L 2 BA 37/22

Land
Niedersachsen-Bremen
Sozialgericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Sachgebiet
Betriebsprüfungen
1. Instanz
SG Braunschweig (NSB)
Aktenzeichen
S 63 BA 55/20
Datum
2. Instanz
LSG Niedersachsen-Bremen
Aktenzeichen
L 2 BA 37/22
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

Für die Feststellung des rechtlich maßgeblichen Arbeitgebers eines Beschäftigungsverhältnisses können schriftliche Unterlagen wie insbesondere Abrechnungen nur dann maßgebliche Relevanz erlangen, wenn diese auf ernstlich gewollten geschäftlichen Vereinbarungen beruhen und nicht zu Täuschungszwecken wie namentlich im Sinne eines sog. "Etikettenschwindels" erstellt worden sind.

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens mit Ausnahme der nicht erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Das klagende in der Rechtsform einer GmbH geführte Bauunternehmen wendet sich gegen einen auf der Grundlage einer Betriebsprüfung nach § 28p SGB IV erlassenen Bescheid des beklagten Rentenversicherungsträgers, mit dem dieser Sozialversicherungsbeiträge und Umlagen sowie Säumniszuschläge für die Heranziehung des am 7. Juli 1969 geborenen moldawischen Staatsangehörigen J. (Beigeladener zu 5.; im Folgenden: Vater) und seiner beiden – ebenfalls über die moldawische Staatsangehörigkeit verfügenden – Söhne K. (Beigeladener zu 6.), geboren am 8. Dezember 1991, und H. (Beigeladener zu 2.), geboren am 18. Juli 1994, ursprünglich bezogen auf den im Beschäftigungszeitraum August bis Oktober 2018 in einer Gesamthöhe von 6.090,79 € festgesetzt hat.

Im Sommer 2018 wurden umfängliche Rohbauarbeiten im Zuge der Errichtung des Q. in R. unter maßgeblicher Beteiligung der Bauunternehmung S. T. GmbH (im Folgenden: S. GmbH) durchgeführt. Mit einem erheblichen Teil der Rohbauarbeiten wurde durch die Firma S. als Hauptauftragnehmer auch die Klägerin beauftragt (vgl. auch den zur Strafakte genommenen Werkvertrag zwischen der Klägerin und der „AG U.“ vom 6. Juni 2018 über die Durchführung von Rohbauarbeiten an dem Bauvorhaben in R.). Geschäftsführer der Klägerin ist V..

Die Arbeiten der Klägerin bei dem Bauvorhaben in R. begannen im Mai 2018 und wurden ohne größere Unterbrechungen bis Mai 2019 fortgesetzt. Die Klägerin erbrachte lediglich sog. Lohnleistungen durch die von ihrer Seite gestellten Arbeitskräfte insbesondere in Form von Schalern, Eisenflechtern und Kranfahrern. Die erforderlichen Geräte und Maschinen wie etwa die eingesetzten Baukräne hatte die Firma S. gestellt.

Dabei hatte die Klägerin nach Angaben ihres vom Senat vernommenen Geschäftsführers von der Firma S. konkrete Teilaufträge erhalten, beispielsweise hatte sie die Bodenplatte nach Maßgabe der den beteiligten Unternehmen bekannten Planvorgaben zu erstellen. Die Klägerin entsandte nach Angaben ihres Geschäftsführers seinerzeit etwa 30 bis 40 Mitarbeiter auf die Baustelle. Dabei handelte sich nach den Erläuterungen des Geschäftsführers zum einen um abhängig beschäftige Mitarbeiter der Klägerin, zum anderen aber auch um Arbeitskräfte, welche die Klägerin als Subunternehmer herangezogen haben will. Der Geschäftsführer der Klägerin hat ferner erläutert, dass auf der Baustelle, soweit er sich noch erinnern könne, etwa sechs bis sieben festangestellte Mitarbeiter seines Unternehmens tätig gewesen seien.

Die fachliche Koordination der im Auftrag der Klägerin auf der Baustelle tätigen Arbeitskräfte oblag ausweislich der Angaben des Geschäftsführers der Klägerin im Erörterungstermin am 27. April 2023 dem bei der Klägerin beschäftigten Polier der Klägerin W..

Die von Seiten der S. GmbH an die Klägerin gerichtete „Subunternehmer Schlussrechnung“ vom 29. April 2019 bezieht sich auf eine „Gesamtleistung“ in Höhe von 754.096,21 € (Bl. 269 GA). Die vorausgegangenen Abschlagsrechnungen hat die Klägerin ebenso wie diverse weitere Unterlagen trotz wiederholter Aufforderungen des Senates nicht vorgelegt (vgl. insbesondere Verfügungen vom 8. August 2022 und vom 12. Oktober 2022 sowie die Protokolle der Erörterungstermine vom 23. März 2023, vom 27. April 2023 und 22. April 2024).

Im Zuge von Ermittlungen des Hauptzollamtes auf der Baustelle in R. wurden am 11. Oktober 2018 dort u.a. der Vater und seine beiden Söhne angetroffen. Sie verfügten nicht über die für moldawische Staatsangehörige erforderliche Aufenthaltserlaubnis. Es wurden gefälschte rumänische Ausweispapiere vorgelegt. Im Zuge der Ermittlungen wurden Arbeitszeitaufstellungen für den Monat Oktober 2018 sichergestellt, welche auch die Namen des Vaters und seiner beiden Söhne beinhalten (Bl. 14, 41 VV).

Bei seiner Vernehmung erläuterte der Vater (vgl. Bl. 17 ff. VV), dass sein Sohn X. den Einsatz auf der deutschen Baustelle zuvor telefonisch mit „Y.“ abgesprochen habe. Sie hätten als Zimmerer arbeiten und dafür 10 Euro pro Stunde bar auf die Hand erhalten sollen. Entsprechend den telefonischen Absprachen mit „Y.“ hätten sie sich auf der Baustelle bei „Z.“ (phonetisch) gemeldet. Die Arbeit hätten sie am 1. August 2018 aufgenommen. Er selbst und sein Sohn AA. (welcher in der Familie auch „AB.“ genannt werde) hätten bis zum 14. September 2018 und dann noch einmal ab dem 1. Oktober 2018 auf der Baustelle gearbeitet. Sein Sohn X. habe dort nur vom 1. bis 30. August und dann wieder ab dem 1. Oktober 2018 gearbeitet. Meistens hätten sie zu dritt gearbeitet. Mitunter seien auch andere Arbeiter dazu gekommen.

