L 14 R 197/24

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 2 R 1041/23
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 14 R 197/24
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

1. Zu der Frage, wann eine Beschäftigung unterbrochen ist i.S. des § 58 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 SGB VI.

2. Eine solche Unterbrechung ist grundsätzlich (nur) anzunehmen, wenn zwischen dem Ende der versicherungspflichtigen Beschäftigung und der Anrechnungszeit eine Lücke von maximal einem vollen Kalendermonat besteht bzw. der Zwischenraum seinerseits den Tatbestand einer Anrechnungszeit oder Ersatzzeit erfüllt und bei einer größeren zeitlichen Lücke der erforderliche zeitliche Zusammenhang durch Überbrückungstatbestände für einen Zeitraum gewahrt wird, der in der Regel sechs Monate nicht überschreiten darf.

3. Es ist verfassungsrechtlich nicht geboten, die aus § 58 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 SGB VI abgeleiteten Anforderungen an eine "Unterbrechung" weiter abzusenken.

 

I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 08.03.2024 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten des Klägers sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

G r ü n d e:

I.

Zwischen den Beteiligten ist die Anerkennung von Anrechnungszeiten nach § 58 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VI wegen Arbeitsunfähigkeit (AU) streitig.
Der Kläger ist 1967 geboren und hat nach dem Schulbesuch vom 01.09.1984 bis zum 30.06.1987 eine Ausbildung zum Elektroinstallateur absolviert und vom 01.07.1987 bis zum 30.09.1988 Wehr- oder Zivildienst geleistet. Insoweit enthält sein Versicherungsverlauf in der Renteninformation vom 09.09.2020 Pflichtbeitragszeiten. Weitere Pflichtbeitragszeiten aus versicherungspflichtiger Beschäftigung sind vermerkt vom 01.01.1997 bis zum 31.10.1997 und vom 13.10.2003 bis zum 21.11.2003. Vom 01.10.1990 bis zum 15.03.2001 hat der Kläger ein Hochschulstudium absolviert, welches er nicht abgeschlossen hat. Anrechnungszeiten sind daher vermerkt vom 01.10.1990 bis 31.12.1996 und vom 01.11.1997 bis zum 30.09.1998. Vom 12.02.2004 bis zum 04.11.2004 sind Zeiten der Arbeitslosigkeit ohne Leistungsbezug und vom 01.10.2004 bis zum 29.05.2005 ist als Zeit "Ausbildungssuche" vermerkt. Vom 30.05.2005 bis zum 25.09.2007 sind Pflichtbeitragszeiten vermerkt wegen einer Ausbildung in einer geschützten Einrichtung, die er abgeschlossen hat.

Mit Vormerkungsbescheid vom 02.11.2022 stellte die Beklagte Zeiten der Schulausbildung bzw. Übergangszeiten vom 25.01.1984 bis zum 31.08.1984, Beitragszeiten für berufliche Ausbildung zwischen dem 25.01.1984 bis zum 30.06.1987 und weitere Zeiten der Schulausbildung bzw. Übergangszeiten bis zum 30.09.1990 verbindlich fest.

Am 22.11.2022 stellte der Kläger einen Antrag auf Kontenergänzung betreffend Krankheitszeiten zwischen 02/2000 und 05/2005.

Mit Bescheid vom 17.04.2023 wurde die Anerkennung von Anrechnungszeiten vom 25.09.2001 bis 31.01.2002, vom 06.02.2002 bis 04.06.2002, vom 12.02.2004 bis 07.05.2004, vom 08.05.2004 bis 21.09.2004, vom 22.09.2004 bis 31.12.2004 und vom 01.01.2005 bis 29.05.2005 abgelehnt. Zur Begründung wurde angeführt, dass die Zeiten nicht spätestens im Monat nach Ende einer versicherten Beschäftigung oder versicherten selbstständigen Tätigkeit begonnen hätten.

