L 6 VG 3613/23

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
6.
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 7 VG 993/22
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 VG 3613/23
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

1. Auch wenn eine Gewalttat grundsätzlich geeignet wäre, eine PTBS auszulösen (hier: Messerangriff im Asylantenheim), betrifft das nur das A-Kriterium bzw. das Eingangskriterium und ist damit zwar eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung für die Diagnose einer PTBS.
2. Die Sorge vor einer erneuten Gewalttat ist primär nichts Pathologisches , sondern entspricht einer Lernerfahrung.
3. Eine Dysthymia stellt eine leichtere psychische oder psychovegetative Störung dar, die im Regelfall nicht rentenberechtigend ist.

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 7. Dezember 2023 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.



Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung von Beschädigtenversorgung und Feststellung weiterer Schädigungsfolgen nach dem Gesetz über die Entschädigung der Opfer von Gewalttaten (OEG) i.V.m. dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) aufgrund eines Mordversuchs an dem Kläger am 3. Februar 2020 streitig.

Der 1974 geborene Kläger ist in Palästina geboren und jordanischer Staatsangehöriger. Er reiste nach seinen Angaben 1993 über Holland nach Deutschland ein und beantragte hier erfolglos Asyl. Seine Abschiebung ist seither ausgesetzt (Duldung). Eine Erwerbstätigkeit ist ihm nicht gestattet. Nach seinen Angaben war er aber in den Jahren 2007/2008 erwerbstätig. Der Kläger bezieht Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz und lebt in einer Gemeinschaftsunterkunft. Aus einer kurzen Partnerschaft hat er einen inzwischen volljährigen Sohn (vgl. Arztbrief der Psychiatrischen Institutsambulanz des Krankenhauses T1 und Anamnese im Gutachten S1).

Am 3. Februar 2020 wurde er in seiner damaligen Gemeinschaftsunterkunft in L1 von dem dort ebenfalls untergebrachten eritreischen Staatsangehörigen H2 M1 mit einem Messer attackiert. Im Strafprozess stellte das Landgericht M2 (LG) in seinem Urteil vom 27. Juli 2020 (4 Ks 21 Js 644/20) Folgendes fest:

„Am 3. Februar 2020 gegen 09:45 Uhr lief der Beschuldigte zum Zimmer des H1 in der Gemeinschaftsunterkunft, um diesen umzubringen. Er glaubte, H1 habe ihn kurz zuvor bei der Polizei wegen einer Sachbeschädigung angezeigt und wollte sich rächen. Zu diesem Zweck hatte er sich in der Küche mit einem Messer mit einer Klingenlänge von circa 17 cm bewaffnet. H1 schlief noch, als der Beschuldigte energisch an die Zimmertüre klopfte. Auf die Frage des H1, wer an der Tür sei, antwortete er „H2!“. H1 bat ihn, kurz zu warten, er werde ihm gleich öffnen. Er zog sich etwas an und öffnete die Tür. Der Beschuldigte lief sofort ins Zimmer, zog die Hand mit dem Messer, das er zuvor hinter dem Rücken verborgen hatte, um H1 in Sicherheit zu wiegen, hervor und attackierte H1 unmittelbar, ohne ein Wort zu sagen. Er schlug H1 heftig von oben mit der Messerklinge auf den Kopf, um ihn zu töten. H1 erwartete, wie vom Beschuldigten geplant, zu diesem Zeitpunkt keinerlei Angriff und war deshalb nicht in Lage, den Hieb abzuwehren. Der Beschuldigte hatte den Angriff jedoch so heftig geführt, dass die Messerklinge nicht standhielt, sondern abbrach und zu Boden fiel. Es war dem Beschuldigten daher nicht möglich, weiter mit dem Messer auf H1 einzuwirken.

H1 hatte auf dem Kopf eine ca. 5 cm lange, stark blutende Wunde erlitten. Diesen Erfolg hatte der Beschuldigte vorhergesehen und gewollt. H1 war jedoch nicht tödlich getroffen und auch nicht handlungsunfähig. Es gelang ihm, den Beschuldigten zu umklammern und festzuhalten, um weitere Angriffe zu vereiteln. H1 schrie um Hilfe, was von einem weiteren Mitbewohner, dem Zeugen K2 gehört wurde. Dieser eilte herbei, trennte den Beschuldigten von H1, packte ihn und brachte ihn zu Boden, wo er ihn fixierte. Spätestens jetzt wurde es dem Beschuldigten unmöglich, seinen Tatplan, H1 zu töten, weiter auszuführen.“

Die Feststellungen zur Tat beruhten nach dem Urteil zum einen auf der Zeugenaussage des Klägers, der auch berichtet habe, dass er mit seinem Handy den Krankenwagen und die Polizei gerufen habe. Die Kammer habe dem Kläger geglaubt, der seine Aussage ruhig und ohne erkennbaren Belastungseifer getätigt habe und Nachfragen ohne Zögern habe beantworten können. Ihm sei anzumerken gewesen, dass er nach wie vor verwundert und empört darüber sei, dass der Täter ihn angegriffen habe, obwohl er ihn gut behandelt habe. Der Zeuge habe auch nicht dramatisiert oder aggraviert, sondern die Vorgänge nüchtern geschildert und auf die Frage, wie es ihm heute gehe, erklärt die Wunde sei gut verheilt.

Das LG ging von einem im Zustand der Schuldunfähigkeit begangenen versuchten Mord in Tateinheit mit einer gefährlichen Körperverletzung aus und ordnete die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus an.

Der Kläger beantragte am 9. Juni 2020 bei dem Landratsamt M3 (LRA) die Gewährung von Leistungen nach dem OEG und gab auf die Frage nach den körperlichen und/oder seelischen Gesundheitsstörungen durch die Gewalttat eine 5 cm große Fleischwunde mitten am Kopf an. Das LRA zog das Vorerkrankungsverzeichnis der Krankenkasse (AOK) sowie den Arztbrief des Krankenhauses T1 vom 3. Februar 2020 bei, aus dem sich eine 5 cm lange Schnittwunde am Kopf mittig über dem Os Parietal ergab. Eine Stufe sei nicht tastbar gewesen. Eine Bewusstlosigkeit, eine Amnesie, ein Erbrechen oder eine Übelkeit, Schwindel oder Kopfschmerzen seien verneint worden. Es sei eine Wundnaht und ein Verband erfolgt. Regelmäßige Befundkontrollen seien durch den Hausarzt durchzuführen. Auf konkrete Anfrage des LRA zu der Wundheilung teilte der M4 mit, dass diese nach der Schnittverletzung vom 3. Februar 2020 regelrecht gewesen sei. Die Fäden seien bei guter Heilung am 14. Februar 2020 gezogen worden. Komplikationen seien nicht aufgetreten.

S2 nahm daher versorgungsärztlich als Schädigungsfolge eine reizlose, 5 cm lange Narbe am seitlichen Kopf mit einem Grad der Schädigungsfolgen (GdS) von 0 und eine Behandlungsbedürftigkeit vom 3. bis 14. Februar 2020 an.

Mit Erstanerkennungsbescheid vom 1. Juli 2021 stellte das LRA dem folgend fest, dass der Kläger am 3. Februar 2020 Opfer einer Gewalttat im Sinne des OEG geworden sei, und erkannte als Schädigungsfolge eine „reizlose, 5 cm lange Narbe am seitlichen Kopf“ an. Der dadurch begründete Grad der Schädigungsfolgen (GdS) liege unter 5, so dass ein GdS von mindestens 25 nicht erreicht werde und eine Beschädigtengrundrente nicht zustehe. Für die anerkannten Schädigungsfolgen bestehe ab dem 1. Februar 2020 Anspruch auf Heilbehandlung nach dem BVG.

Der Kläger erhob hiergegen, vertreten durch seinen damaligen Bevollmächtigten, Widerspruch, da nicht beachtet worden sei, dass bei ihm infolge des Angriffs psychische Probleme bestünden. Er habe circa alle zwei Tage Flashbacks, schlafe schlecht, habe Ängste und habe sich sozial zurückgezogen. Es liege der Verdacht auf eine Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) vor. Eine psychiatrische Untersuchung sei durchzuführen.

Mit Schreiben vom 27. Oktober 2021 wies das LRA darauf hin, dass der Kläger im Antrag keine psychischen Beschwerden geltend gemacht habe, weshalb kein psychologisches Gutachten beauftragt worden sei. Es wäre hilfreich, wenn er sich in entsprechende Behandlung begeben und eine Schweigepflichtentbindungserklärung vorlegen würde. Mit Einschaltung des Ärztlichen Dienstes werde weitere Sachaufklärung betrieben.

Nach der versorgungsärztlichen Stellungnahme lagen keine Befundberichte vor, die auf psychische Beschwerden infolge des tätlichen Übergriffs schließen lassen würden. Es erfolge keine psychologisch/psychiatrische Behandlung. Deswegen könnten auf psychiatrischen Gebiet keine Schädigungsfolgen festgestellt werden.

Mit Widerspruchsbescheid vom 7. März 2022 wies das Regierungspräsidium S3 den Widerspruch zurück. Nach der eingeholten versorgungsärztlichen Stellungnahme lägen keine Befundberichte vor, die auf psychische Beschwerden infolge des tätlichen Übergriffs schließen ließen. Es erfolge offenbar keine psychologische oder psychiatrische Behandlung. Auf das diesbezügliche Schreiben des LRA vom 27. Oktober 2021 habe der Kläger nicht geantwortet. Eine Begutachtung von Amts wegen auf psychiatrischem Fachgebiet werde daher nicht für erforderlich gehalten.

Der Kläger hat am 5. April 2022 beim Sozialgericht Heilbronn (SG) Klage erhoben. Er hat eine ärztliche Bescheinigung der H3 vom 18. März 2022 vorgelegt, wonach die Diagnose einer psychogenen Schlafstörung mit Verdacht auf eine PTBS (mit Hypervigilanz, Hyperarousal und Ängsten) bei Zustand nach Übergriff mit Körperverletzung 1/2020 vorliege. Nach der vorgelegten Schweigepflichtentbindungserklärung sind am 4. Februar 2020 sowie im Mai 2020 durch S4 und im September 2020 und Oktober 2021 durch die H3 wegen Schmerzen Medikamente verordnet worden. Am 16. Dezember 2021 ist erstmals eine einmalige Konsultation des B1 in M5 wegen psychischer Belastungs- und Schlafstörungen erfolgt, dann am 18. März und 14. April 2022 durch Frau H3. Im Juni 2022 werde eine Behandlung im Krankenhaus T1 erfolgen.

Der Bevollmächtigte hat den entsprechenden Arztbrief der L2, Psychiatrische Institutsambulanz des Krankenhauses T1, aufgrund ambulanter Untersuchung vom 14. Juni 2022 vorgelegt. Danach habe der Kläger angegeben, seit dem Angriff unter diffusen Ängsten, Schlafstörungen, „schlechten Träumen“ und Intrusionen zu leiden und Misstrauen gegenüber anderen Menschen zu verspüren. Von seinem Hausarzt habe er Ibuprofen 600 mg gegen Kopfschmerzen verordnet bekommen, die er abends oft einnehme, um einschlafen zu können. Auf die Frage, warum er sich erst jetzt psychiatrisch vorstelle, habe er angegeben, nicht gewusst zu haben, dass es einen Arzt gebe, der seine Leiden behandeln könne. Psychopathologisch sei der Kläger wach, bewusstseinsklar und allseits orientiert gewesen. Aufmerksamkeit und Konzentration seien unauffällig, die Stimmung sei etwas gedrückt, der Antrieb regelrecht. Der formale Gedankengang sei geordnet, Grübelgedanken, diffuse Ängste, Intrusionen, nächtliche Schlafstörungen und „schlechte Träume von Blut“ seien berichtet worden. Inhaltliche Denkstörungen hätten sich nicht gezeigt, die Psychomotorik sei unauffällig. Diagnostisch sei in Anbetracht der Anamnese und der berichteten Symptome von einer PTBS auszugehen. Eine medikamentöse Therapie sei besprochen worden; eine Psychotherapie könne in der Institutsambulanz nicht angeboten werden. Es sei die schrittweise Eindosierung auf das Antidepressivum Sertralin vereinbart worden, das auch bei einer PTBS zugelassen sei.