Gearbeitet hätten sie von montags bis donnerstags jeweils zehn Stunden täglich, freitags hätten sie jeweils bis 14 Uhr gearbeitet.

Den Lohn habe ihnen jeweils „Y.“ ausbezahlt.

Gewohnt hätten sie in Containern auf der Baustelle. Der Name der nunmehrigen Klägerin sei ihm unbekannt.

Die Söhne X. (Bl. 25 f. VV) und AA. (Bl. 31 VV) schlossen sich den Angaben ihres Vaters an.

Alle drei gaben als Heimatadresse jeweils an: Republica Moldova, AC. – sat. Suzi (gemeint ist mutmaßlich der AD., also eine Verwaltungseinheit, AE. im Norden der Republik Moldau).

Des Weiteren wurde am 11. Oktober 2018 der bei der Klägerin beschäftigte Zimmermann W. vernommen (Bl. 37 ff. VV). Dieser berichtete, dass er nicht offiziell Polier auf der Baustelle sei, aber in der Praxis diese Funktion ausübe.

Bei der Firma AF., d.h. bei der Klägerin, kenne er nur „AG.“ als Chef. Dieser komme jeden Donnerstag und frage, ob alles in Ordnung sei. Bei Problemen rufe er AG. an. Auf der Baustelle werde von montags bis freitags jeweils von 6.30 bis 17.30 h und mitunter auch, je nach Bedarf, samstags gearbeitet.

Den Vater und seine beiden Söhne habe er erstmalig etwa 1 bis 1,5 Monate zuvor auf der AH. Baustelle gesehen. Alle drei seien zur gleichen Zeit nach R. gekommen und hätten gearbeitet. Er selbst führe keine Stundenaufzeichnungen; AI. nehme aber solche vor.

Für den Monat Oktober 2018 meldete die Klägerin den Vater und die beiden Söhne als abhängig beschäftigte Arbeitnehmer mit einem beitragspflichtigen Entgelt von jeweils 822,09 € zur Sozialversicherung an.

Mit Schreiben vom 28. Februar 2020 hörte die Beklagte die Klägerin zu einer in Betracht kommenden Nacherhebung von Sozialversicherungsbeiträgen an. Für die Klägerin legitimierte sich ihr nunmehriger Prozessbevollmächtigter, ohne jedoch zunächst inhaltlich zur Sache vorzutragen.

Mit Bescheid vom 17. Juni 2020 setzte die Beklagte Beiträge zu allen Zweigen der Sozialversicherung in Höhe von 6.090,79 € (einschließlich 953 € Säumniszuschläge) fest.

Dabei ging sie davon aus, dass für die Beschäftigungszeiträume 2. bis 12. Oktober 2018 für den Vater und die beiden Söhne anstelle des bereits verbeitragten Entgelts von 822,09 € unter Berücksichtigung der Mindestlohnregelungen für das Bauhauptgewerbe ein beitragspflichtiges Entgelt von 1.001,65 € zugrunde zu legen sei. Daraus resultierte für die beiden Söhne eine Nacherhebung von Beiträgen und Umlagen in Höhe von jeweils 77,14 € und für den Vater (unter gleichzeitiger Korrektur eines fehlerhaft gewählten Bemessungssatzes für die Pflegeversicherung) in Höhe von 74,63 €.

Des Weiteren ging die Beklagte von folgenden beitragspflichtigen Entgelten aus:

Beim Vater und beim Sohn AA. brachte sie 195 Stunden im Monat August 2018 und zusammen 94 Stunden im Zeitraum 1. bis 14. September 2018, zusammen also 289 Stunden zu jeweils 14,95 €, entsprechend dem sich aus den für allgemeinverbindlich erklärten Vorgaben der Tarifverträge im Bauhauptgewerbe unter Heranziehung der Lohngruppe II ergebenden Mindestlohn, in Ansatz. Dies entsprach für beide einem beitragspflichtigen Entgelt in Höhe von 4.320,55 €. Beim Sohn X. wurden nur 195 Stunden zu jeweils 14,95 € für den Monat August 2018 in Ansatz gebracht. Wegen der weiteren Einzelheiten der Berechnung verweist der Senat auf den Bescheid vom 17. Juni 2020.

Zur Begründung des mit Schreiben vom 7. Juli 2020 eingelegten Widerspruchs hat die Klägerin geltend gemacht, dass sie auf der Baustelle in R. als Subunternehmer F. eingesetzt habe. Dieser habe „in den maßgeblichen Zeiträumen“ den Vater und seine beiden Söhne in eigener „arbeitgeberischer Verantwortung“ eingesetzt.

Die Klägerin hat eine an sie gerichtete Rechnung von F. über „Rohbauarbeiten nach Anweisung/Liste“ im Leistungszeitraum Juli 2018 beim Bauvorhaben R. in Höhe von 9.150 € /Bl. II 5 VV) und zwei weitere Rechnungen jeweils über „Betonunterseite waagerecht, Betonoberfläche SB 2, Deckenstärke bis ca. 38 cm“ im Leistungszeitraum August 2018 bei diesem Bauvorhaben über 8.142,75 € und 10.024,98 € (Bl. II 6 und Bl. II 6 R VV) vorgelegt.

Diesen Widerspruch wies die Beklagte mit Bescheid vom 30. Oktober 2020 zurück. Ihrer Auffassung nach sei weiterhin von einer Beschäftigung des Vaters und seiner beiden Söhne durch die Klägerin auszugehen. Dafür spreche insbesondere auch die Zeugenvernehmung des Vaters. F. habe seinerseits die Betroffenen nicht als Arbeitnehmer zur Sozialversicherung angemeldet.

Mit der am 30. November 2020 erhobenen Klage hat die Klägerin ihr Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren wiederholt. Sie habe die betroffenen drei Arbeitnehmer „erst im Oktober 2018 übernommen“.

