Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 12.10.2023 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch in der Berufungsinstanz nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die Versorgung mit dem Arzneimittel Saxenda.
Die 1969 geborene, bei der Beklagten gesetzlich krankenversicherte Klägerin beantragte bei der Beklagten am 18.10.2022 die Versorgung mit dem Medikament Saxenda. Bei ihr war im Jahr 2017 eine bariatrische Operation durchgeführt worden. Sie fügte dem Antrag eine Bestätigung von O1, Sektionsleiter R1 des Klinikums M1, vom 31.08.2022 bei. Danach bestehe bei der Klägerin derzeit eine Adipositas Stufe II bei einem BMI von 30,1. Im Lauf der letzten Jahre habe die Klägerin 10kg zugenommen und leide unter einer Vielzahl entsprechender Begleiterkrankungen. Trotz zahlreicher Bemühungen hätten die klassischen Methoden keinen dauerhaften Erfolg gezeigt. Eine Operation sei nach den Leitlinien erst bei höhergradiger Adipositas vorgesehen. Eine medikamentöse Therapie sei daher derzeit die einzige Möglichkeit für eine langfristige Gewichtsreduktion, zusätzlich zu der erfolgenden Basistherapie. In der Folge könne eine Verbesserung des Gesundheitszustandes erreicht werden.
Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 21.10.2022 ab. Saxenda sei ein sog. Lifestyle-Arzneimittel, bei dessen Anwendung die Erhöhung der Lebensqualität im Vordergrund stehe. Die Versorgung mit einem solchen Arzneimittel sei keine Leistung der gesetzlichen Krankversicherung.
Hiergegen legte die Klägerin am 25.11.2022 Widerspruch ein. Ihr Arzt habe die Gründe für die spezielle Einzelfallentscheidung sehr detailliert dargestellt. Vor ihrer Magenoperation habe sie sehr viele Begleiterkrankungen gehabt, mit der Abnahme durch die Magenoperation sei das alles wesentlich besser geworden. Mit langsam steigendem Gewicht merke sie nun, dass die Symptome sich wieder verschlechterten. Dies sei weder für sie noch für die Beklagte sinnvoll. Auch wenn das Medikament als Lifestyle-Medikament eingesetzt werde, gehe es bei ihr auch nach der Empfehlung des nicht um eine Verbesserung des Lifestyles, sondern langfristig um den gesundheitlichen Zustand.
Die Widerspruchsstelle der Beklagten wies den Widerspruch der Klägerin mit Widerspruchsbescheid vom 07.02.2023 zurück. Die Verordnung mit Arzneimitteln in der vertragsärztlichen Versorgung sei in der Arzneimittel-Richtlinie geregelt. Nach dieser seien Arzneimittel, bei deren Anwendung eine Erhöhung der Lebensqualität im Vordergrund stehe, von der Versorgung ausgeschlossen, wozu insbesondere Arzneimittel, die überwiegend zur Behandlung von sexuellen Dysfunktionen, zur Anreizung sowie Steigerung der sexuellen Potenz, zur Raucherentwöhnung, zur Abmagerung oder Zügelung des Appetits, zur Regulierung des Körpergewichts oder zur Verbesserung des Haarwuchses dienten, zählten. Arzneimittel, die zur Behandlung von Übergewicht und Adipositas angewandt würden, zählten zu den Lifestyle-Arzneimitteln, diese seien grundsätzlich nicht zu Kassenlasten verordnungsfähig. Eine entsprechende Verordnung könne nur wie ein Privatrezept behandelt werden. Eine Erstattung der Kosten sei nicht möglich.