Hiergegen erhob der Kläger am 26.04.2023 Widerspruch, den er damit begründete, dass er im Februar 2000 an einer Psychose erkrankt sei, in deren Folge er in der Zeit von 2/2000 bis 05/2005 arbeitsunfähig gewesen sei, d.h. ab Beginn der psychischen Erkrankung bis zum Beginn der zweiten Ausbildung. Er bat darum, die abgelehnten Zeiten als Anrechnungszeiten wegen Krankheit für die Rentenversicherung anzuerkennen.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 29.11.2023 zurück. Die Gründe für die AU zwischen 2/2000 und 5/2005 würden nicht infrage gestellt. Für die Anerkennung müsse jedoch zwingend die Unterbrechung einer versicherten oder selbstständigen Tätigkeit bis spätestens im Monat nach deren Ende vorliegen. Diese Voraussetzung liege im streitigen Zeitraum nicht vor, da zuletzt am 31.10.1997 bzw. vom 13.10.2003 bis 21.11.2003 eine versicherte Beschäftigung ausgeübt worden sei.

Hiergegen ließ der Kläger durch seine Bevollmächtigten am 18.12.2023 Klage zum Sozialgericht Augsburg (SG) erheben. Der Kläger sei von 2/2000 bis 05/2005 arbeitsunfähig und ohne Beitragszahlung gewesen. Die AU werde von der Beklagten nicht bestritten. Die Entscheidung der Beklagten beruhe auf § 58 Abs. 1 Nr. 1 SGB und § 58 Abs. 2 SGB VI. Letztere Regelung verstoße gegen Art. 3 Grundgesetz (GG), d.h. den Gleichbehandlungsgrundsatz und sei verfassungswidrig. Die Vorschrift dürfe daher nach Ansicht des Klägers nicht angewandt werden.

Die Beklagte verwies darauf, dass die Beklagte nach Art. 20 Abs. 3 GG an die Gesetze gebunden sei. Eine verfassungsrechtliche Überprüfung von Gesetzen könne nur durch das Bundesverfassungsgericht erfolgen.

Auf einen durch das SG erteilten rechtlichen Hinweis, dass die Klage unbegründet erscheine und eine Verletzung von Art. 3 GG durch § 58 SGB VI nicht ersichtlich sei, machte der Kläger geltend, dass die als ungleich behandelten Gruppen in Wirklichkeit gleich seien und daher derzeit noch die Gleichheit zum Nachteil der einen Gruppe ignoriert werde, also ungleich behandelt werde. Es gehe zum einen um die Erkrankten mit Rentenbezug bzw. Rentenbeiträgen aus einer versicherungspflichtigen Beschäftigung und zum anderen um Erkrankte ohne Rentenbezug oder Rentenbeiträge aus versicherungspflichtiger Beschäftigung. Es sei auch Art. 1 GG verletzt.

Das SG wies die Klage durch Urteil vom 08.03.2024 ab und führte zur Begründung aus, dass beim Kläger hinsichtlich der geltend gemachten Anrechnungszeiten jeweils die Voraussetzungen nach § 58 Abs. 2 SGB VI nicht erfüllt seien, nachdem keine Unterbrechung einer versicherten Beschäftigung oder selbstständigen Tätigkeit vorliege. Die geltend gemachte Anrechnungszeit hätte jeweils nicht bis zum Ablauf des Kalendermonats, der dem Monat der Aufgabe der Beschäftigung folge, begonnen.

Es liege auch keine Verletzung von Art. 3 GG vor, wie vom Kläger geltend gemacht.

Art. 3 Abs. 1 GG schreibe vor, Gleiches gleich und Ungleiches seiner Art entsprechend verschieden zu behandeln. Eine Verletzung dieser Norm liege nur dann vor, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu einer anderen Gruppe anders behandelt werde, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestünden, dass sie die Ungleichbehandlung rechtfertigen können (vgl. BVerfG, Beschluss vom 08.10.1991 - 1 BvL 50/86 und Beschluss vom 08.06.2004 - 2 BvL 5/00). Damit sei dem Gesetzgeber nicht jede Differenzierung verwehrt. Bei der Überprüfung eines Gesetzes auf seine Vereinbarkeit mit dem Gleichheitsgrundsatz sei von der Rechtsprechung nicht zu untersuchen, ob der Gesetzgeber die zweckmäßigste oder gerechteste Lösung gefunden habe, sondern nur, ob er die verfassungsrechtlichen Grenzen seiner Gestaltungsfreiheit überschritten habe (BVerfG, Beschlüsse vom 11.11.2008 - 1 BvL 3/05, 1 BvL 4/05, 1 BvL 5/05, 1 BvL 6/05, 1 BvL 7/05).