Die Klägerin hat auf Vordrucken der S. GmbH erfolgte Erklärungen des Vaters für den Abrechnungszeitraum August (Bl. 65 GA) und September 2018 (Bl. 67 GA), des Sohnes X. für den Abrechnungszeitraum August 2018 (Bl. 66 GA) und des Sohnes AA. für den Abrechnungszeitraum September 2018 (Bl. 68 GA) vorgelegt, in denen jeweils in der Rubrik Auftraggeber „S.“ und in der Rubrik Nachunternehmer „F.“ ausgewiesen ist und in den jeweils bestätigt wird, dass der betroffene Arbeitnehmer für jede tatsächlich geleistete Arbeitsstunde mindestens 11,75 € brutto erhalten habe.

Die Klägerin hat ferner erneut die drei an ihr Unternehmen gerichteten Rechnungen des zu 1. beigeladenen F. vom 2. August, 3. September und 18. September 2018 vorgelegt (Bl. 61 ff. GA). Diese weisen als Anschrift jeweils AJ., AK., in AL. auf, als Bankverbindung von F. ist diesen Rechnungen jeweils das Konto PBNKDEFF AM. ausgewiesen. Mit Rechnung vom 2. August 2018 über 9.150 € hat F. „Rohbauarbeiten nach Anweisung/Liste“, mit Rechnung vom 3. September 2018 über 8.142,75 € die Position „737,50 m2 Betonunterseite waagerecht, Betonoberfläche SB 2, Deckenstärke bis ca. 38 cm“ und mit Rechnung vom 18. September 2018 die Position „954,76 m2 Betonunterseite waagerecht, Betonoberfläche SB 2, Deckenstärke bis ca. 38 cm“ abgerechnet.

Ferner wurden für F. eine steuerrechtliche Unbedenklichkeitsbescheinigung des Finanzamtes AN. vom 21. Februar 2018 (Bl. 73 ff. GA) und die Änderung einer Gewerbeanmeldung bei der Stadt AL. vom 21. Dezember 2017 (Bl. 72 GA) vorgelegt, wonach von ihm das Gewerbe in den Bereichen Trockenbau, Raumausstattung, Kabelverlegung im Hochbau und Baureinigung ausgeübt wurde.

Mit Gerichtsbescheid vom 28. Juni 2022, der Klägerin zugestellt am 30. Juni 2022, hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens stehe zur Überzeugung der Kammer fest, dass die Klägerin den Vater und die beiden Söhne auch bereits vor Oktober 2018 beschäftigt habe. Keiner der befragten Arbeitnehmer habe auch nur von Kontakten zu F. berichtet.

Mit der am 25. Juli 2022 eingelegten Berufung macht die Klägerin weiterhin geltend, dass Arbeitgeber in den Monaten August und September 2018 F. gewesen sei. Bei dem Bauvorhaben in R. sei sie, die Klägerin, Nachunternehmerin der AO. gewesen, ihrerseits habe sie als Subsubunternehmer F. herangezogen.

Soweit Beiträge für den Beschäftigungsmonat Oktober 2018 (für den die Klägerin die Beigeladenen zu 2., 5., und 6. als Arbeitnehmer zur Sozialversicherung, wenngleich aus Sicht der Beklagten mit einem jeweils zu geringen beitragspflichtigen Entgelt, gemeldet hatte) nacherhoben worden sind, werden diese von der Klägerin nicht mehr angefochten (vgl. Schriftsatz vom 9. November 2022, Bl. 132 GA). Im Einzelnen sind davon betroffenen die Beträge von 77,14 € für H., 74,83 € für J. und 77,14 € für K., zusammen also 229,11 €, zuzüglich der auf diese Teilbeträge entfallenden anteiligen Säumniszuschläge.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Braunschweig vom 28. Juni 2022 zu ändern und den Bescheid der Beklagten vom 17. Juni 2020 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 30. Oktober 2020 aufzuheben, soweit Beiträge, Umlagen und Säumniszuschläge für die Beschäftigungsmonate August und September 2018 festgesetzt worden sind.

Die Beklagte beantragt,

            die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.

Nachdem zahlreiche weitere Bemühungen des Senates zur Ermittlung der aktuellen Anschrift des unter der in seinen Rechnungen ausgewiesenen Anschrift nicht mehr erreichbaren beigeladenen F. ohne Erfolg geblieben waren, hat der Senat dem für deren Filiale Postbank rechtlich verantwortlichen Vorstand der Deutschen Bank AG mit Beschluss vom 25. Oktober 2023 aufgegeben, die dort gespeicherten Daten über die Person des Inhabers des Kontos PBNKDEFF AM. und dessen Anschrift dem Gericht mitzuteilen. Dieser Anordnung ist die Postbank mit Schreiben vom 9. November 2023 nachgekommen. Auch mit Hilfe dieser weiteren Auskünfte war es allerdings nicht möglich, die aktuelle Anschrift von Herrn AP. zu ermitteln.

Ohne weitere Aufforderung des Senates sind von Seiten der Postbank mit weiterem Schreiben vom 27. November 2023 umfängliche Kontoauszüge betreffend das von Herrn AP. geführte frühere Konto PBNKDEFF AM. aus dem Zeitraum November 2017 bis August 2019 vorgelegt worden. Diese Kontoauszüge weisen durchaus erhebliche Zahlungseingänge (darunter auch einige Überweisungen der Klägerin) aus, aber keine damit korrespondierenden Ausgaben in relevanter Höhe zur Abdeckung der Betriebsunkosten wie etwa in Form der Lohnzahlungen an eingesetzte Mitarbeiter. Stattdessen sind die Zahlungseingänge ganz überwiegend jeweils, soweit anhand der Kontoauszüge zu beurteilen ist, zeitnah an Empfänger in China bzw. in Honkong weitergeleitet worden.

