L 15 AS 30/23 WA

Land
Niedersachsen-Bremen
Sozialgericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
1. Instanz
SG Oldenburg (NSB)
Aktenzeichen
48 AS 693/20
Datum
2. Instanz
LSG Niedersachsen-Bremen
Aktenzeichen
L 15 AS 30/23 WA
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Es wird festgestellt, dass das Berufungsverfahren durch Rücknahme der Berufung erledigt ist.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger begehrt soweit ersichtlich im Berufungsverfahren u. a. Sozialleistungen für den Zeitraum 1. Januar bis 30. Juni 2020.

Der 1973 in {I.} geborene Kläger lebt seit Juli 2020 in Berlin. Ab September 2017 war er mit Lebensgefährtin und dem gemeinsamen Kind {J.} in {K.} gemeldet. Mit Bescheid vom 29. Januar 2020 untersagte die Beklagte dem Kläger mit sofortiger Wirkung das Betreten des Rathauses sowie einer Wohnungsloseneinrichtung in

 und erteilte bis 30. Juni 2020 Hausverbote, weil der Kläger am 29. Januar 2020 einen Mitarbeiter der Stadt körperlich angegriffen habe. Am 30. Januar 2020 erhob der Kläger Klage vor dem Verwaltungsgericht (VG) Oldenburg gegen das Hausverbot und begehrte erfolglos einstweiligen Rechtsschutz (VG Oldenburg, Beschluss vom 26. Februar 2020 – 3 B 365/20). Nach Abklärung, ob es dem Kläger auch um Sozialleistungen gehe oder nicht, hat das VG das Begehren, soweit es sich auf Sozialleistungen bezogen hat, abgetrennt und mit Beschluss vom 11. Juni 2020 an das Sozialgericht (SG) Oldenburg verwiesen.

Das SG hat den Kläger mit Schreiben vom 28. April 2021 darauf hingewiesen, dass die Klage nicht die gesetzlichen Anforderungen gemäß § 92 Sozialgerichtsgesetz (SGG) erfülle, da sie zu unbestimmt sei. Der Kläger hat unter umfangreicher Darstellung des Sachverhalts aus seiner Sicht mitgeteilt, nach damaliger Aussage des VG seien Gelder geflossen und es sei dort ein bis 30. Juni 2020 befristeter Bescheid vorgelegt worden, es sei aber nie Geld in seine Hände gelangt. Gegenstand der Klage sei Schmerzensgeld, Schadensersatz, Bereicherungsausgleich, Leibrente und Zahlung nebst Zinsen zu Unrecht vorenthaltener Leistungen. Das SG hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 11. April 2022 abgewiesen. Die Klage sei unzulässig, weil sie die Voraussetzungen des § 92 Abs. 1 Satz 1 SGG nicht erfüllte. Das Klagebegehren sei nicht hinreichend konkretisiert und damit nicht erkennbar. Es sei unklar, gegen welchen Bescheid der Kläger sich wende. Die Rechtmäßigkeit des Hausverbots sei bereits Gegenstand der Klage vor dem zuständigen VG. Einen KIageantrag habe der Kläger nicht gestellt. Der Gerichtsbescheid ist dem Kläger am 14. April 2022 zugestellt worden.

Am 15. April 2022 um 23.11 Uhr hat der Kläger dem SG auf elektronischem Wege über das elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach (EGVP) sechs Schriftstücke übermittelt. Aus dem technischen Prüfvermerk von 23.22 Uhr und den dort dokumentierten Angaben zur EGVP-Nachricht ist ein längerer Text des Klägers im Textfeld (Nachricht) ersichtlich, worin er unter anderem formuliert, das SG „solle für ihn alle erdenklichen Rechtsmittel einlegen“. Die übermittelten Dokumente sind nicht qualifiziert signiert. Das SG hat den Vorgang mit Verfügung vom 5. Mai 2022 an das erkennende Gerichtzwecks Prüfung einer Berufung übersandt. Das Verfahren ist nach Prüfung als Berufung eingetragen und zunächst unter dem Aktenzeichen L 15 AS 109/22 geführt worden. Am 10. Mai 2022 hat sich der Kläger auch selbst über EGVP an das erkennende Gericht gewandt und sowohl in einem als elektronisches Dokument übermittelten Schreiben als auch durch entsprechende Ausführungen im Textfeld (Nachricht) der Metadaten der EGVP-Nachricht ausdrücklich Berufung eingelegt. Das Dokument mit der Berufungsschrift ist nicht qualifiziert elektronisch signiert, enthält jedoch eine (nicht entzifferbare) händische Unterschrift und benennt den Kläger als Urheber.