Vor diesem Hintergrund sei vorliegend eine Verletzung von Art. 3 GG nicht ersichtlich.

Vorliegend bestünden sachliche Gründe für die in § 58 Abs. 2 SGB VI aufgestellten Voraussetzungen.

Die Anrechnungszeit nach § 58 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VI solle als Element des sozialen Ausgleichs nur denjenigen Versicherten zugutekommen, die unverschuldet gehindert gewesen seien, einer versicherungspflichtigen Beschäftigung auszuüben und Beiträge zu zahlen. Dies setze einen hinreichenden Bezug zur gesetzlichen Rentenversicherung voraus. In den Genuss des sozialen Ausgleichs sollten daher nur Versicherte kommen, die direkt vor der Anrechnungszeit eine versicherungspflichtige Beschäftigung ausgeübt hätten.

Vor diesem Hintergrund sei nicht erkennbar, dass § 58 Abs. 2 SGB VI den Art. 3 GG verletze.

Auch eine Verletzung von Art. 1 GG sei nicht erkennbar. Die Garantie der Menschenwürde nach Art. 1 Abs. 1 GG beinhalte vor allem die Wahrung personaler Individualität, Identität und Integrität. Damit sei ein sozialer Wert- und Achtungsanspruch verbunden, der es verbiete, den Menschen zum "bloßen Objekt" staatlichen Handelns zu machen oder ihn einer Behandlung auszusetzen, die seine Subjektqualität prinzipiell in Frage stelle oder, dass in der Behandlung im konkreten Fall eine willkürliche Missachtung der Würde des Menschen liege. Die Behandlung des Menschen durch die öffentliche Hand, die das Gesetz vollziehe, müsse also, wenn sie die Menschenwürde berühren solle, Ausdruck der Verachtung des Wertes, der dem Menschen kraft seines Personseins zukomme, also in diesem Sinne eine "verächtliche Behandlung" sein (BVerfG, Urteil vom 15.12.1970 - 2 BvF 1/69). Das Bundesverfassungsgericht habe aus dem Verfassungsgebot zum Schutz der Menschenwürde in Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. dem in Art. 20 Abs. 1 GG verankerten Sozialstaatsgrundsatz die Verpflichtung des (Sozial-) Staates zur Schaffung der Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein seiner Bürger abgeleitet (LSG NRW, Urteil vom 10.11.2021 - L 3 R 554/20 unter Verweis auf BVerfGE 40, 121, 133; 82, 60, 80).

Durch die Voraussetzungen in § 58 Abs. 2 SGB VI werde der Kläger nicht einer derartigen, ihn zum Objekt degradierenden bzw. verächtlich machenden Behandlung gemacht. Wie bereits ausgeführt, bestünden sachliche Gründe für eine Differenzierung und die in § 58 Abs. 2 SGB VI aufgestellten Voraussetzungen.

Gegen das seinen damaligen Bevollmächtigten am 26.03.2024 zugestellte Urteil legte der Kläger am 19.04.2024 Berufung ein. Diese wurde zunächst vom Kläger wiederholend und vertiefend dahingehend begründet, dass es sich bei dem Tatbestandsmerkmal "Krankheit" nur um Gleiches handeln könne. Darüber hinaus sei er unverschuldet daran gehindert gewesen, Pflichtbeitragszeiten aus versicherter Beschäftigung zu erzielen.

