S 10 KO 853/22

Sozialgericht
SG Konstanz (BWB)
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 10 KO 853/22
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
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3. Instanz
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Aktenzeichen
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Datum
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Kategorie
 

Die Entschädigung für das von dem Antragsteller erstattete Gutachten wird auf 1.237,54 € festgesetzt.

 

Gründe

 

I.

 

Im Verfahren S 5 U 88/21 erstattete der Antragsteller das Gutachten nach Aktenlage vom 11.04.2022. Der Antragsteller hat mit dem Land Baden-Württemberg eine Vereinbarung über die Höhe der Vergütung für die Erstellung von gerichtlichen Gutachten abgeschlossen. Hiernach erhält er für die Erstellung eines sehr schwierigen Gutachtens nach Aktenlage nach Honorargruppe M3 960,00 €.

 

Die Vereinbarung enthält unter III. (1) folgenden Passus:

 

Erfordert die Gutachtenerstellung im Ausnahmefall einen außergewöhnlich hohen Zeitaufwand, so kann der Sachverständige statt dem pauschalisierten Honorar nach I. und II. ein an den tatsächlich aufgewandten und erforderlichen Stunden orientiertes Honorar nach dem JVEG beantragen. Ein außergewöhnlicher Zeitaufwand ist zu begründen und die Richtigkeit der Angaben ist zu versichern.

 

Mit Datum vom 29.04.2022 wurde eine Rechnung in Höhe von 3.166,20 € gestellt. Hierbei wurden 16 Stunden zu je 120,00 € zugrunde gelegt.

 

Die Kostenbeamtin entschädigte mit Schreiben vom 10.05.2022 einen Betrag in Höhe von 1.237,54 €. Die Pauschale gem. der abgeschlossenen Vereinbarung gem. § 14 JVEG betrage für Gutachten nach Aktenlage mit der Honorargruppe M3 960,00 €. Zuzüglich Schreibauslagen, Portoauslagen und Umsatzsteuer seien 1.237,54 € zu vergüten.

 

Am 20.05.2022 stellte der Antragsteller einen Antrag auf richterliche Kostenfestsetzung. Die geltend gemachten Stunden seien durch den hohen Aufwand des Aktenstudiums zustande gekommen. Der zugrundeliegende Gerichtsprozess sei seit 2015 in Gange, dementsprechend sei die Aktenlage sehr umfangreich. Die digitale Akte habe über 600 Seiten umfasst. Es sei ein Abgleich mit den Papierakten notwendig gewesen, um herauszufinden welche Unterlagen nicht in der digitalen Akte enthalten gewesen seien. Im Hinblick auf die mehrfachen Widersprüche und Einwände bzw. Beanstandungen der bisher eingeholten Gutachten, sei darauf geachtet worden, den Unfallhergang und die bisherigen Begutachtungen und Ergebnisse gründlich und eingehend zu studieren. Des Weiteren seien vielzählige Tonaudiogramme und Befunde erneut bewertet und beurteilt worden, um einen Überblick über den zeitlichen Verlauf der Hörschädigung seit 2015 bzw. bereits 2014 zu erhalten. Die Fragestellung habe sich zwar nur auf den Tinnitus bezogen, eine Miteinbeziehung aller vorliegenden Befunde sei jedoch für dessen Beurteilung essentiell gewesen. Aus diesen Gründen sei eine kürzere Bearbeitungszeit ohne Einbußen bezüglich Qualität und Aussagekraft des Gutachtens nicht möglich gewesen.

 

II.

 

Der Antrag auf richterliche Festsetzung der Entschädigung ist nach § 4 Abs. 1 des Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetzes (JVEG) zulässig.

 

Grundlage des Vergütungsanspruchs ist vorliegend § 14 JVEG in Verbindung mit der geschlossenen Vereinbarung. Nach II. 1.) a) erhält der Antragsteller für ein Gutachten nach Aktenlage nach der Honorargruppe M3, wie dies vorliegend der Fall ist, 960,00 €.

 

Der Antragsteller beruft sich jedoch auf die Regelung unter III. (1) der Vereinbarung, wonach er ein an den tatsächlich aufgewandten und erforderlichen Stunden orientiertes Honorar nach dem JVEG beantragen kann, wenn die Gutachtenerstellung im Ausnahmefall einen außergewöhnlich hohen Zeitaufwand erfordert.

