L 4 SF 46/24 ERI

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
1. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 4 SF 46/24 ERI
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze

Landtagsabgeordnete können nicht gleichzeitig ehrenamtliche Richterinnen und Richter in der Sozialgerichtsbarkeit sein, weil dies dem Grundsatz der Gewaltenteilung widerspricht. Die für Beamte und Angestellte geltenden Besonderheiten im SGG bedeuten nicht, dass diese auf Angehörige der Legislative zu erstrecken wären.

Der ehrenamtliche Richter Z.... wird mit sofortiger Wirkung von seinem Amt als ehrenamtlicher Richter beim Sächsischen Landessozialgericht entbunden.

 

 

 

 

Gründe:

 

I.

 

Der 1977 geborene ehrenamtliche Richter war seit 2004 in der sächsischen Sozialgerichtsbarkeit als ehrenamtlicher Richter aus dem Kreis der Versicherten, zunächst am Sozialgericht A.... und dann am Sächsischen Landessozialgericht, tätig. Er wurde zuletzt mit Urkunde vom 27.02.2023 mit Wirkung zum 01.04.2023 auf die Dauer von fünf Jahren zum ehrenamtlichen Richter beim Sächsischen Landessozialgericht berufen.

 

Im Oktober 2024 teilte Herr Z.... auf seine beabsichtigte Zuziehung zu einer mündlichen Verhandlung am 28.10.2024 mit, dass er seit 01.10.2024 Mitglied des Sächsischen Landtages sei und aufgrund entgegenstehender Termine an der mündlichen Verhandlung nicht teilnehme könne.

 

Mit Schreiben vom 10.12.2024 ist er zur beabsichtigten Abberufung aus Gründen der Gewaltenteilung angehört worden.

 

 

II.

 

Nach § 35 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 i.V.m. §§ 22 Abs. 1 Satz 1, 17 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann ein ehrenamtlicher Richter von Amts wegen von seinem Amt entbunden werden, wenn ein Ausschließungsgrund nachträglich eintritt.

 

Vorliegend gehört der ehrenamtliche Richter seit dem 01.10.2024 dem Sächsischen Landtag, also einem Organ der Legislative an, sodass er von seinem Amt als ehrenamtlicher Richter beim Sächsischen Landessozialgericht zu entbinden ist.

 

Nach Ansicht des Senats kann eine ehrenamtliche Richterin oder ein ehrenamtlicher Richter aus Gründen der Gewaltenteilung nicht gleichzeitig der gesetzgebenden und der rechtsprechenden Gewalt angehören. Zwar sind Abgeordnete und Regierungsmitglieder im Sozialgerichtsgesetz anders als in § 22 Nr. 1 Verwaltungsgerichtsordnung und § 19 Nr. 1 Finanzgerichtsordnung nicht ausdrücklich von der Wahrnehmung des Amtes eines ehrenamtlichen Richters ausgeschlossen. Nach herrschender Meinung können sie gleichwohl nicht ehrenamtliche Richter am Sozialgericht sein, weil dies dem Grundsatz der Gewaltenteilung widerspricht (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, 14. Aufl. 2023, § 17 Rn. 5; Adams in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 2. Aufl., § 17 SGG, Rn. 39, Stand: 07.08. 2024). Eine Ausprägung des Gewaltenteilungsprinzips ist die personelle Gewaltenteilung, die sogenannte Inkompatibilität. Die personelle Gewaltenteilung ist zwar im Grundgesetz (GG) nicht lückenlos durchgehalten. Art. 20 Abs. 2 GG verlangt, dass die Rechtsprechung durch "besondere", das heißt von den Organen der Gesetzgebung und der vollziehenden Gewalt verschiedene Organe des Staates ausgeübt wird. Dabei verlangt die funktionsbedingt erforderliche Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der rechtsprechenden Gewalt eine striktere Trennung der Rechtsprechung von den übrigen Gewalten, als sie durch das in Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG normierte, Gewaltenverschränkungen erlaubende allgemeine Organisations- und Funktionsprinzip der Gewaltenteilung gefordert wird (vgl. Bundesverfassungsgericht [BVerfG], Beschluss vom 22.03.2018 – 2 BvR 780/16 –, Rn. 50, juris). Es gilt der Grundsatz der personellen Trennung zwischen den Gewalten. Die richterliche Neutralität darf nicht durch eine mit diesem Grundsatz unvereinbare persönliche Verbindung zwischen Ämtern der Rechtspflege und der Gesetzgebung in Frage gestellt werden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 22.03.2018 – 2 BvR 780/16 –, Rn. 52, juris).

 

Auf einfachgesetzlicher Ebene ist der Grundsatz der personellen Trennung für Berufsrichter durch die umfassende Inkompatibilitätsvorschrift des § 4 Abs. 1 Deutsches Richtergesetz (DRiG) verwirklicht. Danach darf ein (Berufs-)Richter nicht zugleich Aufgaben der rechtsprechenden Gewalt und solche der gesetzgebenden oder der vollziehenden Gewalt wahrnehmen. Grund hierfür ist die besondere Stellung der rechtsprechenden Gewalt, die berufen ist, die beiden anderen Staatsgewalten zu kontrollieren. Dieses Prinzip gilt zwar für die ehrenamtlichen Richterinnen und Richter in der Sozialgerichtsbarkeit bezogen auf die Exekutive nicht in gleichem Maße. So können nach § 16 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 SGG ehrenamtliche Richter aus Kreisen der Arbeitgeber auch Beamte und Angestellte des Bundes, der Länder, der Gemeinden und Gemeindeverbände sowie bei anderen Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts nach näherer Anordnung der zuständigen obersten Bundes- oder Landesbehörde sein. Diese Besonderheit der sozialgerichtlichen Prozessordnung hat indes nicht zur Folge, dass keine personelle Trennung im Verhältnis zu den Angehörigen der Legislative stattfinden dürfe. Da die ehrenamtlichen Richterinnen und Richter in der Sozialgerichtsbarkeit den Berufsrichtern gleichgestellt sind, liegt die entsprechende Anwendung des § 4 Abs. 1 DRiG hinsichtlich der Mitglieder der gesetzgebenden Körperschaften auf sie näher (so auch Thüringer Landessozialgericht, Beschluss vom 15.11.2024 – L 3 SF 626/24 –, Rn. 3, juris).

 

 

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 18 Abs. 4 SGG).

 

Rechtskraft
Aus
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