L 4 R 865/24

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
4.
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 24 R 4764/20
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 R 865/24
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 15. Februar 2024 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.



Tatbestand

Der Kläger begehrt die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung ab dem 1. Dezember 2019.

Der 1964 geborene Kläger zog im Mai 1978 aus der Türkei in das Bundesgebiet zu und war von Oktober 1981 bis Oktober 2011 - mit Unterbrechungen durch Zeiten der Arbeitslosigkeit mit Leistungsbezug - als Arbeiter in verschiedenen Bereichen, zuletzt als Montagearbeiter, versicherungspflichtig beschäftigt. Anschließend bezog er Leistungen der Bundesagentur für Arbeit, ab 1. Januar 2014 mit einzelnen Unterbrechungen Arbeitslosengeld II, seit 1. Oktober 2017 neben einer geringfügigen Beschäftigung. Für die Zeit vom 11. Mai 2018 bis 14. Februar 2023 sind Beitragszeiten wegen Pflegetätigkeit gespeichert. Daneben bezog der Kläger weiterhin Arbeitslosengeld II bzw. bis aktuell Bürgergeld, weiterhin neben einer geringfügigen Beschäftigung. Seit Februar 2015 ist ein Grad der Behinderung von 50 anerkannt.

Ein bereits 2013 gestellter Antrag auf Rente wegen Erwerbsminderung war nach umfangreichen Begutachtungen ohne Erfolg geblieben (Ablehnungsbescheid der Beklagten vom 10. Oktober 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. August 2014, klageabweisender Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Sozialgericht [SG] vom 8. März 2016 – S 5 R 5146/14, Rücknahme der Berufung vor dem Landessozialgericht [LSG] Baden-Württemberg – L 7 R 1669/16).

Vom 2. bis 23. Februar 2018 befand sich der Kläger in stationärer Anschlussheilbehandlung. B1 Im Reha-Entlassungsbericht vom 28. Februar 2018 benannte T1 als Diagnosen ein Funktionsdefizit nach Implantation einer medialen Schlittenprothese rechts bei Gonarthrose am 26. Januar 2018, ein chronisches Lumbalsyndrom bei degenerativen Veränderungen, einen Zustand nach (Z.n.) Osteosynthese an der Halswirbelsäule (HWS) 2015, eine arterielle Hypertonie sowie einen nichtinsulinabhängigen Typ-2-Diabetes mellitus. Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sei der Kläger für leichte bis mittelschwere körperliche Tätigkeiten bei Beachtung im Einzelnen genannter qualitativer Einschränkungen weiterhin vollschichtig arbeitsfähig.

Am 10. Dezember 2019 beantragte der Kläger erneut die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente. In ihrem von der Beklagten veranlassten Gutachten vom 11. März 2020 beschrieb E1 als relevant für das Leistungsvermögen geringe Bewegungs- und Funktionseinschränkungen der Lenden- und Halswirbelsäule bei chronischem Lumbal-HWS-Syndrom und Z.n. Implantation einer Bandscheibenprothese sowie einen Schultergelenksverschleiß beidseits, links mit mäßiger Bewegungs- und Funktionseinschränkung. Für leichte bis mittelschwere Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sei der Kläger weiterhin sechs Stunden täglich und mehr leistungsfähig. Auf Heben und Bewegen von Lasten über 15 kg, Wirbelsäulenzwangshaltungen, häufiges Bücken, Knien, Klettern und Steigen sowie Überkopftätigkeiten solle verzichtet werden.

Hierauf gestützt lehnte die Beklagte den Rentenantrag mangels Erwerbsminderung mit Bescheid vom 27. April 2020 ab. Den dagegen eingelegten, auf diverse medizinische Befundberichte gestützten Widerspruch wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten mit Widerspruchsbescheid vom 22. Oktober 2020 zurück.

Zur Begründung der hiergegen am 20. November 2020 beim SG erhobenen Klage trug der Kläger vor, im Hinblick auf seine gesundheitlichen massiven Beeinträchtigungen auf orthopädischem und nervenfachärztlichem Fachgebiet, insbesondere unter Berücksichtigung deren Wechselwirkung sowie des bestehenden chronischen Schmerzsyndroms, sei es ausgeschlossen, dass er noch regelmäßig drei Stunden täglich Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt erbringen könne. Selbst wenn jede Einzelbegutachtung für sich betrachtet eine solche Einschränkung nicht bestätige, so ergebe sich aus der gebotenen Gesamtschau gleichwohl, dass erhebliche Leistungseinschränkungen auf orthopädischem, internistischem und nervenfachärztlichem Gebiet vorlägen.

Die Beklagte trat der Klage unter Vorlage einer sozialmedizinischen Stellungnahme des M1 vom 28. Oktober 2021 entgegen.