Der Senat hat den Geschäftsführer der Klägerin durch seinen Vorsitzenden in den Erörterungsterminen am 23. März und 27. April 2023 sowie am 22. April 2024 jeweils informatorisch gehört. Ferner hat der Senat den Beigeladenen zu 2. H. im Erörterungstermin am 22. April 2024 als Zeuge zu den aktuellen Anschriften seines Vaters und seines Bruders sowie informatorisch zu den Einzelheiten seines Einsatzes für das klägerische Unternehmen bzw. für den Beigeladenen F. gehört. Wegen der Einzelheiten wird auf die entsprechenden Terminprotokolle verwiesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten sowie der ebenfalls beigezogenen Strafakten der Staatsanwaltschaft AQ. Bezug genommen. Das Strafverfahren gegen den – nach eigenen Angaben in der strafrichterlichen Hauptverhandlung des Amtsgerichts Goslar am 23. Februar 2021 mehrfach vorbestraften – Geschäftsführer der Klägerin wegen des Verdachts der Vorenthaltung und Veruntreuung von Arbeitsentgelt ist mit Beschluss des Amtsgerichts AR. vom 23. Februar 2021 (22 Cs 104 Js 63462/18) vorläufig und mit Beschluss vom 1. April 2021 nach Zahlung des vorgesehenen Geldbetrages in Höhe von 2.000 € endgültig gemäß § 153a StPO eingestellt worden.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung hat keinen Erfolg. Der angefochtene Beitragsnacherhebungsbescheid vom 17. Juni 2020 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 30. Oktober 2020 wird im Berufungsverfahren nur noch hinsichtlich der Festsetzung von Beiträgen, Umlagen und Säumniszuschlägen für die Beschäftigungsmonate August und September 2018 zur Überprüfung gestellt. Insoweit sind jedoch keine Fehler zulasten der Klägerin erkennbar.

1. Zutreffend hat die Beklagte die Klägerin ausgehend von abhängigen und versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen mit den Beigeladenen zu 2., 5. und 6. zur Nachentrichtung der rechnerisch und sachlich zutreffend in dem angefochtenen Bescheid festgesetzten Beiträge und Umlagen für die Beschäftigungsmonate August und September 2018 herangezogen.

In Ergänzung zu den zutreffenden Ausführungen in dem angefochtenen Bescheid vom 17. Juni 2020 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 30. Oktober 2020 sowie in der zur Überprüfung gestellten erstinstanzlichen Entscheidung weist der Senat auf Folgendes hin:

Im streitigen Zeitraum unterlagen Personen, die gegen Arbeitsentgelt beschäftigt waren, der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung, der gesetzlichen Rentenversicherung und sozialen Pflegeversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung (vgl § 5 Abs 1 Nr 1 SGB V, § 20 Abs 1 S 2 Nr 1 SGB XI, § 1 S 1 Nr 1 SGB VI und § 25 Abs 1 S 1 SGB III). Beschäftigung ist gemäß § 7 Abs 1 SGB IV die nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis (S 1). Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers (S 2). Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG setzt eine abhängige Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Diese Weisungsgebundenheit kann - vornehmlich bei Diensten höherer Art - eingeschränkt und zur "funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess" verfeinert sein. Demgegenüber ist eine selbstständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob jemand beschäftigt oder selbstständig tätig ist, richtet sich danach, welche Umstände das Gesamtbild der Arbeitsleistung prägen und hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen (stRspr; vgl zum Ganzen zB BSG, Urteil vom 16.8.2017 - B 12 KR 14/16 R - SozR 4-2400 § 7 Nr 31 RdNr 17 mwN und BSG, Urteil vom 31.3.2017 - B 12 R 7/15 R - SozR 4-2400 § 7 Nr 30 RdNr 21 mwN, jeweils auch zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen; BSG, Urteil vom 30.4.2013 - B 12 KR 19/11 R - SozR 4-2400 § 7 Nr 21 RdNr 13 mwN; zur Verfassungsmäßigkeit der Abgrenzung zwischen Beschäftigung und selbstständiger Tätigkeit vgl BVerfG <Kammer> Beschluss vom 20.5.1996 - 1 BvR 21/96 - SozR 3-2400 § 7 Nr 11). Die Zuordnung einer Tätigkeit nach deren Gesamtbild zum rechtlichen Typus der Beschäftigung oder selbstständigen Tätigkeit setzt voraus, dass alle nach Lage des Einzelfalls als Indizien in Betracht kommenden Umstände festgestellt, in ihrer Tragweite zutreffend erkannt und gewichtet, in die Gesamtschau mit diesem Gewicht eingestellt und nachvollziehbar, dh den Gesetzen der Logik entsprechend und widerspruchsfrei gegeneinander abgewogen werden (BSG, Urteil vom 23.5.2017 - B 12 KR 9/16 R - SozR 4-2400 § 26 Nr 4 RdNr 24 mwN).

Als Arbeitgeber im sozialversicherungsrechtlichen Sinne ist regelmäßig derjenige anzusehen, zu dem ein anderer - der Beschäftigte - in einem persönlichen Abhängigkeitsverhältnis steht. Nach § 7 Abs 1 S 1 SGB IV ist Beschäftigung die "nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis". "Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers" (§ 7 Abs 1 S 2 SGB IV; vgl. zum Vorstehenden: BSG, Urteil vom 31. März 2015 – B 12 R 1/13 R –, SozR 4-2400 § 14 Nr 19, Rn. 18)

Bei der Statusbeurteilung ist regelmäßig vom Inhalt der zwischen den Beteiligten getroffenen Vereinbarungen auszugehen, den die Verwaltung und die Gerichte konkret festzustellen haben. Liegen schriftliche Vereinbarungen vor, so ist neben deren Vereinbarkeit mit zwingendem Recht auch zu prüfen, ob mündliche oder konkludente Änderungen erfolgt sind. Diese sind ebenfalls nur maßgebend, soweit sie rechtlich zulässig sind. Schließlich ist auch die Ernsthaftigkeit der dokumentierten Vereinbarungen zu prüfen und auszuschließen, dass es sich hierbei um einen bloßen "Etikettenschwindel" handelt, der uU als Scheingeschäft iS des § 117 BGB zur Nichtigkeit dieser Vereinbarungen und der Notwendigkeit führen kann, ggf den Inhalt eines hierdurch verdeckten Rechtsgeschäfts festzustellen.

