Der Versorgung einer gehbehinderten Person mit einem Therapiedreirad steht es nicht entgegen, dass mit dem Hilfsmittel längere Strecken zurückgelegt werden können, als sie ein gesunder Mensch üblicherweise zu Fuß zurücklegt.
Der Versorgung mit einem Therapiedreirad steht es nicht entgegen, wenn das Entstehen gefährlicher Situationen bei der Nutzung des Hilfsmittels nicht mit Sicherheit ausgeschlossen ist, da es Aufgabe des Hilfsmittelrechts ist, dem behinderten Menschen ein möglichst selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen und nicht, ihn vor allen denkbaren Gefahren auf Kosten seiner Mündigkeit zu bewahren.
1. Der Bescheid der Beklagten vom 31. März 2022 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Januar 2023 wird aufgehoben und die Beklagte wird verurteilt, die Kosten für das beantragte Therapiedreirad Trix zu übernehmen.
2. Die Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers zu tragen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Versorgung des Klägers (geb. 2006) mit einem Therapiedreirad.
Bei dem Kläger liegt ein genetisches Syndrom FOXP1 mit starker Beeinträchtigung der Gehfähigkeit, generalisierter Epilepsie, motorischer Schwäche, Handkoordinationsproblemen und Entwicklungsstörung mit starker Beeinträchtigung der psychosozialen Funktion samt autistischen Zügen vor.
Mit Verordnung vom 22. November 2021 wurde dem Kläger ein Therapiedreirad Trix verordnet. In einem Kostenvoranschlag vom 21. Dezember 2021 wurden die Kosten für das Therapiedreirad Trix mit 8.323,75 € beziffert.
Die Beklagte holte eine gutachtliche Stellungnahme des Medizinischen Diensts der Krankenversicherung Hessen (MD) ein, welche dieser am 30. März 2022 erstattete. Darin wird ausgeführt, dass die Notwendigkeit der Versorgung mit einem Therapiedreirad im konkreten Einzelfall nicht als sachgerecht und begründet nachvollzogen werden könne. Die Versorgung mit einem Therapiedreirad zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung sei Kindern und Jugendlichen vorbehalten, deren Mobilität hinsichtlich ihres Steh- und Gehvermögens erheblich eingeschränkt ist. Bei Einschränkungen des Gehvermögens seien die Krankenkasse nicht verpflichtet, behinderte Menschen durch die Bereitstellung von Hilfsmitteln in die Lage zu versetzen, Wegstrecken jeder Art und Länge zurückzulegen. Das Ermöglichen des Fahrradfahrens für einen behinderten Menschen werde nicht von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenkasse umfasst. Jedoch sei die Versorgung mit einem Therapiedreirad bei Jugendlichen zur Integration in den Kreis Gleichaltriger möglich. Dies setze jedoch voraus, dass das Kind in der Lage sei, das Fahrzeug im öffentlichen Raum und im Straßenverkehr zu beherrschen, Gefahrensituationen zu erkennen und adäquat zu reagieren. Diese Fähigkeiten müssten ohne Anwesenheit oder Hilfe von Erwachsenen abgerufen werden können. Andernfalls sei das Grundbedürfnis der Teilhabe an der Lebensgestaltung Gleichaltriger als Bestandteil des sozialen Lernprozesses nicht realisierbar. Aufgrund des Krankheitsbildes des Klägers sei es nicht vorstellbar, wie er ein Dreirad nach den Vorgaben des Hilfsmittelverzeichnisses selbstständig und eigenverantwortlich im öffentlichen Raum/Straßenverkehr nutzen können sollte. Deshalb werde nicht empfohlen, die Kosten für ein Therapiedreirad zu übernehmen.
Mit Schreiben vom 31. März 2022 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass der Antrag auf Übernahme der Kosten für das Therapiedreirad abgelehnt worden sei. Das Schreiben war nicht mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehen.
Mit Schreiben vom 19. April 2022 legte der Kläger Widerspruch gegen das Schreiben der Beklagten vom 31. März 2022 ein. Mit Schreiben vom 29. April 2022 teilten die Eltern des Klägers mit, dass sie bislang keinen Bescheid erhalten hätten. Mit Schreiben vom 3. Mai 2022 teilte die Beklagte der Klägerseite mit, dass das Schreiben vom 31. März 2022 als Ablehnung gelte.
Mit Schreiben vom 17. August 2022 begründeten die Bevollmächtigten des Klägers den Widerspruch gegen den Bescheid vom 31. März 2022. Der Kläger habe ein Recht auf Versorgung mit dem begehrten Therapiedreirad Trix.
Die Beklagte holte eine weitere gutachtliche Stellungnahme des MD Hessen ein, welche dieser am 31. August 2022 erstattete. Darin wird ausgeführt, dass die Notwendigkeit der Versorgung mit einem Therapiedreirad weiterhin nicht als sachgerecht und begründet nachvollzogen werden könne. Die Bereitstellung eines Fahrrades zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung sei Kindern und Jugendlichen vorbehalten, deren Mobilität hinsichtlich ihres Steh- und Gehvermögens erheblich eingeschränkt ist, was bei dem Kläger nicht im geforderten Umfang zutreffe.