Hiergegen hat die Klägerin am 28.02.2023 Klage beim Sozialrecht Mannheim (SG) erhoben. Bei ihr bestehe eine die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigende Erkrankung, die mit ihren Folgen letztendlich auch mittelfristig lebensbedrohlich werden könne. Das begehrte Medikament werde in der Behandlung der Adipositas mit Erfolg eingesetzt und solle auch bei ihr dazu genutzt werden, das Gewicht weiter zu reduzieren bzw. zu halten. Es bestehe in Fachkreisen Konsens über die Therapiemöglichkeiten im Off-Label-Use. Das Medikament solle im Rahmen des Erlasses des DMP-Adipositas als Behandlungsoption aufgenommen werden. Es handle sich in ihrem Fall nicht um ein Medikament zur Erhöhung der Lebensqualität. Soweit die Beklagte meine, ausführen zu müssen, dass hier eine Behandlung von sexuellen Dysfunktionen und Steigerung der sexuellen Potenz oder Raucherentwöhnung erfolgen solle, wie es im Widerspruchsbescheid explizit genannt sei, zeige sich, dass diese sich mit dem Fall nicht befasst habe, sondern nur die üblichen Textbausteine verwandt habe. Wenn die Beklagte ernsthaft vortrage, es handele sich um ein Lifestyle-Medikament, dann betreibe sie Stigmatisierung und Diskriminierung aufgrund einer Erkrankung. Mangels anderweitiger Therapieoptionen bestehe ein Anspruch auf Versorgung mit dem Medikament. Es handle sich um eine grundsätzliche Rechtsfrage, da das Medikament im Off-Label-Use erfolgreich eingesetzt werde.
Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten und hat sich zur Begründung auf ihre Ausführungen im Widerspruchsbescheid bezogen. Zudem sei auf den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) zu verweisen, der die Arzneimittelrichtlinien regle. In der Anlage 2, Lifestyle-Arzneimittel, sei Saxenda als ausgeschlossenes Arzneimittel genannt. Die Klage sei daher nicht begründet.
Das SG hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 12.10.2023 abgewiesen. Die form- und fristgerecht erhobene Klage sei zulässig, jedoch nicht begründet. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf die Versorgung mit dem Arzneimittel Saxenda. Die von ihr angegriffenen Bescheide seien rechtmäßig und verletzten sie nicht in ihren Rechten. Versicherte hätten nach § 27 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 3 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig sei, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern; die Krankenbehandlung umfasse u.a. auch die Versorgung mit Arzneimitteln. Nach § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB V hätten Versicherte Anspruch auf die Versorgung mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln, soweit die Arzneimittel nicht nach § 34 SGB V oder durch Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V ausgeschlossen seien. Nach § 34 Abs. 1 Satz 7 SGB V seien von der Versorgung außer den in § 34 Abs. 1 Sätze 1 bis 6 SGB V genannten Arzneimitteln auch Arzneimittel ausgeschlossen, bei deren Anwendung eine Erhöhung der Lebensqualität im Vordergrund stehe. Nach § 34 Abs. 1 Satz 8 SGB V seien ausgeschlossen insbesondere Arzneimittel, die überwiegend zur Behandlung der erektilen Dysfunktion, der Anreizung sowie Steigerung der sexuellen Potenz, zur Raucherentwöhnung, zur Abmagerung oder zur Zügelung des Appetits, zur Regulierung des Körpergewichts oder zur Verbesserung des Haarwuchses dienten. Das Nähere regelten die Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V (vgl. § 34 Abs. 1 Satz 9 SGB V). Der Gesetzgeber selbst habe demnach Arzneimittel, die u.a. der Abmagerung oder zur Zügelung des Appetits oder zur Regulierung des Körpergewichts dienten, als Arzneimittel zur Erhöhung der Lebensqualität bezeichnet. Die entsprechende Bezeichnung beruhe daher nicht auf einer (beurteilenden) Einschätzung der Beklagten, sondern ergebe sich aus dem Gesetz. Auch habe die Beklagte im Widerspruchsbescheid nicht ausgeführt, das Arzneimittel solle bei der Klägerin in irgendeinem Zusammenhang mit einer sexuellen Dysfunktion oder der Potenz oder zur Raucherentwöhnung eingesetzt werden, sondern insoweit lediglich die gesamte Regelung des § 34 Abs. 1 Satz 7 SGB V wiederholt, die diese Passagen enthalte. In der Richtlinie des G-BA zu § 34 SGB V, mit der die Arzneimittel festgelegt würden, die von dem Ausschluss erfasst seien, sei dann u.a. auch das hier von der Klägerin begehrte Medikament Saxenda aufgeführt. Dieses Arzneimittel sei daher kraft Gesetzes von der Versorgung nach § 31 SGB V ausgenommen. Eine Verordnung als Kassenleistung zulasten der gesetzlichen Krankenkassen und damit auch der Beklagten könne damit nicht erfolgen. Die Klägerin möchte das Arzneimittel Saxenda einsetzen, um die bei ihr bestehende Adipositas zu behandeln, also ihr Gewicht zu reduzieren und zu halten. Das Arzneimittel sei zugelassen als Medikament zur Unterstützung der Gewichtsabnahme ab einem BMI von 27. Die Klägerin, bei der ein BMI von 30,1 vorliege, beabsichtige also, das Medikament für den Zweck und das Einsatzgebiet einzusetzen, für den/das es zugelassen sei. Ein Einsatz im Off-Label-Bereich sei daher vorliegend nicht beabsichtigt, sodass die Voraussetzungen für einen Off-Label-Einsatz nicht relevant seien.