Diese Grundsätze gelten entsprechend für die Feststellung des rechtlich maßgeblichen Arbeitgebers eines Beschäftigungsverhältnisses. Auch in diesem Zusammenhang können schriftliche Unterlagen wie insbesondere Abrechnungen nur dann maßgebliche Relevanz erlangen, wenn diese auf ernstlich gewollten geschäftlichen Vereinbarungen beruhen und nicht zu Täuschungszwecken wie namentlich im Sinne eines sog. „Etikettenschwindels“ erstellt worden sind.

Erst auf der Grundlage der so getroffenen Feststellungen über den (wahren) Inhalt der Vereinbarungen ist eine wertende Zuordnung des Rechtsverhältnisses zum Typus der Beschäftigung oder selbstständigen Tätigkeit vorzunehmen und in einem weiteren Schritt zu prüfen, ob besondere Umstände vorliegen, die eine hiervon abweichende Beurteilung notwendig machen (BSG, Urteil vom 18.11.2015 - B 12 KR 16/13 R - BSGE 120, 99 = SozR 4-2400 § 7 Nr 25, RdNr 17 mwN; BSG, Urteil vom 14. März 2018 – B 12 KR 12/17 R –, SozR 4-2400 § 7 Nr 34, SozR 4-1500 § 163 Nr 12).

Aus Sicht des Senates bestehen im Ergebnis keine Zweifel daran, dass in den streitbetroffenen Zeiträumen abhängige sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse zwischen der Klägerin auf der einen Seite und den Beigeladenen zu 2., 5. und 6., also dem Vater und seinen beiden Söhnen, auf der anderen Seite bestanden haben. Diese Beigeladenen waren seinerzeit als weisungsgebundene Einschaler in die arbeitsteilige Organisation der Klägerin auf der Baustelle in R. eingegliedert. Sie wurden von der Klägerin zu dem vereinbarten Stundenlohn entlohnt und hatten weder unternehmerische Risiken zu tragen noch waren ihnen unternehmerische Chancen eröffnet.

Die diesen Beschäftigungsverhältnissen zugrundeliegenden tatsächlichen Hintergründe hat der Geschäftsführer der Klägerin im Erörterungstermin am 27. April 2023 wie folgt beschrieben:

Er habe seinerzeit unter starkem Druck gestanden. Es sei außerordentlich schwierig gewesen, die Termine auf der Baustelle einzuhalten. In solchen Stresssituationen würden Bauhandwerker wie auch er selbst eher weniger „auf die Buchhaltung achten“.

Bis etwa August 2018 sei die Einhaltung der vorgegebenen Termine auf der Baustelle in R. besonders kritisch gewesen. Seinerzeit habe sein Unternehmen termingerecht die besonders große und dementsprechend arbeitsaufwendige Bodenplatte erstellen müssen. Ursprünglich habe er geplant, für einen erheblichen Teil dieser Arbeiten ein serbisches Bauunternehmen zu verpflichten. Dies sei aber daran gescheitert, dass es jenem Unternehmen bis August 2018 nicht möglich gewesen sei, die notwendigen Arbeitserlaubnisse zu erlangen. Von daher sei dieses Unternehmen zunächst ausgefallen, es habe erst im September 2018 seine Mitarbeit auf der Baustelle aufnehmen können.

Dementsprechend sei es für sein Unternehmen im Zeitraum bis September 2018 besonders problematisch gewesen, diesen Ausfall anderweitig abzudecken und gleichwohl alle vorgegebenen Termine einzuhalten. Er habe unter „starkem Druck“ gestanden (vgl. auch die ergänzenden Ausführungen des Geschäftsführers im Erörterungstermin am 22. April 2024: Der Bauherr machte erheblichen Termindruck. Gleichzeitig fehlten Arbeitskräfte. Wir haben im Ergebnis alle zusammen versucht, immer einen Ausweg zu finden, um das Vorhaben noch fristgerecht fertigstellen zu können; vgl. ferner seine Einlassung in der strafrichterlichen Hauptverhandlung des Amtsgerichts AR. am 23. Februar 2021, wonach er sich von der Firma S. „quasi erpresst“ gefühlt habe).

Über einen „Landsmann“ habe er den Beigeladenen zu 1. F. kennengelernt. Dieser habe in Aussicht gestellt, dass er drei Moldawier kenne und dafür Sorge tragen könne, dass diese auf der Baustelle in R. arbeiten würden. Nach mehreren Telefonaten habe er F. schließlich auf dem Autohof an der Raststätte AS. getroffen, um die Details noch einmal zu klären.

Bei den Moldawiern, deren Einsatz Herr AP. angeboten habe, habe es sich (jedenfalls nach seinem damaligen Kenntnisstand) um Einschaler gehandelt. Dementsprechend habe er diese nach ihrem Eintreffen auf der Baustelle für die Einschalung der Erdgeschossdecke eingesetzt. Auf der Baustelle habe ihnen der in seinem Unternehmen angestellte Polier anhand der Planzeichnungen erklärt, welche konkreten Abschnitte jeweils einzuschalen waren. Daraufhin hätten diese Arbeitskräfte, also die Beigeladenen zu 2., 5. und 6., die entsprechenden Schalungsarbeiten vor Ort im August und Anfang September 2018 verrichtet.

Herr AP. selbst habe auf der Baustelle nicht mitgearbeitet. Er habe lediglich die betroffenen drei Arbeitskräfte entsandt. Nach seiner Erinnerung habe F. lediglich einmal auf der Baustelle vorbeigeschaut. Er selbst habe ihn dort aber nicht persönlich gesehen.

Auf der Basis insbesondere auch dieser eigenen Bekundungen der Geschäftsführers der Klägerin hat der Senat die Überzeugung gewonnen, dass nicht zwischen einem Werkvertrag zwischen F. und der Klägerin über die eigenverantwortliche Herstellung von Teilen der zu errichtenden baulichen Anlagen in Form der mit Rechnungen vom 3. und 18. September 2018 ausgewiesenen (schon sprachlich nicht konkret fassbaren) Positionen „Betonunterseite waagerecht, Betonoberfläche SB 2, Deckenstärke bis 38 cm“ auszugehen ist.