Mit Widerspruchsbescheid vom 24. Januar 2023 lehnte der Widerspruchsausschuss der Beklagten den Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid der Beklagten vom 31. März 2022 ab. Beim Kläger bestehe hinsichtlich der Fortbewegung keine Mobilitätsbeeinträchtigung und ein Therapiedreirad sei für den Behinderungsausgleich daher nicht erforderlich. Auch eine Integration in den Kreis gleichaltriger Kinder mittels eines Therapiedreirads sei aufgrund der Erkrankung des Klägers nicht möglich. Die im Rahmen der Feststellung des Pflegegrades getroffenen gutachterlichen Feststellungen bestätigten weit unterdurchschnittliche soziale Fertigkeiten. Ein Anspruch im Rahmen der Genehmigungsfiktion scheide ebenfalls aus. Eine eingetretene Genehmigung nach § 13 Abs. 3a SGB V führe nur zu einem Anspruch auf Erstattung entstandener Kosten, aber nicht zu einem Sachleistungsanspruch. Durch den Eintritt der Genehmigungsfiktion sei das durch den Antrag in Gang gesetzte Verwaltungsverfahren nicht abgeschlossen worden. Die Beklagte sei weiterhin berechtigt und verpflichtet, über den gestellten Antrag zu entscheiden und das laufende Verwaltungsverfahren abzuschließen. Das Therapiedreirad sei bis zum Erlass des ablehnenden Bescheides am 31. März 2022 noch nicht beschafft worden und es mangele daher an einem durchsetzungsfähigen Kostenerstattungsanspruch.
Der Kläger hat am 22. Februar 2023 Klage zum Sozialgericht Darmstadt erhoben. Der Kläger trägt vor, das begehrte Therapiedreirad Trix sei ein anerkanntes Hilfsmittel und im konkreten Fall erforderlich, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen. Das Hilfsmittel sei ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich und überschreite nicht das Maß des notwendigen. Die Beurteilung des medizinischen Dienstes sei unzutreffend. Dieser habe den Kläger nicht persönlich begutachtet und die Gesundheitsbeeinträchtigungen des Klägers nicht hinreichend gewürdigt.
Der Kläger beantragt,
der Bescheid der Beklagten vom 31. März 2022 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Januar 2023 wird aufgehoben und die Beklagte wird verurteilt, die Kosten für das beantragte Therapiedreirad Trix zu übernehmen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung des Klageabweisungsantrages verweist die Beklagte auf die streitgegenständlichen Bescheide. Eine persönliche Begutachtung durch den MD sei nicht erforderlich gewesen, da der Fall anhand der vorliegenden umfangreichen Aktenlage habe beurteilt werden können. Die Gutachterinnen und Gutachter des medizinischen Dienstes seien gemäß § 275 Abs. 5 SGB V nur ihrem Gewissen unterworfen. Insofern habe die Beklagte ohnehin keine Weisungsbefugnis gehabt. Sie halte das Ergebnis der Begutachtung für schlüssig, nachvollziehbar und in sich widerspruchsfrei und sei daher der gutachterlichen Empfehlung gefolgt.
Die Kammer hat Befundberichte der Frau E. vom 25. Mai 2023, des Dr. F. vom 23. Mai 2023, des Herrn G. vom 14. Juni 2023, dass Herrn H. vom 23. Mai 2023 und des Prof. J. vom 8. August 2023 eingeholt und Herr K. hat am 13. Juni 2023 und Frau L. am 22. Juni 2023 eine Stellungnahme abgegeben bzw. medizinische Unterlagen übersandt. Außerdem hat die Klägerseite mit mehreren Schriftsätzen weitere medizinische Unterlagen übersandt.
Mit Schriftsatz vom 17. Oktober 2023 hat die Beklagte vorgetragen, dass den übersandten Unterlagen und Befundberichte nicht entnommen werden könne, dass mit einem Therapiedreirad die in § 33 SGB V genannten Versorgungziele erreicht werden könnten. Das Bundessozialgericht (BSG) habe die Ausstattung eines Kindes mit einem Behinderten-Fahrrad oder Behindertendreirad zulasten der Krankenkasse bejaht, wenn dadurch eine Integration in den Kreis gleichaltriger Kinder und Jugendlicher gelinge. Dies sei der Fall, wenn das Kind oder der Jugendliche erst durch das Therapiedreirad in die Lage versetzt werde, dem Bewegungsdranges unter Gleichaltrigen im jeweils erforderlichen Umfang zu folgen. Dies gelte für Kinder und Jugendliche bis zum vollendeten 18. Lebensjahr. Nach Einschätzung der Beklagten erschwert nicht das fehlende Rad die Integration des Klägers in den Kreis gleichaltriger, sondern seine unzureichend ausgebildeten oder fehlenden sozialen Fertigkeiten, die es ihm erschwerten, Freunde zu finden und Freundschaften zu pflegen. Es sei nicht erkennbar, wie die Fortbewegung mittels Dreirad hieran etwas ändern könne.
Mit Schriftsatz vom 23. November 2023 hat die Klägerseite die Auffassung vertreten, dass die eingeholten Befundberichte im Wesentlichen die Notwendigkeit des Therapiedreirades bestätigten.