Hiergegen hat die Klägerin am 03.11.2023 Berufung beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg erhoben und zur Begründung ausgeführt, die Regelung des § 34 Abs. 1 Satz 7 SGB V sei schon dem Grunde nach nicht anwendbar. Medikamente, welche auch ausdrücklich zwischenzeitlich zur Behandlung der Adipositas als medikamentöse Therapie zugelassen seien, dienten nicht der Verbesserung der Lebensqualität. Adipositas sei eine schwerwiegende Erkrankung, die eine lebenslange Therapie notwendig mache und schon heute Kosten von geschätzten 60 bis 100 Mio. € pro Jahr für Behandlungen notwendig mache. Es handle sich hier nicht um „Lifestyle“, sondern um die Behandlung einer Volkserkrankung mit erheblichen Belastungen für die Betroffenen und weiteren erheblichen Belastungen für die Solidargemeinschaft. Wortwörtlich gelte § 34 Abs. 1 Satz 7 SGB V nur für Medikamente „bei deren Anwendung eine Erhöhung der Lebensqualität im Vordergrund“ stehe. Hier gehe es jedoch um die schlichte Behandlung der Adipositas. Die Auslegung des SG konterkariere den Willen des Gesetzgebers und überschreite damit die zulässige Auslegung der Rechtsnorm. Vor dem Hintergrund, dass neben Saxenda nunmehr auch eine Vielzahl weiterer Medikamente zur Behandlung von Adipositas aus der gleichen Wirkstoffgruppen zur Behandlung von Adipositas zugelassen seien, der Vielzahl Betroffener und der ausdrücklichen Auflistung der Medikamente im demnächst in Kraft tretendem DMP Adipositas sei die grundsätzliche Frage zu stellen, ob diese Medikamente unter § 34 SGB V fielen. Es werde daher angeregt, die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen. Die Klägerin behandele mit der Wirkstoffgruppe auch ihre plötzlichen und unvorhersehbaren Dumpings, welche dazu führten, dass sie plötzlich einschlafe. Sie habe einen Leistungsanspruch nach der Behindertenrechtskonvention. Das Mittel werde auch zur hormonellen Regulierung und Behandlung einer Erkrankung mit eigenem DMP und daraus resultierenden Folgeerkrankungen begehrt. Ihr behandelnder O2 müsse zu den einzelnen medizinischen Behandlungszielen mit dem Medikament bzw. dem Wirkstoff GPL-1 befragt werden.
Die Klägerin beantragt,
ein Sachverständigengutachten nach § 106 SGG einzuholen mit der Fragestellung, ob die Dumping-Problematik der Klägerin mit Saxenda als GLP 1-Produkt behandelt werden kann und ob Behandlungsalternativen zur Verfügung stehen, weiterhin O1 als Zeugen zu der Frage zu vernehmen, welche Erkrankungen bei der Klägerin mit Saxenda behandelt werden sollen,
hilfsweise,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 12.10.2023 sowie den Bescheid vom 21.10.2022 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 07.02.2023 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, sie mit dem Arzneimittel Saxenda zu versorgen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Begründung hat sie auf den angefochtenen Gerichtsbescheid verwiesen sowie ergänzend ausgeführt, § 34 Abs. 1 Satz 7 SGB V finde auf die vorliegende Fallgestaltung Anwendung. Wann die Erhöhung der Lebensqualität im Vordergrund stehe, ergebe sich aus der objektiven Zweckbestimmung des Arzneimittels unter Heranziehung der arzneimittelrechtlichen Zulassung. Auf die Verwendung im konkreten Einzelfall komme es nicht an. Saxenda werde gemäß Fachinformation des Herstellers als Ergänzung zu einer kalorienreduzierten Ernährung und verstärkter körperlicher Aktivität zur Gewichtsregulierung bei erwachsenen Patienten angewendet. Damit liege der Verordnungsausschlusstatbestand „Regulierung des Gewichts“ vor. Der Versorgungsausschluss trete dabei kraft Gesetzes ein.