Das SG hörte zunächst die behandelnden Ärzte des Klägers schriftlich als sachverständige Zeugen. S1 gab eine rezidivierend depressive Störung, gegenwärtig mittel- bis schwergradige depressive Episode, eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung und eine Panikstörung an. Die Belastbarkeit liege deutlich unter sechs Stunden täglich (Stellungnahme vom 16. Juni 2021). B2 sah die Leistungsfähigkeit des Klägers durch die Beschwerdesymptomatik der LWS mit größenprogredientem und sequestriertem Bandscheibenvorfall L5/S1 (OP-Empfehlung 03/2021) sowie die chronisch-depressive Erkrankung auf drei bis unter sechs Stunden reduziert (Stellungnahme vom 23. Juli 2021). Y1 verwies in seiner Auskunft vom 8. August 2021 auf eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes seit der Begutachtung durch E1 durch vermehrte Schmerzen am linken Kniegelenk und einen lumbalen Bandscheibenvorfall mit OP-Indikation. B3 beschrieb in seiner Stellungnahme vom 6. Oktober 2021 ein intrinsic Asthma mit rezidivierenden protrahierten Bronchitiden mit leichtgradiger bronchialer Überempfindlichkeit, eine chronische Rhinosinusitis, einen vorübergehenden COVID-19-Infekt sowie ein obstruktives Schlafapnoesyndrom. Hierdurch werde die berufliche Leistungsfähigkeit leichtgradig eingeschränkt. Leichte Tätigkeiten seien dem Kläger noch bis zu sechs Stunden zumutbar.

Sodann bestellte das SG D1 zum gerichtlichen Sachverständigen. Dieser beschrieb in seinem Gutachten vom 8. Februar 2022 folgende Gesundheitsstörungen (funktionelle Einschränkungen): eine um ein Viertel eingeschränkte Gesamtbeweglichkeit der Halswirbelsäule bei fehlenden sensiblen und motorischen Nervenwurzelreizerscheinungen, eine um 10 % eingeschränkte Gesamtbeweglichkeit der Lendenwirbelsäule bei fehlenden sensiblen und motorischen Nervenwurzelreizerscheinungen, ein Bandscheibenvorfall im Bewegungssegment L5-S1 im Januar 2021, eine end- bis mittelgradig eingeschränkte Armvorwärts- und Armseitwärtsanhebung in beiden Schultergelenken, eine im Seitenvergleich endgradig eingeschränkte nach speichenwärts und ellenwärts geführte Beweglichkeit im linken Handgelenk, eine endgradig eingeschränkte Beugung in beiden Hüftgelenken bei radiologisch objektivierter beginnender Hüftgelenksarthrose beidseits, eine endgradig eingeschränkte Beugung in beiden Kniegelenken nach Implantation einer medialen Schlittenprothese rechts und bei leicht bis mittelgradig ausgeprägter medialer Kniegelenksarthrose links sowie leicht ausgeprägter Retropatellararthrose beidseits, eine um ein Viertel eingeschränkte Großzehenbeweglichkeit rechts bei Hallux-valgus-Bildung sowie eine Streckhemmung von 10° und Beugeeinschränkung von 30° im rechten Ellbogengelenk bei Pseudoarthrose des Epicondylus medialis. Zu vermeiden seien mittelschwere und schwere körperliche Arbeiten, regelmäßiges Heben, Tragen oder Bewegen von Lasten ohne Hilfsmittel über 5 bis 6 kg, Arbeiten in gebückter Zwangshaltung, mit häufigem Bücken, in Kälte, Nässe und Zugluft, mit ausschließlichem Sitzen und ausschließlichem oder vorwiegendem Stehen und Gehen, auf Leitern und Gerüsten sowie Überkopfarbeiten. Bei Beachtung dieser Ausschlüsse sei der Kläger noch in der Lage, leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mindestens sechs Stunden täglich auszuführen.

Der im Anschluss zum Sachverständigen bestellte H1 beschrieb in seinem Gutachten vom 29. März 2022 eine Dysthymia (ICD-19 F34.1, inklusive depressive Neurose, anhaltende ängstliche Depression). Nicht mehr leidensgerecht seien Nachtarbeit und Arbeiten mit besonderem Leistungs- oder Zeitdruck wie Akkordarbeit und Fließbandarbeit, mit besonderer Verantwortung oder besonderer geistiger Beanspruchung wie beispielsweise Daueraufmerksamkeit, mit besonderen Anforderungen an die Stressbelastbarkeit, Selbstbehauptungsfähigkeit und Konfliktbewältigungsfähigkeiten. Unter zusätzlicher Berücksichtigung der orthopädisch veranlassten Einschränkungen könne der Kläger leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes noch sechs und mehr Stunden täglich verrichten. Eine Einschränkung der Wegefähigkeit bestehe nicht.

Zuletzt befragte das SG S2 zu einer vom Kläger angegebenen, für den 16. Oktober 2023 geplanten Bandscheibenoperation. Dieser berichtete in seiner Auskunft vom 16. Januar 2024 über eine einmalige ambulante Vorstellung am 23. März 2021.