Nach dem erläuterten eigenen Vortrag des Geschäftsführers der Klägerin ist davon auszugehen, dass F. gerade nicht eigenverantwortlich die entsprechenden Deckenflächen herstellen bzw. einschalen sollte. Einer solchen Annahme steht bereits der Umstand entgegen, dass nach den insoweit glaubhaften Angaben des Geschäftsführers der Klägerin die fachliche Koordination der im Auftrag der Klägerin auf der Baustelle tätigen Arbeitskräfte und damit auch der Beigeladenen zu 2., 5. und 6., dem bei der Klägerin beschäftigten – vom klägerischen Geschäftsführer als Polier bezeichneten – Mitarbeiter W. oblag.

Nach den Schilderungen des Geschäftsführers ist insbesondere davon auszugehen, dass F. weder persönlich noch durch Beauftragte in der Lage gewesen ist, eine fachliche Leitung für eine eigenverantwortliche Erbringung umfänglicher Bauleistungen in Form der Errichtung von insgesamt rund 1.700 qm Deckenflächen auf der Baustelle auszuüben. Er selbst soll allenfalls einmal dort „vorbeigeschaut“ haben; sonstige Beauftragte seines (eventuellen) Unternehmens, welche die Bauleitung hätten wahrnehmen können, waren dort gar nicht zugegen.

Überdies vermag die vorgelegte Rechnung von F. vom 2. August 2018 über die Erbringung von „Rohbauarbeiten nach Anweisung/Liste“ zu der von Seiten der Klägerin geltend gemachten Annahme einer damit im Ergebnis angestrebten Honorierung der von den beigeladenen Arbeitskräften in den Monaten August und September 2018 erbrachten Leistungen schon datenmäßig nicht zu passen. Nach Maßgabe dieser Rechnung müssten die abgerechneten – eventuell von Seiten der Firma AP. geleisteten – Arbeiten schon vor dem 2. August 2018 erbracht worden sein, bezeichnenderweise weist diese Rechnung als Leistungserbringungszeitraum auch den Monat Juli 2018 aus. Auch die Klägerin trägt aber vor, dass der Einsatz der beigeladenen Arbeitskräfte auf der Baustelle erst im August 2018 begonnen habe.

Bei der beschriebenen Ausgangslage vermag der Senat auch nicht festzustellen, dass mit den vorgelegten Rechnungen des Herrn AP. vom 3. und 18. September 2018 von diesem erbrachte Leistungen in Form der in Rechnung gestellten – tatsächlich aber in eigener Verantwortung der Klägerin gefertigten – Betondeckenflächen abgerechnet werden sollten. Vielmehr ist von Scheinrechnungen ohne zugrunde liegende tatsächlich von Seiten des Ausstellers AP. erbrachte Bauleistungen auszugehen, wobei nach Aktenlage der Verdacht jedenfalls nicht fernliegt, dass sich F. als Aussteller der Rechnungen (in großem Umfang) mit verbotener Geldwäsche befasst hat.

Selbst wenn F. im Ergebnis die Beigeladenen zu 2., 5. und 6. für die streitbetroffenen Zeiträume im August und September 2018 an die Klägerin entgeltlich überlassen hätte (wofür sich aber nichts objektivieren lässt), würde dies einer Heranziehung der Klägerin zu den streitbetroffenen Beitragsnachforderungen nicht entgegenstehen. Die Bundesagentur für Arbeit hat auf Nachfrage des Senates mitgeteilt, dass der Betrieb AP. im Oktober 2017 als Betrieb für die Dämmung gegen Kälte, Wärme, Schall und Erschütterung erfasst worden sei, jedoch nie Arbeitnehmer gemeldet habe und auch nicht über eine Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung verfügt habe (vgl. Auskunft der – auf eine Beiladung verzichtenden – Bundesagentur vom 15. Juni 2023).

Unter der Annahme einer Arbeitnehmerüberlassung hätte es jedenfalls an der nach § 1 AÜG erforderlichen Erlaubnis für F. als Verleiher gefehlt. Dies hätte nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 AÜG die Unwirksamkeit etwaiger Arbeitsverträge zwischen diesem Verleiher und den Beigeladenen zu 2., 5. und 6. zur Folge. Daran anknüpfend wäre nach § 10 Satz 1 AÜG von einem Arbeitsverhältnis zwischen der Klägerin als Entleiherin und den Beigeladenen zu 2., 5. und 6. in den streitbetroffenen Zeiträumen auszugehen, was wiederum die Klägerin zur Abführung der damit einhergehenden Beiträge zur Sozialversicherung nach §§ 28d ff. SGB IV verpflichten würde (vgl. zum Vorstehenden auch BSG, Urteil vom 14. März 2018 – B 12 KR 12/17 R –, SozR 4-2400 § 7 Nr 34, SozR 4-1500 § 163 Nr 12).

Im Ergebnis geht der Senat allerdings bei lebensnaher Würdigung des Sachverhalts ohnehin davon aus, dass es sich bei den vorgelegten Rechnungen der Firma F. vollinhaltlich um Scheinrechnungen gehandelt hat. Eine Firma F. war tatsächlich in die Erbringung der Arbeitsleistungen durch die Beigeladenen zu 2., 5. und 6. in den streitbetroffenen Zeiträumen im August und September 2018 auf der Baustelle in R. überhaupt nicht eingebunden. Vielmehr hat die Klägerin vertreten durch ihren Geschäftsführer diese Beigeladenen seinerzeit im eigenen Namen engagiert und bezahlt und als abhängig beschäftigte Einschaler auf der Baustelle unter Anleitung des dort von der Klägerin eingesetzten Poliers herangezogen. Im Ergebnis muss der Senat davon ausgehen, dass die vorgelegten Rechnungen von F. nicht mit den zwischen ihm und dem Geschäftsführer der Klägerin getroffenen Abmachungen und den tatsächlichen Abläufen übereinstimmen und es sich damit im Ergebnis um Scheinrechnungen gehandelt hat.