Mit Beschluss vom 7. November 2022 hat das SG die mit der Klage zugleich beantragte Gewährung von Prozesskostenhilfe (PKH) abgelehnt, da der Klage keine hinreichenden Erfolgsaussichten zukämen. Nach den überzeugenden versorgungsärztlichen Stellungnahmen lägen keine zeitnahen Anknüpfungstatsachen für psychische Beschwerden und insbesondere eine PTBS infolge des tätlichen Angriffs vor.

Mit seiner Beschwerde hat der Bevollmächtigte weitere Unterlagen vorgelegt, hier ärztliche Bescheinigungen der Praxis M4, S4, K1 und H3 vom 18. März 2022, in denen die Diagnose einer psychogenen Schlafstörung bei Verdacht auf (V.a.) PTBS (mit Hypervigilanz, Hyperarousal und Ängsten) bei Zustand nach (Z.n.) Übergriff mit Körperverletzung 1/2020 genannt ist.  Er hat dazu eine Bescheinigung der Praxis vom 12. August 2022 vorgelegt, in der neben Terminen in der Praxis zur Wundversorgung im Februar 2020 bescheinigt worden ist, dass der Kläger bei einem Termin am 6. Juli 2020 „Angst vor Afrikanern“ geäußert habe und dass eine psychische Schädigung durch den Vorfall im Februar 2020 festzustellen sei. Eine Überweisung zur Psychiatrie/Psychotherapie sei im Oktober 2021 erfolgt, ein Bericht sei nicht vorhanden.

In einer ebenfalls vorgelegten psychologischen Stellungnahme der M6 vom 13. Juli 2022 ist als vorläufige Diagnose eine PTBS genannt worden. Nach den Angaben des Klägers könne von einer behandlungsbedürftigen psychischen Störung ausgegangen werden; die Therapie könne wegen eingeschränkter Kapazitäten erst in ca. 6 Monaten begonnen werden. Im psychischen Befund ist angegeben worden, dass der Kläger wach, bewusstseinsklar und zu allen Qualitäten orientiert gewesen sei. Die Stimmung sei gedrückt gewesen, bei erhaltener affektiver Schwingungsfähigkeit. Er habe eindrücklich die Erinnerungen an den Überfall eines Mitbewohners beschrieben, der ihn mit einem Messer erheblich am Kopf verletzt habe. Es habe eine Grübelneigung bestanden. Er habe unruhig und belastet gewirkt, als er von dem Ereignis berichtet habe, so als wäre es gestern passiert, und habe Schlafstörungen beklagt. Im Kontakt sei er freundlich zugewandt, kooperativ und hilfesuchend gewesen. Konzentrations- und Gedächtnisstörungen seien nicht feststellbar gewesen, das Merk- und Auffassungsvermögen sei unauffällig. Formale oder inhaltliche Denkstörungen, paranoid-halluzinatorisches Erleben oder Anhalt für Eigen- und Fremdgefährdung seien nicht feststellbar gewesen.

Der Bevollmächtigte hat auch ein Attest der L2 vom 28. November 2022 vorgelegt, wonach die von dem Kläger berichteten Symptome mit der Diagnose einer PTBS vereinbar seien, die auch dann mit „großer Wahrscheinlichkeit“ gestellt werden könne, wenn der Abstand zwischen dem Ereignis und dem Beginn der Störung mehr als 6 Monate betrage. Das setzte voraus, dass die klinischen Merkmale typisch seien und keine andere Diagnose (wie Angst- oder Zwangsstörung oder depressive Episode) gestellt werden könne.

Mit Beschluss vom 21. Dezember 2022 (L 6 VG 3418/22 B) hat der Senat dem Kläger auf die Beschwerde hin unter Abänderung des Beschlusses des SG PKH für das Klageverfahren gewährt, da ab dem Beginn der fachärztlichen Behandlung im Juni 2022 Anhaltspunkte für medizinische Ermittlungen bestünden. Da das Ergebnis der Beweisaufnahme offen sei, könnten die Erfolgsaussichten des Klageverfahrens nicht von vornherein verneint werden.

Das SG hat daraufhin ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten bei S1 eingeholt, welches dieser nach einer Untersuchung des Klägers am 12. Juli 2023 erstattet hat.

Der Sachverständige hat anamnestisch mitgeteilt, dass der Kläger befragt nach Beschwerden Schlafstörungen und Angst angegeben habe. Der Täter habe mit dem Messer auf ihn eingeschlagen und er habe dabei eine Kopfplatzwunde erlitten. Er habe den Täter auf den Boden geworfen und auf seinem Rücken gekniet. Er habe dann auch den Krankenwagen und die Polizei gerufen. Die Kopfverletzung sei versorgt worden. Eine sonstige Verletzung habe er sich nicht zugezogen. Er sei auch nicht bewusstlos gewesen. Weitere körperliche oder seelische Beschwerden habe der Kläger verneint. Die Tabletten würden ihm helfen. Eine Erstbehandlung wegen seelischer Beschwerden sei im Krankenhaus T1 am 14. Juni 2022 erfolgt.

Er sei etwa einmal im Monat in Behandlung bei der L2 in T1. Die aktuelle Medikation bestehe in 150 mg Bupropion. Dies sei ein angstlösendes Antidepressivum; es gebe dem Kläger nach seinem Empfinden Kraft. Alle zwei Tage nehme er zur Nacht bei Schlafstörungen Pipamperon, was ein Psychopharmakon mit vor allem sedierender Komponente sei.  Akutstationäre oder psychotherapeutische Aufenthalte seien nicht erfolgt.

Zur Suchtmittelanamnese hat der Sachverständige ausgeführt, dass der Kläger etwa zwölf selbstgedrehte Zigaretten am Tag rauche und bis vor 20 Jahren auch Kokain, Heroin und Haschisch konsumiert habe.

Der Kläger sei als Asylbewerber geduldet und müsse alle drei Monate die Duldung verlängern. Eine Abschiebung drohe aber nicht. Er sei ledig und habe keine Partnerschaft. Zu seinem Sohn habe er einen guten Kontakt. Seine Eltern seien verstorben; seine Brüder und zwei seiner drei Schwestern lebten noch in Jordanien leben, eine Schwester in den Vereinigten Arabischen Emiraten. Befragt nach besonderen lebensgeschichtlichen Belastungen habe der Kläger angegeben, dass er im Alter von 17 Jahren in Jordanien eine Beziehung zu einer verheirateten Nachbarin gehabt habe. Diese sei nach Bekanntwerden der Beziehung von den Eltern ihres Ehemannes umgebracht worden. Er selbst sei damals 18 Jahre alt gewesen. Wohl auch aus Sorgen vor weiteren familiären Auseinandersetzungen seien sein Vater und seine beiden Brüder für einen Monat inhaftiert gewesen, er selbst für zwei Monate. Die Mutter seines Sohnes sei damals zur Drogentherapie gewesen. Sie sei türkischstämmig bzw. Aramäerin. Es bestehe eine interkulturelle Problematik zwischen Aramäern und Arabern. Die Beziehung sei daher von den Eltern der Frau unterbunden worden. Es sei dann wohl auch zu Rechtsstreitigkeiten um das Sorgerecht für den Sohn gekommen.

Er stehe zu unterschiedlichen Zeiten zum Morgengebet auf. Ansonsten lese er Bücher, beschäftige sich mit dem Handy, er gehe spazieren. Er koche selbst, er kaufe ein. Es bestünden gute soziale Kontakte. Vereinstätigkeiten nehme er nicht wahr. Ab und zu sei er in der kleinen Moschee in M5, die vor allem von arabischen Bürgern besucht werde, da er die Sprache in der vor allem von Türken besuchten Moschee in L1 nicht verstehe. Abends trinke er Tee, man unterhalte sich dann miteinander. In dem Asylantenwohnheim seien auch (zum Teil obdachlose) deutsche Bürger untergebracht. Besondere Wochenendaktivitäten habe er verneint. Er könne mit den Tabletten einschlafen. Alle zwei bis drei Nächte werde er dann nachts einmal wach. Er träume auch schlecht. Er träume von den 2000 bzw. 2006 verstorbenen Eltern. Er habe auf den Tod der Eltern und auch der Nachbarin durch den Mord verwiesen. Oftmals halte er auch einen Mittagsschlaf für etwa eine Stunde.

Befragt nach seiner Stimmungslage und Laune habe er angegeben, er müsse weiter die Medikamente nehmen. Er sei traurig wegen der Eltern, die er 30 Jahre lang nicht gesehen habe. Er dürfe nicht arbeiten. Er könne sich freuen, so etwa über ein gutes Gespräch oder über Dinge auf Youtube oder auf Facebook. Depressionen seien bei ihm so nicht diagnostiziert worden. Morgens sei die Stimmung eher besser als abends. Ein episodenhafter Verlauf der Stimmungslage sei verneint worden, eine manische Symptomatik sei von der Anamnese her nicht bekannt. Auf Nachfrage habe er angegeben, dass er so alle zwei bis drei Tage an die Tat denke. Er habe darauf verwiesen, dass ein Afrikaner aus Nigeria mit auf dem Stockwerk wohne, der „krank im Kopf" sei. Befragt zu Zukunftswünschen habe er angegeben, dass er sich wünsche, die Geschwister wiederzusehen. Er denke oft an seinen Vater und an seine Mutter, auch an die beiden ebenfalls bereits verstorbenen Schwestern. Er wolle seine Geschwister wiedersehen. Er würde auch gerne nach S3 umziehen, er habe dort Freunde von früher. Er würde gerne arbeiten und selbst Geld verdienen. Auf Nachfrage habe er noch angegeben, dass die AOK ihm zu dem Antrag auf Leistungen nach dem OEG geraten habe.

Bei der körperlichen Untersuchung habe sich ein insgesamt guter körperlicher Allgemeinzustand mit athletischem Habitus gezeigt. Eine kosmetische Entstellung der Narbe bedingt durch das Ereignis vom 3. Februar 2020 bestehe nicht; die Narbe sei kaum sichtbar.

Im neurologischen Untersuchungsbefund hätten sich keine Auffälligkeiten gezeigt. So sei die Schädelkonfiguration unauffällig gewesen; die Nervenaustrittspunkte seien nicht spezifisch druckdolent und die Kopfbeweglichkeit ohne Hinweise für Paresen gewesen. Die Prüfung der Hirnnerven sei unauffällig geblieben. Die Muskeleigenreflexe seien in allen Etagen seitengleich schwach bis mittellebhaft auslösbar gewesen, Pyramidenbahnzeichen oder Kloni hätten sich nicht gezeigt. Muskelrelief und Muskeltonus seien allseits regelrecht; es habe kein sicherer Hinweis für latente oder manifeste Paresen an den Extremitäten bestanden. Der Einbeinstand sei beidseits ausreichend sicher gewesen, alle Gelenke der oberen und unteren Extremitäten seien aktiv beweglich. Es hätten sich keine Nervendehnungszeichen gezeigt. Das Gangbild sei physiologisch gewesen Für eine neurogene Gangstörung habe sich kein Anhalt ergeben. Bei der Prüfung der Sensibilität habe sich ein intaktes Berührungs-, Schmerz-, Lage- und Vibrationsempfinden gezeigt. Für ein manifestes Nerven-Engpasssyndrom an den oberen Extremitäten habe sich klinisch kein ausreichender Anhalt ergeben. Bei der Prüfung der Koordination habe sich im Romberg-Stehversuch kein Schwanken gezeigt, auch keine gerichtete Abweichung im Unterberger-Tretversuch. Die Zeigeversuche seien ausreichend sicher gewesen, mit Eudiadochokinese beidseits. Es habe kein auffallender Tremor und keine wesentlichen Einschränkungen der Fingerfeinmotorik bestanden. Der Seiltänzergang mit offenen und geschlossenen Augen sei ausreichend sicher gewesen. Insgesamt habe aus neurologischer Sicht eine gute Kooperation bei den Kraft- und Koordinationsprüfungen bestanden.