Nach Anhörung der Beteiligten wies das SG die Klage mit Gerichtsbescheid vom 15. Februar 2024 ab. Der Kläger sei nicht erwerbsgemindert, da er, gestützt insbesondere auf die Gutachten von D1 und H1, noch in der Lage sei, unter Beachtung bestimmter qualitativer Ausschlüsse leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch mindestens sechs Stunden täglich zu verrichten.

Hiergegen hat der Kläger am 15. März 2024 Berufung beim LSG Baden-Württemberg eingelegt, zu deren Begründung er im Wesentlichen sein bisheriges Vorbringen wiederholt hat. Insbesondere sei die Wechselwirkung der Erkrankungen auf den unterschiedlichen Fachgebieten bislang in den Gutachten nicht hinreichend berücksichtigt und abgebildet worden, so dass auch die seitherigen Gutachten keinen Bestand haben könnten. Auf Aufforderung unter Fristsetzung und Hinweis auf mögliche Präklusionsfolgen (zugestellt am 3. Juni 2024) hat der Kläger innerhalb der gesetzten Frist weiter vorgetragen, in Anbetracht der chronifiziert bestehenden Beeinträchtigungen auf orthopädischem Fachgebiet hätten sich insoweit auch die nervenfachärztlich begründeten gesundheitlichen Einschränkungen verstärkt und verschlechtert, weshalb ein weiteres Gutachten auf nervenfachärztlichem Gebiet einzuholen sei. Des Weiteren nehme er regelmäßig starke Schmerz- und Beruhigungsmittel, was im Befundbericht des K1-Krankenhauses vom 16. Januar 2024 dokumentiert sei. Schon in Anbetracht des weiteren seitherigen Zeitablaufs sei ein aktueller Befundbericht einzuholen, aus dem die fortschreitende orthopädisch begründete Leistungsbeeinträchtigung ersichtlich sei. Auch datiere das vom SG eingeholte nervenärztliche Gutachten bereits von März 2022 und könne daher seinen, des Klägers, aktuellen Zustand nicht mehr dokumentieren.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 15. Februar 2024 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 27. April 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Oktober 2020 zu verurteilen, ihm Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung ab dem 1. Dezember 2019 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

            die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Mit Schreiben vom 19. Juli 2024 hat der Berichterstatter den Kläger darauf hingewiesen, dass kein Anlass bestehe, ein weiteres ärztliches Gutachten einzuholen, und diesem eine Frist bis zum 19. August 2024 für einen Antrag nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG), die Einzahlung eines Vorschusses und die Übersendung einer Kostenverpflichtungserklärung gesetzt (zugestellt am 22. Juli 2024; Bl. 64/66 der Senatsakte). Auf Antrag des Klägers wurde die Frist mehrfach, zuletzt bis zum 23. September 2024 verlängert (Zustellung am 17. September 2023; Bl. 74/75 der Senatsakten). Mit Schriftsatz vom 23. September 2024, Eingang beim Senat am selben Tag, hat der Kläger S3 als gewählten Sachverständigen bezeichnet. Der Vorschuss und die Kostenverpflichtungserklärungen sind nicht eingegangen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge sowie die beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.


Entscheidungsgründe

1. Die nach § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig, insbesondere statthaft gemäß §§ 105 Abs. 2 Satz 1, 143, 144 Abs. 1 Satz 2 SGG. Denn der Kläger begehrt laufende Leistungen für mehr als ein Jahr.

2. Die Berufung des Klägers ist nicht begründet. Das SG hat die zulässige kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage zu Recht abgewiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung ab dem 1. Dezember 2019 (vgl. § 99 Abs. 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch [SGB VI]). Der streitbefangene Bescheid vom 27. April 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Oktober 2020 (§ 95 SGG) ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.

a) Versicherte haben nach § 43 Abs. 2 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung und nach § 43 Abs. 1 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze, wenn sie voll bzw. teilweise erwerbsgemindert sind (Nr. 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (Nr. 2) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (Nr. 3). Voll erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Teilweise erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Sowohl für die Rente wegen teilweiser als auch für die Rente wegen voller Erwerbsminderung ist Voraussetzung, dass die Erwerbsfähigkeit durch Krankheit oder Behinderung gemindert sein muss. Entscheidend ist darauf abzustellen, in welchem Umfang ein Versicherter durch Krankheit oder Behinderung in seiner körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit beeinträchtigt wird und in welchem Umfang sich eine Leistungsminderung auf die Fähigkeit, erwerbstätig zu sein, auswirkt. Bei einem Leistungsvermögen, das dauerhaft eine Beschäftigung von mindestens sechs Stunden täglich bezogen auf eine Fünf-Tage-Woche ermöglicht, liegt keine Erwerbsminderung im Sinne des § 43 Abs. 1 und Abs. 2 SGB VI vor. Wer noch sechs Stunden unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts arbeiten kann, ist nicht erwerbsgemindert; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs. 3 SGB VI). Auf nicht absehbare Zeit besteht eine Einschränkung, wenn sie sich voraussichtlich über einen Zeitraum von mindestens sechs Monaten erstreckt (Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 23. März 1977 – 4 RJ 49/76 – juris, Rn. 15).

b) Nach diesen Maßstäben steht für den Senat aufgrund der im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren durchgeführten Beweisaufnahme fest, dass der Kläger in der Lage ist, zumindest leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes wenigstens sechs Stunden täglich zu verrichten. Zwar liegen bei ihm gesundheitliche und daraus resultierende funktionelle Einschränkungen vor. Diese mindern seine berufliche Leistungsfähigkeit jedoch nur in qualitativer, nicht aber in quantitativer Hinsicht.

aa) Für die Beurteilung der beruflichen Leistungsfähigkeit des Klägers stehen Gesundheitsstörungen des orthopädischen und nervenärztlichen Fachgebiets im Mittelpunkt.