Der Beigeladene zu 5. J. hat bei seiner Vernehmung durch das Hauptzollamt am 11. Oktober 2018 glaubhaft geschildert, dass er und seine beiden Söhne vor der Aufnahme ihrer Tätigkeit auf der Baustelle in R. telefonischen Kontakt mit „Y.“ (dabei handelt es sich um den Geschäftsführer der Klägerin) gehabt hätten. Es sei ein Stundenlohn von 10 € vereinbart worden. Diesen hätten sie von „Y.“ auch ausbezahlt bekommen.

Der Senat hat keinen Anlass, an dieser einleuchtenden zeitnah erfolgten Schilderung zu zweifeln, zumal die bei der Vernehmung des Vaters anwesenden Söhne dessen Angaben bei ihren nachfolgenden Vernehmungen bestätigt haben. Anhaltspunkte für verwirrungsbedingte Falschangaben, wie sie von Seiten der Klägerin unsubstantiiert geltend gemacht werden, vermag der Senat nicht zu erkennen. Soweit der (nachfolgend mehrjährig bei der Klägerin angestellte) H. bei seiner Anhörung durch den Senatsvorsitzenden auf die Einschaltung eines Dritten namens „AT.“ hingewiesen hat, erachtet dies der Senat für eine nicht glaubhafte Schutzbehauptung. Nähere Angaben zur Person dieses „AT.“ vermochte auch der beigeladene H. nicht zu machen.

Die Klägerin hat auf Vordrucken der S. GmbH erfolgte Erklärungen des Vaters für den Abrechnungszeitraum August (Bl. 65 GA) und September 2018 (Bl. 67 GA), des Sohnes X. für den Abrechnungszeitraum August 2018 (Bl. 66 GA) und des Sohnes AA. für den Abrechnungszeitraum September 2018 (Bl. 68 GA) vorgelegt, in denen jeweils in der Rubrik Auftraggeber „S.“ und in der Rubrik Nachunternehmer „F.“ ausgewiesen ist und in den jeweils bestätigt wird, dass der betroffene Arbeitnehmer für jede tatsächlich geleistete Arbeitsstunde mindestens 11,75 € brutto erhalten habe. Diesen Erklärungen kommt schon deshalb kein Erkenntniswert zu, weil gar nicht ersichtlich ist, dass die Beigeladenen zu 2., 5. und 6. bei Unterzeichnung dieser Erklärungen über hinreichende Kenntnisse der deutschen Sprache verfügten, um auch nur den Erklärungsinhalt zu erfassen. Bezeichnenderweise konnte das Hauptzollamt sie nur unter Hinzuziehung eines Übersetzers vernehmen.

Bezeichnenderweise hat die Klägerin auch nicht nachvollziehbar aufzuzeigen vermocht, dass die vorgelegten Rechnungen von F. mit von dessen Seite eigenverantwortlich zu erbringenden Bauleistungen korrespondierten, zumal eine solche Annahme eigenverantwortlich von F. zu erbringender Bauleistungen schon gar nicht mit den Schilderungen des Geschäftsführers der Klägerin im Erörterungstermin am 27. April 2023 zum Bauablauf in Einklang zu bringen ist. Die vom Senat in diesem Zusammenhang angeforderten ergänzenden Unterlagen wie etwa die an den Hauptunternehmer gerichteten Abschlagsrechnungen der Klägerin sind bezeichnenderweise nicht vorgelegt worden.

Im Ergebnis ist beispielsweise völlig unklar geblieben, welche konkreten in welchem Zeitraum erbrachten „Rohbauarbeiten“ der zur Akte gereichten Rechnung von F. vom 2. August 2018 zugrunde gelegen haben sollen. Soweit es sich ausweislich der Rechnung u.a. um Rohbauarbeiten „nach Liste“ gehandelt haben soll, hat die Klägerin die in Bezug genommene „Liste“ nicht vorlegen können.

Schon die Angaben des Geschäftsführers der Klägerin zur Anbahnung des Einsatzes der Beigeladenen zu 2., 5. und 6. auf der Baustelle in R. weisen durchgreifende Ungereimtheiten auf. So hat dieser im Erörterungstermin am 27. April 2023 erläutert, dass er zunächst mehrfach mit Herrn AP. telefoniert habe. Nachher habe er sich einmal mit diesem auf dem Autohof an der Raststätte AS. getroffen, um die Details zu klären. In der strafrichterlichen Hauptverhandlung des Amtsgerichts AR. am 23. Februar 2021 hat er hingegen vorgetragen, dass der Kontakt „auf einer Baustelle in AU. zustande“ gekommen sei.

2. Auch die auf § 24 SGB IV gestützte rechnerisch zutreffend ermittelte Festsetzung von Säumniszuschlägen begegnet keinen rechtlichen Bedenken.

Für Beiträge und Beitragsvorschüsse, die der Zahlungspflichtige nicht bis zum Ablauf des Fälligkeitstages gezahlt hat, ist nach § 24 Abs. 1 Satz 1 SGB IV für jeden angefangenen Monat der Säumnis ein Säumniszuschlag von 1 Prozent des rückständigen, auf 50 Euro nach unten abgerundeten Betrages zu zahlen. Wird eine Beitragsforderung durch Bescheid mit Wirkung für die Vergangenheit festgestellt, ist ein darauf entfallender Säumniszuschlag nicht zu erheben, soweit der Beitragsschuldner glaubhaft macht, dass er unverschuldet keine Kenntnis von der Zahlungspflicht hatte § 24 Abs. 2 SGB IV). Nach der Rechtsprechung des BSG schließt erst mindestens bedingter Vorsatz die unverschuldete Unkenntnis von der Zahlungspflicht aus (BSG, Urteil vom 04. September 2018 – B 12 KR 11/17 R –, BSGE 126, 235).

Die Beitragspflichtige muss zumindest im Rahmen einer Parallelwertung in der Laiensphäre nachvollziehen, dass eine Beschäftigung vorliegt, welche die Beitragspflicht nach sich zieht (BSG, Urteil vom 12. Dezember 2018 – B 12 R 15/18 R –, BSGE 127, 125, Rn. 12). Bei juristischen Personen wie der Klägerin kommt es in diesem Zusammenhang insbesondere entscheidend auf die Kenntnisse des verantwortlichen Geschäftsführers an.