Zum psychischen Untersuchungsbefund hat der Sachverständige angegeben, dass der Kläger vom Gesamteindruck her altersentsprechend und gepflegt gewirkt habe, eher ruhig und nicht sehr lebhaft. Die Gestik und Mimik seien angemessen gewesen. In der Untersuchungssituation sei er auskunftsbereit und kooperativ gewesen. Es habe sich klinisch kein Anhalt für eine relevante Simulation oder Dissimulation gezeigt. Im interaktionellen Verhalten sei er angemessen gewesen. Die Sprache sei ausreichend moduliert und fest gewesen. Das deutsche Sprachverständnis und Ausdrucksvermögen seien leicht eingeschränkt, habe aber für die Gutachtensituation ausgereicht. Störungen des Bewusstseins, der Orientierung, der Auffassung und der Konzentration (kognitive Störungen) oder signifikante Gedächtnisstörungen (mnestische Störungen) hätten nicht vorgelegen. Für eine hirnorganisch bedingte psychische Symptomatik habe sich kein Anhalt ergeben. Im Antrieb habe er angemessen gewirkt, eine relevante Antriebsminderung oder gar psychomotorische Hemmung hätten nicht vorgelegen. In der Grundstimmung habe er allenfalls dysthym bzw. subdepressiv gewirkt. Eine tiefgehende depressive Stimmung habe nicht vorgelegen. Die affektive Resonanzfähigkeit sei allenfalls leicht zum negativen Pol hin verschoben, zum positiven Pol aber nicht aufgehoben. Es hätten sich weder eine emotionale Stumpfheit noch Hypervigilanz gezeigt. Das formale Denken sei folgerichtig und nicht verlangsamt gewesen. Inhaltliche Denkstörungen hätten nicht vorgelegen, ebenso keine Sinnestäuschungen oder Ich-Störungen, dissoziative oder somatische Störungen. Der Kläger habe eher ein Abendtief der Stimmungslage berichtet. Er habe ein seelisches Krankheitsgefühl. Entsprechend den Angaben bestünden gute soziale Kontakte. Für eine Persönlichkeitsstörung oder für eine sozialmedizinisch relevante Suchterkrankung habe sich kein Hinweis ergeben. Es habe auch kein Anhalt für selbstschädigende Erlebens- und Verhaltensmuster bestanden.

Im EEG hätten sich keine als pathologisch zu wertenden Veränderungen gezeigt. Ein festgestellter niedrigamplitudiger Verlauf sei am ehesten medikamentös bedingt, könne aber auch Zeichen einer erhöhten Anpassung sein.

Diagnostisch bestehe kein Anhalt für eine Erkrankung des neurologischen Fachgebietes. Psychiatrisch sei eine Dysthymia (ICD-10 F 34.1) bei Vorhandensein psychosozialer Belastungsfaktoren zu diagnostizieren. Diese bestünden in der Migrationsproblematik, in einem sozialen Status ohne Erwerbstätigkeit, Zerrüttung in einer Beziehung, Ermordung der Freundin in Jordanien 1993, früherem Konsum psychotroper Substanzen sowie tätlichem Angriff mit spitzem Gegenstand am 3. Februar 2020, Todesfälle in der Familie sowie der Wohnsituation. Es bestehe eine multifaktorielle Genese bei den erheblichen lebensbelastenden und psychosozialen Belastungsfaktoren. Eine überragende Bedeutung der Gewalttat vom 3. Februar 2020 bestehe nicht. Erinnerungen an ein traumatisches Ereignis und auch Alpträume von belastenden Ereignissen stellten erst einmal nichts Pathologisches dar, sondern entsprächen dem natürlichen Verarbeitungsmodus emotional aufwühlender Lebensereignisse. Eine solche Gewalterfahrung werde zeitlebens erinnerlich sein. Die Sorgen vor einer erneuten Gewalttat sei auch primär nichts Pathologisches, sondern entspreche einer Lernerfahrung. Allgemein resultierten depressive Erkrankungen nach gegenwärtigem fachwissenschaftlichem Kenntnisstand aus einem multifaktoriellen Bedingungsgeflecht, wobei neben (auch genetischen) Anlagefaktoren Einflüsse der frühen Primärsozialisation, der Persönlichkeitsentwicklung, das Schlafverhalten und auch anhaltende körperliche und psychosoziale Belastungsmomente kausal relevant sein könnten. Beim Kläger bestünden in der Lebensgeschichte als auch aktuell erhebliche psychosoziale Belastungsfaktoren. Er sei geduldeter Asylbewerber und müsse alle drei Monate seine Aufenthaltsgenehmigung verlängern lassen. Es sei ihm untersagt, in Deutschland zu arbeiten. Er sei in einem Asylantenwohnheim untergebracht und bekomme Sozialhilfe. Er habe erhebliche Belastungen in Jordanien wie hier in der Bundesrepublik Deutschland mit dem Scheitern der Beziehung zu der Mutter des gemeinsamen Sohnes geschildert. Diese Belastungsfaktoren könnten schon die Ausbildung depressiver Verstimmungen bzw. der Dysthymia bedingen. Er leide nach seinen Angaben vor allem unter seiner sozialen Situation.

Aus aktueller gutachterlicher Sicht liege keine spezifische Traumafolgestörung vor; eine solche habe auch zuvor nicht vorgelegen.

Ein für eine PTBS als C-Kriterium typisches Vermeidungsverhalten bezüglich der Gewalttat vom 3. Februar 2020 sei nicht erkennbar. Der Kläger habe spontan über die Gewalttat berichtet. Die Schilderungen der Tat und der Umstände seien sachlich, präzise und in vollständigen Sätzen ohne eine Sprachverlangsamung erfolgt. Es hätten keinerlei Anhaltspunkte für eine irgendwie geartete psychovegetative Irritation bestanden, kein Zittern, keine vertiefte Atmung oder Hyperventilation, kein Schwitzen, kein Weinen und keine dissoziative Symptomatik. Er habe keineswegs Anhaltspunkte für eine psychovegetative Irritation oder für eine Verstörtheit gezeigt, wie sie bei der Schilderung von traumatisierten Patienten regelrecht zu beobachten sei. Es habe sich aber auch kein Anhalt für eine sogenannte „emotionale Stumpfheit" im Sinne eines abgespaltenen traumatischen Affekts ergeben. Weiter habe er einen positiven Effekt der Psychopharmakotherapie berichtet. Er habe als seelische Beschwerden die Schlafstörungen und die Angst angegeben. Er habe erzählt, von den Eltern und dem Tod der Nachbarin zu träumen. Alpträume von der Tat seien spontan nicht berichtet worden. Eine psychiatrische Erstbehandlung sei am 14. Juni 2022 gewesen, mit ambulanter Vorstellung bei der L2 aktuell etwa einmal im Monat. Akutstationäre psychiatrische oder psychotherapeutische Aufenthalte seien nicht erfolgt. Entsprechend den Angaben habe vor vielen Jahren ein Missbrauch illegaler Substanzen bestanden; ein intravenöser Drogenkonsum sei aber verneint worden.

Ein psychischer Erstschaden zeitnah zu der Gewalttat sei nicht gesichert. Soweit die L2 in ihrem Bericht vom 15. Juni 2022 eine PTBS diagnostiziert habe, beginne die Symptomatik einer PTBS in der Regel innerhalb von sechs Monaten. Unabhängig davon gehe diese Diagnose aus dem Bericht auch nicht nachvollziehbar hervor. Eine Symptomatik habe auch hier nicht erhoben werden können. Die bei der PTBS so typische Symptomatik ergebe sich gerade daraus, dass die mit dem traumatischen Ereignis assoziierten Erinnerungen aufgrund des massiven Stresserlebens während des traumatischen Erlebens nicht so integriert hätten abgespeichert werden können, dass sie eine ganzheitliche Erinnerung ergäben, die eindeutig in der Vergangenheit liege. Vielmehr seien die Erinnerungsspuren fragmentiert und nicht direkt abrufbar, würden aber durch entsprechende sensorische Hinweisreize derart aktiviert, dass sich die Person quasi im traumatischen Erleben wiederfinde. Es zeigten sich beim Kläger aktuell klinisch auch keine weiteren Symptome wie chronische Suizidgedanken, Aufbrausen oder extreme unterdrückte Wut, die die Diagnose der PTBS nahelegten. Auch bestünden keine Bewusstseinsveränderungen, keine gestörte Selbstwahrnehmung wie Ohnmachtsgefühle, keine Lähmung jeglicher Initiative, kein Gefühl, sich von anderen Menschen grundlegend zu unterscheiden oder Veränderungen der Wertesysteme.

Der Sachverständige hat mit seinem Gutachten noch einen zur Vorlage beim SG erstellten Arztbrief der L2 vom Krankenhaus T1 vom 5. Juli 2023 übersandt, in dem diese bei ambulanter Behandlung seit Juni 2022 als Diagnose einen Verdacht auf PTBS genannt hat. Der Kläger habe über intermittierende diffuse Ängste, rezidivierende Stimmungseinbrüche und Schlafstörungen berichtet. Eine medikamentöse Therapie mit dem Antidepressivum Sertralin habe er nicht gut toleriert und Magenbeschwerden entwickelt, so dass eine Umstellung der antidepressiven Medikation auf das gut verträgliche Bupropion erfolgt sei. Gegen die nächtlichen Schlafstörungen sei ihm Pipamperon verordnet worden und zur Verarbeitung seiner traumatischen Erfahrungen eine Psychotherapie. Unter dieser Medikation habe sich das Befinden zunehmend stabilisiert; Stimmungstiefs seien nicht mehr genannt worden, auch hätten sich die Schlafstörungen weitgehend zurückgebildet. Weiterhin benannt würden noch latent vorhandenen Ängste vor möglichen erneuten gewaltsamen Übergriffen im Flüchtlingswohnheim. Eine Psychotherapie habe der Patient. mangels freien Therapieplätzen nicht beginnen können. Als belastend erlebe er nach wie vor die Ablehnung seiner Arbeitserlaubnis.

Der Bevollmächtigte hat nach Rücksprache mit der L2 mitgeteilt, dass die von ihr bestätigte Erkrankung einer PTBS mit Schlafstörungen und regelmäßig wiederkehrenden Angstzuständen weiterhin vorliege. Der Sachverständige setze sich in seinem Gutachten nicht ausreichend damit auseinander und nehme offenbar nicht zur Kenntnis, dass der Kläger fortdauernd seit dem Ereignis in fachärztlicher psychischer Behandlung stehe. Es werde daher beantragt, den Sachverständigen zu einem Gerichtstermin zu laden.