Mit Schriftsatz vom 15. Dezember 2023 hat die Beklagte vorgetragen, dass die Eltern des Klägers dessen Gehfähigkeit für mehrere hundert Meter bestätigten. Soweit der Kläger schneller ermüde und beim Bewältigen längerer Gehstrecken erschöpft sei, würde sich ein notwendiger Behinderungsausgleich auf einen Basisausgleich der Behinderungsfolgen beschränken bei, beispielsweise die Versorgung mit Unterarmgehstützen oder mit einem Rollator. Das Therapiedreirad habe zweifellos einen positiven Trainingseffekt, dies könne aber auch mit weniger aufwendigen und deutlich wirtschaftlicheren Möglichkeiten erreicht werden.
Mit Schriftsatz vom 20. Dezember 2023 hat die Klägerseite vorgetragen, dass der Kläger bereits bei kürzester Gehstrecke Merkmale physikalischer Ermüdung wegen Muskelschwäche, des chronischen Asthmas und der schmerzhaften Wucherungen an den Füßen habe. Dies sei auf dem übersandten Video zu erkennen. Von dem Unterricht komme er stets sichtbar entkräftet und verschwitzt zurück und müsse sich tagsüber stets zwei bis drei Stunden schlafen legen. Das Jugendamt habe dem Kläger eine männliche Begleitung für den Schulweg genehmigt, die wegen des Personalmangels jedoch nicht möglich sei. Das kippsichere Therapiedreirad könne sowohl für den Schulweg, als auch für den Weg zum Autismus-Therapie-Institut und vielen weiteren Einrichtungen dazu dienen, dass der Kläger erschöpfungs- und schmerzfrei vorankommen, keine Stehpausen einlegen müsse und den Rucksack und sonstige Gegenstände auf dem Therapiedreirad abstellen könne. Auch könne er Alltagsgeschäft in seinem Wohnumfeld mit dem Therapiedreirad erledigen.
Mit Beweisanordnung vom 8. April 2024 hat die Kammer ein Gutachten auf dem Fachgebiet der Unfallchirurgie/Orthopädie des Prof. Dr. S. eingeholt, welches dieser nach Untersuchung des Klägers am 3. September 2024 am 23. September 2024 erstattet hat. In dem Gutachten führt der Sachverständige aus, dass das beantragte Therapiedreirad ein Hilfsmittel darstelle, das für die Teilhabe als angemessen und notwendig angesehen werden könne, da die Gehfähigkeit des Klägers hochgradig herabgesetzt sei und eine Einschränkung der kommunikativen Fähigkeiten bestehe und der öffentliche Raum durch die Beeinträchtigung bei der Zurücklegung längerer Wegstrecken zu Fuß verschlossen sei. Mit dem Therapiedreirad sei der Kläger in der Lage, den Weg zur Schule, der kürzer als ein Kilometer sei und nach Angaben des Vaters keine öffentlichen Straßen kreuze, zurückzulegen und er könne auch eine Wegstrecke von ein bis zwei Kilometern zu einem Treffpunkt mit Freunden zurücklegen. Aufgrund der herabgesetzten Reaktionsfähigkeit des Klägers und der motorischen und kognitiven Einschränkungen sei ein Einsatz im Straßenverkehr auf Straßen ohne Radweg oder auf Straßen mit regem Verkehr als problematisch anzusehen. Da das Hilfsmittel jedoch primär nicht im öffentlichen Straßenverkehr eingesetzt werden solle, sondern zum Zurücklegen der Wegstrecke zur Schule und zu Wegen zu Freunden, bei denen durch die Eltern sicherzustellen sei, dass der Kläger Wege nutze, auf denen keine Gefährdung durch Kraftfahrzeuge entstehe, erscheine die Zurverfügungstellung eines derartigen Therapiedreirades aus ärztlicher Sicht notwendig, um die Möglichkeiten der Teilhabe zu verbessern. Die Angabe des Vaters des Klägers, dass dieser bereits durch das zurücklegen von 600 bis 800 Metern erschöpft sei, sei nachvollziehbar. Das Zurücklegen der relativ kurzen Wegstrecke von 400 Metern mit dem Sachverständigen habe den Kläger bereits deutlich angestrengt. Der Sachverständige des medizinischen Dienstes habe sich aufgrund fehlender Untersuchungen kein adäquates Bild von der Geh- und Stehfähigkeit des Klägers machen können. Er sei davon ausgegangen, dass beim Kläger keine erhebliche Einschränkung des Geh- und Stehvermögens vorliege. Hätte er sich im Rahmen einer körperlichen Untersuchung einen Eindruck verschafft, wäre die gutachterliche Stellungnahme zweifellos im Sinne des Klägers ausgegangen. Daher leide das Genehmigungsverfahren an Mängeln. Der Sachverständige führt aus, dass der Kläger an einer ausgeprägten Teilhabebeeinträchtigung bei einem genetischen Syndrom FOXP1 – mit starker Beeinträchtigung der Gehfähigkeit, generalisierter Epilepsie, motorischer Schwäche, Handkoordinationsproblemen und Entwicklungsstörung mit starker Beeinträchtigung der psychosozialen Funktion samt autistischen Zügen leide. Dadurch bestünden hochgradige Beeinträchtigungen der Geh- und Stehfähigkeit. Der Kläger sei nicht in der Lage, ortsübliche Wegstrecken zurückzulegen. Das Gangbild sei langsam, es bestehe ein ataktisch-spastisches Gangbild mit Fehlbelastung der Hüftgelenke, der Kniegelenke, der Ober- und Unterschenkel