 

Diese Voraussetzungen sind zur Überzeugung der Kostenrichterin vorliegend nicht erfüllt. Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass es sich bei der Regelung in III. (1) der Vereinbarung um eine Ausnahmevorschrift handelt, deren Anwendungsbereich grundsätzlich eng zu fassen ist. Zu berücksichtigen ist hier der Hintergrund von Vereinbarungen nach § 14 JVEG. Pauschalvereinbarungen wie hier liegen verschiedene Gesichtspunkte zu Grunde. Für einen Sachverständigen ist, hiervon ist jedenfalls in vielen Fällen auszugehen, Grund für den Abschluss einer Honorarvereinbarung die Erwartung, deshalb mit einer häufigeren Beauftragung durch die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit rechnen zu dürfen. Ein pauschal vereinbartes Honorar, das typischerweise unter der Vergütung liegt, wie sie sich aus den Vorschriften des JVEG ergeben würde, wenn keine Vereinbarung vorliegen würde, wird daher mit Blick auf die Zahl der zu erwartenden Gutachtensaufträge für den Sachverständigen aus wirtschaftlicher Sicht heraus sinnvoll erscheinen. Mit dem Abschluss einer derartigen Pauschalvereinbarung akzeptiert der Gutachter aber auch, dass es neben für ihn rentablen Gutachtensaufträgen auch solche gibt, die im Einzelfall aufgrund des höheren Zeitaufwands weniger wirtschaftlich erscheinen. Nicht jeder erhöhte Zeitaufwand für ein Gutachten kann daher als außergewöhnlich hoch eingestuft werden.

 

Im vorliegenden Fall ist ein außergewöhnlich hoher Zeitaufwand nicht gegeben. Zugrunde zu legen ist hier nicht die von dem Antragsteller angegebene Stundenanzahl von (laut Rechnung) 16 Stunden, sondern die sich nach einer Plausibilitätsprüfung ergebende Stundenanzahl.

 

Aus § 8 Abs. 2 S. 1 JVEG ergibt sich, dass sich die Anzahl der zu vergütenden Stunden nicht daran orientiert, wie viele Stunden der Sachverständige zur Erstattung des Gutachtens aufwandte, sondern daran, wie viele Stunden für die Erstattung des Gutachtens erforderlich waren. Für die Ermittlung der Anzahl der zu vergütenden Stunden kommt es nicht auf die vom Sachverständigen tatsächlich aufgewandten Stunden an. Auch hängt die Zeit, die erforderlich ist, nicht von der individuellen Arbeitsweise des jeweiligen Sachverständigen ab, sondern ist nach einem objektiven Maßstab zu bestimmen (Meyer/Höver/Bach, ZSEG, 22. Auflage, § 3 RD-Nr. 21).

 

Es kann davon ausgegangen werden, dass die Angaben des Sachverständigen über die tatsächlich aufgewandte Zeit richtig sind und dass die vom Sachverständigen zur Vergütung verlangten Stunden für die Erstellung des Gutachtens auch notwendig waren. Dementsprechend findet regelmäßig nur eine Plausibilitätsprüfung der Kostenrechnung anhand allgemeiner Erfahrungswerte statt. Voraussetzung ist allerdings, dass der Sachverständige eine Kostenrechnung vorlegt, anhand derer eine Plausibilitätsprüfung vorgenommen werden kann. Dies ist regelmäßig nur dann der Fall, wenn der Sachverständige die Kostenrechnung entsprechend der Vorgaben verfasst, wie sie ihm im Merkblatt, dass er zusammen mit dem Gutachtensauftrag erhält, mitgeteilt werden. Sofern der Sachverständige innerhalb des durch die Plausibilitätsprüfung gezogenen Rahmens bleibt oder diesen Rahmen nur geringfügig überschreitet, wird er antragsgemäß entschädigt. Verlangt er erheblich mehr als die sich nach der Plausibilitätsprüfung ergebenden Stunden vergütet, muss diese Überschreitung nachvollziehbar sein, entweder aufgrund ohne weiteres erkennbarer oder aufgrund vom Sachverständigen vorgetragener besonderer, eine Abweichung von den allgemeinen Erfahrungswerten rechtfertigenden Umstände. Lässt sich die (erhebliche) Überschreitung nicht nachvollziehen, können nur die aufgrund der Plausibilitätsprüfung ermittelten Stunden vergütet werden (Beschluss des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 22.09.2004, AZ: L 12 RJ 3686/04 KO-A).

 

Nach der Rechtsprechung des Kostensenates des Landessozialgerichts Baden-Württemberg (Beschluss vom 22.09.2004, AZ: L 12 RJ 3686/04 KO-A) ist bei der Aktendurchsicht einschließlich Diktat des für das Gutachten erforderlichen Akteninhalts auch das Ausmaß der gutachtensrelevanten Aktenteile (einschlägige Befundberichte der behandelnden Ärzte, Vorgutachten, Rehabilitationsberichte, Beschwerdeschilderungen beispielsweise in der Widerspruchs-, Klage- und Berufungsbegründung) zu berücksichtigen. Dabei legt der Senat seine eigenen Erfahrungswerte aus dem richterlichen Bereich zugrunde. Danach ist - bei Gutachten aufgrund ambulanter Untersuchung - für bis zu 150 Aktenseiten mit bis zu 50 % gutachtensrelevantem Anteil bei der Plausibilitätsprüfung eine Stunde für Durchsicht und erforderliches Diktat anzusetzen. Bei einem Gutachten nach Aktenlage ist für bis zu 100 Seiten eine Stunde für Durchsicht und erforderliches Diktat anzunehmen (vgl. hierzu LSG Niedersachen-Bremen, Beschluss vom 12.10.2021 – L 7 SF 5/19 B (KR) – juris).