(1) Orthopädisch bestehen beim Kläger objektive Funktionsbeeinträchtigungen, so insbesondere eine um ein Viertel eingeschränkte Gesamtbeweglichkeit der HWS und eine um 10 % eingeschränkte Gesamtbeweglichkeit der LWS, die allerdings keine sensiblen und motorischen Nervenwurzelreizerscheinungen zur Folge haben. Die gilt auch unter Berücksichtigung des im Januar 2021 dokumentierten Bandscheibenvorfalls im Bewegungssegment L5-S1. Dies entnimmt der Senat dem Sachverständigengutachten des D1, der auch zutreffend darauf hinweist, dass bereits dem Arztbrief des K1-Krankenhauses vom 23. März 2021 ausdrücklich zu entnehmen ist, dass auch dort kein sensomotorisches Defizit festgestellt werden konnte. Demnach zeigte sich dieser Bandscheibenvorfall zwar vergrößert, es resultierten hieraus aber keine sensomotorischen Defizite. Solche hatten auch B2 und Y1 nicht dokumentiert und H1 in seinem Sachverständigengutachten von nervenärztlicher Seite ausdrücklich ausgeschlossen. Des Weiteren stellte D1 anschaulich dar, dass die Gesamtbeweglichkeitseinschränkung der Wirbelsäule im Stehen (Entfaltung zu 60 %, Zeichen nach Ott mit 30/32 cm normwertig, Zeichen nach Schober eingeschränkt auf 10/13 cm, Finger-H1n-Abstand 56 cm) nicht relevant aus den Vorneigbeweglichkeiten der Brust- und Lendenwirbelsäule sowie des Brust-/Lendenwirbelsäulen-Übergangs resultierte. Maßgeblich hierfür war vielmehr, dass der Kläger im Stehen eine Hüftbeugung von lediglich 30°, im Sitzen jedoch eine solche von 60° durchführte, wodurch sich der Finger-Fußspitzen-Abstand im Sitzen auf 32 cm reduzierte. In beiden Hüftgelenken fand sich entsprechend bei radiologisch objektivierter beginnender Hüftgelenksarthrose jeweils lediglich eine endgradig eingeschränkte Beugung. Ebenfalls eine nur endgradig eingeschränkte Beugung bestand in beiden Kniegelenken bei Z.n. Implantation einer medialen Schlittenprothese rechts und bei leicht bis mittelgradig ausgeprägter medialer Kniegelenksarthrose links sowie leicht ausgeprägter Retropatellararthrose beidseits. Darüber hinaus bestand eine um ein Viertel eingeschränkte Großzehenbeweglichkeit rechts bei Hallux-valgus-Bildung. Gleichwohl konnte der Kläger bei der Begutachtung durch D1 Zehengang, beidseitigen Fersenstand, Fersengang und Einbeinstand beidseits regelrecht vorführen. Beim Barfußgang auf ebenem Boden dokumentierte dieser zwar ein erkennbares Schonhinken rechts, als dessen Ursache der Kläger Schmerzen in der Lendenwirbelsäule mit pseudoradikulärer Ausstrahlung in die rechte Gesäßhälfte benannte. Bei der Begutachtung H1 fiel ein solch hinkendes Gangbild hingegen nicht auf. Beschrieben wurde ein sicheres Gangbild beim mehrmaligen Gang in und aus dem Untersuchungszimmer, lediglich das Treppensteigen fiel in diesem Rahmen als beschwerlich, aber möglich auf. Auch dort ergaben sich keine Pathologika bei der Stand-, Gang- und erschwerten Koordinationsprüfung. An den oberen Extremitäten fanden sich D1 eine end- bis mittelgradig eingeschränkte Armvorwärts- und Armseitwärtsanhebung in beiden Schultergelenken, eine im Seitenvergleich endgradig eingeschränkte nach speichenwärts und ellenwärts geführte Beweglichkeit im linken Handgelenk sowie eine Streckhemmung von 10° und Beugeeinschränkung von 30° im rechten Ellbogengelenk bei Pseudoarthrose des Epicondylus medialis. Überkopf- und Nackengriff konnten nicht vorgeführt werden, der Schürzengriff gelang hingegen regelrecht. Beim vergleichenden Händedruck zur Prüfung der groben Kraft wurde dieser beidseits seitengleich regelrecht kräftig durchgeführt. H1 bestätigte an den oberen Extremitäten eine regelrechte Muskeltrophik, einen normalen Muskeltonus und eine unauffällige grobe Kraftentfaltung. Aus den Auskünften der behandelnden Ärzte und den von diesen vorgelegten medizinischen Unterlagen ergeben sich keine hierüber hinausgehenden Funktionsbeeinträchtigungen.