Mit Gerichtsbescheid vom 7. Dezember 2023 hat das SG die Klage nach Anhörung der Beteiligten abgewiesen, da der Kläger weder einen Anspruch auf Feststellung weiterer Schädigungsfolgen noch auf Gewährung einer Beschädigtengrundrente habe. Das SG hat sich dabei auf das Gutachten gestützt, nach dem keine Störungen auf psychiatrisch-neurologischem Gebiet auf das Ereignis vom 3. Februar 2020 zurückzuführen seien. Bei dem Kläger bestünden erhebliche ereignisunabhängige psychosoziale Belastungsfaktoren, welche die bei ihm von dem Sachverständigen diagnostizierte chronische depressive Verstimmung bzw. die Dysthymia bedingten. Insbesondere liege bei ihm keine PTBS vor. Eine solche könne sich zwar unmittelbar nach einem Trauma entwickeln. Die Symptome zeigen sich jedoch mit einer Latenz von maximal 6 Monaten. Solche Symptome seien aus den in der Akte ersichtlichen Umständen nicht im erforderlichen Vollbeweis medizinisch dokumentiert und gesichert, fänden sich auch nicht in den von dem Kläger im gerichtlichen Verfahren übermittelten ärztlichen Berichten. Entgegen dem Vorbringen seines Bevollmächtigten sei der Kläger seit dem Ereignis auch nicht durchgehend in psychiatrischer Behandlung gewesen. Das möge zwar mittlerweile durchgehend der Fall sein, geschehe jedoch aufgrund ereignisunabhängiger Gesundheitsstörungen. Ereignisabhängige Gesundheitsstörungen, die einen GdS in rentenberechtigendem Ausmaß bedingen würden, seien nicht ersichtlich. Der Beweisanregung des Klägerbevollmächtigten hinsichtlich der Ladung des Sachverständigen sei nicht zu folgen gewesen.

Der Kläger hat am 28. Dezember 2023, vertreten durch seinen Bevollmächtigten, Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) eingelegt. Der Bevollmächtigte hat darauf hingewiesen, dass der Kläger Opfer eines Mordversuchs in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung geworden sei. Er habe durch den Vorfall eine PTBS erlitten. Er leide an rezidivierenden Ängste und depressiven Verstimmungen sowie Schlafstörungen, sei in der Folgezeit auf die regelmäßige Einnahme von Psychopharmaka angewiesen. Der Sachverständige habe eine Bedeutung der Gewalttat für den erhobenen Befund nicht in Abrede gestellt. Er sei aber nicht darauf eingegangen, ob und in welchem Umfang nach der Gewalttat eine Traumafolge beim Kläger entstanden sei bzw. habe erwartet werden können. Das SG habe den Antrag auf Ladung des Sachverständigen zur Erläuterung seines Gutachtens fehlerhaft zurückgewiesen. Die unfallunabhängigen Belastungen hätten entgegen der Auffassung des Beklagten keinen überragenden Charakter. Der Sachverständige habe sich auch nicht ausreichend mit der ärztlichen Stellungnahme der L3 (gemeint: L2) auseinandergesetzt.

Im Hinblick auf die zum damaligen Zeitpunkt herrschende Corona-Epidemie sei es dem Kläger trotz Vorsprache bei seinem Hausarzt nicht gelungen, kurzfristig eine psychiatrische Behandlung seiner PTBS zu erhalten, sondern erst im Juni 2022. Entgegen der Auffassung des SG sei die Belastungsstörung für sachkundige Dritte, insbesondere für den behandelnden Hausarzt schon im Februar 2020 erkennbar gewesen und auch festgestellt worden.

Der Bevollmächtigte hat hierzu ein Schreiben der H3 vom 11. Januar 2024 vorgelegt, in dem sie über das Attest vom 12. August 2022 hinaus zusätzlich bescheinigt hat, dass im März und Juni 2022 Termine mit der Diagnose einer PTBS (Psychiatrische Institutsambulanz T1) verzeichnet seien. Eine Überweisung zur Psychiatrie/Psychotherapie sei nach Oktober 2021, im November 2022, im Februar, Mai, September und Dezember 2023 sowie im Januar 2024 erfolgt; Befunde lägen nicht vor.

Er hat ferner eine Bescheinigung der L2 vom 10. Januar 2024 vorgelegt, wonach seit dem 14. Juni 2022 eine psychiatrische ambulante Behandlung mit der Diagnose einer PTBS erfolge. Der Kläger berichte von rezidivierenden Ängsten, depressiven Verstimmungen und Schlafstörungen und sei auf die Einnahme von Psychopharmaka angewiesen. Durch die Medikation (Bupropion 150 mg und Pipamperon 20-40 mg) zeige er sich stabil auf niedrigem Niveau, aber weiterhin leicht irritierbar und emotional belastet. Da diese Symptome auf die Messerattacke zurückzuführen seien, sei die Berufung aus psychiatrischer Sicht gerechtfertigt.

Zuletzt hat er noch einen Befundbericht der L2 vom 19. März 2024 zu den Akten gereicht, in dem sie erneut die Diagnose einer PTBS gestellt und zusätzlich ausgeführt hat, dass die psychopharmakologische Therapie mehrmals wegen unerwünschter Nebenwirkungen habe umgestellt werden müssen. Der Kläger werde voraussichtlich auch weiterhin eine psychiatrische Behandlung und ein sicheres Umfeld benötigen, um seine bisher erzielte Stabilität nicht zu gefährden.

Der Bevollmächtigte hat zudem ausgeführt, dass bezweifelt werde, dass eine PTBS stets nur mit einer Latenz von maximal sechs Monaten auftrete. Der Kläger habe sich zwar seit dem Ereignis nicht in durchgehender fachärztlicher psychiatrischer Behandlung befunden. Er habe jedoch stets und ständig ärztliche Hilfe in Anspruch genommen. Dies ergebe sich auch aus seinen der Gerichtsakte beigefügten Angaben über ärztliche Behandlungen und Untersuchungen seit Februar 2020. Ihm seien im Mai 2020 gegen seine Ängste und Schmerzen bzw. Schlafstörungen, die eben auch aus dem Vorfall vom Februar 2020 resultierten, Schmerztabletten verschrieben worden. Eine weitere Medikamentierung sei im September 2020 sowie im Oktober 2021 erfolgt. Der Kläger habe zudem im Dezember 2021, als dies coronabedingt wieder möglich gewesen sei, wegen psychischer Belastungsstörungen B1 in M5 aufgesucht. Die Ansicht des SG, wonach der Kläger wegen ereignisunabhängigen Gesundheitsstörungen in fachärztlicher Behandlung stehe, sei nicht nachzuvollziehen und lasse sich auch nicht aus dem in Bezug genommenen Gutachten begründen.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 7. Dezember 2023 aufzuheben und den Beklagten unter Abänderung des Bescheids vom 1. Juli 2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 7. März 2022 zu verurteilen, ihm aufgrund des Ereignisses vom 3. Februar 2020 Beschädigtengrundrente zu gewähren, sowie als Folge dieses Ereignisses eine posttraumatische Belastungsstörung festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Er verweist auf die angefochtene Entscheidung und auf das Gutachten des erfahrenen Sachverständigen S1.

Der Kläger hat auch für das Berufungsverfahren die Gewährung von PKH unter Beiordnung seines Bevollmächtigten beantragt. Mit Beschluss vom 25. Februar 2025 hat der Senat die Gewährung von PKH wegen fehlender hinreichender Erfolgsaussichten abgelehnt.

Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten und auf die beigezogenen Verwaltungsakten (ein Band OEG-Akten mit Ermittlungsakte) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die form- und fristgerecht (§ 151 Sozialgerichtsgesetz [SGG]) eingelegte Berufung des Klägers ist statthaft (§§ 143, 144 SGG) und auch im Übrigen zulässig, aber unbegründet.


Streitgegenstand des Berufungsverfahrens ist der Gerichtsbescheid vom 7. Dezember 2023, mit dem das SG die kombinierte Anfechtungs-, Feststellungs- und Leistungsklage (§§ 54 Abs. 1 und 4, 55 Abs. 1 Nr. 3, 56 SGG) abgewiesen hat. Die Feststellungsklage ist auf die Feststellung einer PTBS als Folge einer bei dem Ereignis vom 3. Februar 2020 erlittenen Schädigung gerichtet und nicht wegen der Möglichkeit einer entsprechenden Verpflichtungsklage unstatthaft (vgl. zum Wahlrecht zwischen kombinierter Anfechtungs- und Feststellungsklage nach § 55 Abs. 1 Nr. 3 SGG und kombinierter Anfechtungs- und Verpflichtungsklage vgl. BSG, Urteil vom 15. Dezember 1999 - B 9 VS 2/98 R -, juris, Rz- 12). Mit der damit verbundenen Leistungsklage wird die Gewährung von Beschädigtenversorgung in Form einer Beschädigtengrundrente verfolgt. Die damit jeweils verbundene Anfechtungsklage richtet sich gegen den Bescheid vom 1. Juli 2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 7. März 2022 (§ 95 SGG), mit dem der Beklagte sowohl die Feststellung weiterer Schädigungsfolgen als auch die Gewährung von Beschädigtengrundrente abgelehnt hat.

Maßgebender Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist bei dieser kombinierten Klageart grundsätzlich der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in den Tatsacheninstanzen bzw. bei einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung dieser Zeitpunkt (vgl. BSG, Urteil vom 2. September 2009 – B 6 KA 34/08 –, juris, Rz. 26; BSG, Beschluss vom 9. Dezember 2019 - B 9 SB 48/19 B – juris, Rz. 8 m.w.N.; Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt SGG/Keller, 14. Aufl. 2023, § 54 Rz. 34).

Die Unbegründetheit der Berufung folgt aus der Unbegründetheit der Klage. Der angefochtene Bescheid in der Gestalt des Widerspruchsbescheides ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 54 Abs. 1 Satz 2 SGG). Auch zur Überzeugung des Senats hat der Beklagte die Gewährung einer Beschädigtengrundrente zu Recht abgelehnt, da bei diesem keine Schädigungsfolgen vorliegen, die mit einem GdS von wenigstens 25 zu bewerten sind. Weiter lässt sich als Schädigungsfolge insbesondere keine PTBS feststellen. Der Senat stützt sich dabei neben den vorliegenden ärztlichen Unterlagen, die er im Wege des Urkundsbeweises verwertet (§ 118 Abs. 1 SGG i. V. m. §§ 415 ff. Zivilprozessordnung [ZPO]), wesentlich auf das von dem SG eingeholte fachärztliche Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen S1 (§ 118 Abs. 1 SGG i.V.m. § 402 ff. ZPO). Die Entscheidung des SG ist daher nicht zu beanstanden.

Materiell-rechtlich sind die Vorschriften des BVG in seiner bis 31. Dezember 2023 geltenden Fassung anzuwenden. Gemäß § 142 Abs. 1 Satz 1 Vierzehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XIV) in der ab 1. Januar 2024 geltenden Fassung erhalten Personen, deren Ansprüche nach dem Bundesversorgungsgesetz oder nach einem Gesetz, das das Bundesversorgungsgesetz ganz oder teilweise für anwendbar erklärt, in der bis zum 31. Dezember 2023 geltenden Fassung bis zum 31. Dezember 2023 bestandskräftig festgestellt sind, diese Leistungen nach dem Bundesversorgungsgesetz oder nach dem Gesetz, das das Bundesversorgungsgesetz für anwendbar erklärt, in der am 31. Dezember 2023 geltenden Fassung weiter, soweit dieses Kapitel nichts anderes bestimmt. Über einen bis zum 31. Dezember 2023 gestellten und nicht bestandskräftig entschiedenen Antrag auf Leistungen nach dem Bundesversorgungsgesetz oder nach einem Gesetz, das das Bundesversorgungsgesetz ganz oder teilweise für anwendbar erklärt, ist nach dem im Zeitpunkt der Antragstellung geltenden Recht zu entscheiden, § 142 Abs. 2 Satz 1 SGB XIV. Wird hierbei ein Anspruch auf Leistungen festgestellt, werden ebenfalls Leistungen nach Absatz 1 erbracht, § 142 Abs. 2 Satz 2 SGB XIV.


Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch ist § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG in Verbindung mit § 9 Abs. 1 Nr. 3 Alt. 1, § 30, § 31 BVG. Danach erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG, unter anderem auch Beschädigtengrundrente nach § 31 Abs. 1 BVG, wer im Geltungsbereich des OEG oder auf einem deutschen Schiff oder Luftfahrzeug infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat. Die Versorgung umfasst nach dem insoweit entsprechend anwendbaren § 9 Abs. 1 Nr. 3 BVG die Beschädigtenrente (§§ 29 ff. BVG). Nach § 30 Abs. 1 Satz 1 BVG ist der GdS - bis zum Inkrafttreten des Gesetzes zur Änderung des BVG und anderer Vorschriften des Sozialen Entschädigungsrechts vom 13. Dezember 2007 (BGBl I S. 2904) am 21. Dezember 2007 als Minderung der Erwerbsfähigkeit <MdE> bezeichnet - nach den allgemeinen Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen, welche durch die als Schädigungsfolge anerkannten körperlichen, geistigen oder seelischen Gesundheitsstörungen bedingt sind, in allen Lebensbereichen zu beurteilen. Der GdS ist nach Zehnergraden von 10 bis 100 zu bemessen; ein bis zu fünf Grad geringerer GdS wird vom höheren Zehnergrad mit umfasst (§ 30 Abs. 1 Satz 2 BVG). Beschädigte erhalten gemäß § 31 Abs. 1 BVG eine monatliche Grundrente ab einem GdS von 30. Liegt der GdS unter 25 besteht kein Anspruch auf eine Rentenentschädigung (vgl. Senatsurteil vom 18. Dezember 2014 - L 6 VS 413/13 -, juris, Rz. 42; Dau, in: Knickrehm, Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht, 2012, § 31 BVG, Rz. 2).

Für einen Anspruch auf Beschädigtenversorgung nach dem OEG in Verbindung mit dem BVG sind folgende rechtlichen Grundsätze maßgebend (vgl. BSG, Urteil vom 17. April 2013 – B 9 V 1/12 R –, BSGE 113, 205 <208 ff.>):

Ein Versorgungsanspruch setzt zunächst voraus, dass die allgemeinen Tatbestandsmerkmale des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG gegeben sind (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 23. April 2009 – B 9 VG 1/08 R –, juris, Rz. 27 m. w. N). Danach erhält eine natürliche Person („wer“), die im Geltungsbereich des OEG durch einen vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriff eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG. Somit besteht der Tatbestand des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG aus drei Gliedern (tätlicher Angriff, Schädigung und Schädigungsfolgen), die durch einen Ursachenzusammenhang miteinander verbunden sind.

Nach der Rechtsprechung des BSG ist bei der Auslegung des Rechtsbegriffes „vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff“ im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG entscheidend auf die Rechtsfeindlichkeit, vor allem verstanden als Feindlichkeit gegen das Strafgesetz, abzustellen; von subjektiven Merkmalen, wie etwa einer kämpferischen, feindseligen Absicht, hat sich die Auslegung insoweit weitestgehend gelöst (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 7. April 2011 – B 9 VG 2/10 R –, SozR 4-3800 § 1 Nr. 18, Rz. 32 m. w. N.). Dabei sind je nach Fallkonstellation unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt und verschiedene Gesichtspunkte hervorgehoben worden. Leitlinie ist insoweit der sich aus dem Sinn und Zweck des OEG ergebende Gedanke des Opferschutzes. Das Vorliegen eines tätlichen Angriffes hat das BSG daher aus der Sicht von objektiven, vernünftigen Dritten beurteilt und insbesondere sozial angemessenes Verhalten ausgeschieden. Allgemein ist es in seiner bisherigen Rechtsprechung davon ausgegangen, dass als tätlicher Angriff grundsätzlich eine in feindseliger oder rechtsfeindlicher Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines Anderen zielende gewaltsame Einwirkung anzusehen ist, wobei die Angriffshandlung in aller Regel den Tatbestand einer - jedenfalls versuchten - vorsätzlichen Straftat gegen das Leben oder die körperliche Unversehrtheit erfüllt (st. Rspr.; vgl. nur BSG, Urteil vom 29. April 2010 – B 9 VG 1/09 R –, SozR 4-3800 § 1 Nr. 17, Rz. 25 m. w. N.). Abweichend von dem im Strafrecht umstrittenen Gewaltbegriff im Sinne des § 240 Strafgesetzbuch (StGB) zeichnet sich der tätliche Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG durch eine körperliche Gewaltanwendung (Tätlichkeit) gegen eine Person aus, wirkt also körperlich (physisch) auf einen anderen ein (vgl. BSG, Urteil vom 7. April 2011 ‑ B 9 VG 2/10 R ‑, SozR 4 3800 § 1 Nr. 18, Rz. 36 m. w. N.). Ein solcher Angriff setzt eine unmittelbar auf den Körper einer anderen Person zielende, gewaltsame physische Einwirkung voraus; die bloße Drohung mit einer wenn auch erheblichen Gewaltanwendung oder Schädigung reicht hierfür demgegenüber nicht aus (vgl. BSG, Urteil vom 16. Dezember 2014 ‑ B 9 V 1/13 R ‑, juris, Rz. 23 ff.).

Hinsichtlich der entscheidungserheblichen Tatsachen kennen das Soziale Entschädigungsrecht und damit auch das OEG drei Beweismaßstäbe. Grundsätzlich bedürfen die drei Glieder der Kausalkette (schädigender Vorgang, Schädigung und Schädigungsfolgen) des Vollbeweises. Für die Kausalität selbst genügt gemäß § 1 Abs. 3 BVG die Wahrscheinlichkeit. Nach Maßgabe des § 15 Satz 1 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOVVfG), der gemäß § 6 Abs. 3 OEG anzuwenden ist, sind bei der Entscheidung die Angaben der Antragstellenden, die sich auf die mit der Schädigung, also insbesondere auch mit dem tätlichen Angriff im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, zugrunde zu legen, wenn sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen.

Für den Vollbeweis muss sich das Gericht die volle Überzeugung vom Vorhandensein oder Nichtvorhandensein einer Tatsache verschaffen. Allerdings verlangt auch der Vollbeweis keine absolute Gewissheit, sondern lässt eine an Gewissheit grenzende Wahrscheinlichkeit ausreichen. Denn ein darüber hinausgehender Grad an Gewissheit ist so gut wie nie zu erlangen (vgl. Keller, a. a. O., § 128 Rz. 3b m. w. N.). Daraus folgt, dass auch dem Vollbeweis gewisse Zweifel innewohnen können, verbleibende Restzweifel mit anderen Worten bei der Überzeugungsbildung unschädlich sind, solange sie sich nicht zu gewichtigen Zweifeln verdichten (vgl. BSG, Urteil vom 24. November 2010 - B 11 AL 35/09 R -, juris, Rz. 21). Eine Tatsache ist bewiesen, wenn sie in so hohem Grade wahrscheinlich ist, dass alle Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung zu begründen (vgl. Keller, a. a. O.).

Der Beweisgrad der Wahrscheinlichkeit im Sinne des § 1 Abs. 3 Satz 1 BVG ist dann gegeben, wenn nach der geltenden wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen einen ursächlichen Zusammenhang spricht (vgl. BSG, Beschluss vom 8. August 2001 – B 9 V 23/01 B –, SozR 3-3900 § 15 Nr. 4, S. 14 m. w. N.). Diese Definition ist der Fragestellung nach dem wesentlichen ursächlichen Zusammenhang (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 16. Dezember 2014 - B 9 V 6/13 R -, juris, Rz. 18 ff.) angepasst, die nur entweder mit ja oder mit nein beantwortet werden kann. Es muss sich unter Würdigung des Beweisergebnisses ein solcher Grad von Wahrscheinlichkeit ergeben, dass ernste Zweifel hinsichtlich einer anderen Möglichkeit ausscheiden. Für die Wahrscheinlichkeit ist ein „deutliches" Übergewicht für eine der Möglichkeiten erforderlich. Sie entfällt, wenn eine andere Möglichkeit ebenfalls ernstlich in Betracht kommt.

Bei dem „Glaubhafterscheinen“ im Sinne des § 15 Satz 1 KOVVfG handelt es sich um den dritten, mildesten Beweismaßstab des Sozialrechts. Glaubhaftmachung bedeutet das Dartun einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit (vgl. Keller, a. a. O., Rz. 3d m. w. N.), also der guten Möglichkeit, dass sich der Vorgang so zugetragen hat, wobei durchaus gewisse Zweifel bestehen bleiben können (vgl. BSG, Beschluss vom 8.
August 2001 - B 9 V 23/01 B -, SozR 3 3900 § 15 Nr. 4, S. 14 f. m. w. N.). Dieser Beweismaßstab ist durch seine Relativität gekennzeichnet. Es muss nicht, wie bei der Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhanges, absolut mehr für als gegen die glaubhaft zu machende Tatsache sprechen. Es reicht die gute Möglichkeit aus, also es genügt, wenn bei mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten das Vorliegen einer davon relativ am wahrscheinlichsten ist (vgl. Keller, a. a. O.), weil nach der Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für diese Möglichkeit spricht. Von mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Sachverhaltsvarianten muss einer den übrigen gegenüber ein gewisses, aber kein deutliches Übergewicht zukommen. Wie bei den beiden anderen Beweismaßstäben reicht die bloße Möglichkeit einer Tatsache nicht aus, um die Beweisanforderungen zu erfüllen. Das Tatsachengericht ist allerdings mit Blick auf die Freiheit der richterlichen Beweiswürdigung (§ 128 Abs. 1 Satz 1 SGG) im Einzelfall grundsätzlich darin nicht eingeengt, ob es die Beweisanforderungen als erfüllt ansieht (vgl. BSG, Beschluss vom 8. August 2001 ‑ B 9 V 23/01 B ‑, SozR 3-3900 § 15 Nr. 4, S. 15). Diese Grundsätze haben ihren Niederschlag auch in den „Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz“ in ihrer am 1. Oktober 1998 geltenden Fassung der Ausgabe 1996 (AHP 1996) und nachfolgend - seit Juli 2004 - den „Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil 2 SGB IX)“ in ihrer jeweils geltenden Fassung (AHP 2005 und 2008) gefunden, welche zum 1. Januar 2009 durch die Anlage zu § 2 Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) vom 10. Dezember 2008 (Teil C, Nrn. 1 bis 3 und 12 der Anlage zu § 2 VersMedV; vgl. BR-Drucks 767/1/08 S. 3, 4) inhaltsgleich ersetzt worden ist (vgl. BSG, Urteil vom 16. Dezember 2014 ‑ B 9 V 6/13 R ‑, juris, Rz. 17).