In der Folge wurde die Berufung durch seinen nunmehrigen Bevollmächtigten weiter begründet und ausgeführt, dass die unterschiedliche Behandlung der Vergleichsgruppe "arbeitsunfähig ohne vorangegangene Beschäftigung" und "arbeitsunfähig mit vorangegangener Beschäftigung" zwar von einer Erwägung getragen werden möge, die einen Bezug zum Erwerbsleben und damit zur Zugehörigkeit in die Solidargemeinschaft voraussetze. Diese Erwägung rechtfertige allerdings nicht den durch die Typisierung vorgenommenen willkürlichen Ausschluss von Menschen, die unverschuldet arbeitsunfähig seien und nur zufällig in dem vorausgegangenen Monat nicht gearbeitet hätten. Es sei ein Ausschluss der Menschen aus der Solidargemeinschaft, die eben durch die Arbeitsunfähigkeit gar nicht erst die Möglichkeit hätten, zunächst einer Beschäftigung nachzugehen. Daher sei die Ungleichbehandlung willkürlich und verletze Art. 3 Abs. 1 GG, so dass die Vorschrift nicht anzuwenden sei.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 08.03.2024 und den Bescheid der Beklagten vom 17.04.2023 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.11.2023 abzuändern und die Beklagte zu verpflichten, die Zeiten vom 25.09.2001 bis 31.01.2002, 06.02.2002 bis 04.06.2002, 12.02.2004 bis 07.05.2004, 08.05.2004 bis 21.09.2004, 22.09.2004 bis 31.12.2004 und vom 01.01.2005 bis 29.05.2005 als Anrechnungszeiten anzuerkennen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 08.03.2024 zurückzuweisen.

Sie hält die Berufung für unbegründet und verweist auf die für zutreffend gehaltenen Gründe im angefochtenen Urteil.

Die Beteiligten wurden zur beabsichtigten Zurückweisung der Berufung durch Beschluss gemäß § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) angehört. Das Anhörungsschreiben wurde dem Klägerbevollmächtigten laut Empfangsbekenntnis am 05.08.2024 ordnungsgemäß zugestellt. Eine Reaktion darauf erfolgte nicht.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Akten des SG und der Beklagten Bezug genommen.

II.

Der Fall ist weder komplex noch bedarf es einer weiteren Sachaufklärung, da neue Gesichtspunkte in der Berufung nicht aufgezeigt wurden und auch nicht ersichtlich sind. In der mündlichen Verhandlung vor dem SG hatte der Kläger, der rechtskundig vertreten war, Gelegenheit, sich zur Sache zu äußern. Der Kläger hat sich auch im Berufungsverfahren schriftlich geäußert. Nach Abwägung der Gesichtspunkte konnte der Senat den anhängigen Rechtsstreit durch Beschluss gemäß § 153 Abs. 4 SGG entscheiden, weil er die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält (§ 153 Abs. 4 Satz 1 SGG). Die Beteiligten wurden durch Schreiben des Senats zur Entscheidung durch Beschluss angehört.

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das Urteil des SG vom 08.03.2024 ist ebenso rechtmäßig wie der Bescheid der Beklagten vom 17.04.2023 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.11.2023. Eine Rechtsverletzung des Klägers liegt nicht vor. Es besteht kein Anspruch auf die Anerkennung der Zeiten vom 25.09.2001 bis 31.01.2002, 06.02.2002 bis 04.06.2002, 12.02.2004 bis 07.05.2004, 08.05.2004 bis 21.09.2004, 22.09.2004 bis 31.12.2004 und vom 01.01.2005 bis 29.05.2005 als Anrechnungszeiten.

Der Senat schließt sich den überzeugenden und ausführlichen Entscheidungsgründen im angegriffenen Urteil des SG vollinhaltlich an und macht sie sich zu eigen (§ 153 Abs. 2 SGG) und ergänzt in der gebotenen Kürze wie folgt:

Der Bescheid vom 17.04.2023 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.11.2023 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Anerkennung der von ihm geltend gemachten Zeiten als Anrechnungszeiten.

Nach § 58 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VI sind Anrechnungszeiten unter anderem Zeiten, in denen Versicherte wegen Krankheit arbeitsunfähig gewesen sind oder Leistungen zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben erhalten haben.

Nach § 58 Abs. 2 SGB VI liegen Anrechnungszeiten nach Abs. 1 S. 1 Nr. 1 und 2 bis 3a nur vor, wenn dadurch eine versicherte Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit oder ein versicherter Wehrdienst oder Zivildienst oder ein versichertes Wehrdienstverhältnis besonderer Art nach § 6 des Einsatz-Weiterverwendungsgesetzes unterbrochen ist, wobei dies nicht für Zeiten nach Vollendung des 17. und vor Vollendung des 25. Lebensjahres gilt.