 

Für die Beurteilung und die Beantwortung der Beweisfragen (ohne deren Wiedergabe) ist in erster Linie der Inhalt des Gutachtens, in dem der Grad der Intensität und die Gewissenhaftigkeit der Arbeitsweise des Sachverständigen zum Ausdruck kommt, maßgeblich. Bei durchschnittlich komplizierten Ausführungen ohne Wiederholungen ist - auch dies entspricht den Erfahrungswerten aus der kostenrichterlichen Praxis - ein Zeitaufwand von einer Stunde für 1 ½  Seiten nicht zu beanstanden.

 

Für die Korrektur einschließlich der abschließenden Durchsicht ist nach der Rechtsprechung des 12. Senats des Landessozialgerichts (Beschluss vom 22.09.2004, AZ: L 12 RJ 3686/04) ein Zeitaufwand von einer Stunde für 12 Seiten als angemessen zu betrachten. Dabei legt der Senat hinsichtlich der Zeichendichte die vom Gesetzgeber für die Schreibgebühren vorgegebenen Grundsätze (ca. 2.700 Anschläge einschl. Leerzeichen pro Seite, vgl. BTDrs. 15/1971, S. 184) zugrunde.

 

Zusammengefasst gestaltet sich die kostenrechtliche Prüfung demnach so (Beschluss vom 05.04.2005, L 12 SB 795/05 KO-A), dass in einem ersten Schritt im Rahmen der Plausibilitätsprüfung das Gutachten und seine einzelnen Teile auf sogenannte Standardseiten mit 2.700 Anschlägen je Seite umgerechnet wird und anhand von Erfahrungswerten (Blätter je Stunde im Falle der Aktendurchsicht bzw. Seiten je Stunde) für die jeweilige Tätigkeit (Aktendurchsicht, Diktat von Anamnese und Befunden, Beurteilung einschließlich Beantwortung der Beweisfragen, Korrektur) ein Zeitaufwand ermittelt wird, der im Falle eines „Routinegutachtens“ zu erwarten ist. Überschreitet der Sachverständige mit seinem geltend gemachten Zeitaufwand das Ergebnis dieser Plausibilitätsprüfung, ist in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob sich - insbesondere aus dem Gutachten selbst unter Berücksichtigung des tatsächlichen Zeitaufwandes und ggf. vom Sachverständigen dargelegter Umstände - Hinweise ergeben, die eine Abweichung vom Ergebnis der Plausibilitätsprüfung rechtfertigen. Voraussetzung ist allerdings, dass der Sachverständige eine Kostenrechnung vorlegt, anhand derer eine solche Prüfung vorgenommen werden kann. Dies ist regelmäßig nur dann der Fall, wenn der Sachverständige die Kostenrechnung unter Mitteilung seines tatsächlichen Zeitaufwandes entsprechend der Vorgaben verfasst, wie sie ihm im Hinweisblatt mitgeteilt worden sind.

 

Bei vorliegend 48.473 Anschlägen errechnet sich ein Seitenfaktor von 0,64. Für das Aktenstudium von insgesamt 1000 Seiten sind nach den obigen Grundsätzen 10 Stunden angemessen. Die Beweisfragen finden sich auf 4 Seiten beantwortet. Korrigiert um den Seitenfaktor sind dies 2,56 Seiten. Hierfür sind 1,7 Stunden angemessen. Für die Korrektur von um den Seitenfaktor korrigierten 17,92 Seiten sind 1,5 Stunden zu vergüten. Insgesamt ergeben sich daher 13,2 (aufgerundet 13,5) Stunden, welche zu vergüten wären. Dies begründet keinen außergewöhnlichen Umfang, welcher im Ausnahmefall eine Abrechnung nach Stunden zulassen würde. Sicherlich gehen die errechneten 13,5 Stunden über den für ein Gutachten nach Aktenlage üblicherweise zu erwartenden Zeitaufwand hinaus. Wie oben aufgeführt, ist bei Abschluss einer Vereinbarung jedoch damit zu rechnen, dass einige Gutachtensaufträge weniger wirtschaftlich sind, andere dafür jedoch sehr rentabel. Diese Situation ist beim Abschluss einer Vereinbarung der Normalfall und rechtfertigt nicht die Annahme eines Ausnahmefalles bei jeder Überschreitung des Zeitaufwandes. Der angemessene Zeitaufwand von vorliegend 13,5 Stunden kann die Annahme eines Ausnahmefalles folglich noch nicht rechtfertigen.

 

Insgesamt sind daher zuzüglich Schreibauslagen, Portoauslagen und Umsatzsteuer 1.237,54 € zu entschädigen.

 

Rechtskraft
Aus
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