Ausgehend von diesen Maßstäben hat der Beklagte mit dem angefochtenen Bescheid – für den Senat bindend (vgl. § 77 SGG) – eine „reizlose, 5 cm lange Narbe am seitlichen Kopf“ als Folge der bei der Gewalttat vom 3. Februar 2020 erlittenen Schädigung anerkannt. Ein messbarer GdS resultiert aus der anerkannten Schädigungsfolge nicht. Bereits im St
rafprozess hat der Kläger erklärt, dass seine Wunde gut verheilt ist. Der Senat schließt sich hinsichtlich der Bewertung daher der versorgungsärztlichen Stellungnahme von S2 an, der den GdS mit 0 berücksichtigt hat. Bereits der M4 hat anlässlich der Kontrolle der Schnittverletzung am 14. Februar 2020 festgestellt, dass keinerlei Komplikationen aufgetreten sind, vielmehr der Heilungsverlauf bereits zu diesem Zeitpunkt regelrecht war, so dass die Fäden gezogen konnten, also die Einschätzung direkt therapeutische Konsequenzen hatte. Diese Einschätzung wird durch das Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen S1 in aller Deutlichkeit bestätigt, wonach die Narbe bei seinem Augenschein kaum sichtbar war, so dass auch keine kosmetische Entstellung besteht (vgl. Urteil des Senats vom 21. Juli 2022 – L 6 SB 1696/21 –, juris, Rz. 60), Dies korrespondiert mit der Rechtsprechung des BSG, wonach für eine Entstellung nicht jede körperliche Abnormität genügt, sondern es sich objektiv um eine erhebliche Auffälligkeit handeln muss, die naheliegende Reaktionen der Mitmenschen wie Neugier und Betroffenheit hervorruft und damit zugleich erwarten lässt, dass der Betroffene ständig viele Blicke auf sich zieht, zum Objekt besonderer Beachtung wird und sich deshalb aus dem Leben in der Gemeinschaft zurückzieht und zu vereinsamen droht, sodass letztlich die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft gefährdet ist. Dabei kommt es nicht auf die subjektive oder persönliche Einschätzung an, sondern es ist ein objektiver Maßstab anzulegen (vgl. BSG, Urteil vom 10. März 2022 – B 1 KR 3/21 R – juris, Rz. 16). Störungen durch Ausdehnung, Beschaffenheit, Sitz der Narbe oder durch Einwirkung auf ihre Umgebung, die nach den VG (Teil B Nr. 17) für den GdS relevant wären, sind damit nicht ersichtlich.

Der Kläger leidet unter keiner weiteren Gesundheitsstörung, die rechtlich wesentlich durch das Ereignis vom 3. Februar 2020 verursacht worden wäre.

Auf neurologischem Fachgebiet konnten trotz der stattgehabten Verletzung am Kopf fachkundig durch den Sachverständigen
S1 überhaupt keine Schädigungsfolgen gesichert werden. Zwar hatte der Kläger durch den Messerangriff eine 5 cm lange Schnittwunde am Kopf mittig über dem Os Parietal erlitten. Bereits unmittelbar danach bei der Behandlung im Krankenhaus T1 bestanden aber weder Bewusstlosigkeit, Amnesie oder Erbrechen. Der Kläger hatte Übelkeit, Schwindel oder Kopfschmerzen verneint, so dass keinerlei Hinweise auf belangvolle Kopfverletzungen bestanden. Die Behandlung beschränkte sich daher darauf, ihn mit einer Wundnaht und einem Verband zu versorgen, was der Senat dem Entlassungsbericht vom 3. Februar 2020 entnimmt. Passend dazu waren bei der Untersuchung durch S1 die Schädelkonfiguration unauffällig, die Nervenaustrittspunkte nicht spezifisch druckdolent und die Kopfbeweglichkeit ohne Hinweis auf Paresen. Die orientierende Prüfung der Hirnnerven blieb unauffällig, die Muskeleigenreflexe waren in allen Etagen seitengleich schwach bis mittellebhaft auslösbar. Anhaltspunkte für latente oder manifeste Paresen an den Extremitäten bestanden ebenfalls nicht, wofür auch spricht, dass Muskelrelief und Muskeltonus allseits regelrecht waren. Dazu passend konnte der Einbeinstand beidseits ausreichend sicher gezeigt werden, alle Gelenke der oberen und unteren Extremitäten waren aktiv beweglich bei physiologischem Gangbild, ohne neurogene Gangstörung. Schließlich hat die Prüfung der Sensibilität ein intaktes Berührungs-, Schmerz-, Lage- und Vibrationsempfinden gezeigt. Die Koordinationsprüfung (Romberg-Stehversuch, Unterberger-Tretversuch, Seiltänzergang mit offenen und geschlossenen Augen) verblieb ohne Befund. Die Kopfverletzung hat schließlich nicht zu einer Hirnschädigung geführt, denn kognitive oder mnestische Defizite relevanten Ausmaßes konnten nicht erhoben werden. Der Kläger zeigte sich vielmehr geistig gut flexibel. Für eine hirnorganisch bedingte psychische Symptomatik ergab sich daher kein Anhalt. Nachdem eine gute Kooperation bei den Kraft- und Koordinationsprüfungen bestand, ist die gutachterliche Einschätzung unauffälliger neurologischer Untersuchungsbefunde für den Senat schlüssig.

Psychische Schädigungsfolgen sind ebenfalls nicht nachgewiesen. Insbesondere ist keine PTBS festzustellen. Schon im vorausgegangenen strafgerichtlichen Prozess hat der Kläger auf die ausdrückliche Nachfrage, wie es ihm heute gehe, erklärt, die Wunde sei gut verheilt, also von sich aus keinerlei psychische Beschwerden geschildert.

Zeitnah hat der Kläger überhaupt keine psychischen Probleme gegenüber den behandelnden Ärzten geäußert, so dass ein entsprechender Gesundheitserstschaden, worauf der Gutachter S1 hinweist, schon nicht gesichert ist. Folgerichtig hat sich der Kläger in seinem Antrag nach dem OEG bei der Frage nach den körperlichen und/oder seelischen Gesundheitsstörungen auch nicht auf solche Beschwerden gestützt, sondern nur die Fleischwunde am Kopf angegeben. Auch dem Strafurteil lässt sich entnehmen, dass der Kläger Ende Juli 2020 – also rund acht Monate nach der Gewalttat – auf Nachfrage, wie es ihm gehe, berichtet hatte, dass die Wunde gut verheilt sei. Die zwischenzeitlichen Verordnungen von Medikamenten durch den Hausarzt betrafen Ibuprofen 600 mg und damit ein gebräuchliches Schmerzmittel. Der Kläger hat erst mehr als zwei Jahre nach der Gewalttat eine – mit etwa einer Vorstellung im Monat nur niedrigfrequente – fachärztliche Behandlung aufgenommen, worauf der Sachverständige S1 ebenfalls fachkundig hingewiesen hat.

Dessen ungeachtet hat sich nach der Gewalttat keine PTBS entwickelt, die als Schädigungsfolge festzustellen wäre.
Die Beurteilung der Frage, ob eine PTBS vorliegt, hat sich nach der Rechtsprechung des BSG und dem folgend des Senats (vgl. Senatsurteile vom 27. August 2015 – L 6 VS 4569/14 –, juris, Rz. 34 und vom 23. Juni 2016 – L 6 VH 4633/14 –, juris, Rz. 58 ff.) an den gängigen Diagnosesystemen entsprechend der Nomenklatur der ICD-10 und des DSM-5 zu orientieren. Denn die konkret zu bezeichnenden Krankheiten bilden die Tatsachengrundlage, von der ausgehend die Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Leistungsvermögens zu beurteilen ist (vgl. BSG, Urteil vom 9. Mai 2006 – B 2 U 1/05 RSozR 4-2700 § 8 Nr. 17; BSG SozR 4-2700 § 200 Nr. 3).

Beide Diagnosesysteme setzen ein sogenanntes Eingangskriterium voraus, also ob das vorgegebene Ereignis nach wissenschaftlichem Erkenntnisstand geeignet ist, eine PTBS hervorzurufen, ferner syndromale Kriterien wie Vermeidungsverhalten (vgl. dazu Widder, Die neuen Diagnosekriterien nach DSM-5 und ICD-11 bei der Begutachtung psychischer Schädigungsfolgen, MedSach 2020, S. 102, 103 f.).

Nach ICD-10 F43.1 entsteht eine PTBS als eine verzögerte oder protrahierte Reaktion auf ein belastendes Ereignis oder eine Situation kürzerer oder längerer Dauer mit außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigem Ausmaß, die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde. Prädisponierende Faktoren wie bestimmte, z. B. zwanghafte oder asthenische Persönlichkeitszüge oder neurotische Krankheiten in der Vorgeschichte können die Schwelle für die Entwicklung dieses Syndroms senken und seinen Verlauf erschweren, aber die letztgenannten Faktoren sind weder notwendig noch ausreichend, um das Auftreten der Störung zu erklären. Typische Merkmale sind das wiederholte Erleben des Traumas in sich aufdrängenden Erinnerungen (Nachhallerinnerungen, Flashbacks), Träumen oder Alpträumen, die vor dem Hintergrund eines andauernden Gefühls von Betäubtsein und emotionaler Stumpfheit auftreten. Ferner finden sich Gleichgültigkeit gegenüber anderen Menschen, Teilnahmslosigkeit der Umgebung gegenüber, Freudlosigkeit sowie Vermeidung von Aktivitäten und Situationen, die Erinnerungen an das Trauma wachrufen könnten. Meist tritt ein Zustand von vegetativer Übererregtheit mit Vigilanzsteigerung, einer übermäßigen Schreckhaftigkeit und Schlafstörung auf. Angst und Depression sind häufig mit den genannten Symptomen und Merkmalen assoziiert und Suizidgedanken sind nicht selten. Der Beginn folgt dem Trauma mit einer Latenz, die wenige Wochen bis zu sechs Monate dauern kann. Der Verlauf ist wechselhaft, in der Mehrzahl der Fälle kann jedoch eine Heilung erwartet werden. In wenigen Fällen nimmt die Störung über viele Jahre einen chronischen Verlauf und geht dann in eine andauernde Persönlichkeitsänderung über.

Das neue ab 1. Januar 2022 in Kraft getretene, aber in Deutschland noch nicht zur vertragsärztlichen Behandlung freigegebene Diagnosesystem ICD-11 hat die PTBS bei inhaltlich unveränderter Beschreibung insofern konkreter gefasst, als das Traumakriterium nun extrem bedrohlicher oder entsetzlicher Art sein muss. Das Symptommuster umfasst das Wiedererleben in der Gegenwart (Ereignisse werden sinnlich als noch einmal im Hier und Jetzt geschehend erfahren) durch Albträume, die Vermeidung (Erinnerungsanlässe, die wahrscheinlich zu einem Wiedererleben der traumatischen Ereignisse führen) und die Überregung (erhöhte Wachsamkeit oder gesteigerte Schreckreaktion durch die subjektive Wahrnehmung einer anhaltenden Bedrohung). Somit sind unspezifische Symptome wie Schlafstörungen etc. nicht mehr typische Symptome einer PTBS. Die Verursachung erheblicher Beeinträchtigungen wird in persönlichen, familiären, sozialen, schulischen, beruflichen oder anderen wichtigen Funktionsbereichen gefordert (ICD-11 6B40).


Nach DSM-5 gelten folgende Grundsätze: Das Hauptmerkmal der PTBS ist die Entwicklung charakteristischer Symptome nach der Konfrontation mit einem extrem traumatischen Ereignis. Das traumatische Ereignis besteht in erster Linie in dem direkten persönlichen Erleben einer Situation, die mit dem Tod oder der Androhung des Todes, einer schweren Verletzung oder einer anderen Bedrohung der körperlichen Unversehrtheit auch sexueller Art zu tun hat (Kriterium A1). Daneben wird aber auch der Augenzeuge, weiter das indirekte erfahren, dass ein naher Verwandter oder ein Freund einem traumatischen Ereignis ausgesetzt war oder die Konfrontation mit Details von traumatischen Ereignissen (z. B. als Ersthelfer, Polizist), eventuell auch als Konfrontation durch elektronische Medien für ausreichend erachtet (Kriterium A2 bis 4). Die Reaktion der Person auf das Ereignis muss ein Wiedererleben sein (Kriterium B1), dass sich entweder/und in wiederkehrenden Erinnerungen, traumatischen Albträumen, dissoziativen Reaktionen (z. B. Flashbacks), intensivem oder langanhaltendem Stress wie markanten physiologischen Reaktionen äußert. Charakteristische Symptome (Kriterium C1) sind die andauernde Vermeidung von traumaassoziierten Reizen, Gedanken oder Gefühle, aber auch externer Art (z. B. Menschen, Orte, Unterhaltungen, Tätigkeiten, Objekte oder Situationen). Daneben besteht eine negative Veränderung von Gedanken und Stimmung (Kriterium D1 bis 7). Der Betroffene ist entweder/und unfähig, sich an wichtige Merkmale des traumatischen Erlebnisses zu erinnern (dissoziative Amnesie) leidet an Schuld-, Scham-, Angst-und Wutgefühlen, vermindertem Interesse an wichtigen Tätigkeiten, dem Gefühl, anderen fremd zu sein, wie der Unfähigkeit, positive Emotionen zu empfinden. Weiter muss eine Veränderung des Erregungsniveaus und der Reaktivität (Hyperarousal) vorliegen (Kriterium E1 bis 6). Das Störungsbild, das nicht Folge von Medikamenten, Substanzeinnahme oder anderen Krankheiten sein darf (Ausschlusskriterium G), muss länger als einen Monat anhalten (Kriterium F) und die Störung muss in klinisch bedeutsamer Weise Leiden oder Beeinträchtigungen in sozialen, beruflichen oder anderen wichtigen Funktionsbereichen verursachen (Kriterium G).