Der Kläger trägt im Verlauf des Berufungsverfahrens umfangreich zu seinem persönlichen, beruflichen und gesundheitlichen Hintergrund vor. Er sei Opfer von Verfolgung, Polizeigewalt und schwerer Wirtschaftskriminalität und habe ein Umzugsangebot vom Staatsschutz nach {K.} angenommen. Es gehe um seinen Sohn {J.}, der in {L.} geboren sei. In {K.} seien Wasser und später auch der Strom abgestellt worden. Er habe in der Notsituation zunächst Ende 2019 in {I.} Leistungen beantragt und Anfang Januar dann in {L.}. Ihm sei in {L.} Tagegeld bewilligt worden. Ein Gespräch mit dem Bürgermeister sei ihm jedoch verwehrt worden. Vom VG sei ihm mitgeteilt worden, das seine ALG-II-Leistungen in der Stadt {L.} vom Jobcenter bzw. dem Sozialamt im Rathaus vom 1. Januar 2020 bis 30. Juni 2020 allesamt bewilligt seien, jedoch habe er kein Geld in seine Hände und in seine Verfügung bekommen.

Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung keinen Antrag in der Sache gestellt.

Die Beklagte beantragt sinngemäß,

                     die Berufung zurückzuweisen.

Sie hat sich im Berufungsverfahren nicht geäußert.

Mit Aufforderung des Senats vom 7. September 2022 ist der Kläger aufgefordert worden, das Verfahren zu betreiben und insbesondere darzulegen, welche Art von Leistungen er geltend mache und bei welchem Leistungsträger er Leistungsanträge gestellt habe. Die Betreibensaufforderung ist dem Kläger nach der vorliegenden Postzustellungsurkunde am 17. September 2022 zugestellt worden. Nachdem auf die Betreibensaufforderung keine Reaktion des Klägers erfolgt war, ist die Berufung mit Beschluss im Sinne von § 156 Abs. 2 Satz 3 SGG vom 9. Januar 2023 als zurückgenommen erachtet und ausgetragen worden. Der Beschluss ist dem Kläger zunächst nur elektronisch übermittelt, danach am 3. Februar 2023 förmlich zugestellt worden. Über das Textfeld (Nachricht) in den Metadaten einer EGVP-Nachricht hat der Kläger am 1. Februar 2023 bestätigt, den Beschluss vom 9. Januar 2023 erhalten zu haben. Zugleich hat er Widerspruch eingelegt mit der Begründung, er habe keine Betreibensaufforderung erhalten. Das Berufungsverfahren ist daraufhin unter dem neuen Aktenzeichen L 15 AS 30/23 WA fortgeführt worden.