Die Berichterstatterin des Senats hat in dem Verfahren mit den Beteiligten am 16.04.2024 einen Erörterungstermin durchgeführt. Insoweit wird auf das Protokoll auf Bl. 77/78 der Senatsakte verwiesen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Rechtsstreits sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen sowie die Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung der Klägerin hat keinen Erfolg.
I. Die nach § 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten ist zulässig. Sie bedurfte insbesondere gemäß § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG nicht der Zulassung, da die Berufung die Versorgung mit einer Sachleistung von mehr als 750,00 € betrifft, denn die Klägerin begehrt die Versorgung mit einem Arzneimittel auf unbestimmte Zeit.
II. Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid der Beklagten vom 21.10.2022 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 07.02.2023, mit dem die Beklagte die Versorgung der Klägerin mit dem Arzneimittel Saxenda ablehnte.
III. Die Berufung der Klägerin ist unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Denn der Bescheid der Beklagten vom 21.10.2022 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 07.02.2023 erweist sich als rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht ihren Rechten. Diese hat keinen Anspruch auf Versorgung mit dem begehrten Arzneimittel. Das SG hat die rechtlichen Voraussetzungen der streitigen Versorgung zutreffend und ausführlich dargelegt und im Einzelnen begründet, warum diese bei der Klägerin nicht vorliegen. Der Senat sieht von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab und weist die Berufung aus den Gründen des angefochtenen Gerichtsbescheids des SG als unbegründet zurück (§ 153 Abs. 2 SGG).
Lediglich ergänzend wird noch auf Folgendes hingewiesen:
1. Dass der G-BA Abmagerungsmittel wie das insoweit ausdrücklich aufgeführte Arzneimittel „Saxenda“ (vgl. Anlage II der Arzneimittel-Richtlinie) von der Versorgung ausgeschlossen hat, beruht gerade auf der fachmedizinisch fundierten Erwägung, dass es sich bei diesen um Arzneimittel handelt, bei deren Anwendung eine Erhöhung der Lebensqualität im Vordergrund steht, weil ihr Einsatz im Wesentlichen durch die private Lebensführung bedingt ist und sie auf Grund ihrer Zweckbestimmung insbesondere nicht oder nicht ausschließlich zur Behandlung von Krankheiten dienen. Hierbei ist - entgegen der Ansicht der Klägerin - nicht auf den konkreten Behandlungsfall, sondern auf die generellen Einsatzmöglichkeiten der entsprechenden Präparate abzustellen, so dass § 34 Abs. 1 Satz 7 bis 9 SGB V vorliegend anwendbar ist. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG 18.07.2006, B 1 KR 10/05 R, juris Rn. 12) lässt der gezielte gesetzliche Ausschluss von Arzneimitteln zur Behandlung der dort genannten Krankheiten aus dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung keinen Raum dafür, § 34 Abs. 1 Satz 7 bis 9 SGB V teleologisch auf Fälle zu reduzieren, in denen Arzneimittel bei entsprechender Anspannung aller Willenskräfte nicht erforderlich sind. Gerade weil der Gesetzgeber den umfassenden Ausschluss der aufgeführten Arzneimittel sicherstellen wollte, hat er dies detailliert im Gesetz geregelt. Gemeinsam ist der Gruppe der danach ausgeschlossenen Arzneimittel, dass bei deren Anwendung eine Erhöhung der Lebensqualität im Vordergrund steht (§ 34 Abs. 1 Satz 7 SGB V).