Hinsichtlich Beginn und Dauer der Symptome wird unterschieden zwischen der akuten PTBS (wenn die Dauer der Symptome weniger als drei Monate beträgt), der chronischen PTBS (wenn die Symptome drei Monate oder länger andauern) und der PTBS mit verzögertem Beginn (wenn mindestens sechs Monate zwischen dem traumatischen Ereignis und dem Beginn der Symptome vergangen sind). Die Symptome, wie beispielsweise verminderte affektive Schwingungsfähigkeit, dissoziative Symptome, somatische Beschwerden, Gefühle der Insuffizienz in Form von Hoffnungslosigkeit, sozialer Rückzug, ständiges Gefühl des Bedrohtseins oder beeinträchtigte Beziehung zu anderen oder Veränderung der Persönlichkeit im Vergleich zu früher beginnen normalerweise innerhalb der ersten drei Monate nach dem Trauma, obwohl sich die Ausbildung der Symptome aber auch um Monate oder sogar Jahre verzögern kann. Die Schwere, Dauer und Nähe der Person bei Konfrontation mit dem traumatischen Ereignis sind die wichtigsten Faktoren, die die Wahrscheinlichkeit bestimmen, mit der die Störung sich entwickelt. Es gibt Hinweise, dass soziale Unterstützung, Familienanamnese, Kindheitserfahrungen, Persönlichkeitsvariablen und vorbestehende psychische Störungen die Ausbildung einer PTBS beeinflussen können. Die Störung kann sich auch bei Personen entwickeln, bei denen zuvor keine besondere Auffälligkeit vorhanden war, besonders dann, wenn es sich um eine besonders extreme Belastung handelt.

Die nach den beiden Klassifikationssystemen notwendigen Kriterien bzw. dafür erforderlichen Unterkriterien müssen im Vollbeweis feststehen, um die Diagnose einer PTBS stellen zu können. Hinsichtlich der medizinischen Voraussetzungen (Kriterien B bis D, ggfs. E und F) bezieht sich diese Anforderung auf den aktuellen Gesundheitszustand des Geschädigten.

Insbesondere, wenn die gesundheitlichen Beeinträchtigungen nicht bereits unmittelbar nach dem Ende der Traumatisierung auftreten oder seitdem ununterbrochen bestehen, es also an Brückensymptomen fehlt, muss die Zusammenhangfrage besonders sorgfältig geprüft werden und ist nur anhand eindeutiger objektiver Befunde zu bejahen, was sich auch aus Anforderungen der früheren Anhaltspunkte (AHP) ergibt. Die Frage nach dem ursächlichen Zusammenhang ist erst dann zu stellen, wenn die Diagnose positiv feststeht (vgl. BSG, Beschluss vom 2. Dezember 2010 – B 9 VH 3/09 B –, Rz. 14, juris; Beschluss vom 16. Februar 2012 – B 9 V 17/11 B –, Rz. 16, juris; Urteil des Senats vom 23. Juni 2016 – L 6 VH 4633/14 –, juris, Rz. 61).

Dies ist hier jedoch zur Überzeugung des Senats nicht der Fall, da sich bei dem Kläger, auch wenn die Gewalttat grundsätzlich geeignet wäre, eine PTBS auszulösen, eine solche nicht diagnostizieren lässt, wie der Sachverständige in Auswertung der ärztlichen Befunde wie seiner eigenen Untersuchung schlüssig dargelegt hat.

Die von dem Kläger in der Berufung angeführte besondere Schwere der Gewalttat, die strafrechtlich als versuchter Mord qualifiziert wurde, betrifft nur das A-Kriterium bzw. das Eingangskriterium und ist damit zwar eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung für die Diagnose einer PTBS. Der Senat hatte bei der Prüfung des A-Kriteriums zu würdigen, dass der Kläger keineswegs hilflos auf die Tat reagierte. So konnte er den Täter nach dem für ihn völlig überraschenden Angriff überwältigen und konnte danach noch mit seinem Handy Krankenwagen und Polizei holen. Dies ergibt sich aus seinen Angaben gegenüber dem Sachverständigen S1. Dass der Kläger zu einer derartigen Reaktion und dann Aktion in der Lage war, weckt umgekehrt eher Zweifel daran, dass der Kläger sich in dem dargelegten Sinne der ICD-10 oder ICD-11 ausgeliefert gesehen hat. Dies kann aber ebenso dahingestellt bleiben wie die von dem Kläger aufgeworfene Frage, in welchem Umfang nach der Gewalttat die Entstehung einer Traumafolge bei ihm erwartet werden konnte, da allein die konkreten bei dem Kläger vorliegenden Gesundheitsstörungen für die Frage der Schädigungsfolgen und deren Grad maßgeblich sind.

So fehlt es bereits an der B-Symptomatik. Die L2 hat insoweit anamnestisch von Grübelgedanken, diffusen Ängste, Intrusionen, nächtlichen Schlafstörungen und über „schlechte Träume von Blut“ berichtet. Nach der Anamnese des Sachverständigen S1 beziehen sich diese „schlechten Träume“ jedoch auf den Tod der 2000 bzw. 2006 verstorbenen Eltern und den gewaltsamen Tod seiner Nachbarin und Freundin, so dass bereits keine Assoziation mit der hier relevanten Gewalttat erkennbar ist. Vielmehr wurden Alpträume von der Tat schon spontan nicht berichtet. Der Gutachter führt für den Senat nachvollziehbar aus, dass Erinnerungen an ein traumatisches Ereignis und auch Alpträume von belastenden Ereignissen erst einmal nichts Pathologisches darstellen, sondern dem natürlichen Verarbeitungsmodus emotional aufwühlender Lebensereignisse entsprechen. Der Sachverständige hat im Übrigen für den Senat überzeugend dargelegt, dass sich die bei der PTBS so typische Symptomatik gerade daraus ergibt, dass die mit dem traumatischen Ereignis assoziierten Erinnerungen aufgrund des massiven Stresserlebens während des traumatischen Erlebens nicht so integriert abgespeichert werden konnten, dass sie eine ganzheitliche, eindeutig in der Vergangenheit liegende Erinnerung ergeben. Vielmehr sind die Erinnerungsspuren fragmentiert und nicht direkt abrufbar, könnten aber durch entsprechende sensorische Hinweisreize derart aktiviert werden, dass sich die Person quasi im traumatischen Erleben wiederfindet. Derartiges lässt sich aber weder dem Gutachten des Sachverständigen noch den fachärztlichen Berichten entnehmen.

Weiter fehlt es bereits tatnah an dem erforderlichen C-Kriterium (Vermeidungskriterium), denn ausweislich des Strafurteils, das mit der Verhandlung die stärkste Konfrontation mit Tat und Täter für das Opfer wiedergibt, konnte er
seine Aussage ruhig und ohne erkennbaren Belastungseifer tätigen und Nachfragen ohne Zögern beantworten, ohne zu dramatisieren, sondern die Vorgänge nüchtern zu schildern. Dazu passend hat der gerichtliche Sachverständige S1 für den Senat überzeugend herausarbeiten können, dass es dem Kläger möglich war, spontan über die Gewalttat zu berichten und die Tat wie deren Umstände sachlich, präzise und in vollständigen Sätzen ohne eine Sprachverlangsamung zu schildern. Es bestanden dabei keinerlei Anhaltspunkte für eine irgendwie geartete psychovegetative Irritation, kein Zittern, keine vertiefte Atmung oder Hyperventilation, kein Schwitzen, kein Weinen, keine dissoziative Symptomatik oder Hinweise auf eine psychovegetative Irritation oder eine Verstörtheit, wie sie nach Mitteilung des erfahrenen Sachverständigen bei der Schilderung von traumatisierten Patienten regelrecht zu beobachten sind. Ein Hinweis auf eine C-Symptomatik lässt sich auch dem Arztbrief der L2 vom 15. Juni 2022 und ihren weiteren Berichten nicht entnehmen. Denn dort werden lediglich Grübelgedanken, diffuse Ängste, Intrusionen, nächtliche Schlafstörungen und „schlechte Träume von Blut“ referiert, ohne dass entsprechende Befunde in Bezug auf die C-Symptomatik festgestellt worden wären. Der Sachverständige hat deswegen schlüssig die von der L2 gestellte Diagnose angezweifelt, die aus dem Bericht nicht nachvollziehbar hervorgeht, zumal eine entsprechende Symptomatik nicht erhoben werden konnte. Soweit die L2 in ihrem Attest vom 28. November 2022 ausgeführt hat, dass die Diagnose einer PTBS auch dann mit „großer Wahrscheinlichkeit“ gestellt werden könne, wenn der Abstand zwischen dem Ereignis und dem Beginn der Störung mehr als 6 Monate betrage, vermag dies die für den erforderlichen Vollbeweis erforderliche richterliche Überzeugung bereits im Ausgangspunkt nicht zu begründen. Auch nach dem gerade zur Vorlage beim SG erstellten Arztbrief der L2 vom 5. Juli 2023 lag im Übrigen lediglich ein Verdacht auf eine PTBS, also gerade keine gesicherte Diagnose vor. Dasselbe gilt, soweit die M6 im Juli 2022 ausgeführt hat, dass der Kläger unruhig und belastet gewirkt habe, als er von dem Ereignis berichtet habe, da auch sie selbst eine PTBS nur als vorläufige Diagnose gestellt hat. Eine bei einem hausärztlichen Termin am 6. Juli 2020 geäußerte „Angst vor Afrikanern“ begründet ebenso wie der anamnestische Bericht in dem Gutachten des Sachverständigen über eine Besorgnis im Zusammenhang mit einem psychisch krank wirkenden anderen afrikanischen Mitbewohner keine C-Symptomatik in dem dargestellten Sinne. Der Sachverständige weist insoweit für den Senat nachvollziehbar darauf hin, dass die Sorge vor einer erneuten Gewalttat primär nichts Pathologisches ist, sondern einer Lernerfahrung entspricht.

Abgesehen davon sind auch die D- oder E-Kriterien mehr als fraglich. Der Sachverständige weist insoweit darauf hin, dass sich aktuell klinisch keine weiteren Symptome wie chronische Suizidgedanken, Aufbrausen oder extreme unterdrückte Wut zeigten, die die Diagnose der PTBS nahelegen würden. Weiter bestanden keine Bewusstseinsveränderungen, keine gestörte Selbstwahrnehmung wie Ohnmachtsgefühle, keine Lähmung jeglicher Initiative, kein Gefühl, sich von anderen Menschen grundlegend zu unterscheiden oder Veränderungen der Wertesysteme.