Im Zeitraum vom 13. bis 27. Mai 2024 – d. h. nach Zugang der Ladung zur mündlichen Verhandlung am 28. Mai 2024 –  hat der Kläger mehrere Schreiben mit Anlagen per Digifax mit einem Gesamtumfang von über 200 Seiten an das Gericht gesandt. Bestandteil der Unterlagen ist u. a. eine nur teilweise lesbare Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, ausgestellt am 7. Mai 2024, mit dem Arbeitsunfähigkeit seit 20. Juli 2022 bis voraussichtlich 7. August 2024 attestiert wird. Zudem hat der Kläger weit über dreißig Anträge bzw. Beweisanträge im Verfahren formuliert. Mit Schriftsatz vom 22. Mai 2024 (Digifax) hat der Kläger sinngemäß einen Verlegungsantrag gestellt, weil er – bzw. der behandelnde Facharzt {M.} (?) - sich die Kosten für ein Hotel in {N.} im Hinblick auf den Termin am 28. Mai 2024 nicht leisten könne. Zudem sei es ihm nicht möglich sämtliche (Beweis-)Anträge an einem einzigen Verhandlungstag zu stellen, zumal er laut behandelnden Ärzten nur zwei Stunden arbeitsfähig sei. Mit Digifax vom 27. Mai 2024 hat der Kläger die Aufhebung des Verhandlungstermins sowie die Durchführung einer Videoverhandlung bzw. die Feststellung der Verhandlungsunfähigkeit beantragt.  Aufgrund einer übergreifenden, das gesamte Landessozialgericht [LSG] betreffenden technischen Fehleinstellung im Rahmen der Umstellung auf die Arbeit mit e²A (elektronische Gerichtsakte) ist es im Mai 2024 zu einem Fehler in Bezug auf den Eingang von Digifaxen gekommen. Sämtliche Faxe, welche in dieser Zeit eingegangen sind, sind auf dem Server verblieben und wurden durch e²A nicht abgeholt, sondern konnten erst am 31. Mai 2024 händisch eingepflegt werden. Der Senat hat daher bis zum 31. Mai 2024 keine Kenntnis von den in dieser Zeit eingegangenen Schriftsätzen des Klägers erhalten.

Entscheidungsgründe

Der Senat konnte am 28. Mai 2024 in der Sache verhandeln und aufgrund der durchgeführten mündlichen Verhandlung entscheiden. Der Kläger war in der mündlichen Verhandlung persönlich anwesend. Die vor der mündlichen Verhandlung vom Kläger gestellten Anträge auf Terminsaufhebung bzw. -verlegung, die dem Senat bis zur mündlichen Verhandlung aufgrund der gerichtsinternen fehlerhaften Weiterleitung der Digifaxe im Mai 2024 (s.o.) nicht bekannt waren, und auf die der Kläger in der mündlichen Verhandlung zumindest sinngemäß Bezug genommen hat, standen einer Entscheidung nicht entgegen. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung weder ausdrücklich einen Antrag auf Vertagung gestellt noch einen solchen begründet; vielmehr hat er nur darauf hingewiesen, dass er am Vortage per Fax eine Vertagung beantragt habe. Die Anträge auf Verlegung des Termins bzw. Vertagung stellen sich in Anbetracht der persönlichen Anwesenheit des Klägers sowie seiner aktiven Mitwirkung im Termin als überholt dar. Gleiches gilt für den Antrag auf Durchführung einer Videoverhandlung. Der Senat hat im Rahmen der mündlichen Verhandlung auch keinerlei Anhaltspunkte dafür gewonnen, dass der Kläger aufgrund einer akuten Erkrankung nicht in der Lage gewesen sein könnte, der etwa 50 Minuten dauernden Verhandlung beizuwohnen und zu folgen. Vielmehr hat er – trotz durchaus erkennbarer körperlicher Einschränkungen – die Anreise von {O.} offenbar alleine durchgeführt und im Termin seine Beweggründe in der Sache und darüber hinaus mit Nachdruck und Engagement ausführlich dargelegt. Allein der im Termin erfolgte Hinweis des Klägers auf vorliegende Atteste haben dem Senat keinen Anlass gegeben, eine Vertagung der Sache vorzunehmen. Insoweit ist auch darauf hinzuweisen, dass eine bescheinigte Arbeitsunfähigkeit ohnehin nicht zwingen gleichzusetzen ist mit einer Verhandlungsunfähigkeit. Der Verhandlung und Entscheidung über die Sache am 28. Mai 2024 stand auch nicht allein die Tatsache entgegen, dass mehrere per Digifax übersandte Schriftsätze des Klägers den Senat bis dahin nicht erreicht hatten (s.o.). Der Kläger hatte in der mündlichen Verhandlung umfassend Gelegenheit sich zur Sache zu äußern und hat davon auch Gebrauch gemacht. Dass er sich nicht in der Lage sah bzw. sehen wollte, die zuvor übersandten Schriftsätze im Original vorzulegen bzw. im Einzelnen daraus vorzutragen, führt zu keinem anderen Ergebnis. Der Senat hat den Kläger, nachdem dieser zumindest sinngemäß von den übersandten Schriftsätzen berichtet hatte, ausdrücklich dazu aufgefordert. Dies gilt insbesondere für die Antragstellung. Diesbezüglich hat der Kläger in der Verhandlung ausdrücklich auf den bzw. einen der letzten Schriftsätze Bezug genommen. Nachdem der Senat dem Kläger aufgefordert hat, den Schriftsatz konkret zu benennen bzw. den Antrag mündlich zu stellen, hat der Kläger keine konkreten weiteren Angaben mehr machen wollen bzw. lediglich die aus dem Protokoll hervorgehenden Anträge gestellt. Der Senat hielt es demzufolge für geboten und sachgerecht, die zuvor vom Kläger schriftsätzlich mitgeteilten Anträge zugrunde zu legen, sah sich jedoch nicht veranlasst, eine Vertagung der Sache vorzunehmen. Insoweit muss es sich der Kläger zurechnen lassen, die Gelegenheit nicht (vollständig) genutzt zu haben möglicherweise in der Verhandlung noch abweichende Anträge zu stellen.