sowie der Füße. Es bestünden Zwangshaltungen im Bereich der Ellenbogen und der Hände. Zudem bestünden mentale Beeinträchtigungen, eine ausgeprägte Sprachstörung sowie Beeinträchtigungen auf mund-, kiefer- und gesichtschirurgischen Fachgebiet. Das Therapiedreirad könne die Funktionsbeeinträchtigung der Gehfähigkeit zu einem gewissen Grad kompensieren und ausgleichen. Aktuell stünden dem Kläger keine Hilfsmittel zur Verfügung, um diese Funktionsbeeinträchtigung auszugleichen. Mit dem Therapiedreirad sei der Kläger in der Lage, die Schule zu besuchen, diesen Weg auch viermal am Tag zurück zu legen. Er sei in der Lage, auch Wegstrecken von ein bis zwei Kilometern zu bewältigen und mit Gleichaltrigen Kontakt aufzunehmen. Dies sei ihm bislang aufgrund der beeinträchtigten Gehfähigkeit verwehrt. Mit dem Rad sei auch ein therapeutischer Nutzen verbunden, denn der Kläger sei in der Lage, bis zu einem gewissen Grad auch die Muskulatur zu trainieren und die Beweglichkeit der Hüft-, Knie- und Sprunggelenke zu erhalten. Aus medizinischen Gründen sei der Einsatz des Therapiedreirades als erforderlich anzusehen und könne als Teil der Krankenbehandlung und des Behinderungsausgleichs angesehen werden. Da damit zu rechnen sei, dass sich der Kläger mit dem Rad bewege, könne dies auch als Teil des ärztlichen Therapieplans angesehen werden. Die Schwerbehinderung des Klägers könne damit zu einem Teil ausgeglichen werden. Es sei denkbar, dass durch die regelmäßige Benutzung des Therapiedreirades auch die Notwendigkeit physikalischer Maßnahmen zurückgehe, eine sichere Prognose könne allerdings nicht abgegeben werden. Die Nutzung des Therapiedreirades würde es dem Kläger erleichtern, sich alterstypisch im Kreis von Gleichaltrigen zu bewegen. Die Versorgung mit dem Therapiedreirad sei ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich. Das Grundbedürfnis „Fortbewegung“ könne durch das Hilfsmittel gefördert werden. Dem Sachverständigen sei kein anderes Hilfsmittel bekannt, mit dem dieses Ziel erreicht werden könne. Eine Nutzung des Hilfsmittels im öffentlichen Straßenverkehr (öffentliche Straßen ohne Radwege) empfehle der Sachverständige nicht. Im verkehrsberuhigten Raum, auf ausreichend breiten Radwegen oder auf breiten Bürgersteigen könne der Kläger das Therapiedreirad hingegen nutzen. Das Therapiedreirad diene nicht der Fortbewegung im Straßenverkehr, sondern solle die Fähigkeit der Zurücklegung kürzerer Wegstrecken überhaupt erst ermöglichen. Als Alternative wäre ein elektrobetriebener Rollstuhl denkbar, dies würde sich jedoch eher negativ auf die Motivation und die körperliche Bewegung auswirken.
Mit Schriftsatz vom 28. Oktober 2024 hat die Beklagte ausgeführt, dass die vom Sachverständigen genannten Idealbedingungen am Wohnort des Klägers überwiegend nicht vorhanden sein dürften und dass sich die Beklagte deshalb der Versorgungsempfehlung nicht anzuschließen vermöge. Es werde nicht bestritten, dass der Kläger in seiner Beweglichkeit beeinträchtigt und die Teilhabe erschwert sei. Jedoch sehe die Beklagte ein nicht kalkulierbares Risiko der Eigen- und Fremdgefährdung, wenn der Kläger unbeaufsichtigt und auf sich gestellt den vielfältigen Anforderungen im Straßenverkehr ausgesetzt sei. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass der Kläger in für ihn fremder Umgebung nicht nur Radwege in verkehrsberuhigter Umgebung nutzen könne, sondern auch mit den für ihn nicht kalkulierbaren Gefahren des alltäglichen Straßenverkehrs konfrontiert sei und dadurch einem ernstlichen Gefahrenpotenzial ausgesetzt sei. Die Beklagte habe erhebliche Bedenken, dieses Risiko mitzutragen.
Mit Schriftsatz vom 18. November 2024 hat die Klägerseite das Gutachten für nachvollziehbar und schlüssig gehalten. An der Qualifikation des Sachverständigen bestünden keinerlei Zweifel.
Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte im hiesigen Verfahren sowie die Akte der Beklagten (eine Datei) verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage nach § 54 Abs. 1 S. 1 Var. 1, Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ist in vollem Umfang begründet.
Der Bescheid der Beklagten vom 31. März 2022 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Januar 2023 ist rechtswidrig und beschwert den Kläger im Sinne von § 54 Abs. 2 S. 1 SGG. Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Versorgung mit dem beantragten Therapiedreirad Trix als Sachleistung.
Nach § 27 Abs. 1 S. 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst nach § 27 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 SGB V auch die Versorgung mit Hilfsmitteln. Nach § 33 Abs. 1 S. 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs. 4 SGB V ausgeschlossen sind.