Aus dem gesetzlichen Erfordernis der Unterbrechung einer versicherten Beschäftigung oder selbstständigen Tätigkeit folgt zunächst, dass die Anrechnungszeittatsache einem der im Gesetz genannten versicherungsrechtlichen Tatbestände nachfolgt. Eine "Umrahmung" des Anrechnungszeittatbestands durch Zeiten der Versicherungspflicht i. S. von Abs. 2 ist nicht erforderlich. Aus dem der Formulierung "unterbrechen" innewohnenden zeitlichen Element eines nur vorübergehenden Zustands folgt allerdings, dass die Fortsetzung der Pflichtversicherung objektiv möglich gewesen sein muss; es darf mithin kein endgültiges Ausscheiden aus dem Erwerbsleben vorgelegen haben (vgl. Fichte in: Hauck/Noftz SGB VI, 2. Ergänzungslieferung 2024, § 58 SGB VI, Rn. 187 m.w.N.).

Die Anrechnungszeit muss sich nicht zeitlich unmittelbar an die Pflichtversicherung i. S. von Abs. 2 anschließen (vgl. BSG SozR 2200 § 1259 Nr. 8). Eine Unterbrechung liegt in der von der höchstrichterlichen Rechtsprechung gebilligten Praxis der Rentenversicherungsträger erst dann nicht mehr vor, wenn zwischen dem Ende der Pflichtversicherung und dem Beginn der Anrechnungszeit mehr als ein voller Kalendermonat liegt - sog. Monatsprinzip (vgl. Fichte a.a.O., Rn. 188 m.w.N.).

Vorliegend hat der Kläger in zeitlicher Nähe der von ihm geltend gemachten Anrechnungszeiten nur zwei sehr kurze Pflichtversicherungszeiten (vom 01.01. bis 31.10.1997 und vom 13.10. bis 21.11.2003) gehabt, die den von ihm geltend gemachten Krankheitszeiten nicht direkt vorangingen.

Ein Zwischenraum, der sich über mehr als einen vollen Kalendermonat erstreckt, ist unschädlich, wenn er seinerseits den Tatbestand einer Anrechnungszeit oder einer Ersatzzeit erfüllt oder ein Überbrückungstatbestand vorliegt. Die erste dieser Zeiten muss jedoch an eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit anschließen.

Der Kläger hat vor den hier geltend gemachten Anrechnungszeiten zuletzt Pflichtbeitragszeiten am 31.10.1997. Im Anschluss sind im Versicherungsverlauf noch Anrechnungszeiten wegen seines Hochschulstudiums gemäß § 58 Abs. 1 Nr. 4 bis zum 30.09.1998 (längstens acht Jahre, die damit ausgefüllt sind) vermerkt. Weitere versicherungsrechtliche Zeiten sind bis zum Beginn des vorliegend geltend gemachten Anrechnungszeitraums am 25.09.2001 und im weiteren Verlauf bis 31.01.2002 und vom 06.02.2002 bis 04.06.2002 nicht ersichtlich.

Der erforderliche zeitliche Zusammenhang zu dieser Zeit ist vorliegend auch nicht dadurch gewahrt, dass zwischen der Pflichtbeitragszeit und der Anrechnungszeit ein Überbrückungstatbestand liegt. Dieses von der Rechtsprechung entwickelte Tatbestandsmerkmal dient der weiteren Ausfüllung des unbestimmten Rechtsbegriffs der Unterbrechung. Es trägt dem Umstand Rechnung, dass der Begriff nicht nur eine zeitliche Dimension, sondern auch einen kausalen Bezug aufweist. Denn ein solches Verständnis entspricht dem Sinn und Zweck des § 58 (bzw. der Vorgängervorschrift § 1259 RVO, § 36 AVG). Die Reglung soll dem Versicherten einen Ausgleich für bestimmte unverschuldete Beitragsausfälle (z.B. wegen Arbeitsunfähigkeit, Arbeitslosigkeit) gewähren (BSGE 87, 269 = NZS 2001, 544). Mithin gewährleistet die Überbrückungszeit den Anschluss, d.h. sie füllt die vorhandene Lücke zwischen dem Ende der versicherten Beschäftigung oder Erwerbstätigkeit (bzw. einer Anrechnungszeit) und dem Beginn einer (weiteren) Anrechnungszeit aus, wobei die Zeit selbst keine Anrechnungszeit ist. Sie gewährleistet lediglich, dass der Zurechnungszusammenhang mit nachfolgenden Tatbeständen rentenrechtlicher Zeiten bestehen bleibt (BSGE 92, 241 = NZS 2005, 318). Für den zeitlichen Anschluss genügt auch eine ununterbrochene, d.h. jeweils mit einem Abstand von weniger als einem vollen Kalendermonat folgende Reihe von Anrechnungszeiten und Überbrückungstatbeständen oder von unterschiedlichen Überbrückungstatbeständen allein (vgl. Gürtner in: beck-online.GROSSKOMMENTAR (Kasseler Kommentar), Stand: 01.09.2020, § 58 SGB VI, Rn. 78-81 m.w.N.).