Nachdem der Kläger in der mündlichen Verhandlung keinen Antrag in der Sache gestellt hat, sondern lediglich auf formulierte Anträge in einem nicht konkret bezeichneten Fax, das dem Senat bis zur Verhandlung und Entscheidung nicht vorgelegen hat (s.o.), Bezug genommen hat, musste der Senat das Begehren des Klägers anhand der vorliegenden umfangreichen Korrespondenz sowie der mündlichen Ausführungen im Termin auslegen. Ausgehend von dem Berufungsschriftsatz vom 9. Mai 2022 hat der Senat das Begehren dahingehend verstanden, dass der Kläger die Verurteilung der Beklagten anstrebt, ihm „soziale Gelder auch für den Zeitraum vom 01.01.2020 bis 30.06.2020 zu gewähren, sowie Schadensersatz, Schmerzensgeld und Reparationen zu leisten, sowie die Kosten des Verfahrens, eventueller Kosten notwendiger Sachverständiger und sämtlicher Auslagen zu bezahlen“.

Die Berufung ist aufgrund der nach Ablauf der mit der Betreibensaufforderung gesetzten Frist eingetretenen Berufungsrücknahme gemäß § 156 Abs. 2 Satz 1 SGG erledigt.

Gegenstand des Berufungsverfahrens ist zunächst die Frage, ob der Senat durch den zuständigen Berichterstatter mit Beschluss vom 9. Januar 2023 zu Recht festgestellt hat, dass die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des SG vom 11. April 2022 aufgrund einer fiktiven Berufungsrücknahme gemäß § 156 Abs. 2 Satz 1 SGG als zurückgenommen gilt oder nicht. Gemäß § 156 Abs. 2 Satz 1 SGG gilt eine Berufung als zurückgenommen, wenn der Berufungskläger das Verfahren trotz Aufforderung des Gerichts länger als drei Monate nicht betreibt. Der Berufungskläger ist in der Aufforderung auf die Rechtsfolgen, die sich aus Satz 1 ergeben, hinzuweisen. Das Gericht stellt gemäß § 156 Abs. 2 Satz 3 SGG durch Beschluss fest, dass die Berufung als zurückgenommen gilt. Der Beschluss ist deklaratorischer Natur, da die Rücknahmefiktion bei Vorliegen der Voraussetzungen ipso iure eintritt (vgl. Bundessozialgericht [BSG], Beschluss vom 8. Dezember 2020 – B 4 AS 280/20 B – juris Rn. 7 m. w. N.).