Bei den so genannten „Abmagerungsmitteln“ bzw. „Appetitzüglern“ ergibt sich diese Erhöhung der Lebensqualität bereits daraus, dass für den einzelnen Patienten der Vorgang der Gewichtsabnahme erheblich erleichtert wird. Saxenda wird von der Arzneimittel-Richtlinie in die Gruppe der zentralwirkenden Adipositasmittel eingeordnet. Dies bedeutet, dass die Inhaltsstoffe das Hunger- und Sättigungsgefühl durch einen Eingriff in den Stoffwechsel im Gehirn beeinflussen (vgl. für Saxenda die Fachinformation des Herstellers N1). Im Ergebnis erreicht der Behandelte also ein Sättigungsgefühl, obwohl weniger Nahrung als sonst aufgenommen wurde. Dadurch fällt es dem Patienten leichter, eine Reduktionsdiät mit verminderter Kalorienzufuhr einzuhalten, wodurch natürlich die Chance für eine Gewichtsabnahme erhöht wird. Im Normalfall - und auf diesen ist wie oben ausgeführt abzustellen - ist das gleiche Ergebnis jedoch auch durch Aufrechterhaltung einer gewissen Disziplin und Willensstärke zu erreichen, ohne dass es hierfür die Einnahme von Medikamenten bedarf. Dass dies für den Einzelnen schwerer ist als mit medikamentöser Unterstützung, steht außer Frage. Sollte im Falle der Klägerin der Abnehmerfolg auf die „konventionelle Weise“ nicht zum Erfolg führen können, hat dies auf das gefundene Ergebnis keinen Einfluss. Der Verordnungsgeber wollte einen generellen Ausschluss in der gesetzlichen Krankenversicherung erreichen, so dass auch Behandlungsfälle, die nicht dem „Lifestyle“ zuzuordnen sind, erfasst werden. Im Allgemeinen stehen dem eine Gewichtsabnahme Anstrebenden nämlich eine Vielzahl weiterer Möglichkeiten zur Verfügung, um diese zu erreichen, beispielsweise kalorienarme Kost, Veränderung der Essgewohnheiten und Bewegung. Diese sind üblicherweise auch bei stark übergewichtigen Patienten ausreichend, um eine Gewichtsabnahme herbeizuführen. Die Krankheit „Adipositas“ ist daher im Normalfall auch ohne die Einnahme von Medikamenten behandelbar. Ein zureichender Grund für den Ausschluss der Medikamente zur Regulierung des Körpergewichts ist daher vorhanden (so auch Verwaltungsgericht Ansbach 29.10.2008, AN 15 K 07.02982, juris).
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem in Arbeit befindlichen DMP („Disease Management Program“) Adipositas, selbst wenn dieses in der Therapie Abmagerungsmedikamente vorsieht, da dies nichts an der bereits zitierten gesetzlichen Regelung ändert. Ohnehin hält der Beschluss des G-BA vom 16.11.2023 über die 34. Änderung der DMP-Anforderungen-Richtlinie (DMP-A-RL): Änderung der Anlage 2, Ergänzung der Anlage 23 (DMP Adipositas) und der Anlage 24 (Adipositas Dokumentation) unter 1.5.5 „Adjuvante medikamentöse Therapie“ gerade explizit fest, dass nach § 34 Abs. 1 Satz 7 bis 9 SGB V i.V.m. § 14 Arzneimittel-Richtlinie Arzneimittel von der Versorgung ausgeschlossen sind, die zur Abmagerung oder zur Zügelung des Appetits bzw. zur Regulierung des Körpergewichts dienen.
2. Die Klägerin kann sich auch nicht darauf berufen, das Medikament zur Vermeidung bzw. Behandlung etwaiger Adipositas-Begleiterkrankungen zu benötigen. Auch wenn Saxenda nur für die Behandlung von Übergewicht und Adipositas zugelassen ist, handelt es sich hierbei dennoch nicht um eine Verwendung im sog. „Off-Label-Use“ (Verordnung eines zugelassenen Fertigarzneimittels außerhalb des in der Zulassung beantragten und von den nationalen oder europäischen Zulassungsbehörden genehmigten Gebrauchs, z.B. hinsichtlich der Anwendungsgebiete (Indikationen), der Dosierung oder der Behandlungsdauer [= zulassungsüberschreitender Einsatz oder zulassungsüberschreitende Anwendung von Arzneimitteln]), da die Begleit- und Folgeerkrankungen durch das Medikament selbst nicht behandelt werden, sondern sich durch die Behandlung der Adipositas auch die Begleiterkrankungen bessern sollen. Der Einsatz des Medikaments im „Off-Label-Use“ ist insoweit gar nicht beabsichtigt. Unabhängig davon kommt nach der Rechtsprechung des BSG (vgl. zuletzt BSG 19.03.2020, B 1 KR 22/18 R, juris Rn. 18 m.w.N.) die Verordnung eines Medikaments in einem von der Zulassung nicht umfassten Anwendungsbereich zu Lasten der Krankenversicherung nur in Betracht, wenn es sich (1) um die Behandlung einer schwerwiegenden (lebensbedrohlichen oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden) Erkrankung geht, wenn (2) keine andere Therapie verfügbar ist und wenn (3) auf Grund der Datenlage die begründete Aussicht besteht, dass mit dem betreffenden Präparat ein Behandlungserfolg (kurativ oder palliativ) erzielt werden kann. Vorliegend ist zwar unbestritten, dass die von der Klägerin angestrebte Gewichtsabnahme unter Zuhilfenahme des streitgegenständlichen Präparats auch der Vermeidung adipositasbedingter Begleiterkrankungen dienen soll. Bei der Prophylaxe handelt es sich aber schon rein begrifflich nicht um die „Behandlung“ einer Erkrankung, so dass es bereits an dieser Voraussetzung fehlt. Zudem stehen zur Behandlung etwaiger Begleiterkrankungen eine Vielzahl zugelassener Präparate und Therapieformen zur Verfügung.