Rechtfertigender Grund für die Anerkennung einer Überbrückungszeit ist, dass der Versicherte im jeweiligen Zeitraum noch dem Kreis der Versicherten im Sinne des § 58 Abs. 1 SGB VI zuzuordnen ist. In die entsprechende Wertung haben Gesichtspunkte einzufließen, die den Schutzzweck der Norm berücksichtigen. Vor allem kommt es darauf an, ob der Versicherte nach den Gesamtumständen noch dem eine Versicherungspflicht begründenden aktiven Erwerbsleben zuzurechnen ist, ob also während des Lückenzeitraums ein hinreichender Zusammenhang hiermit besteht. Eine entsprechende Annahme liegt nahe, wenn die Lücke unverschuldet, also durch vom Versicherten nicht zu vertretende Umstände, oder durch ein sozialadäquates, insbesondere durch ein von Verfassungs wegen schützenswertes Verhalten entstanden ist (BSGE 92, 241 = NZS 2005, 318). Bei dieser Wertung sind zur Begründung eines Überbrückungstatbestandes keine Gesichtspunkte heranzuziehen, die sich aus anderen Rechtsgebieten wie dem Recht der Arbeitsförderung oder des Steuerrechts für die Zuordnung der Zeit zum Erwerbsleben ergeben könnten (BSG NZS 2008, 485; Gürtner a.a.O. m.w.N.).

Bei der Beurteilung kommt es auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalles an, wobei Gesichtspunkte der Billigkeit (BSGE 34, 93) und der Sozialadäquanz (BSG SozR 3 - 2600 § 58 Nr. 7) zu berücksichtigen sind. In Betracht kommen alle Lebenssachverhalte, die einen Hinweis bieten, dass der Versicherte den Zusammenhang zu einem die Versicherungspflicht in der Rentenversicherung begründenden Erwerbsleben aufrechterhalten wollte. Hierzu gehören grundsätzlich alle rentenrechtlichen Zeiten nach § 55 Abs. 1. SGB VI, Kindererziehungszeiten (§§ 56, 249, 249a SGB VI), Zeiten der nicht erwerbsmäßigen Pflege (§ 3 S. 1 Nr. 1a SGB VI), ausländische Versicherungszeiten, die nach über- oder zwischenstaatlichem Recht deutschen Versicherungszeiten gleichgestellt sind (BSG SozR 2200 § 1259 Nr. 99), Zeiten der Pflege eines Pflegebedürftigen, die keine Pflichtbeitragszeiten sind, weil der vom Gesetz geforderte Umfang von wenigstens 14 Stunden wöchentlich in der häuslichen Umgebung nicht erreicht wird, Zeiten, in denen Beschäftigte nach § 3 PflegezeitG von der Arbeitsleistung vollständig freigestellt sind oder in denen ihre Arbeitszeit so reduziert ist, dass sie zu geringfügig Beschäftigten nach § 8 Abs. 1 Nr. 4 SGB IV werden (vgl. § 44a SGB XI), Zeiten einer versicherungspflichtigen Beschäftigung, die keine Pflichtbeitragszeiten sind, weil Beiträge wegen Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers nicht gezahlt wurden, Zeiten einer Beschäftigung oder Tätigkeit, für die aus vom Versicherten nicht zu vertretenden Gründen keine Beiträge gezahlt wurden oder von vorne herein keine Beiträge zu zahlen waren (BSG SozR 2200 § 1259 Nr. 99), Zeiten der AU, der Arbeitslosigkeit oder des Rentenbezugs oder der Ausbildung, denen ein Merkmal zur Anrechnungszeit fehlt, Zeiten von Reha-Leistungen und Rentenbezugszeiten, die selbst keine Anrechnungszeiten sind und durch die das Arbeitsleben nicht beendet wurde, Zeiten der Ausbildung in dem nicht für die Rentenversicherung vormerkungsfähigen Umfang.