Das Berufungsverfahren ist wirksam durch Rücknahmefiktion gemäß § 156 Abs. 2 Satz 1 SGG beendet. Auf Grundlage der Betreibensaufforderung vom 7. September 2022, dem Kläger mit Postzustellungsurkunde (PZU) nachweislich am 17. September 2022 zugestellt, hat der Senat durch den Berichterstatter mit Beschluss vom 9. Januar feststellt, dass die Berufung des Klägers als zurückgenommen gilt. Der Beschluss wurde dem Kläger zunächst nur elektronisch übermittelt. Der Kläger hat am 17. Januar 2023 dem Beschluss widersprochen und mitgeteilt, er habe keine Betreibensaufforderung erhalten. Der Kläger hat seine Nachricht in das Textfeld in den Metadaten des Prüfvermerks vom 17. Januar 2023 geschrieben. Unabhängig von der Formunwirksamkeit dieses Kommunikationswegs war die Nachricht zugunsten des Klägers als Antrag auf Fortführung des Berufungsverfahrens zu verstehen. Bei einem solchen Antrag hat das Rechtsmittelgericht das Berufungsverfahren in der Sache fortzuführen, wenn die Voraussetzungen der Berufungsrücknahmefiktion nicht vorliegen, oder – wie vorliegend – durch Urteil festzustellen, dass die Berufung als zurückgenommen gilt, das Berufungsverfahren also beendet ist (vgl. BSG a. a. O.; siehe auch LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 16. November 2023 – L 10 R 2512/23 – juris Rn. 33). Tatbestandlich setzt § 156 Abs. 2 Satz 1 SGG voraus, dass die dortige Dreimonatsfrist durch eine gerichtliche Betreibensaufforderung in Gang gesetzt worden ist. Dazu müssen zum Zeitpunkt der Betreibensaufforderung bestimmte, sachlich begründete Anhaltspunkte für einen Wegfall des Rechtsschutzinteresses des Berufungsklägers bestehen, ohne dass es auf die Gründe dieses fehlenden Interesses ankommt. Dies war hier der Fall. Das SG hatte die Klage abgewiesen, weil es die Voraussetzungen des § 92 SGG für eine wirksame Klageerhebung als nicht erfüllt ansah, denn der Kläger habe sein Begehren nicht ausreichend klar formuliert. Im Berufungsschriftsatz vom 9. Mai 2022, der ohne qualifizierte Signatur elektronisch über des elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach (EGVP) eingereicht wurde, hat der Kläger zwar zu seinen persönlichen Hintergründen und der Vorgeschichte des Verfahrens vorgetragen und ausdrücklich Berufung eingelegt, jedoch keinen vorläufigen Antrag formuliert, kein konkretes Begehren angegeben und keine Bescheide benannt. Auf den Hinweis des Senats vom 12. Mai 2022, dass die Berufung gemäß § 65a Abs. 3 SGG unzulässig sein dürfte, und auf die Bitte mitzuteilen, ob Leistungen nach dem SGB II oder dem SGB XII beansprucht würden und ob der Kläger beim Jobcenter oder der Stadt {L.} einen Leistungsantrag gestellt habe, erfolgte keine Reaktion. Der dann zuständige Berichterstatter hat den Kläger mit der Betreibensaufforderung vom 7. September 2022 an die Beantwortung der Fragen und die Unzulässigkeit erinnert und um eindeutige Mitteilung gebeten, welches konkrete Ziel mit der Berufung verfolgt werde. Dies gelte umso mehr, als dass das SG die Klage mit der Begründung abgewiesen habe, dass ein Klagebegehren nicht bezeichnet worden sei. Ausdrücklich wurde der Kläger in dem Schreiben auf die Folgen des Nichtbetreibens hingewiesen, dass die Berufung nämlich als zurückgenommen gelte, wenn ein Berufungskläger das Verfahren trotz Aufforderung des Gerichts länger als drei Monate nicht betreibt (§ 156 Abs. 2 Satz 1 SGG). Die Betreibensaufforderung vom 7. September 2022 genügte damit den an sie zu stellenden Anforderungen, es handelt sich um eine konkrete und klare Betreibensaufforderung, die auch einem nicht rechtskundig vertretenen Kläger deutlich macht, was von ihm erwartet wird. Sie benannte den Anlass, forderte zu konkreten Erklärungen auf und wies auf die Rechtsfolgen im Fall der Nichtvorlage innerhalb der Frist von drei Monaten nach Zugang des Schreibens hin(zu allem vgl. BSG a. a. O. Rn. 18 m. w. N.). Die beglaubigte Abschrift enthielt auch den Namen des Richters, so dass der Kläger erkennen konnte, wer für die gerichtliche Vorgehensweise verantwortlich ist (vgl. BSG, Urteil vom 01. Juli 2010 – B 13 R 58/09 R – juris Rn. 49). Die Betreibensaufforderung setzt eine gesetzliche Frist in Gang und ist daher gemäß § 63 Abs. 1 Satz 1 SGG zuzustellen, was vorliegend geschah (mittels Postzustellungsurkunde am 17. September 2022). Die Dreimonatsfrist endete mithin gemäß § 64 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 SGG mit Ablauf des 17. Dezember 2022. Es erfolgte bis Anfang 2023 keinerlei Reaktion seitens des Klägers. Es wurden auch keine Gründe mitgeteilt, aus denen der Kläger nicht zur Klarstellung seines Begehrens und einer stichhaltigen Klagebegründung in der Lage gewesen sein könnte. Die schlichte Behauptung des Klägers, er habe kein Schreiben vom 17. September 2022 erhalten, ist angesichts des vorliegenden Zustellnachweises in Form der PZU nicht ausreichend substantiiert.