Nach § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern (1. Variante), einer drohenden Behinderung vorzubeugen (2. Variante) oder eine Behinderung auszugleichen (3. Variante), soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs. 4 SGB V (Rechtsverordnung zu Heil- und Hilfsmitteln von geringem oder umstrittenem therapeutischen Nutzen oder geringem Abgabepreis) ausgeschlossen sind. Die begehrte Versorgung mit einem Therapiedreirad dient unstreitig allein dem Ausgleich der Folgen der vorhandenen Behinderungen des Klägers (3. Variante). Das begehrte Therapiedreirad mit besonders niedrigem Schwerpunkt ist als speziell für das Mobilitätsbedürfnis gehbehinderter Menschen entwickeltes und hergestelltes Hilfsmittel kein allgemeiner Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens und auch nicht durch die Rechtsverordnung nach § 34 Abs. 4 SGB V von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen.
Bei dem dem Kläger verordneten Therapiedreirad handelt es sich um ein Hilfsmittel zum mittelbaren Behinderungsausgleich i.S.v. § 33 Abs. 1 S. 1 Var. 3 SGB V. Eine Leistungszuständigkeit der gesetzlichen Krankenversicherung besteht, wenn das Hilfsmittel die Auswirkungen der Behinderung im täglichen Leben beseitigt oder mindert und damit der Befriedigung eines allgemeinen Grundbedürfnisses des täglichen Lebens und einem möglichst selbstbestimmten und selbständigen Leben dient. Zu den Grundbedürfnissen jedes Menschen gehören die körperlichen Grundfunktionen, die elementare Körperpflege, das selbstständige Wohnen und die Erschließung eines gewissen körperlichen und geistigen Freiraums. Als Grundbedürfnis des täglichen Lebens ist in der höchstrichterlichen Rechtsprechung außerdem das Grundbedürfnis der Erschließung des Nahbereichs der Wohnung mit einem Hilfsmittel anerkannt. Während das BSG in der Vergangenheit auf den Bewegungsradius abstellte, den ein nicht behinderter Mensch üblicherweise noch zu Fuß erreicht und dabei einen abstrakten Maßstab unabhängig von der konkreten Wohnsituation des Versicherten anlegte, hat das BSG die Beschränkung auf die Wege, die üblicherweise zu Fuß zurückgelegt werden, in seiner jüngsten Rechtsprechung jedenfalls für die Erschließung des Nahbereichs der Wohnung unter Einsatz auch der Körperkraft ausdrücklich aufgegeben.
Hierzu führt das BSG aus: „Zwar teilt der Senat es im Ausgangspunkt nach wie vor, dass die gesetzliche Krankenversicherung beim mittelbaren Behinderungsausgleich nicht für Hilfsmittel zum Zurücklegen längerer Wegstrecken vergleichbar einem Radfahrer, Jogger oder Wanderer aufzukommen hat, soweit nicht Integrationsinteressen von Kindern und Jugendlichen betroffen sind (BSG vom 16.9.1999 – B 3 KR 8/98 R – SozR 3-2500 § 33 Nr. 31, juris RdNr. 16 f).
Das rechtfertigt allerdings nicht den Schluss, dass den Krankenkassen die Eröffnung einer dem Radfahren vergleichbaren Fortbewegungsmöglichkeit durch die Versorgung mobilitätseingeschränkter Versicherter mit motorunterstützten Mobilitätshilfen auch für die im Rahmen der üblichen Alltagsgeschäfte erforderlichen Wege schlechterdings versperrt ist. Das verbietet sich nach dem oben Ausgeführten schon im Ansatz, soweit Versicherte bereits die für Menschen ohne Gehbeeinträchtigung fußläufig erreichbaren Alltagsgeschäfte unter Einsatz (auch) eigener Körperkraft nicht mehr zumutbar erlangen können (vgl oben RdNr. 22 ff). Das gilt zur Überzeugung des Senats darüber hinaus auch dann, wenn jedenfalls ein wesentlicher Teil der im Alltag anfallenden Versorgungs- und Gesunderhaltungswege (vgl oben RdNr. 27) nach den konkreten Umständen des Einzelfalls außerhalb der von Fußgängern üblicherweise zurückgelegten Wegstrecke liegt und jedenfalls diese Entfernung anders als mit einer motorunterstützten Mobilitätshilfe wie hier nicht mehr zumutbar mit auch eigener Körperkraft bewältigt werden kann.“ (BSG Urt. v. 18.4.2024 – B 3 KR 7/23 R, BeckRS 2024, 16501, Rn. 28-29). Der Versorgung des Klägers mit einem Therapiedreirad steht nach dieser Rechtsprechung, der sich die Kammer anschließt, nicht entgegen, dass der Kläger damit gegebenenfalls weitere Wege zurücklegen kann, als diejenigen Wege, die ein gesunder Mensch üblicherweise zu Fuß zurücklegt.
Die Versorgung mit einem Therapiedreirad ist zum Ausgleich der Behinderung des Klägers geeignet, erforderlich und angemessen. Dies ergibt sich aus den vom Gericht eingeholten Befundberichten der Behandler des Klägers und aus dem Sachverständigengutachten des Prof. Dr. S.