Entscheidend ist aber auch hier, dass der Überbrückungstatbestand innerhalb eines Kalendermonats auf die Pflichtbeitragszeit folgt (vgl. BSGE 32, 229; BSGE 52, 108) bzw. eine ununterbrochene, d.h. jeweils mit einem Abstand von weniger als einem vollen Kalendermonat folgende Reihe von Anrechnungszeiten und Überbrückungstatbeständen oder von unterschiedlichen Überbrückungstatbeständen allein.

Vorliegend hat der Kläger seit dem 01.10.1998 bis zum Beginn der vorliegend geltend gemachten Anrechnungszeit vom 25.09.2001 bis 31.01.2002 und vom 06.02.2002 bis 04.06.2002 keine Zeiten, die eine Überbrückungszeit im o.g. Sinne darstellen könnten, so dass der Bezug dieser Zeiten zu der Pflichtbeitragszeit im Sinne des § 58 Abs. 2 SGB VI fehlt.

Dasselbe gilt für die als Anrechnungszeit geltend gemachten Zeiten vom 12.02.2004 bis 07.05.2004, vom 08.05.2004 bis 21.09.2004, vom 22.09.2004 bis 31.12.2004 und vom 01.01.2005 bis 29.05.2005. Der Kläger hat zwar in der Zeit vom 13.10.2003 bis zum 21.11.2003 Pflichtbeitragszeiten zurückgelegt. Jedoch finden sich bis zum Beginn der vorliegend geltend gemachten Anrechnungszeiten (12.02.2004) keine ununterbrochene, d.h. jeweils mit einem Abstand von weniger als einem vollen Kalendermonat folgende Reihe von Anrechnungszeiten und Überbrückungstatbeständen oder von unterschiedlichen Überbrückungstatbeständen. Soweit vom 12.02.2004 bis zum 07.05.2004 Zeiten der Arbeitslosigkeit ohne Leistungsbezug und vom 01.10.2004 bis zum 29.05.2005 als Zeit "Ausbildungssuche" im Versicherungsverlauf vermerkt ist, liegen auch diese Zeiten nicht im zeitlichen Anschluss an die versicherungspflichtige Beschäftigung vom 13.10. bis 21.11.2003. Vielmehr sind keine dazwischenliegenden rentenrechtlichen Zeiten erkennbar und keine Zeiten, die als Überbrückungszeiten (=Lebenssachverhalte, die einen Hinweis bieten, dass der Versicherte den Zusammenhang zu einem die Versicherungspflicht in der Rentenversicherung begründenden Erwerbsleben aufrechterhalten wollte) gelten könnten. Vielmehr steht unstreitig fest, dass der Kläger keinen Bezug zu einem Erwerbsleben mehr aufrechterhalten hat.

Die vom Kläger begehrte Nichtanwendung des Tatbestandes des § 58 Abs. 2 SGB VI ist auch nicht aus verfassungsrechtlichen Gründen geboten, insbesondere nicht wegen eines Verstoßes der Regelungen gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 GG.

Das Grundrecht auf Gleichbehandlung ist verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten (vgl. BVerfGE 55, 72; 98, BVerfGE 105, 73). Unter diesem Gesichtspunkt könnte Nichtanwendbarkeit der Regelung des § 58 Abs. 2 SGB VI auf den hier vorliegenden Sachverhalt nur dann in Betracht zu ziehen sein, wenn ansonsten wesentlich Gleiches ungleich behandelt würde.