Für die unverschuldete Unkenntnis von der Zahlungspflicht trägt die Klägerin die objektive Beweislast. § 24 Abs. 2 SGB IV ist als Ausnahme von der Erhebung von Säumniszuschlägen ausgestaltet, so dass derjenige beweispflichtig ist, der sich auf die rechtsbegründenden Tatsachen der Ausnahme beruft (vgl BSG, Urteil vom 2.12.2008 - B 2 U 26/06 R - BSGE 102, 111 = SozR 4-2700 § 8 Nr 29, RdNr 30 ff). Dabei genügt der abgesenkte Beweisgrad der Glaubhaftmachung (BSG, Urteil vom 12. Dezember 2018 – B 12 R 15/18 R –, BSGE 127, 125-132, SozR 4-2400 § 24 Nr 8, SozR 4-7610 § 276 Nr 1, Rn. 25).

Im vorliegenden Fall vermag der Senat nichts dafür auch nur im Sinne einer Glaubhaftmachung festzustellen, dass dem verantwortlichen Geschäftsführer der Klägerin die vorstehende aufgezeigte Pflicht zur Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen und Umlagen zur Sozialversicherung für den streitbetroffenen Einsatz der Beigeladenen zu 2., 5. und 6. im August und September 2018 im Rahmen des von der Klägerin übernommenen Bauauftrages im Zuge der Errichtung des Rohbaus des Q. in R. verborgen geblieben ist, dass ihm also diesbezüglich nicht einmal ein sog. Eventualvorsatz anzulasten sein könnte. Vielmehr teilt der Senat nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens die Einschätzung der Beklagten, dass dem verantwortlichen Geschäftsführer der Klägerin eine mit zumindest bedingtem Vorsatz erfolgte Nichtabführung der geschuldeten Sozialversicherungsbeiträge anzulasten ist.

Der Geschäftsführer der Klägerin war im streitbetroffenen Zeitraum mit der grundsätzlichen Pflicht zur Abführung von Umlagen und Sozialversicherungsbeiträgen für abhängig beschäftigte Mitarbeiter vertraut, zumal die Klägerin in den vorausgegangenen Jahren für auch aus ihrer Sicht entsprechend beschäftigte Mitarbeiter diese Beiträge und Umlagen abgeführt hatte.

Der Geschäftsführer der Klägerin selbst hat im Erörterungstermin am 27. April 2023 erläutert, dass es seinem Unternehmen oblegen habe, die für die Durchführung der übernommenen Rohbauarbeiten auf der Baustelle benötigten 30 bis 40 Arbeitskräfte zu stellen. Zu diesem Zweck habe er unter Vermittlung des Beigeladenen zu 1. auch die Beigeladenen zu 2., 5. und 6. dort im August und September 2018 eingesetzt. Auf der Baustelle habe der von seinem Unternehmen, d.h. von der Klägerin, eingesetzte Polier den Beigeladenen zu 2., 5. und 6. jeweils anhand der Baupläne vorgegeben, welche konkreten Abschnitte von diesen jeweils einzuschalen waren. Damit lag auch für den Geschäftsführer der Klägerin offen zutage, dass die Beigeladenen zu 2., 5. und 6. seinerzeit weisungsgebunden in die betriebliche Organisation der Klägerin auf der Baustelle eingegliedert waren.

Der (angebliche) Vermittler F., d.h. der Beigeladene zu 1., hat sich nach diesen Schilderungen des Geschäftsführers der Klägerin im damaligen Erörterungstermin in den Bauablauf gar nicht eingemischt. Der Geschäftsführer der Klägerin hat hierzu vorgetragen: Herr AP. selbst hat auf der Baustelle nicht mitgearbeitet. Er hat lediglich die benannten drei Arbeitskräfte entsandt. Nach seiner Erinnerung habe Herr AP. lediglich einmal auf der Baustelle „vorbeigeschaut“, wobei er selbst ihn dort aber nicht persönlich gesehen habe.

Bei dieser Ausgangslage kann bei lebensnaher Würdigung dem geschäftserfahrenen Geschäftsführer der Klägerin jedenfalls im Sinne eines Eventualvorsatzes nicht verborgen geblieben sein, dass rechtlich von einer Beitragspflicht der Klägerin für den damaligen Einsatz der Beigeladenen zu 2., 5. und 6. auszugehen war.

Auch auf dezidierte Nachfragen des Senats hat die Klägerin keinen Sachverhalt nachvollziehbar darzulegen vermocht, der in der gebotenen Gesamtbetrachtung Raum für eine andere Bewertung als eine billigende Inkaufnahme der Nichtabführung von Gesetzes wegen geschuldeter Sozialversicherungsbeiträge zulässt. Ohnehin hat der Geschäftsführer der Klägerin selbst eingeräumt, dass in namentlich durch Termindruck bedingten Stresssituationen, wie sie auch die Arbeiten der Klägerin auf der Baustelle in R. im August und September 2018 geprägt haben, Bauhandwerker wie auch er selbst eher weniger „auf die Buchhaltung achten“ würden.

Zudem muss der Senat, wie bereits ausgeführt, davon ausgehen, dass die vorgelegten Rechnungen von F. nicht mit den zwischen ihm und dem Geschäftsführer der Klägerin getroffenen Abmachungen und den tatsächlichen Abläufen übereinstimmen und es sich damit im Ergebnis um Scheinrechnungen gehandelt hat. Auch dem erfahrenen Geschäftsführer der Klägerin kann der Scheincharakter dieser Rechnungen nicht verborgen geblieben sein. Bei dieser Ausgangslage ist aus Sicht des Senates noch weniger Raum für die Annahme eines glaubhaft gemachten fehlenden Vorsatzes auf Seiten des Geschäftsführers der Klägerin.

3. Von der Geltendmachung eines illegalen Beschäftigungsverhältnisses im Sinne des § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV hat zugunsten der Klägerin bereits die Beklagte Abstand genommen, so dass der Senat auf diese Problematik nicht einzugehen hat.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a SGG i.V.m. §§ 154 Abs. 2, 162 Abs. 3 VwGO

Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG), sind nicht gegeben.

 

Rechtskraft
Aus
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