In dem Gutachten schildert der Sachverständige nachvollziehbar die Auswirkungen des genetisch bedingten FOXP1- Syndroms. Der Kläger leidet aufgrund dessen an einer Vielzahl von Beeinträchtigungen. Einerseits bedingt die Erkrankung eine Entwicklungsstörung mit mentaler Retardierung, eine starke Beeinträchtigung der psychosozialen Funktionen und einen Autismus. Der Kläger ist auch nicht in der Lage, eine längere sprachliche Kommunikation aufrechtzuerhalten und sich klar und verständlich zu äußern. Hinzu kommen epileptische Anfälle. Auch die motorischen Funktionen des Klägers sind stark beeinträchtigt. Er ist zwar in der Lage, zu gehen, allerdings lediglich mit einem ataktischen, partiell spastischen Gangbild mit Beugekontrakturen im Bereich der Hüft- und Kniegelenke und einer Deviation der Füße nach außen. Er hält die Ellenbogen und Handgelenk in einer gebeugten Position und hat beim Gehen die Hände zur Faust eingeschlagen. Der Sachverständige konnte bei der gutachterlichen Untersuchung des Klägers das Gehvermögen des Klägers beobachten. Er ist mit ihm über 400 Meter gegangen und schildert nachvollziehbar, dass das Gangbild des Klägers stark verändert war und dass ein harmonisches Gehen nicht möglich war. Die Einschätzung des Sachverständigen, dass der Kläger kurze Strecken zwar zurücklegen kann, allerdings nur mit einem unharmonischen Gangbild und dass die anatomischen Strukturen, Knochen, Gelenke und Muskeln durch das genetische Syndrom unphysiologisch und stärker belastet werden, sodass eine normale Leistungsfähigkeit nicht gegeben ist, ist einleuchtend und überzeugend, ebenso die Schilderung, dass der Kläger bereits beim Zurücklegen einer Strecke von 400 Metern ermüdete. Der Sachverständige erläutert nachvollziehbar, dass der Kläger nicht in der Lage ist, ortsübliche Wegstrecken zu Fuß zurückzulegen. Der Schlussfolgerung des Sachverständigen, dass die Gehfähigkeit des Klägers hochgradig herabgesetzt ist und ihm der öffentliche Raum durch die Beeinträchtigung bei der Zurücklegung längerer Wegstrecken zu Fuß verschlossen ist, schließt sich die Kammer nach eigener Überzeugungsbildung an. Der Sachverständige zeigt überzeugend auf, weshalb die Einschätzung des MD unzutreffend ist. Der MD argumentiert in der gutachterlichen Stellungnahme vom 30. März 2022 und 31. August 2022, dass die Notwendigkeit der Versorgung mit einem Therapiedreirad zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung Kindern und Jugendlichen vorbehalten sei, deren Mobilität hinsichtlich ihres Geh- und Stehvermögens erheblich eingeschränkt ist. Es sei nicht Aufgabe der gesetzlichen Krankenkassen, behinderten Menschen durch Bereitstellung von Hilfsmitteln zu eröffnen, Wegstrecken jeder Art und Länge zurückzulegen, die ein nicht behinderter Mensch beim Gehen zu Fuß bewältigen kann. Dem Sachverständigen ist darin beizupflichten, dass sich der MD aufgrund fehlender Untersuchungen kein adäquates Bild von der Geh- und Stehfähigkeit des Klägers machen konnte und dass der Sachverständige in der zweiten ergänzenden Stellungnahme vom 21. August 2022 zu Unrecht davon ausgegangen ist, dass bei dem Kläger keine erhebliche Einschränkung des Geh- und Stehvermögens vorlag. Die Schlussfolgerungen des MD beruhen daher auf falschen Annahmen hinsichtlich des Schweregrades der Einschränkungen des Klägers.
Der Sachverständige legt auch überzeugend dar, dass das dem Kläger verordnete Therapiedreirad geeignet ist, die durch die Behinderung bedingten Einschränkungen der Gehfähigkeit des Klägers zu einem gewissen Grad zu kompensieren und auszugleichen. Der Sachverständige hebt hervor, dass der Kläger mit dem Therapiedreirad in der Lage wäre, kürzere Wegstrecke von ein bis zwei Kilometern selbständig zurückzulegen und die Schule zu besuchen, insbesondere den Weg zur Schule und nach Hause auch viermal am Tag zurückzulegen. Außerdem wäre er in der Lage, durch die Bewältigung von Wegstrecken dieser Länge Kontakt mit Gleichaltrigen aufzunehmen, was ihm aufgrund der beeinträchtigten Gehfähigkeit bisher verwehrt ist. Die Kammer schließt sich der Einschätzung des Sachverständigen an, dass der Kläger durch die Versorgung mit dem Therapiedreirad in die Lage versetzt wird, kürzere Wegstrecken in seinem sozialen Umfeld zurückzulegen, was ihm aufgrund seiner beeinträchtigten Gehfähigkeit bislang verwehrt ist. Darüber hinaus ist es auch einleuchtend, dass die Stärkung der Muskulatur und die Verbesserung der Beweglichkeit der Hüft-, Knie, und Sprunggelenke auch mit einem therapeutischen Nutzen verbunden ist.