3. Auch im Hinblick auf das von der Klägerin erstmals im Berufungsverfahren vorgetragene Dumping-Syndrom ergibt sich kein Anspruch auf das begehrte Medikament unter den Voraussetzungen des „Off-Label-Use“.
Beim Dumping-Syndrom handelt es sich um eine Störung der Magenentleerung, welche häufig in Folge einer Magenoperation auftritt und bei der es zu einer sehr schnellen Magenentleerung nach Mahlzeiten kommt (vgl. z.B. https://www.netdoktor.de/symptome/dumping-syndrom/). Hierbei handelt es sich nicht um eine Begleiterkrankung der Adipositas, sodass die Grundsätze des „Off-Label-Use“ grundsätzlich zur Anwendung kommen könnten.
Allerdings steht dem bereits die eindeutige Wertung des § 34 Abs. 1 Satz 8 SGB V entgegen (so auch Hessisches LSG 18.03.2021, L 1 KR 405/20, juris Rn. 42), da die gesetzliche Regelung den Ausschluss der aufgeführten Arzneimittel aus dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung umfassend sicherstellen will (Hess, in: BeckOGK, 01.03.2022, SGB V § 34 Rn. 15 m.w.N.), so dass auch eine Verordnung zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung im Wege des „Off-Label-Use“ nicht in Betracht kommt. Wie bereits gezeigt, kommt es für den Leistungsausschluss auf die objektive Zweckbestimmung eines Arzneimittels an, nicht auf die Verwendung im konkreten Einzelfall (vgl. hierzu auch Dettling-Kuchler, in: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, Pflegeversicherung, 121. EL Februar 2024, § 34 Rn. 20). Entscheidend für den Leistungsausschluss ist, dass sich die objektive Zweckbestimmung vordergründig auf die Erhöhung der Lebensqualität richtet. Ob und in wieweit das Arzneimittel für weitere - hier im Beipackzettel noch nicht mal benannte - Indikationen verwendet werden kann, ändert nichts am grundsätzlichen Leistungsausschluss, welcher nicht durch eine Verordnung im „Off-Label-Use“ umgangen werden kann.
Ungeachtet dessen war durch den behandelnden O2 auch keine Verordnung im Wege des „Off-Label-Use“ geplant, der laut seinem „Antrag auf Einzelfallentscheidung“ vom 31.08.2022 das Medikament zur Behandlung der bei der Klägerin vorliegenden Adipositas anwenden will. Das Dumping-Syndrom erwähnt er hierin nicht, auch nicht in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 07.06.2024.
Im Übrigen liegen jedoch auch die Voraussetzungen des „Off-Label-Use“ im Hinblick auf das Dumping-Syndrom nicht vor. Hierbei kann der Senat offenlassen, ob bei der Klägerin eine schwerwiegende Erkrankung besteht und ob überhaupt eine begründete Aussicht besteht, dass mit dem betreffenden Präparat ein Behandlungserfolg (kurativ oder palliativ) erzielt werden kann, da jedenfalls hinreichend viele weitere Therapiemöglichkeiten zur Verfügung stehen. So gibt es zur Behandlung verschiedene ernährungstherapeutische, medikamentöse, endoskopische und chirurgische Therapiealternativen, wie eine Internetrecherche ergibt (vgl. z.B. https://www.uniklinik-freiburg.de/fileadmin/mediapool/07_kliniken/chir_allg-visz/bilder/Adipositas/CHAZkompaktMai-20-Fink-Webversion.pdf; https://www.springermedizin.de/emedpedia/detail/dgim-innere-medizin/stoerungen-der-magenentleerung-gastroparese-dumping-syndrom?epediaDoi=10.1007%2F978-3-642-54676-1_335; https://www.bauchchirurgie-thun.ch/perch/resources/infoadipositas-chirurgie2021.pdf). Dass solche Therapiemöglichkeiten nicht in Betracht kommen, hat weder die Klägerin noch der behandelnde O2 angegeben.