In Anbetracht der Tatsache, dass das Verfahren durch den Kläger nach Zustellung der Aufforderung über einen Zeitraum von drei Monaten nicht betrieben worden ist, konnte der Senat nach Ablauf dieses Zeitraums davon ausgehen, dass der Kläger kein Interesse an einer Fortführung der Berufung hatte und kein Rechtsschutzbedürfnis (mehr) bestand. Nach der Rechtsprechung stellt es keine unzumutbare, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigende Erschwerung des Rechtsschutzes dar, wenn ein Berufungsführer aufgefordert wird, die Gründe für die Einlegung seines Rechtsmittels darzutun, und das Verfahren als erledigt angesehen wird, wenn er innerhalb einer Frist von drei Monaten diesem Ansinnen nicht nachgekommen ist (vgl. LSG Baden-Württemberg a. a. O., Rn. 41).

Lediglich ergänzend weist der Senat darauf hin, dass insbesondere die Berufungseinlegung, aber auch der Antrag auf Fortsetzung des Berufungsverfahrens vom 17. Januar 2023 sowie weitere Nachrichten und elektronischen Schriftstücke, die der Kläger im Verlaufe des Berufungsverfahrens übersandt hat, nicht den gesetzlichen Anforderungen an die zulässige Kommunikation mit dem Gericht entsprachen. Die Berufung war deshalb – unabhängig vor der Rücknahmefiktion – ohnehin unzulässig, weil sie nicht formgerecht im Sinne des § 151 Abs. 1 SGG innerhalb der Berufungsfrist, ausgehend von der Zustellung des Gerichtsbescheids am 14. April 2022, eingelegt worden ist. Gemäß § 151 Abs. 1 SGG ist die Berufung beim LSG innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. Die Berufungsschrift soll das angefochtene Urteil bezeichnen, einen bestimmten Antrag enthalten und die zur Begründung dienenden Tatsachen und Beweismittel angeben (§ 151 Abs. 3 SGG). Die schriftliche Form kann auch durch ein elektronisch übermitteltes Dokument gewahrt sein, wenn dieses den Anforderungen des § 65a SGG entspricht. Gemäß § 65a Abs. 3 Satz 1 SGG muss ein elektronisches Dokument mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen sein oder von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht werden. Die als sichere Übermittlungswege in Frage kommenden Wege sind abschließend in § 65a Abs. 4 SGG in Verbindung mit § 4 der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (ERVV) vom 24. November 2017 in der Fassung vom 5. Oktober 2021 (BGBl. I 2021, 4607) näher geregelt (vgl. Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, 14. Aufl. 2023, § 65a, Rn. 9a). In Betracht kommen demnach ein De-Mail-Konto, ein besonderes elektronisches Anwaltspostfach (beA), das besondere Behördenpostfach (beBPo) und Postfächer im Sinne der §§ 10 bis 13 ERVV (z. B. seit Januar 2022 das elektronische Bürger- und Organisationenpostfach [eBO]). Zum Nachweis der Übersendung auf einem sicheren Übermittlungsweg bedarf es eines vertrauenswürdigen Herkunftsnachweises (VHN). Der Kläger hat keinen sicheren Übermittlungsweg im Sinne des Gesetzes gewählt. Er hat zwar am 10. Mai 2022 die Berufungsschrift vom 9. Mai 2022 per EGVP übermittelt und damit einen zugelassenen Übermittlungsweg im Sinne des § 4 Abs. 1 Nr. 2 ERVV genutzt, das EGVP für sich genommen stellt jedoch keinen sicheren Übermittlungsweg im Sinne des § 65a Abs. 4 SGG dar. Auf dem Prüfvermerk vom 10. Mai 2022 ist kein VHN vorhanden, sondern nur EGVP als Übermittlungsweg angegeben (vgl. dazu BSG, Beschluss vom 7. Juni 2023 – B 1 KR 11/22 B – juris Rn. 8). Die am 10. Mai 2022 übermittelte Berufungsschrift hat der Kläger zugleich jedoch auch nicht qualifiziert signiert. Eine formgerechte Einlegung der Berufung in elektronischer Form nach Maßgabe des § 65a Abs. 2 bis 6 SGG hat der Kläger damit nicht bewirkt. Der Formmangel ist auch nicht geheilt worden, obwohl der Kläger mit Schreiben des Senats vom 12. Mai 2022 unter Fristsetzung bis zum 13. Juni 2022 und damit im Sinne des § 65a Abs. 6 Satz 1 SGG unverzüglich auf den Formmangel hingewiesen wurde. Da eine Reaktion des Klägers und damit auch eine formgerechte Einreichung des Schriftsatzes innerhalb der gesetzten Frist ausgeblieben ist, ist keine Heilung eingetreten.  