Der Geeignetheit des Therapiedreirads zum Behinderungsausgleich steht nicht entgegen, dass der Kläger nicht in der Lage wäre, das Hilfsmittel sicher zu verwenden. Der Argumentation der Beklagten, dass es bei Versorgung des Klägers mit einem Therapiedreirad zu nicht hinnehmbarer Eigen- und Fremdgefährdung kommt, folgt die Kammer nicht. In seinem auch insoweit überzeugenden Sachverständigengutachten legt der Sachverständige dar, dass dem Kläger die Nutzung des Therapiedreirades im verkehrsberuhigten Raum möglich ist und dass er auch keine Bedenken hat, dass der Kläger das Rad beispielsweise auf ausreichend breiten Radwegen oder auch auf breiten Bürgersteigen bewegt. Die Nutzung auf öffentlichen Straßen ohne Radwege erachtet der Sachverständige hingegen als außerordentlich problematisch. Die Kammer verkennt die Schwierigkeiten des Klägers bei der Beurteilung von Gefahren nicht. Allerdings kann sie der Beklagten nicht darin folgen, dass der Kläger aufgrund dieser Schwierigkeiten nicht mit einem Therapiedreirad versorgt werden kann. Die Nutzung von Hilfsmitteln wie Therapiedreirädern oder Elektrorollstühlen auf öffentlichen Straßen ohne Radwege ist in jedem Fall problematisch, unabhängig von den mentalen Fähigkeiten des Nutzers. Es ist jedoch zu berücksichtigen, dass das Therapiedreirad dem Kläger nicht die Fortbewegung im Straßenverkehr ermöglichen soll, sondern die Fähigkeit der Zurücklegung kürzerer Wegstrecken überhaupt erst ermöglichen soll. Ohne Versorgung mit dem begehrten Hilfsmittel vermag der Kläger nicht, sich in seinem Nahbereich zu bewegen. Damit ist ihm die Ausübung eines Grundbedürfnisses verwehrt.
Zu der Frage, inwieweit Gefährdungen bei der Nutzung von Hilfsmitteln hinzunehmen sind, hat das LSG Niedersachsen-Bremen in seinem Beschluss vom 4. Dezember 2021 (Az. L 16 KR 423 / 20) überzeugend ausgeführt: „Nach der neueren höchstrichterlichen Rechtsprechung ist für den Versorgungsanspruch nach § 33 SGB V zudem mit zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber inzwischen mit dem BTHG den Behinderungsbegriff in § 2 SGB IX ausdrücklich entsprechend dem Verständnis der UN-Behindertenrechtskonvention neu gefasst und damit dem Wechselwirkungsansatz noch mehr Gewicht beigemessen hat als nach dem bis dahin geltendem Recht. Danach kommt es nicht allein auf die wirklichen oder vermeintlichen gesundheitlichen Defizite an. Im Vordergrund stehen vielmehr das Ziel der Teilhabe (Partizipation) an den verschiedenen Lebensbereichen sowie die Stärkung der Möglichkeiten einer individuellen und persönlichen Wünschen entsprechenden Lebensplanung und -gestaltung unter Berücksichtigung des Sozialraumes (BSG, Urteil vom 15. März 2018 - B 3 KR 18/17 R Rn 46 mwN). Das entspricht einem dynamischen Behindertenbegriff im Sinne einer Wechselwirkung zwischen umweltbezogenen und personenbedingten Kontextfaktoren. Es ist die Aufgabe des Hilfsmittelrechtes, dem Behinderten ein möglichst selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen und nicht, ihn von sämtlichen Lebensgefahren fernzuhalten und ihn damit einer weitgehenden Unmündigkeit anheimfallen zu lassen. Nach dieser Maßgabe kann auch ein stark Sehbehinderter mit einem Elektrorollstuhl zu versorgen sein.“
Die Kammer verkennt nicht, dass bei Nutzung des Therapiedreirades durch den Kläger Gefahren auftreten können. Die Alternative zur Versorgung des Klägers mit dem Therapiedreirad wäre es jedoch, hinzunehmen, dass sich der Kläger seinen Nahbereich nicht erschließen kann und dass ihm die Kontaktaufnahme mit Gleichaltrigen verwehrt bleibt. Dieses Ergebnis wäre nicht akzeptabel. Etwas anderes folgt auch nicht daraus, dass der Kläger neben seinen körperlichen Einschränkungen auch an einer Beeinträchtigung der psychosozialen Funktion mit autistischen Zügen leidet. Es wäre zynisch, dem Kläger die Erschließung seines Nahbereichs und die Kontaktaufnahme mit Gleichaltrigen mit der Argumentation zu verwehren, dass er ohnehin nicht mit anderen Menschen kommunizieren kann. Auf die Frage, ob das Therapiedreirad zur Integration des Klägers in den Kreis Gleichaltriger geeignet ist und ob der Kläger, der inzwischen volljährig ist überhaupt noch zu dem Personenkreis zählt, auf den die entsprechende Rechtsprechung des BSG anwendbar ist, kommt es vorliegend sowieso nicht entscheidend an, denn das Therapiedreirad benötigt der Kläger zur Erschließung seines Nahbereichs, unabhängig von der spezifischen Ermöglichung der Kontaktaufnahme mit Gleichaltrigen. Die dahingehende Rechtsprechung des BSG bezieht sich auf über die Erschließung des Nahbereichs hinausgehende Bedürfnisse von Jugendlichen. Da der Kläger das Therapiedreirad jedoch bereits zur Erschließung seines Nahbereichs benötigt, kommt es darauf im Ergebnis nicht an. Der Kläger hat einen Anspruch darauf, in die Lage versetzt zu werden, sich einen Freiraum nach seinen Möglichkeiten und Vorstellungen eigenverantwortlich zu erschließen. Auch bei anderen Verkehrsteilnehmern, die mit Fahrrädern, Dreirädern, Elektroscootern oder Elektrorollstühlen unterwegs sind, wird die Verkehrstauglichkeit regelmäßig nicht geprüft und die Befugnis zur Nutzung derartiger Fortbewegungsmittel ist nicht von einer Erlaubnis abhängig. Dies zeigt, dass der Gesetzgeber bereit ist, gewisse Gefahrenlagen zugunsten der selbstbestimmten und eigenverantwortlichen Fortbewegung hinzunehmen. Es ist nicht ersichtlich, dass der Kläger grundsätzlich nicht in der Lage wäre, dass Therapiedreirad zu nutzen. Allein die Tatsache, dass er möglicherweise nicht in der Lage ist, in allen denkbaren Verkehrssituationen auf Straßen ohne Bürgersteigen adäquat zu reagieren, ist nicht ausreichend, um ihm die Versorgung mit dem begehrten Hilfsmittel zu verwehren, da ohne diese Versorgung das Grundbedürfnis des Klägers auf Erschließung des Nahbereichs überhaupt nicht befriedigt würde.
