dieser zum AG Rosenheim erhobenen Klage ist erst mit Eingang des Verweisungsbeschlusses beim SG München am 16.05.2024 eingetreten. Zu einem früheren Zeitpunkt ist die Klage nicht rechtshängig geworden. Anders als bei den sozialgerichtlichen Verfahren (mit Ausnahme der Verfahren wegen eines überlangen Gerichtsverfahrens - § 94 Satz 2 SGG) tritt nämlich im zivilgerichtlichen Verfahren die Rechtshängigkeit nicht bereits mit Eingang der Klage bei Gericht ein, sondern erst mit der Zustellung an den Prozessgegner. Zwar wird nach § 261 Abs. 1 Zivilprozessordnung (ZPO) die Rechtshängigkeit durch die Erhebung der Klage begründet. Anders als im sozialgerichtlichen Verfahren erfolgt die Erhebung der Klage aber erst durch Zustellung des vom Kläger eingereichten Schriftsatzes (Klageschrift) an den Klagegegner (§ 253 Abs. 1 ZPO). Eine solche (förmliche) Zustellung des Klageschriftsatzes vom 10.04.2024 an die Beklagte hat das AG Rosenheim aber nicht vorgenommen. Die Beklagte hat den Schriftsatz vom 10.04.2024 lediglich im Rahmen der Anhörung zur Verweisung formlos zur Kenntnisnahme erhalten, ohne dass eine förmliche Zustellung erfolgt wäre. Damit ist nach den Regelungen der ZPO eine Rechtshängigkeit der Feststellungsklage des Klägers beim AG Rosenheim nicht eingetreten; eine Fortgeltung einer beim AG Rosenheim eingetreten Rechtshängigkeit nach § 17b Abs. 1 Satz 2 GVG ist daher nicht möglich, eben weil es an einer Rechtshängigkeit der Feststellungsklage beim AG Rosenheim fehlt. Die Rechtshängigkeit der streitgegenständlichen Klage ergibt sich daher aus dem Eingang des Verweisungsbeschlusses des AG Rosenheim beim SG München, der am 16.05.2024 erfolgt ist.
Die mit Schreiben vom 10.04.2024 zum AG Rosenheim erhobene und anschließend an das SG München verwiesene Klage des Klägers ist daher zeitlich erst nach der vom Kläger am 13.05.2024 (direkt) zum SG München erhobenen identischen Feststellungsklage rechtshängig geworden und daher wegen doppelter Rechtsfähigkeit unzulässig.
Darauf, dass die Feststellungsklage auch deshalb unzulässig gewesen wäre, weil kein Verwaltungsverfahren der Beklagten betreffend die Feststellung eines Arbeitsunfalls vorangegangen ist, kommt es nicht weiter an.
Die Berufung des Klägers hat daher keinen Erfolg.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 SGG).