Zuletzt ist im Übrigen noch ergänzend festzustellen, dass der vom Kläger im weiteren Verfahren gewählte Kommunikationsweg über das Textfeld innerhalb der Metadaten der EGVP-Nachricht keine zulässige Kommunikationsform mit dem LSG darstellt und Eingaben im Nachrichtenfeld in der Regel formunwirksam sind. Schriftsätze, Erklärungen und Anträge bedürfen für ihre rechtliche Verbindlichkeit der Schriftform. § 65a SGG ermöglicht außerdem die Einreichung elektronischer Dokumente mit sicherer Absenderauthentifizierung, weshalb im Regelfall eine qualifizierte Signatur erforderlich ist. Die Einlegung einer Berufung per Telefon oder mit einfacher Email ist nicht möglich. Das Textfeld (Nachricht) in den Metadaten einer EGVP-Nachricht, sichtbar im Prüfvermerk der Nachricht, stellt weder ein schriftliches noch ein elektronisches Dokument dar und ist ausdrücklich nicht zu verwenden (vgl. die Nutzungshinweise im Niedersächsischen Justizprotal zum elektronischen Rechtsverkehr unter Nr. 6 lit. B, abrufbar unter https://justizportal.niedersachsen.de). Der Prüfvermerk und der Transfervermerk erfüllen nicht die Anforderungen an ein elektronisches Dokument gemäß § 2 Abs. 1 ERVV, da es sich nicht um ein Dokument im vorgeschriebenen Dateiformat PDF oder TIFF handelt, sondern im html-Format (vgl. zur Nutzung des Textfeldes in den Metadaten im Übrigen auch LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 26. September 2019 – L 18 AL 65/19 – juris Rn. 12). Beide Vermerke sind auch nicht einer qualifizierten Signatur zugänglich.

Der Vollständigkeit halber weist der Senat darauf hin, dass dem Antrag des Klägers auf Beiladung der Rechtsanwälte {P.} und {Q.} nicht nachzukommen war, da die Voraussetzungen offensichtlich nicht erfüllt waren.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision im Sinne des § 160 Abs. 2 SGG sind nicht gegeben.

 

Rechtskraft
Aus
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