Nach dem Ergebnis der Begutachtung ist die Versorgung mit dem Therapiedreirad zum Behinderungsausgleich auch erforderlich. Das Grundbedürfnis der Fortbewegung kann durch das Hilfsmittel gefördert werden. Der Sachverständige formuliert, dass ihm kein anderes Hilfsmittel bekannt ist, mit dem dieses Ziel für den Kläger erreicht werden könnte. Dieser Einschätzung schließt sich die Kammer an. Soweit die Beklagte darauf verweist, dass der Kläger gegebenenfalls einen Rollator nutzen könnte, kann die Kammer dieser Einschätzung nicht folgen. Der Kläger leidet nicht nur an einer Beeinträchtigung der Gehfähigkeit, sondern hat auch Handkoordinationsprobleme und hält beim Gehen die Ellbogen und Handgelenke gebeugt. Deshalb ist nicht davon auszugehen, dass er einen Rollator überhaupt sinnvoll nutzen könnte, da er zur Nutzung Hände und Arme koordinieren müsste und sich darauf abstützen müsste. Dieselbe Problematik besteht auch bei der Nutzung eines durch Muskelkraft betriebenen Rollstuhls. Auch hier wäre eine Koordination von Händen und Armen erforderlich, zu der der Kläger nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen nicht in der Lage ist. Die Versorgung des Klägers mit einem Therapiedreirad bietet die Möglichkeit, dass er sicher und ohne Sturzgefährdung auf dem Dreirad sitzt und sich mit der vorhandenen Kraft seiner Beine fortbewegt, ohne dass es zu Gefährdungen kommt, falls seine Kräfte nachlassen. Da nicht ersichtlich ist, dass die Vorteile, die das Therapiedreirad dem Kläger bietet auch durch ein anderes Hilfsmittel erreicht werden könnten, ist das Therapiedreirad als erforderlich anzusehen. Die Beklagte hat auch keine alternative Versorgung des Klägers aufgezeigt.
Der Erforderlichkeit des Hilfsmittels steht auch die Reichweite und Geschwindigkeit der mit dem Therapiedreirad eröffneten Fortbewegung nicht entgegen. Das Bundessozialgericht hat ausdrücklich festgestellt, dass überschießende Nutzungsmöglichkeiten und eine höhere Geschwindigkeit Mutter unterstützte Mobilitätshilfen die Erforderlichkeit des Hilfsmittels nicht ausschließt, soweit dieses zum Ausgleich einer Behinderung im Sinne der Erschließung des Nahbereichs der Wohnung erforderlich sind. Die Reichweite und Geschwindigkeit der mit dem Hilfsmittel eröffneten Fortbewegung steht nach der Rechtsprechung des BSG der Versorgung Versicherter nicht entgegen, sofern eine zumutbare Erschließung des Nahbereichs der Wohnung mit eigener Körperkraft nicht anders möglich ist (BSG Urt. v. 18.4.2024 – B 3 KR 7/23 R, BeckRS 2024, 16501, Rn. 19). Die Rechtsprechung, auf die sich die Beklagte stützt, wenn sie ausführt, dass es nicht Aufgabe der gesetzlichen Krankenversicherung ist, Versicherten die Fortbewegung mittels Fahrrades zu ermöglichen, hat das BSG ausdrücklich aufgegeben.
Die Versorgung des Klägers mit dem begehrten Therapiedreirad ist zum Behinderungsausgleich auch angemessen und wirtschaftlich. Eine kostengünstigere und gleichermaßen geeignete Alternativversorgung ist nicht ersichtlich. Alternativ wäre zwar die Versorgung mit einem elektrobetriebenen Rollstuhl möglich, die Kammer teilt jedoch die Einschätzung des Sachverständigen, dass sich dies eher negativ auf die Motivation und die körperliche Bewegung auswirken würde. Darüber hinaus wäre die Versorgung mit einem Elektrorollstuhl wohl auch nicht kostengünstiger.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG und entspricht der Entscheidung in der Sache.