Das ist hier nicht der Fall. Soweit der Kläger mit der Berufung erneut einen Verstoß der Vorschrift des § 58 Abs. 2 SGB VI gegen Art. 3 GG beanstandet, namentlich moniert, dass die unterschiedliche Behandlung der Vergleichsgruppe "arbeitsunfähig ohne vorangegangene Beschäftigung" und "arbeitsunfähig mit vorangegangener Beschäftigung" willkürlich erfolge, kann auch der Senat dieser Ansicht nicht folgen.

Vorliegend wird auf die Ausführungen des SG in dem angefochtenen Urteil gemäß § 153 Abs. 2 SGG Bezug genommen. Zu Recht weist das SG darauf hin, dass sachliche Gründe für die in § 58 Abs. 2 SGB VI aufgestellten Voraussetzungen bestehen:

Sinn und Zweck der Berücksichtigung von Anrechnungszeiten nach § 58 Abs. 1 SGB VI ist, dass diese Beiträge ersetzen, die wegen der in der Person des Versicherten liegenden besonderen Gründe nicht gezahlt werden können (vgl. Dankelmann in: Kreikebohm/Roßbach, SGB VI, 6. Auflage 2021, § 58 SGB VI, Rn. 2). § 58 Abs. 2 SGB VI normiert das Erfordernis eines gewissen zeitlichen Zusammenhangs zwischen der Zugehörigkeit zur Solidargemeinschaft und der Anrechnungszeit. Die Anrechnungszeit nach § 58 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VI soll als Element des sozialen Ausgleichs nur denjenigen Versicherten zugutekommen, die unverschuldet gehindert waren, einer versicherungspflichtigen Beschäftigung auszuüben und Beiträge zu zahlen, was einen hinreichenden Bezug zur gesetzlichen Rentenversicherung voraussetzt (vgl. auch Gürtner in: beck-online.GROSSKOMMENTAR (Kasseler Kommentar), SGB VI, Stand 01.09.2020, § 58, Rn. 73). In den Genuss der sozialen Ausgleichsregelung des § 58 SGB VI sollen demnach nur Versicherte kommen, die direkt vor dem Anrechnungszeittatbestand in einer versicherten Beschäftigung oder Tätigkeit gestanden haben (vgl. ebenso Jassat in: BeckOK Sozialrecht, Rolfs/Giesen/Meßling/Udsching, 73. Edition, Stand: 01.06.2024, § 58 SGB VI, Rn. 22).

Hinzu kommt, dass soweit der unbestimmte Rechtsbegriff der "Unterbrechung" nicht nur eine zeitliche Dimension, sondern auch einen kausalen Bezug aufweist, von der höchstrichterlichen Rechtsprechung bereits das o.g. (zusätzliche) Tatbestandsmerkmal der "Überbrückungszeit" entwickelt worden ist, welches der weiteren Ausfüllung des Begriffs der Unterbrechung dient und Gesichtspunkte der Billigkeit (BSGE 34, 93) und der Sozialadäquanz (BSG SozR 3 - 2600 § 58 Nr. 7) berücksichtigt. Wie bereits ausgeführt, soll die Berücksichtigung von Überbrückungszeiten dem Versicherten einen Ausgleich für bestimmte unverschuldete Beitragsausfälle (zum Beispiel wegen Arbeitsunfähigkeit, Arbeitslosigkeit) gewähren (BSGE 87, 269 = NZS 2001, 544), die nicht bereits als Anrechnungszeiten erfasst werden. Aber auch hier kommen nach Sinn und Zweck der Vorschrift und entsprechend der höchstrichterlichen Rechtsprechung nur Lebenssachverhalte in Betracht, die einen Hinweis bieten, dass der Versicherte den Zusammenhang zu einem die Versicherungspflicht in der Rentenversicherung begründenden Erwerbsleben aufrechterhalten wollte.

Eine weitergehende Einschränkung der Anwendung des § 58 Abs. 2 SGB VI ist daher weder nach Sinn und Zweck der Vorschrift gerechtfertigt noch verfassungsrechtlich geboten.

Die Kostenentscheidung (§ 193 SGG) berücksichtigt, dass der Kläger auch im Berufungsverfahren nicht erfolgreich gewesen ist.

Gründe, die Revision zuzulassen (vgl. § 160 Abs. 2 SGG), liegen nicht vor.

 

Rechtskraft
Aus
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