(2) Psychiatrisch besteht beim Kläger eine Dysthymia (ICD-19 F34.1), die bereits definitionsgemäß eine depressive Neurose und eine anhaltende ängstliche Depression umfassen kann. Dies entnimmt der Senat dem überzeugenden Gutachten von H1, der diese Diagnose nachvollziehbar aus den von ihm erhobenen und den im Übrigen dokumentierten Befunden abgeleitet hat. Der Kläger befand sich dort in dysthymer Stimmungslage. Seine affektive Schwingungsfähigkeit war (lediglich) leicht eingeschränkt. Zu Beginn der Untersuchung wirkte er zwar etwas unruhiger, im weiteren Untersuchungsverlauf dann jedoch nicht mehr. Die Antriebslage war leicht reduziert, Gestik und Mimik normal. Eine psychomotorische Hemmung war nicht feststellbar. Er verhielt sich teilweise klagsam und gab Insuffizienzgefühle und ein soziales Rückzugsverhalten an. Eine Selbstwertproblematik war erkennbar. Die Gedächtnisfunktionen zeigten hingegen keine groben Defizite. Über die Untersuchungsdauer von drei Stunden war keine Konzentrationsstörung objektivierbar und auch kein Nachlassen seiner Konzentrationsfähigkeit feststellbar. Die von S1 angegebene Diagnose einer rezidivierenden depressiven Störung, gegenwärtig mittelgradige bis schwere Episode, vermag der Senat nicht nachzuvollziehen. In ihrer Stellungnahme vom 16. Februar 2021 gab diese lediglich eine reduzierte Grundstimmung mit reduzierter Lebensfreude, erhöhter Erschöpfbarkeit, erhöhter Grübelneigung und Schlafstörungen an. Die zur Untermauerung vorgelegten Arztbriefe vom 6. Juli 2020 und 19. April 2021 enthalten hingegen keinerlei Befunddokumentation, sondern lediglich subjektive Beschwerdeangaben des Klägers, die auch nicht ersichtlich einer eigenen Bewertung durch die Ärztin unterzogen wurden. Zu Recht weist H1 daher darauf hin, dass  S1 keine depressive Symptomatik beschrieben hat, die einer mittelschweren oder gar schweren depressiven Symptomatik entspräche, und auch der angegebene episodische bzw. rezidivierende Verlauf der depressiven Erkrankung nicht erkennbar wurde. Ebenso wenig ließen sich die von S1 angeführte Diagnosen einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung und einer Panikstörung nachvollziehbar begründen. Überzeugend hat H1 dargelegt, dass S1 die Diagnose einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung nicht näher begründet hat und des Weiteren beim Kläger organische Befunde vorliegen, die den Ausgangspunkt für die von ihm empfundenen Schmerzen darstellen, so dass die gestellte Diagnose nach den Diagnosekriterien der ICD-10 ausscheidet. Darüber hinaus zeigte sich der Kläger bei den Begutachtungen durch die gerichtlichen Sachverständigen weder durchgreifend schmerzgeplagt noch vorzeitig erschöpft oder ermüdet. Bereits E1 hatte nicht über massive Schmerzangaben des Klägers berichtet und nachvollziehbar darauf hingewiesen, dass im Rahmen des von ihr durchgeführten Medikamenten-Monitorings bei allen drei untersuchten Schmerzmitteln (Diclofenac, Tilidin und Metamizol) die Werte unterhalb der Nachweisgrenze lagen. Die auch im Rahmen der Untersuchung bei H1 angegebenen panikartigen Angstzustände sind nach dessen schlüssiger Darstellung nicht als eigenständiges Krankheitsbild zu werten, sondern als „anhaltende ängstliche Depression“, die nach ICD-10 in F34.1 inkludiert ist, in die Diagnose der Dysthymia einbezogen.