4. Der gesetzliche Leistungsausschluss des genannten Arzneimittels verletzt weder das Recht auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz [GG]) noch das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Sozialstaatsprinzip (vgl. dazu Bundesverfassungsgericht [BVerfG], 06.12.2005, 1 BvR 347/98, BVerfGE 115, 25-51, juris Rn. 21, 24) noch das verfassungsrechtliche Benachteiligungs- oder das konventionsrechtliche Diskriminierungsverbot (vgl. BSG 06.03.2012, B 1 KR 10/11 R, BSGE 110, 194-204, juris Rn. 32). Der Gesetzgeber hat lediglich in verhältnismäßiger Weise von seinem Gestaltungsrecht Gebrauch gemacht, den Bereich der Eigenvorsorge zu umreißen. Grundsätzlich nimmt es das Verfassungsrecht hin, dass der Gesetzgeber den Leistungskatalog der GKV unter Abgrenzung der Leistungen ausgestaltet, die der Eigenverantwortung des Versicherten zugerechnet werden (vgl. BVerfG a.a.O. Rn. 26). Die gesetzlichen Krankenkassen sind nicht von Verfassungs wegen gehalten, alles zu leisten, was an Mitteln zur Erhaltung oder Wiederherstellung der Gesundheit verfügbar ist (vgl. BVerfG a.a.O. Rn. 27). Verfassungsunmittelbare Leistungsansprüche erwachsen Versicherten lediglich als Ausnahme in Fällen einer notstandsähnlichen Situation aufgrund einer lebensbedrohlichen oder vorhersehbar tödlich verlaufenden Krankheit, in der ein erheblicher Zeitdruck für einen zur Lebenserhaltung bestehenden akuten Behandlungsbedarf typisch ist und für die eine dem allgemein anerkannten medizinischen Standard entsprechende Behandlungsmethode nicht existiert (vgl. BVerfG a.a.O. Rn. 24; BSG 13.12.2016, B 1 KR 1/16 R, BSGE 122, 170-181, juris Rn. 17 ff.). Darum geht es bei der Klägerin nicht. Ein zur Lebenserhaltung oder wertungsmäßig hiermit vergleichbarer bestehender akuter Behandlungsbedarf liegt bei ihr aktuell nicht vor. Die Zuordnung der Arzneimittel, die überwiegend zur Abmagerung dienen, zur Eigenverantwortung der Versicherten ist zumutbar (vgl. BSG 28.05.2019, B 1 KR 25/18 R, BSGE 128, 154-162, juris zu Arzneimitteln zur Raucherentwöhnung).
5. Aufgrund des eindeutigen gesetzlichen Leistungsausschlusses war der Senat zu keinen weiteren Ermittlungen von Amts wegen veranlasst.
Auch den Beweisanträgen der Klägerin war nicht stattzugeben. So begehrte diese ein Sachverständigengutachten mit der Fragestellung, ob die Dumping-Problematik der Klägerin mit Saxenda als GLP 1-Produkt behandelt werden kann und ob Behandlungsalternativen zur Verfügung stehen, sowie O1 als Zeugen zu der Frage zu vernehmen, welche Erkrankungen bei der Klägerin mit Saxenda behandelt werden sollen. Unabhängig davon, ob die gestellten Anträge überhaupt formgerecht i.S.d. § 118 Abs. 1 SGG i.V.m. §§ 373 ff. Zivilprozessordnung gestellt wurden, insbesondere ein hinreichend konkretes Beweisthema, ein zulässiges Beweismittel und die Angabe des voraussichtlichen Beweisergebnisses enthielten, wobei vorliegend mehr dafür spricht, dass es sich um unzulässige Beweisausforschungsanträge handelt, waren sie bereits deshalb abzulehnen, da es auf die gestellten Fragen entscheidungserheblich nicht ankam (s.o.).
IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
V. Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11.
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 4 KR 386/23
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 KR 3067/23
Datum
3. Instanz
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Aktenzeichen
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Datum
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Kategorie
Urteil
Rechtskraft
Aus
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