Es kann damit dahingestellt bleiben, ob eine ausreichende Brückensymptomatik nachgewiesen ist. Daran bestehen aber begründete Zweifel, weil der Kläger – wie bereits zur Frage des Gesundheitserstschadens ausgeführt - bis Juni 2022 überhaupt keine fachärztliche Behandlung in Anspruch genommen, sondern erst nach der bescheidmäßigen Ablehnung einen Facharzt konsultiert hat.


Der Kläger leidet auf psychiatrischem Fachgebiet allenfalls unter einer Dysthymia (ICD-10 F 34.1), die bereits nicht monokausal auf die Gewalttat vom 3. Februar 2020 zurückgeführt werden kann. Dabei handelt es sich nach der Klassifikation in der ICD-10 GM 2025 um eine chronische, wenigstens mehrere Jahre andauernde depressive Verstimmung, die weder schwer noch hinsichtlich einzelner Episoden anhaltend genug ist, um die Kriterien einer schweren, mittelgradigen oder leichten rezidivierenden depressiven Störung (F33.-) zu erfüllen. Der Senat stützt sich auch insoweit auf das Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen, der den Kläger im psychischen Befund als allenfalls dysthym bzw. subdepressiv beschrieben und eine tiefgehende depressive Stimmung ausgeschlossen hat. Weitergehende auffällige psychopathologische Befunde lassen sich dem Gutachten nicht entnehmen. Dies lässt sich mit den von der L2 mitgeteilten Befunden vereinbaren, da sie die Stimmung als etwas gedrückt beschrieben hat. Eine wesentliche Verursachung einer Dysthymia durch das Ereignis vom 3. Februar 2020 und eine dort erlittene Schädigung ist schon deshalb nicht hinreichend wahrscheinlich, weil bei dem Kläger diverse, als ursächlich in Betracht kommenden weitere Belastungsfaktoren bestanden bzw. bestehen. Der Sachverständige weist für den Senat insoweit nachvollziehbar darauf hin, dass eine Migrationsproblematik mit einem damit verbundenen eingeschränkten sozialen Status mit Wohnsitzauflage und ohne Erlaubnis einer Erwerbstätigkeit besteht, die von diesem – für den Senat durchaus nachvollziehbar – als belastend empfunden wird. Lebensgeschichtlich kommen die von dem Kläger berichtete Ermordung seiner Freundin in Jordanien infolge seiner Affäre mit ihr hinzu, ferner die räumliche Trennung von seiner Familie seit 1993, die Todesfälle seiner Schwestern und seiner Eltern sowie das von dem Kläger mit soziokulturellen Hindernissen begründete Scheitern der Beziehung zu der Mutter seines Sohnes mit nachfolgenden Sorgerechtsstreitigkeiten. Bei einem multifaktoriellen Geschehen lässt sich die Erkrankung nicht rechtlich wesentlich auf das – zweifellos auch psychisch belastende – Ereignis vom 3. Februar 2020 zurückführen.

Davon abgesehen rechtfertigen die bei dem Kläger vorliegenden psychischen Befunde auch keinen GdS und erst recht nicht in rentenberechtigender Höhe.


Nach den VG, Teil B, Nr. 3.7 begründen Neurosen, Persönlichkeitsstörungen, Folgen psychischer Traumen in Form leichterer psychovegetativer oder psychischer Störungen einen GdS von 0 bis 20, stärkere Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit (z. B. ausgeprägtere depressive, hypochondrische, asthenische oder phobische Störungen, Entwicklungen mit Krankheitswert, somatoforme Störungen) einen GdS von 30 bis 40, schwere Störungen (z. B. schwere Zwangskrankheit) mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten einen GdS von 50 bis 70 und mit schweren sozialen Anpassungsschwierigkeiten einen GdS von 80 bis 100. Die funktionellen Auswirkungen einer psychischen Erkrankung, insbesondere wenn es sich um eine affektive oder neurotische Störung nach F30.- oder F40.- ICD-10 GM handelt, manifestieren sich dabei im psychisch-emotionalen, körperlich-funktionellen und sozial-kommunikativen Bereich (vgl. Philipp, Vorschlag zur diagnoseunabhängigen Ermittlung der MdE bei unfallbedingten psychischen bzw. psychosomatischen Störungen, MedSach 6/2015, S. 255 ff.). Diese drei Leidensebenen hat auch das Bundessozialgericht in seiner Rechtsprechung angesprochen (vgl. BSG, Beschluss vom 10. Juli 2017 – B 9 V 12/17 B –, juris, Rz. 2). Dabei ist für die GdS-Bewertung, da diese die Einbußen in der Teilhabe am Leben in der (allgemeinen) Gesellschaft abbilden soll, vor allem die sozial-kommunikative Ebene maßgeblich (vgl. Senatsurteil vom 12. Januar 2017 – L 6 VH 2746/15 –, juris, Rz. 61). Bei dieser Beurteilung ist auch der Leidensdruck zu würdigen, dem sich der behinderte Mensch ausgesetzt sieht, denn eine „wesentliche Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit“ meint schon begrifflich eher Einschränkungen in der inneren Gefühlswelt, während Störungen im Umgang mit anderen Menschen eher unter den Begriff der „sozialen Anpassungsschwierigkeiten“ fallen, der ebenfalls in den VG genannt ist. Die Stärke des empfundenen Leidensdrucks äußert sich nach ständiger Rechtsprechung des Senats auch und maßgeblich in der Behandlung, die der Betroffene in Anspruch nimmt, um das Leiden zu heilen oder seine Auswirkungen zu lindern. Hiernach kann bei fehlender ärztlicher oder der gleichgestellten (§§ 27 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 28 Abs. 3 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch – Krankenversicherung) psychotherapeutischen Behandlung durch – bei gesetzlich Versicherten zugelassene – Psychologische Psychotherapeuten in der Regel nicht davon ausgegangen werden, dass ein diagnostiziertes seelisches Leiden über eine leichtere psychische Störung hinausgeht und bereits eine stärker behindernde Störung im Sinne der GdS-Bewertungsgrundsätze darstellt (Senatsurteil vom 22. Februar 2018 – L 6 SB 4718/16 –, juris, Rz. 42; vgl. auch LSG Baden- Württemberg, Urteil vom 17. Dezember 2010 – L 8 SB 1549/10 –, juris, Rz. 31).

Nach diesen Vorgaben besteht mit der Dysthymia allenfalls eine leichtere psychische oder psychovegetative Störung, da keine wesentliche Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit gesichert ist. Dies ergibt sich aus dem weitgehend unauffälligen psychischen Befund. Der Kläger hat bei dem Sachverständigen S1 auch selbst bis auf Schlafstörungen und Ängste bzw. Sorgen seelische Beschwerden verneint. Der Kläger hat dazu passend einen völlig unauffälligen Tagesablauf geschildert; er ist in der Lage, sich selbst zu versorgen und verfügt über gute soziale Kontakte. Er ist nach eigenem Bekunden willens und in der Lage, zu arbeiten, würde gerne nach S3 umziehen, wo er noch Freunde von früher hat. Er sieht sich lediglich durch die Wohnsitzauflage und die fehlende Gestattung einer Erwerbstätigkeit daran gehindert, was er als nachvollziehbar als belastend empfindet. Eine behinderungsbedingte wesentliche Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit ist damit jedoch in keiner Weise verbunden. Dass er niedrigfrequent eine Behandlung in Anspruch nimmt, kann daher in Ermangelung von Funktionseinschränkungen allein keinen GdS begründen.

Schädigungsfolgen, die einen rentenberechtigenden GdS begründen könnten, bestehen nach alledem nicht.

Der Senat sah sich nicht gedrängt, weitere Ermittlungen durchzuführen. Das fachärztliche Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen S1 hat dem Senat die erforderliche Sachkunde vermittelt, um die Frage nach weiteren Schädigungsfolgen und die Frage nach der Höhe des GdS als Vorfrage des von dem Senat zu prüfenden Anspruches auf Beschädigtengrundrente beantworten zu können. Auf die Ausführungen des Sachverständigen zum Ausschluss des Vorliegens einer PTBS bei Auftreten von Symptomen erst nach einem Abstand von 6 Monaten nach dem Ereignis kam es nicht entscheidend an, so dass auch insoweit kein weiterer Klärungsbedarf besteht. Soweit der Kläger vor dem SG die Ladung des Sachverständigen zur Erläuterung seines Gutachtens beantragt hat, weil dieser sich nicht ausreichend damit auseinandergesetzt habe, dass die L2 eine PTBS bestätigt habe und er auch nicht ausreichend zur Kenntnis genommen habe, dass der Kläger fortlaufend in fachärztlicher psychiatrischer Behandlung stehe, war dem nicht nachzukommen. Unabhängig von der nach § 118 Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 411 Abs. 3 ZPO im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts stehenden Möglichkeit, das Erscheinen des Sachverständigen zum Termin von Amts wegen anzuordnen, steht jedem Beteiligten gemäß § 116 Satz 2, § 118 Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. §§ 397, 402, 411 Abs. 4 ZPO zwar das Recht zu, dem Sachverständigen diejenigen Fragen vorlegen zu lassen, die er zur Aufklärung der Sache für dienlich erachtet; Fragen sind in diesem Sinne sachdienlich, wenn sie sich im Rahmen des Beweisthemas halten und nicht abwegig oder bereits eindeutig beantwortet sind (vgl. BSG, Beschluss vom 10. Dezember 2013 – B 13 R 198/13 B –, juris, Rz. 9; BSG, Beschluss vom 10. Oktober 2018 – B 13 R 265/17 B –, juris, Rz. 9). Das Fragerecht besteht allerdings grundsätzlich nur in der jeweiligen Instanz (vgl. BSG, Urteil vom 12. Oktober 2018 – B 2 U 12/18 BH –, juris, Rz. 5). Dies gilt dann nicht, wenn die Voraussetzungen für eine notwendige Anhörung des gerichtlichen Sachverständigen zur Erläuterung seines Gutachtens nach § 411 Abs. 3 ZPO vorliegen und die Ablehnung des entsprechenden Antrags durch die nunmehr tätige Instanz ermessenswidrig wäre (BSG, Beschluss vom 12. Dezember 2006 – B 13 R 427/06 B –, juris, Rz. 7) oder wenn das Fragerecht in der Instanz verfahrensfehlerhaft mit der Begründung unberücksichtigt geblieben ist, es sei verspätet oder missbräuchlich geltend gemacht worden (BSG, Beschluss vom 24. April 2008 – B 9 SB 58/07 B –, juris, Rz. 9). Dem angefochtenen Gerichtsbescheid lässt sich hierzu über den lapidaren Satz, der „Beweisanregung“ hinsichtlich der Ladung des Sachverständigen sei nicht zu folgen gewesen, hinaus zwar keine Begründung entnehmen. Die Voraussetzungen für das Fragerecht sind hier jedoch unabhängig von der Frage eines Verfahrensfehlers oder Begründungsmangels des SG nicht gegeben. Denn der Sachverständige hat sich in seinem Gutachten bereits mit der abweichenden Auffassung der L2 auseinandergesetzt (S. 24 ff. des Gutachtens) und hat auch berücksichtigt, dass sich der Kläger in psychiatrischer Behandlung befindet (vgl. S. 8, 18 des Gutachtens). Der Kläger hat damit keine Fragen an den Sachverständigen vorgelegt, die von ihm nicht bereits beantwortet sind; es ist auch nicht erkennbar, welchen Mehrwert eine erneute Befragung haben sollte (vgl. Urteil des Senats vom 6. April 2017 – L 6 VJ 1281/15 –, juris, Rz. 73).


Die Berufung konnte daher keinen Erfolg haben und war zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.



 

Rechtskraft
Aus
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