(3) Im Übrigen bestehen beim Kläger eine arterielle Hypertonie sowie ein nicht insulinabhängiger Diabetes mellitus Typ 2, eine Schilddrüsenunterfunktion und ein Asthma bronchiale, die jeweils medikamentös eingestellt sind. Außerdem leidet er an einem Schlafapnoe-Syndrom, weswegen er mit einem CPAP-Gerät versorgt ist. Diese Gesundheitsstörungen bleiben jedoch ohne Relevanz auf das berufliche Leistungsvermögen im hier relevanten Umfang. Dies entnimmt der Senat der übereinstimmenden Beurteilung des Reha-Entlassungsberichts vom 28. Februar 2018, dem Gutachten von E1 vom 11. März 2020, die der Senat im Wege des Urkundenbeweises verwerten konnte (vgl. etwa BSG, Urteil vom 1. Juli 2014 – B 1 KR 29/13 R – juris, Rn. 19; BSG, Beschluss vom 14. November 2013 – B 9 SB 10/13 B – juris, Rn. 6; BSG, Urteil vom 5. Februar 2008 – B 2 U 8/07 R – juris, Rn. 51; zur Heranziehbarkeit als gerichtliche Entscheidungsgrundlage: BSG, Urteil vom 12. Dezember 2000 – B 3 P 5/00 R – juris, Rn. 13), sowie dem Sachverständigengutachten von H1, dem insbesondere zu entnehmen ist, dass trotz der Schlafapnoe keine beeinträchtigende Tagesmüdigkeit mit vorzeitiger Erschöpfbarkeit besteht. Auch H1 beschrieb unter Berücksichtigung der auf seinem Fachgebiet liegenden Gesundheitsstörungen kein unter sechsstündiges Leistungsvermögen.

(4) Der Senat sah sich auch durch das Berufungsvorbringen des Klägers nicht zu weiteren Ermittlungen von Amts wegen veranlasst. Der bloße Hinweis auf den seit Erstattung der Sachverständigengutachten vergangenen Zeitraum ist ebenso wenig geeignet, die fortbestehende Gültigkeit deren Befundfeststellungen und -bewertungen in Zweifel zu ziehen, wie das vollständig pauschal gebliebene Vorbringen des Klägers, die orthopädischen und nervenfachärztlich begründeten gesundheitlichen Einschränkungen hätten sich verstärkt und verschlechtert. Art, Umfang und Zeitpunkt einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes oder der hier insbesondere relevanten Funktionsbeeinträchtigungen sind nicht konkretisiert worden. Soweit der Kläger vorbringt, er nehme regelmäßig starke Schmerz- und Beruhigungsmittel, was im Befundbericht des K1-Krankenhauses vom 16. Januar 2024 dokumentiert sei, ergibt sich nichts Anderes. Seine Angaben zum Schmerzmittelgebrauch waren bereits bei Erstellung der Sachverständigengutachten bekannt. Sie wurden, wie oben bereits dargelegt, insbesondere H1 – unter Berücksichtigung auch des E1 erhobenen Medikamentenspiegels – in die Leistungsbeurteilung einbezogen. Die vom Kläger angeführte Auskunft des K1-Krankenhauses gibt im Übrigen keinen neuen Zustand wieder, sondern bezieht sich auf März 2021 und damit auf den bereits in den Sachverständigengutachten berücksichtigten Befund. Auch dass dem Kläger 2023 eine Flugreise in die Türkei möglich war, was dem Terminverlegungsantrag im sozialgerichtlichen Verfahren zu entnehmen ist (Bl. 263 der SG-Akte), spricht gegen eine relevante Verschlechterung seiner psychischen Situation. Ohne die Forderung eines Minimums an Vorbringen von rechtskundig Vertretenen ergäbe sich für die Gerichte die Verpflichtung zu „Ermittlungen ins Blaue hinein“ (BSG, Beschluss vom 1. April 2021 – B 9 V 60/20 B – juris, Rn. 18). Das Gebot zur Erforschung der materiellen Wahrheit verpflichtet die Gerichte generell nicht dazu, Beweise „ins Blaue hinein“ oder Ausforschungsbeweise zu erheben (BSG, Urteil vom 14. Mai 1996 – 4 RA 60/94 – juris, Rn. 37). Zu Ermittlungen ohne konkrete Anhaltspunkte besteht zudem auch unter verfassungsrechtlichen Erwägungen keine Verpflichtung (vgl. Bundesverfassungsgericht, Kammerbeschluss vom 9. Oktober 2007 – 2 BvR 1268/03 – juris, Rn. 19; BSG, Urteil vom 27. August 2019 – B 1 KR 36/18 R – juris, Rn. 18).

(5) Auch dem am 23. September 2024 gestellten Antrag, S3 nach § 109 Abs. 1 Satz 1 SGG als ärztlichen Sachverständigen zu hören, war nicht nachzukommen. Die Anhörung kann davon abhängig gemacht werden, dass der Antragsteller die Kosten vorschießt und vorbehaltlich einer anderen Entscheidung des Gerichts endgültig trägt (§ 109 Abs. 1 Satz 2 SGG). Dies hat der Senat mit Schreiben des Berichterstatters vom 19. August 2024 getan. Dieses wurde dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 22. Juli 2024 zugestellt (Bl. 64/66 der Senatsakte), die letztmalige Verlängerung der gesetzten Frist am 17. September 2023 (Bl. 74/75 der Senatsakten). Der Kläger hat den angeforderten Vorschluss nicht, insbesondere nicht innerhalb der mehrfach verlängerten Frist, eingezahlt und die Kostenverpflichtungserklärung nicht abgegeben. Der Senat lehnt diesen Antrag des Klägers daher ab, was in den Entscheidungsgründen des Urteils erfolgen kann (Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, 14. Aufl. 2023, § 109 Rn. 11a m.w.N.). Ohnehin hat der rechtskundig vertretene Kläger den Antrag in der mündlichen Verhandlung nicht ausdrücklich aufrechterhalten.

bb) Die festgestellten Gesundheitsstörungen schränken das berufliche Leistungsvermögen des Klägers in qualitativer Hinsicht ein. Aufgrund der orthopädischen Gesundheitsstörung sind diesem mittelschwere und schwere körperliche Arbeiten, regelmäßiges Heben, Tragen oder Bewegen von Lasten ohne Hilfsmittel über 5 bis 6 kg, Arbeiten in gebückter Zwangshaltung, mit häufigem Bücken, in Kälte, Nässe und Zugluft, mit ausschließlichem Sitzen und ausschließlichem oder vorwiegendem Stehen und Gehen, auf Leitern und Gerüsten sowie Überkopfarbeiten nicht mehr zumutbar. Dies entnimmt der Senat dem überzeugenden Sachverständigengutachten von D1, der diese qualitativen Ausschlüsse jeweils konkret und nachvollziehbar auf die entsprechende Funktionsbeeinträchtigung bezogen und mit dieser begründet hat. Aufgrund der psychischen Funktionsbeeinträchtigungen sind Nachtarbeit und Arbeiten mit besonderem Leistungs- oder Zeitdruck wie Akkordarbeit und Fließbandarbeit, mit besonderer Verantwortung oder besonderer geistiger Beanspruchung wie beispielsweise Daueraufmerksamkeit, mit besonderen Anforderungen an die Stressbelastbarkeit, Selbstbehauptungsfähigkeit und Konfliktbewältigungsfähigkeiten nicht mehr leidensgerecht. Dies entnimmt der Senat der schlüssigen Beurteilung von H1.

cc) Die beim Kläger als rentenrelevant zu berücksichtigenden Gesundheitsstörungen führen jedoch nicht zu einem Absinken des tatsächlichen Restleistungsvermögens auf ein unter sechsstündiges Maß; er ist weiterhin in der Lage, zumindest leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes sechs Stunden und mehr täglich auszuüben. Der Senat stützt sich auch insoweit auf die überzeugenden Gutachten von E1 und der Sachverständigen D1 und H1.

Den festgestellten orthopädischen Gesundheitsstörungen wird durch die qualitativen Ausschlüsse bereits ausreichend Rechnung getragen. Eine weitergehende, auch zeitliche Beschränkung des Leistungsvermögens für hier allein in Rede stehende körperlich leichte Tätigkeiten ergibt sich aus diesen nicht. Dies entnimmt der Senat insbesondere dem Gutachten von D1, der in Übereinstimmung mit H1 und  E1 sensible und motorische Nervenwurzelreizerscheinungen ausschließen konnte. Angesichts dessen sind die abweichenden Beurteilungen von B2 und des Y1, die maßgeblich auf den lumbalen Bandscheibenvorfall abgestellt haben, nicht schlüssig. Unabhängig von dessen progredienten Größe zog er bislang eben keine sensomotorischen Defizite nach sich. Solche haben die beiden Ärzte auch nicht angegeben. Die von Y1 angeführten Schmerzen am linken Kniegelenk korrelieren mit einer leicht bis mittelgradig ausgeprägten medialen Kniegelenksarthrose und einer leicht ausgeprägten Retropatellararthrose, haben aber bei Beachtung der o.g. qualitativen Ausschlüsse, mit denen sich die beiden behandelnden Ärzte nicht eingehend auseinandergesetzt haben, keinen begründbaren Einfluss auf die Leistungsfähigkeit in zeitlicher Hinsicht.

Unter Beachtung der genannten qualitativen Ausschlüsse bedingt die Gesundheitsstörung auf nervenärztlichem Fachgebiet keine zeitliche Begrenzung des Leistungsvermögens. Wie bereits festgestellt, lag eine schwerere Störung aus dem depressiven Formenkreis ebenso wenig vor wie eine ausgeprägte Angst- oder Panikerkrankung. Bei der Dysthymia handelt es sich bereits definitionsgemäß um eine andauernde depressive Verstimmung, die weder schwer noch hinsichtlich einzelner Episoden anhaltend genug ist, um die Kriterien einer schweren, mittelgradigen oder leichten rezidivierenden depressiven Störung zu erfüllen. Beeinträchtigungen der Ausdauerleistung resultieren aus der psychiatrischen Gesundheitsstörung nicht, wie H1 anhand der Befunde und Verhaltensbeobachtung überzeugend dargelegt hat. Der Antrieb war nur leicht gemindert. Eine pathologisch erhöhte Ermüdbarkeit konnte der Sachverständige im Verlust der dreistündigen intensiven Begutachtung nicht feststellen. Das Durchhaltevermögen zeigte sich nicht eingeschränkt. Die abweichende Einschätzung von S1 vermag hingegen nicht zu überzeugen. Diese hat, wie oben dargelegt, bereits die zugrunde gelegte Schwere der depressiven Störung sowie die weiter herangezogenen Gesundheitsstörungen einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung und Panikstörung nicht schlüssig begründet.

Entgegen der Ansicht des Klägers lässt sich eine Einschränkung der Leistungsfähigkeit in zeitlicher Hinsicht auch nicht mit Wechselwirkungen der Gesundheitsstörungen der verschiedenen Fachgebiete begründen. Dem steht bereits entgegen, dass die durch die einzelnen Gesundheitsstörungen bedingten Funktionsbeeinträchtigungen bereits für sich kein erhebliches Ausmaß annehmen. Es bedurfte zu dieser Frage auch keines weiteren Gutachtens. Vielmehr hat H1 in seiner Leistungsbeurteilung die Folgen aller Gesundheitsstörungen integrierend berücksichtigt. Ausdrücklich hat er erläutert, dass auch unter dem Blickwinkel der Summierung der psychisch bedingten mit den somatisch bedingten Funktionsbeeinträchtigungen beim Kläger keine quantitativen Einschränkungen seiner beruflichen Belastbarkeit und Leistungsfähigkeit bestehen. Da er über die Untersuchungsdauer von drei Stunden mit körperlichen und geistig/psychischen Anforderungen weder eine vorzeitige Erschöpfung oder Ermüdung noch Konzentrationsstörungen oder ein Nachlassen der Konzentrationsfähigkeit feststellen konnte, ist dies für den Senat überzeugend.

dd) Eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung liegen nicht vor. In einem solchen Fall kann der Arbeitsmarkt selbst bei einem noch vorhandenen sechsstündigen Leistungsvermögen ausnahmsweise als verschlossen gelten (vgl. BSG, Urteil vom 11. Dezember 2019 – B 13 R 7/18 R – juris, Rn. 29 ff. m.w.N.). Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass eine Verweisung auf noch vorhandenes Restleistungsvermögen nur dann möglich ist, wenn nicht nur die theoretische Möglichkeit besteht, einen entsprechenden Arbeitsplatz zu erhalten.

Dies ist hier nicht der Fall. Die qualitativen Leistungseinschränkungen des Klägers (siehe oben) sind nicht als ungewöhnlich zu bezeichnen. Darin ist weder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung noch eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen zu sehen. Eine schwere spezifische Leistungsbehinderung liegt nur vor, wenn bereits eine erhebliche (krankheitsbedingte) Behinderung ein weites Feld von Verweisungsmöglichkeiten versperrt. Hierzu können – unter besonderer Berücksichtigung der jeweiligen Einzelfallumstände – beispielsweise Einäugigkeit, Einarmigkeit und Einschränkungen der Arm- und Handbeweglichkeit sowie besondere Schwierigkeiten hinsichtlich der Gewöhnung und Anpassung an einen neuen Arbeitsplatz zählen (vgl. BSG, Urteil vom 9. Mai 2012 – B 5 R 68/11 R – juris, Rn. 28 m.w.N.). Keine dieser Fallkonstellationen ist hier gegeben.

ee) Auch die Wegefähigkeit des Klägers war und ist gegeben. Neben der zeitlich ausreichenden Einsetzbarkeit eines Versicherten am Arbeitsplatz gehört zur Erwerbsfähigkeit auch das Vermögen, eine Arbeitsstelle in zumutbarer Zeit aufsuchen zu können. Das BSG hat dieses Vermögen nur dann für gegeben erachtet, wenn es dem Versicherten möglich ist, Entfernungen von über 500 Metern zu Fuß zurückzulegen, weil davon auszugehen ist, dass derartige Wegstrecken üblicherweise erforderlich sind, um Arbeitsstellen oder Haltestellen eines öffentlichen Verkehrsmittels zu erreichen (zum Ganzen z.B. BSG, Urteil vom 17. Dezember 1991 – 13/5 RJ 73/90 – juris, Rn. 16 ff.; Urteil vom 12. Dezember 2011 – B 13 R 21/10 R – juris, Rn. 21 f.; Urteil vom 12. Dezember 2011 – B 13 R 79/11 R – juris, Rn. 19 f.). Der Kläger ist in der Lage, eine Gehstrecke von 500 Metern viermal in weniger als 20 Minuten täglich zurückzulegen und öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen. Eine rentenrechtlich relevante Einschränkung der Wegefähigkeit ist nach den oben genannten Befunden, insbesondere dem gutachterlich beschriebenen Gehvermögen, nicht gegeben. Der Senat stützt sich insoweit auf die übereinstimmende und überzeugende Bewertung der gerichtlichen Sachverständigen. Die psychischen Funktionsbeeinträchtigungen stehen der Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel nicht entgegen, wie H1 nachvollziehbar dargestellt hat. Diese hinderten den Kläger im Übrigen auch nicht an der im Sommer 2023 durchgeführten Flugreise in die Türkei.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG.

4. Die Revision war nicht zuzulassen, da Gründe hierfür (vgl. § 160 Abs. 2 SGG) nicht vorliegen.



 

Rechtskraft
Aus
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